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01. März 2024Oliver G. Hamm
db

Lew-Tolstoi-Schule in Berlin

Zweckmäßig und (trotzdem) formschön: Im Zusammenspiel von einem Plattenbauriegel und einem »angedockten« Erweiterungsbau mit räumlich wirksamen Zwischentönen erweist sich ein kunstvolles Miteinander von Konstruktion, Materialien und Ornamentik.

Zweckmäßig und (trotzdem) formschön: Im Zusammenspiel von einem Plattenbauriegel und einem »angedockten« Erweiterungsbau mit räumlich wirksamen Zwischentönen erweist sich ein kunstvolles Miteinander von Konstruktion, Materialien und Ornamentik.

In der Bundeshauptstadt wird an 34 Standorten der Staatlichen Europa-Schule Berlin jeweils bilingualer Unterricht in Deutsch und in einer von insgesamt neun Sprachen erteilt (Englisch, Französisch, Griechisch, Italienisch, Polnisch, Portugiesisch, Russisch, Spanisch und Türkisch). Eine von insgesamt drei russischsprachigen Schulen ist die Lew-Tolstoi-Schule, eine Grundschule im Lichtenberger Ortsteil Karlshorst. Seit fast einem Vierteljahrhundert ist die Schule im Rheinischen Viertel verwurzelt, ganz in der Nähe des Museums Berlin-Karlshorst (zuvor Deutsch-Russisches Museum; nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine 2022 umbenannt) in einer früheren Heerespionierschule der Wehrmacht, dem Ort der deutschen Kapitulation im Mai 1945.

Einfamilienhäuser, vereinzelt auch mehrgeschossige Plattenbauten, ein versperrter Hochbunker und der Friedhof Karlshorst prägen das unmittelbare Umfeld der Schule. Etwas weiter südlich, nahe dem bereits erwähnten Museum, ist das Bundesamt für Strahlenschutz untergebracht, außerdem weisen sechs stark baufällige, aber denkmalgeschützte und teilweise gewerblich genutzte ehemalige Flugzeughallen darauf hin, dass hier einmal die Fliegerstation Berlin-Friedrichsfelde angesiedelt war. In dieser heterogenen Umgebung entstand bereits 1967, auf vormaligen Ackerparzellen und einem Abschnitt des östlichen Römerwegs, ein Schulgebäude des in der damaligen Hauptstadt der DDR häufig errichteten Plattenbautyps Berlin SK mit einer Ein-Feld-Halle in Sonderbauweise, die als 15. Polytechnische Oberschule eröffnet und ab 1970 nach der sowjetischen Kosmonautin Valentina Tereschkowa – der ersten Frau im Weltraum – benannt wurde. Seit 1991 wird das Gebäude als Grundschule genutzt, die seit 1992 Unterricht auch in Russisch anbietet. Ihren heutigen Namen Lew-Tolstoi-Schule trägt sie seit 1995.

Der viergeschossige Plattenbau mit zusätzlichem Tiefparterre (ursprünglich Mensa, heute als Bibliothek genutzt) und einbündiger Korridorerschließung sowie quer durchgesteckter Eingangshalle mit angrenzendem Annex (Haupttreppenhaus und Sanitärbereiche) wurde bereits 1998 energetisch erneuert. Im April 2019 begannen die Arbeiten an einem Schulerweiterungsbau und an einer neuen Zwei-Felder-Sporthalle (am östlichen Ende des Grundstücks mit separatem Zugang für Vereinssportler von der Zwieselerstraße) nach Plänen des Berliner Büros AFF Architekten, das 2016 einen entsprechenden Wettbewerb gewonnen hatte. Dessen Konzept sah vor, zwar unmittelbar an den Bestandsbau »anzudocken«, jedoch Räume für eine andere Pädagogik zu schaffen, die sich auch in der Architektur ausdrücken sollte. Im Unterschied zu den separierten, aneinandergereihten Klassenräumen des Plattenbaus sollten in einem plastisch geformten Erweiterungstrakt differenzierte Clusterräume entstehen. Zwischen dem vergrößerten und neu erschlossenen Schulgebäude und den beiden Sporthallen (Alt- und Neubau) sollten sich Sport-, Spiel- und Pausenflächen zu einer Folge differenzierter Außenräume ergänzen.

Kreation moderner Lernlandschaften

AFF Architekten sind bereits seit langer Zeit im Schulbau tätig; die Lew-Tolstoi-Schule ist ein weiterer Etappenschritt bei der Suche nach neuen typologischen und formalen Lösungen für zeitgemäße Nutzungsanforderungen. Bereits beim Neubau für Grundstufenklassen der Gemeinschaftsschule Anna Seghers in Berlin-Adlershof (2010) sind die – dort einbündigen, u-förmigen und mit grellgelber Farbe überzogenen – Erschließungsflächen teilweise aufgeweitet, zudem prägt eine Ornamentfassade mit unregelmäßigem Punktraster das äußere Erscheinungsbild. Bei der gleichfalls u-förmigen Ludwig-Hoffmann-Grundschule in Berlin-Friedrichshain (2012) ging es erstmals explizit um die Aufwertung von Erschließungsflächen zu multifunktional – auch für einen informellen Unterricht – nutzbaren Räumen. Im Falle der Dolgenseeschule in Berlin-Lichtenberg (2013) beschränkte sich der Auftrag der Architekten, die es hier erstmals mit einem Typenbau SK Berlin zu tun hatten, auf Sanierungsmaßnahmen im Gebäudeinneren und auf eine energetische Ertüchtigung der Bestandsfassaden, die gleichwohl eine neue, QR-Codes entlehnte ornamentale Neugestaltung erhielten. Abhängig vom jeweiligen pädagogischen Konzept der Schulen und ihrem Auftragsvolumen, setzten AFF Architekten auch bei den Erweiterungen des Arndt-Gymnasiums in Berlin-Dahlem (2016) und der Kaiserin-Theophanu-Schule in Köln (2020) sowie beim Neubau der Albert-Schweitzer-Schule in Wiesbaden (2021) kontinuierlich ihre Forschen-durch-Bauen-Tätigkeit mit dem Ziel, moderne Lernlandschaften zu kreieren, fort.

Verbindung von Alt und Neu

Beim Erweiterungsbau der Lew-Tolstoi-Schule war das Haupttreppenhaus des Altbaus Ausgangspunkt der konzeptionellen Überlegungen: Es sollte auch zur Erschließung der neuen Lernebenen in den OGs sowie der – aufgrund des Höhensprungs (das über eine Außentreppe erschlossene EG des Altbaus liegt um ein halbes Geschoss höher) – besonders hohen Räume im EG (Verwaltungs- und Lehrerzimmer sowie die zum Außenbereich zu öffnende Mensa) des neuen Bautraktes mitgenutzt werden. In den OGs sind Alt- und Neubautrakt niveaugleich miteinander verbunden. Im Erweiterungsbau ergänzen sich jeweils zwei Klassenräume und ein dazwischen liegender Gruppenraum, der auch für die Nachmittagsbetreuung genutzt wird, zu einem Cluster. Die zentralen Erschließungs- bzw. Begegnungsräume sind so großzügig dimensioniert, dass sie auch zum Spielen, für informellen Unterricht oder zum Chillen genutzt werden können; durch Vor- und Rücksprünge abwechslungsreich gestaltet, laden ihre Sitzbereiche zum Verweilen und zu Ausblicken auf die Schulhöfe ein. Natürlich belichtet werden sie über wenige große Fassadenöffnungen und zusätzlich über die Profilglaswände der Gruppenräume, das zweite OG ist zusätzlich mit runden Oberlichtern ausgestattet. Für Kunstlicht sorgen große runde Leuchten an den Sichtbetondecken.

Ebenso wie die neue »Schulstraße« mit den angrenzenden Räumen im EG und das zusätzliche Treppenhaus an der Südostecke werden auch die Begegnungs-, Klassen- und Gruppenräume von wenigen Materialien und Farben geprägt: Fließestrich- bzw. Linoleumböden, Sichtbeton- oder grün gestrichene Wände, orangefarbene Türzargen und Handläufe. (Mehr) Farbe und Leben sollen in erster Linie die Schülerinnen und Schüler selbst in die Räume einbringen.

Bei der äußeren Erscheinung des Erweiterungsbaus entschieden sich AFF Architekten, auch mit Blick auf den grauen Farbton des Plattenbaus, für eine monochrome Fassade mit glasierten und profilierten Fliesen im Wechsel zu matten Putzflächen, jeweils in Perlbeige. Großformatige formplastische Sichtbetonelemente mit runden Öffnungen vor den offenen Begegnungsräumen und Fensterbandabschnitte mit perlbeigen Metallrahmen strukturieren im steten Wechsel die OGs, bodentiefe Verglasungen mit umlaufenden Betongewändern (Entree, Lehrerzimmer, Mensa) setzen besondere Akzente. Die im Werk vorgefertigten Sichtbetonelemente und auch die glasierten Fassadenelemente sind moderne Neuinterpretationen von typischen Bauelementen entlang der Karl-Marx-Allee in Berlin mit ihren ornamental hervorgehobenen Solitärbauten, wie dem Kino International und dem Café Moskau.

An der Nahtstelle zwischen Alt- und Erweiterungsbau entstand ein kleiner Vorplatz – als neue »Adresse« der Schule – mit einer Aluminiumgussplastik von Sven Kalden, die an die Kosmonautin und frühere Namensgeberin der Schule im Raumanzug erinnert. Nordöstlich an das Bauensemble schließen der von Pola Landschaftsarchitekten neu gestaltete große Pausenhof mit Freisportflächen zwischen den beiden Sporthallen an.

db, Fr., 2024.03.01



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db 2024|03 Zwischentöne

21. Februar 2017Oliver G. Hamm
Neue Zürcher Zeitung

Unter abenteuerlichen Bedingungen

Die katholische Kirche in Polen ist ein religiös-gesellschaftlicher Schutzraum. Zur Zeit des Kommunismus war sie sogar Trägerin einer Selbsthilfe-Sakralbaukultur. Doch ihr Einfluss im Volk schwindet.

Die katholische Kirche in Polen ist ein religiös-gesellschaftlicher Schutzraum. Zur Zeit des Kommunismus war sie sogar Trägerin einer Selbsthilfe-Sakralbaukultur. Doch ihr Einfluss im Volk schwindet.

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26. November 2016Oliver G. Hamm
Neue Zürcher Zeitung

Von null auf hundert in Rekordzeit

Schanghai galt lange als kulturell wenig ambitioniert. Doch nun wartet die Metropole mit vielen Kultureinrichtungen vor allem entlang des West Bund auf.

Schanghai galt lange als kulturell wenig ambitioniert. Doch nun wartet die Metropole mit vielen Kultureinrichtungen vor allem entlang des West Bund auf.

Das «Reich der Mitte» und insbesondere die grossen Ballungsgebiete in China haben sich in den letzten Jahrzehnten mit einem atemberaubenden Tempo verändert. Viele Städte haben sich gewissermassen runderneuert, manche sind kaum wiederzuerkennen, wenn man ältere Fotografien oder eigene, oft nur wenige Jahre alte Eindrücke mit heutigen vergleicht. Auch Schanghai, die quirlige, 23 Millionen Einwohner zählende Metropole an der Ostküste, hat sich völlig gewandelt.

Gegenüber dem berühmten Bund, der Promenade am westlichen Ufer des Huangpu mit zahlreichen Bauten aus den ersten drei Dekaden des 20. Jahrhunderts, entstand mit Pudong quasi ein zweites Stadtzentrum, dessen Silhouette von zahlreichen Wolkenkratzern dominiert wird – darunter der Shanghai Tower, mit 632 Metern derzeit das zweithöchste Gebäude der Welt. In den letzten Jahren prägte aber vor allem die Konversion ehemaliger Hafen- und Industrieareale einige Kilometer flussaufwärts die Stadtentwicklung.

Freiräume schaffen

Viele tiefgreifende Veränderungen in Schanghai, dem Gründungsort der Kommunistischen Partei Chinas, geschehen heute ausschliesslich aus ökonomischen Beweggründen. Wenngleich der Kapitalismus auch die zweitgrösste chinesische Stadt, wie zahlreiche andere, immer mehr im Griff hat – wofür etwa die vielen neuen Bürogebäude entlang des Huangpu und ganze Business-Parks auch anderswo sichtbarster Ausdruck sind –, so haben die für die Stadtplanung Verantwortlichen durchaus erkannt, dass sie auch für öffentliche und kulturelle Nutzungen Freiräume schaffen müssen.

Mit dem West Bund Cultural Corridor im Stadtteil Xuhui ist binnen weniger Jahre eine von der Bevölkerung rege genutzte Promenade am westlichen Ufer des Huangpu und darüber hinaus ein kultureller Hotspot entstanden, mit dem sich Schanghai anschickt, im Konzert bedeutender Kulturmetropolen mitzuspielen. Daran war noch zur Jahrtausendwende, als die vom Schweizer Lorenz Helbling gegründete Galerie Shanghart in einer früheren Textilfabrik mit ihrer Pionierarbeit auf dem Gebiet zeitgenössischer Kunstvermittlung begann, nicht zu denken gewesen. «Niemand kam damals der Kunst wegen nach Schanghai», sagt Helbling.

Doch seit 2010 – dem Jahr, in dem Schanghai die Weltausstellung ausrichtete und in dem China einen Fünfjahresplan zur Gründung von 3500 Museen ins Leben rief, der bereits nach der Hälfte der Zeit erfüllt worden ist – hat die Kunst auch in Schanghai «ihren» Ort gefunden: Er erstreckt sich über rund zweieinhalb Kilometer vom West Bund Art Center im Süden bis zum Long Museum im Norden und bietet Platz für mehrere bedeutende Ausstellungshallen, aber auch Künstler- und Architekturateliers.

Die Power Station of Art, drei Kilometer flussabwärts gelegen, bildet einen nördlichen Satelliten des neuen Kulturkorridors; dieses ehemalige Kraftwerk, das seit 2012 als erstes staatliches Museum für zeitgenössische Kunst in China mit einer Ausstellungsfläche von 15 000 Quadratmetern aufwartet, beherbergt bis zum 12. März 2017 die elfte Schanghai-Biennale (diesjähriges Thema: «Why not ask again: Arguments, counter-arguments, and stories»).

Bereits Anfang November über die Bühne gegangen ist die fünftägige Messe West Bund Art & Design, an der unter anderem die Galerien Hauser & Wirth, Urs Meile und David Zwirner teilnahmen. Schauplatz war erneut das West Bund Art Center, eine ehemalige Flugzeugfabrik, die für die Messepremiere 2014 unter Federführung des Künstlers und Kurators Zhou Teihai als Ausstellungshalle hergerichtet worden war und mittlerweile einige bedeutende Ausstellungen – darunter 2015 eine Schau zur künftigen Stadtentwicklung Schanghais – beherbergt hat.

Die rund 8000 Quadratmeter grosse zweischiffige Halle wurde auf der Rückseite gestutzt und in einem der Schiffe um eine zweite Ausstellungsebene ergänzt, zudem wurden die Stirnwände teilweise durch Glas ersetzt, um die Belichtung zu verbessern. Dennoch konnte das Gebäude seinen ursprünglichen industriellen Charakter wahren.

Die Kunsthalle war gewissermassen die Initialzündung für eine von der halbstaatlichen West Bund Group vorangetriebene Entwicklung, die – untypisch für Schanghai – nicht dem maximalen kurzfristigen Profit, sondern der Etablierung eines neuen Kulturstandortes diente. Mit der erfolgreichen «Anwerbung» zweier bedeutender privater Kunstsammlungen und deren Implementierung in frühere Industriebauten wurden noch im Jahr 2014 die nächsten Pflöcke eingeschlagen.

Für die Werke zeitgenössischer chinesischer Kunst des chinesisch-indonesischen Sammlers Budi Tek richtete der japanische Architekt Sou Fujimoto einen weiteren Flugzeughangar unweit des West Bund Art Center her. Auf rund 9000 Quadratmetern präsentiert nun das Yuz Museum sowohl die Tek-Sammlung als auch Wechselausstellungen und bietet den Besuchern in einem angebauten, sehr grosszügigen, glasumschlossenen Foyer Raum zum Entspannen.

2014 wurde das Long Museum eröffnet, als nördlicher Abschluss des Kulturkorridors entlang der Long Teng Avenue, die mit einigen Industrie- und Hafenfragmenten einen guten Eindruck von der früheren Nutzung dieses speziellen Stadtraumes direkt am Fluss vermittelt. Das Museum wurde vom Schanghaier Architekturbüro Atelier Deshaus auf dem Areal einer ehemaligen Kohleverladestation errichtet.

Ein 110 Meter langer und 8 Meter hoher Schüttgutbunker bildet das Rückgrat der zweigeteilten Neubauvolumina. Sie basieren auf der Addition von Sichtbetonelementen, die im Querschnitt aufgespannten Schirmen ähneln. Grossflächige Glasfassaden, die zum grössten Teil durch transluzente Metallvorhänge geschützt werden, und Lichtbänder in den Decken gewährleisten eine gute Belichtung der beiden oberirdischen Geschosse, die für Wechselausstellungen genutzt werden, aber auch ein Auditorium, ein Restaurant und Büros bergen.

Spektakulärster Baustein

Das Untergeschoss – ehemals eine Tiefgarage – dient der dauerhaften Präsentation der privaten Sammlung alter chinesischer Kunst und Antiquitäten des Unternehmerpaars Liu Yiqian und Wang Wei. Mit seinen insgesamt rund 33 000 Quadratmetern, vor allem aber mit seiner aussergewöhnlichen Architektur bildet das Long Museum zweifellos den bisher spektakulärsten Baustein des West Bund Cultural Corridor.

In den letzten zwei Jahren entstand zwischen den beiden ehemaligen Hangars ein fast dörflich anmutendes Quartier aus zahlreichen Künstlerateliers und Kunstgalerien. Jedes einzelne Bauwerk kann wie die materialisierte Visitenkarte seines Schöpfers gelesen werden – in der Gesamtheit repräsentieren sie die erstaunliche Vielfalt zeitgenössischer Kunst und Architektur. Inzwischen haben sich dort unter anderem das Atelier Deshaus und die Shanghart-Galerie niedergelassen.

Am Rand des Quartiers gerät ein Bauwerk besonders in den Blick der Passanten: ein von den amerikanischen Architekten Sharon Johnston und Mark Lee ursprünglich für die West Bund Biennale 2013 entworfener Pavillon, der dem Fotojournalisten Liu Heung Shing angeboten wurde. Der hatte aber keinen Bedarf für ein Atelier und gründete darin das im letzten Jahr eröffnete Shanghai Center of Photography (SCoP). Mit seinen Fassaden aus weissem Wellblech fügt sich der Pavillon gut ein in die teils industriell, teils handwerklich geprägte Nachbarschaft. Ein dreieckiger Lichthof in seinem Zentrum und schmale Leuchtbänder in der Decke gewährleisten eine dosierte Belichtung der Ausstellungsräume, die für internationale Wechselausstellungen genutzt werden.

Gigantische Projekte

Der Erfolg des Kulturkorridors hat längst weitere Begehrlichkeiten geweckt: Auf einem Areal westlich des West Bund Art Center wird derzeit das Projekt «Tank Shanghai» realisiert – der Umbau von fünf ehemaligen Öltanks in ein 11 500 Quadratmeter grosses Kunstzentrum nach Plänen des Büros Open Architecture aus Peking. Auftraggeber ist der Privatsammler Qiao Zhibing, der am gleichen Ort auch Restaurants, Bars sowie eine Marina bauen und alles in einen neuen Park einbetten will, der im nächsten Jahr eröffnet werden soll.

Auf dem südlich angrenzenden Areal entsteht seit 2015 das sogenannte Shanghai Dream Center: Es umfasst das Hauptquartier von Dream Works' chinesischem Joint-Venture-Animationsstudio Oriental Dream Works und einen gigantischen Unterhaltungskomplex auf insgesamt 463 000 Quadratmetern. Dieser besteht aus einem Theater (in einem beeindruckenden Altbau inklusive riesiger, flacher Betonkuppel), einem Imax-Theater, dem Legoland Discovery Center, Restaurants, Bars und Läden.

Für die Gestaltung sind acht Architekturbüros verantwortlich, darunter 3XN Architects und Schmidt Hammer Lassen aus Dänemark sowie Kohn Pedersen Fox aus den USA. Die Eröffnung ist auf Anfang 2018 geplant. Es scheint, als wolle Schanghai mit dem immer stärker aufgeblähten West Bund Cultural Corridor sogar Londons South Bank und der New Yorker Museum Mile den Rang ablaufen.

Neue Zürcher Zeitung, Sa., 2016.11.26

24. März 2016Oliver G. Hamm
Neue Zürcher Zeitung

Bella figura

Das Hamburger Architekturbüro von Gerkan, Marg und Partner (GMP) restauriert den Dresdner Kulturpalast, ein Meisterwerk der DDR-Baukunst. Sein Glanzlicht wird der neue weinbergartige Musiksaal sein.

Das Hamburger Architekturbüro von Gerkan, Marg und Partner (GMP) restauriert den Dresdner Kulturpalast, ein Meisterwerk der DDR-Baukunst. Sein Glanzlicht wird der neue weinbergartige Musiksaal sein.

Ihren noch unverkleideten neuen Konzertsaal im Kulturpalast konnten die Dresdner Philharmoniker bereits beim Richtfest Ende Mai 2015 mit einer «Baustellenmusik» erstmals zum Klingen bringen. Inzwischen sind die Bau- und Restaurierungsarbeiten an ihrem bewährten Haus, einem Meisterwerk der DDR-Baukunst, weiter vorangeschritten. Ein Teil der plastischen Wand- und Deckenverkleidung aus Stuck ist aufgebracht. Der neue, nach dem Vorbild von Hans Scharouns Berliner Philharmonie weinbergartig geformte Saal nimmt zunehmend Gestalt an.

Der neugestaltete Saal

Die mit der Planung beauftragten Hamburger Architekten von Gerkan, Marg und Partner (GMP) mussten den Saal in die Struktur des denkmalgeschützten Altbaus einfügen und den nun im Grundriss sechseckigen Raum gegenüber dem wesentlich breiteren und für verschiedene Nutzungsarten konzipierten Vorgängersaal akustisch optimieren. Dazu wurde die Raumhöhe bis unter die Träger der vorhandenen Dachhaube ausgereizt.

Der Konzertsaal mit seinen 1760 Plätzen wird das räumlich beeindruckende «Herz» des runderneuerten Kulturpalastes sein, jenes 1969 nach Plänen von Leopold Wiel und Wolfgang Hänsch in einer modernen Formensprache errichteten Vorgängerbaus des Berliner «Palasts der Republik», der sich als Solitär selbstbewusst zwischen Altmarkt, Neumarkt und Schlossareal im Zentrum der weitgehend zerstörten Altstadt in Szene gesetzt hatte. Als «moderner Kontrapunkt im barocken Stadtkern Dresdens» (so Stephan Schütz vom Büro GMP) macht er auch nach dem Wiederaufbau der Frauenkirche und der Errichtung zahlreicher Neubauten im pseudobarocken Stil am Neumarkt «bella figura». Äusserlich weitgehend unangetastet – lediglich die nachträglich eingebrachten bronzebedampften Glasscheiben werden wieder durch transparente Gläser ersetzt – und auch im Foyer mit seiner für DDR-Verhältnisse üppigen Ausstattung (von Marmor bis Ebenholz) original erhalten, wird der Kulturpalast, wenn er nach vierjähriger Bauzeit am 28. April 2017 wiedereröffnet wird, den Dresdnern sehr vertraut erscheinen.

Die Herkuleskeule

Darüber hinaus wird er ihnen und den Touristen aus aller Welt auch Neues zu bieten haben: ausser dem neuen Konzertsaal auch einen 250 Sitzplätze fassenden neuen Kabarettsaal («Die Herkuleskeule»), fast 5500 Quadratmeter Nutzfläche für die Zentralbibliothek in den beiden – den Konzertsaal einfassenden – Obergeschossen sowie die Touristeninformation und ein Besucherzentrum der Frauenkirche in zwei rekonstruierten Eckpostamenten. Und das alles für Baukosten von voraussichtlich lediglich 90 Millionen Euro.

Neue Zürcher Zeitung, Do., 2016.03.24

01. Februar 2016Oliver G. Hamm
Neue Zürcher Zeitung

Höher, teurer und exklusiver

Neue Bürobauten am Ground Zero, der High Line Park und Luxuswohntürme kennzeichnen die urbanistische Dynamik New Yorks. Doch für immer mehr New Yorker wird hier das Leben unerschwinglich.

Neue Bürobauten am Ground Zero, der High Line Park und Luxuswohntürme kennzeichnen die urbanistische Dynamik New Yorks. Doch für immer mehr New Yorker wird hier das Leben unerschwinglich.

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24. Oktober 2015Oliver G. Hamm
Neue Zürcher Zeitung

Raumschöpferische Fähigkeiten

Nach seiner Karriere als Set-Designer ging der gebürtige Berliner Chaim Heinz Fenchel Ende 1936 ins Exil nach Palästina. Dort fing er als Architekt ganz neu an, wie eine Ausstellung in Berlin zeigt.

Nach seiner Karriere als Set-Designer ging der gebürtige Berliner Chaim Heinz Fenchel Ende 1936 ins Exil nach Palästina. Dort fing er als Architekt ganz neu an, wie eine Ausstellung in Berlin zeigt.

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Presseschau 12

01. März 2024Oliver G. Hamm
db

Lew-Tolstoi-Schule in Berlin

Zweckmäßig und (trotzdem) formschön: Im Zusammenspiel von einem Plattenbauriegel und einem »angedockten« Erweiterungsbau mit räumlich wirksamen Zwischentönen erweist sich ein kunstvolles Miteinander von Konstruktion, Materialien und Ornamentik.

Zweckmäßig und (trotzdem) formschön: Im Zusammenspiel von einem Plattenbauriegel und einem »angedockten« Erweiterungsbau mit räumlich wirksamen Zwischentönen erweist sich ein kunstvolles Miteinander von Konstruktion, Materialien und Ornamentik.

In der Bundeshauptstadt wird an 34 Standorten der Staatlichen Europa-Schule Berlin jeweils bilingualer Unterricht in Deutsch und in einer von insgesamt neun Sprachen erteilt (Englisch, Französisch, Griechisch, Italienisch, Polnisch, Portugiesisch, Russisch, Spanisch und Türkisch). Eine von insgesamt drei russischsprachigen Schulen ist die Lew-Tolstoi-Schule, eine Grundschule im Lichtenberger Ortsteil Karlshorst. Seit fast einem Vierteljahrhundert ist die Schule im Rheinischen Viertel verwurzelt, ganz in der Nähe des Museums Berlin-Karlshorst (zuvor Deutsch-Russisches Museum; nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine 2022 umbenannt) in einer früheren Heerespionierschule der Wehrmacht, dem Ort der deutschen Kapitulation im Mai 1945.

Einfamilienhäuser, vereinzelt auch mehrgeschossige Plattenbauten, ein versperrter Hochbunker und der Friedhof Karlshorst prägen das unmittelbare Umfeld der Schule. Etwas weiter südlich, nahe dem bereits erwähnten Museum, ist das Bundesamt für Strahlenschutz untergebracht, außerdem weisen sechs stark baufällige, aber denkmalgeschützte und teilweise gewerblich genutzte ehemalige Flugzeughallen darauf hin, dass hier einmal die Fliegerstation Berlin-Friedrichsfelde angesiedelt war. In dieser heterogenen Umgebung entstand bereits 1967, auf vormaligen Ackerparzellen und einem Abschnitt des östlichen Römerwegs, ein Schulgebäude des in der damaligen Hauptstadt der DDR häufig errichteten Plattenbautyps Berlin SK mit einer Ein-Feld-Halle in Sonderbauweise, die als 15. Polytechnische Oberschule eröffnet und ab 1970 nach der sowjetischen Kosmonautin Valentina Tereschkowa – der ersten Frau im Weltraum – benannt wurde. Seit 1991 wird das Gebäude als Grundschule genutzt, die seit 1992 Unterricht auch in Russisch anbietet. Ihren heutigen Namen Lew-Tolstoi-Schule trägt sie seit 1995.

Der viergeschossige Plattenbau mit zusätzlichem Tiefparterre (ursprünglich Mensa, heute als Bibliothek genutzt) und einbündiger Korridorerschließung sowie quer durchgesteckter Eingangshalle mit angrenzendem Annex (Haupttreppenhaus und Sanitärbereiche) wurde bereits 1998 energetisch erneuert. Im April 2019 begannen die Arbeiten an einem Schulerweiterungsbau und an einer neuen Zwei-Felder-Sporthalle (am östlichen Ende des Grundstücks mit separatem Zugang für Vereinssportler von der Zwieselerstraße) nach Plänen des Berliner Büros AFF Architekten, das 2016 einen entsprechenden Wettbewerb gewonnen hatte. Dessen Konzept sah vor, zwar unmittelbar an den Bestandsbau »anzudocken«, jedoch Räume für eine andere Pädagogik zu schaffen, die sich auch in der Architektur ausdrücken sollte. Im Unterschied zu den separierten, aneinandergereihten Klassenräumen des Plattenbaus sollten in einem plastisch geformten Erweiterungstrakt differenzierte Clusterräume entstehen. Zwischen dem vergrößerten und neu erschlossenen Schulgebäude und den beiden Sporthallen (Alt- und Neubau) sollten sich Sport-, Spiel- und Pausenflächen zu einer Folge differenzierter Außenräume ergänzen.

Kreation moderner Lernlandschaften

AFF Architekten sind bereits seit langer Zeit im Schulbau tätig; die Lew-Tolstoi-Schule ist ein weiterer Etappenschritt bei der Suche nach neuen typologischen und formalen Lösungen für zeitgemäße Nutzungsanforderungen. Bereits beim Neubau für Grundstufenklassen der Gemeinschaftsschule Anna Seghers in Berlin-Adlershof (2010) sind die – dort einbündigen, u-förmigen und mit grellgelber Farbe überzogenen – Erschließungsflächen teilweise aufgeweitet, zudem prägt eine Ornamentfassade mit unregelmäßigem Punktraster das äußere Erscheinungsbild. Bei der gleichfalls u-förmigen Ludwig-Hoffmann-Grundschule in Berlin-Friedrichshain (2012) ging es erstmals explizit um die Aufwertung von Erschließungsflächen zu multifunktional – auch für einen informellen Unterricht – nutzbaren Räumen. Im Falle der Dolgenseeschule in Berlin-Lichtenberg (2013) beschränkte sich der Auftrag der Architekten, die es hier erstmals mit einem Typenbau SK Berlin zu tun hatten, auf Sanierungsmaßnahmen im Gebäudeinneren und auf eine energetische Ertüchtigung der Bestandsfassaden, die gleichwohl eine neue, QR-Codes entlehnte ornamentale Neugestaltung erhielten. Abhängig vom jeweiligen pädagogischen Konzept der Schulen und ihrem Auftragsvolumen, setzten AFF Architekten auch bei den Erweiterungen des Arndt-Gymnasiums in Berlin-Dahlem (2016) und der Kaiserin-Theophanu-Schule in Köln (2020) sowie beim Neubau der Albert-Schweitzer-Schule in Wiesbaden (2021) kontinuierlich ihre Forschen-durch-Bauen-Tätigkeit mit dem Ziel, moderne Lernlandschaften zu kreieren, fort.

Verbindung von Alt und Neu

Beim Erweiterungsbau der Lew-Tolstoi-Schule war das Haupttreppenhaus des Altbaus Ausgangspunkt der konzeptionellen Überlegungen: Es sollte auch zur Erschließung der neuen Lernebenen in den OGs sowie der – aufgrund des Höhensprungs (das über eine Außentreppe erschlossene EG des Altbaus liegt um ein halbes Geschoss höher) – besonders hohen Räume im EG (Verwaltungs- und Lehrerzimmer sowie die zum Außenbereich zu öffnende Mensa) des neuen Bautraktes mitgenutzt werden. In den OGs sind Alt- und Neubautrakt niveaugleich miteinander verbunden. Im Erweiterungsbau ergänzen sich jeweils zwei Klassenräume und ein dazwischen liegender Gruppenraum, der auch für die Nachmittagsbetreuung genutzt wird, zu einem Cluster. Die zentralen Erschließungs- bzw. Begegnungsräume sind so großzügig dimensioniert, dass sie auch zum Spielen, für informellen Unterricht oder zum Chillen genutzt werden können; durch Vor- und Rücksprünge abwechslungsreich gestaltet, laden ihre Sitzbereiche zum Verweilen und zu Ausblicken auf die Schulhöfe ein. Natürlich belichtet werden sie über wenige große Fassadenöffnungen und zusätzlich über die Profilglaswände der Gruppenräume, das zweite OG ist zusätzlich mit runden Oberlichtern ausgestattet. Für Kunstlicht sorgen große runde Leuchten an den Sichtbetondecken.

Ebenso wie die neue »Schulstraße« mit den angrenzenden Räumen im EG und das zusätzliche Treppenhaus an der Südostecke werden auch die Begegnungs-, Klassen- und Gruppenräume von wenigen Materialien und Farben geprägt: Fließestrich- bzw. Linoleumböden, Sichtbeton- oder grün gestrichene Wände, orangefarbene Türzargen und Handläufe. (Mehr) Farbe und Leben sollen in erster Linie die Schülerinnen und Schüler selbst in die Räume einbringen.

Bei der äußeren Erscheinung des Erweiterungsbaus entschieden sich AFF Architekten, auch mit Blick auf den grauen Farbton des Plattenbaus, für eine monochrome Fassade mit glasierten und profilierten Fliesen im Wechsel zu matten Putzflächen, jeweils in Perlbeige. Großformatige formplastische Sichtbetonelemente mit runden Öffnungen vor den offenen Begegnungsräumen und Fensterbandabschnitte mit perlbeigen Metallrahmen strukturieren im steten Wechsel die OGs, bodentiefe Verglasungen mit umlaufenden Betongewändern (Entree, Lehrerzimmer, Mensa) setzen besondere Akzente. Die im Werk vorgefertigten Sichtbetonelemente und auch die glasierten Fassadenelemente sind moderne Neuinterpretationen von typischen Bauelementen entlang der Karl-Marx-Allee in Berlin mit ihren ornamental hervorgehobenen Solitärbauten, wie dem Kino International und dem Café Moskau.

An der Nahtstelle zwischen Alt- und Erweiterungsbau entstand ein kleiner Vorplatz – als neue »Adresse« der Schule – mit einer Aluminiumgussplastik von Sven Kalden, die an die Kosmonautin und frühere Namensgeberin der Schule im Raumanzug erinnert. Nordöstlich an das Bauensemble schließen der von Pola Landschaftsarchitekten neu gestaltete große Pausenhof mit Freisportflächen zwischen den beiden Sporthallen an.

db, Fr., 2024.03.01



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db 2024|03 Zwischentöne

21. Februar 2017Oliver G. Hamm
Neue Zürcher Zeitung

Unter abenteuerlichen Bedingungen

Die katholische Kirche in Polen ist ein religiös-gesellschaftlicher Schutzraum. Zur Zeit des Kommunismus war sie sogar Trägerin einer Selbsthilfe-Sakralbaukultur. Doch ihr Einfluss im Volk schwindet.

Die katholische Kirche in Polen ist ein religiös-gesellschaftlicher Schutzraum. Zur Zeit des Kommunismus war sie sogar Trägerin einer Selbsthilfe-Sakralbaukultur. Doch ihr Einfluss im Volk schwindet.

Hinweis: Leider können Sie den vollständigen Artikel nicht in nextroom lesen. Sie haben jedoch die Möglichkeit, diesen im „Neue Zürcher Zeitung“ Archiv abzurufen. Vollständigen Artikel anssehen

26. November 2016Oliver G. Hamm
Neue Zürcher Zeitung

Von null auf hundert in Rekordzeit

Schanghai galt lange als kulturell wenig ambitioniert. Doch nun wartet die Metropole mit vielen Kultureinrichtungen vor allem entlang des West Bund auf.

Schanghai galt lange als kulturell wenig ambitioniert. Doch nun wartet die Metropole mit vielen Kultureinrichtungen vor allem entlang des West Bund auf.

Das «Reich der Mitte» und insbesondere die grossen Ballungsgebiete in China haben sich in den letzten Jahrzehnten mit einem atemberaubenden Tempo verändert. Viele Städte haben sich gewissermassen runderneuert, manche sind kaum wiederzuerkennen, wenn man ältere Fotografien oder eigene, oft nur wenige Jahre alte Eindrücke mit heutigen vergleicht. Auch Schanghai, die quirlige, 23 Millionen Einwohner zählende Metropole an der Ostküste, hat sich völlig gewandelt.

Gegenüber dem berühmten Bund, der Promenade am westlichen Ufer des Huangpu mit zahlreichen Bauten aus den ersten drei Dekaden des 20. Jahrhunderts, entstand mit Pudong quasi ein zweites Stadtzentrum, dessen Silhouette von zahlreichen Wolkenkratzern dominiert wird – darunter der Shanghai Tower, mit 632 Metern derzeit das zweithöchste Gebäude der Welt. In den letzten Jahren prägte aber vor allem die Konversion ehemaliger Hafen- und Industrieareale einige Kilometer flussaufwärts die Stadtentwicklung.

Freiräume schaffen

Viele tiefgreifende Veränderungen in Schanghai, dem Gründungsort der Kommunistischen Partei Chinas, geschehen heute ausschliesslich aus ökonomischen Beweggründen. Wenngleich der Kapitalismus auch die zweitgrösste chinesische Stadt, wie zahlreiche andere, immer mehr im Griff hat – wofür etwa die vielen neuen Bürogebäude entlang des Huangpu und ganze Business-Parks auch anderswo sichtbarster Ausdruck sind –, so haben die für die Stadtplanung Verantwortlichen durchaus erkannt, dass sie auch für öffentliche und kulturelle Nutzungen Freiräume schaffen müssen.

Mit dem West Bund Cultural Corridor im Stadtteil Xuhui ist binnen weniger Jahre eine von der Bevölkerung rege genutzte Promenade am westlichen Ufer des Huangpu und darüber hinaus ein kultureller Hotspot entstanden, mit dem sich Schanghai anschickt, im Konzert bedeutender Kulturmetropolen mitzuspielen. Daran war noch zur Jahrtausendwende, als die vom Schweizer Lorenz Helbling gegründete Galerie Shanghart in einer früheren Textilfabrik mit ihrer Pionierarbeit auf dem Gebiet zeitgenössischer Kunstvermittlung begann, nicht zu denken gewesen. «Niemand kam damals der Kunst wegen nach Schanghai», sagt Helbling.

Doch seit 2010 – dem Jahr, in dem Schanghai die Weltausstellung ausrichtete und in dem China einen Fünfjahresplan zur Gründung von 3500 Museen ins Leben rief, der bereits nach der Hälfte der Zeit erfüllt worden ist – hat die Kunst auch in Schanghai «ihren» Ort gefunden: Er erstreckt sich über rund zweieinhalb Kilometer vom West Bund Art Center im Süden bis zum Long Museum im Norden und bietet Platz für mehrere bedeutende Ausstellungshallen, aber auch Künstler- und Architekturateliers.

Die Power Station of Art, drei Kilometer flussabwärts gelegen, bildet einen nördlichen Satelliten des neuen Kulturkorridors; dieses ehemalige Kraftwerk, das seit 2012 als erstes staatliches Museum für zeitgenössische Kunst in China mit einer Ausstellungsfläche von 15 000 Quadratmetern aufwartet, beherbergt bis zum 12. März 2017 die elfte Schanghai-Biennale (diesjähriges Thema: «Why not ask again: Arguments, counter-arguments, and stories»).

Bereits Anfang November über die Bühne gegangen ist die fünftägige Messe West Bund Art & Design, an der unter anderem die Galerien Hauser & Wirth, Urs Meile und David Zwirner teilnahmen. Schauplatz war erneut das West Bund Art Center, eine ehemalige Flugzeugfabrik, die für die Messepremiere 2014 unter Federführung des Künstlers und Kurators Zhou Teihai als Ausstellungshalle hergerichtet worden war und mittlerweile einige bedeutende Ausstellungen – darunter 2015 eine Schau zur künftigen Stadtentwicklung Schanghais – beherbergt hat.

Die rund 8000 Quadratmeter grosse zweischiffige Halle wurde auf der Rückseite gestutzt und in einem der Schiffe um eine zweite Ausstellungsebene ergänzt, zudem wurden die Stirnwände teilweise durch Glas ersetzt, um die Belichtung zu verbessern. Dennoch konnte das Gebäude seinen ursprünglichen industriellen Charakter wahren.

Die Kunsthalle war gewissermassen die Initialzündung für eine von der halbstaatlichen West Bund Group vorangetriebene Entwicklung, die – untypisch für Schanghai – nicht dem maximalen kurzfristigen Profit, sondern der Etablierung eines neuen Kulturstandortes diente. Mit der erfolgreichen «Anwerbung» zweier bedeutender privater Kunstsammlungen und deren Implementierung in frühere Industriebauten wurden noch im Jahr 2014 die nächsten Pflöcke eingeschlagen.

Für die Werke zeitgenössischer chinesischer Kunst des chinesisch-indonesischen Sammlers Budi Tek richtete der japanische Architekt Sou Fujimoto einen weiteren Flugzeughangar unweit des West Bund Art Center her. Auf rund 9000 Quadratmetern präsentiert nun das Yuz Museum sowohl die Tek-Sammlung als auch Wechselausstellungen und bietet den Besuchern in einem angebauten, sehr grosszügigen, glasumschlossenen Foyer Raum zum Entspannen.

2014 wurde das Long Museum eröffnet, als nördlicher Abschluss des Kulturkorridors entlang der Long Teng Avenue, die mit einigen Industrie- und Hafenfragmenten einen guten Eindruck von der früheren Nutzung dieses speziellen Stadtraumes direkt am Fluss vermittelt. Das Museum wurde vom Schanghaier Architekturbüro Atelier Deshaus auf dem Areal einer ehemaligen Kohleverladestation errichtet.

Ein 110 Meter langer und 8 Meter hoher Schüttgutbunker bildet das Rückgrat der zweigeteilten Neubauvolumina. Sie basieren auf der Addition von Sichtbetonelementen, die im Querschnitt aufgespannten Schirmen ähneln. Grossflächige Glasfassaden, die zum grössten Teil durch transluzente Metallvorhänge geschützt werden, und Lichtbänder in den Decken gewährleisten eine gute Belichtung der beiden oberirdischen Geschosse, die für Wechselausstellungen genutzt werden, aber auch ein Auditorium, ein Restaurant und Büros bergen.

Spektakulärster Baustein

Das Untergeschoss – ehemals eine Tiefgarage – dient der dauerhaften Präsentation der privaten Sammlung alter chinesischer Kunst und Antiquitäten des Unternehmerpaars Liu Yiqian und Wang Wei. Mit seinen insgesamt rund 33 000 Quadratmetern, vor allem aber mit seiner aussergewöhnlichen Architektur bildet das Long Museum zweifellos den bisher spektakulärsten Baustein des West Bund Cultural Corridor.

In den letzten zwei Jahren entstand zwischen den beiden ehemaligen Hangars ein fast dörflich anmutendes Quartier aus zahlreichen Künstlerateliers und Kunstgalerien. Jedes einzelne Bauwerk kann wie die materialisierte Visitenkarte seines Schöpfers gelesen werden – in der Gesamtheit repräsentieren sie die erstaunliche Vielfalt zeitgenössischer Kunst und Architektur. Inzwischen haben sich dort unter anderem das Atelier Deshaus und die Shanghart-Galerie niedergelassen.

Am Rand des Quartiers gerät ein Bauwerk besonders in den Blick der Passanten: ein von den amerikanischen Architekten Sharon Johnston und Mark Lee ursprünglich für die West Bund Biennale 2013 entworfener Pavillon, der dem Fotojournalisten Liu Heung Shing angeboten wurde. Der hatte aber keinen Bedarf für ein Atelier und gründete darin das im letzten Jahr eröffnete Shanghai Center of Photography (SCoP). Mit seinen Fassaden aus weissem Wellblech fügt sich der Pavillon gut ein in die teils industriell, teils handwerklich geprägte Nachbarschaft. Ein dreieckiger Lichthof in seinem Zentrum und schmale Leuchtbänder in der Decke gewährleisten eine dosierte Belichtung der Ausstellungsräume, die für internationale Wechselausstellungen genutzt werden.

Gigantische Projekte

Der Erfolg des Kulturkorridors hat längst weitere Begehrlichkeiten geweckt: Auf einem Areal westlich des West Bund Art Center wird derzeit das Projekt «Tank Shanghai» realisiert – der Umbau von fünf ehemaligen Öltanks in ein 11 500 Quadratmeter grosses Kunstzentrum nach Plänen des Büros Open Architecture aus Peking. Auftraggeber ist der Privatsammler Qiao Zhibing, der am gleichen Ort auch Restaurants, Bars sowie eine Marina bauen und alles in einen neuen Park einbetten will, der im nächsten Jahr eröffnet werden soll.

Auf dem südlich angrenzenden Areal entsteht seit 2015 das sogenannte Shanghai Dream Center: Es umfasst das Hauptquartier von Dream Works' chinesischem Joint-Venture-Animationsstudio Oriental Dream Works und einen gigantischen Unterhaltungskomplex auf insgesamt 463 000 Quadratmetern. Dieser besteht aus einem Theater (in einem beeindruckenden Altbau inklusive riesiger, flacher Betonkuppel), einem Imax-Theater, dem Legoland Discovery Center, Restaurants, Bars und Läden.

Für die Gestaltung sind acht Architekturbüros verantwortlich, darunter 3XN Architects und Schmidt Hammer Lassen aus Dänemark sowie Kohn Pedersen Fox aus den USA. Die Eröffnung ist auf Anfang 2018 geplant. Es scheint, als wolle Schanghai mit dem immer stärker aufgeblähten West Bund Cultural Corridor sogar Londons South Bank und der New Yorker Museum Mile den Rang ablaufen.

Neue Zürcher Zeitung, Sa., 2016.11.26

24. März 2016Oliver G. Hamm
Neue Zürcher Zeitung

Bella figura

Das Hamburger Architekturbüro von Gerkan, Marg und Partner (GMP) restauriert den Dresdner Kulturpalast, ein Meisterwerk der DDR-Baukunst. Sein Glanzlicht wird der neue weinbergartige Musiksaal sein.

Das Hamburger Architekturbüro von Gerkan, Marg und Partner (GMP) restauriert den Dresdner Kulturpalast, ein Meisterwerk der DDR-Baukunst. Sein Glanzlicht wird der neue weinbergartige Musiksaal sein.

Ihren noch unverkleideten neuen Konzertsaal im Kulturpalast konnten die Dresdner Philharmoniker bereits beim Richtfest Ende Mai 2015 mit einer «Baustellenmusik» erstmals zum Klingen bringen. Inzwischen sind die Bau- und Restaurierungsarbeiten an ihrem bewährten Haus, einem Meisterwerk der DDR-Baukunst, weiter vorangeschritten. Ein Teil der plastischen Wand- und Deckenverkleidung aus Stuck ist aufgebracht. Der neue, nach dem Vorbild von Hans Scharouns Berliner Philharmonie weinbergartig geformte Saal nimmt zunehmend Gestalt an.

Der neugestaltete Saal

Die mit der Planung beauftragten Hamburger Architekten von Gerkan, Marg und Partner (GMP) mussten den Saal in die Struktur des denkmalgeschützten Altbaus einfügen und den nun im Grundriss sechseckigen Raum gegenüber dem wesentlich breiteren und für verschiedene Nutzungsarten konzipierten Vorgängersaal akustisch optimieren. Dazu wurde die Raumhöhe bis unter die Träger der vorhandenen Dachhaube ausgereizt.

Der Konzertsaal mit seinen 1760 Plätzen wird das räumlich beeindruckende «Herz» des runderneuerten Kulturpalastes sein, jenes 1969 nach Plänen von Leopold Wiel und Wolfgang Hänsch in einer modernen Formensprache errichteten Vorgängerbaus des Berliner «Palasts der Republik», der sich als Solitär selbstbewusst zwischen Altmarkt, Neumarkt und Schlossareal im Zentrum der weitgehend zerstörten Altstadt in Szene gesetzt hatte. Als «moderner Kontrapunkt im barocken Stadtkern Dresdens» (so Stephan Schütz vom Büro GMP) macht er auch nach dem Wiederaufbau der Frauenkirche und der Errichtung zahlreicher Neubauten im pseudobarocken Stil am Neumarkt «bella figura». Äusserlich weitgehend unangetastet – lediglich die nachträglich eingebrachten bronzebedampften Glasscheiben werden wieder durch transparente Gläser ersetzt – und auch im Foyer mit seiner für DDR-Verhältnisse üppigen Ausstattung (von Marmor bis Ebenholz) original erhalten, wird der Kulturpalast, wenn er nach vierjähriger Bauzeit am 28. April 2017 wiedereröffnet wird, den Dresdnern sehr vertraut erscheinen.

Die Herkuleskeule

Darüber hinaus wird er ihnen und den Touristen aus aller Welt auch Neues zu bieten haben: ausser dem neuen Konzertsaal auch einen 250 Sitzplätze fassenden neuen Kabarettsaal («Die Herkuleskeule»), fast 5500 Quadratmeter Nutzfläche für die Zentralbibliothek in den beiden – den Konzertsaal einfassenden – Obergeschossen sowie die Touristeninformation und ein Besucherzentrum der Frauenkirche in zwei rekonstruierten Eckpostamenten. Und das alles für Baukosten von voraussichtlich lediglich 90 Millionen Euro.

Neue Zürcher Zeitung, Do., 2016.03.24

01. Februar 2016Oliver G. Hamm
Neue Zürcher Zeitung

Höher, teurer und exklusiver

Neue Bürobauten am Ground Zero, der High Line Park und Luxuswohntürme kennzeichnen die urbanistische Dynamik New Yorks. Doch für immer mehr New Yorker wird hier das Leben unerschwinglich.

Neue Bürobauten am Ground Zero, der High Line Park und Luxuswohntürme kennzeichnen die urbanistische Dynamik New Yorks. Doch für immer mehr New Yorker wird hier das Leben unerschwinglich.

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24. Oktober 2015Oliver G. Hamm
Neue Zürcher Zeitung

Raumschöpferische Fähigkeiten

Nach seiner Karriere als Set-Designer ging der gebürtige Berliner Chaim Heinz Fenchel Ende 1936 ins Exil nach Palästina. Dort fing er als Architekt ganz neu an, wie eine Ausstellung in Berlin zeigt.

Nach seiner Karriere als Set-Designer ging der gebürtige Berliner Chaim Heinz Fenchel Ende 1936 ins Exil nach Palästina. Dort fing er als Architekt ganz neu an, wie eine Ausstellung in Berlin zeigt.

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08. September 2015Oliver G. Hamm
Neue Zürcher Zeitung

Im Dienste Stalins und Hitlers

Die Entdeckung zweier Schriften des Albert-Speer-Mitarbeiters Rudolf Wolters, der 1932/33 in der Sowjetunion gearbeitet hatte, war der Anlass für zwei Studien zur totalitären Architektur jener Zeit.

Die Entdeckung zweier Schriften des Albert-Speer-Mitarbeiters Rudolf Wolters, der 1932/33 in der Sowjetunion gearbeitet hatte, war der Anlass für zwei Studien zur totalitären Architektur jener Zeit.

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29. Juni 2015Oliver G. Hamm
Neue Zürcher Zeitung

Ein Hoch im Norden

Finnlands Architektur geniesst einen hervorragenden Ruf, nicht zuletzt dank Alvar Aalto. Die heutigen Architekten werden vom einheimischen Bauerbe und von internationalen Einflüssen geprägt.

Finnlands Architektur geniesst einen hervorragenden Ruf, nicht zuletzt dank Alvar Aalto. Die heutigen Architekten werden vom einheimischen Bauerbe und von internationalen Einflüssen geprägt.

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30. August 2013Oliver G. Hamm
Bauwelt

Ersehnte Tabula rasa

Von der „Stadt der Zukunft“ hatten Architekten und Städtebauer schon ab den 1920er Jahren geträumt. Die seit der industriellen Revolution rasant gewachsenen Städte mit ihren zum Teil unwürdigen Wohnverhältnissen nährten den Wunsch, diese umzugestalten – oder gar abzubrechen und völlig neu zu bauen. Realität wurde die Vision von der aufgelockerten Stadt am Rand einiger Großstädte, in den Stadtzentren hinterließ sie zunächst keine Spuren.

Von der „Stadt der Zukunft“ hatten Architekten und Städtebauer schon ab den 1920er Jahren geträumt. Die seit der industriellen Revolution rasant gewachsenen Städte mit ihren zum Teil unwürdigen Wohnverhältnissen nährten den Wunsch, diese umzugestalten – oder gar abzubrechen und völlig neu zu bauen. Realität wurde die Vision von der aufgelockerten Stadt am Rand einiger Großstädte, in den Stadtzentren hinterließ sie zunächst keine Spuren.

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verknüpfte Zeitschriften
Bauwelt 2013|33 Akademische Erweiterungen

13. September 2012Oliver G. Hamm
Neue Zürcher Zeitung

Der Berliner Architekt Volker Staab liebt das Weiterbauen im Bestand

Volker Staab, einer der vielseitigsten Architekten Deutschlands, bevorzugt eher komplexe Aufgaben. Vor allem beim «Bauen im Bestand» spielt er seine Stärken aus, zuletzt beim Museum in Hohenschwangau und bei der Neuen Galerie in Kassel, dem Schauplatz der diesjährigen Documenta.

Volker Staab, einer der vielseitigsten Architekten Deutschlands, bevorzugt eher komplexe Aufgaben. Vor allem beim «Bauen im Bestand» spielt er seine Stärken aus, zuletzt beim Museum in Hohenschwangau und bei der Neuen Galerie in Kassel, dem Schauplatz der diesjährigen Documenta.

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14. Juli 2012Oliver G. Hamm
Neue Zürcher Zeitung

Zeit ist wichtig in der Architektur

Er ist ein Meister des grossen Massstabs, hat aber auch ein Gespür fürs Detail. Der spanische Architekt Francisco Mangado entwirft Kongresszentren ebenso wie Sitzmöbel oder Leuchten. Seine Werke spielen nicht mit Oberflächenreizen, sondern bereichern den räumlichen Kontext.

Er ist ein Meister des grossen Massstabs, hat aber auch ein Gespür fürs Detail. Der spanische Architekt Francisco Mangado entwirft Kongresszentren ebenso wie Sitzmöbel oder Leuchten. Seine Werke spielen nicht mit Oberflächenreizen, sondern bereichern den räumlichen Kontext.

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06. Juli 1999Oliver G. Hamm
Neue Zürcher Zeitung

Inszenierte Unschärfen

Schöpfer der Skulptur «Architecture» im Hof der Josef-Haubrich-Kunsthalle in Köln ist Frank O. Gehry. Der Beitrag des als Ausstellungsarchitekt fungierenden...

Schöpfer der Skulptur «Architecture» im Hof der Josef-Haubrich-Kunsthalle in Köln ist Frank O. Gehry. Der Beitrag des als Ausstellungsarchitekt fungierenden...

Schöpfer der Skulptur «Architecture» im Hof der Josef-Haubrich-Kunsthalle in Köln ist Frank O. Gehry. Der Beitrag des als Ausstellungsarchitekt fungierenden Kaliforniers zur Epochenschau «Am Ende des Jahrhunderts» beschränkt sich darauf, einer überraschend konventionell aufbereiteten Schau eine für seine Verhältnisse erstaunlich rationale Ordnungsstruktur zu geben und sowohl ihren Anfang wie auch ihr Ende skulptural zu inszenieren: Die Ausstellung, die den (ersten) Untertitel «Hundert Jahre gebaute Vision» trägt, endet mit Gehrys Arbeitsmodell für das Guggenheim-Museum in Bilbao, mit dem er dem Dekonstruktivismus ein medial perfekt inszeniertes Denkmal setzte.


Mut zur Lücke

Die vom Museum of Contemporary Art Los Angeles zusammengestellte Schau über «Positionen in der Architektur des 20. Jahrhunderts» (so der zweite Untertitel) legt in Köln ihre einzige europäische Zwischenstation auf dem Weg von Tokio nach Mexico City ein. Es mag überraschen, dass die Wahl ausgerechnet auf die Domstadt fiel und nicht etwa auf eine europäische Stadt, die in der Architekturgeschichte dieses Jahrhunderts eine bedeutendere Rolle spielte. Allerdings verfügt Köln über eine ganze Reihe hervorragender Architekten (man denke nur an Oswald Mathias Ungers und an Gottfried Böhm), die in der Ausstellung allerdings ebensowenig eine Rolle spielen wie Kölns wesentlicher Beitrag zur Erneuerung des Sakralbaus in diesem Jahrhundert.

Eine Epochenschau muss zwangsläufig Mut zur Lücke beweisen. Die Geschichte der Architektur dieses Jahrhunderts, eine Geschichte realisierter und gescheiterter Visionen, zu erzählen heisst, bewusst Vereinfachungen und Unschärfen in Kauf zu nehmen. Dass inszenierte Unschärfen nicht unbedingt den Blick auf das Wesentliche zu fokussieren vermögen, belegt jedoch die Photoserie von Hiroshi Sugimoto am Anfang der Ausstellung: Seine ästhetisch reizvollen Ablichtungen bekannter Architekturikonen dieses Jahrhunderts - vom Chrysler Building bis zu Tadao Andos Kapelle des Lichts - eignen sich allenfalls als Ratespiel für Eingeweihte. Überhaupt wird der künstlerischen Transformation von Architektur in dieser Ausstellung ein hoher Wert beigemessen - schliesslich wurde sie von einer Institution konzipiert, die der zeitgenössischen Kunst näher steht als der «Mutter aller Künste».

Die Ausstellung beginnt nicht etwa mit den grossen europäischen Stadterweiterungen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, sondern mit Daniel H. Burnhams und Edward Bennetts «Chicago Plan» für die Weltausstellung von 1893. Die Modernität der streng orthogonal aufgebauten Stadt musste zu jener Zeit noch durch eine konventionelle Architektur im Beaux-Arts-Stil kaschiert werden. Wenig später frönten die beiden Futuristen Antonio Sant'Elia aus Como und der Tessiner Mario Chiattone bereits einer den technischen Fortschritt vorwegnehmenden Maschinenästhetik, während die deutschen Expressionisten von Stadtkronen und bewegten Formen träumten. Viele dieser Entwürfe blieben ebenso unrealisiert wie die meisten Arbeiten der russischen Avantgarde in den zwanziger Jahren, die dem «neuen Menschen» adäquate konstruktivistische Gehäuse schneiderte.

Auf der oberen Etage der Kunsthalle kann sich die Ausstellung nicht so recht entscheiden, ob sie nun die Städtebau- oder die Architekturgeschichte dieses Jahrhunderts erzählen soll. Dieses Hin und Her erweist sich schliesslich als Stärke: Die Planungsgeschichte - zumal der ersten Jahrhunderthälfte - lässt sich nun einmal nicht so leicht in ihren politischen, kulturellen, ökonomischen, technischen und auch ästhetischen Dimensionen auseinanderdividieren. Am Anfang stand immer die Idee einer besseren Gesellschaft - das entsprechende urbane Leitbild hatten Architekten und Stadtplaner oft allzu schnell fixiert. Da der Irrtum ebenso zur Geschichte der Stadt gehört wie der soziale, ökonomische und technologische Fortschritt, liess der Wechsel der Planungsdoktrin meist nicht lange auf sich warten.

Während die städtebaulichen Leitbilder und architektonischen Moden von Europa aus in alle Welt exportiert wurden, entwickelte sich das Bauhaus ab 1919 zum Sammelbecken einer internationalen Künstleravantgarde, die heute - je nach Standpunkt - für ihren gesellschaftlichen und ästhetischen Aufbruch gelobt oder als Wegbereiter der seelenlosen Massensiedlungen unserer Tage verteufelt wird. Dass auch am Bauhaus heftig zwischen pragmatischen Ästheten wie Gropius und sozialen Utopisten wie Hannes Meyer gestritten wurde, verschweigt die Ausstellung. So aber verkürzt sich das Bild auf eine Generation von Architekten, für die es selbstverständlich war, heute eine Villa für einen fortschrittlichen Fabrikanten und morgen eine «Wohnung für das Existenzminimum» zu entwerfen - Hauptsache, man bekannte sich bedingungslos zum Formenrepertoire der klassischen Moderne.

Der Aufstieg totalitärer Regime in Europa trieb viele der fortschrittlichen Architekten ins Exil. In den Vereinigten Staaten machten die «Bauhäusler» Karriere - allen voran Walter Gropius, Ludwig Mies van der Rohe und Marcel Breuer. Amerika entwickelte sich zum «gelobten Land» der Architekten - und zum Durchlauferhitzer architektonischer Stile, die von hier ihren Siegeszug um die Welt antraten: Funktionalismus, Postmoderne und Dekonstruktivismus.


Visionen und Moden

An die Gleichzeitigkeit von (Architektur-)Strömungen haben wir uns mittlerweile gewöhnt. Die Kölner Schau belegt in den letzten ihrer 21 Stationen ebenso unfreiwillig wie eindrucksvoll, wie sich der Ideenstreit um das bessere urbanistische Modell in den dreissiger Jahren (Gartenstadt contra verkehrsgerechte Stadt) und um die ausgefallenste Utopie in den sechziger Jahren (Arata Isozakis «Clusters in the air» contra Archigrams «Plug-in-City») mittlerweile in einen Wettkampf um den letzten Schrei der von ihrem sozialen und räumlichen Kontext emanzipierten Architektur gewandelt hat. Was waren das für Zeiten, als die Baukünstler noch um gesellschaftliche und bauliche Strukturen statt um den schönen Schein der Fassade eines Wohn- oder Bürogebäudes stritten!

Um Planungen im grossen Stil ging es zuletzt beim Wiederaufbau kriegszerstörter Städte und bei der Konzipierung neuer Hauptstädte: So konnte Le Corbusier zwischen 1951 und 1962 im indischen Chandigarh endlich seine Vision einer Stadt der Moderne verwirklichen, was ihm in Europa versagt bleiben sollte. Und Lucio Costa sowie Oscar Niemeyer schufen ab 1957 mit Brasilia ein urbanistisches Modell, dessen lockere Folge plastisch durchgeformter Bauten heute vor allem eines belegt: Das Verschwinden des Stadtraumes der Nachkriegsmoderne.

In den achtziger und neunziger Jahren haben wir die Krise, die Auflösung und die Wiederentdeckung der Stadt (zuletzt häufig in Form von Surrogaten wie der Glücksspielkapitale Las Vegas oder der Heile-Welt-Erfindung «Celebration» aus dem Hause Disney in Florida) erlebt. Die beiden letzten Kapitel der Ausstellung widmen sich der «Architektur als Ausdrucksträger» und dem «Wolkenkratzer als Gebäudetyp des 20. Jahrhunderts». Einer virtuellen Bauausstellung gleich, vermitteln die meist aufwendig konstruierten Modelle vor allem eines: Nicht der Kontext, sondern das medial vermittelte Bild prägt heute unser Verhältnis zur Architektur. (Bis 3. Oktober)


[ Katalog: Am Ende des Jahrhunderts. 100 Jahre gebaute Visionen. Hrsg. Russell Ferguson. Hatje-Cantz-Verlag, Ostfildern 1999. 336 S., Fr. 91.- (DM 54.- in der Ausstellung). ]

Neue Zürcher Zeitung, Di., 1999.07.06

02. Juli 1999Oliver G. Hamm
Neue Zürcher Zeitung

Bauausstellung der Superlative

Die Internationale Bauausstellung Emscher Park geht 1999 zu Ende. In den letzten zehn Jahren erhielten Baudenkmale des Industriezeitalters im Ruhrgebiet neue Funktionen, wurden brachliegende Areale zu einer zusammenhängenden Parklandschaft verknüpft. 120 Projekte geben dem Strukturwandel im grössten Ballungsraum Europas eine eigene Note.

Die Internationale Bauausstellung Emscher Park geht 1999 zu Ende. In den letzten zehn Jahren erhielten Baudenkmale des Industriezeitalters im Ruhrgebiet neue Funktionen, wurden brachliegende Areale zu einer zusammenhängenden Parklandschaft verknüpft. 120 Projekte geben dem Strukturwandel im grössten Ballungsraum Europas eine eigene Note.

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts war das Ruhrgebiet zur bedeutendsten Industrieregion in der Mitte Europas aufgestiegen. Kohle und Stahl bescherten dem losen Verbund kleinerer Orte eine sprunghafte Entwicklung zur grössten städtischen Agglomeration des Kontinents. Doch die Epoche der Industrialisierung brachte den Städten an Rhein, Ruhr und Emscher nicht nur einen enormen Aufschwung und einen beispiellosen Bevölkerungszuwachs. Sie hinterliess auch tiefe Wunden in der Landschaft, die es nach dem Ende des klassischen Industriezeitalters zu schliessen gilt. Der tiefgreifende Strukturwandel von der Industrie- zur Dienstleistungs- und Mediengesellschaft prägt mittlerweile viele Regionen in Europa. Im Ruhrgebiet hat der Prozess vergleichsweise früh eingesetzt. Wie schon vor 150 Jahren, zum Beginn der Industrialisierung, nimmt «der Pott» auch diesmal eine Vorreiterrolle ein. Das Ruhrgebiet verfügt heute über Erkenntnisse einer tiefgreifenden wirtschaftlichen, kulturellen und ökologischen, aber auch städtebaulichen und landschaftsplanerischen Revitalisierung, die sich auch andere Regionen Europas zunutze machen könnten.


Eine neue Qualität

Noch Anfang der neunziger Jahre wurde der Strukturwandel im Ruhrgebiet hart bekämpft. Doch die Besetzung der Rheinbrücken aus Protest gegen die Schliessung des Stahlwerks in Duisburg-Rheinhausen markierte den Wendepunkt. Denn zur gleichen Zeit, als die Kumpel noch für einen Erhalt der Montanindustrie votierten, erlebte die Internationale Bauausstellung (IBA) Emscher Park ihre Geburtswehen. Sie sollte sich schliesslich als grösstes Investitionsprogramm der Region und des Landes Nordrhein-Westfalen entpuppen.

Bauausstellungen haben in Deutschland Tradition. Doch während Darmstadt (Mathildenhöhe, 1901), Stuttgart (Weissenhofsiedlung, 1927) und Berlin (Interbau, 1957) vor allem die neuesten architektonischen Stile und städtebaulichen Leitbilder feierten, wies erst die IBA 1984/87 in Berlin eine Alternative zur baukünstlerischen Leistungsschau. Zwar frönte auch sie mit der «IBA neu» der damals aktuellen Mode, nämlich der Postmoderne. Doch sie bändigte diese gleichsam mit dem städtebaulichen Paradigma der «kritischen Rekonstruktion», mit deren Hilfe die durch Bomben, Mauerbau und Abriss ganzer Strassenzüge entstellte Stadt geheilt werden sollte. Mit der «IBA alt» legte sie zudem grossen Wert auf die erhaltene, oft marode Bausubstanz, auf Nutzerbeteiligung und Selbsthilfe.

Die IBA Emscher Park, vor zehn Jahren vom damaligen nordrhein-westfälischen Bauminister Christoph Zöpel auf den Weg gebracht, orientierte sich an der Berliner «IBA alt» - und musste doch ganz neue Wege einschlagen. Denn im Ruhrgebiet ging es nicht, wie in Berlin, um die Revitalisierung einzelner Stadtteile, sondern einer aus 17 Städten bestehenden Region. Es ging nicht um die Frage, wie einzelne Gebäude zu sanieren oder einzufügen und Plätze zu gestalten seien, sondern darum, Konzepte für den «Wandel ohne Wachstum» einer durch 150 Jahre Industriegeschichte geprägten Stadtlandschaft zu finden. Zum ersten Mal stand nicht das Bauen, sondern das wohlüberlegte Zurückbauen und Uminterpretieren von ehemaligen Industriebauten und Industriearealen im Mittelpunkt einer Bauausstellung. Und zum ersten Mal waren nicht die Stadtplaner und Architekten tonangebend, sondern die Landschaftsarchitekten.


Grünes Rückgrat

Denn der übergreifende Planungsauftrag der IBA Emscher Park lautete, einen zur Abwasserführung missbrauchten und grösstenteils eingedolten Fluss freizulegen und zum Rückgrat einer 320 Quadratkilometer messenden Parklandschaft zwischen Duisburg und Hamm zu machen. Allein für das grüne «Herzstück» wurde seit 1989 eine von insgesamt fünf Milliarden Mark (davon zwei Milliarden Mark Privatinvestitionen) aufgewendet. Die Regenerierung der Emscher wird erst in 20 oder 30 Jahren abgeschlossen sein, doch der aus mehreren regionalen Grünzügen zusammengesetzte Emscher Landschaftspark nimmt mittlerweile konkrete Gestalt an. Damit das von der IBA Emscher Park begonnene Werk fortgesetzt werden kann, hat die nordrhein-westfälische Landesregierung die Gründung einer «Agentur Ruhr» beschlossen, die über jährlich 160 Millionen Mark verfügen soll.

Das Ruhrgebiet stellt sich seit 150 Jahren als extrem domestizierte Landschaft dar. Städte, Zechen- und Hüttenareale breiteten sich immer weiter auf Kosten der Natur aus. In nur zwei Generationen wurde soviel Siedlungsfläche verbraucht wie in viertausend Jahren zuvor. Nun soll das Prinzip der metastasenartigen Wucherung zugunsten der Natur umgekehrt werden. Die zwischen den Agglomerationen liegenden «grünen Inseln» erobern sich einst verlorenes Terrain zurück, indem sie sich auf industrielle Brachflächen ausweiten. Die Natur kehrt zurück in die Städte, deren Mitte - einst kaum zugängliche Industrieareale - sich in öffentliche Parks verwandeln.

Nicht die Rückkehr zur Naturlandschaft vor Beginn der Industrialisierung und nicht das Idealbild einer klassischen Parklandschaft hatten die IBA-Planer im Sinn, sondern die Kultivierung einer «Industrie-Folgelandschaft». Die baulichen Relikte der Industrialisierung spielen dabei eine grosse Rolle: Fördertürme und Hochöfen dienen als Landmarken, ehemalige Werkshallen und Verwaltungsgebäude wurden, meist mit geringem Aufwand, für neue Nutzungen hergerichtet. So dient die ehemalige Kraftzentrale des Hüttenwerks Meiderich in Duisburg seit 1997 als Multifunktionshalle, die auch höchsten akustischen Ansprüchen von Orchestern standhält.


Vom Hüttenwerk zum Landschaftspark

Das 1985 geschlossene Hüttenwerk Meiderich ist heute das Herzstück des rund 200 Hektar grossen Landschaftsparks Duisburg-Nord. Er wurde von dem Kranzberger Landschaftsplanern Latz und Partner unter weitgehendem Erhalt der industriellen Spuren gestaltet. Industriemuseum, Veranstaltungshalle, Volkspark, Abenteuerspielplatz und Spontanvegetation gehen eine Symbiose ein. Die ehemaligen Hochöfen des Hüttenwerks dienen als begehbare Skulptur, die an den Wochenenden nach einem Konzept von Jonathan Park, London, in farbiges Licht getaucht wird.

Eine ähnliche Metamorphose wie das Hüttenwerk Meiderich machte auch die 1986 stillgelegte Zeche Zollverein Schacht XII in Essen durch. Die Essener Architekten Heinrich Böll und Hans Krabel liessen das 1930 von Fritz Schupp und Martin Kremmer errichtete zwölfteilige Bauensemble restaurieren und für neue Nutzungen herrichten. Vor allem Künstler, etwa der Bildhauer Ulrich Rückriem, wissen die enormen Hallen kreativ zu nutzen. In das ehemalige Kesselhaus, das Norman Foster umbaute, zog 1997 das Design-Zentrum NRW ein. Inzwischen regt sich auf dem gesamten Areal neues Leben; entlang des Ende 1998 eröffneten Denkmalpfads lässt sich gut erkennen, dass sich die Natur mittlerweile grosse Teile der Zeche zurückerobert hat.


Kreislaufwirtschaft für Gebäude

Ein drittes IBA-Projekt ragt aus dem umfangreichen Bauprogramm besonders heraus - im wörtlichen Sinn: Der ehemalige Gasometer in Oberhausen, 1928/29 mit über 100 Metern der grösste Scheibengasometer der Welt, dient seit 1994 als aussergewöhnlicher Ausstellungsraum, der andernorts undenkbare Inszenierungen ermöglicht. Bis zum 3. Oktober ist dort Christos Installation «The wall» zu sehen, eine 26 Meter hohe Wand aus 13 000 farbigen Ölfässern. Weithin sichtbar wirbt der Gasometer für das IBA- Konzept, mit minimalen finanziellen und baulichen Mitteln ein Maximum an Effekt zu erzielen. Demonstrativ kehrt er damit das Prinzip des nur wenige hundert Meter entfernten «CentrO» um, der künstlichen «Neuen Mitte Oberhausens» und des grössten Einkaufszentrums Europas.

Der vielgelobte IBA-Direktor Karl Ganser wies zum Auftakt des IBA-Abschlussjahres Ende April in Duisburg darauf hin, dass sowohl das Hüttenwerk Meiderich als auch die Essener Zeche und der Gasometer ursprünglich hätten abgerissen werden sollen. Die IBA habe schnell handeln müssen und schliesslich den Beweis erbracht, dass sich für jeden alten Industriebau ein neuer Nutzen finden lasse - meist zu geringeren Kosten als für einen Neubau. Ganser warb auf der gleichen Veranstaltung für eine Kreislaufwirtschaft nicht nur bei ökologischen Systemen, sondern auch bei Gebäuden und im Flächenmanagement. So sei für keines der IBA-Projekte neues Bauland ausgewiesen, sondern grundsätzlich auf vorhandene, ehemals industriell genutzte Flächen zurückgegriffen worden.

So wird zum Beispiel der Innenhafen Duisburg seit 1992 nach einem Masterplan von Norman Foster zu einem Wohn- und Büroquartier mit Freizeiteinrichtungen umgestaltet. Hinter den umgenutzten Industriebauten entsteht ein neues Wohnareal, und demnächst wird ein von Dani Karavan gestalteter «Park der Erinnerungen» eröffnet, in den Gebäudefragmente ehemaliger Lagerhallen («künstliche Ruinen») einbezogen sind. Bereits eingeweiht wurde die von Zvi Hecker entworfene Synagoge und das Grothe- Museum in der ehemaligen Küppersmühle von Herzog & de Meuron.

Die Vielfalt, die sich im neuen Duisburger Innenhafen findet, steht symptomatisch für die Projekte der IBA Emscher Park. Eine Vielfalt, die auch das Programm «Finale IBA 99» prägt. Mit vier Ausstellungen, darunter der zentralen im Landschaftspark Duisburg-Meiderich, die bis zum 3. Oktober einen Überblick über die 120 Projekte gibt, und mit zahlreichen dezentralen Veranstaltungen feiert die grösste und ungewöhnlichste Bauausstellung aller Zeiten noch einmal ein rauschendes Fest. Sie hat Massstäbe gesetzt für einen neuen Typus von Bauausstellungen, für den Nachhaltigkeit und Innovation kein Gegensatzpaar bilden.

Oliver G. Hamm

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 1999.07.02

18. Mai 1999Oliver G. Hamm
Neue Zürcher Zeitung

Heimspiel des Architekten

Im vergangenen Jahr stellte der Kölner Architekt Oswald Mathias Ungers sein Werk in der Basilica Palladiana in Vicenza aus. Nun wird diese Schau, erweitert...

Im vergangenen Jahr stellte der Kölner Architekt Oswald Mathias Ungers sein Werk in der Basilica Palladiana in Vicenza aus. Nun wird diese Schau, erweitert...

Im vergangenen Jahr stellte der Kölner Architekt Oswald Mathias Ungers sein Werk in der Basilica Palladiana in Vicenza aus. Nun wird diese Schau, erweitert um Kunstwerke aus seiner eigenen Sammlung, im NRW-Forum am Ehrenhof in Düsseldorf gezeigt. Unter dem Titel «O. M. Ungers - Zwischenräume» präsentiert sie Photos, Modelle und Zeichnungen von fast 50 Bauten und Projekten sowie 80 Kunstwerke. Im Dezember schliesslich soll die Ausstellung, weiter angereichert um Ungers' Besitz an alter Kunst, Korkmodellen und Gipsabgüssen sowie um einen Teil seiner wertvollen Architekturbibliothek, in der Kölner Kunsthalle zu sehen sein. Die Zwischenstation in Düsseldorf steht im Zusammenhang mit dem von Ungers im Auftrag der Kulturstiftung Ehrenhof entworfenen «Kunstpalast». Das Modell des halbkreisförmigen Neubaus (geplante Eröffnung: September 2001) wird in der Eingangshalle präsentiert. Ungers, dessen Architektur auf einfachen geometrischen Formen - vor allem dem Quadrat - basiert, bevorzugt privat-abstrakte Kunst. Zu den fast vierzig Künstlern, von denen er Werke besitzt und mit denen er teilweise schon zusammengearbeitet hat, gehören Gerhard Richter, Mario Merz, Günther Förg, Ulrich Rückriem und Donald Judd.

Neue Zürcher Zeitung, Di., 1999.05.18

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