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10. Juni 2025Martina Pfeifer Steiner
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Virtuelle Exkursion zu den neuen Bauten in Amsterdam

Amsterdam ist eine Reise wert – nicht nur wegen der Altstadt-Idylle mit Grachten und ihrer Häuserzeilen, es ist auch die bevölkerungsreichste Stadt der...

Amsterdam ist eine Reise wert – nicht nur wegen der Altstadt-Idylle mit Grachten und ihrer Häuserzeilen, es ist auch die bevölkerungsreichste Stadt der...

Amsterdam ist eine Reise wert – nicht nur wegen der Altstadt-Idylle mit Grachten und ihrer Häuserzeilen, es ist auch die bevölkerungsreichste Stadt der Niederlande und hat diese Herausforderungen in beachtenswerter Weise angenommen. Transformation und Umwidmung sind seit jeher ein großes Thema, gleichzeitig wurden durch gezielte Stadtentwicklung stets neue Wohnviertel erschlossen. Dies zu erkunden, ermöglicht in höchst spannender und kompakter Weise das Buch von Anneke Bokern und Sandra Hofmeister: Amsterdam – Urbane Architektur und Lebensräume.

Die beiden Herausgeberinnen nehmen Interessierte mit auf eine architektonische Tour zu dreißig zeitgenössischen Bauwerken mit Leuchtturmcharakter. Übersichtlich verortet auf Karten, gegliedert in fünf Kapitel – Wohnen, Mixed Use, Bildung und Kultur, Transformation, Öffentliche Räume – und bildreich sowie lesefreundlich (Projektbeschreibungen konzentriert bzw. inhaltsschwer nur eine Seite lang) vermittelt, fühlt man sich als Teilnehmerin einer Architektur-Exkursion, nur viel komfortabler und unangestrengt. Gerade bei (großen) Wohnbauten ist es kaum möglich vor Ort das Gesamtkonzept und vor allem die Grundrisse zu erfassen. Diese Publikation bietet jedoch genau das: Grundrisse mit detaillierten Funktionen, Schnitte, Außenansichten im Kontext und Innenräume, die auch bei einer bestens organisierten Führung nicht betretbar sind.

Reizvolle Überschriften machen neugierig, die erzählten Geschichten zufrieden. „Klar Schiff“ verweist auf das Projekt „Schoonschip“ und eine Flotte aus 46 schwimmenden Häusern auf einem Kanal im Norden Amsterdams. An ein „Haifischmaul“ erinnert der Wohnbau von Barcode Architekten und BIG auf einer der sieben künstlichen Inseln, die den Archipelstadtteil IJburg bilden. „Im Bauch des Wals“ assoziieren Erschließung und Form eines gemischt genutzten Bauwerks auf Haveneiland. „Harte Schale, weicher Kern“ ist der Titel für das „Valley“ von MVRDV mit 198 Wohnungen, Gewerbe und Kultur. „Ins Schwarze getroffen“: Der Booking Campus (booking.com) wird wohl der letzte Neubau diesen Ausmaßes in der Amsterdamer Innenstadt sein. Bei „Freundlicher Riese“ wird die spannende Geschichte erzählt, was aus dem letzten Teil (das 400 Meter lange Kleiburg) der Siedlung Bijlmermeer aus 1968 nach minimaler Sanierung und der anschließenden Verwertung als Heimwerkerwohnungen entstand. „Die Stadt als Hotel“ machen Space&Matter aus übrig gebliebenen, unter Denkmalschutz stehenden Bahnwärterhäuschen …

Eingestreut und passend zu den Kapiteln thematisieren gut geschriebene Essays und Interviews neue Wohnformen, adaptive Architekturkonzepte, die Wiederentdeckung der ehemaligen Hafen- und Gewerbegebiete am Ufer des IJ, den Übertourismus und die Fahrradhauptstadt Amsterdam. Die Beiträge vervollständigen das Bild einer lebhaften, in die Zukunft gerichteten Baukultur und einer jungen Architekturszene mit unkonventionellen, pragmatischen, einfallsreichen Ansätzen. Dieses Buch wird erst aus der Hand gelegt, wenn man überall gewesen ist … freilich nur virtuell und ohne sich vom Sofa erheben zu müssen.

newroom, Di., 2025.06.10



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Amsterdam

08. April 2025Martina Pfeifer Steiner
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H wie Holz

Dieses Buch ist anders. Schönheit und Qualitäten der Materie werden auf unerwartete Weise ins Bild gesetzt. Es geht um Holz. Was Marina Hämmerle und Florian...

Dieses Buch ist anders. Schönheit und Qualitäten der Materie werden auf unerwartete Weise ins Bild gesetzt. Es geht um Holz. Was Marina Hämmerle und Florian...

Dieses Buch ist anders. Schönheit und Qualitäten der Materie werden auf unerwartete Weise ins Bild gesetzt. Es geht um Holz. Was Marina Hämmerle und Florian Aicher mit diesem wertigen Kompendium gelungen ist, bringt die Essenz, die Seele des Holzbaus zum Vorschein, zum Klingen – und zwar jenseits einer Architekturschau, weder die Protagonist:innen im Fokus, noch auf eine Region begrenzt. Beauftragt und ermöglicht wurde das Buchprojekt durch die Holzbau-Offensive Baden-Württemberg, die mit gezielten Förderprogrammen die Umsetzung qualitativ hochwertiger, zeitgenössischer Architektur in Holz beflügelt.

Querformat, lebhaftes Leinen, haptisch und elastisch das Buchcover, pures Material – beim Aufschlagen folgen auf die ersten Seiten des ausnehmend feinsinnigen, atmosphärischen Fotoessays nicht etwa Titel und Vorworte, sondern „ein unverschämt subjektiver Spaziergang entlang der Lebensthemen Gehen, Wohnen, Lieben, Schreiben, Musizieren“ der Architektin und Romanautorin Zora del Buono. Sie nimmt die Lesenden mit auf eine poetische Spurensuche nach den sinnlichen Qualitäten von Holz: mit Staunen über die kleinen Samen des Mammutbaums des Sequoia Nationalparks; zur Hütte unter einer riesigen Eiche; in den Souvenirshop auf dem abgeholzten Färöer Archipel im Nordatlantik; bis zu Gramscis Bleistift – „Bleistifte können Geschichte schreiben. Auch wenn sie nicht mehr vorhanden sind“ – und Haydns Flügel: „So möchte man als Baum enden, wenn man denn schon enden muss“.

Ineinander schwingen

Text und Bild sollten sich die Waage halten. Die insgesamt sechs Essays der Fotografin Petra Steiner rücken die besondere Qualität des Holzes und seiner technischen Möglichkeiten mit einer eigens angelegten, durchgängigen Fotosprache in den Fokus. „Es ist ein Herantasten an eine Materie, an einen Stoff, der etwas mit uns macht. Der Stoff sickert in unsere Wahrnehmung ein, den Erinnerungen auf den Fersen, ihnen vorauslaufend. Er bekommt Form, ist Volumen, hat Oberfläche, ist Struktur, Textur. In ihm sind Natur und Kultur eins“, schreibt Marina Hämmerle in ihrer Betrachtung zur Fotografie von Petra Steiner.

Diese Fotografien erzählen eine eigene Geschichte, sie stehen für sich. Keine Ablenkung durch Bildunterschriften, unwichtig wer geplant hat, wo der Ort ist, anstelle dessen, sich einlassen auf das Sehen, auf die Stimmung. Die Fotoauswahl und Bildkomposition der Doppelseiten erfolgte in Co-Creation von Fotografin, Herausgeber:in und Grafiker über Tage in Rotis und unzähligen Stunden im digitalen Raum: „Hand, Herz und Hirn gruppieren, verknüpfen Motive, suchen gemeinsam nach Verbündeten für ausgewählte Schlüsselbilder. Unter den Hunderten Fotografien tun sich etliche hervor und signalisieren: Wir sind verwandt, wir schwingen im gleichen Ton. Die losen Enden zwischen den Fotografien spinnen sich zu mehreren Fäden. Die weben sich durch die 144 bebilderten Seiten, Kette und Schuss.“ Da wird also nicht in Projekten gedacht, sondern in Verwandtschaften. Vielfach treten historische und zeitgenössische Architektur in Dialog oder sind es Natur, Farbe, Licht, Form, die gekonnt durchchoreografiert wurden.

Auch die Dramaturgie im Gesamten ist ein Schwingen in großen Linien – von einem Themenblock in den nächsten, fließend verbunden über die Bildessays. Namhafte Autor:innen und fachlich versierte Gesprächspartner:innen eröffnen die vielschichtigen Zugänge zur Materie Holz. Klare Anhaltspunkte geben dabei jeweils Begriffspaare, die anzeigen, worauf man sich einlassen darf: beispielsweise auf den „verwurzelten Baustoff“ unter Theorie und Bedeutung; Gestalt und Ornament in „Holzbau jenseits des Nützlichen“; die Schönheit des Alltäglichen; Bauwirtschaft und Klima „Auf zu einer neuen Bauphilosophie“; Forst und Forschung; das Spektrum der Holzbautechnologie; aber auch auf die Möglichkeiten des hybriden Bauens mit Lehm, Stroh und Kalk; den Wissenstransfer in Architektur und Handwerk, bis hin zu Wohnungsbau und Urbanität.

Komposition

Zu guter Letzt lüftet sich doch noch alles Wissenswerte zu den Abbildungen: Im Anhang ermöglichen fortlaufende Miniaturen der sechs Fotoessays Überblick und Identifizierung, sind Angaben zu Motiv, Standort sowie, im Fall von Bauten, Baujahr und Architekt zu finden, desgleichen sind auf einer Doppelseite die interessanten Biografien aller Beitragenden alphabetisch gelistet. Womit wir bei der Grafik wären: Da gibt es nichts Modisches, keine Experimente mit Zeilenabstand und springenden Schriftgrößen oder Überschriften, die am Blattrand kleben … Stefan Gassner ist bekannt für ausgezeichnete, elegant durchkomponierte Buchgestaltungen. Man hält ein schön gemachtes Werk in Händen: Leinengebunden, mit rundem Buchrücken, je nachdem ob Bild- oder Textstrecke ist die Grammatur des Papiers zwar gleich, doch Qualität und Tönung unterschiedlich.

Ein weiterer Blick auf die Typografie zeigt: frisches Grün akzentuiert Titel und Überschriften, Fußnoten und Bildunterschriften, verhilft als Schmuckfarbe zu lässiger Beiläufigkeit. Die große Kunst, gehaltvolle Texte leicht und gut lesbar zu vermitteln, wird hier offensichtlich beherrscht, die Spannung gehalten, gekonnt die Textblöcke variiert, im kurzweiligen Rhythmus. Ein besonderes Lesevergnügen.

Schlussendlich sei noch aus dem Vorwort von Florian Aicher zitiert: „Es bedarf einer Holzkultur, um die physischen Potenziale des Stoffs zu heben. Die gelingt, weil Holz Menschen anspricht. Holz kann viel mehr, aber nicht alles; Holz ist reichlich da, aber nicht unbegrenzt. Gerade den Dingen aus Holz ist zu wünschen, dass sie „von der Fron frei sind, nützlich zu sein“ (Walter Benjamin) – weil sie uns weit mehr von der Welt zeigen können. Davon handelt dieses Buch.“

newroom, Di., 2025.04.08



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H wie Holz

14. Januar 2025Martina Pfeifer Steiner
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Fünfundzwanzig Mal Herzog & de Meuron

Gewichtig und wesentlich präsentiert das Buch fünfundzwanzig Werke der Pritzker-Preisträger Herzog & de Meuron. Kunsthistoriker Stanislaus von Moos und...

Gewichtig und wesentlich präsentiert das Buch fünfundzwanzig Werke der Pritzker-Preisträger Herzog & de Meuron. Kunsthistoriker Stanislaus von Moos und...

Gewichtig und wesentlich präsentiert das Buch fünfundzwanzig Werke der Pritzker-Preisträger Herzog & de Meuron. Kunsthistoriker Stanislaus von Moos und Architekt Arthur Rüegg haben aus dem annähernd sechshundert Bauten und Projekte umfassenden Gesamtwerk der Schweizer Architekten in über 35 Ländern selektiert: „Die Absicht war, anhand einer Auswahl von Werken die signifikantesten entwurfstheoretischen Leitlinien herauszuarbeiten und zugleich dem künstlerischen Anspruch oder dem, was wir darunter zu verstehen meinten, mit einer gezielten Selektion des umfangreichen Bildmaterials gerecht zu werden.“

An sich wäre die über vierzig Jahre kontinuierlich nachgeführte Projektdokumentation – insbesondere mit der bislang sechsbändigen Monografie – komplett, doch die zwei Autoren reizte „so etwas wie eine kritisch wertende Zwischenbilanz des bisherigen Œuvres“. Für ihre zwei ausführlichen Essays über die Entwurfsmethode der Architekten dienten die mannigfachen, weitverstreuten veröffentlichten Texte und Interviews der Architekten, und von einer erneuten Befragung von Jaques Herzog und Pierre de Meuron wurde abgesehen. Umso wertvoller und wichtiger war der uneingeschränkte Archiv-Zugang mit dem riesigen Fundus an Plänen, Bildern, Texten, Modellen, Skizzen, Skizzenbüchern, Zeichnungen und Schemata, der inzwischen in eine gemeinnützige Stiftung eingebracht wurde und in einem eigenen Gebäude auf dem Basler Dreispitz-Areal großzügige Räumlichkeiten gefunden hat.

Eine Besonderheit sind zwei separate, auf schwarzem Papier gedruckte Bildteile, die noch nie zugänglich waren: Als Opener, Einblicke in das Fotoarchiv von Pierre de Meuron, die zum Teil mit eventuellen Bauplätzen zu tun haben, aber auch bekannte und weniger bekannte Architekturdenkmäler, Kathedralgewölbe oder Erkundungen auf Reisen zeigen; und als Finale die Postkartensammlung von Jacques Herzog.

Die fünfundzwanzig ausgewählten Bauten aus allen Schaffensperioden sollen die zentralen Aspekte des Gesamtwerks dieser bedeutenden Architekten abdecken und werden in sorgfältig orchestrieten Bildstrecken bekannter Architekturfotografinnen und Fotografen, mit aufschlussreichen Texten von abwechselnd einem der Autoren, technischen Daten, Plänen und Literaturhinweisen vermittelt. Erwartbar, dass bei dieser persönlichen Auswahl die Elbphilharmonie, das VitraHaus, das Vitra Schaudepot und das Ricola Lagerhaus nicht fehlen kann. Ein Ausschnitt Wolfgang Tillmans Fotografie in der Erweiterung der Tate Modern gibt das Titelbild am Schutzumschlag des leinengebundenen prächtigen Bands. Bleibt noch über die Haptik und das Spiel von Papierqualitäten zu berichten: Auch die hundert Seiten mit den Essays und der Anhang sind – wie die Inlays mit den privaten Fotoarchiven von Herzog und de Meuron auf schwarz – etwas rauer und im Ton weißer als im Hauptteil mit den Projekten, wo vor allem die Bilder brillant zur Geltung kommen. Da wurden offensichtlich in die Buchgestaltung ebenso viel Sorgfalt und feinsinnige Gedanken eingebracht.

newroom, Di., 2025.01.14



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Twentyfive x Herzog & de Meuron

02. Dezember 2024Martina Pfeifer Steiner
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Portrait einer regionalen Baukultur

Diese Publikation war längst überfällig, denn Otto Kapfingers „Baukunst in Vorarlberg seit 1980“ ist vor 25 Jahren herausgekommen! Doch wie haben sich...

Diese Publikation war längst überfällig, denn Otto Kapfingers „Baukunst in Vorarlberg seit 1980“ ist vor 25 Jahren herausgekommen! Doch wie haben sich...

Diese Publikation war längst überfällig, denn Otto Kapfingers „Baukunst in Vorarlberg seit 1980“ ist vor 25 Jahren herausgekommen! Doch wie haben sich Baukultur und Architekturlandschaft seither entwickelt? Die vai-Direktorin Verena Konrad wusste über ihre verantwortungsvolle Aufgabe und suchte sich als Co-Herausgeberin die Architekturpublizistin und Chefredakteurin vom Detail Verlag, Sandra Hofmeister.

Ein langer Zeitraum, den dieses Buch abdecken sollte. Es galt, aus der umfangreichen Objektrecherche fünfzig Projekte herauszufiltern, die im Hinblick auf Typologie und Bauweise, auf Schwerpunkte oder Spezialisierungen interessant sind, gemessen auch an Exkursionsnachfragen, der internationalen Rezeption oder einfach an den Klicks im Netz bei Detail. Die Qual der Wahl – denn es gibt in Vorarlberg unzählige qualitätsvolle Bauten, die in dieses Buch passen würden. „Schließlich hat ihre regionale und überregionale Bedeutung für aktuelle Diskurse den Ausschlag für unsere Auswahl gegeben: ihr ökologisches Profil, ihr kultureller Anspruch, ihr Beitrag zu technologischer und prozessualer Innovation und zu gesellschaftlichen Themen“, erklären die Herausgeberinnen in ihrer Einführung, die auch für das Verständnis von Landschaft, Ressourcen und Baukunst wohltuend ausholt und den geschichtlichen Vorspann beisteuert.

Die vier Kapitel werden nicht durch trockene Regionen-Bezeichnungen definiert, sondern lassen Landschaftsbilder mit Tälern, Bergen, Wäldern und Seen mit den entsprechenden Emotionen entstehen: Im Rheintal, Berge und Täler, Im Bregenzerwald, Am Bodensee. Ebenso gelungen ist die Dramaturgie der Bauwerke und deren Illustration – eine gekonnte Choreografie von hochkarätiger Architekturfotografie, die auf vorhandene Projektdokumentationen zurückgreift.

Einladend zum Lesen

Sehr schön gemacht und lesefreundlich mit kompakten Bauwerksbeschreibungen, die aus dem reichen vai-Archiv (monatliche Führungen „Architektur vor Ort“, Architekturdatenbank „nextroom“) stammen und redaktionell bearbeitet wurden, schürt schon die erste Doppelseite der einzelnen Gebäude Erwartungen, die im Folgenden gänzlich erfüllt werden. Bauwerksbezeichnung, Baujahr, Architekt:innen geben Orientierung, die wichtigsten Beteiligten – allen voran die Bauherrschaft, weiters Statik, gegebenenfalls Bauphysik, Licht-, Haus-, Geotechnik, Landschaftsplanung, Farbkonzept, mitunter Bauleitung – eine Ahnung über das Zusammenspiel der Akteur:innen und das notwendige, interdisziplinäre Fachwissen.

Räumliche Verortung in den Kapiteln ist eine gute Strategie für Abwechslung und Kurzweiligkeit bei den vielfältigen Bauaufgaben. Dass die Kommunen eine wesentliche Rolle als aktive qualitätsfördernde öffentliche Auftraggeberinnen spielen, gibt die Anzahl der dokumentierten Objekte im Buch wieder. Durch ihre Initiative konnten Schulen und Kindergärten, Gemeindesäle und Musikschulen mit Pioniercharakter entstehen. Beteiligt waren Kommunen überdies bei aufsehenerregenden Brückenbauten und dem Islamischen Friedhof. Außergewöhnlich sind aber auch die vielen herausragenden Einzelinitiativen von gewerblichen und privaten Bauherr:innen, die in technologischer, gestalterischer und funktionaler Hinsicht wegweisend sind.

Das einzige Einfamilienhaus ist eine Nachverdichtung auf einem Privatgrundstück. Zum Bauen im und mit Bestand findet man im Buch ebenfalls faszinierende Projekte. Eines davon sei hier hervorgehoben, weil auf den Einblick in die Sanierung des „Stadt-Stadls“ in Dornbirn ein Interview mit der Architektin Julia Kick folgt, die ihr eigenes Wohn- und Atelierhaus in das frühere Wirtschaftsgebäude implementiert hat. „Jenseits der Normen“ ist dieses übertitelt und wie zwei weitere Interviews eingewoben in die rhythmische Abfolge von Bauten: Folgend auf das zu seiner Zeit in Mitteleuropa größte Bürogebäude in modularer Holzbautechnik im Montafon, kommen sechs Protagonisten der Holzbaudynastie im Bregenzerwald zu Wort, die alle den Nachnamen Kaufmann tragen. Sie teilen die Leidenschaft für das Bauen mit Holz und die Überzeugung, dass es für die ökologische Transformation im Bauen sowohl die Architektur, das Handwerk als auch ein starkes Unternehmertum braucht. Auf die spektakuläre Erden Werkhalle in Schlins folgt ein aufschlussreiches Interview mit dem Lehmbaupionier Martin Rauch und der international renommierten Protagonistin des zirkulären Bauens, Anna Heringer.

Eingesprenkelt sind noch vier Essays, welche die Hintergründe der Vorarlberger Baukultur beleuchten und aktuelle Schwerpunkte hervorheben, wie Aspekte des ökologischen Bauens, der regionalen Handwerkskultur sowie der Gemeinschaftsbauten und der Urbanisierung in der Vierländerregion. Auch bei diesen Textteilen gelingt durch grafische Auflockerung und interessanter Bebilderung (komfortabel mit Bildunterschriften) wieder das Kunststück, dass die Spannung gehalten wird und die Lesenden unangestrengt ihrer geweckten Neugierde folgen können. Das ist (weihnachtliche) Freude bereitende Baukulturvermittlung.

[ Der Text erschien in KULTUR - Zeitschrift für Kultur und Gesellschaft, Dez 24/Jan 25, http://www.kulturzeitschrift.at ]

newroom, Mo., 2024.12.02



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Architektur in Vorarlberg

24. November 2024Martina Pfeifer Steiner
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Auf den Spuren von Eileen Gray in Roquebrune Cap Martin

Große Aufmerksamkeit erlangt Eileen Grays Villa am Meeresufer aktuell wieder mit dem Kinofilm. Auf Kultur Online in der Kolumne PS: Architektur erschienen, hier noch einmal die ausführlich recherchierte Geschichte zur Villa E 1027.

Große Aufmerksamkeit erlangt Eileen Grays Villa am Meeresufer aktuell wieder mit dem Kinofilm. Auf Kultur Online in der Kolumne PS: Architektur erschienen, hier noch einmal die ausführlich recherchierte Geschichte zur Villa E 1027.

Vielleicht hatte sich Eileen Gray 1926 tatsächlich direkt in meiner Nachbarschaft – dort, wo ich mein beschauliches Apartment unter der Burg für zwei Wochen fand – eingemietet, als sie ihr „Haus am Meeresufer“ Realität werden ließ: die Villa E 1027, eine Ikone der Moderne. 1929 war das Werk der in Paris sehr erfolgreichen irischen Designerin vollendet und blieb ein Geschenk an den rumänischen Architekten Jean Badovici.

Inspiriert von Le Corbusiers fünf Elementen seiner neuen Architektur – Beton- oder Stahlpfeiler übernehmen die statische Funktion der Mauer, Dachterrasse bzw. Flachdach, lange Fensterbänder, freie Grundriss- sowie Fassadengestaltung – studierte sie die Pläne der für seine Eltern erbauten Villa Le Lac (siehe kultur online) sehr genau. Dennoch äußerte sie sich kritisch und selbstbewusst: „Ein Haus ist keine Maschine, es ist das Gehäuse, die Schale des Menschen, seine Erweiterung, seine Befreiung, seine spirituelle Ausstrahlung.“

E 1027 (eine codierte Liebeserklärung als Akronym der beiden Namen) ankert gleich einem Luxusliner im terrassierten Gelände (der Hein mit Zitronenbäumen war Bestand), nahe dem Wasser; das Hauptgeschoß (90 m²) teilweise auf Piloten gesetzt sowie auf den Gäste- und Dienstmädchenbereich (30 m²). Eine wohlgeformte Wendeltreppe sticht durch bis auf das Dach und findet mit einem Glaszylinder den Abschluss. Luft und Licht könnten hier strömen, doch nur wenn die vielen Türen, die diese Skulptur hermetisch abriegeln, offenstehen. Verspielt im Großen und bis ins kleinste Detail: die Reling entlang des Balkons aus Stahlrohren, bespannt mit blauem Segeltuch, wie auch die Markisen; weiße Stahltreppe auf das untere Deck, sprich Garten und Solarium (eine verflieste in den Rasen eingelassene Liegefläche); der Rettungsring und ein Dekorsegelmast … schon etwas zu viel der Zitate.

„Entrez lentement” steht auf der Wand, und der langsam Eintretende an dieser an. Zur Linken leitet die gerundete Fläche, auf der ein Postkästchen aus Leder angebracht ist, in die spartanisch eingerichtete, außenliegende Küche. Im überdeckten Nischenbereich gehen drei Türen weg: eine ins WC, eine zur Wendeltreppe, eine zum Bad des Master-Bedroom (oder Madames?). Auf der anderen Seite ist die Eingangstüre. Wieder steht man an, doch diffiziler: Ein Spiel mit gerundeten Wandscheiben, etwas versetzt, auch in der Höhe und farblich, ein Spalt, „Defense de rire” (Lachen verboten) steht unter der Lampe auf der Stirnseite, „Chapeaux“ bei der Hutablage, vertikale Spiegelstreifen verwirren. Und erst dann wird der Blick frei gegeben, in die lichte Großzügigkeit des Raumes.

Ein Manifest der Dinge. Eileen Gray hat jedem kleinsten Detail größte Aufmerksamkeit gewidmet. Sie entwarf elegante, funktionelle, äußerst raffinierte Möbel, Lampen, bis hin zu transparenten Lichtschaltern und Steckdosen, die Kabelführung über dem Fensterband als grafische Dekoration. Von den Polstersesseln wie „Bibendum“ oder „Nonconformist“, mit einseitiger Armlehne, dem Occasioal Table und dem höhenverstellbaren Glasbeistelltisch E 1027, den Teppichen … gar nicht anzufangen, wir bleiben bei der Architektur.

Über die gesamte Länge des Balkons falten sich metallgerahmte Glaslamellen, der hinausfließende Blick auf das Meer ist jedoch unten wie oben – zwar verschiebbar, je nach Sonneneinstrahlung – mit den blauen Stoffbahnen eingeschränkt. Diese neuentwickelten Fensterdetails dürfte wohl Badovici beigetragen haben, wie auch die konstruktive und bautechnische Ausführungsplanung. Dass der Entwurf ganzheitlich Eileen Gray zuzuschreiben ist, hat die heutige Forschung eindeutig klargestellt. Die räumliche Sequenz ist unkonventionell: einzig fixiertes Möbel ist eine große Liegefläche (Bett) in der hintersten Ecke; dort wieder eine gerundete Paravent-Wand in Türstockhöhe, dahinter verbirgt sich ein offenes Dusch-Badezimmer; gegenüber noch eine Schlafnische mit Divan; eine Schiebetüre führt ins Freie und die Stahltreppe hinunter in den Garten. Eingangsseitig befindet sich der Essplatz, dann geht es über eine sehr verspielte Barnische ins Schlafzimmer mit Arbeitsbereich, unendlich vielen Details bei Waschbecken und Ankleide, weiter in das Bad. Genauere Schilderungen würden sich lohnen, sprengen jedoch hier den Rahmen.

1932 trennten sich Eileen Gray und Jean Badovici, sie hat die Villa nie wieder betreten. Schon ein paar Jahre zuvor kaufte sie auf den Hügeln um Menton, in Castellar (also unmittelbare Nachbarschaft), ein Grundstück und baute für sich ihr zweites Haus: „Tempe a Pailla“. Nun kommt Le Corbusier ins Spiel: Badovici verehrte den großen Architekten ungemein, veröffentlichte eifrig Artikel über ihn in seiner Zeitschrift „L´Architecture Vivante“ und Le Corbusier war gerngesehener Gast in „seiner“ Villa E 1027. Auch wenn Le Corbusier immer postulierte, dass Wandmalereien in Wohnhäusern nichts zu suchen hätten, reizte ihn Grays Architektur offensichtlich: „Ich brenne darauf, die Wände schmutzig zu machen: Zehn Kompositionen sind fertig, genug, um alles zu beschmieren.“ Vier sind erhalten geblieben und restauriert: ein Nischenfüllendes beim Eingang, eines gegenüber dem Essplatz, das Wandbild im Gästezimmer. Das erste und grob störende an der Paravent-Wand beim Bett im Hauptraum wurde mit einer weißen Platte verdeckt – gut so!

Und doch sind es die unter Denkmalschutz gestellten Gemälde Le Corbusiers, die den Abbruch der Villa verhinderten. Nach dem frühen Tod Badovicis (1893–1956, Gray überlebte ihn um 20 Jahre, obwohl sie 15 Jahre älter war, 1878–1976) wurde die Villa von Marie-Louise Schelbert (eine in Zürich lebende, Le Corbusier bewundernde, reiche Amerikanerin) gekauft. Sie vermachte E 1027 ihrem Arzt, und bis die Erbstreitigkeiten mit ihren Nachkommen ausgefochten waren, verblieb das Haus in desolatem Zustand. Peter Kaegi hatte kein Geld (das Casino in Monte Carlo war auch verführerisch), er verkaufte sämtliche Möbel und wurde schlussendlich in der Villa ermordet! 1974 kam „die weiße Villa“ auf die Liste der Historischen Denkmäler und wurde in zwei Phasen bis 2017 aufwändigst renoviert. Heute ist sie am Cap Moderne mit Le Corbusiers „Le Cabanon“ und den „Unités de Camping“ zu besichtigen. Fortsetzung folgt.

[ Der Text erschien in der Kolumne von Martina Pfeifer Steiner auf kultur-online, 3. Oktober 2024, https://kultur-online.net/ps-architektur ]

newroom, So., 2024.11.24

24. November 2024Martina Pfeifer Steiner
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Roquebrune Cap Martin – auf den Spuren von Le Corbusier

An der Cote d´Azur fand Le Corbusier einen Ort „zum Sterben schön“ und errichtete eine Hütte nach den Prinzipien seines Modulors: Le Cabanon. Doch das...

An der Cote d´Azur fand Le Corbusier einen Ort „zum Sterben schön“ und errichtete eine Hütte nach den Prinzipien seines Modulors: Le Cabanon. Doch das...

An der Cote d´Azur fand Le Corbusier einen Ort „zum Sterben schön“ und errichtete eine Hütte nach den Prinzipien seines Modulors: Le Cabanon. Doch das Orakel erfüllte sich, er fand eben dort, im August 1965, den Tod durch Ertrinken nach einem Herzversagen. Der Cimetière du Roquebrune Cap Martin war also mein erstes Ziel. Hier ruht er in Frieden, mit einer unsagbar schönen Aussicht übers Meer und auf Monaco, wo seine Frau aufwuchs. Für sie hat er die Ferienhütte gebaut, für sie hat er aber auch das Grabmal gestaltet.

Die Villa E 1027, von Eileen Gray geplant und Jean Badovici überlassen, interessierte Le Corbusier immer schon, und er war nur zu erfreut, als Badovici ihn 1938 einlud die Wände zu bemalen (siehe PS: Architektur). Eileen Gray erfuhr davon erst, als der Architekt diese Wandmalereien publizierte – und war entsetzt. Das veranlasste Badovici wiederum, sein schlechtes Gewissen erleichtern und diese entfernen lassen zu wollen, was jedoch nie geschah. Am 1.1.1950 schrieb Le Corbusier einen Brief: „Mein lieber Bado. … Wenn ich Sie richtig verstehe, werden Sie meine Malereien entfernen, um Ihrem Haus „den tieferen Sinn einer Geisteshaltung“ zurückzugeben, „die jede Malerei ausdrücklich verbietet“. Ich bitte Sie ebenso ausdrücklich, meine Malereien fotografieren zu lassen, bevor Sie sie auslöschen. Vielleicht entgeht mir ja der tiefere Sinn Ihres Denkens, denn obwohl Sie seit 30 Jahren in Paris leben, gelingt es Ihnen immer noch nicht, anderen verständlich zu machen, was Sie schreiben. …“ Das war dann auch das Ende der Freundschaft.

Dabei fragte Le Corbusier noch im Sommer davor an, ob er die Villa einen Monat lang nützen könne, um an einem Projekt zu arbeiten. Dass sich am oberen Nachbargrundstück ein Fischer angesiedelt und soeben ein kleines Restaurant eröffnet hatte, erhöhte den Komfort wesentlich, denn die Wege zum Einkaufen waren lang. Er freundete sich mit Thomas Rebutato an, bereits im Sommer 1950 schmückte Le Corbusier die Wände von L´Étoile de Mer mit seinen Gemälden, und zwei Jahre später war das direkt an das Schlafzimmer von Rebutato angebaute Cabanon bezugsfertig. „Für meinen persönlichen Gebrauch habe ich ein Chateau an der Cote d´Azur, das 3,66 x 3,66 Meter misst. Es war für meine Frau gedacht … im Inneren ist es verschwenderisch bequem und schön“, sagte er 1962 in einem Interview.

Le Corbusier brauchte nicht mehr als 45 Minuten, um den Plan für die rustikale Blockhütte auf einer Serviette zu skizzieren. Sein Modulor lieferte alle Proportionen für den spartanisch eingerichteten, höchst funktionellen Raum. In Korsika wurde das Holzbauwerk komplett von der Zimmerei Charles Barbéris vorgefertigt und direkt an der Zugstrecke vor dem Bahnhof in Roquebrune ausgeladen. Sperrholzwände, das Pultdach als Stauraum genutzt, Möbel aus Eichen- und Kastanienholz, nur ein Waschbecken, keine Küche, geduscht wird draußen, jedoch eine mit rotem Vorhang abgetrennte Nische für das WC, die sich in den Gang hinaus stülpt. Das Wandgemälde in dieser Eingangszone hat andererseits in Rebutatos Zimmer das Pendant inklusive einer Tapetentür. Le Corbusier merkte bald, dass für seine Zeichnungen und Pläne zu wenig Platz war und kaufte eine vorgefertigte Bauhütte (1,90 x 3,90 m), die er innen mit Fiberglas und Sperrholz zum Arbeiten adaptieren und dreizehn Meter entfernt aufstellen ließ.

Am steilen Hanggrundstück oberhalb der Villa E 1027 plante Le Corbusier für Thomas Rebutato einige Ferienhausprojekte: ROQ, ROB und CAP, welche die Idee der vorgefertigten Minimalhäuser aufnahmen. Die einzigen greifbaren Resultate sind fünf Camping-Einheiten aus Holzplatten zum Vermieten. Charles Barbéris hätte sie laut dem Architekten patentieren lassen können, im Endeffekt blieb der Zimmerer jedoch auf den Kosten sitzen.

Am Plage du Buse ging ich an jedem Sonnentag Schwimmen, eingedenk des Schicksals, das sich genau hier erfüllte. Präsent die strahlende weiße Villa von Eileen Gray, ganz knapp darüber sitzen die bunt gerasterten Camping-Units am Hang, Le Cabanon ist nicht zu sehen, aber die Terrasse von L´Étoile de Mer und die in (zu) kräftigen Farben renovierte Werkstatt von Le Corbusier.

[ Diese Fortsetzung der Geschichte zur Villa 1027 erschien auf kultur online, 16. Oktober 2024, https://kultur-online.net/ps-architektur ]

newroom, So., 2024.11.24

29. Oktober 2024Martina Pfeifer Steiner
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Energie und Macht

Geballte Ladung im vai. Auf dem roten Teppichfeld sind Montagegestelle mit großformatigen Fotografien gruppiert; vier Themeninseln an jeder Ecke, ausgebreitet...

Geballte Ladung im vai. Auf dem roten Teppichfeld sind Montagegestelle mit großformatigen Fotografien gruppiert; vier Themeninseln an jeder Ecke, ausgebreitet...

Geballte Ladung im vai. Auf dem roten Teppichfeld sind Montagegestelle mit großformatigen Fotografien gruppiert; vier Themeninseln an jeder Ecke, ausgebreitet auf Tischen; im Hintergrund eine wandfüllende Landkarte. Die Ausstellung kommt aus Brüssel, vom CIVA – Zentrum für Information, Dokumentation und Ausstellungen zu Stadt, Architektur, Landschaft und Stadtplanung, vai-Direktorin Verena Konrad hat daraus eine konzentrierte und höchst spannende Fassung für die Räumlichkeiten in Dornbirn kuratiert.

Im Jahr der EU-Wahl, der Deklaration zum europäischen Green Deal und des 100-Jahre-Jubiläums der Illwerke VKW wird wieder ein brisantes Thema aufgespannt – in anderer Flughöhe, nämlich als historischer Rückblick, der das Handeln in der Ideengeschichte verankert. Beeindruckend! Ausgangspunkt ist die Entstehung des europäischen Projekts mit der EGKS – Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl, also eine Zusammenarbeit in den Bereichen Energie und Baumaterialien. Im Wiederaufbau spielte Stahl als Wirtschaftsressource und Baumaterial eine große Rolle, damit auch in Architektur und Wohnbau, einige Beispiele der architektonischen Avantgarde aus den 1950er Jahren liegen auf.

Am Tisch zur Weltausstellung 1958 in Brüssel ist der Optimismus der frühen nuklearen Ära nachzuvollziehen. Das „Atomium“ ­– eine begehbare Skulptur als 165-milliardenfache Vergrößerung der kristallinen Elementarzelle von Eisen – wurde zum Symbol des Fortschritts, der Innovation und für ein Atomzeitalter mit friedlicher Nutzung der Kernenergie. Auch im Sektor der Kolonien widmete man den kongolesischen Pavillon der dort reichlich vorkommenden und an Bedeutung gewonnenen Ressource Uran. Die Expo-Kuration hatte sogar den Bau des ersten kommerziellen Kernreaktors Europas auf dem Ausstellungsgelände projektiert, der dem Publikum die Möglichkeit und Funktionsweise der Stromerzeugung aus Kernenergie demonstrieren sollte. Dies kam jedoch aufgrund des Widerstands von Anrainern und des Königspalastes nicht zustande.

Zeugnis der damaligen Euphorie geben auch die an der Wand hängenden Entwürfe von Claude Parent für das französische Atomprogramm. Als Reaktion auf die Ölkrise Anfang der 1970er Jahre wurde dieser von der EDF, der weltweit zweitgrößten Elektrizitätsgesellschaft, mit der Planung von zwölf Kernkraftwerken beauftragt, zwei wurden gebaut. Für den Architekten hatte der neue Bautypus großes ästhetisches Potenzial, er sprach von einer „landschaftlichen Architektur“, mit der das „Kraftwerk auf dem Lande“ auch zu einem Ort für Entspannung und Erholung werden könne.

Künstlerische Aufladung

Der Fotograf und Filmemacher Armin Linke ist mit dem Film „Alpi“ in der Ausstellung 2013 im vai noch in Erinnerung, wo er die kulturellen, sozialen, ökonomischen, landschaftlichen und klimatischen Veränderungsprozesse der Alpenregion thematisierte. „Fom A to B, 1998 – 2023“ ist der Titel seiner Installation zu einer 25 Jahre umspannenden Erforschung des Anthropozäns. Es ist das Zeitalter, in dem der Mensch zu einem der wichtigsten Einflussfaktoren auf die biologischen, geologischen und atmosphärischen Prozesse auf der Erde wurde. Die Fotografien zeigen eindrücklich Öl- und Gasfelder in Russland, Aserbaidschan und dem Nahen Osten, Flussdämme in China und Uranminen in Niger. Für die Ausstellung neu erstellte Fotos thematisieren die wachsende Rolle der belgischen Nordsee als Drehscheibe für eine diversifizierte Energieerzeugung, die sich die starken See-Winde und die nukleare Energieinfrastruktur effektiv zunutze macht.

Die Notwendigkeit, erneuerbare Energiequellen in großem Umfang zu erschließen beschäftigt auch das niederländische Landschaftsarchitekturbüro Feddes-Olthof. Das Projekt Energy Island schafft innovative Landschaften für eine nachhaltige Energieversorgung: Eine künstliche, ringförmige Insel mit einem Durchmesser von fünf Kilometern kombiniert Offshore-Windparks, schwimmende Solarpaneele und Meerwasserbatterien zur Energiespeicherung. Die künstlichen Dünen, Watte und Salzwiesen wandeln sich zu neuen Ökosystemen, die Inseln könnten überdies zum attraktiven Ziel für nachhaltigen Tourismus werden. Dazu passend, die 2023 verfasste Erklärung von Ostende: Neun europäische Länder beschließen, die Nordsee in das größte Energiekraftwerk der Welt verwandeln zu wollen.

Das Grüne Gold

An der vierten Tischinsel begegnen wir Paul Duvigneaud, einem Visionär und Pragmatiker. Der ausgebildete Botaniker und Chemiker hat sich bereits in den 1960er Jahren mit den großen Umweltgefahren auseinandergesetzt, den CO2 Anstieg in der Atmosphäre analysiert und den Klimawandel vorhergesagt. Er warnte vor der Kernenergie und schlug Szenarien für einen schrittweisen Übergang zu dezentralen alternativen Energiequellen vor: Windkraft, Solarenergie und vor allem Biomasse, als „Grünes Gold“ bezeichnet, bei der die modernisierte Landwirtschaft eine wesentliche Rolle spielen sollte.

Die wandfüllende Landkarte ist ein Konzept des renommierten Architekturbüros OMA (Rem Koolhaas), und zeigt wie Europa durch die vollständige Integration und Synchronisierung der EU-Energie-Infrastruktur den größtmöglichen Nutzen aus seiner geografischen Vielfalt ziehen kann. „Eneropa“ ist eine spekulative Karte, die sich Europa als eine Reihe von Regionen vorstellt, die nach der Art der erneuerbaren Energie benannt sind. Sein Masterplan „Roadmap 2050“ zeigt einen praktischen Leitfaden für ein wohlhabendes, kohlenstoffarmes Europa auf.

Bleibt noch auf den Film „The Great Endeavor“ zu verweisen, in dem der Architekt und Filmemacher Liam Young die Frage stellt, ob für die Erreichung der Klimaziele allein die Senkung der künftigen Emissionen ausreicht, oder ob es Anstrengungen braucht, bereits vorhandenes Kohlendioxid aus der Atmosphäre zu entnehmen und in Gigatonnen unterirdisch zu speichern. Ein dystopisches Szenario, nicht von Menschen, sondern von Maschinen gedacht.

Und auch der „Red carpet“ ist inhaltsschwer: Architekt Philippe Rahm plädiert angesichts der dringenden Notwendigkeit, den Energieverbrauch und die CO2-Emissionen zu reduzieren, den thermischen Wert des Dekorativen neu zu überdenken und die Inneneinrichtung zu nutzen, um das Raumklima in Häusern zu optimieren – die rote Farbe wirkt wärmend auf den Menschen.

[ Der Text erschien in KULTUR - Zeitschrift für Kultur und Gesellschaft, November 2024, http://www.kulturzeitschrift.at ]

newroom, Di., 2024.10.29

26. Juni 2024Martina Pfeifer Steiner
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Heilende Architektur

Zum Krankenhausbau in Vorarlberg gibt es eigentlich lauter gute Beispiele: das Krankenhaus Dornbirn mit der subtilen Farbgebung in den einzelnen Stationen;...

Zum Krankenhausbau in Vorarlberg gibt es eigentlich lauter gute Beispiele: das Krankenhaus Dornbirn mit der subtilen Farbgebung in den einzelnen Stationen;...

Zum Krankenhausbau in Vorarlberg gibt es eigentlich lauter gute Beispiele: das Krankenhaus Dornbirn mit der subtilen Farbgebung in den einzelnen Stationen; das Landeskrankenhaus Feldkirch mit ganz neuer Eingangsgestaltung, abgesehen von den Neubauten und dem erschließungsraumgreifenden Lehmbaukunstwerk; neugierig dürfen wir auf den Neubau des Landeskrankenhauses Rankweil sein … man könnte hier freilich noch einige gelungene Adaptierungen anführen. Auch wenn das Individuum lieber nichts in bzw. mit Krankenhäusern zu tun haben will und vielleicht deshalb räumliche Befindlichkeiten gar nicht wahrnimmt oder reflektiert, ist es umso spannender, diese Thematik fundiert und inspirierend aufbereitet zu servieren. Aktuelle Entwicklungen zu zeigen, die auf Herausforderungen der heutigen Zeit antworten, ist auch das große Anliegen des Vorarlberger Architektur Instituts. Darum bringt das vai die aufsehenerregende Ausstellung „Das Kranke(n)haus. Wie Architektur heilen hilft“ des Architekturmuseums der Technischen Universität München nach Dornbirn.

Gesundheitswirksame Architektur

In einer breit angelegten Forschungsarbeit von Naturwissenschaftlerin Tanja C. Vollmer – sie ist seit 2019 Gastprofessorin für Architekturpsychologie und Gesundheitsbau an der TUM – in Kooperation mit der niederländischen Architektin Gemma Koppen wurde die Theorie zum neuen Raummaß einer heilenden Architektur und der Begriff Raumanthropodysmorphie entwickelt: „Er fasst die komplexen Zusammenhänge in einer simplen Formel zusammen: Wenn der Körper schwer erkrankt, erkrankt der Raum mit ihm. Zu diesen „Raumerkrankungen“ zählen die messbaren Veränderungen der Wahrnehmung Kranker, wie beispielsweise die Herabsetzung der Aufmerksamkeit und Orientierungsfähigkeit, gesteigerte Empfindlichkeit gegenüber Umweltreizen, der Verlust der Verarbeitung von Sinnesreizen und die Fehleinschätzung von räumlichen und zeitlichen Maßen. Sie treten krankheits- oder therapiebedingt auf sowie infolge der existenziellen psychischen Belastungen“. Im Zentrum der Betrachtung stehen eine psychologisch unterstützende Gestaltung (Evidence Based Design) von Krankenhäusern und sieben Umgebungsvariable, die beeinflussen wie schädigender Stress im Krankenhaus erlebt wird.

Diese „heilenden Sieben“ – Orientierung, Geruchs-, Geräuschkulisse, Privatheit, Stimulationsaspekte, Aus- und Weitsicht, Menschliches Maß – werden in der Ausstellung mit beispielgebenden Projekten sehr gut vermittelt. In einem Lehrforschungsprojekt an der TUM beschäftigten sich Masterstudierende mit herausragenden Krankenhausbauten und analysierten sowie ordneten sie nach diesen Aspekten. Narrative Isometrien, einem 3-D-Comics gleich, bringen die Ergebnisse auf den Punkt. Zum Beispiel die Zeichnung der Schnittstelle aus Verkehrskorridor, Behandlungs- und Warteraumkette in der Ambulanz des Bürgerspitals Solothurn mit den vielschichtigen Sichtbeziehungen. Offenkundig weiß auch die Ausstellungsarchitektur die Variablen zu akzentuieren, wie hier mit einem großen runden Ausschnitt oder an anderer Stelle mit Rückzug und Privatheit. Durch die räumliche Gliederung der farblich abgestimmten freistehenden Tafeln in kleinere Kabinette und Nischen kann man die kurzen Texte gut erfassen und die aussagekräftigen Fotos in Ruhe betrachten.

Atmosphäre schaffen

Im Bereich der Therapie- und Nachsorgeeinrichtungen, die nicht so stark reglementiert, technisiert und nicht so komplex sind wie Krankenhäuser, lassen sich die wissenschaftlichen Erkenntnisse über den Einfluss von Architektur auf die Gesundheit etwas leichter umsetzen. Diese Kliniken stellen seit Langem erfolgreiche Experimentierfelder heilender Architektur dar. Im diesem Thema gewidmeten zweiten Teil der Ausstellung wird das Neurorehabilitationszentrum Basel von Herzog & de Meuron ausführlicher betrachtet: Licht, offen, mit viel Holz vermitteln Innenhöfe, Plätze und Wege einen stadtähnlichen Charakter, in dem sich die Menschen trotz eingeschränkter Mobilität intuitiv bewegen können. Die Zimmer im Obergeschoß bieten großzügige Ausblicke in die Umgebung und kugelförmige „Sky Lights“ an der Decke sogar zum Himmel, deren Wirkung auf Wachkomapatienten untersucht wurde.

Oft zitiertes Beispiel sind die Maggie´s Centres: Die Initiatorin Maggie Keswick Jencks wollte aufgrund ihrer eigenen schweren Erkrankung einen Gegenentwurf zu den sterilen Umgebungen universitärer Krebskliniken finden, nämlich psychoonkologische Behandlungs- und Begegnungszentren. Inzwischen haben bekannte Architekturbüros aus aller Welt Maggie´s gebaut – die Visionärin erlebte leider die Eröffnungen nicht – und das auf einem „Briefing der Sinne“ beruhende Raumprogramm in vielfältige, hochwertige Architektur übersetzt. Drei Beispiele sind im vai zu sehen: Maggie´s Fife von Zaha Hadid (2006), Maggie´s Gartnavel von OMA (2011) und Maggie´s Manchester von Foster + Partners (2015), das durch Holzfachwerkträger und großflächige Verglasungen eine besondere Atmosphäre schafft. Es gehört zur onkologischen Abteilung des Krankenhauses und bietet mit Gewächshaus, begrünten Höfen, Küche, gemütlichen Sitzgruppen höchst angenehme Aufenthaltsqualitäten.

Ziemlich ambitioniert war wohl die Anfrage des vai-Kurators Clemens Quirin diese wichtige Ausstellung des Architekturmuseums der TUM nach Dornbirn zu bringen. Das Münchner Museum hat in der Pinakothek der Moderne nämlich 600 Quadratmeter zur Verfügung und in den vai-Räumlichkeiten sind es 150. Und wie gut das gelungen ist! Ein ausgeklügeltes Arrangieren der Tafelelemente lässt den inspirierenden Weg durch die thematischen Gruppierungen ohne inhaltliche Schmälerung finden, nur die Modelle mussten für die Adaptierung weggelassen werden.

Wie brisant die Anregungen über innovative Ansätze im Gesundheitsbau nachzudenken sind, zeigen die vielen Anmeldungen von Gruppen aus Kommunen und Institutionen, berichtet Direktorin Verena Konrad. Empfehlenswert ist auch das Begleitprogramm mit Ausstellungsführungen des vai-Kurators, Exkursionen in Vorarlberger Krankenhäuser, Vorträge und die sehr schön gemachte begleitende gleichnamige Publikation.

[ Der Text erschien in KULTUR - Zeitschrift für Kultur und Gesellschaft, Juli/August 2024, http://www.kulturzeitschrift.at ]

newroom, Mi., 2024.06.26

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Publikationen

Presseschau 12

10. Juni 2025Martina Pfeifer Steiner
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Virtuelle Exkursion zu den neuen Bauten in Amsterdam

Amsterdam ist eine Reise wert – nicht nur wegen der Altstadt-Idylle mit Grachten und ihrer Häuserzeilen, es ist auch die bevölkerungsreichste Stadt der...

Amsterdam ist eine Reise wert – nicht nur wegen der Altstadt-Idylle mit Grachten und ihrer Häuserzeilen, es ist auch die bevölkerungsreichste Stadt der...

Amsterdam ist eine Reise wert – nicht nur wegen der Altstadt-Idylle mit Grachten und ihrer Häuserzeilen, es ist auch die bevölkerungsreichste Stadt der Niederlande und hat diese Herausforderungen in beachtenswerter Weise angenommen. Transformation und Umwidmung sind seit jeher ein großes Thema, gleichzeitig wurden durch gezielte Stadtentwicklung stets neue Wohnviertel erschlossen. Dies zu erkunden, ermöglicht in höchst spannender und kompakter Weise das Buch von Anneke Bokern und Sandra Hofmeister: Amsterdam – Urbane Architektur und Lebensräume.

Die beiden Herausgeberinnen nehmen Interessierte mit auf eine architektonische Tour zu dreißig zeitgenössischen Bauwerken mit Leuchtturmcharakter. Übersichtlich verortet auf Karten, gegliedert in fünf Kapitel – Wohnen, Mixed Use, Bildung und Kultur, Transformation, Öffentliche Räume – und bildreich sowie lesefreundlich (Projektbeschreibungen konzentriert bzw. inhaltsschwer nur eine Seite lang) vermittelt, fühlt man sich als Teilnehmerin einer Architektur-Exkursion, nur viel komfortabler und unangestrengt. Gerade bei (großen) Wohnbauten ist es kaum möglich vor Ort das Gesamtkonzept und vor allem die Grundrisse zu erfassen. Diese Publikation bietet jedoch genau das: Grundrisse mit detaillierten Funktionen, Schnitte, Außenansichten im Kontext und Innenräume, die auch bei einer bestens organisierten Führung nicht betretbar sind.

Reizvolle Überschriften machen neugierig, die erzählten Geschichten zufrieden. „Klar Schiff“ verweist auf das Projekt „Schoonschip“ und eine Flotte aus 46 schwimmenden Häusern auf einem Kanal im Norden Amsterdams. An ein „Haifischmaul“ erinnert der Wohnbau von Barcode Architekten und BIG auf einer der sieben künstlichen Inseln, die den Archipelstadtteil IJburg bilden. „Im Bauch des Wals“ assoziieren Erschließung und Form eines gemischt genutzten Bauwerks auf Haveneiland. „Harte Schale, weicher Kern“ ist der Titel für das „Valley“ von MVRDV mit 198 Wohnungen, Gewerbe und Kultur. „Ins Schwarze getroffen“: Der Booking Campus (booking.com) wird wohl der letzte Neubau diesen Ausmaßes in der Amsterdamer Innenstadt sein. Bei „Freundlicher Riese“ wird die spannende Geschichte erzählt, was aus dem letzten Teil (das 400 Meter lange Kleiburg) der Siedlung Bijlmermeer aus 1968 nach minimaler Sanierung und der anschließenden Verwertung als Heimwerkerwohnungen entstand. „Die Stadt als Hotel“ machen Space&Matter aus übrig gebliebenen, unter Denkmalschutz stehenden Bahnwärterhäuschen …

Eingestreut und passend zu den Kapiteln thematisieren gut geschriebene Essays und Interviews neue Wohnformen, adaptive Architekturkonzepte, die Wiederentdeckung der ehemaligen Hafen- und Gewerbegebiete am Ufer des IJ, den Übertourismus und die Fahrradhauptstadt Amsterdam. Die Beiträge vervollständigen das Bild einer lebhaften, in die Zukunft gerichteten Baukultur und einer jungen Architekturszene mit unkonventionellen, pragmatischen, einfallsreichen Ansätzen. Dieses Buch wird erst aus der Hand gelegt, wenn man überall gewesen ist … freilich nur virtuell und ohne sich vom Sofa erheben zu müssen.

newroom, Di., 2025.06.10



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Amsterdam

08. April 2025Martina Pfeifer Steiner
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H wie Holz

Dieses Buch ist anders. Schönheit und Qualitäten der Materie werden auf unerwartete Weise ins Bild gesetzt. Es geht um Holz. Was Marina Hämmerle und Florian...

Dieses Buch ist anders. Schönheit und Qualitäten der Materie werden auf unerwartete Weise ins Bild gesetzt. Es geht um Holz. Was Marina Hämmerle und Florian...

Dieses Buch ist anders. Schönheit und Qualitäten der Materie werden auf unerwartete Weise ins Bild gesetzt. Es geht um Holz. Was Marina Hämmerle und Florian Aicher mit diesem wertigen Kompendium gelungen ist, bringt die Essenz, die Seele des Holzbaus zum Vorschein, zum Klingen – und zwar jenseits einer Architekturschau, weder die Protagonist:innen im Fokus, noch auf eine Region begrenzt. Beauftragt und ermöglicht wurde das Buchprojekt durch die Holzbau-Offensive Baden-Württemberg, die mit gezielten Förderprogrammen die Umsetzung qualitativ hochwertiger, zeitgenössischer Architektur in Holz beflügelt.

Querformat, lebhaftes Leinen, haptisch und elastisch das Buchcover, pures Material – beim Aufschlagen folgen auf die ersten Seiten des ausnehmend feinsinnigen, atmosphärischen Fotoessays nicht etwa Titel und Vorworte, sondern „ein unverschämt subjektiver Spaziergang entlang der Lebensthemen Gehen, Wohnen, Lieben, Schreiben, Musizieren“ der Architektin und Romanautorin Zora del Buono. Sie nimmt die Lesenden mit auf eine poetische Spurensuche nach den sinnlichen Qualitäten von Holz: mit Staunen über die kleinen Samen des Mammutbaums des Sequoia Nationalparks; zur Hütte unter einer riesigen Eiche; in den Souvenirshop auf dem abgeholzten Färöer Archipel im Nordatlantik; bis zu Gramscis Bleistift – „Bleistifte können Geschichte schreiben. Auch wenn sie nicht mehr vorhanden sind“ – und Haydns Flügel: „So möchte man als Baum enden, wenn man denn schon enden muss“.

Ineinander schwingen

Text und Bild sollten sich die Waage halten. Die insgesamt sechs Essays der Fotografin Petra Steiner rücken die besondere Qualität des Holzes und seiner technischen Möglichkeiten mit einer eigens angelegten, durchgängigen Fotosprache in den Fokus. „Es ist ein Herantasten an eine Materie, an einen Stoff, der etwas mit uns macht. Der Stoff sickert in unsere Wahrnehmung ein, den Erinnerungen auf den Fersen, ihnen vorauslaufend. Er bekommt Form, ist Volumen, hat Oberfläche, ist Struktur, Textur. In ihm sind Natur und Kultur eins“, schreibt Marina Hämmerle in ihrer Betrachtung zur Fotografie von Petra Steiner.

Diese Fotografien erzählen eine eigene Geschichte, sie stehen für sich. Keine Ablenkung durch Bildunterschriften, unwichtig wer geplant hat, wo der Ort ist, anstelle dessen, sich einlassen auf das Sehen, auf die Stimmung. Die Fotoauswahl und Bildkomposition der Doppelseiten erfolgte in Co-Creation von Fotografin, Herausgeber:in und Grafiker über Tage in Rotis und unzähligen Stunden im digitalen Raum: „Hand, Herz und Hirn gruppieren, verknüpfen Motive, suchen gemeinsam nach Verbündeten für ausgewählte Schlüsselbilder. Unter den Hunderten Fotografien tun sich etliche hervor und signalisieren: Wir sind verwandt, wir schwingen im gleichen Ton. Die losen Enden zwischen den Fotografien spinnen sich zu mehreren Fäden. Die weben sich durch die 144 bebilderten Seiten, Kette und Schuss.“ Da wird also nicht in Projekten gedacht, sondern in Verwandtschaften. Vielfach treten historische und zeitgenössische Architektur in Dialog oder sind es Natur, Farbe, Licht, Form, die gekonnt durchchoreografiert wurden.

Auch die Dramaturgie im Gesamten ist ein Schwingen in großen Linien – von einem Themenblock in den nächsten, fließend verbunden über die Bildessays. Namhafte Autor:innen und fachlich versierte Gesprächspartner:innen eröffnen die vielschichtigen Zugänge zur Materie Holz. Klare Anhaltspunkte geben dabei jeweils Begriffspaare, die anzeigen, worauf man sich einlassen darf: beispielsweise auf den „verwurzelten Baustoff“ unter Theorie und Bedeutung; Gestalt und Ornament in „Holzbau jenseits des Nützlichen“; die Schönheit des Alltäglichen; Bauwirtschaft und Klima „Auf zu einer neuen Bauphilosophie“; Forst und Forschung; das Spektrum der Holzbautechnologie; aber auch auf die Möglichkeiten des hybriden Bauens mit Lehm, Stroh und Kalk; den Wissenstransfer in Architektur und Handwerk, bis hin zu Wohnungsbau und Urbanität.

Komposition

Zu guter Letzt lüftet sich doch noch alles Wissenswerte zu den Abbildungen: Im Anhang ermöglichen fortlaufende Miniaturen der sechs Fotoessays Überblick und Identifizierung, sind Angaben zu Motiv, Standort sowie, im Fall von Bauten, Baujahr und Architekt zu finden, desgleichen sind auf einer Doppelseite die interessanten Biografien aller Beitragenden alphabetisch gelistet. Womit wir bei der Grafik wären: Da gibt es nichts Modisches, keine Experimente mit Zeilenabstand und springenden Schriftgrößen oder Überschriften, die am Blattrand kleben … Stefan Gassner ist bekannt für ausgezeichnete, elegant durchkomponierte Buchgestaltungen. Man hält ein schön gemachtes Werk in Händen: Leinengebunden, mit rundem Buchrücken, je nachdem ob Bild- oder Textstrecke ist die Grammatur des Papiers zwar gleich, doch Qualität und Tönung unterschiedlich.

Ein weiterer Blick auf die Typografie zeigt: frisches Grün akzentuiert Titel und Überschriften, Fußnoten und Bildunterschriften, verhilft als Schmuckfarbe zu lässiger Beiläufigkeit. Die große Kunst, gehaltvolle Texte leicht und gut lesbar zu vermitteln, wird hier offensichtlich beherrscht, die Spannung gehalten, gekonnt die Textblöcke variiert, im kurzweiligen Rhythmus. Ein besonderes Lesevergnügen.

Schlussendlich sei noch aus dem Vorwort von Florian Aicher zitiert: „Es bedarf einer Holzkultur, um die physischen Potenziale des Stoffs zu heben. Die gelingt, weil Holz Menschen anspricht. Holz kann viel mehr, aber nicht alles; Holz ist reichlich da, aber nicht unbegrenzt. Gerade den Dingen aus Holz ist zu wünschen, dass sie „von der Fron frei sind, nützlich zu sein“ (Walter Benjamin) – weil sie uns weit mehr von der Welt zeigen können. Davon handelt dieses Buch.“

newroom, Di., 2025.04.08



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H wie Holz

14. Januar 2025Martina Pfeifer Steiner
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Fünfundzwanzig Mal Herzog & de Meuron

Gewichtig und wesentlich präsentiert das Buch fünfundzwanzig Werke der Pritzker-Preisträger Herzog & de Meuron. Kunsthistoriker Stanislaus von Moos und...

Gewichtig und wesentlich präsentiert das Buch fünfundzwanzig Werke der Pritzker-Preisträger Herzog & de Meuron. Kunsthistoriker Stanislaus von Moos und...

Gewichtig und wesentlich präsentiert das Buch fünfundzwanzig Werke der Pritzker-Preisträger Herzog & de Meuron. Kunsthistoriker Stanislaus von Moos und Architekt Arthur Rüegg haben aus dem annähernd sechshundert Bauten und Projekte umfassenden Gesamtwerk der Schweizer Architekten in über 35 Ländern selektiert: „Die Absicht war, anhand einer Auswahl von Werken die signifikantesten entwurfstheoretischen Leitlinien herauszuarbeiten und zugleich dem künstlerischen Anspruch oder dem, was wir darunter zu verstehen meinten, mit einer gezielten Selektion des umfangreichen Bildmaterials gerecht zu werden.“

An sich wäre die über vierzig Jahre kontinuierlich nachgeführte Projektdokumentation – insbesondere mit der bislang sechsbändigen Monografie – komplett, doch die zwei Autoren reizte „so etwas wie eine kritisch wertende Zwischenbilanz des bisherigen Œuvres“. Für ihre zwei ausführlichen Essays über die Entwurfsmethode der Architekten dienten die mannigfachen, weitverstreuten veröffentlichten Texte und Interviews der Architekten, und von einer erneuten Befragung von Jaques Herzog und Pierre de Meuron wurde abgesehen. Umso wertvoller und wichtiger war der uneingeschränkte Archiv-Zugang mit dem riesigen Fundus an Plänen, Bildern, Texten, Modellen, Skizzen, Skizzenbüchern, Zeichnungen und Schemata, der inzwischen in eine gemeinnützige Stiftung eingebracht wurde und in einem eigenen Gebäude auf dem Basler Dreispitz-Areal großzügige Räumlichkeiten gefunden hat.

Eine Besonderheit sind zwei separate, auf schwarzem Papier gedruckte Bildteile, die noch nie zugänglich waren: Als Opener, Einblicke in das Fotoarchiv von Pierre de Meuron, die zum Teil mit eventuellen Bauplätzen zu tun haben, aber auch bekannte und weniger bekannte Architekturdenkmäler, Kathedralgewölbe oder Erkundungen auf Reisen zeigen; und als Finale die Postkartensammlung von Jacques Herzog.

Die fünfundzwanzig ausgewählten Bauten aus allen Schaffensperioden sollen die zentralen Aspekte des Gesamtwerks dieser bedeutenden Architekten abdecken und werden in sorgfältig orchestrieten Bildstrecken bekannter Architekturfotografinnen und Fotografen, mit aufschlussreichen Texten von abwechselnd einem der Autoren, technischen Daten, Plänen und Literaturhinweisen vermittelt. Erwartbar, dass bei dieser persönlichen Auswahl die Elbphilharmonie, das VitraHaus, das Vitra Schaudepot und das Ricola Lagerhaus nicht fehlen kann. Ein Ausschnitt Wolfgang Tillmans Fotografie in der Erweiterung der Tate Modern gibt das Titelbild am Schutzumschlag des leinengebundenen prächtigen Bands. Bleibt noch über die Haptik und das Spiel von Papierqualitäten zu berichten: Auch die hundert Seiten mit den Essays und der Anhang sind – wie die Inlays mit den privaten Fotoarchiven von Herzog und de Meuron auf schwarz – etwas rauer und im Ton weißer als im Hauptteil mit den Projekten, wo vor allem die Bilder brillant zur Geltung kommen. Da wurden offensichtlich in die Buchgestaltung ebenso viel Sorgfalt und feinsinnige Gedanken eingebracht.

newroom, Di., 2025.01.14



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Twentyfive x Herzog & de Meuron

02. Dezember 2024Martina Pfeifer Steiner
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Portrait einer regionalen Baukultur

Diese Publikation war längst überfällig, denn Otto Kapfingers „Baukunst in Vorarlberg seit 1980“ ist vor 25 Jahren herausgekommen! Doch wie haben sich...

Diese Publikation war längst überfällig, denn Otto Kapfingers „Baukunst in Vorarlberg seit 1980“ ist vor 25 Jahren herausgekommen! Doch wie haben sich...

Diese Publikation war längst überfällig, denn Otto Kapfingers „Baukunst in Vorarlberg seit 1980“ ist vor 25 Jahren herausgekommen! Doch wie haben sich Baukultur und Architekturlandschaft seither entwickelt? Die vai-Direktorin Verena Konrad wusste über ihre verantwortungsvolle Aufgabe und suchte sich als Co-Herausgeberin die Architekturpublizistin und Chefredakteurin vom Detail Verlag, Sandra Hofmeister.

Ein langer Zeitraum, den dieses Buch abdecken sollte. Es galt, aus der umfangreichen Objektrecherche fünfzig Projekte herauszufiltern, die im Hinblick auf Typologie und Bauweise, auf Schwerpunkte oder Spezialisierungen interessant sind, gemessen auch an Exkursionsnachfragen, der internationalen Rezeption oder einfach an den Klicks im Netz bei Detail. Die Qual der Wahl – denn es gibt in Vorarlberg unzählige qualitätsvolle Bauten, die in dieses Buch passen würden. „Schließlich hat ihre regionale und überregionale Bedeutung für aktuelle Diskurse den Ausschlag für unsere Auswahl gegeben: ihr ökologisches Profil, ihr kultureller Anspruch, ihr Beitrag zu technologischer und prozessualer Innovation und zu gesellschaftlichen Themen“, erklären die Herausgeberinnen in ihrer Einführung, die auch für das Verständnis von Landschaft, Ressourcen und Baukunst wohltuend ausholt und den geschichtlichen Vorspann beisteuert.

Die vier Kapitel werden nicht durch trockene Regionen-Bezeichnungen definiert, sondern lassen Landschaftsbilder mit Tälern, Bergen, Wäldern und Seen mit den entsprechenden Emotionen entstehen: Im Rheintal, Berge und Täler, Im Bregenzerwald, Am Bodensee. Ebenso gelungen ist die Dramaturgie der Bauwerke und deren Illustration – eine gekonnte Choreografie von hochkarätiger Architekturfotografie, die auf vorhandene Projektdokumentationen zurückgreift.

Einladend zum Lesen

Sehr schön gemacht und lesefreundlich mit kompakten Bauwerksbeschreibungen, die aus dem reichen vai-Archiv (monatliche Führungen „Architektur vor Ort“, Architekturdatenbank „nextroom“) stammen und redaktionell bearbeitet wurden, schürt schon die erste Doppelseite der einzelnen Gebäude Erwartungen, die im Folgenden gänzlich erfüllt werden. Bauwerksbezeichnung, Baujahr, Architekt:innen geben Orientierung, die wichtigsten Beteiligten – allen voran die Bauherrschaft, weiters Statik, gegebenenfalls Bauphysik, Licht-, Haus-, Geotechnik, Landschaftsplanung, Farbkonzept, mitunter Bauleitung – eine Ahnung über das Zusammenspiel der Akteur:innen und das notwendige, interdisziplinäre Fachwissen.

Räumliche Verortung in den Kapiteln ist eine gute Strategie für Abwechslung und Kurzweiligkeit bei den vielfältigen Bauaufgaben. Dass die Kommunen eine wesentliche Rolle als aktive qualitätsfördernde öffentliche Auftraggeberinnen spielen, gibt die Anzahl der dokumentierten Objekte im Buch wieder. Durch ihre Initiative konnten Schulen und Kindergärten, Gemeindesäle und Musikschulen mit Pioniercharakter entstehen. Beteiligt waren Kommunen überdies bei aufsehenerregenden Brückenbauten und dem Islamischen Friedhof. Außergewöhnlich sind aber auch die vielen herausragenden Einzelinitiativen von gewerblichen und privaten Bauherr:innen, die in technologischer, gestalterischer und funktionaler Hinsicht wegweisend sind.

Das einzige Einfamilienhaus ist eine Nachverdichtung auf einem Privatgrundstück. Zum Bauen im und mit Bestand findet man im Buch ebenfalls faszinierende Projekte. Eines davon sei hier hervorgehoben, weil auf den Einblick in die Sanierung des „Stadt-Stadls“ in Dornbirn ein Interview mit der Architektin Julia Kick folgt, die ihr eigenes Wohn- und Atelierhaus in das frühere Wirtschaftsgebäude implementiert hat. „Jenseits der Normen“ ist dieses übertitelt und wie zwei weitere Interviews eingewoben in die rhythmische Abfolge von Bauten: Folgend auf das zu seiner Zeit in Mitteleuropa größte Bürogebäude in modularer Holzbautechnik im Montafon, kommen sechs Protagonisten der Holzbaudynastie im Bregenzerwald zu Wort, die alle den Nachnamen Kaufmann tragen. Sie teilen die Leidenschaft für das Bauen mit Holz und die Überzeugung, dass es für die ökologische Transformation im Bauen sowohl die Architektur, das Handwerk als auch ein starkes Unternehmertum braucht. Auf die spektakuläre Erden Werkhalle in Schlins folgt ein aufschlussreiches Interview mit dem Lehmbaupionier Martin Rauch und der international renommierten Protagonistin des zirkulären Bauens, Anna Heringer.

Eingesprenkelt sind noch vier Essays, welche die Hintergründe der Vorarlberger Baukultur beleuchten und aktuelle Schwerpunkte hervorheben, wie Aspekte des ökologischen Bauens, der regionalen Handwerkskultur sowie der Gemeinschaftsbauten und der Urbanisierung in der Vierländerregion. Auch bei diesen Textteilen gelingt durch grafische Auflockerung und interessanter Bebilderung (komfortabel mit Bildunterschriften) wieder das Kunststück, dass die Spannung gehalten wird und die Lesenden unangestrengt ihrer geweckten Neugierde folgen können. Das ist (weihnachtliche) Freude bereitende Baukulturvermittlung.

[ Der Text erschien in KULTUR - Zeitschrift für Kultur und Gesellschaft, Dez 24/Jan 25, http://www.kulturzeitschrift.at ]

newroom, Mo., 2024.12.02



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Architektur in Vorarlberg

24. November 2024Martina Pfeifer Steiner
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Auf den Spuren von Eileen Gray in Roquebrune Cap Martin

Große Aufmerksamkeit erlangt Eileen Grays Villa am Meeresufer aktuell wieder mit dem Kinofilm. Auf Kultur Online in der Kolumne PS: Architektur erschienen, hier noch einmal die ausführlich recherchierte Geschichte zur Villa E 1027.

Große Aufmerksamkeit erlangt Eileen Grays Villa am Meeresufer aktuell wieder mit dem Kinofilm. Auf Kultur Online in der Kolumne PS: Architektur erschienen, hier noch einmal die ausführlich recherchierte Geschichte zur Villa E 1027.

Vielleicht hatte sich Eileen Gray 1926 tatsächlich direkt in meiner Nachbarschaft – dort, wo ich mein beschauliches Apartment unter der Burg für zwei Wochen fand – eingemietet, als sie ihr „Haus am Meeresufer“ Realität werden ließ: die Villa E 1027, eine Ikone der Moderne. 1929 war das Werk der in Paris sehr erfolgreichen irischen Designerin vollendet und blieb ein Geschenk an den rumänischen Architekten Jean Badovici.

Inspiriert von Le Corbusiers fünf Elementen seiner neuen Architektur – Beton- oder Stahlpfeiler übernehmen die statische Funktion der Mauer, Dachterrasse bzw. Flachdach, lange Fensterbänder, freie Grundriss- sowie Fassadengestaltung – studierte sie die Pläne der für seine Eltern erbauten Villa Le Lac (siehe kultur online) sehr genau. Dennoch äußerte sie sich kritisch und selbstbewusst: „Ein Haus ist keine Maschine, es ist das Gehäuse, die Schale des Menschen, seine Erweiterung, seine Befreiung, seine spirituelle Ausstrahlung.“

E 1027 (eine codierte Liebeserklärung als Akronym der beiden Namen) ankert gleich einem Luxusliner im terrassierten Gelände (der Hein mit Zitronenbäumen war Bestand), nahe dem Wasser; das Hauptgeschoß (90 m²) teilweise auf Piloten gesetzt sowie auf den Gäste- und Dienstmädchenbereich (30 m²). Eine wohlgeformte Wendeltreppe sticht durch bis auf das Dach und findet mit einem Glaszylinder den Abschluss. Luft und Licht könnten hier strömen, doch nur wenn die vielen Türen, die diese Skulptur hermetisch abriegeln, offenstehen. Verspielt im Großen und bis ins kleinste Detail: die Reling entlang des Balkons aus Stahlrohren, bespannt mit blauem Segeltuch, wie auch die Markisen; weiße Stahltreppe auf das untere Deck, sprich Garten und Solarium (eine verflieste in den Rasen eingelassene Liegefläche); der Rettungsring und ein Dekorsegelmast … schon etwas zu viel der Zitate.

„Entrez lentement” steht auf der Wand, und der langsam Eintretende an dieser an. Zur Linken leitet die gerundete Fläche, auf der ein Postkästchen aus Leder angebracht ist, in die spartanisch eingerichtete, außenliegende Küche. Im überdeckten Nischenbereich gehen drei Türen weg: eine ins WC, eine zur Wendeltreppe, eine zum Bad des Master-Bedroom (oder Madames?). Auf der anderen Seite ist die Eingangstüre. Wieder steht man an, doch diffiziler: Ein Spiel mit gerundeten Wandscheiben, etwas versetzt, auch in der Höhe und farblich, ein Spalt, „Defense de rire” (Lachen verboten) steht unter der Lampe auf der Stirnseite, „Chapeaux“ bei der Hutablage, vertikale Spiegelstreifen verwirren. Und erst dann wird der Blick frei gegeben, in die lichte Großzügigkeit des Raumes.

Ein Manifest der Dinge. Eileen Gray hat jedem kleinsten Detail größte Aufmerksamkeit gewidmet. Sie entwarf elegante, funktionelle, äußerst raffinierte Möbel, Lampen, bis hin zu transparenten Lichtschaltern und Steckdosen, die Kabelführung über dem Fensterband als grafische Dekoration. Von den Polstersesseln wie „Bibendum“ oder „Nonconformist“, mit einseitiger Armlehne, dem Occasioal Table und dem höhenverstellbaren Glasbeistelltisch E 1027, den Teppichen … gar nicht anzufangen, wir bleiben bei der Architektur.

Über die gesamte Länge des Balkons falten sich metallgerahmte Glaslamellen, der hinausfließende Blick auf das Meer ist jedoch unten wie oben – zwar verschiebbar, je nach Sonneneinstrahlung – mit den blauen Stoffbahnen eingeschränkt. Diese neuentwickelten Fensterdetails dürfte wohl Badovici beigetragen haben, wie auch die konstruktive und bautechnische Ausführungsplanung. Dass der Entwurf ganzheitlich Eileen Gray zuzuschreiben ist, hat die heutige Forschung eindeutig klargestellt. Die räumliche Sequenz ist unkonventionell: einzig fixiertes Möbel ist eine große Liegefläche (Bett) in der hintersten Ecke; dort wieder eine gerundete Paravent-Wand in Türstockhöhe, dahinter verbirgt sich ein offenes Dusch-Badezimmer; gegenüber noch eine Schlafnische mit Divan; eine Schiebetüre führt ins Freie und die Stahltreppe hinunter in den Garten. Eingangsseitig befindet sich der Essplatz, dann geht es über eine sehr verspielte Barnische ins Schlafzimmer mit Arbeitsbereich, unendlich vielen Details bei Waschbecken und Ankleide, weiter in das Bad. Genauere Schilderungen würden sich lohnen, sprengen jedoch hier den Rahmen.

1932 trennten sich Eileen Gray und Jean Badovici, sie hat die Villa nie wieder betreten. Schon ein paar Jahre zuvor kaufte sie auf den Hügeln um Menton, in Castellar (also unmittelbare Nachbarschaft), ein Grundstück und baute für sich ihr zweites Haus: „Tempe a Pailla“. Nun kommt Le Corbusier ins Spiel: Badovici verehrte den großen Architekten ungemein, veröffentlichte eifrig Artikel über ihn in seiner Zeitschrift „L´Architecture Vivante“ und Le Corbusier war gerngesehener Gast in „seiner“ Villa E 1027. Auch wenn Le Corbusier immer postulierte, dass Wandmalereien in Wohnhäusern nichts zu suchen hätten, reizte ihn Grays Architektur offensichtlich: „Ich brenne darauf, die Wände schmutzig zu machen: Zehn Kompositionen sind fertig, genug, um alles zu beschmieren.“ Vier sind erhalten geblieben und restauriert: ein Nischenfüllendes beim Eingang, eines gegenüber dem Essplatz, das Wandbild im Gästezimmer. Das erste und grob störende an der Paravent-Wand beim Bett im Hauptraum wurde mit einer weißen Platte verdeckt – gut so!

Und doch sind es die unter Denkmalschutz gestellten Gemälde Le Corbusiers, die den Abbruch der Villa verhinderten. Nach dem frühen Tod Badovicis (1893–1956, Gray überlebte ihn um 20 Jahre, obwohl sie 15 Jahre älter war, 1878–1976) wurde die Villa von Marie-Louise Schelbert (eine in Zürich lebende, Le Corbusier bewundernde, reiche Amerikanerin) gekauft. Sie vermachte E 1027 ihrem Arzt, und bis die Erbstreitigkeiten mit ihren Nachkommen ausgefochten waren, verblieb das Haus in desolatem Zustand. Peter Kaegi hatte kein Geld (das Casino in Monte Carlo war auch verführerisch), er verkaufte sämtliche Möbel und wurde schlussendlich in der Villa ermordet! 1974 kam „die weiße Villa“ auf die Liste der Historischen Denkmäler und wurde in zwei Phasen bis 2017 aufwändigst renoviert. Heute ist sie am Cap Moderne mit Le Corbusiers „Le Cabanon“ und den „Unités de Camping“ zu besichtigen. Fortsetzung folgt.

[ Der Text erschien in der Kolumne von Martina Pfeifer Steiner auf kultur-online, 3. Oktober 2024, https://kultur-online.net/ps-architektur ]

newroom, So., 2024.11.24

24. November 2024Martina Pfeifer Steiner
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Roquebrune Cap Martin – auf den Spuren von Le Corbusier

An der Cote d´Azur fand Le Corbusier einen Ort „zum Sterben schön“ und errichtete eine Hütte nach den Prinzipien seines Modulors: Le Cabanon. Doch das...

An der Cote d´Azur fand Le Corbusier einen Ort „zum Sterben schön“ und errichtete eine Hütte nach den Prinzipien seines Modulors: Le Cabanon. Doch das...

An der Cote d´Azur fand Le Corbusier einen Ort „zum Sterben schön“ und errichtete eine Hütte nach den Prinzipien seines Modulors: Le Cabanon. Doch das Orakel erfüllte sich, er fand eben dort, im August 1965, den Tod durch Ertrinken nach einem Herzversagen. Der Cimetière du Roquebrune Cap Martin war also mein erstes Ziel. Hier ruht er in Frieden, mit einer unsagbar schönen Aussicht übers Meer und auf Monaco, wo seine Frau aufwuchs. Für sie hat er die Ferienhütte gebaut, für sie hat er aber auch das Grabmal gestaltet.

Die Villa E 1027, von Eileen Gray geplant und Jean Badovici überlassen, interessierte Le Corbusier immer schon, und er war nur zu erfreut, als Badovici ihn 1938 einlud die Wände zu bemalen (siehe PS: Architektur). Eileen Gray erfuhr davon erst, als der Architekt diese Wandmalereien publizierte – und war entsetzt. Das veranlasste Badovici wiederum, sein schlechtes Gewissen erleichtern und diese entfernen lassen zu wollen, was jedoch nie geschah. Am 1.1.1950 schrieb Le Corbusier einen Brief: „Mein lieber Bado. … Wenn ich Sie richtig verstehe, werden Sie meine Malereien entfernen, um Ihrem Haus „den tieferen Sinn einer Geisteshaltung“ zurückzugeben, „die jede Malerei ausdrücklich verbietet“. Ich bitte Sie ebenso ausdrücklich, meine Malereien fotografieren zu lassen, bevor Sie sie auslöschen. Vielleicht entgeht mir ja der tiefere Sinn Ihres Denkens, denn obwohl Sie seit 30 Jahren in Paris leben, gelingt es Ihnen immer noch nicht, anderen verständlich zu machen, was Sie schreiben. …“ Das war dann auch das Ende der Freundschaft.

Dabei fragte Le Corbusier noch im Sommer davor an, ob er die Villa einen Monat lang nützen könne, um an einem Projekt zu arbeiten. Dass sich am oberen Nachbargrundstück ein Fischer angesiedelt und soeben ein kleines Restaurant eröffnet hatte, erhöhte den Komfort wesentlich, denn die Wege zum Einkaufen waren lang. Er freundete sich mit Thomas Rebutato an, bereits im Sommer 1950 schmückte Le Corbusier die Wände von L´Étoile de Mer mit seinen Gemälden, und zwei Jahre später war das direkt an das Schlafzimmer von Rebutato angebaute Cabanon bezugsfertig. „Für meinen persönlichen Gebrauch habe ich ein Chateau an der Cote d´Azur, das 3,66 x 3,66 Meter misst. Es war für meine Frau gedacht … im Inneren ist es verschwenderisch bequem und schön“, sagte er 1962 in einem Interview.

Le Corbusier brauchte nicht mehr als 45 Minuten, um den Plan für die rustikale Blockhütte auf einer Serviette zu skizzieren. Sein Modulor lieferte alle Proportionen für den spartanisch eingerichteten, höchst funktionellen Raum. In Korsika wurde das Holzbauwerk komplett von der Zimmerei Charles Barbéris vorgefertigt und direkt an der Zugstrecke vor dem Bahnhof in Roquebrune ausgeladen. Sperrholzwände, das Pultdach als Stauraum genutzt, Möbel aus Eichen- und Kastanienholz, nur ein Waschbecken, keine Küche, geduscht wird draußen, jedoch eine mit rotem Vorhang abgetrennte Nische für das WC, die sich in den Gang hinaus stülpt. Das Wandgemälde in dieser Eingangszone hat andererseits in Rebutatos Zimmer das Pendant inklusive einer Tapetentür. Le Corbusier merkte bald, dass für seine Zeichnungen und Pläne zu wenig Platz war und kaufte eine vorgefertigte Bauhütte (1,90 x 3,90 m), die er innen mit Fiberglas und Sperrholz zum Arbeiten adaptieren und dreizehn Meter entfernt aufstellen ließ.

Am steilen Hanggrundstück oberhalb der Villa E 1027 plante Le Corbusier für Thomas Rebutato einige Ferienhausprojekte: ROQ, ROB und CAP, welche die Idee der vorgefertigten Minimalhäuser aufnahmen. Die einzigen greifbaren Resultate sind fünf Camping-Einheiten aus Holzplatten zum Vermieten. Charles Barbéris hätte sie laut dem Architekten patentieren lassen können, im Endeffekt blieb der Zimmerer jedoch auf den Kosten sitzen.

Am Plage du Buse ging ich an jedem Sonnentag Schwimmen, eingedenk des Schicksals, das sich genau hier erfüllte. Präsent die strahlende weiße Villa von Eileen Gray, ganz knapp darüber sitzen die bunt gerasterten Camping-Units am Hang, Le Cabanon ist nicht zu sehen, aber die Terrasse von L´Étoile de Mer und die in (zu) kräftigen Farben renovierte Werkstatt von Le Corbusier.

[ Diese Fortsetzung der Geschichte zur Villa 1027 erschien auf kultur online, 16. Oktober 2024, https://kultur-online.net/ps-architektur ]

newroom, So., 2024.11.24

29. Oktober 2024Martina Pfeifer Steiner
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Energie und Macht

Geballte Ladung im vai. Auf dem roten Teppichfeld sind Montagegestelle mit großformatigen Fotografien gruppiert; vier Themeninseln an jeder Ecke, ausgebreitet...

Geballte Ladung im vai. Auf dem roten Teppichfeld sind Montagegestelle mit großformatigen Fotografien gruppiert; vier Themeninseln an jeder Ecke, ausgebreitet...

Geballte Ladung im vai. Auf dem roten Teppichfeld sind Montagegestelle mit großformatigen Fotografien gruppiert; vier Themeninseln an jeder Ecke, ausgebreitet auf Tischen; im Hintergrund eine wandfüllende Landkarte. Die Ausstellung kommt aus Brüssel, vom CIVA – Zentrum für Information, Dokumentation und Ausstellungen zu Stadt, Architektur, Landschaft und Stadtplanung, vai-Direktorin Verena Konrad hat daraus eine konzentrierte und höchst spannende Fassung für die Räumlichkeiten in Dornbirn kuratiert.

Im Jahr der EU-Wahl, der Deklaration zum europäischen Green Deal und des 100-Jahre-Jubiläums der Illwerke VKW wird wieder ein brisantes Thema aufgespannt – in anderer Flughöhe, nämlich als historischer Rückblick, der das Handeln in der Ideengeschichte verankert. Beeindruckend! Ausgangspunkt ist die Entstehung des europäischen Projekts mit der EGKS – Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl, also eine Zusammenarbeit in den Bereichen Energie und Baumaterialien. Im Wiederaufbau spielte Stahl als Wirtschaftsressource und Baumaterial eine große Rolle, damit auch in Architektur und Wohnbau, einige Beispiele der architektonischen Avantgarde aus den 1950er Jahren liegen auf.

Am Tisch zur Weltausstellung 1958 in Brüssel ist der Optimismus der frühen nuklearen Ära nachzuvollziehen. Das „Atomium“ ­– eine begehbare Skulptur als 165-milliardenfache Vergrößerung der kristallinen Elementarzelle von Eisen – wurde zum Symbol des Fortschritts, der Innovation und für ein Atomzeitalter mit friedlicher Nutzung der Kernenergie. Auch im Sektor der Kolonien widmete man den kongolesischen Pavillon der dort reichlich vorkommenden und an Bedeutung gewonnenen Ressource Uran. Die Expo-Kuration hatte sogar den Bau des ersten kommerziellen Kernreaktors Europas auf dem Ausstellungsgelände projektiert, der dem Publikum die Möglichkeit und Funktionsweise der Stromerzeugung aus Kernenergie demonstrieren sollte. Dies kam jedoch aufgrund des Widerstands von Anrainern und des Königspalastes nicht zustande.

Zeugnis der damaligen Euphorie geben auch die an der Wand hängenden Entwürfe von Claude Parent für das französische Atomprogramm. Als Reaktion auf die Ölkrise Anfang der 1970er Jahre wurde dieser von der EDF, der weltweit zweitgrößten Elektrizitätsgesellschaft, mit der Planung von zwölf Kernkraftwerken beauftragt, zwei wurden gebaut. Für den Architekten hatte der neue Bautypus großes ästhetisches Potenzial, er sprach von einer „landschaftlichen Architektur“, mit der das „Kraftwerk auf dem Lande“ auch zu einem Ort für Entspannung und Erholung werden könne.

Künstlerische Aufladung

Der Fotograf und Filmemacher Armin Linke ist mit dem Film „Alpi“ in der Ausstellung 2013 im vai noch in Erinnerung, wo er die kulturellen, sozialen, ökonomischen, landschaftlichen und klimatischen Veränderungsprozesse der Alpenregion thematisierte. „Fom A to B, 1998 – 2023“ ist der Titel seiner Installation zu einer 25 Jahre umspannenden Erforschung des Anthropozäns. Es ist das Zeitalter, in dem der Mensch zu einem der wichtigsten Einflussfaktoren auf die biologischen, geologischen und atmosphärischen Prozesse auf der Erde wurde. Die Fotografien zeigen eindrücklich Öl- und Gasfelder in Russland, Aserbaidschan und dem Nahen Osten, Flussdämme in China und Uranminen in Niger. Für die Ausstellung neu erstellte Fotos thematisieren die wachsende Rolle der belgischen Nordsee als Drehscheibe für eine diversifizierte Energieerzeugung, die sich die starken See-Winde und die nukleare Energieinfrastruktur effektiv zunutze macht.

Die Notwendigkeit, erneuerbare Energiequellen in großem Umfang zu erschließen beschäftigt auch das niederländische Landschaftsarchitekturbüro Feddes-Olthof. Das Projekt Energy Island schafft innovative Landschaften für eine nachhaltige Energieversorgung: Eine künstliche, ringförmige Insel mit einem Durchmesser von fünf Kilometern kombiniert Offshore-Windparks, schwimmende Solarpaneele und Meerwasserbatterien zur Energiespeicherung. Die künstlichen Dünen, Watte und Salzwiesen wandeln sich zu neuen Ökosystemen, die Inseln könnten überdies zum attraktiven Ziel für nachhaltigen Tourismus werden. Dazu passend, die 2023 verfasste Erklärung von Ostende: Neun europäische Länder beschließen, die Nordsee in das größte Energiekraftwerk der Welt verwandeln zu wollen.

Das Grüne Gold

An der vierten Tischinsel begegnen wir Paul Duvigneaud, einem Visionär und Pragmatiker. Der ausgebildete Botaniker und Chemiker hat sich bereits in den 1960er Jahren mit den großen Umweltgefahren auseinandergesetzt, den CO2 Anstieg in der Atmosphäre analysiert und den Klimawandel vorhergesagt. Er warnte vor der Kernenergie und schlug Szenarien für einen schrittweisen Übergang zu dezentralen alternativen Energiequellen vor: Windkraft, Solarenergie und vor allem Biomasse, als „Grünes Gold“ bezeichnet, bei der die modernisierte Landwirtschaft eine wesentliche Rolle spielen sollte.

Die wandfüllende Landkarte ist ein Konzept des renommierten Architekturbüros OMA (Rem Koolhaas), und zeigt wie Europa durch die vollständige Integration und Synchronisierung der EU-Energie-Infrastruktur den größtmöglichen Nutzen aus seiner geografischen Vielfalt ziehen kann. „Eneropa“ ist eine spekulative Karte, die sich Europa als eine Reihe von Regionen vorstellt, die nach der Art der erneuerbaren Energie benannt sind. Sein Masterplan „Roadmap 2050“ zeigt einen praktischen Leitfaden für ein wohlhabendes, kohlenstoffarmes Europa auf.

Bleibt noch auf den Film „The Great Endeavor“ zu verweisen, in dem der Architekt und Filmemacher Liam Young die Frage stellt, ob für die Erreichung der Klimaziele allein die Senkung der künftigen Emissionen ausreicht, oder ob es Anstrengungen braucht, bereits vorhandenes Kohlendioxid aus der Atmosphäre zu entnehmen und in Gigatonnen unterirdisch zu speichern. Ein dystopisches Szenario, nicht von Menschen, sondern von Maschinen gedacht.

Und auch der „Red carpet“ ist inhaltsschwer: Architekt Philippe Rahm plädiert angesichts der dringenden Notwendigkeit, den Energieverbrauch und die CO2-Emissionen zu reduzieren, den thermischen Wert des Dekorativen neu zu überdenken und die Inneneinrichtung zu nutzen, um das Raumklima in Häusern zu optimieren – die rote Farbe wirkt wärmend auf den Menschen.

[ Der Text erschien in KULTUR - Zeitschrift für Kultur und Gesellschaft, November 2024, http://www.kulturzeitschrift.at ]

newroom, Di., 2024.10.29

26. Juni 2024Martina Pfeifer Steiner
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Heilende Architektur

Zum Krankenhausbau in Vorarlberg gibt es eigentlich lauter gute Beispiele: das Krankenhaus Dornbirn mit der subtilen Farbgebung in den einzelnen Stationen;...

Zum Krankenhausbau in Vorarlberg gibt es eigentlich lauter gute Beispiele: das Krankenhaus Dornbirn mit der subtilen Farbgebung in den einzelnen Stationen;...

Zum Krankenhausbau in Vorarlberg gibt es eigentlich lauter gute Beispiele: das Krankenhaus Dornbirn mit der subtilen Farbgebung in den einzelnen Stationen; das Landeskrankenhaus Feldkirch mit ganz neuer Eingangsgestaltung, abgesehen von den Neubauten und dem erschließungsraumgreifenden Lehmbaukunstwerk; neugierig dürfen wir auf den Neubau des Landeskrankenhauses Rankweil sein … man könnte hier freilich noch einige gelungene Adaptierungen anführen. Auch wenn das Individuum lieber nichts in bzw. mit Krankenhäusern zu tun haben will und vielleicht deshalb räumliche Befindlichkeiten gar nicht wahrnimmt oder reflektiert, ist es umso spannender, diese Thematik fundiert und inspirierend aufbereitet zu servieren. Aktuelle Entwicklungen zu zeigen, die auf Herausforderungen der heutigen Zeit antworten, ist auch das große Anliegen des Vorarlberger Architektur Instituts. Darum bringt das vai die aufsehenerregende Ausstellung „Das Kranke(n)haus. Wie Architektur heilen hilft“ des Architekturmuseums der Technischen Universität München nach Dornbirn.

Gesundheitswirksame Architektur

In einer breit angelegten Forschungsarbeit von Naturwissenschaftlerin Tanja C. Vollmer – sie ist seit 2019 Gastprofessorin für Architekturpsychologie und Gesundheitsbau an der TUM – in Kooperation mit der niederländischen Architektin Gemma Koppen wurde die Theorie zum neuen Raummaß einer heilenden Architektur und der Begriff Raumanthropodysmorphie entwickelt: „Er fasst die komplexen Zusammenhänge in einer simplen Formel zusammen: Wenn der Körper schwer erkrankt, erkrankt der Raum mit ihm. Zu diesen „Raumerkrankungen“ zählen die messbaren Veränderungen der Wahrnehmung Kranker, wie beispielsweise die Herabsetzung der Aufmerksamkeit und Orientierungsfähigkeit, gesteigerte Empfindlichkeit gegenüber Umweltreizen, der Verlust der Verarbeitung von Sinnesreizen und die Fehleinschätzung von räumlichen und zeitlichen Maßen. Sie treten krankheits- oder therapiebedingt auf sowie infolge der existenziellen psychischen Belastungen“. Im Zentrum der Betrachtung stehen eine psychologisch unterstützende Gestaltung (Evidence Based Design) von Krankenhäusern und sieben Umgebungsvariable, die beeinflussen wie schädigender Stress im Krankenhaus erlebt wird.

Diese „heilenden Sieben“ – Orientierung, Geruchs-, Geräuschkulisse, Privatheit, Stimulationsaspekte, Aus- und Weitsicht, Menschliches Maß – werden in der Ausstellung mit beispielgebenden Projekten sehr gut vermittelt. In einem Lehrforschungsprojekt an der TUM beschäftigten sich Masterstudierende mit herausragenden Krankenhausbauten und analysierten sowie ordneten sie nach diesen Aspekten. Narrative Isometrien, einem 3-D-Comics gleich, bringen die Ergebnisse auf den Punkt. Zum Beispiel die Zeichnung der Schnittstelle aus Verkehrskorridor, Behandlungs- und Warteraumkette in der Ambulanz des Bürgerspitals Solothurn mit den vielschichtigen Sichtbeziehungen. Offenkundig weiß auch die Ausstellungsarchitektur die Variablen zu akzentuieren, wie hier mit einem großen runden Ausschnitt oder an anderer Stelle mit Rückzug und Privatheit. Durch die räumliche Gliederung der farblich abgestimmten freistehenden Tafeln in kleinere Kabinette und Nischen kann man die kurzen Texte gut erfassen und die aussagekräftigen Fotos in Ruhe betrachten.

Atmosphäre schaffen

Im Bereich der Therapie- und Nachsorgeeinrichtungen, die nicht so stark reglementiert, technisiert und nicht so komplex sind wie Krankenhäuser, lassen sich die wissenschaftlichen Erkenntnisse über den Einfluss von Architektur auf die Gesundheit etwas leichter umsetzen. Diese Kliniken stellen seit Langem erfolgreiche Experimentierfelder heilender Architektur dar. Im diesem Thema gewidmeten zweiten Teil der Ausstellung wird das Neurorehabilitationszentrum Basel von Herzog & de Meuron ausführlicher betrachtet: Licht, offen, mit viel Holz vermitteln Innenhöfe, Plätze und Wege einen stadtähnlichen Charakter, in dem sich die Menschen trotz eingeschränkter Mobilität intuitiv bewegen können. Die Zimmer im Obergeschoß bieten großzügige Ausblicke in die Umgebung und kugelförmige „Sky Lights“ an der Decke sogar zum Himmel, deren Wirkung auf Wachkomapatienten untersucht wurde.

Oft zitiertes Beispiel sind die Maggie´s Centres: Die Initiatorin Maggie Keswick Jencks wollte aufgrund ihrer eigenen schweren Erkrankung einen Gegenentwurf zu den sterilen Umgebungen universitärer Krebskliniken finden, nämlich psychoonkologische Behandlungs- und Begegnungszentren. Inzwischen haben bekannte Architekturbüros aus aller Welt Maggie´s gebaut – die Visionärin erlebte leider die Eröffnungen nicht – und das auf einem „Briefing der Sinne“ beruhende Raumprogramm in vielfältige, hochwertige Architektur übersetzt. Drei Beispiele sind im vai zu sehen: Maggie´s Fife von Zaha Hadid (2006), Maggie´s Gartnavel von OMA (2011) und Maggie´s Manchester von Foster + Partners (2015), das durch Holzfachwerkträger und großflächige Verglasungen eine besondere Atmosphäre schafft. Es gehört zur onkologischen Abteilung des Krankenhauses und bietet mit Gewächshaus, begrünten Höfen, Küche, gemütlichen Sitzgruppen höchst angenehme Aufenthaltsqualitäten.

Ziemlich ambitioniert war wohl die Anfrage des vai-Kurators Clemens Quirin diese wichtige Ausstellung des Architekturmuseums der TUM nach Dornbirn zu bringen. Das Münchner Museum hat in der Pinakothek der Moderne nämlich 600 Quadratmeter zur Verfügung und in den vai-Räumlichkeiten sind es 150. Und wie gut das gelungen ist! Ein ausgeklügeltes Arrangieren der Tafelelemente lässt den inspirierenden Weg durch die thematischen Gruppierungen ohne inhaltliche Schmälerung finden, nur die Modelle mussten für die Adaptierung weggelassen werden.

Wie brisant die Anregungen über innovative Ansätze im Gesundheitsbau nachzudenken sind, zeigen die vielen Anmeldungen von Gruppen aus Kommunen und Institutionen, berichtet Direktorin Verena Konrad. Empfehlenswert ist auch das Begleitprogramm mit Ausstellungsführungen des vai-Kurators, Exkursionen in Vorarlberger Krankenhäuser, Vorträge und die sehr schön gemachte begleitende gleichnamige Publikation.

[ Der Text erschien in KULTUR - Zeitschrift für Kultur und Gesellschaft, Juli/August 2024, http://www.kulturzeitschrift.at ]

newroom, Mi., 2024.06.26

08. März 2024Martina Pfeifer Steiner
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Innovativer Ideenpool

Mit einem speziellen Auftakt, nämlich der Preisverleihung des Ideenwettbewerbs Europan 17, startet die kommende Ausstellung im vai Vorarlberger Architektur...

Mit einem speziellen Auftakt, nämlich der Preisverleihung des Ideenwettbewerbs Europan 17, startet die kommende Ausstellung im vai Vorarlberger Architektur...

Mit einem speziellen Auftakt, nämlich der Preisverleihung des Ideenwettbewerbs Europan 17, startet die kommende Ausstellung im vai Vorarlberger Architektur Institut in Dornbirn. Europan ist ein europaweit offener Wettbewerb zum Thema Architektur, Städtebau und Landschaftsarchitektur mit der Besonderheit, dass einzige Einschränkung zur Teilnahme die Altersgrenze von vierzig Jahren ist. Die junge Generation ist also gefragt, ohne irgendwelche Kammer-Befugnisse, Konzessionen, was auch immer, sondern mit guten, innovativen, zukunftsfähigen Ideen und interdisziplinären Ansätzen. Seit dem Start 1989 hat sich das europäische Kooperationsprojekt zu einem der weltweit größten Think-Tanks entwickelt, 25 Länder und mehr als 600 Städte bzw. Gemeinden haben sich bis jetzt an einem der Wettbewerbsverfahren mit anschließendem Umsetzungsprozess beteiligt.

Die weitere Besonderheit ist nämlich, dass es vorerst keinen Realisierungsdruck gibt, wie bei üblichen Wettbewerben, wo die Ausschreibung schon vieles vorwegnimmt und determiniert. Bei Europan geht es darum, die Perspektiven zu erweitern, frei zu denken, Potenziale aufzuspüren um die Lebensräume zu verbessern, positive soziale, ökologische, kulturelle Veränderungen voranzutreiben sowie die Brücke zwischen Ideen und Umsetzungsprozessen zu schlagen. Europan17 steht diesmal unter dem Motto „Living Cities“: Wie können wir die Regenerationsfähigkeit von Lebensräumen stärken, wie Sorgetragen und eine gute Grundlage für jedes Leben auf unserem Planeten schaffen? „Care“ ist das Schlagwort. Ein neues Verständnis der Koexistenz muss anstelle von „weiter wie bisher“ treten!

Wien Graz Lochau Celje

An dieser Runde nehmen insgesamt 52 Städte aus elf verschiedenen europäischen Ländern teil, in Österreich gibt es eine Kooperation mit Slowenien. Es wurden vier Standorte mit spezifischen lokalen Herausforderungen als Wettbewerbsgebiet ausgewählt: In Wien ist ein visionärer Masterplan mit urbanem Paradigmenwechsel bezüglich Stadtklima und gerechter Teilhabe im Quartier entlang der U2-Linie im 22. Bezirk gefragt. In Graz gibt es Potenzial zur Entwicklung der Infrastruktur in Gösting, um als neue Mobilitätsdrehscheibe auch das soziale Umfeld zu stärken. Das Gelände der ehemaligen Zinkhütte wird in Celje zur Chance den jahrhundertealten Konflikt zwischen Industrie und Ökologie zu überwinden. Und für die Gemeinde Lochau wurden ebenfalls von den besten Teams junger Planerinnen Strategien für ressourcenschonende und innovative Architektur entwickelt.

Die ausgewählten Kommunen müssen zwar einen nicht unerheblichen finanziellen Beitrag leisten, sie sind damit jedoch – in einem von der Vorbereitung bis zur Umsetzung professionell und engagiert abgewickelten Gesamtprozess – Teil des Kompetenznetzwerks europäischer Planungskultur, die nach ganzheitlichen und fürsorglichen Lösungen sucht. Eindrucksvoll liest sich die umfangreiche Auslobung für Lochau, die den Ort im städtebaulichen, geografischen, ökologischen und geschichtlichen Kontext betrachtet. In monatelanger Recherchearbeit und einigen Workshops vor Ort wurden vom Europan-Team Planungsperimeter festgelegt: nämlich der eigentliche Projektstandort und dazu das größere Reflexionsgebiet, in dem dieser verankert ist.

Wo Wildnis noch gedeiht

Die Menschen in Lochau empfinden das Ufer am Bodensee – in diesem Abschnitt unverbaut und öffentlich zugänglich! – als ihren wertvollsten und schönsten Ort. Hier befinden sich der Yachthafen, ein Hafengebäude und die alte, identitätsstiftende Fähre, die als Restaurant bzw. Kiosk gestrandet ist, doch nun durch Korrosion so fortgeschritten verfallen, dass eine Renovierung wohl zu teuer wäre. Die Aufgabenstellung lautete: Wie können die Qualitäten dieses ausnehmend schönen Standorts gestärkt sowie mit Nutzungsmöglichkeiten als gastfreundliches Umfeld für alle Menschen – ob alt oder jung, einheimisch oder Gast, Schwimmer, Segler, Spazierende – angereichert werden. Im großen Zusammenhang sollten zudem der Rhythmus der Küstenlinie und die Verbindung zum Dorf Lochau strategisch untersucht werden. Wie könnte der trennende Mobilitätskorridor – Bahnlinie und Straße – aufgeweicht und integraler Bestandteil des urbanen Gefüges werden?

Das Gewinnerprojekt arbeitete laut Jury am besten die Gesamtstruktur heraus, insbesondere im Hinblick auf die Naturlandschaft mit den vielen Bächen und Wasserläufen. „Die Idee eines Bandes um Lochau mit einem Garten im Inneren ist äußerst überzeugend“, und die Wiesen als Grünkorridore zu erhalten sei ein wesentlicher Aspekt, der von der Gemeinde unmittelbar umgesetzt werden könne. Dass die alte Fähre im gemeinschaftlichen Event fragmentiert wird – Erinnerungsstücke davon wandeln sich zu Pflanzentrögen – sei ebenfalls identitätsstiftend.

Im Kerngebiet selbst wird die Position der Fähre durch einen biophilen Neubau übernommen, bei dem die Vegetation den wesentlichen Teil der Fassadengestaltung darstellt. Auf dem im Erdgeschoß zum großen Teil transparenten Gebäude sitzt ein überhöhter Dachaufbau mit Dachterrasse und überdimensionalen Lichtschächten, die viel Sonne ins Restaurant schicken. Die umfassende Fassadenschicht ist üppig bepflanzt um ganz im Sinne der Artenvielfalt Vögel und Insekten anzulocken. Ein ausgeklügeltes Bewässerungs- sowie Belüftungssystem und die großzügige Sitzstufenanlage Richtung Westen und Lindauer Skyline sind ebenfalls Pluspunkte. So würde in Zukunft mit der „Lochauer Laube“ ein neuer Treffpunkt für alle im Küstengarten entstehen.

Das Ergebnis des Europan-Wettbewerbs dient nun als Machbarkeitsstudie und bildet die Grundlage für die Realisierung des Gebäudes, das in einem anschließenden Wettbewerbsverfahren ausgeschrieben wird. Das Gewinner-Team um Christopher Gruber und Christina Ehrmann wird selbstverständlich in die mittel- bis langfristige Entwicklung des Hafengebiets einbezogen.

Zur Vernissage im vai gibt es also die feierliche Preisverleihung, als Keynote-Speaker konnte der bekannte Architekturtheoretiker Bart Lootsma gewonnen werden. Sämtliche ausgezeichnete Projekte – Gewinner, Nachrücker, die besonderen Erwähnungen, die auf der Shortlist – aller vier Standorte von Europan17 Austria werden präsentiert, die Preisträger mit kurzem Video. Damit so eine Ausstellung von Wettbewerbsergebnissen auch für das breite Publikum interessant und leicht zugänglich vermittelt wird, bietet das vai wieder die bewährten Führungen mit dem Kurator Clemens Quirin an. Die Schau wird dann weiter wandern, nächste Station ist Lochau.

[ Der Text erschien in KULTUR - Zeitschrift für Kultur und Gesellschaft, März 2024, http://www.kulturzeitschrift.at ]

newroom, Fr., 2024.03.08

05. März 2024Martina Pfeifer Steiner
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Unkonventionelle Bestandsaufnahme

Überraschendes Pocket-Format, sehr modern, im besten Sinne. Vielleicht wollte sich Heinz Wäger auch selbst überraschen lassen, was daraus wird, wenn er...

Überraschendes Pocket-Format, sehr modern, im besten Sinne. Vielleicht wollte sich Heinz Wäger auch selbst überraschen lassen, was daraus wird, wenn er...

Überraschendes Pocket-Format, sehr modern, im besten Sinne. Vielleicht wollte sich Heinz Wäger auch selbst überraschen lassen, was daraus wird, wenn er einen Spalt aufmacht, zum Einblick in 60 Jahre Gestaltung, und wie weit seine initiative Tochter und der Grafiker diesen öffnen werden, wo der Lichtkegel hinfällt, was beleuchtet wird. Die Vorarbeit hat er geleistet. Heinz Wäger fasste den Entschluss Ordnung zu schaffen, aufzuarbeiten was ein Lebenswerk ist, und mit Umsicht und Freude lud er in das „Exil“, sein Atelier, gab vier Monate lang Einschau (siehe Kultur Nov. 22). Dass das Vorarlberg Museum dann am Vorlass Interesse zeigte, und man zudem feststellte, dass dieses Werk genügend Stoff und Themen für eine Publikation hergibt, war die Folge.

Uta Belina Waeger kann ihren Vater für das konsequente Durchziehen dieses Vorhabens nur bewundern, wie sie im Vorwort schreibt, und zieht den Hut vor „seinen Anfängen in den Neunzehnfünfzigern, als ihm sein Malermeistertum nicht ausreichte und er – ohne Matura – ein Designstudium an der Hochschule für Gestaltung in Ulm draufsetzte“. Im Interview der Mitherausgeberin für das Vorarlberg Museum, Ute Denkenberger, erzählt Heinz Wäger ausführlich über seinen Werdegang, seine Ideen, seine Anliegen, aber auch bemerkenswert Originelles aus seinen jungen Jahren: wie er nach der Gesellenprüfung in die Schweiz zum Arbeiten ging und sich mit dem ersten verdienten Geld „im März 1957 von Götzis aus mit dem Fahrrad auf eine fünfmonatige Reise“ begab, die ihn und seinen Malerkollegen Werner bis nach Marokko führte! Dieser Freund habe ihm auch zugeredet, die Aufnahmeprüfung in Ulm zu machen.

Design und Architektur

Neben der Galerie QuadrArt von Schwiegersohn Erhard Witzel ist Verena Konrad für das vai Vorarlberger Architektur Institut die dritte im Bunde der Herausgeberschaft. In ihrem Essay „Gestaltung als Haltung“ widmet sie sich tiefgründig den Lehren aus Ulm und den Anfängen der Hochschule für Gestaltung (HfG) rund um die Geschwister Scholl und Otl Aicher. Man kann ein Gefühl dafür bekommen, was der Student aus dieser Lebensstation mitgenommen hat: „Die in Ulm erlernte Arbeitsweise, Aufgaben als Probleme zu behandeln, interdisziplinär zu betrachten und Lösungen zu suchen, hat Heinz Wäger nie aufgegeben. Ein Erbe aus Ulm ist zudem die strenge Methodik und Exaktheit der Sprache und schließlich das Entwickeln oder Anwenden systemischer Verfahren“.

Diese Publikation will keine Monografie sein und es auch nicht mit dem Buch über seinen berühmten Bruder Rudolf Wäger, einem der Pioniere der Vorarlberger Baukünstler, aufnehmen. Doch jede Erzählung über die Wäger Brüder beginnt eigentlich mit Heinz, dem ältesten, der durch viel Anregung und Material aus Ulm die jüngeren beeindruckte. Da wollten die drei – Heinz gerade das erste Studienjahr, Siegfried die Maurer- und Rudolf die Zimmermannslehre absolviert – schon einmal zeigen, was sie unter Architektur verstehen und errichteten eigenhändig auf Vaters Grundstück ein radikal-modernes Haus mit Flachdach in Götzis. Wie es mit der Architektur dann bei Heinz weiterging, berichtet Architekturhistoriker Robert Fabach sehr fundiert und ordnet dessen Œuvre in den „gebauten Diskurs“ der Vorarlberger Baukultur ein.

Zur außergewöhnlichen Buchgestaltung von Wolfgang Ortner – Grafiker in Linz und als Partner der Enkelin verwandtschaftlich verbunden – gibt es ebenfalls noch einiges anzumerken: Er wollte ein Gebrauchsbuch machen, ein handliches, zum Einstecken, das auch für junge Architekten und Designer interessant ist, inspiriert von den radikalen Ansätzen des Protagonisten, genauso gut durchdacht und sparsam im Umgang mit den Ressourcen, ohne Premiumanspruch, nicht luxuriös, aber innovativ. Es sind im Endeffekt zwei Softcover-Büchlein geworden, das Papier leicht in der Grammatur, doch nicht zu dünn. Der Standardkarton der beiden Umschläge ergibt vollflächig zusammengeklebt eine feste Registerkarte, die den Textteil von jenem mit den Bildern markant trennt. Eine Bestandsaufnahme, die von der Recherche über 60 Jahre Gestaltung in Architektur, Design, Objekt berichtet und über einen, der sich nie ins Rampenlicht stellen wollte, sondern
konsequent seine Visionen verfolgt hat.

[ Der Text erschien in KULTUR - Zeitschrift für Kultur und Gesellschaft, März 2024, http://www.kulturzeitschrift.at ]

newroom, Di., 2024.03.05



verknüpfte Publikationen
Heinz Wäger

16. Januar 2024Martina Pfeifer Steiner
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Illustres Begleitbuch zur Neuentdeckung des Wien Museum

So schön gemacht, die Dokumentation zur Erweiterung des wiedererweckten Museums am Karlsplatz. Die haptischen Qualitäten zeigen sich unmittelbar beim Buchdeckel...

So schön gemacht, die Dokumentation zur Erweiterung des wiedererweckten Museums am Karlsplatz. Die haptischen Qualitäten zeigen sich unmittelbar beim Buchdeckel...

So schön gemacht, die Dokumentation zur Erweiterung des wiedererweckten Museums am Karlsplatz. Die haptischen Qualitäten zeigen sich unmittelbar beim Buchdeckel aus dickem Karton mit reliefartiger Schraffur, die offensichtlich auf die Betonfertigteilfassade des schwebenden Aufbaus des „Wien Museum Neu“ verweist. Und schon beim Durchblättern ist man gebannt von der „Sichtweise“ im ersten Teil mit der fotografischen Annäherung, versteht was die Architekten mit städtebaulicher Akzentuierung und dem Dialog des Wien Museums mit der Karlskirche meinen könnten. Der Autor und für die Buchkonzeption zuständige Journalist Wojciech Czaja ist ein versierter Architekturvermittler. Es gelingt ihm, dass sich auf den ersten Blick – obwohl man mit dem Lesen noch gar nicht begonnen hat – so viele spannende Geschichten erschließen: Ein genialer Kunstgriff, die vielen unterzubringenden Statements von Museumsdirektoren, Kuratorinnen, Bürgermeister, Stadträtin, Nachbarinstitutionen, Bauleitern etc. einer Reportage gleich, passend und bunt zu illustrieren.

Der zweite Buchteil widmet sich der „Bauweise“: von der „Chronik einer konstruktiven Utopie“ zum „Haus im Trialog mit der Stadt und sich selbst“ bis zum geschichtlichen Blick 2000 Jahre zurück; das dritte Buch der „Denkweise“: Was haben die Architekten darüber zu sagen, was die verantwortliche Bauherrschaftsvertretung … Besonders spannend wird es bei der historischen Betrachtung zur Standortfrage: Zuerst sollte nämlich das Städtische Museum Wien in unmittelbarer Nähe des Naschmarkts platziert werden, doch der Bau der Secession drängte sich vor; mit Riesenengagement ließ Otto Wagner ein Mock-up am Karlsplatz aufbauen, die Stadt Wien beschloss jedoch, dass es der Standort der heutigen Stadthalle sein solle, und die Baugrube war bereits teilweise ausgehoben, als der Erste Weltkrieg ausbrach … Genauso interessant ist über die Diskussion zur neuzeitlichen Standortfrage nachzulesen und den Wettbewerb, inklusive der weiteren Vorschläge die mit Preisen und Anerkennungen ausgezeichnet wurden.

Dass in weiteren Essays noch auf die „Sprache des Betons“ als „Einladung zuzuhören“, also den Brutalismus, eingegangen wird, mit den wunderbaren Beispielen, die inzwischen zu Ikonen geworden sind; oder über das „Weiterschreiben der Chronologie“, das uns in die Kathedrale Santa Maria delle Colonne in Syrakus und die Mezquita-Catedral nach Cordoba, bis zum Denkerhaus am Schedelberg von Architekt Peter Haimerl führt, ist eine große Bereicherung.

Man möchte immer weiter- und weiterberichten, doch so wie das – nun für alle geöffnete – „Wien Museum Neu“ Raum für Raum durchschritten und entdeckt werden kann, darf es auch diese Publikation Seite für Seite sein.

newroom, Di., 2024.01.16



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Wien Museum Neu

30. Oktober 2023Martina Pfeifer Steiner
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Bauen oder nicht Bauen

Wir reden vom zivilisationsbedingten Treibhauseffekt. Die gebaute Umwelt ist einer der größten CO2-Emittenten, denn mit Herstellung und Betrieb gehen rund...

Wir reden vom zivilisationsbedingten Treibhauseffekt. Die gebaute Umwelt ist einer der größten CO2-Emittenten, denn mit Herstellung und Betrieb gehen rund...

Wir reden vom zivilisationsbedingten Treibhauseffekt. Die gebaute Umwelt ist einer der größten CO2-Emittenten, denn mit Herstellung und Betrieb gehen rund vierzig Prozent der klimaschädlichen Treibhausgase auf dieses Konto. Und da ist das Phänomen des Klimawandels – also die Abkühlung oder Erwärmung des Erdklimas über einen langen Zeitraum – kein Argument zur Beschwichtigung, um sich aus der Verantwortung zu stehlen. In der Ausstellung im Vorarlberger Architektur Institut über Strategien für die Material- und Bauwende werden fünf Ansätze zum klimafreundlichen Bauen vorgestellt und tiefgründig Wechselwirkungen, Herausforderungen sowie Grenzen diskutiert.

Schon die Ausstellungsarchitektur ist ein Statement. Aufgeräumt, auskomponiert, in strenger Ordnung bilden rote und blaue Fenster, unterschiedlichen Formats, die wandfüllenden Rahmen für ganz viel Information. Dem Kurator Clemens Quirin ist es gelungen, die fünf Themen sehr gut – und unangestrengt aufzufassen – in die Tiefe zu strukturieren. Ein Fokusprojekt wird jeweils illustriert herausgezoomt, weitere könnte man sich sogar über die QR-Code Icons mit nach Hause nehmen. Dass in dieser Causa den Leuten erklärende Texte nicht erspart werden können, ist klar. Spannend und Nachdenkens wert sind sie, und als zusätzliches Feature hat der vai-Kurator für eine künstlerische Intervention den Schweizer Beni Bischof eingeladen. Pointiert-ironisch gezeichnete Kommentare hat dieser auf die Wand gekritzelt –überrascht, lächelnd, zustimmend nickend bleibt man daran hängen.

Ein Exempel für Re-use

Witzig ist auch die Installation im Entree der Ausstellung: Vor den hochformatigen Fensterelementen mit den grafisch-elegant gestalteten titelgebenden Begriffen „Refuse, Reduce, Re-use, Recycle, Rot“ stehen Skulpturen, die unschwer als liegende Heizkörper identifizierbar sind. Man darf sich draufsetzen, denn die Rippenradiatoren sind mit Kabelbindern auf den Untergestellen der üblichen vai-Bestuhlung fixiert, ganz einfach! Das ist wieder typisch Daniel Büchel, der die Ausstellung gestaltete. Dokumentiert ist in diesem Bereich obendrein der Ausbau der wiederverwendeten Fenster aus dem partiellen Abbruch der Textilschule Dornbirn. Sauber und makellos bilden sie die rot-blau gerasterte Kulisse der Ausstellung.

Da lohnt es sich doch nachzufragen, warum diese Fensterelemente bei der groß angelegten Sanierung nicht mehr brauchbar gewesen wären: Die Cukrowicz Nachbaur Architekten haben den Wettbewerb gewonnen und diese Themen ausführlich – unter Mitwirkung des Denkmalschutzes – behandelt. Um hier nicht ins Detail zu gehen: im Endeffekt wird alles, was nicht total kaputt ist (teilweise sogar morsch) sorgfältig ausgebaut und zur Abholung bereitgestellt. Und bei diesem Exempel werden die Hürden für ein sinnvolles Re-use sehr deutlich. Auch wenn einerseits die aufwändige Demontage engagiert übernommen wird, wer kann das gerade dann brauchen, einplanen, abholen, mitunter lagern? Die Transportwege sollten ökologisch wie ökonomisch vertretbar sein und es sind eigentlich von vornherein neue Entwurfsmethoden erforderlich.

In der Ausstellung wird dazu als Fokusprojekt das „Impact Hub at Crclr-House“ auf dem Gelände der ehemaligen Kindl-Brauerei in Berlin, der LXSY Architekten angeführt, die übrigens auch das im vai aufliegende Brettspiel „Trivial Circuit“ kreierten. Vom großen Revitalisierungsprojekt in den Hallen der Campus Väre hinter der Fachhochschule dürfen wir jedoch ebenso Außergewöhnliches erwarten. Die Weichen sind gestellt und die Beteiligten prüfen die Wiederverwendung von Bauteilen im großen Stil aus der Textilschule (siehe Artikel in der Kultur 10/23).

Recyling ist Downcycling

Zur farblichen Ausgewogenheit in der Ausstellung brauchte es zu Rot und Blau noch Gelb. Ausrangierte Garderobenspinde, ungewohnt konfiguriert, verwandeln sich in Pulte oder öffnen sich zur Präsentation von Modellen wiederverwendbarer Bauteilinventarien, die bei einem Forschungsprojekt entstanden sind: Die Gebäude der Universität Liechtenstein wurden hypothetisch zerlegt und stufenweise die Recycling- bzw. Re-Use-Potentiale untersucht.

Inzwischen werden nach den geltenden Abfallverordnungen knapp neunzig Prozent der Bauabfälle rezykliert. Zu beachten ist allerdings: Recycling bedeutet zumeist ein Downcycling und die Herstellung von solchen Baustoffen ist durchwegs genauso energieintensiv wie die Neuproduktion, für Betonrecycling benötigt man sogar mehr Zement. Zudem ist diese hohe Recyclingquote etwas verzerrt: Gerechnet wird nach Gewicht, nicht in Volumen, und die großen Mengen an leichten Dämm- und Verbundstoffen werden zumeist nur thermisch oder energetisch verwertet. Nicht berücksichtigt sind dagegen Aushübe, die mit fast sechzig Prozent den größten Anteil am Abfall in Österreich ausmachen. Man denke an Tiefgaragen, Straßen- und Tunnelbauten, das landet alles auf der Deponie!

An dieser Stelle switchen wir zum Kapitel „Rot“. Massen an Aushüben ließen sich für Stampflehmmischungen verwenden. Lehm ist ein krisensicherer Rohstoff, lokal verfügbar, CO2- sowie (vom Material her) kostensparend, und kann ohne Qualitätsverlust wiederverwendet oder der Natur zurückgegeben werden. Leuchtturmprojekte gibt es bekanntlich in Schlins. Es wurden aber auch schon Häuser mit Wänden aus Strohquaderballen errichtet, und die Vorzüge des nachwachsenden Baustoffs Holz sind mittlerweile breitenwirksam anerkannt.

Wir könnten noch den schönen Begriff der „Frugalität“ in die Betrachtung aufnehmen. Darunter wird eine befruchtende Genügsamkeit verstanden, freudvoll und kreativ, eine ganzheitliche Bescheidenheit auf allen Ebenen der Bauwirtschaft: Sei es in der Herstellung (fünfzig Prozent der CO2 Emissionen von Gebäuden passieren vor Inbetriebnahme), der Energieeffizienz bei Nutzung, im maßvollen und angepassten Einsatz von Technik, in der Verwendung ökologischer, lokal verfügbarer Baustoffe und im sparsamen Umgang mit Grund und Boden. Reduce!

„To build or not to build“ ist also nicht die Frage, sondern WIE? Der schlagartig einsetzende, umfassende Bewusstseins-Wandel ist unabdingbar. Jetzt.

newroom, Mo., 2023.10.30

25. Juli 2023Martina Pfeifer Steiner
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Armando Ruinelli. Weiterbauen im schweizerischen Bergell

Zurückhaltend grau, mit in Leinenoptik eingeschlagenem Softcover, gibt sich die erste große Werkschau von Armando Ruinelli. Man muss den Katalog schon...

Zurückhaltend grau, mit in Leinenoptik eingeschlagenem Softcover, gibt sich die erste große Werkschau von Armando Ruinelli. Man muss den Katalog schon...

Zurückhaltend grau, mit in Leinenoptik eingeschlagenem Softcover, gibt sich die erste große Werkschau von Armando Ruinelli. Man muss den Katalog schon aufschlagen und im wunderbaren Bildessay der Künstlerin Katalin Deér zu blättern beginnen, um fasziniert unbedingt weiter entdecken und sich einlassen zu wollen. In einem 100 Einwohner-Dorf – Solio, im schweizerischen Bergell – wohnt und wirkt der Architekt. „Hier wird der gelernte Bauzeichner zuerst autodidaktisch zum Architekten und dann zur Autorität, wenn es um das Weiterbauen eines Ortes geht, eines Ortes in den Bergen. Er lehrt an Architekturhochschulen, hält Vorträge, sitzt in Jurys und Gestaltungskommissionen. Und er baut. Nicht viel, aber fein“, stellt der Herausgeber und bekannte Architekturpublizist Axel Simon markant fest.

Armando Ruinelli ist eine Ausnahmeerscheinung. „Leggere il tempo“ ist nicht nur der Untertitel der Monografie, sondern auch die Überschrift für das Gespräch, das der Architekt mit Anna Innocenti über sein Vorgehen beim Entwerfen, das Altern von Materialien und über „slow architecture“ führt. Die Zeit lesen. Weitere Dialoge gliedern eine spannend und klug gemachte Bauwerksdokumentation: einer mit Gion A. Caminada über Dorferneuerung, Ortsbildschutz und den Architekten als politischen Akteur, „Zwischen Erhalten und Gestalten“; und das Gespräch mit Florian Aicher „Der Bauer, der Wirt, der Architekt.“ Dabei erfährt man über die Anfänge des Architekten, die Entwicklung seiner Themen und seine Rolle im Dorf: Nach seiner Bauzeichner-Lehre sei Ruinelli einfach geblieben, hat sich dann „auch ausgiebig reisend, selbst weitergebildet“, bis einmal der Bürgermeister vorbei kam, mit dem Auftrag, ein Stück Mauer im Dorf zu planen. Das zweite Projekt war dann ein Geräteschuppen neben der Kläranlage, und da gab es schon Bedingungen: „Ich mach das, sehr günstig, aber ich mach´s, wie ich es will.“

Bilderreich ist jedes einzelne der 18 Projekte illustriert, dokumentiert mit einen Schwarzplan, der auf einem Blick die ortsbauliche Lage vermittelt; Plänen, die von Interesse sein könnten und wesentlichen, sehr gut lesbaren Bauwerksbeschreibungen. Es beginnt mit dem eigenen Atelier Ruinellis in Soglio aus dem Jahre 1988, baulich unmittelbar anschließend die Casa 65, sein Wohnhaus, das als Ersatzneubau mit den gleichen Abmessungen die alte Struktur wieder aufnimmt.

Raymond Meier, ein in New York lebender Fotograf, hat sich auch in Solio eine Dependance geschaffen, mit Ferienhaus und Atelier sowie der Umnutzung eines Stalls zum Zweitwohnsitz. In diesem Zusammenhang ist zu lesen: „Immer wieder kritisierte Ruinelli die Vorgabe der Denkmalpflege, Ställe müssten nach ihrem Umbau zum Ferienhaus immer noch nach Stall aussehen. Für den Architekten droht so die Musealisierung der Dörfer. Häuser sollten das ausdrücken, was sie sind, nicht was sie waren!“ Und auch Raymond Meier äußert sich über den Planungsprozess in einem Aufsatz: „Ich war ein unmöglicher Bauherr“.

Am liebsten würde man auf alle Bauten in diesem Buch verweisen, wie auf die Schreinerei Spino, wo der junge Schreiner seine Werkhalle selbst bauen wollte; den Umbau der Zimmer im Hotel Waldhaus in Sils Maria oder auf das Atelier für die international bekannte Künstlerin Miriam Cahn in Stampa: ein Betonquader auf einem schmalen Gewerbestreifen zwischen Kantonstraße und Fluss, der auf seinem schwarzen, zurückversetzten Sockel zu schweben scheint. Auch Miriam Kahn schreibt für das Buch einen Text – „Nordlicht in einem Atelier ist ein Klischee“: „Meine einzigen Vorgaben waren: Ich brauche eine Laderampe und 300 m² Fläche, aufgeteilt in drei Zonen – eine Zone zum Arbeiten, eine zum Wohnen und eine zum Lagern ...“

Ein komplettes Werkverzeichnis – etwas ausführlicher die Bauten, die nicht im Hauptteil vorkommen – und ein Blick auf laufende Projekte runden diese Monografie Armando Ruinellis ab. Wer sich darin vertieft und Zeit nimmt, erfährt Substanzielles über das Weiterbauen in der alpinen Lebenswelt.

newroom, Di., 2023.07.25



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Armando Ruinelli Architekten

15. Mai 2023Martina Pfeifer Steiner
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Die Strahlkraft der Villa Rosenthal

Das Literaturhaus Vorarlberg wird in der Villa Rosenthal in Hohenems seinen Platz finden.

Das Literaturhaus Vorarlberg wird in der Villa Rosenthal in Hohenems seinen Platz finden.

Seit Jahrzehnten verfällt die Villa Franziska und Iwan Rosenthal augenscheinlich zunehmend in ihrem Dornröschenschlaf. Jetzt wird sie jedoch einer großen Vision und Initiative folgend nicht nur denkmalschützerisch-akribisch renoviert und der umgebende Park zum Geschenk an die Öffentlichkeit, es entsteht dort mit dem Rathaus-Neubau und Wohn- bzw. Geschäftshäusern auch ein attraktives Quartier am Eingang zur historischen Innenstadt. Dass in diesem städtebaulichen Megaprojekt das Literaturhaus Vorarlberg als wesentlicher Teil gedacht wird, ist ein erfreuliches Bekenntnis zur Kultur. Seit einigen Jahren spannt das Team von „literatur.ist“ (anfänglich literatur:vorarlberg netzwerk) mit großem Engagement ein virtuelles Dach über der Literaturlandschaft Vorarlbergs, bespielt mit Literaturveranstaltungen und Vermittlungsprojekten alle erdenklichen Räume im Ländle, ist deutlich sicht- sowie hörbar geworden, und hat ein fundiertes Konzept erarbeitet um nächstes Jahr eine wirklich-materielle, sehr weitreichende Überdachung zu bekommen.

Revitalisierung

1823 als Bürgerhaus errichtet, ließen Iwan und Franziska Rosenthal dieses 1890 zu einer herrschaftlichen Fabrikanten-Villa erweitern. Für den romantisch-historistischen Bau gewannen sie die zu ihrer Zeit recht berühmten Architekten Alfred Chiodera und Theophil Tschudy, die wenige Jahre zuvor die Synagoge in St. Gallen entworfen hatten und die Villa Patumbah in Zürich, wo nachweislich dieselben Handwerker wie in Hohenems gearbeitet haben. 1938 musste das Anwesen – bestehend aus Herrschaftsvilla, Kutscherhaus, Angestelltentrakt, Wirtschaftsgebäude, dazwischen eine Kegelbahn, und der prächtigen Parkanlage – von der Nichte und Erbin nach ihrer Emigration an den Zahntechniker Hans Schebesta verkauft werden. 1988 wurde der inzwischen teilweise stark verfallene Gebäudekomplex unter Denkmalschutz gestellt.

Als die Villa 2020 wieder zum Verkauf stand startete ein anspruchsvoller Entwicklungsprozess. Die Stadt Hohenems brachte ihre Auflagen bezüglich Nutzung, Durchwegung, Bebauungsplan mit großem Verantwortungsbewusstsein ein. Es benötigte aber auch initiative, begeisterte Kräfte wie Markus Schadenbauer, der schon in großen Teilen Hohenems – wie im vor kurzem fertiggestellten Quartier Schillerallee und bei mehreren Revitalisierungen von Stadthäusern in der Marktstraße etc. – als Projektentwickler hervorgetreten ist, um Investoren zu finden, alle Beteiligten an einen Tisch zu bringen und so das Großprojekt erfolgreich zu realisieren. Dass das Literaturhaus Vorarlberg seinen Platz (es werden 360 m² sein!) in der Villa bekommt, wurde von der Stadtvertretung beschlossen und auch vom Land Vorarlberg gefördert.

Um das städtebauliche Konzept für das gesamte Areal zu entwickeln, bewarben sich namhafte Architekturbüros für einen Intensivworkshop. Die Erkenntnisse daraus wurden dann mit dem Gestaltungsbeirat sowie der Stadt abgestimmt und die Bauprojekte aufgeteilt. Für den Rathaus-Neubau lobte man einen Wettbewerb aus. Die Restaurierung der Villa Rosenthal übernahm Ernst Waibel von Nägele Waibel Architekten, der sich in Hohenems schon bei zahlreichen solchen Projekten bewährt hat. Für Markus Schadenbauer ist aber auch die Verankerung im Bewusstsein der Bevölkerung sehr wichtig. So versucht er die Leute bei derart großen Veränderungen ihrer Stadt von Anfang an miteinzubeziehen. Eine Woche lang gab es täglich Führungen in Kleingruppen durch die Villa um die Herausforderung und Herangehensweise zu vermitteln. Das ist identitätsstiftend und soll auch eine gewisse Vorfreude wecken.

Restaurierung

Architekt Ernst Waibel erläutert, dass der Renaissancebau mit dem steilen Walmdach und der regelmäßigen Fassade, wo sich im Erdgeschoß früher die Zahnpraxis befand, behutsam rückgebaut wird. Der anschließende prächtige Zwischentrakt ist der repräsentative Teil der Villa, das zeigt sich schon im imposanten Treppenhaus mit der sich verzweigenden Stiege, die sich an einer kanzelartigen, üppig barockisiert-geschnitzten Ausbuchtung wieder zusammenfindet, gegenüber ein riesiges Segmentbogenfenster mit rankenden Ornamenten um eine weibliche Figur in aufwändiger bleigefasster Verglasung. Gemalte Putten schmücken die Seitenwände.

Oben angelangt eröffnet sich das prunkvoll geschnitzte Esszimmer mit einem Erkerrundbau zum Park. Dort ist neben dem schweren Luster auch eine sehr seltene reliefartig geprägte Ledertapete zu bewundern. Diese ist offensichtlich beständig und muss nur vorsichtig mit ganz wenig Seifenlaugenwasser gereinigt und an den losen Stellen mit kleinen Nägeln befestigt werden. Solch interessante Details sind vom Südtiroler Markus Pescoller zu erfahren. Er ist der Spezialist in Restaurierung von Putz, Malereien, Tapeten, seine Referenzliste ist endlos lang, auch die Fassade des kürzlich fertiggestellten Parlaments in Wien scheint darin auf. Dies sei eine sehr reich ausgestattete Villa gewesen. Es gibt Räume, in denen die Tapeten repariert und retuschiert werden können, in einem musste man sie komplett abnehmen, weil darunter ein Brandschutzanstrich notwendig ist, in einem anderen Raum traten einige Schichten aus unterschiedlichen Zeiten zutage, wobei die letzte Fassung am wenigsten bietet. Da sind ständig Entscheidungen zu treffen, wie wertvoll oder gut erhalten die älteren Schichten sind, die Farbstimmungen, und wie viel Erzählkraft oder Atmosphäre sie noch haben.

Der Architekt berichtet überdies von vier perfekt erhaltenen Fenstern aus dem Jahr 1923, die innen zutapeziert und außen mit Rollladen verschlossen ihrer Entdeckung harrten. Diese wurden sorgfältig restauriert und für das gesamte Haupthaus nachgebaut. Die Befundung und Aufarbeitung auch von den kunstvoll ausgeführten Holzverkleidungen, Türstöcken, Deckenkassetten, Tafelböden wird einem weiteren Spezialisten überlassen: der Holzrestaurierung Bartsch aus Immenstadt. Seniorchef Helge Bartsch scheut keine Mühe, bis bei jedem Detail die stimmige Lösung gefunden ist. So ist die prächtige straßenseitige Eingangstür schon fertig, die glücklicherweise – achtlos irgendwo abgestellt – gefunden werden konnte. Der darüber auskragende Balkon mit barockisiertem Schmiedeeisengitter bereitet jedoch noch Kopfzerbrechen.

Die große Frage ist auch: Soll man außen den verfallenen Charakter belassen? Markus Pescoller ist grundsätzlich der Idee des „minimo intervento“ näher. Da der Vorbesitzer wesentliche Teile in der Fassade abgeschlagen hat, geht es zuerst einmal um die Teilrekonstruktion und um die Angleichung des Verputzes. Es sollte haptisch möglichst im Original bleiben und wird wohl nicht mit Farbe gestrichen werden. Für den Restaurator ist so eine spannendere Informationsdichte über das Werden und Vergehen zu vermitteln.

Die Kutscheneinfahrt bleibt als großes Durchgangtor zum öffentlichen Park bestehen, von hier aus betritt man dann auch das neue Literaturhaus. Die lange, schmale Verbindung zum ehemaligen Angestellten- bzw. Wirtschaftstrakt – heute wohnt dort noch der Vorbesitzer – war eine Kegelbahn und wird zukünftig als Café das Stadtleben bereichern. Sie wurde in japanischem Stil mit zarten Wandmalereien – asiatische Pflanzen etc., der Künstler signierte mit japanischen Hieroglyphen – gestaltet, die kunsthandwerklich bedeutsame Holzdecke teilweise in Laubsägetechnik gefertigt. Weitere Nutzungen wie ein Buchladen und passende Co-Working-Spaces sind in der revitalisierten Villa Rosenthal angedacht.

Modernisierung

Die Geschäftsführerin des zukünftigen Literaturhaus Vorarlberg, Frauke Kühn, rechnet gar nicht mit einer plötzlich, bei Fertigstellung einsetzenden „Schockverliebtheit“. „Gute Beziehungen wachsen, wir wollen von Beginn an von unseren Vorhaben erzählen, und die Menschen sollen sich eingeladen fühlen, die Villa als Wohnzimmer zu nutzen.“ Abgesehen von literarischen wie fotografischen Hausgeschichten, die den Bauprozess begleiten, wurde vor dem Start bei Lesungen im Gartensalon (Verena Roßbacher im Live-Lektorat) und im Park das zauberhafte Ambiente der Villa schon erlebt.

Als Frauke Kühn am Konzept geschrieben hatte, war sie von der opulenten, monumental wirkmächtigen Villa förmlich erschlagen, muss sie zugeben. Da wäre plötzlich kein Quadratzentimeter mehr frei gewesen, die Idee des Literaturhauses zu denken. Erst als sie von jeglichen Hausmauern im Kopf befreit herumreiste und sich allerorts Anregung und Input geholt hat, fand sie einen neuen Blick auf die vorgefundenen, nicht veränderbaren Räume. Was bedeuten, wie funktionieren Gartensalon, Esszimmer, Spielzimmer, Wintergarten in einem Haus? Auf Basis dieses Verständnisses war plötzlich alles vorstellbar und fügte sich wie von selbst. Dieses Haus mit unendlich viel Patina, das eine überwältigende Geschichte erzählt, ist kein Museum. Es darf würdevoll, mit modernen Ansprüchen in die heutige Zeit transformiert werden, und es wird so möglich sein, auf inspirierende Weise mit der Vergangenheit zu kommunizieren, aber auch die eigenen Geschichten zu finden und die Räume mit neuem Leben zu erfüllen.

[ Der Text erschien in KULTUR - Zeitschrift für Kultur und Gesellschaft, Mai 2023, http://www.kulturzeitschrift.at ]

newroom, Mo., 2023.05.15

16. April 2023Martina Pfeifer Steiner
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Heiße Diskussion in kühlen Speichern

Die neu aufgesetzte Dauerausstellung zur Schausammlung im Architekturzentrum Wien ist brisant und sehenswert, der begleitende, umfassende Katalog (den...

Die neu aufgesetzte Dauerausstellung zur Schausammlung im Architekturzentrum Wien ist brisant und sehenswert, der begleitende, umfassende Katalog (den...

Die neu aufgesetzte Dauerausstellung zur Schausammlung im Architekturzentrum Wien ist brisant und sehenswert, der begleitende, umfassende Katalog (den es auch auf Englisch gibt) wesentlich. Bereits in den ersten Jahren nach der Gründung 1993 begann das Az W seine umfassende Sammlung zur österreichischen Architektur des 20. und 21. Jahrhunderts aufzubauen. Inzwischen umfasst sie über hundert Vor- und Nachlässe. Das einzige Architekturmuseum Österreichs ist sich seiner Doppelrolle bewusst: auf der einen Seite das objektive „kühle“ Sammeln, auf der anderen die Vielfalt von Ideen und Architekturauffassungen erlebbar machen und diskutieren.

Das gigantische Archiv wird nun in eine lebendige Ausstellung übersetzt, die sich den zentralen Fragen der Gegenwart stellt: „Es ist eine Schausammlung, die beides macht, sie zeigt faszinierende Objekte aus der österreichischen Architekturgeschichte und sie stellt die grundsätzliche Frage nach der Rolle von Architektur in unserer Gesellschaft. Sie weckt die Schaulust und sie regt zu politischer Diskussion an. Sie lädt zum entspannten Flanieren und zum Vertiefen ein und sie übernimmt eine internationale Vorreiterrolle“, stellen die Direktorinnen Angelika Fitz und Karin Lux in ihrem Vorwort fest. Und die Az W-Sammlungsleiterin Monika Platzer ergänzt: „Im Fokus der ‚Cold Storage’ Installation steht die Sammlung, nicht als räumlicher Ort der Ablagerung von Vergangenheit, sondern als Zukunftsszenario für ein ständiges Denken mit und über Architektur, sie präsentiert sich nicht linear, enzyklopädisch, sondern fragmentarisch mit Lücken und Brüchen.“

Genauso wie man in der Ausstellung hängen bleibt an plakativen – im besten Sinne des Wortes – Fragen, an Spots auf Modelle und Objekte, an prägnanten Texten, passiert das auch beim Durchblättern des Katalogs. Es bleibt unangestrengt, man kann sich trotzdem vertiefen oder weiterschauen, der Erlebniswert ist immer hoch. Die ‚Hot Questions’ reichen vom grundsätzlichen „wie wollen wir leben?“ über die Auswirkungen des Finanzkapitalismus auf unsere Dörfer und Städte, bis zum Beitrag, den Architektur zum Überleben auf unserem Planeten leisten kann.

„Wie entsteht Architektur?“ heißt es im ersten Kapitel und gibt Einblicke in Denkwerkzeuge – angefangen von Schablonen, Reißzeug etc. bis zu den Arbeiten der Pionier:innen des Digitalen wie Ottokar Uhl, doch gleichermaßen die der herausragenden Zeichner:innen wie Bogdan Bogdanovic und Heinz Tesar; oder in die Denkorte, wie die Ateliers von Rob Krier, Hans Hollein und Margarete Schütte-Lihotzky in Wien, Raimund Abraham in New York oder John Lautner in Los Angeles.

Wer spielt mit? Hier wird unter vielem anderen über das Fotoarchiv von Margherita Spiluttini berichtet und über die wichtigste Sammlung zur Wahrnehmung österreichischer Architektur von Friedrich Achleitner. Aber auch zum Gemeinwohl: Wer sorgt für uns? von der Wiege bis zur Bahre, über Gesundheits- und Bildungsbauten. Und schließlich: Wer sind wir? Die Selbstschau von Ost nach West, über konfessionelle Vielfalt und die Symbole der Macht. Pointiert wird das Baugeschehen Österreichs mit all seinen kulturellen, sozialen, ökonomischen und technischen Aspekten sichtbar gemacht.

Das begleitende Druckwerk ist ein vollständiger Ausstellungskatalog, der sich im Farbenverlauf vom heißen Gelb bis zum kalten Blau ebenfalls an die Schauregale in der Ausstellung hält. Man wird aber auch gestaltungsmäßig immer das präzise Entstehungsjahr des Buchs ablesen können. Gut so, das ist eben moderne Architekturvermittlung, und die funktioniert bestens!

newroom, So., 2023.04.16



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Hot Questions – Cold Storage

06. April 2023Martina Pfeifer Steiner
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Das Modell als Entwurfswerkzeug

Die Ausstellung im Werkraum Bregenzerwald zeigt Architekturmodelle aus dem Atelier Peter Zumthor

Die Ausstellung im Werkraum Bregenzerwald zeigt Architekturmodelle aus dem Atelier Peter Zumthor

Zumthor Modelle in einem Zumthor Haus – diese Ausstellung wird bestimmt wieder zahlreiches internationales Publikum in den Bregenzerwald locken, noch dazu wenn sie bis Mitte September im Werkraumhaus zu erleben ist. Vor zehn Jahren feierte man die Eröffnung dieses Bauwerks von besonderer Strahlkraft. „Es war für mich spannend, mit dem Werkraumhaus ein ländliches Gegenstück zum Kunsthaus Bregenz zu bauen, das ebenso stolz ist und selbstbewusst. Das nicht nur vom eigenen Dorf und vom eigenen Ort spricht, sondern auch ein wenig von der Welt“, sagte Peter Zumthor damals bei einem Interview (mit M PS, vorum, 2/2013).
Für diese Schau werden nun die siebenhundert Quadratmeter komplett leergeräumt und vierzig Architekturmodelle aus dem Atelier Peter Zumthor im Innen- sowie Außenraum inszeniert. Die spektakulär-umfassende Präsentation im Sammlungsschaufenster des Kunsthaus Bregenz (2012–2014) ist gewiss noch in Erinnerung, machen die angekauften Zumthor-Modelle doch einen der größten Teile der KUB-Sammlung aus. Nach Andelsbuch werden aber auch die allerneuesten, noch nie öffentlich gezeigten Modelle geliefert, wie zum Beispiel das Konzept-Model des LACMA - Los Angeles County Museum of Art aus Beton, im Maßstab 1:15 (L250 x B260 x H50 cm). Dafür brauchte es wieder das von Zumthor so hochgeschätzte Geschick und Knowhow des Bregenzerwälder Handwerks: die Andelsbucher Baufirma Oberhauser & Schedler vermochte dieses zu fertigen. Vom Museumsprojekt, das nach zehn Jahren Entwicklungs- und Planungsarbeit nächstes Jahr eröffnet wird, gibt es noch zu sehen: ein Standortmodell 1:500, ein Ausstellungskonzept-Modell 1:33 mit über sechs Meter Länge und ein Ensemble von 26 Betonmodellen 1:20 der „Chapel Gallery Houses“ in Beton.

Die Modelle im Modell

Faszinierend ist auch das aktuelle Ausstellungsmodell des Werkraumhauses im Maßstab 1:20, das aus fünf Bodenplatten, zwei Dachteilen und 16 Stützen besteht, aus keramischem Gips, Holz und Pappe; im Inneren alle in akribischer Feinarbeit gefertigten Modelle genau platziert. Betrachtet man Fotos davon, könnte man diese für ein perfektes Rendering halten. Doch genau das macht den großen Mehrwert einer analogen Veranschaulichung aus. Die Abstraktion im Modell erleichtert das räumliche Vorstellungsvermögen wesentlich, vermittelt ein Gefühl für Konstruktion, Material, Dimensionen, Proportionen und Atmosphäre.

Für Peter Zumthor sind das Arbeitsmodelle, an denen experimentell und künstlerisch ausprobiert werden kann, eigentlich eine Antwort auf den Einzug des computergestützten Entwerfens, mit dem der Bezug zur Materialität von Architektur verloren zu gehen droht. Die Modellbauabteilung im Atelier in Haldenstein (bei Chur) ist bei jedem Projekt hochbeschäftigt. Es beginnt bei genauen Landschafts- und Umgebungsmodellen und spielt alle Maßstäbe und für notwendig gehaltenen Detailbereiche durch.

In reale Dimensionen geht es mitunter auf der Baustelle, wie in Andelsbuch beim Werkraumhaus. Das sogenannte Mock-up bildete vor Ort die südöstliche Gebäudeecke eins-zu-eins ab und erlaubte Experimente zu Ausführungsvarianten und die Bemusterung von Farben, Oberflächen, Formen und Materialien. Das war ein wichtiges Hilfsmittel im Bauprozess um Fertigungstechniken mit den Handwerkern durchgehen, zu überprüfen und sich Proportionen vorstellen sowie erleben zu können. So wurde auch deutlich, wie die Gebäudehöhe, gemessen an der Umgebung wirkt, denn die Andelsbucher hatten am Anfang Bedenken, das Haus wäre zu lang, zu breit, zu hoch.

Disziplinübergreifendes Rahmenprogramm

Über die faktische Beschreibung der einzelnen Modelle hinaus, braucht es in der Ausstellung eigentlich keine weiteren Kommentare oder Erklärungen mehr. Wohlkomponiert – die finnische Architektin Hannele Grönlund übernahm die Kuration – stehen die beeindruckenden großmaßstäblichen Modelle im Raum, das Publikum darf sich auf architektonische Atmosphären ganz und gar einlassen. Für das wirklich spannende Rahmenprogramm zeichnet Renate Breuß – bis 2016 Leiterin Werkraum Bregenzerwald – verantwortlich, bei dem es um einen disziplin- und länderübergreifenden Wissensaustausch geht und über nachhaltige Planungs- und Bauprozesse diskutiert wird.

Peter Zumthor nimmt sich dafür reichlich Zeit und steht sieben Mal (!) zur Verfügung. Beispielsweise zum Ausstellungsrundgang mit Handwerkern und Lehrlingen, bei dem er verdeutlicht, was im Prozess des Modellbauens passiert, wie Können und Erfahrung des Handwerks, das Wissen einer Region in seine Entwürfe einfließen. Als Brücke zur Ausstellung im Werkraumhaus sind in den Institutionen zweier Kooperationspartner weitere Modelle – sozusagen als Satelliten – platziert und damit kontextuell verankert.

Zum einen ist dies das Barockbaumeister Museum in Au, wo man sich in der Kuratiekirche Rehmen ins Gespräch über „Das Architektur-Modell zur Zeit der Barockbaumeister“
 vertieft. Auch diese wussten nämlich anhand von Modellen – die im Vorfeld sogar dezidiert eingefordert wurden, wie schriftliche Zeugnisse überliefern – ihre kirchlichen Auftraggeber zu überzeugen. Und zum anderen in der Juppenwerkstatt in Riefensberg, wo es um den „Wert von Oberflächen“ geht, denn auch im Prozess der Herstellung dieser Bregenzerwälder Frauentracht findet das Material Leinen über spezielle Verarbeitungstechniken zur Stabilität der Falten, zu seinem eleganten Glanz, zu seinem tiefen Schwarz – und zur gewünschten Form.


Eine großzügige Einladung geht an die Jugendlichen der Werkraum Schule – das ist ein Kooperationsprojekt des Werkraum Bregenzerwald und der Bezauer Wirtschaftsschulen. Sie haben die besondere Gelegenheit zu einer Exkursion nach Haldenstein, in die Modellbauwerkstatt des Atelier Peter Zumthor und können dort eindrücklich das Arbeiten mit Modellen kennenlernen. Gewiss gewinnen sie dabei ein größeres Verständnis für das analoge Entwerfen und wie dies mit einer Vielfalt an Materialien handwerklich umgesetzt wird.

[ Der Text erschien in KULTUR - Zeitschrift für Kultur und Gesellschaft, März 2023, http://www.kulturzeitschrift.at ]

newroom, Do., 2023.04.06

12. Februar 2023Martina Pfeifer Steiner
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Der Wohnbau war immer ein großes Anliegen

Die Monografie über Gunter Wratzfeld zeigt eine ausführliche Werkschau über fünf Jahrzehnte

Die Monografie über Gunter Wratzfeld zeigt eine ausführliche Werkschau über fünf Jahrzehnte

Wie viele Zufälle braucht es, damit ein Buch über einen Architekten entsteht? Bei Gunter Wratzfeld nur einen sehr fokussierten! Genau genommen, eine Person, die auf eigener Spurensuche in ihrer Volksschulklasse in Dornbirn landet und neugierig anknüpft an Recherchearbeiten aus längst vergangenen Epochen. Karin Mack ist Fotografin, sie ist die erste Ehefrau des großen Architekturpublizisten Friedrich Achleitner, der in Vorarlberg über die Österreichische Architektur im 20. Jahrhundert zu schreiben begann. Besichtigt wurden damals auch die Frühwerke des Studienabgängers der Klasse Roland Rainer (Akademie der bildenden Künste Wien), Gunter Wratzfeld. Diese zufällige Wiederbegegnung und das erwachte Interesse an einem Werkverzeichnis des Architekten veranlasste Karin Mack ein solches zu erstellen und die Bauwerke mit ihrer Kamera im Gepäck zu besichtigen. Herausgekommen ist eine sehr schön gemachte Publikation, in welcher die Herausgeberin fünfzig Bauwerke von Gunter Wratzfeld (geb. 1939) genauer betrachtet sowie kommentiert und mit über 150 Farbfotografien dokumentiert.

Mit seinem Erstlingswerk, dem Wohnhaus für seinen Bruder am Familiengrundstück in Dornbirn-Watzenegg, landete Gunter Wratzfeld gleich einen Coup: „Vier Stahlbetonwinkel heben eine quadratische, eingeschoßige Holzschachtel eindrucksvoll über den Hang, mit Aussicht über Rheintal und Bodensee.“ Dass diese stringente Architektur originalgetreu erhalten blieb, ist der Generalsanierung vor zwanzig Jahren durch raumhochrosen Heike Schlauch und Robert Fabach zu verdanken, wobei zweitgenannter mit seinem Text im Buch für eine aufschlussreiche Einordnung des Wratzfeld´schen Œuvres in den baukulturellen Kontext sorgt. Interessant nachzulesen ist auch, wenn Architekt Andreas Cukrowicz berichtet, wie er vor fast dreißig Jahren sein erstes Praktikum „in diesem schönen Atelierraum“ in der Bregenzer Oberstadt absolvierte, den er viel später sogar käuflich erwerben konnte und heute dort wohnt. Disziplin und Strenge, Raster und Struktur seien die Prämissen gewesen, und dass als Basis bei den meisten Gebäuden Wratzfelds das Rastermaß von 1,80 Metern in Grundriss wie Höhe gilt, ist offiziell: „Alles ist Wiederholung von diesem Rastermaß, addiert, geteilt oder multipliziert. Eine Ableitung von Schulze-Fielitz´System des Raumstadtmodells.“

Anliegen Wohnbau

Ein gutes Stichwort. Mit Eckhard Schulze-Fielitz und Jakob Albrecht ist eigentlich der große Dreh- und Angelpunkt in Wratzfelds Schaffen verbunden. Anfang der 1970er-Jahre wurde das bis heute größte Wohnbauvorhaben in Vorarlberg, nämlich die Siedlung an der Ach in Bregenz ausgeschrieben, und diesen zweistufigen Wettbewerb für gemeinnützigen Wohnbau konnten die drei Architekten mit einer noch nie dagewesenen hochgradigen Verdichtung gewinnen: Eine Struktur von drei- bis vierstöckigen Wohnbauten – insgesamt 850 Einheiten (!) –, die sich mit bepflanzten Höfen im Schachbrettmuster abwechseln, zusammenhängend über eine Länge von siebenhundert Metern (so lang wie die Kärntner Straße!), damals um zwanzig Prozent kostengünstiger als die vergleichbaren Projekte der VOGEWOSI.

Über die große Bedeutung und Besonderheiten der Siedlung an der Ach erfährt man im Buch dann auch etwas ausführlicher, wenn sich Gunter Wratzfeld ins Gespräch mit Bettina Götz und Richard Manahl (ARTEC Architekten) begibt. Sehr befremdlich, dass nirgends ein Verweis zu finden ist, in welchem Zusammenhang dieses Interview vor Ort entstanden ist (so etwas darf in einer Publikation eigentlich nicht passieren!) Es stammt nämlich aus der Ausstellung „Vorarlberg – Ein Generationendialog“, die auch im vai gezeigt wurde (siehe Kultur 03/20). Dabei setzt das Architekturzentrum Wien die vier Architekten (Purin, Wäger, Wratzfeld, C4), deren Vor- bzw. Nachlass sich in der Az W Sammlung befindet, der jüngeren Generation der Vorarlberger Architekturschaffenden gegenüber.

Zusammenfassend noch einmal Robert Fabach, der pointiert feststellt: „Der Anspruch an städte- und raumplanerisches Denken, an regionale Umsetzung internationaler Architekturvisionen fand im Œuvre von Gunter Wratzfeld eine eindrucksvolle Umsetzung ...“.

[ Der Text erschien in KULTUR - Zeitschrift für Kultur und Gesellschaft, Februar 2023, http://www.kulturzeitschrift.at ]

newroom, So., 2023.02.12



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20. Dezember 2022Martina Pfeifer Steiner
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Buchner Bründler. Einblick in die editoriale Werkstatt

Wollte man das beste Architekturbuch des Jahres küren, gehörte die neue Monografie von Buchner Bründler Architekten definitiv zu den Nominierten. Attraktives...

Wollte man das beste Architekturbuch des Jahres küren, gehörte die neue Monografie von Buchner Bründler Architekten definitiv zu den Nominierten. Attraktives...

Wollte man das beste Architekturbuch des Jahres küren, gehörte die neue Monografie von Buchner Bründler Architekten definitiv zu den Nominierten. Attraktives Blau, schönes Format, gutes Gewicht, Halbleinen, samtiges Cover in gekonnter Grafik, wertvoll anmutend. Was äußerlich versprochen, wird vielschichtig im Inneren gehalten.

Daniel Buchner und Andreas Bründler holten sich für diesen zweiten Band über ihre Bauten (seit 2007) wieder den vielfach ausgezeichneten Buchgestalter Ludovic Balland ins Team. Ihnen geht es nicht nur um eine rückblickende Dokumentation, sondern um die Reflexion des eigenen Werks, der Prozesse, um einen redaktionellen Dialog. Ludovic Balland versteht diese Monografie als editoriale Werkstatt, die über die existierenden Dokumentationen der Bauten hinausgehend mit fotografischen und textlichen Formen experimentiert und damit in tiefere Schichten vordringt. Es lohnt, seinen vorangestellten Text „Vertigo“ zu lesen, in dem Balland die Werkzeuge erläutert und aufschlussreiche Hinweise zu den vierzehn ausführlicher behandelten Projekten gibt.

Als assoziationsreicher Vorspann dient je ein Foto und die dezente Verlinkung, zu welchem Gebäude, wo weiteres zu finden sein wird. Neugierig lässt man sich auf das erste Kapitel „Werkstatt“ ein. Nehmen wir als Beispiel die „Casa Mosogno“, ein baufälliges Ensemble aus Steinhäusern im Tessiner Onsermonetal, das in besonderer Weise revitalisiert wurde. Eine Fotostrecke inszeniert die vorgefundenen Alltagsgegenstände der ursprünglichen Bewohner:innen als Spurensuche, einzeln hingestellt, auf die Natursteinmauer im Hof.

Das folgende Kapitel widmet sich umfassend den ausgewählten Bauten: Ein Schwarzplan zur Lage, immer gleich strukturiert markante Texte über die Ausgangslage, das Konzept und die Umsetzung. Den kommentierten, klassischen Architekturfotos und den wesentlichen Plänen vorgeschaltet wird die historische Betrachtung des Ortes durch vier „Lese-Linsen“: Politik, Wirtschaft, Kultur, Religion. Und dies kann, wie bei der „Casa Mosogno“ auch bis ins Mittelalter zurückreichen. „Das Interesse, eine solche Betrachtung zu leisten, war davon geleitet, eine neue Kontextualisierung zu schaffen, die versucht zu verstehen, wie ein Ort geworden ist, was er heute ist – und sich zu erlauben, rückwärts auf der Spirale der Zeit zu laufen“, schreibt Balland.

Im dritten Teil folgen weitere fünfzig schön dokumentierte Projekte und einige atmosphärische Einblicke ins Büro in Basel mit den agierenden Protagonist:innen dieser geschaffenen, exzeptionellen Architektur. Ein Buch, das man nicht mehr aus der Hand legen will, um darin alles zu entdecken und auch zu LESEN!

newroom, Di., 2022.12.20



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Buchner Bründler – Bauten II

17. Dezember 2022Martina Pfeifer Steiner
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Günther Domenig. Eine Annäherung

In Kärnten wurde der zehnte Todestag von Günther Domenig (geb. 6. Juli 1934 in Klagenfurt; gest. 15. Juni 2012 in Graz) als würdiges Gedenkjahr zelebriert....

In Kärnten wurde der zehnte Todestag von Günther Domenig (geb. 6. Juli 1934 in Klagenfurt; gest. 15. Juni 2012 in Graz) als würdiges Gedenkjahr zelebriert....

In Kärnten wurde der zehnte Todestag von Günther Domenig (geb. 6. Juli 1934 in Klagenfurt; gest. 15. Juni 2012 in Graz) als würdiges Gedenkjahr zelebriert. Zwei Publikationen begleiten eine umfassende Ausstellung, die an vier Orten – Museum Moderner Kunst Kärnten, Architektur Haus Kärnten, Steinhaus, Heft in Hüttenberg – stattgefunden hat.

Mit dem ersten Band „In Resonanz“ ist etwas sehr Besonderes gelungen. Es ist ein Bilderbuch geworden, mit unkommentierten (aber natürlich verorteten) Fotografien von Gerhard Maurer, der 32 Domenig-Bauten besucht hat und seine Ansicht dieser Gebäude zeigt, so wie sie heute dastehen. Den Anfang bildet ein kurzer essayistischer Text (15 Seiten, plus Übersetzung in Englisch und Slowenisch) der Schriftstellerin Anna Baar. Haben es sich die Herausgeberinnen mit diesem Pragmatismus zu einfach gemacht? Keineswegs.

Anna Baar muss man hierzulande nicht weiter vorstellen – obwohl eine Biografie von Autorin und Fotograf im Buch nicht gestört hätten. Sie macht das geschickt, wenn sie für die Reflexion mit sich selbst über den großen, ihr unbekannten Architekten ein „Du“ verwendet, und irgendwie sympathisch, unvoreingenommen teilt, wie sie sich nach stundenlangen Videos der Person Günther Domenig annähert, wie sie zu Schulzeiten die Schiffswerft am Klagenfurter Wörtherseeufer als Zeltwurm empfunden hat, oder über die peinlichen Erlebnisse in den Betontrümmerzellen (Garderoben) der Boutique Rikki Reiner (die leider abgebrochen wurden) erzählt.

Nach anfänglichem Argwohn gegenüber der Literatin, die jetzt über Architektur schreiben will, lässt man sich Seite für Seite intensiver ein in ihre verbildlichte Sprachwelt. Und ist beim Steinhaus angelangt: „Als du in einer Pause durch das Traumraumschiff gingst, fandst du dich ausgesetzt, schutzlos und angerempelt, deiner angeborenen chronischen Unbehaustheit frisch ans Messer geliefert. Alles schien Zwischenraum, zweifelhaft, labyrinthisch, als wärst du dem Architekten ins Schädeldach gekrochen, während das eigene Denken in den Fugen verschwand, zwischen den Geschossen, die all die Gänge und Brücken miteinander verbinden.“ Wie emotional, eindrucksvoll und wortgewaltig!

Ja, solche, ganz andere, Architekturbücher muss es auch geben. Vor allem wenn der zweite Teil schon als theoretisch-künstlerischer Band einer Reflexion angekündigt ist, die im Nachhinein die Ausstellung, die Vorträge, die künstlerischen Arbeiten dokumentiert und mit Texten von Architekturtheoretiker:innen aufbereitet.

newroom, Sa., 2022.12.17



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Günther Domenig: Dimensional

12. Dezember 2022Martina Pfeifer Steiner
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Der Freigeist

Architekt Willi F. Ramersdorfer würde heuer seinen 100. Geburtstag feiern. Ein Anlass, sein auf die Baukultur der Nachkriegszeit so einflussreiches Werk zu würdigen.

Architekt Willi F. Ramersdorfer würde heuer seinen 100. Geburtstag feiern. Ein Anlass, sein auf die Baukultur der Nachkriegszeit so einflussreiches Werk zu würdigen.

Liberal und weltoffen, warmherzig und großzügig sei ihr Vater gewesen, sagt Patricia Ramersdorfer, deren Initiative und Engagement eine umfassende Monografie mit den Bauten und Projekten von 1950 bis 2010 eines erfolgreichen Vorarlberger Architekten der Nachkriegszeit zu verdanken ist. Sie ist 1998 als Mitarbeiterin eingestiegen und führt das Büro seit 2010 in seinem Sinne, aber auch in den imposanten Räumlichkeiten der Residenz Ramersdorfer weiter. Diese feudale Ausdrucksweise ist durchaus angebracht, plante der Architekt sein Wohnhaus doch in wahrhaft großem Stil: 650 m² (inklusive 100 m² Büro) Nutzfläche, eingeschoßig, mittig ein Atrium, welches Atelier – mit der raumhohen Fensterfront zur Zufahrtsseite orientiert – und den Wohnbereich – ebenfalls großzügig verglast nach Süden und zum weitläufigen Garten – zoniert. Features sind ein Hallenbad und die Garage für den Maserati, deren Glasfassade einfach gleich wie die des Büros durchgezogen ist.

Die Erfolgsgeschichte begann fünfzehn Jahre vor diesem Hausbau, als der junge Tiroler – das Ende seiner Studienzeit in Nürnberg in Sicht – beim Wettbewerb für die Knabenhauptschule Dornbirn Markt mitmachen wollte und sich mit zwei ausgearbeiteten Vorschlägen auf die Suche nach einem Vorarlberger Büro machte, das teilnahmeberechtigt wäre. Er stieg am Bahnhof Feldkirch aus und klopfte unvermittelt beim naheliegendsten (Bahnhofstraße 12) Atelier von German Meusburger an. Die zwei Entwürfe von Willi Ramersdorfer erreichten den ersten sowie zweiten Platz, und die Ausführung der Schule begründete eine zwanzig Jahre andauernde Arbeitsgemeinschaft. Es folgte sogleich der Auftrag zur Planung der Messehalle, direkt daneben. Als Relikt dieser räumlich eindrucksvollen Stahlbetonkonstruktion steht nur noch das Eingangsgebäude, nämlich die alte Stadthalle im Zentrum von Dornbirn.

Aufgabenteilung

Zahlreiche gewonnene Wettbewerbe folgten, einer der bedeutendsten: die Bundestextilschule Dornbirn. Das in dieser Zeit neuartige Konzept von architektonischer Differenzierung der Trakte in gestaffelter Anordnung und der markante, skulpturale Vortragssaal beeindruckte. Heute als Fachhochschule Vorarlberg genutzt, steht das Ensemble seit 1999 unter Denkmalschutz. Ebenso als Baudenkmal für schutzbedürftig erachtet, wurde die Tankstelle Bertsch in Götzis, mit ihrer zu dieser Zeit in Österreich einzigartigen Flugdachkonstruktion. Die Liste bedeutsamer Bauten von Meusburger Ramersdorfer lässt sich fortsetzen: mit dem Um- und Zubau der Vorarlberger Naturschau, dem Vinomnasaal inklusive Verbauung Gasthof Schwarzer Adler in Rankweil und dem Schulzentrum in Feldkirch-Gisingen oder der neuen Kirche in Feldkirch-Tisis. Die SOS-Kinderdörfer in Hinterbrühl, Stübing, Dornbirn, Seekirchen und in Saigon würden zudem ein eigenes Kapitel aufschlagen.

Bei Bürogemeinschaften ist die Aufgabenteilung und vor allem die künstlerische Urheberschaft so eine Sache, bei diesen Partnern jedoch eine eindeutige. German Meußburger gehörte zur älteren und etablierten Architektenschaft, der um fast zwanzig Jahre jüngere Willi Ramersdorfer zu den selbstbewussten Newcomern. Architekt Jakob Albrecht, damaliger Mitarbeiter, später einer der Pioniere der Vorarlberger Baukünstlerszene, wird in der Monografie° zitiert: „German Meusburger war kaum im Büro. Er kam immer erst gegen Mittag ins Atelier und am Nachmittag ist er auf Baustellen gefahren. Ramersdorfer war ständig gegenwärtig, und die Entwürfe sind alle von ihm gekommen.“ Die beiden haben sich also wunderbar ergänzt: German, geschäftstüchtig, mit guten Kontakten zur Wirtschaft im Dreiländereck, und das baukünstlerische Talent von Willi.

Die zweite Epoche

Ab den 1970er Jahren entstand nach außen hin der Eindruck, dass es mit dem Tod von German Meusburger (1973) und der Gründung des eigenen Büros in Rankweil-Brederis einen großen Bruch im Schaffen Ramersdorfers gäbe. Es hatten sich aber nur die Auftraggeber verändert und damit auch die Bauaufgaben. Schon ab den 1950ern sammelte das Büro Erfahrungen mit Hotel- und Tourismusbauten, abgesehen davon beschäftigte sich Meusburger in seiner Dissertation (Akademie der bildenden Künste, bei C. Holzmeister) mit dem alpinen Großhotelbau. Den Auftrag für das Bergrestaurant am Schrunser Kapell gab es schon 1970. Das breitgelagerte Sockelgeschoß mit schräg auslaufenden Vorsprüngen, das mäßig geneigte Satteldach über die Längsseite, dunkle massive Holzbalken entsprachen durchaus der allgemein verbreiteten Vorstellung von alpiner Architektur. Mit der kompletten Verglasung des Giebelfelds und Sichtbarmachung der Dachkonstruktion finden sich hier jedoch definitiv räumliche Qualitäten wie Großzügigkeit und Atmosphäre.

Heiß diskutiert wurde dann das Löwen-Hotel, einer der ersten Großhotelbauten in Vorarlberg, noch dazu mitten in Schruns. Von der Kollegenschaft als „Lederhosenarchitektur“ abgetan, lohnt sich auch hier ein vertiefender Blick: Die Grundstruktur schlicht, der vorgesetzte, wohlproportionierte Konstruktionsraster für die durchgehenden Balkone ergibt eine klare Gliederung, der breite Kamin Atmosphäre. Das fünfstöckige 240-Betten-Hotel brachte mit großzügigem Hallenbad, der Tanzbar (die legendäre Löwen-Grube), Tiefgaragen, dem integrierten Supermarkt und dem anschließenden „Haus des Gastes“ spürbaren Mehrwert ins Zentrum der Gemeinde.

Für Ramersdorfer bedeutete dieses Bauwerk den Durchbruch als Experte für Hotelarchitektur in alpinen Regionen. Überzeugt entwickelte er seine Tourismus-Konzepte und damit seine wiedererkennbare Architektursprache konsequent weiter. Hotels in Zermatt, Zürs, Brand, Saas-Fee, Silz etc. – mit dem Aufzählen darf man hier nicht anfangen. Das Burg Hotel in Lech muss aber noch hervorgehoben werden, das durch die Erweiterung mit dem Burg Vital Hotel und in der Folge mit dem Untertunnelungsprojekt die touristische Entwicklung und das Erscheinungsbild des Ortsteils Oberlech wesentlich prägte. Bis heute wird dort weitergebaut und die Tochter und Architektin Patricia Ramersdorfer hat diese Agenden gerne übernommen. „Ich habe ja wirklich ganz viel Gutes gebaut!“, stellte ihr Vater erstaunt fest, damals, als sie mit ihm einen Vortrag zusammenstellte. Dies zu würdigen ist ihr zehn Jahre später mit dem Buch hervorragend gelungen.

[ Der Text erschien in KULTUR - Zeitschrift für Kultur und Gesellschaft, November 2022, http://www.kulturzeitschrift.at ]

newroom, Mo., 2022.12.12



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Architekt Willi F. Ramersdorfer

20. November 2022Martina Pfeifer Steiner
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Das Exil ist mittendrin

Heinz Wäger lädt in Götzis zur Einschau und präsentiert sein vielschichtiges Werk

Heinz Wäger lädt in Götzis zur Einschau und präsentiert sein vielschichtiges Werk

Geschichten über die Wäger-Brüder in der Vorarlberger Baukünstlerszene beginnen immer bei Heinz, dem ältesten, der die zwei jüngeren, Rudolf und Sigi, mit seinem Interesse für moderne Architektur angesteckt und inspiriert hat. Heinz Wäger ist nun 86 und kann auf ein vielfältiges gestalterisches Werk zurückblicken. Ausführlich hat er dieses im letzten Jahr aufgearbeitet, geordnet und lädt zu einer sehr persönlichen Schau in seinem Atelier ein.

Früh sei er schon als Volksschüler mit Zeichenbegabung aufgefallen, in der Hauptschule gewann Heinz den Wettbewerb für eine Brunnenskulptur. Die 25 Schilling Preisgeld gab er gleich für einen Kugelschreiber aus, der dann so gar nicht seinen Erwartungen entsprach. Mit diesen Anekdoten fangen die Erzählung sowie der Rundgang an. Heinz machte eine Lehre zum Maler und Anstreicher in Innsbruck, auch die damals beliebten Außenwandfresken bei Gasthäusern gehörten zu seinen Aufgabengebieten. Nebenbei versuchte er sich an kleineren Skulpturen und Schnitzereien. In der Schweiz fand er danach Arbeit, besuchte Modellierkurse, bastelte sich eine Staffelei und malte Landschaften, nicht nur Wände.

Inspiration

Die zeitgenössische Architektur dort interessierte ihn brennend, und mit Begeisterung verschlangen die jüngeren Brüder die mitgebrachten Fachzeitschriften über die Moderne in Skandinavien, der Schweiz, über die Werke von Alvar Aalto, Le Corbusier oder Frank Lloyd Wright. Da setzten sich die drei (Heinz 22, Rudolf 17, Sigi 16) auch schon mal in den Zug und besuchten die Möbelmesse in Mailand, was alle sehr beeindruckte. Sein bester Freund legte Heinz irgendwann nahe, er solle sich doch bei der berühmten Ulmer Hochschule für Gestaltung bewerben. Tatsächlich schaffte er die Aufnahme und studierte Produktgestaltung und Design.

Gleich im ersten Semester gewann er zwei Wettbewerbe: eine hochkarätige Jury in Mailand prämierte sein Sitzmöbel (das 1:10 Modell ist auf der Einladungskarte abgebildet) und eine große Schweizer Firma wählte sein Konzept für die komplette Ausstattung von Sanitärräumen, inklusive klug geführter Installationen, aus. Das motivierte freilich sehr und gab Selbstbewusstsein.

Da wollte man schon einmal in Vorarlberg zeigen, wie ein modernes Haus ausschauen kann! Heinz, im ersten Studienjahr, Rudolf die Zimmermanns- und Sigi die Maurerlehre fertig, auf Vaters Grundstück gab es noch Platz; die jungen Burschen wollten jetzt ein Statement abgeben! Freudig investierte Heinz die 500.000 Lire Gewinn vom Mailänder Sessel. Miteinander haben sie geplant und eigenhändig die Säulen betoniert, die Stahlträger aufgelegt, die Betondecke gefertigt. Sigi war für das Sichtmauerwerk im oberen Stock zuständig, Rudolf natürlich für die Dachkonstruktion aus Holz-Nagelbindern. Wie das Flachdach in der Gemeinde Götzis durchging, weiß heute keiner mehr! Jedenfalls erregte die schwebende Kiste mit großen Glasflächen und offenem Grundriss viel Aufsehen. Genauso wie die Diplomarbeit wenige Jahre später, bei der Heinz und vier Studienkollegen soziale Studien zur „Anpassbaren Wohnung“ vorlegten, konfigurierbar für jede Größe, mit losen Möbel als Abgrenzungen.

Das architektonische Werk von Heinz Wäger weist über vierzig Einfamilienhäuser und einige Mehrfamilienhäuser – auch unter „Coparts“ mit Siegfried Wäger – auf. Realisiert wurden zudem viele Produktgestaltungen für namhafte Firmen – wie Zumtobel oder Miller – und bemerkenswerte Projekte Visueller Kommunikation. Beim Krankenhaus Hohenems (1974) beispielsweise, stammen nicht nur der Innenausbau von Wäger, sondern vor allem das Leitsystem, das in der Folge – wissenschaftlich aufgearbeitet – bei weiteren Krankenhäusern verwendet wurde.

Die Kunst im Exil

Gestaltungsgrundsätze sind für Heinz Wäger – ob bei Bauwerk oder Produktdesign – immer in derselben Weise anwendbar. Auch in seiner Kunst, der er sich in den letzten zwanzig Jahren seit seiner Pensionierung noch intensiver widmet. „Für jede Skulptur fertige ich zuerst von allen Seiten rundherum Skizzen an. Ich möchte das Endergebnis kennen, eine räumliche Vorstellung davon haben, und nicht so lange runterkratzen, bis es mir gefällt!“ Beliebtes Ausgangsmaterial für seine Skulpturen sei Porenbeton. Die „Macroform der Venus von Willendorf“ hat ausnahmsweise Farbe bekommen, und sie wäre sehr anspruchsvoll im Zusammenfügen der perfekten Kugeln gewesen. Doch auch die Riesenscheibe einer Silberpappel mit über einem Meter Durchmesser findet ihre Form als „Sphärische Flächen“.

Möbeldesign – Tische, Sessel, Polstermöbel etc – stand naheliegender Weise bei Wäger immer im Mittelpunkt. Die Klappgarderobe ist ein schönes Beispiel für Platzsparen in kleinen Wohnungen: in Ruhestellung ein Bild an der Wand, entfaltet sich ihre Funktion nur im Gebrauch.

Damit wären wir beim Rundgang wieder unten im Besprechungsraum angelangt. Höchste Zeit zu erklären, was es mit dem „Exil“ auf sich hat, wo eben Interessierte zur Einschau geladen sind. Die künstlerische Aktivität sprengte mit der Zeit die Kapazität der Werkstatt im Wohnhaus. Ein Zubau war angedacht, doch dann erbte Ehefrau Marianne ein winziges, eigentlich für unbebaubar gehaltenes Grundstück (nur 125 m²) in unmittelbarer Nachbarschaft. Diese Herausforderung nahm Heinz gerne an und dachte sich einen kleinen Würfel (6x6x6 Meter) plus Keller aus, auf die Abstandsflächen dermaßen hingetüftelt, dass es tatsächlich genehmigt werden konnte.

Was andere vielleicht Ausgedinge nennen würden, ist für Heinz das EXIL. Wie ironisch das gemeint sein könnte, muss man nicht weiter interpretieren. Jedenfalls stehen die Türen offen, bei einem „Stillen“, dessen Lebenswerk sich zu entdecken lohnt. Doch bitte nur nach telefonischer Anmeldung, denn Heinz Wäger nimmt sich Zeit für Besuche.

[ Der Text erschien in KULTUR - Zeitschrift für Kultur und Gesellschaft, November 2022, http://www.kulturzeitschrift.at ]

arte variabile – Heinz Wäger gibt Einschau in 60 Jahre Gestaltung
im Exil, Götzis, Altacherstraße 32
von 5. November 2022 bis 31. Jänner 2023

newroom, So., 2022.11.20

16. August 2022Martina Pfeifer Steiner
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Vergessene Weltarchitektur. Jacobsen und Weitling

Dem Architekten und Designer Arne Jacobsen wird ausreichend und gebührende Ehre zuteil, dass jedoch zusammen mit Otto Weitling wichtige Bauwerke in Deutschland...

Dem Architekten und Designer Arne Jacobsen wird ausreichend und gebührende Ehre zuteil, dass jedoch zusammen mit Otto Weitling wichtige Bauwerke in Deutschland...

Dem Architekten und Designer Arne Jacobsen wird ausreichend und gebührende Ehre zuteil, dass jedoch zusammen mit Otto Weitling wichtige Bauwerke in Deutschland – wie das Rathaus Mainz, das Christianeum und die HEW-Zentrale in Hamburg – entstanden sind, findet in der Rezeption kaum Beachtung. Dieses Manko soll die Wanderausstellung „Gesamtkunstwerke. Architektur von Arne Jacobsen und Otto Weitling in Deutschland“ füllen, zu der ein gleichbetitelter, sehr interessanter Katalog erschienen ist.

Einst Mitarbeiter bei Arne Jacobsen (1902–1971), ab 1964 Büropartner, gründete Otto Weitling (geb. 1930) mit Hans Dissing 1971 das eigene Büro und führte nach dem Tod Jacobsens die Projekte fort. Eines davon ist das Seebad Burgtiefe in Fehmarn, das offensichtlich als geeigneter Aufhänger auch das Buchcover ziert. Neben den Essays über die Gestalter, das Entwerfen, die „Ideen eines Dänen in Beton und Kunststoff“ und zum organischen Formenuniversum des Großvaters aus Sicht des Enkels Tobias Jakobsen, ist die Ferienanlage an der Ostsee heute noch eine architektonische Landmarke, trotz Vernachlässigung und massiver Umbauten.

Bildreich und mit kurzen Textpassagen wird das weitläufige Seebad Burgtiefe dokumentiert und in der Folge die Geschichte erzählt: vom Meerwasserwellenbad, wie die Anlage städtebaulich gedacht wurde, der immensen Dichte, und wie sehr die Architekten gelitten haben, als sie gezwungen wurden die Stockwerke der drei Punkthäuser von vier auf 17, also die Bettenkapazität von 1.500 auf 4.500, zu erhöhen.

In derselben Ausführlichkeit werden insgesamt sieben Baukunstwerke behandelt. Vermutlich bleiben bezüglich grafischer Gestaltung die 2020er Jahre ablesbar, das Buch ist aber sehr gut gemacht: Es liegt als Nachschlagewerk angenehm in der Hand; die Überschriften sowie die Seitennummerierung stehen immer in der Mitte und trennen bei den Essays Deutsch von Englisch; die Dramaturgie der Fotos ist sehr gelungen. – Ein Katalog, der die zwar unter Denkmalschutz gestellte und trotzdem dem Vergessen ausgesetzte Architektur von Jacobsen / Weitling wieder ins Bewusstsein rückt und komfortabel-lesefreundlich vermittelt.

newroom, Di., 2022.08.16



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Gesamtkunstwerke

03. April 2022Martina Pfeifer Steiner
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Lernen fürs Leben

Etwas sperrig der Titel. Was könnte interessant sein am Thema „Lernen, Politik und Architektur in den 1960er und 1970er Jahren“ und der dazugehörenden...

Etwas sperrig der Titel. Was könnte interessant sein am Thema „Lernen, Politik und Architektur in den 1960er und 1970er Jahren“ und der dazugehörenden...

Etwas sperrig der Titel. Was könnte interessant sein am Thema „Lernen, Politik und Architektur in den 1960er und 1970er Jahren“ und der dazugehörenden Assoziation „Bildungsschock“? Dass ein Ausgangspunkt beim Forschungs- und Ausstellungsprojekt der „Sputnikschock“ Ende der 1950er ist? Damals sah sich die westliche Welt angesichts des sowjetischen Satelliten plötzlich im wissenschaftlichen wie technologischen Hintertreffen. Zur gleichen Zeit eröffnete sich durch die ersten geburtenstarken Jahrgänge und der damit einhergehenden Expansion des Bildungswesens ein Experimentierfeld, nicht nur für neue Lernkonzepte, sondern auch für innovative architektonische Ansätze. Hat die Coronakrise heute die Bildungssysteme nicht ebenso in einen Schockzustand versetzt? Was einmal ein Konzept alternativer Pädagogik war, hat sich in der Pandemie mit Homeschooling als Belastungsprobe für alle entpuppt, und die abhanden gekommene Selbstverständlichkeit von Begegnung in den Architektur-Räumen der Bildungsinstitutionen ruft Mangelerscheinungen hervor.

Das vai bringt nun die Ausstellung des HKW Haus der Kulturen der Welt, Berlin, nach Dornbirn. Auch dies hat seinen Grund: Die österreichweite Aktion der Architekturtage wurde in ein Architekturjahr transformiert, das sich in erweiterter Form je einem Thema widmen soll. 2021/22 ist es Architektur und Bildung mit der Überschrift „Leben/Lernen/Raum“. Am vai-Programm standen und stehen eigens produzierte Filmen über beispielhafte Vorarlberger Schulprojekte, im regelmäßigen Vermittlungsformat „Architektur vor Ort“ zahlreiche Exkursionen zu den neuesten Bildungsbauten und zum Abschluss eben diese ausführliche Schau, bei der versucht wird, die Ansätze der 1960er und 1970er Jahre als Archiv und Ressource für aktuelle Debatten zu entdecken. Kurator Tom Holert: „Was erzählt eine Ausstellung, die sich einer mehr als fünfzig Jahre zurückliegenden Epoche widmet, den von der aktuellen Krise Betroffenen? Welche Schlüsse lassen sich für die heutige Bildungspolitik aus einer Zeit ziehen, in der wie nie zuvor in die Infrastrukturen und Architekturen der Bildung investiert wurde? Gibt es ein Fortwirken der „revolutionären“ Pädagogiken, die sich um 1970 in den unterschiedlichsten gesellschaftlichen und geopolitischen Zusammenhängen dem kapitalistischen Bildungsmodell widersetzten?“

Er ist sich der Herausforderungen bezüglich Vermittlung sehr wohl bewusst: „Ausstellungen zu Bildung und zur Bildungsgeschichte sind schon deshalb schwierig, weil sie daran scheitern müssen, einen anderen Prozess des Lernens erlebbar zu machen als den, der – im besseren Fall – in einer Ausstellung selbst stattfindet. Die Immaterialität kognitiver und emotiver Vorgänge entzieht sich der Ausstellbarkeit. Was aber gezeigt werden kann, sind Modelle, Pläne, Lehrmittel, Publikationen und andere Archivalien aus den Geschichten von Architektur und Pädagogik.“ In Fallstudien verfolgen die Forscher:innen wie sich diese Materialien und die in sie eingegangenen Erfahrungen betrachten, analysieren und inszenieren lassen, um eine – vielleicht unerwartete – Perspektive auf die Bildungskrise der Gegenwart zu eröffnen.

Skalierung

Vor einer nicht minder großen Herausforderung stand der Kurator des vai, Clemens Quirin. Die Hallen des HKW in Berlin, wofür die Ausstellung ja konzipiert wurde, haben völlig andere räumliche Dimensionen und Voraussetzungen, noch dazu sei das Konzept nicht für ein Wandern angelegt worden. Da musste grundsätzlich neu gedacht werden, und man holte den Architekten und Designer Daniel Büchel ins Boot. Nicht von ungefähr, denn er ist bekannt für seine feine Klinge in Materialfindung, Einfühlen in die Qualitäten und architektonische Sprache vergangener Jahrzehnte, kluge Übersetzung und Skalierung, Sparsamkeit und seine Upcycling-Ideen. Büchel findet für die Fülle von 35 Case-Study-Projekten, die – farblich und mit einem Nummerierungssystem verlinkt – bestimmte Aspekte des globalen Bildungsgeschehens ausarbeiten, eine klare, pragmatische Lösung.

Ein Fahnenmeer rhythmisiert die Räumlichkeiten des vai, schafft Erweiterung und dann wieder ein immer dichter werdendes Entdeckungs-Labyrinth. „Ich wollte ein typisches Material dieser Jahrzehnte herausnehmen: die Jalousien. In der Ausstellung sind es einfache, textile Zupfrollos, die auch wirklich rauf- und runtergezogen werden können.“ Auf diesen transparenten Flächen sind die jeweiligen Key-Visuals gedruckt, sichtbar von beiden Seiten. Das funktioniert bei Fotos, Zeichnungen, Plänen, Lesen will man jedoch nicht so gerne seitenverkehrt. Also wird die Textebene auf den Boden gelegt. Die unzähligen Exponate wie Bücher, Zeitschriften, Repros und die Bildschirme für Videos füllen in Petersburger Hängung begleitend die Wandflächen. Dazu schaffen Möbel aus den 1960er Jahren Atmosphäre und Sitzgelegenheiten. Der Re-use Gedanke wird auch hier verfolgt: die Rollos haben ein Standardmaß von einem Meter und die wenigen Baulatten der quasi unter der Decke schwebenden Konstruktion kann kompakt gelagert und wiederverwendet werden.

Regionaler Bezug

Nicht moderiert wird ein Vorarlberg-Bezug. Ist auch nicht wichtig, denn diesen kann jede:r selbst herstellen. In nahezu allen Gemeinden gibt es doch hochwertige Schul- und Kindergarten Renovierungen, Neu-, Um- und Erweiterungsbauten. Die „Schulen am See“ in Hard zum Beispiel: „Die Schule der Zukunft sollte offene Ränder haben. Die möglichst vielfältigen Optionen entsprechen den Ideen von einem, im Fluss befindlichen Lehr- und Lernprogramm“, wie der Architekt Carlo Baumschlager feststellt. Hier wurde mit dem engagierten Lehrerkollegium und einem weitsichtigen Direktor ein die Volks- und Mittelschule übergreifendes Clusterkonzept realisiert. Bezüglich zeitlicher Zuordnung ist zudem noch die Sonderausstellung „Karl Sillaber und C4“ im Vorarlberg Museum in bester Erinnerung. Diese Architekten haben ab den 1960er Jahren Schlüsselwerke im modernen Schulbau mit ganz neuen Typologien in Vorarlberg geschaffen. So kann auch eine sehr umfangreiche, sehr wissenschaftliche Ausstellung Denkanstöße zur heutigen Lernsituation geben und auf die Wahrnehmung der räumlichen Konzepte unserer Bildungsbauten sensibilisieren.

[ Der Text erschien in KULTUR - Zeitschrift für Kultur und Gesellschaft, März 2022, http://www.kulturzeitschrift.at ]

newroom, So., 2022.04.03

03. April 2022Martina Pfeifer Steiner
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Endlich kann sie doch noch gezeigt werden, die große „Beauty“-Schau von Sameister & Walsh, die für das MAK - Museum für angewandte Kunst in Wien konzipiert...

Endlich kann sie doch noch gezeigt werden, die große „Beauty“-Schau von Sameister & Walsh, die für das MAK - Museum für angewandte Kunst in Wien konzipiert...

Endlich kann sie doch noch gezeigt werden, die große „Beauty“-Schau von Sameister & Walsh, die für das MAK - Museum für angewandte Kunst in Wien konzipiert wurde. Im vorarlberg museum wird so großzügig wie möglich Platz geschaffen: Schon das Atrium eignet sich bestens für die aufwändige Konstruktion mit den rhythmisch, zum eigens komponierten Song atmenden Luftpolstern. Auch das Untergeschoß wird einbezogen. Man macht sich nämlich auf die Suche nach dem funktionellsten Raum im Museum – die Toiletten – mit der Fragestellung: ist dies auch der schönste? Jedenfalls wird dort schön bedrucktes Klopapier zur Verfügung stehen. Im Obergeschoß stimmen auf der Galerie in den großen Vitrinen besondere Fundstücke aus dem Museum auf das Thema ein. Das „Beauty Archiv“ ist der variable Teil der Ausstellung, die auch in Frankfurt und Hamburg gezeigt wurde. Und hier wählte Stefan Sagmeister achtzig Objekte, teils mit sehr persönlichen Kommentaren versehen, aus der Sammlung, die im vierten Stock ebenfalls einen wichtigen Teil des multimedialen Spektakels darstellen.

Manipulierte Interaktion

„Beauty“ ist keine so oberflächlich interaktive Ausstellung, wie sie vorgibt. Das Publikum ist vielmehr sehr herausgefordert Meinung, Blick, Empfinden und Standpunkt selbst zu finden. Die Abstimmkarten – schwarzweiß bedruckte Papp-Chips – die am Einlass verteilt werden, dürfen nämlich nur bei belanglosen Fragestellungen eingeworfen werden: Welche Landschaft, welcher Geruch, welche Farbe und welche Form gefällt am besten? In der Folge findet sich aber das manipulativ eingesetzte Ergebnis in Schnörkelschrift auf zwei großen Tafeln: „Die hässlichste Farbe ist Braun. Die hässlichste Form ist das Rechteck. Ist dies das hässlichste Ding, das es gibt?“ Und zur Illustration: „Was glaubt die Bauindustrie?“ Die willkürlichen Architekturbeispiele zeigen neben braunen Kästen auch eine klassisch hübsche Backsteinvilla oder Robert Venturis berühmte Feuerwache – die ja geradezu eine Absage an modernistische Gestaltungsprinzipien darstellte. Dies gebührend zu reflektieren bleibt freilich „dem Auge der Betrachterin“ (so der Titel des vierten Kapitels der Ausstellung) vorbehalten.

Es könnte ja sein, dass Sagmeister und Walsh durch die Einladung zu einem Beitrag im Österreichischen Pavillon bei der Architekturbiennale 2018 in Venedig Rückenwind und Selbstbewusstsein verspürten, einen „neuen ästhetischen Diskurs als kritische Praxis“, den es so sehr brauche, dermaßen plakativ an der Architektur anzuzetteln. Die Verformung der Begriffe „Beauty = Funktion“, visuell übersteigert in Materialien wie Sand und Slime, ist übrigens in Vorarlberg viel komfortabler – weil nicht an der Decke, sondern an der Wand – zu beobachten. Und überhaupt: dass die beiden primär in Markenbildung und Grafikdesign zu Hause sind, zeigt auch die Installation des „Color Room“, dessen Erlebniswert aufs Changieren von Weiß in rosa Karo beschränkt bleibt. Hier liegt der Reiz wohl darin, aus dem dreidimensionalen Raum ein zweidimensionales Bild zu machen, in dem Eintretende – dann auch gemustert – quasi aufkaschiert sind.

Achtung Falle

Recht anmaßend geht es weiter: „Ein Österreicher, ein Schweizer und ein Deutscher überzeugten die Welt, wie sie zu leben habe. Adolf Loos, Le Corbusier, Mies van der Rohe.“ Es folgen plakative Tafeln zum Blättern mit Beispielen für den von diesen Protagonisten der Architektur des 20. Jahrhunderts zu verantwortenden verwerflichen Internationalen Stil. Ein Iglu auf schneebedeckter Gebirgskuppe: „Früher sah so Alaska aus“ und daneben ein Hochhaus mit der Unterschrift „Heute sieht Anchorage so aus“ (wirklich? auf diesem Bauplatz?); ebenso eine traditionelle Strohdach bedeckte Hütte: „Früher sah Indonesien so aus“ und gegenübergestellt: „Heute sieht Jakarta so aus“; oder ein chinesischer Tempel und Beijing. – Durchschaubar und nicht sehr statthaft verkürzt, könnte man sagen.

Auf Le Corbusier haben es die Ausstellungsmacher besonders abgesehen. Zwei großformatige Projektionen konfrontieren seinen utopischen städtebaulichen Entwurf – den Plan Voisin für die „Exposition internationale des Arts Décoratifs et industriels modernes“ in Paris, 1925 (diese Information wird nicht beigegeben) – mit dem gewachsenen Quartier nördlich der Seine, für das die sechzigstöckigen Hochhäuser mit kreuzförmigem Grundriss theoretisch gedacht worden sind. Auch das Plakat zu Adolf Loos Vortrag „Ornament und Verbrechen“ (veranstaltet 1913 vom Akad. Architekten Verein) eignet sich für eine Schrecksekunde, wird jedoch relativiert durch drei Porzellanhäuser-Modelle – Wiener Staatsoper, Rathaus, Parlament – die mit Wiener Zuckerl zur freien Entnahme gefüllt sind, in großen Lettern dazu immerhin die Anmerkung: „Der Architekt Adolf Loos begann seine Karriere in der Hochphase des architektonischen Historismus in Wien, in der man verschiedene historische Stile kopierte.“

Vielleicht wird die Spur zur hyper-diffizilen Provokation ja schon mit dem prächtigen Pfau gleich am Anfang der Schau im Entree gelegt: „Schönheit ist die Strategie vieler Tiere, um den besten Partner zu finden. Die Federn des Pfaus sollen die beste Pfauenhenne anziehen. Sie behindern auch deutlich seine Bewegungs- und Flugfähigkeit, was ihn zur leichten Beute für Räuber macht.“ Die klein geschriebene Anmerkung könnte nämlich leicht übersehen werden, wenn man in die Falle des plakativen Reizes tappt: „Aus evolutionärer Sicht ist die Paarung mit der besten Pfauenhenne für den Pfau von größerer Bedeutung, als das Risiko von einem Panda gefressen zu werden.“ He? Die aufmerksame Besucherin wird sofort auf Google fündig, dass Pandas Flexitarier sind, ihre Nahrung zu 99 Prozent aus Bambus besteht, dass sie daneben noch Kräuter wie Bocksdorn, Enzian und mitunter Raupen und kleine Wirbeltiere fressen. Reingefallen.

Allzu wörtlich zu nehmen sind die zahlreichen erklärenden Postulate also nicht. Vielmehr darf man sich lustvoll dem durchaus barock-sinnlichen Spektakel hingeben, die eigenen Assoziationen hemmungslos laufen lassen und jeden applizierten Satz als hinterfragbar lesen. Auch diese abschließende Anleitung zum Ausstellungsbesuch soll als Beispiel dafür dienen, dass weniger Kommentieren noch mehr Erlebniswert bringen würde.

[ Der Text erschien in KULTUR - Zeitschrift für Kultur und Gesellschaft, April 2022, http://www.kulturzeitschrift.at ]

newroom, So., 2022.04.03

18. Januar 2022Martina Pfeifer Steiner
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Unter der Hohen Brücke am Tiefen Graben

Schreiben als Architektur. Die junge Absolventin der Akademie der Bildenden Künste Wien bezeichnet sich als schreibende Architektin und hat ihre Masterarbeit...

Schreiben als Architektur. Die junge Absolventin der Akademie der Bildenden Künste Wien bezeichnet sich als schreibende Architektin und hat ihre Masterarbeit...

Schreiben als Architektur. Die junge Absolventin der Akademie der Bildenden Künste Wien bezeichnet sich als schreibende Architektin und hat ihre Masterarbeit am Institut für Kunst und Architektur nur einem Ort gewidmet. Wien 1., Hohe Brücke, Tiefer Graben. Diesen Ort hat Ella Felber monatelang nahezu täglich besucht und ihre Skizzen gemacht, mitzuverfolgen im dritten Kapitel ‚Unter der Hohen Brücke – a sketchbook’. Die einzelnen Seiten bekommen Überschriften (die unten stehen): spielen/durchgehen/zwischendurch-verweilen „Selbst die Wiener Linien meiden diesen Ort. Oben da huscht er schnell hinüber, der Bus. Davor und danach biegt er ab.“/was wir in Straßen öfter tun könnten/stehen/bleiben/wenn ich auf der Brücke stehe/fallen/lagern und erinnern „Erinnern ist mehr als nur an etwas zu denken“.

Aber beginnen wir mit dem ersten Kapitel – besser noch zuvor, mit dem Cover. Die Buchgestalterin Franziska Füchsl machte drei davon. Auch sie ging auf Spurensuche an diesem Ort und fertigte Frottagen an. „Die Frottage als Zeichentrick, einen Ort abzunehmen, ohne Überblick auf Ausschnitte bedacht, steht mit der Zeichnung gewordenen Unebenheiten anders da, als der plane Plan ...“ – eine passende Assoziation zum Buchwerk. Für Ella Felber gibt es einen Unterschied in gebauter und geschriebener Architektur, doch beides sind Ansätze zum Ortsbegriff. In ihrem Essay des ersten Kapitels stellt die Autorin klar, dass sie nicht über Architektur schreibt, auch nicht über Architektur in der Literatur, sondern als Architektin, die schreibt – als Architektur. „My search for a project became / my search for a place became / my search for a synthesis became / my synthesis of a search in a place.“

„Writing as Architecture – an imperfect inventory“ ist die Suche und Reflexion über Ortskonstruktionen durch das Wort, ohne den literaturwissenschaftlichen Anspruch Texte abzuhandeln. Nein, unperfekt, spielerisch, ein nicht abgeschlossenes Inventarium darf es sein. Mit dieser Palette ausgestattet geht Ella Felber ins zweite Kapitel: ‚Im Inneren der Stadt – a sequence of encounters’. Begegnungen sind für sie der Moment, in dem Orte entstehen, nämlich erst durch die Interaktion. In diesem Fall durch das immer wieder Hingehen zum ‚Tiefen Graben‘ ‚Unter der Hohen Brücke‘. Die Rolläden sind in der Wahrnehmung sehr präsent, denn viele sind geschlossen. Was könnte dahinter sein, wie wäre es hineinzugehen? Und wieder zurück auf der Straße, etwas anderes erregt die Aufmerksamkeit, es wird reflektiert, weitergegangen. So entstehen vielschichtige Orte im Geschriebenen, immer verankert am Tiefen Graben.

Auf dieses wertvolle poetische Büchlein dürfen sich die Leser:innen einfach einlassen, sie werden das Changieren in Englisch-Deutsch gar nicht merken, und mit neuem, inspiriertem Blick ihre eigenen Orte finden und erleben.

newroom, Di., 2022.01.18



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Unter der Hohen Brücke

17. Januar 2022Martina Pfeifer Steiner
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Exemplarische Nachhaltigkeit – Baumschlager Hutter Partner

Handlich, total animierend zum Blättern, kommt dieses Buch daher. Die kleine Irritation durch den englischen Titel (es geht jedoch auf Deutsch um Nachhaltige...

Handlich, total animierend zum Blättern, kommt dieses Buch daher. Die kleine Irritation durch den englischen Titel (es geht jedoch auf Deutsch um Nachhaltige...

Handlich, total animierend zum Blättern, kommt dieses Buch daher. Die kleine Irritation durch den englischen Titel (es geht jedoch auf Deutsch um Nachhaltige Architektur von Baumschlager Hutter Partners, wie aus dem Untertitel klar wird) und die etwas trockene Gestaltung mit Auflistung der exemplarischen Bauten am Cover, wird gekonnt für den zweiten Blick mit den durchscheinenden Fotos im Inneren des Umschlags überspielt, der die simpel weiße, unbeschriftete Broschur einhüllt. Es beginnt mit einem Fotoessay, in dem die elf ausgewählten Bauten vorgestellt werden, eingeschoben nur der Text zu den Ursprüngen der Ökologiebewegung vom Herausgeber Wolfgang Fiel.

Im zweiten Teil geht es dann ganz pragmatisch um die Daten zu den ausgewählten Bauten: Eine Doppelseite für Lageplan und Projektbeschreibung, die nächste für die stichwortartige Auflistung der Schlüsselfaktoren und die erläuternden Pläne (Schnitt und ein Grundriss), die dritte für die grafische Aufbereitung von Heizwärmebedarf, Gesamtenergiebedarf, CO2 Emissionen im Betrieb im Vergleich und einer Lebenszyklusbetrachtung. Das ist niederschwellige Faktenvermittlung, die auch den unbedarften, interessierten Leser:innen Erkenntnisse erschließt.

Eröffnet wird die beispielhafte Reihe über Nachhaltigkeit in der Architektur mit der damals aufsehenerregenden Öko-Hauptschule in Mäder, die 1998 noch unter Baumschlager Eberle fertiggestellt wurde. Das Büro Baumschlager Hutter Partner gibt es seit 2010, die vier Punkthäuser in der Seestadt Aspern (2015) sind Beispiele im Wohnbau, die Schule am See in Hard (Vorarlberg) wird ausführlicher bezüglich sozialem Mehrwert von ökologischer Architektur behandelt, angefügt auch ein Interview mit dem Direktor dieser Schule. Zum Schluss gibt es noch eine Überblickstabelle zu Energieeffizienz und Klimaschutz. Mit dieser unprätentiösen Publikation ist ein wirklich interessanter Beitrag gelungen, um breitbandig das Verständnis für die Wirkung von nachhaltiger, qualitätsvoller Architektur anzuregen. Well done!

newroom, Mo., 2022.01.17



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Coming Full Circle

21. Dezember 2021newroom

Lilli Lička – Zusammenspiel

„Unsere Disziplin umfasst grundsätzlich ein sehr weites Feld, das von Landschafts-, Naturentwicklungsplanung bis zur Landschaftsarchitektur als gestalterische...

„Unsere Disziplin umfasst grundsätzlich ein sehr weites Feld, das von Landschafts-, Naturentwicklungsplanung bis zur Landschaftsarchitektur als gestalterische...

„Unsere Disziplin umfasst grundsätzlich ein sehr weites Feld, das von Landschafts-, Naturentwicklungsplanung bis zur Landschaftsarchitektur als gestalterische Domäne reicht. Landscape Architecture insgesamt beinhaltet alle Maßstäbe und auch die unterschiedlichsten Fragestellungen. In Österreich feiern wir heuer das 40-Jahre-Jubiläum dieser Studienrichtung an der BOKU. Das Fachgebiet gibt es natürlich schon viel länger, an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert hat sich eigentlich ein großer Entwicklungsschub abgespielt, und zwar in der Thematisierung des öffentlichen Raumes. Dadurch reichte die Bedeutung der Landschaftsarchitektur über die Gartenkunst hinaus und ist in der Gesellschaft angekommen. Je nach Dekade gab es unterschiedliche Aufgabenschwerpunkte. Wir haben an der BOKU jetzt ein Archiv gegründet mit Vor- und Nachlässen und können diese sukzessive und auch besser beobachten. Angefangen in den 1950er Jahren, wo viele Aufträge Infrastruktur wie Autobahnen zum Inhalt hatten, ist später die Gestaltung des öffentlichen Raumes in den Vordergrund getreten, und mit den 1970er/80er Jahren wurden durch die Umweltbewegung die ökologischen Aspekte so richtig angeheizt. Es wurde wichtiger, zur Verbesserung des Klimas, der Lebensräume im weiteren Sinne – also der verschiedenen Habitate, Biotope – auch im urbanen Raum über die Begrünung hinaus einen Beitrag zu leisten.

Da stehen wir jetzt also: die gestalterische Komponente hat sich weitgehend etabliert, soziale Aspekte mit Thematisierung der Grünraumgerechtigkeit ebenfalls. Wir haben Papiere mit den besten Klimazielformulierungen, auch im kleineren Maßstab gelingt viel, z.B. bei Wohnbau, Plätzen, Parks, doch auf der mittleren Ebene – Stadtteile, Blockbetrachtungen, regionale Maßnahmen – gibt es zwar gute Ansätze und Forschungen, in der Umsetzung besteht jedoch noch großer Handlungsbedarf. Auch die Tourismus- oder Immobilienwerbung profitiert von intakter Landschaft, es gibt in diesen Sparten aber noch große Missstände, wenn es kein Bewusstsein über die Einbettung des Bauwerks in die Landschaft gibt – Stützmauern und riesengroße Garageneinfahrten sind irreversibel. Das ist ein fachspezifischer Punkt, dass die Auswirkungen von Landschaftsarchitektur extrem langfristig zu denken sind, zerstörte Lebensräume sind nicht mehr wiederherzustellen. Im Zusammenspiel mit Kulturtechniken wie Wasserbau, Lawinenverbauung – lauter Studienrichtungen an der BOKU – müsste die Landschaftsarchitektur ebenfalls einen größeren Part übernehmen. In der Architektur stehen wir diesbezüglich auch erst am Anfang, diese profitiert zwar immer von einem guten Freiraum, aber wenn die städtebauliche Setzung des Gebäudes falsch ist, können schöne Pflanzen auch nichts mehr retten.“

Lilli Lička, geb 1963, LL-L Lilli Lička – Landschaftsarchitektur, Institutsleiterin Landschaftsarchitektur an der BOKU Universität für Bodenkultur, Wien. Eine ihrer Initiativen die nicht nur Utopie bleiben sollen: Der Westbahnpark im 15. Bezirk, der als Teil der westlichen Frischluftschneise für den Erhalt eines erträglichen Wiener Stadtklimas dringend erforderlich ist, um urbane Hitzeinseln auszugleichen.

13. Dezember 2021Martina Pfeifer Steiner
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Was Peter Zumthor lieb und wertvoll ist

Das ist wieder typisch Zumthor. Er stellt eine schwarze, edle Kiste hin, wohlproportioniert, die Öffnung zur Seite gefüllt mit einer beweglichen, minimal...

Das ist wieder typisch Zumthor. Er stellt eine schwarze, edle Kiste hin, wohlproportioniert, die Öffnung zur Seite gefüllt mit einer beweglichen, minimal...

Das ist wieder typisch Zumthor. Er stellt eine schwarze, edle Kiste hin, wohlproportioniert, die Öffnung zur Seite gefüllt mit einer beweglichen, minimal auskragenden Lamellenstruktur. Ehrfürchtig nimmt man die wertige Black-Box in die Hand, zieht die hochformatigen, schmalen Heftchen heraus, 18 sind es – und pragmatisch einfach geklammerte, wie Programmprospekte eines Museums.

„Ein Fest im Kunsthaus Bregenz“ wurde im September 2017 für vier Monate ausgerufen und der große Architekt bespielte sein Haus von oben bis unten mit der Ausstellung „Dear to me“, begleitet von 150 Veranstaltungen wie Lesungen, Konzerten und – eben – Gesprächen mit Künstlerinnen, Künstlern, Kulturschaffenden seiner Wahl, die nun als transkribierte Texte in den dünnen Heftchen vorliegen. Man möchte mit der fantastisch poetischen Installation „Lungenkraut“ und den zarten Pflanzen, die im obersten Stockwerk schwebten und durch Licht mit grafischen Schatten zusätzliche Dimensionen eröffneten, beginnen, sollte sich jedoch bezüglich Buchwerk in den zweiten Stock begeben, wo in einem Buchregal-Labyrinth 40.000 Bücher Zwischenstation im Kunsthaus machten.

Der Buchhändler Walter Lietha war nämlich einer der Gesprächspartner:innen. Ein Glücksfall ermöglichte diese logistische Mammutaktion, denn das „Antiquariat Narrenschiff“ des großen Sammlers übersiedelte just zu dieser Zeit von Chur nach Trin. An diesem Abend wurde tief philosophiert. „Am Anfang stehen die heiligen Schriften des Hinduismus, die Veden, als Sammlung von Weisheiten in Schriftform. Sie sind das Älteste, das die Menschheit kennt, und vielleicht überhaupt das Beste“, sagt Lietha.

Im ersten Geschoß füllte die Musikinstallation von Olga Neuwirth den Raum – zentral mit der filigranen Skulptur, bei der die Besucher:innen die Kurbel der kleinen Spieluhr drehen durften und damit den aufgespannten sechzehn Meter langen Lochstreifen sichtbar zum Klingen brachten. In klassischer Hängung vervollkommnete das fotografische Essay von Hélène Binet die Stimmung, das die berühmte Pflasterung des Weges auf die Akropolis in Athen aus den Fünfzigerjahren von Landschaftsarchitekten Dimitris Pikionis (1887–1968) abbildet. Auch die Gespräche mit diesen beiden interessanten Frauen sind nachzulesen.

Im Erdgeschoss wurde das Kunsthaus zur Bühne – ein mittiges großes Podest und rundherum eigens entworfene Fauteuils und Polstersessel. Die siebzehn Gespräche fanden hier statt. Als Wim Wenders zu Gast war, wollte man damals schon am liebsten mitschreiben, als er erzählte was beim Entstehen des Films „Der Himmel über Berlin“ den liebevollen Blick der Kamera ausmachte. Wie wertvoll, dass diese denkwürdigen Ereignisse im Kunsthaus Bregenz nun nachhaltig nachlesbar sind.

newroom, Mo., 2021.12.13



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Dear to Me

09. November 2021newroom

Maria Auböck – Pflanzenskulpturen

„Die Zukunft der Landschaften Österreichs wird auch davon geprägt, ob es eine Gartenkultur und ob es für die Profession der Landschaftsarchitektur Auftraggeber...

„Die Zukunft der Landschaften Österreichs wird auch davon geprägt, ob es eine Gartenkultur und ob es für die Profession der Landschaftsarchitektur Auftraggeber...

„Die Zukunft der Landschaften Österreichs wird auch davon geprägt, ob es eine Gartenkultur und ob es für die Profession der Landschaftsarchitektur Auftraggeber gibt. Alle Bemühungen gehen in eine Richtung: wir entwerfen neue Freiräume für die kommenden Generationen! Dies gelingt nur im Zusammenwirken von Landschaft, Bauwerk und Gartenkultur. Wenn ich meine Wünsche zur Landschaftsarchitektur auf drei Punkte bringe, klingt das so: Gesetze und Normen sollen handlungsorientierte Vorgaben sein und in den Regionen sowie vor allem in den ländlichen Gemeinden Österreichs Landschaftsarchitektur ermöglichen. AuftraggeberInnen sollen in Zukunft in der Lage sein von sich aus diesen Bedarf nach „substantieller Schönheit“ zu erkennen. Und dass eben auch die Budgets für Grünraumgestaltung der komplexen Aufgabenstellung adäquat dotiert sind.

Wir arbeiten im Team und wir können natürlich unsere spezifische Handschrift nur dann zeigen, wenn wir Akzeptanz haben, wenn unsere Partner diesen Gestaltungsansatz verstehen. Bei unseren Pflanzplänen schauen wir darauf, dass wir eine Gehölzauswahl treffen, um zwölf Monate im Jahr Blüten haben. Das Überraschende bleibt jedoch in der Materialwahl immer ein attraktives Thema, besonders im Wohnbau. Schön zu sehen, wenn mit der Zeit ineinander gewachsene Strukturen entstehen, die persischen Teppichen gleichen. Es geht nämlich nicht um die Dominanz einer Idee, sondern um das Zusammenwirken der Elemente! Bei Platzgestaltungen und im öffentlichen Raum suchen wir hingegen die minimalistische Zugangsweise, genannt “das intelligente Nichts“, aber dazu brauchen wir auch Partner die das verstehen. Unsere Installation bei der Architekturbiennale Venedig 2014 ist wiederum ein Beispiel für unsere intellektuelle Projektierung, wie sie im produktiven Dialog mit János entsteht. Diese Pflanzen wären sich niemals ohne das Zusammenstellen durch Menschen begegnet, denn es waren Gehölze aus aller Welt, willentlich ganz eng zusammengesetzt, wie die Flüchtlinge in einem Boot am Mittelmeer. Und das war dann überraschend: Wir haben unsere Installation als eine temporäre gemacht, sie blieb jedoch weitere vier Jahre – zwar transformiert – bestehen, und sehr erfreulich war, dass sich unsere ausgewählten Bäume danach durch diverse Anfragen begannen, bei den anderen Pavillons und in den Biennalegärten zu implementieren.“

Maria Auböck, geb. 1951, Auböck+Kárász Landscape Architects, Wien. Landschaft ist für Maria Auböck und János Kárász ein Konglomerat der verschiedensten Naturelemente und des kontextuellen Wissens um den Ort und um die Geschichte. Ihre Arbeit formuliert sich deshalb gestaltbezogen und kulturorientiert. Schwierige Flächen in schöne Aufenthaltsorte zu wandeln heißt für das Team auch, sie schlanker, präziser und funktionaler zu halten.

31. Oktober 2021Martina Pfeifer Steiner
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Denkwürdiges am Weißensee

Landschaft weiter denken. Baukultur zwischen privaten und öffentlichen Interessen. Das wurde vom „Universitäts.club | Wissenschaftsverein Kärnten“ in Kooperation...

Landschaft weiter denken. Baukultur zwischen privaten und öffentlichen Interessen. Das wurde vom „Universitäts.club | Wissenschaftsverein Kärnten“ in Kooperation...

Landschaft weiter denken. Baukultur zwischen privaten und öffentlichen Interessen. Das wurde vom „Universitäts.club | Wissenschaftsverein Kärnten“ in Kooperation mit dem Architektur Haus Kärnten und weiteren Partnern zum „Baukulturjahr 2021“ ausgerufen. Baukultur trägt maßgeblich zur Lebensqualität bei. Grund und Boden sind kostbar. Klimaschutz und Artenvielfalt haben höchste Priorität. Beim Symposium am Weißensee – es ist der schönste, türkiste, klarste Kärntens – geht es um ein Umdenken, um nachhaltigen Tourismus, auch um den Wirtschaftsstandort Kärnten, es geht um Lebensqualität. Die Vortragenden waren sehr gut gewählt, von einigen Highlights an dieser Stelle mehr:

Alfons Dworsky, emeritierter Professor für Architektur an verschiedenen Universitäten, hat die Strukturen im ländlichen Räumen eingehend untersucht und wichtige Bücher geschrieben. Das letzte dreiteilige Werk „Landschaft lesen“ (Strukturen: Flur.Ort.Haus / Überlegungen zum Bauen am Land / Architektur als soziales Ereignis, hg. Verein LandLuft) mit Judith Leitner. Beide gaben einen aufschlussreichen Überblick von der Landschaftsgenese über Landwirtschaft und Infrastruktur bis zum Umgang mit Naturgefahren: „Bauen ist Stoffwechsel mit der Natur.“

Die Landschaftsarchitektin Maria Auböck postuliert in ihrem Referat mit dem Titel „Mut zur Schönheit“: „Zeit ist ein Baumaterial!“ und die Landschafts- und Freiraumgestaltung als Wertschöpfung für kommende Generationen. Der Freiraum schafft ja den Zusammenhang jeglicher Baukultur! Die nachhaltige Weiterentwicklung von Siedlung und Landschaft sei für alle Gemeinden eine Herausforderung, es brauche das Umdenken in Zeiten des Klimawandels, um dem aggressiven Landschaftsverbrauch in den Regionen zu begegnen und zu neuen Profilen zu kommen.

Für Hermann Knoflacher gibt es ohne Kommunikation keine Kultur, auch keine Baukultur. „Steht etwas verkehrt, entsteht Verkehr!“ Der Professor emeritus am Institut für Verkehrsplanung und Verkehrstechnik der TU Wien ist nach wie vor auch medial sehr präsent und seine Thesen stellen einen wesentlichen Beitrag zum Konzept der Sanften Mobilität dar. Es spricht mitreißend von einer evolutionären Degeneration. „Für die Komplexität der künstlichen Welt, die uns in den beiden vergangenen Jahrhunderten passiert ist, sind wir evolutionär nicht vorbereitet und nicht ausgestattet. Sie überwältigt uns. Und deshalb setzt sich das Auto ganz tief im Stammhirn des Menschen fest.“ Umgangssprachlich könne man also sagen, dass das Auto im Hirn jede Sicht auf das Auto kontrolliert! „Die Geschwindigkeiten dieser Zeit liegen außerhalb unserer Erfahrung. Der damit verbundene Maßstabsverlust findet nicht nur im Raum statt und wirkt unsichtbar auf uns zurück. Noch nie war es so leicht, der Unwirtlichkeit der geplanten, gebauten und organisierten Welt zu entkommen, wie mit dem Auto und noch nie war es so leicht möglich, Unwirtlichkeit gewinnbringend zu erzeugen. Grenzüberschreitungen täuschen Freiheiten vor, die meist in die Falle gefährlicher Abhängigkeiten führen.“

Jedenfalls – WEITER DENKEN!

newroom, So., 2021.10.31

19. Oktober 2021newroom

Andreas Winkler – Wertsteigerung

„Der kulturelle Boden für Landschaftsarchitektur unterscheidet sich im ländlichen und städtischen Raum sowie in den verschiedenen Staaten erheblich. Wir...

„Der kulturelle Boden für Landschaftsarchitektur unterscheidet sich im ländlichen und städtischen Raum sowie in den verschiedenen Staaten erheblich. Wir...

„Der kulturelle Boden für Landschaftsarchitektur unterscheidet sich im ländlichen und städtischen Raum sowie in den verschiedenen Staaten erheblich. Wir sitzen ja im Süden von Österreich, am Millstättersee, ich habe wiederum den Kontext in der Schweiz und Deutschland kennengelernt, weil ich sechs Jahre bei Günther Vogt, zuerst in Zürich und dann in München, arbeitete. Dort gibt es eine ganz andere Basis, eine viel längere Geschichte und damit ein völlig anderes Selbstverständnis. Die Entscheidung, wieder an meinen Heimatort zurückzukehren und hier mein eigenes Büro aufzubauen, traf ich sehr bewusst. Zweifellos gibt es im ländlichen Raum große Themen und stark gestiegenen Bedarf. Der Bebauungsdruck ist groß und die Frage wie in diesem hochwertigen, vorgegebenen Landschaftsraum das bebaute Umfeld bewusster und nachhaltiger gestaltet wird, brisant.

Eine große Motivation ist es, neben den verschiedenen nutzungsorientierten Themen der Landschaftsarchitektur – in dieser Region immer wieder auch im touristischen Konnex – uns bei partizipativen Planungsprozessen in der Regionalentwicklung einzubringen. Unter breiter Bürgerbeteiligung versuchen wir die Lösungsansätze aus dem Ort heraus zu entwickeln und die Qualitäten auch in die Umsetzung zu bringen. Baukulturvermittlung und das Einbeziehen der BürgerInnen sind ganz wesentlich, Sensibilisierung und Vertrauen wachsen mit jedem Projekt. Ein Argument ist dabei durchaus die Wertsteigerung in ökologischer, sozialer und eben auch ökonomischer Hinsicht. Zahlreiche Studien belegen, dass im Empfinden der Bevölkerung Lebensqualität sehr eng an qualitativ hochwertige Freiräume gekoppelt ist und dass Immobilienpreise in durchgrünten und ökologisch nachhaltig geplanten Wohnbezirken signifikant höher sind. An einem Platz mit Aufenthaltsqualitäten wird sich auch eher Gastronomie und Geschäftsleben finden. Die Gestaltung von Freiräumen ist maßgeblich beim Zusammenspiel von Architektur und Natur.“

Andreas Winkler, geb. 1982, Winkler Landschaftsarchitektur, Seeboden, Kärnten. Das Atelier für Freiraumplanung und partizipative Regionalentwicklung trägt mit seinem Standort im ländlichen Raum durchaus zur kulturellen Stärkung des Verständnisses für dieses Thema bei.

12. Oktober 2021Martina Pfeifer Steiner
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Kostbarer Boden

Boden – in aller Munde. Inzwischen berichten die Medien beinahe täglich darüber. Boden – das brisante Thema. Die fortschreitende Versiegelung trägt maßgeblich...

Boden – in aller Munde. Inzwischen berichten die Medien beinahe täglich darüber. Boden – das brisante Thema. Die fortschreitende Versiegelung trägt maßgeblich...

Boden – in aller Munde. Inzwischen berichten die Medien beinahe täglich darüber. Boden – das brisante Thema. Die fortschreitende Versiegelung trägt maßgeblich zur Klimakrise bei und gefährdet die Ernährungsgrundlagen der Menschen. Die Spekulation und Hortung von Grundstücken verteuert den Wohnbau und führt zu einer schleichenden Privatisierung des öffentlichen Raums. Die Verdrängung städtischer Produktionsbetriebe verstärkt die Monofunktionalität. Außerhalb der großen Zentren finden wir uns in einer Landschaft mit Einkaufszentren, Chaletdörfern und Einfamilienhaus-Teppichen wieder, während die Ortskerne veröden und das Verkehrsaufkommen explodiert. Raumplanungsgesetze, Steuergesetzgebung und Förderwesen gehören gründlich hinterfragt. Das Az W Architekturzentrum Wien hat sich diesem Thema fundiert angenommen und schickt die eindringliche Schau „Boden für Alle“ in zwei mobilen Varianten auf Wanderschaft durch ganz Österreich. Zum brandaktuellen Diskus in Vorarlberg macht sie im vai halt.

Boden ist kein Joghurt

Anschaulich und konkret, kritisch und manchmal unfreiwillig absurd erläutert die Ausstellung politische, rechtliche und wirtschaftliche Hintergründe: Wie wird Grünland zu Bauland? Wer plant die Raumplanung? Wieso steigt der Preis für Grund und Boden? „Kaum ein Politiker hat mehr eine Ahnung von fundamentaler Bodenökonomie und weiß, was das wirtschafts-, demokratie- und sozialpolitisch überhaupt bedeutet. „Das regelt der Markt“, jaja. Was soll das denn für ein Markt sein? Wenn die Leute mehr Joghurt essen, was machen die Produzenten? Mehr Joghurt. Und wenn die Nachfrage nach Joghurt wieder sinkt, dann produzieren sie weniger. Das ist Markt. Aber Boden? Sie können dieses Gut ja nicht vermehren!“, so wird eine Schweizer Nationalrätin zitiert. Adäquat plakativ, in kräftigen Farben, übersichtlich und grafisch an Mind-Maps erinnernd, bis zur Karikatur ausgereizt, kommen die Botschaften rüber: „GrundeigentümerInnen in Kitzbühel können bei der Umwidmung von Grünland in Bauland und anschließendem Verkauf bis zu 15.937 % Gewinn machen“. Nein, es handelt sich hier nicht um einen Tippfehler! „Pro Minute werden in Österreich 9,89 m² Straßen gebaut.“ „Zwischen 1951 und 2016 ist die landwirtschaftlich genutzte Fläche um beinah die Größe der Steiermark zurückgegangen.“ Bodenpolitik hat mit uns allen zu tun und diese Ausstellung will vor Ort aufrütteln.

Vorarlberger Ansätze

Die vier, auch in der begleitenden (sehr wichtigen!) Publikation eingeschobenen Kapitel „Gutes auf den Boden bringen“ zeigen Alternativen auf. Es finden sich sogar zwei Best-Practice-Beispiele aus Vorarlberg darunter! Im vai illustriert zusätzlich eine Tafel der Landesraumplanung das „Raumbild Vorarlberg“ sehr anschaulich. Auch der Verein Bodenfreiheit wird in Dornbirn mit aufrüttelnden, brisanten Fragestellungen ausführlicher behandelt. Im Buch erfährt man, wie diese Gruppe Gleichgesinnter mit höchst innovativen Mitteln um die Freihaltung von Boden kämpft. Es gelingt dem Verein mitunter an strategisch wichtigen Orten kleinere Grundstücke „frei“ zu kaufen, sie haben aber obendrein mit dem Instrument des Gehrechts eine Möglichkeit entdeckt, Freiflächen zu sichern. Mit Rücksicht auf landwirtschaftlich auferlegte Beschränkungen wird das Recht erworben über den Grund zu spazieren, der dadurch nicht mehr bebaut werden darf.
Das zweite Vorarlberger Beispiel antwortet auf die Zersiedelungsproblematik und präsentiert eine modellhafte Masterarbeit (Kunstuniversität Linz, Studienrichtung Architektur), die sich der Nachverdichtung einer bestehenden Einfamilienhaussiedlung in Götzis „Unter der Bahn“ widmet. Neun freistehende Einfamilienhäuser aus den 1950er, 70er-Jahren in einem bestehenden Siedlungsgebiet werden unter die Lupe genommen. Besonderheit, vielleicht auch Zeichen von Aufgeschlossenheit, ist der gemeinsame Garten zwischen den Häusern, der ohne Zäune auskommt. Im Forschungsprojekt wurden fünf Nachverdichtungsmuster – Cluster, Hofhäuser, Winkelhofhäuser, Blockrand – geprüft, die für bis zu achtmal mehr Menschen Wohnraum bieten könnten. Die Variante mit Blockrandbebauung kam bei den EigentümerInnen am besten an, weil die Grünflächen komplett erhalten bleiben würden. Interessant war jedoch auch der Cluster-Vorschlag, der die Typologie von freistehenden Häusern fortführt. Ein bevorstehender Generationenwechsel könnte hier wohl zur Bereitschaft umzudenken beitragen, neben den Argumenten für die Verringerung der relativen Baukosten, die Vermeidung von sozialer Vereinsamung und Anpassung der Wohnfläche an die individuellen Bedürfnisse.

Radikale Transformation

Neben solchen regionalen Akupunkturen kommen in der Ausstellung auch spektakuläre internationale Projekte wie die zwei Umnutzungen von Verkehrsbauten in Seoul vor: Vor mittlerweile 20 Jahren entschied sich die Hauptstadt Südkoreas für den ersatzlosen Abriss einer knapp 6 km langen Stadtautobahn und die Freilegung des darunterliegenden zubetonierten Flusses. Der nun freigelegte Cheonggyecheon-Kanal bringt mit seiner höchst reizvollen, mannigfaltigen Landschaft nicht nur Lebensqualität und Biodiversität in die Stadt, sondern dient auch dem Hochwasserschutz. Ein erstaunlicher Nebeneffekt ist der verbesserte Verkehrsfluss. Ein Erklärungsmodell für dieses Phänomen könnte das Braess-Paradoxon (1968 vom deutschen Mathematiker Dietrich Braess veröffentlicht) sein: Unter der Annahme, dass jeder Verkehrsteilnehmer seine Route so wählt, dass es keine andere Möglichkeit mit kürzerer Fahrtzeit gibt, zeigt das Modell, dass eine zusätzliche Handlungsoption zu einer Verschlechterung der Situation für alle führen kann. Es entsteht das paradoxe Situation, dass der Bau einer zusätzlichen Straße – also eine Kapaziätserhöhung – bei gleichbleibendem Verkehrsaufkommen, die Fahrtdauer für jeden einzelnen Autofahrer erhöht. Mit der Transformierung einer vierspurigen Stadtautobahnabfahrt in eine parkähnliche Fußgängerbrücke mit Gärten, Teecafés, Blumenläden, Bibliotheken und Gewächshäusern gab es 2017 in Seoul noch eine großangelegte Draufgabe für nachhaltige Stadtentwicklung.

Doch bleiben wir bei den Autobahnen! Ist dieses bodenvernichtende Themenfeld ausreichend mit der Landesraumplanung verknüpft? Warum werden bei diesen immensen Eingriffen in die Natur die LandschaftsarchitektInnen nicht zwingend in die Projektierung eingebunden? Warum dürfen die StraßenplanerInnen unbeachtet und undiskutiert so absurd viele Bodenflächen versiegeln? Die Herausforderung zur Ressource Boden betrifft nicht nur ALLE sondern ALLES.

newroom, Di., 2021.10.12

28. September 2021newroom

Isolde Rajek – Stadtwildnis

„In der Landschaftsarchitektur geht es natürlich um viel mehr als um Klimamaßnahmen. Der große Ruf nach Grün, Bäumen, nach der Schwammstadt wird immer...

„In der Landschaftsarchitektur geht es natürlich um viel mehr als um Klimamaßnahmen. Der große Ruf nach Grün, Bäumen, nach der Schwammstadt wird immer...

„In der Landschaftsarchitektur geht es natürlich um viel mehr als um Klimamaßnahmen. Der große Ruf nach Grün, Bäumen, nach der Schwammstadt wird immer lauter. So nachvollziehbar das ist, muss man doch aufpassen nicht eifrig abzudriften ins Abliefern von „Haustechnik“ für den Freiraum. Für mich muss die Landschaftsarchitektur den Menschen irgendwie berühren, verzaubern. Das klingt etwas pathetisch, aber es ist meine Idealvorstellung – einen Raum herzustellen, der aus dem Alltag herauszubringen und in einen anderen Zustand zu versetzen vermag. Man kreiert ja Atmosphären in der Landschaftsarchitektur, die beim Einzelnen Assoziationen, Erfahrungen, Erinnerungen auslösen können. Die zukunftsträchtige Stadt braucht Räume, die nicht so determiniert sind. Üblicherweise wird in genau definierte Bereiche für Kinder, Ältere, Jugendliche etc. funktionell zerpflückt. Ich denke, es braucht auch den großen offenen Raum der über die vegetative Wirkung eine „Wildniszone“ ohne Regeln, ohne Vorgaben entstehen lässt, den man selbst aktiv entdecken kann – einen anarchischen Raum. Irritationen finden ganz schnell statt, da muss man gar nicht viel anders machen, aber das ist eigentlich das Interessante, die Leute brauchen halt etwas Zeit sich zu arrangieren.

Die Freiflächen um das Atelierhaus C21 im Sonnwendviertel sind ein von der Nutzung her komplett undefinierter Raum, der sich als Sukzessionsfläche nach und nach entwickeln soll, eine Art Pionierfläche, bei der unterschiedliche Substrate zum Einsatz gekommen sind. Wir werden sehen, was sich ansiedelt, etabliert, wie er sich verändert. Informelle Rückzugsräume entstehen durch große Sitzsteine, auch die Bäume sind so gesetzt, dass man sich vorbei drücken, seinen Weg suchen muss und eigentlich in Zwiesprache mit den Pflanzen kommt. Wir arbeiten gerne mit großen Modellen, wo wir diese Feinheiten in Vegetation, Sichtachsen, Raumbildung und –abschlüssen darstellen können. Ein erhebender Moment ist dann, wenn das Bauwerk hineingesetzt wird und sich in der Landschaft verortet.“

Isolde Rajek, geb. 1964, rajek barosch landschaftsarchitektur, Wien. Der Freiraum des C21 im Wiener Sonnwendviertel war für Isolde Rajek und Oliver Barosch ein Experimentierfeld. So wie das Atelierhaus neutralen Raum für unterschiedliche Lebensvorstellungen und Tätigkeiten schafft, werden die modellierten Sukzessionsflächen rundherum zum Potenzial für die Entwicklung in eine zunehmende Stadtwildnis, reich an Spontanem und Unvorhergesehenem.

14. September 2021Martina Pfeifer Steiner
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Luxuriös wohnen in Balkonien

Feines Format, vielversprechende Dicke, angenehm klassische Buchgestaltung. Schon beim ersten Durchblättern bleibt man interessiert hängen bei den Schwarzpan-Vignetten...

Feines Format, vielversprechende Dicke, angenehm klassische Buchgestaltung. Schon beim ersten Durchblättern bleibt man interessiert hängen bei den Schwarzpan-Vignetten...

Feines Format, vielversprechende Dicke, angenehm klassische Buchgestaltung. Schon beim ersten Durchblättern bleibt man interessiert hängen bei den Schwarzpan-Vignetten mit roten Einsprengsel, die Überblick geben über die zwölf vorgestellten Meilensteine im europäischen Terrassenwohnbau. Man bleibt auch an den klar gegliederten Texten hängen, den gut zuordenbaren, immer im oberen Viertel der Seite platzierten kleinen Fotos mit Bildunterschriften, und hat auf den ersten Blick, unmerklich schon ganz viel erfahren: Zum Beispiel, dass die Planstadt „Olympisches Dorf“ in München als Lebens- und Wohnmodell bis heute einzigartig ist. Die grüne Insel mit 5.000 Wohnungen, in Clustern geordnet, bietet Qualitäten wie Wohnstraße, Badesee, großes Forum, überdachte Passagen, Läden, Restaurants, Ärztezentrum und Hotel. Auch der Wohnpark Alt-Erlaa von Harry Glück in Wien wird unter dem Kapitel „Autarke Inseln“ eingeordnet. Höchst interessant, über die Rezeption dieser umstrittenen Bauwerke nachzulesen. Alt-Erlaa kam von Anfang an bei den BewohnerInnen sehr gut an, es dauerte jedoch, bis dieses hochleistungsfähige urbane Wohnmodell in Architekturkreisen anerkannt und als solches vermittelt wurde.

„Die Möglichkeit einer Grünen Stadt“ lautet das große Kapitel, das aus einem Manuskript von Harry Glück entnommen ist. Der Architekt verfasste Zeit seiner professionellen Tätigkeit Texte zur Frage des Wohnens und der Stadt, die unter „Schriften zur Architektur für Menschen“ veröffentlicht wurden. „Die Forderung, die Natur in die Stadt zurückzuholen, auch in der Stadt im Einklang mit einer sensibel entwickelten Form der Natur zu leben, ist eine viel realistischere Ideologie als die Stadt-Romantik, die in der intellektuellen Boheme vorherrscht. Wozu kommt, dass diese Sphären einander keineswegs ausschließen – tatsächlich ermöglicht erst eine kompakte und gleichzeitig durchgrünte Stadt jene lebendige Bewohnbarkeit, in der sich Urbanität überhaupt entwickeln vermag.“ Wie viele von den brisanten, aktuellen Themen sind damit schon vorweggenommen! Das Essay „Die Erfindung des Terrassenwohnhauses“ der Herausgeber Gerhard Steixner und Maria Welzig bietet zudem Grundlegendes wie Interessantes zur Thematik.

Dichte an der Peripherie (Terrassenhaussiedlung in St. Peter Graz) – Verkehrsindizierte Sonderformen (z.B. Autobahnüberbauung Schlangenbader Straße in Berlin als architekturhistorische Einzigartigkeit, deren Qualitäten erst nach vierzig Jahren mit unter Denkmalschutz-Stellung gewürdigt wurden) – Dicht im Blockraster – Hybride in Kernlage – das sind die weiteren Ordnungskapitel für die zwölf Projekte, die nach ausführlicher Beschreibung jeweils mit seitenfüllenden Fotos illustriert sind. Vorangestellt wird das phänomenhafte Beispiel der Ferienstadt „La Grande Motte“ in Frankreich, das sich in der Rezeption vom Betonmonster zum Nationalen Kulturerbe entfaltete. Sonnenterrassen für alle. Die Feriensiedlung mit 25.000 Apartments wurde von Anfang an (in den 1970er-Jahren) angelegt wie eine ständig bewohnte Stadt, mit Schule, Rathaus, Kirche, Synagoge, Sport-, Kultureinrichtungen und Friedhof. 9.000 Menschen wohnen das ganze Jahr im heute als Modell für allgemeinen Wohnbau geltenden Quartier und zwei Millionen UrlauberInnen besuchen jährlich die Stadt am Meer.

Diese Publikation über den Luxus für Alle bietet wirklich spannende Geschichten über lebenswerte Wohnmodelle, über die Veränderung der Sichtweisen und Einschätzung. Dass die Bewohnerinnen und Bewohner die Wohnqualitäten immer schon als solche erkannt und geschätzt haben, darf zum Nachdenken anregen!

newroom, Di., 2021.09.14



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Luxus für alle

07. September 2021Martina Pfeifer Steiner
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Raum. Material. Boltshauser

Gute Bücher riechen gut. Die Monografie „Roger Boltshauser“ riecht sehr besonders gut – nach Naturharzöl-Imprägnierung. Es ist zudem ein schier haptisches...

Gute Bücher riechen gut. Die Monografie „Roger Boltshauser“ riecht sehr besonders gut – nach Naturharzöl-Imprägnierung. Es ist zudem ein schier haptisches...

Gute Bücher riechen gut. Die Monografie „Roger Boltshauser“ riecht sehr besonders gut – nach Naturharzöl-Imprägnierung. Es ist zudem ein schier haptisches Vergnügen darin zu Blättern, darum sei die Gestalterin Andrea Gassner aus Feldkirch zu Beginn genannt – langjährig und inspirierend ist deren Zusammenarbeit mit dem Architekten. Inspirierend das 530 Seiten-Schwergewicht auch für die LeserInnen.

„Lange war nicht klar, ob mein Weg in Richtung Architektur oder in Richtung Kunst gehen sollte. Das Architekturstudium empfand ich als eine gute Grundlage.“ Roger Boltshauser ist beiden Disziplinen treu geblieben. So beginnt jedes dokumentierte Projekt mit einer Zeichnung neben der trockenen Fakten-Seite, und die Schlusskapitel „Couvertskizzen“ sowie „Reliefarbeiten“ geben darüberhinaus Eindruck von seinem künstlerischen Oeuvre, sind aber auch wesentlicher Teil der werkmonografischen Ausstellung in der Architekturgalerie Berlin im Sommer 2021.

Der Herausgeber Martin Tschanz verrät in seiner Ouvertüre, dass der Start mit dem Konzept schon zehn Jahre her ist. Sorgfalt und Detailgenauigkeit zeichnen das Buch aus und sind Begriffe die unter vielen anderen auch auf die Architektur Boltshausers anzuwenden sind. Seine Architektursprache entwickelt er in enger Auseinandersetzung mit dem jeweiligen Material und den ihm eigenen konstruktiven und strukturellen Möglichkeiten. Gebaut wird in Lehm, in Backstein oder Keramik, in Holz, Beton, oder Stahl und Glas. Aufsehen erregten die frühen Werke mit dem Lehmbauer Martin Rauch, wie die Gerätehäuser mit Zielturm der Sportanlage Silhölzli und vor allem die archaische Skulptur in Schlins, die mit und für Martin Rauch als Experiment und Statement in Stampflehm errichtet wurde.

Die Dokumentation eines jeden Bauwerks geht in die Tiefe: Nach dem künstlerischen Beginn kommen Planzeichnungen, Grundrisse, Details, Schnitte oder Studien, einfach alles was von Interesse sein könnte. Es folgen Fotos der Baustelle oder Materialstudien oder vom 1:1 Mock-up. Spannend. Das Buch lässt sich Zeit in der Aufbereitung. Die erläuternden Texte sind so lange, wie die erzählte Geschichte interessant ist, und die Architekturfotografien so viele, wie die BetrachterInnen zur Erfassung und Vorstellung des Bauwerks brauchen. Das Wohnhochhaus Hirzenbach z.B., bei dem die Rücksprünge bzw. Glasgeschoß-Unterbrüche im Schnitt als rhythmisierte Hochausscheibe mit dem Kräfteverlauf erklärt werden, die dadurch Pakete mit Duplexwohnungen und Ebenen mit Lofts bieten. Wegen dem Ozeanium im Basler Zoo möchte man sofort dorthin fahren um dieses nicht nur zu besichtigen sondern zu erleben. „Dem Schnitt durch einen Felsen gleich erinnert der Aufbau der Wände an geologische Formationen der Meere. Sowohl innen wie auch außen kommt Stampflehm zum Einsatz. Ausgehend von der Idee eines Gebäudes, das wie ein Fels monolithisch und geheimnisvoll in der Brandung steht, zeigt sich in der äußeren Erscheinung eine horizontale Schichtung als Übergang von hartem Fels über weicheres Gestein bis hin zu erdigem Lehm“, steht geschrieben. Faszinierend auch die Glasbausteinfassade beim Forschungsgebäude GLC ETH Zürich oder die Fotos vom Hochhaus H1 im Zwhatt-Areal die vielschichtige Wohnqualitäten vermuten lassen.

Themen der Nachhaltigkeit sind bei Boltshauser ebenso gewichtig wie kompositorische und raumgestalterische. Der Faktor Klima spielt auf allen Maßstabsebenen und in allen Planungsphasen eine Rolle, beeinflusst die städtebauliche Setzung ebenso wie Grundrisse und Fassaden, die Wahl der Materialien und der haustechnischen Ausstattung. Mit dem ausführlichen Essay des Architekten „Was Architektur für eine nachhaltige Zukunft zu leisten vermag“ zum Schluss wir dies eindrücklich vermittelt.

newroom, Di., 2021.09.07



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Roger Boltshauser

07. September 2021newroom

Joachim Kräftner – Abkühlung

„Dass mehr Grün in der Stadt einen unabdingbaren Kühleffekt hat und gleichzeitig Lebensqualität, Biodiversität und Wohlbefinden wesentlich erhöht vermitteln...

„Dass mehr Grün in der Stadt einen unabdingbaren Kühleffekt hat und gleichzeitig Lebensqualität, Biodiversität und Wohlbefinden wesentlich erhöht vermitteln...

„Dass mehr Grün in der Stadt einen unabdingbaren Kühleffekt hat und gleichzeitig Lebensqualität, Biodiversität und Wohlbefinden wesentlich erhöht vermitteln inzwischen auch die Medien täglich. Da trifft ein Bauwerksbegrünungsprojekt wie das beim ersten Innenstadt-IKEA in Wien durchaus auf großes Interesse. Statt der blau-gelben Kiste auf grüner Wiese im Speckgürtel gibt es das neue Konzept – weltweit an etwa dreißig Standorten – von individuell für die jeweilige Stadt geplanten Möbelhäusern. Der Wettbewerbsentwurf von querkraft sah vor, das Haus im großen Maßstab zu begrünen, und in der letzten Stufe holten die Architekten uns ins Team, um nachzuweisen, dass die Bepflanzung in den überdimensionalen Trögen auch technisch realisierbar ist. Die im Endeffekt 160 Bäume am Dach und in der „Hochregal-Fassade“ kühlen laut Simulationsmodell die unmittelbare Umgebung um bis zu zwei Grad. An heißen Tagen kann jedermann/frau auf der öffentlich zugänglichen Dachterrasse die Wirkung der Gehölze erleben. Es wurden stadtklimaverträgliche, für den Wiener Raum geeignete und an der Gehölzvegetation Schwedens orientierte Pflanzarten ausgewählt. Jeder der weißen, runden Stahlblechtröge für die bis zu sechs Meter hohen Bäume wird von der sensorgesteuerten Bewässerungsanlage versorgt. Neben der logistischen Herausforderung die Bäume mit je mindestens 15 m³ Erde auf das Haus zu bringen war es auch statisch höchst anspruchsvoll, einen sechs Tonnen schweren Topf als Punktlast am Gebäude zu platzieren. Trotz dieses Aufwands beziffert IKEA den Anteil der Bauwerksbegrünung mit nur einem Prozent der gesamten Baukosten.

Ich denke, wir Landschaftsarchitektinnen und -architekten können mannigfaltige neue Qualitäten einbringen. Vor allem in der Stadt macht Bauwerksbegrünung sehr viel Sinn, wo es im Erdgeschoß für Freiraumgestaltung und Bäume keine Möglichkeit gibt. Pflanzen sind mit ihrer großen Blattmasse natürlich die beste Klimamaßnahme und das hat schon im Kleinen große Wirkung. Eine Kletterpflanze an der Hausecke wie wilder Wein, Veitschi, Kiwi oder die wüchsige Glyzinie an der Fassade schaffen sofort ein deutlich angenehmeres Mikroklima. Aber auch im großen Maßstab haben wir mittlerweile schon einen hohen Standard erreicht. Der Urban Heat Island-Strategieplan Wien, der Grünflächen-Potenzialkataster und die neue ÖNORM für Vertikalbegrünung sind absolut wichtige Schritte um die Stadt noch grüner und somit zukunftsfit zu machen.“

Joachim Kräftner, geb. 1972, Kräftner Landschaftsarchitektur, Wien. Bauwerksbegrünungen sind in der Stadt, wo Freiraum in der Erdgeschoßzone so knapp ist, geeignete Maßnahmen um die Aufheizung zu reduzieren und lassen zudem wertvolle Gemeinschafts- und Aufenthaltsräume entstehen. Die Realisierung eines Großprojekts wie der Innenstadt-IKEA in Wien polarisiert durchaus, zeigt aber mit Sicherheit einen Weg für klimaresilientes Bauen in der Stadt auf.

17. August 2021newroom

Carla Lo – urban und grün

„Parks-Straßen-Plätze stellen als urbane Typologien momentan die große Herausforderung dar – dort gibt es auch höchsten Handlungsbedarf. Landschaftsarchitektur...

„Parks-Straßen-Plätze stellen als urbane Typologien momentan die große Herausforderung dar – dort gibt es auch höchsten Handlungsbedarf. Landschaftsarchitektur...

„Parks-Straßen-Plätze stellen als urbane Typologien momentan die große Herausforderung dar – dort gibt es auch höchsten Handlungsbedarf. Landschaftsarchitektur ist oft eng mit der Architektur verbunden, bei diesen Aufgaben ist man jedoch etwas freier. Da gibt es zwar die Randsituationen oder die begleitenden Fassaden, und je nach Ausgeprägtheit versuchen wir darauf zu antworten, Einklang zu finden, nicht zu übertrumpfen und mitunter neue Identitäten zu stiften. Doch bei Parkanlagen sind wir funktionsunabhängiger, es entsteht eine eigene Mitte, in der Komposition unterschiedlicher Elemente haben wir einen größeren Spielraum, setzen mit Bäumen und Bepflanzung unterschiedliche Kulissen, starten und begleiten auch Aushandlungsprozesse unter den NutzerInnengruppen. Wir haben im gerade fertiggestellten „Cooling-Park“ vor dem „Haus des Meeres“ in Wien – also wirklich im wörtlichen Sinn – mit Wasser-, Nebeldüsen und Klimabäumen einen gekühlten Vorbereich zum ehemaligen Flakturm geschaffen. Die Low-Tech-Maßnahmen sind aber genauso wichtig: ein besonderes Gehölzsortiment, ein neuer Umgang mit Belägen und wo immer möglich arbeiteten wir mit Grünfugen, sodass wir den Versiegelungsgrad gering halten und die Wasserdurchlässigkeit erhöhen können.

Ich denke, dass urbane historische Platzflächen DIE Herausforderung bezüglich Klimawandel sind, und da weiß ich noch nicht so recht, wie damit umgehen. Wir haben uns über die Jahrzehnte auf eine Vorstellung des architektonischen Platzes verständigt, doch sind wir damit heute in der Stadt noch Klima-fit? Von den NutzerInnen kommt ständig der Wunsch nach grün und grüner. Man kann jedoch nicht aus jedem Platz einen Park machen. Was ist hier das richtige Maß? Diese Frage wird uns gewiss weiterhin stark beschäftigen.“

Carla Lo, geb. 1976, Carla Lo Landschaftsarchitektur, Wien. Bei der Umgestaltung des Loquaiparks in Wien-Mariahilf schafft das Büro Durchlässigkeit und in einem breit angelegten Aushandlungsprozess zwischen AnrainerInnen, MittelschülerInnen und PensionistInnen in unmittelbarer Nachbarschaft vielfältige Aufenthaltsqualitäten. Die ursprüngliche Dreiteilung des Parks bleibt erhalten, neu aber ist die Verbindung. Alle 102 Bäume bleiben erhalten.

27. Juli 2021newroom

Raoul Bukor – Atmosphäre schaffen

„Landschaft hat als Lebens- und Aufenthaltsraum immens wichtige Funktionen – angefangen bei den ökologischen bis zu den klimatischen – und verhandelt Themen...

„Landschaft hat als Lebens- und Aufenthaltsraum immens wichtige Funktionen – angefangen bei den ökologischen bis zu den klimatischen – und verhandelt Themen...

„Landschaft hat als Lebens- und Aufenthaltsraum immens wichtige Funktionen – angefangen bei den ökologischen bis zu den klimatischen – und verhandelt Themen wie Biodiversität, Umgang mit Wasser, urbane Überhitzung. Im Verhältnis zur Landschaft bildet sich auch die gesellschaftliche Haltung zur Umwelt, zu natürlichen Ressourcen und zum sozialen Umfeld ab und sollte aus unserer Sicht stark gespielt bzw. lesbar gemacht werden. Genauso wichtig sind aber die atmosphärischen Aspekte, die Landschaftsarchitektur einbringen muss. Welche Bilder von Natur können wir hier evozieren? Es geht um die Kompositionen von Raum und Material, die Erinnerungsverbindungen und Assoziationen wecken – ein Durchschreiten der individuellen (Sehnsuchts-)Bilder auf Gefühlsebene, das in weiterer Folge zur Identifikation führen kann. Der unmittelbare Dialog mit den ArchitektInnen für ein Verschmelzen von Innen und Außen ist ebenfalls entscheidend und ein anregender, komplementärer Zustand, in den wir uns begeben können. Es findet aktuell ein starker Umdenkprozess statt – natürlich gibt es auch großen Nachholbedarf! – und den Entscheidungsträgen wird die Bedeutung von qualitätsvoller Freiraumgestaltung zunehmend bewusst.

Bei einem Pflegeheim beispielsweise, einem geschlossenen System, wo die Menschen kaum noch mobil sind, versuchten wir abwechslungsreiche Interaktionsmöglichkeiten mit Garten, Landschaft und durch szenische Elemente Bezugspunkte zum eigenen Leben zu schaffen, um damit Vertrautheit und Wohlbefinden zu fördern. Auch beim Vorplatz der BUWOG wollten wir das zentrale Thema des Unternehmens nach außen bringen: Ein „Teppich“ als grafische Pflasterfläche wurde ausgerollt und mit Sitzgruppen, Sofas, Zimmerpflanzen assoziierten Elementen ergänzt. Dieser Platz in der Wiener Innenstadt wird sehr gerne und durchaus heterogen genutzt. Bei solchen öffentlichen Räumen aber auch generell in der Landschaftsgestaltung ist es immer spannend, wie sie sich über die Zeit entwickeln.“

Raoul Bukor, geb. 1980, Lindle+Bukor atelier für landschaft, Wien. Landschaft ist für Raoul Bukor und Christian Lindle nicht nur physische, lebensnotwendige Umgebung, die Änderungen in Nutzung und zunehmender Urbanisierung ausgesetzt ist, sie bildet vor allem auch den poetischen Raum, den Ort der Imagination und Interpretation, Sehnsucht und Emotion.

06. Juli 2021Martina Pfeifer Steiner
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Club der vier Architekten

Es trifft sich gut, dass diesen Sommer eine Erkundungstour zu Bauten der Protagonisten der Neuen Vorarlberger Bauschule so komfortabel und konzentriert...

Es trifft sich gut, dass diesen Sommer eine Erkundungstour zu Bauten der Protagonisten der Neuen Vorarlberger Bauschule so komfortabel und konzentriert...

Es trifft sich gut, dass diesen Sommer eine Erkundungstour zu Bauten der Protagonisten der Neuen Vorarlberger Bauschule so komfortabel und konzentriert in zwei Kulturhäusern abgehandelt wird: in Dornbirn im vai – Rudolf Wäger – und in Bregenz im Vorarlberg Museum – Karl Sillaber und C4 Architekten. Club der vier (= C4) nannten sie sich und gemeint waren Max Fohn, Helmut Pfanner, Karl Sillaber und Friedrich Wengler. 1960 nahmen Fohn/Sillaber, die jungen Absolventen der Technischen Hochschule Graz, am Architekturwettbewerb zum Neubau der Volksschule Nüziders teil und gewannen ex aequo mit Pfanner/Wengler, die einander von der Staatsgewerbeschule in Innsbruck kannten, den zweiten Preis. Die Jury war von der gleichwertigen Qualität der Konzepte so überzeugt, dass sie den beiden Teams vorschlug, die Schule gemeinsam zu planen. Damit war C4 Architekten gegründet. Fohn, Sillaber und Pfanner arbeiteten in Bregenz, Wengler weiterhin von Innsbruck aus. Der Untertitel zur Ausstellung bzw. des gleichzeitig erscheinenden Katalogs lautet darum „Neues Bauen in Vorarlberg und Tirol. 1960–1979“ und beleuchtet ausschließlich die Bauten, die im Kollektiv der vier entstanden sind.

Erfolgsgeschichte

Als Schlüsselwerk des modernen Schulbaus in Vorarlberg gilt heute das Projekt in Nüziders, und die Erfolgsgeschichte von C4 nahm mit dem gleich anschließenden Gewinn des Wettbewerbs zur HAK/HAS Bregenz ihren Lauf. Der Schulbau bildet also den Hauptstrang in der Sonderausstellung im Vorarlberg Museum. Fünf Projekte veranschaulichen exemplarisch mit Architekturmodellen Entwicklung und Typologie: angefangen mit der kleinteiligen, eingeschoßigen Hofschule in Nüziders, über die großräumige HAK im urbanen Kontext, die als Gangschule konzipiert ist, die Pavillonschule in Lustenau-Hasenfeld, die Hauptschule in Nenzing, bei der C4 die gestaffelten Baukörper um einen Innenhof gruppieren, bis zum Hallentypus des Bundesgymnasiums in Feldkirch Anfang der 1970er Jahre. Die Kunsthistorikerin Ingrid Holzschuh – Kuratorin und Herausgeberin des Katalogbuchs – erzählt, dass Karl Sillaber des Öfteren in der Modellbauwerkstätte von Michael Rast, wo diese feinziselierten Miniaturen entstanden, vorbeischaute und auch sonst sehr aktiv beteiligt war, beim Ausforschen von Plänen, die in der Sammlung des Architekturzentrum Wien, das den Nachlass von C4 verwaltet, fehlten. Diese mussten allesamt neu gezeichnet werden. Dafür waren die Projekte mit historischen Aufnahmen durchwegs sehr gut dokumentiert.

Die Fotografien sind auch das Medium der Vermittlung – ganzseitig im Buch, als Blow-up-Bilder zwischen die Tischvitrinen geschoben in der Ausstellung. Die beschreibenden Texte stammen aus alten Zeitschriften wie „planen – bauen – wohnen“, „Der Aufbau“ oder „architektur aktuell“. Sind im Katalog die Bauwerke chronologisch dokumentiert, bilden sie in der Schau thematische Gruppen: Lernen in der Mittelachse und rundherum Arbeiten/Wohnen, Erholen/Bewegen und Verwalten/Pflegen mit den weniger bekannten Ein- und Mehrfamilienwohnhäusern, Büro- und Gewerbegebäuden, Frei- und Hallenbädern, Gemeindezentren, Rathaus sowie Krankenhaus, die in der gemeinsamen Schaffensperiode zwischen 1960 und 1979 in Vorarlberg und Tirol entstanden sind.

Beständige Qualitäten

Mit aktuellen Bildern der Fotografin Petra Rainer werden drei Projekte in den Fokus gerückt: Die Wohnsiedlung in der Bregenzer Amtstorstraße offenbart noch immer ihre Qualitäten. „Diese Reihenhaussiedlung folgt sowohl den Schichten (= Krümmung) des Hanges als auch der Mulde im Gelände. Dadurch wird nicht nur eine besondere Einbindung erreicht, sondern auch die visuelle Erfassbarkeit des langen Baukörpers“, lobte sie schon Friedrich Achleitner in seinem Standardwerk „Österreichische Architektur des 20. Jahrhunderts“. In der einen Hälfte des Doppelwohnhauses Fohn/Sillaber am steilen Pfänderhang wohnt heute der Sohn von Karl. Die Farbfotos zeigen die gestaffelten Sichtbetonkuben überwuchert mit üppigem Grün, was bereits im Entwurf bezüglich Kühlung Programm war. Und sie zeigen auch den Großvater mit seinen Enkeln in den im Split-Level versetzten Raumabfolgen. Die dritte Bildserie widmet sich der Volksschule Lustenau-Hasenfeld, deren den Klassen zugeordneten Lernhöfe heute noch genauso aussehen und funktionieren wie damals.

Karl Sillaber kommt auch ausführlich zu Wort. Es ist durchaus eine Bereicherung der monografischen Werkschau, dass die Gespräche der Az W Ausstellung „Vorarlberg – Ein Generationendialog“ noch einmal zugänglich werden. Diese Ausstellung wurde übrigens auch im vai gezeigt, dabei lässt die Kuratorin Sonja Pisarik die Pioniere (Purin, Wäger, Wratzfeld, C4) der 1960er Jahre Vorarlbergs in den Dialog treten mit den „Jungen“. Karl Sillabers GesprächspartnerInnen waren Matthias Hein, Andreas Cukrowicz und Anton Nachbaur sowie Helena Weber. Alle miteinander verbinden persönliche Bezüge, Engagement und Exkursionen mit der Zentralvereinigung der ArchitektInnen und vor allem eine große Wertschätzung für Person und Werk der jeweils anderen. Schön, dass diese Gespräche jetzt transkribiert im Buch nachzulesen und in der Ausstellung als Projektion nachzuschauen sind.

So bleibt noch das Vorwort der Az W Direktorin Angelika Fitz als Resümee zu zitieren: „Dieser erstmalige umfassende Einblick in das Werk von C4 macht Lust auf Architektur. Das Buch öffnet den Blick für überraschende Raumerlebnisse. Es lässt Material in seiner Ursprünglichkeit spürbar werden. Es zeigt wie Gebäude selbstbewusst und doch sensibel mit der Landschaft interagieren ... Selbst wenn neue Anforderungen an das Bauen dazugekommen sind, vor allem ökologische Fragen betreffend, so gibt es auch in dieser Hinsicht bei C4 noch viel wiederzuentdecken, wie ihre großartigen verdichteten Wohnformen, die bei äußerst sparsamem Bodenverbrauch die Qualitäten eines Einfamilienhauses aufnehmen, wenn nicht gar durch gemeinschaftliche Mehrwerte übertreffen.“

newroom, Di., 2021.07.06

06. Juli 2021newroom

Günther Vogt – Landschaft als Park

„Auch in der Stadtplanung ist ein starker Paradigmenwechsel spürbar, und das wird wohl in nächster Zukunft so bleiben: Klimawandel, die Thematik von Biodiversität...

„Auch in der Stadtplanung ist ein starker Paradigmenwechsel spürbar, und das wird wohl in nächster Zukunft so bleiben: Klimawandel, die Thematik von Biodiversität...

„Auch in der Stadtplanung ist ein starker Paradigmenwechsel spürbar, und das wird wohl in nächster Zukunft so bleiben: Klimawandel, die Thematik von Biodiversität kündigt sich am Horizont an, in Zeiten von Corona steigt das Bewusstsein über die Bedeutung des öffentlichen Raums, dazu kommt noch die Diskussion zur Innenverdichtung. Aber es stellt sich auch die drängende Frage, wie viel Mobilität wir der Landschaft und somit uns selbst noch zumuten wollen. Wir müssen neue Strategien entwickeln, dabei sollten wir aber nicht mehr nur einzelne Länder betrachten, sondern ganz Europa. Ich postuliere seit Jahren, die Stadt von der Landschaft her zu denken und nicht so statisch als Zentrum und Peripherie. Der Bezugsraum, der Kontext ist damit meistens zu klein gesetzt. Aber ich denke, da fehlt sehr oft auch die Vision wie sich das entwickeln soll. Wir kennen sehr viele klassische urbane Elemente wie den Park, den Boulevard ... es gibt jedoch zunehmend diese hybriden Räume, vor allem im alpinen Raum, und die Überlagerung von Infrastrukturen. Die Schweiz z. B. ist schon Stadt, sie wird nur noch nicht so verstanden, weil die Leute nicht Städter sein wollen – vielleicht aus Angst vor einem Identitätsverlust. Es ist durchaus ein vorstellbares Szenario, dass man die Schweiz als Großstadt liest und auch nutzt. Das Verständnis eines ganzen Landes als Stadt bringt auch ein Verständnis der Landschaft als Park mit sich. Die Park-Idee ist grundsätzlich eine städtische. Auf europäischer Ebene meint „Stadt“ beim Blick auf den Alpenraum die an den Alpenbogen anschließenden Großstädte wie Mailand, Ljubljana, Wien, München, Zürich, Lyon, und „Park“ die Alpen. Der erste Entwurfsschritt in unserem Büro ist immer die Erweiterung des Maßstabs.

Ende der 1980er Jahre war die Befürchtung groß, dass wir in den kommenden vierzig Jahren einen massiven Verlust von Waldflächen erleben werden. Als Studenten demonstrierten wir daher gegen das Baumsterben. Heute haben wir aber sogar mehr Waldfläche als damals. Vordergründig sieht es so aus, als wäre das eine frei zugängliche Landschaft, aber im Prinzip handelt es sich analog zur Stadt um eine private. Diese verwaldeten Gebiete behalten aber das Potenzial erneut urbanisiert zu werden und wir können nicht alle diese Flächen zu Nationalparks erklären. Das Problem der Verwaldung ist, dass dahinter keine Idee steht, und dass diese brachgefallene Landschaft immer noch in einem urbanisierten Kontext steht. Ich finde, da besetzen wir LandschaftsarchitektInnen das Feld zu wenig. Alle neuen Aufgaben und Themen unserer Disziplin wie Nachhaltigkeit, Ökologie oder naturnahe Gestaltung kamen nicht aus der Fachdisziplin selbst, sondern aus gesellschaftlichen, politischen Prozessen und Entwicklungen, von denen wir inhaltlich mehr getrieben und getragen werden, als von jenen aus der eigenen Profession.“

Günther Vogt, geb. 1957, Landschaftsarchitekt, Zürich, London, Berlin, Paris. Die Herausforderung an die Landschaftsarchitektur ist für Vogt, sie in größeren Räumen zu denken. Das dies möglich ist hat Haussmann – wenn auch damals rein militärisch motiviert - im 19. Jahrhundert gezeigt und in Paris über 20.000 Gebäude abgerissen, um riesige Schneisen durch die Stadt zu legen. Ähnlich radikal müsste auch in einigen Großstädten interveniert werden, um auch zukünftig eine gewisse Lebensqualität zu gewährleisten. Im bisher größten Arbeitsmaßstab realisiert das Büro Vogt die Rectory Farm im Westen von London oder den neuen Stadtteil Grasbrook in Hamburg.

22. Juni 2021Martina Pfeifer Steiner
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Gewichtige Werkschau. Mensch Stadt Landschaft

„Baumschlager Eberle Architekten stammen aus dem Vorarlberger Rheintal. Daher sind die Architekten von vornherein gewohnt, auf Schwemmland mit dem darauf...

„Baumschlager Eberle Architekten stammen aus dem Vorarlberger Rheintal. Daher sind die Architekten von vornherein gewohnt, auf Schwemmland mit dem darauf...

„Baumschlager Eberle Architekten stammen aus dem Vorarlberger Rheintal. Daher sind die Architekten von vornherein gewohnt, auf Schwemmland mit dem darauf sprießenden Mischmasch zu planen“, schreibt Eberhard Tröger, neben Dietmar Eberle Herausgeber der imposanten Werkschau aus einem Jahrzehnt. Dass Baumschlager – Carlo Baumschlager ist, wird zwar an keiner Stelle erwähnt ... muss auch nicht sein, man geht seit 2010 getrennte Wege.

Die klaren Linien der Bucharchitektur zeichnen sich nach außen ab. In der Mitte ein cremegelb eingefärbtes Inlay mit Essays und Interviews, in selbstverständlichem Nebeneinander von Deutsch und Englisch, das chronologische Werkverzeichnis (39 Bauten gewichtet mit Texten, Bildern, Plänen, plus 14 noch ausführlicher) wird rhythmisiert mit den Fotoserien „Mensch Stadt Landschaft I – IV“ von Claudia Klein, die auch für die gediegene Buchgestaltung verantwortlich zeichnet.

Dass das Haus „2226“ (Wohlfühltemperatur von 22 bis 26 Grad) als Schlüsselwerk der neuen Schaffensphase ab 2010 anzusehen ist, zeigt sich auch am Titelbild. Das eigene Bürogebäude im Lustenauer Millennium Park war eine Gelegenheit mit neuen Denkansätzen zu experimentieren: Wenig Energie und mit wenig Technik, haltbaren Naturmaterialien einen zeitgemäßen sozio-kulturellen Beitrag leisten. Der weiße Monolith mit gleichmäßigen, hohen, schmalen Öffnungen und achtzig Zentimeter dicken Außenwänden kommt ohne Klimatechnik aus. Jedes der ausführlicheren Projekte wird mit der einseitigen Satellitendraufsicht eröffnet, ein prägnanter Text, der Schwarzplan, natürlich hochkarätige Architekturfotografie und informative Grundrisse geben angenehmen Halt und Struktur. Ein sorgfältig und schön gemachtes Buch, das eine eindrückliche Architekturreise rund um die Welt mit 600 Projekten von Baumschlager Eberle Architekten nachvollziehen lässt.

newroom, Di., 2021.06.22



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Baumschlager Eberle Architekten

01. Juni 2021newroom

Anna Detzlhofer – In Bewegung

„Bewegung an sich ist ein ganz wesentliches Element der Freiraumgestaltung. Ob Park, Straße oder Platz, man erfährt den Freiraum in der Regel gehend oder...

„Bewegung an sich ist ein ganz wesentliches Element der Freiraumgestaltung. Ob Park, Straße oder Platz, man erfährt den Freiraum in der Regel gehend oder...

„Bewegung an sich ist ein ganz wesentliches Element der Freiraumgestaltung. Ob Park, Straße oder Platz, man erfährt den Freiraum in der Regel gehend oder (rad)fahrend. Aber auch der Zeitfaktor ist in der Landschaftsplanung ein spezielles Thema. Einerseits durch die Jahreszeiten sowie das Wachstum der Pflanzen und Bäume, andererseits ergibt sich eine permanente Veränderung durch die Pflege und Nutzung. Der Freiraum, vor allem in der Stadt, stellt sich schon viel deutlicher als eine soziale Bühne für Bewegung dar, als in der Architektur. Auch die Vermittlung atmosphärischer Qualitäten ist rein fotografisch – im Standbild – bei der Landschaftsarchitektur viel schwieriger.

Begegnungszonen beispielsweise funktionieren ja auf dem Prinzip der Bewegung. Die Gestaltung schafft Bedingungen und Möglichkeiten für Begegnung, kodiert die Oberflächen neu, schafft Aufenthaltsqualitäten, verändert die Raumverteilung zugunsten einer gleichwertigen Nutzung, es geht nicht mehr darum, möglichst schnell von A nach B zu kommen. Aufenthaltsbereiche funktionieren allerdings nur mit natürlicher Beschattung und das spielt bei der Diskussion zum Thema Klimawandelanpassung eine immer größere Rolle. Der Baum bringt neben Schatten auch die Natur in die Stadt, versöhnt sie regelrecht. Da liefert die Landschaftsplanung gewichtige Argumente und obendrein umfassende Lösungen.“

Anna Detzlhofer, geb. 1960, DnD Landschaftsplanung, Wien. Begegnungszonen sind auch Bewegungszonen. Bei der Umgestaltung der Wiener Neubaugasse von Anna Detzlhofer und Sabine Dessovic wurden dreißig Bäume gepflanzt, neue Nutzungsmöglichkeiten und mehr als hundert konsumfreie Sitzgelegenheiten geschaffen. Die „kühle Meile“ bringt klimafreundliche Dynamik in den urbanen Raum.

31. Mai 2021Martina Pfeifer Steiner
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Einlassen auf das Werk von Rudolf Wäger

Rudolf Wäger ist eine Ausnahmefigur in Österreichs Architekturlandschaft. Seine Bauten sind aus der sogenannten Vorarlberger Bauschule nicht wegzudenken....

Rudolf Wäger ist eine Ausnahmefigur in Österreichs Architekturlandschaft. Seine Bauten sind aus der sogenannten Vorarlberger Bauschule nicht wegzudenken....

Rudolf Wäger ist eine Ausnahmefigur in Österreichs Architekturlandschaft. Seine Bauten sind aus der sogenannten Vorarlberger Bauschule nicht wegzudenken. Längst überfällig war die Monografie über den Baukünstler, die eine wesentliche Grundlage für die Ausstellung im vai Vorarlberger Architektur Institut in Dornbirn darstellt. Wägers vielbeachtetes Pionierwerk – klug konzipiert, maßvoll und perfekt in Planung und Ausführung – mit einer Vielzahl an kostengünstigen Einfamilienhäusern, heute noch wegweisenden Wohnanlagen und vor allem Reihenhäusern von Errichtergemeinschaften, prägte die Vorarlberger Baukultur nachhaltig. Als es den Begriff Baugruppe noch lange nicht gab, fanden sich schon Anfang der 1970er Jahre engagierte Bauwillige zusammen und realisierten die Siedlung Ruhwiesen in Schlins. Die Reihenhausanlage wurde vom großen Architekturpublizisten Friedrich Achleitner als „ein wesentlicher Beitrag zur Lösung des Wohnproblems mit geringen Mitteln in ländlicher Situation“ gepriesen. Und auch das als Ikone geltende Würfelhaus, 1965 geplant und erbaut, „könnte man einen Schlüsselbau für Vernunft im Wohnbau nennen: optimale Raumausnutzung und billige, jedoch gediegene Konstruktion, die einen großen Anteil von Eigenleistung erlaubt“, stellt dieser im Standardwerk „Österreichische Architektur im 20. Jahrhundert“ fest.

Die drei KuratorInnen – Martina Pfeifer Steiner und Marina Hämmerle, gleichzeitig Autorinnen, sowie Markus Gohm, Fotografien – schöpfen nach zwei Jahren intensiver Recherche und tiefgründiger Verarbeitung des Materials aus dem Nachlass, der vom Az W Architekturzentrum Wien verwaltet wird, den zahlreichen Gesprächen, Reportagen, Interviews aus dem Vollen. Rudolf Wäger hat in seinem letzten Lebensjahr ebenfalls an Konzept und Gewichtung der Bauwerke mitgewirkt. Doch wie gelingt die Transformation der Vermittlung des Lebenswerks von einer umfassenden Publikation in eine kurzweilige, charakteristische, erlebbare Ausstellung? Die BesucherInnen dürfen sich einlassen, treiben lassen, dorthin wo der Blick hängen bleibt. Die Ausstellung lässt in fragmentarisch angedeuteten Raumsequenzen und großformatigen Fotografien die konstruktiven und räumlichen Ansätze Wägers atmosphärisch nachvollziehen. Bilder lösen Emotionen aus: ein Wohnraum mit massivem rotgekacheltem Ofen, die klare Schichtung bis zur Treppe spürbar; Hochformate die den Betrachter in die Zimmerflucht treten lassen, staunend über die Lichtführung; ein Außenblick der sich auf das Gebäudeensemble richtet. Jeder Positions- ein neuer Perspektivenwechsel.

Wertig inszeniert sind auch die Kleinplastiken: „Also angefangen habe ich mit den Skulpturen vor der Architektur. Bevor ich je ein Haus baute, habe ich schon Figuren gemacht“, sagt Rudolf Wäger im Filmportrait des vorarlberg museum, das gemütlich im dem letzten Haus in Übersaxen nachempfundenen Wohnbereich nachgeschaut werden kann. Zitate wie diese finden sich auch verstreut an den Wänden appliziert. Ein weiteres Kapitel in der Ausstellung ist die umlaufende Plänegalerie. Die Wäger’schen Grundrisse zu betrachten ist ein Genuss und Erläuterungen zu seinen Häusern begannen immer mit: „das sieht man genau im Grundriss ...“. Der Häuserteppich mit chronologisch gereihten, verfügbaren Foto-Miniaturen gibt zudem einen aufschlussreichen Überblick der insgesamt 120 Bauten des Baukünstlers und ein auf Video festgehaltenes Interview mit Rudolf Wäger sowie das 2018 ausgestrahlte Österreichbild über die Pionierleistungen der Neuen Vorarlberger Bauschule ergänzen diese Eindrücke. Einfach einlassen, und wer noch mehr erfahren will, vertieft sich in die Monografie „Rudolf Wäger. Baukünstler. 1941–2019“.

newroom, Mo., 2021.05.31

18. Mai 2021Martina Pfeifer Steiner
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Erinnerungspassagen. Ikonen der Moderne

Eines der Reihenhäuser in der Weissenhofsiedlung von J.J.P. Oud, die Villa Tugendhat von L. Mies van der Rohe, das Haus Schminke von Hans Scharoun und...

Eines der Reihenhäuser in der Weissenhofsiedlung von J.J.P. Oud, die Villa Tugendhat von L. Mies van der Rohe, das Haus Schminke von Hans Scharoun und...

Eines der Reihenhäuser in der Weissenhofsiedlung von J.J.P. Oud, die Villa Tugendhat von L. Mies van der Rohe, das Haus Schminke von Hans Scharoun und eine Wohnung in der Unité d´Habitation von Le Corbusier, das sind die vier Schauplätze, denen sich das Buch mit neuem, unkonventionellem Blick annähert. Es sind die Erinnerungen der Kinder, die in diesen berühmten Gebäuden aufgewachsen sind. Dass die physische Umgebung eine prägende Komponente für die psychologische Entwicklung darstellt, wurde mehrfach untersucht und thematisiert. Mit diesem Bewusstsein gehen die AutorInnen in die Gespräche mit den „Kindern der Moderne“ – die gewählte Methode ist das „Oral-History“ Interview –, die Erinnerungen bleiben jedoch in ihrer Unvollständigkeit und Subjektivität einfach stehen. Da erinnert sich Rolf Fassbaender anhand des Fotoalbums an das lebendige Treiben der Kinderschar in der Weissenhofsiedlung, Ernst Tugendhat, der emeritierte Professor für Philosophie berichtet etwas distanziert über den „Prunkbau in einer Stadt wie Brno“, den er als solchen im Erwachsenenalter empfindet. Für Helga Zumpfe, geb. Schminke sind „die offenen Räume und weiten Flächen sowie die Freundschaft, die sich zwischen Scharoun und der Familie entwickelt hatte“ präsent. Gisèle Moreau konnte sich eigentlich nie vorstellen, in einem anderen Ambiente als der Unité d´Habitation zu leben und erzählt aus der Perspektive des Kindes, der Mutter und nun als Großmutter.

Es geht also nicht darum die Prägungen beim Aufwachsen in berühmten Gebäuden herauszufiltern, sondern um das Teilen und Verorten des alltäglichen Wohnens und der Erinnerungen. Dies gelingt auch sehr aufschlussreich illustriert mit markierten Grundrissen, die mit den Kernaussagen der damaligen BewohnerInnen verlinkt sind. Nach dieser „Führung“ durch das jeweilige Gebäude können sich die LeserInnen auf ein ausführliches Fotoessay einlassen, das die Ikonen der Moderne in der heutigen Zeit zeigen. Durch die emotionale, im Vorfeld erzählte Geschichte, wird dieser Rundgang sehr erlebnisreich, es gelingt eine direkte Beziehung herzustellen, das Interesse die Innen- und Außenräume zu erkunden ist geweckt. Es verwundert nicht, dass dieses Projekt den Lawrence B. Anderson Award, ein Stipendium für kreative Dokumentation für einen Alumnus des MIT, erhalten hat. Leinengebunden, angenehm farbenfroh in blautürkis und rot hält es sich auch in der Gestaltung nicht zurück. Dass es sich um eine Übersetzung handelt, verrät allerdings die Passage bei Herrn Fassbaender: „Als sein Vater, von Beruf Sänger, einen Vertrag mit einem Stuttarter Theater abschloss, siedelten sie aus Aachen, wo der kleine Rolf geboren wurde, über.“

newroom, Di., 2021.05.18



verknüpfte Publikationen
Kinder der Moderne

11. Mai 2021newroom

Daniel Büchel – reichhaltig

„Reichhaltig ist eigentlich alles, das ganze Environment – ein großer Fundus! Ich bin jemand, der sich komplett auf einen Ort einlässt und diesen im besten...

„Reichhaltig ist eigentlich alles, das ganze Environment – ein großer Fundus! Ich bin jemand, der sich komplett auf einen Ort einlässt und diesen im besten...

„Reichhaltig ist eigentlich alles, das ganze Environment – ein großer Fundus! Ich bin jemand, der sich komplett auf einen Ort einlässt und diesen im besten Fall noch verstärkt. Ich schaue, welchen Reichtum ich vorfinde und je intensiver und länger ich mich so einem Ort hingebe, umso mehr ist zu entdecken. Ich versuche die Dinge völlig vorurteilsfrei zu sehen, gar alles hat einen Wert für mich. Es gibt fast nichts, was man nicht einsetzen oder verwenden kann und das kann so weit gehen, dass eine kaputte, mit Krakelee überzogene Spanplatte aus den 50er Jahren – beispielsweise im ersten magdas-Hotel beim Prater in Wien – als Baumaterial für Möblage verwendet wird. Selbst im absurdesten Abbruchmaterial, das nur noch im Bauschuttcontainer landet, kann man noch etwas erkennen. Damit bin ich irgendwie aufgewachsen, in Galtür auf der Bieler Höhe, das hat mich stark geprägt. Diese karge Felslandschaft, genauso spartanisch und bescheiden ist auch das Leben dort. Auf 3.000 Meter Höhe muss man halt sehr, sehr bewusst mit allem umgehen. Es beginnt schon damit, wie man ein Feld aufbereitete, es von Steinen freimachte, diese am Rand als Parzellierung und Zaun auftürmte oder am Dach die Holzschindeln damit beschwerte, damit sie nicht davonfliegen. Was für das Wohnzimmer nicht mehr genügte, hat man im Stall oder Schuppen weiterverbaut. Da wurde nichts weggeworfen und in diesen knappen Ressourcen liegt die Poesie und ein Erfindungsreichtum.

Im aktuellen Hotelprojekt, dem Umbau eines ehemaligen Priesterwohnheims mit Kapelle am Dach und teilweise noch vorhandenem Originalmobiliar aus den 1950er Jahren, habe ich einen stark klerikal besetzten Ort vorgefunden und das war eigentlich der Ausgangspunkt für meine Arbeit. Ich habe dort quasi archäologische Arbeit betrieben, indem ich mit den noch vorhandenen Fragmenten die originalen Zimmer aus der ersten Bauphase des Hauses rekonstruiert habe oder Einbauschränke und Zimmerausstattung in ihre Bestandteile zerlegt habe und geschaut wie man alles einsetzen kann. Daraus entstand ein reichhaltiger Katalog und zwar nicht nur mit Stühlen, Tischen und dem ganzen losen Inventar, das dort herumsteht, sondern wirklich mit dem ganzen Bestandsmaterial, aufbereitet und sichtbar gemacht. Mich als Gestalter so weit zurückzunehmen, wirklich gar nichts mehr zu entwerfen, sondern dem Ort mit Respekt zu begegnen, was ich vorfinde neu zu inszenieren oder anders zu sehen, ist ein zentrales Element meiner Herangehensweise. In allem einen Wert und die Qualitäten zu erkennen, diese auch einsetzen zu können hat aber nichts mit der Vintage-Mode, die oft teurer als Neuware ist, zu tun. Ich bleibe da schon im Low-Budget-Bereich und greife zu im Überfluss.“

Daniel Büchel, geb. 1968, Architekt und Designer, Wien, Vorarlberg. Beim ehemaligen Priesterwohnheim in der Wiener Ungargasse, das nun ein magdas-Hotel wird, bleibt das Zeitfenster zum Erbauungsjahr 1964 offen. Mit Respekt dem Vorgefundenen zu begegnen und dieses wieder neu inszenieren, so lautet das Leitbild für die Umnutzung, was absolut der Philosophie der Caritas entspricht.

06. April 2021newroom

Angelika Bachmann – reichhaltig

„Reichhaltig bedeutet für mich, wie breit gefächert ein Projekt aufgebaut ist, ob es gelingt die vielfältigen Anforderungen zu erkennen und mit dem Entwurf...

„Reichhaltig bedeutet für mich, wie breit gefächert ein Projekt aufgebaut ist, ob es gelingt die vielfältigen Anforderungen zu erkennen und mit dem Entwurf...

„Reichhaltig bedeutet für mich, wie breit gefächert ein Projekt aufgebaut ist, ob es gelingt die vielfältigen Anforderungen zu erkennen und mit dem Entwurf die Antworten zu geben. Der Ort, die Aufgabe und das Vorhandene bilden gleich zu Beginn des Prozesses einen komplexen Verbund und wirken anfangs oft wie ein zu reichhaltiges Essen. In diesem Prozess ist es wichtig die wesentlichen Dinge herauszufiltern, manche Details in gewissen Entwicklungsstufen auch bewusst zu übersehen oder zu überhören, um den roten Faden in den ganzen Schichtungen nicht zu verlieren. Reichhaltig wird für uns eine Arbeit oder ein Projekt, wenn wir damit Teil eines größeren Ganzen werden und Entsprechendes aus dem Ort und dem Vorhandenen entwickeln. Deswegen lassen wir unsere Hände von Projekten, welche nur ‚nehmen‘ und nichts ‚geben‘.

Ein Projekt kann meist viel mehr, als in der Aufgabenstellung gewollt und formuliert. Danach suchen wir. Nach dem Mehrwert für das Dorf, die Stadt, die Landschaft oder die Menschen: Wenn der Schulhof zum öffentlichen Platz wird, das Gerätehaus der Feuerwehr zum Haus der Dorfgemeinschaft, ein Foyer wochentags zum Speiseraum oder wenn aus dem Projekt einer Turnhalle ein Kletterzentrum für die Schulen entsteht. Wir arbeiten gerne mit Überlagerungen und für vermeintlich nicht zusammenpassende Dinge suchen wir einen gemeinsamen Weg: Eine Werkstatt zusammen mit Seniorenwohnungen, ein Rathaus mit einem Theatersaal, ein aktives Kloster mit einem Studentenheim. Oder wie beim Entwurf eines größeren Schulumbaus zwischen Eisenbahn, Landestraße und Autobahn, bei dem wir uns der vorgekauten Lösung und dem bloßen Abarbeiten des Auftrags mit hohem Arbeitsaufwand und konkreten Vorschlägen widersetzten. Das Bewusstmachen bisher nicht gekannter Möglichkeiten und eines Mehrwerts, schaffte bei allen Beteiligten Vertrauen und eine hohe Identifikation mit dem Projekt.“

Angelika Bachmann, geb. 1967, Architekturbüro Stifter + Bachmann, Pfalzen/Südtirol. Ausgehend vom Kontext versuchen Angelika Bachmann und Helmut Stifter dem Ort immer einen reichhaltigen Mehrwert zurückzugeben. Bei einer komplexen Schulsanierung in Blumau beispielsweise, konnten sie die Auftraggeber von einer sanften Sanierung des Altbaus und einem Erweiterungsneubau überzeugen und so mit Vorplatz wie Zwischenräumen eine neue identitätsstiftende Situation schaffen.

23. März 2021newroom

Gabriele Riepl – reichhaltig

„Reichhaltig bedeutet für mich vielfältig und dass etwas einfach, aber komplex ist. Es geht immer darum, dass man im zweiten Schritt, auf weiteren Ebenen...

„Reichhaltig bedeutet für mich vielfältig und dass etwas einfach, aber komplex ist. Es geht immer darum, dass man im zweiten Schritt, auf weiteren Ebenen...

„Reichhaltig bedeutet für mich vielfältig und dass etwas einfach, aber komplex ist. Es geht immer darum, dass man im zweiten Schritt, auf weiteren Ebenen Potenzial erkennen kann, dass eine Atmosphäre entsteht, die anregend ist und auch um eine vielschichtige Nutzung. Räume sollen stimulierend sein und Aktivitäten fördern, nicht verhindern. Abgesehen davon, dass ein Konzept immer organisatorisch oder logistisch gut durchdacht sein muss, sollte es noch einen Mehrwert bieten. Lustiger Weise passiert es bei unseren Projekten immer wieder, dass Bauherren im Nachhinein entdecken, dass die Räume mehr ermöglichen, als auf den ersten Blick erkennbar war. Da kann schon mal eine Dreifachturnhalle zur Stadthalle umbenannt werden. Und daran merken wir, dass ein Konzept aufgegangen ist. Im Großen und im Kleinen, überall kann etwas einbezogen werden, das den BenutzerInnen Vielschichtigkeit bietet: beim Wohnen genauso wie bei komplexeren Bauvorhaben, bis hin zum Industriebau.

Der Raum dazwischen spielt dabei eine bedeutende Rolle. Bei den Bildungsbauten beispielsweise, wo Begegnungszonen beiläufig vorhanden sind und eigentlich die offene Atmosphäre des Austauschs ausmachen. Genauso werden mit Lichtführung Funktion und Raum maßgeblich beeinflusst. Es kommt auf den Wechsel zwischen Offenheit und Geschlossenheit, Innen- und Außenbezügen bei den Bauwerken an.“

Gabriele Riepl, geb. 1954, Riepl Riepl Architekten, Linz. Die Bauten der Riepl Riepl Architekten schaffen immer reichhaltigen Mehrwert, wie bei den Gebäuden des Campus der Johannes Kepler Universität die vielfältige Nutzungen sowie Begegnungen zulassen und fördern oder beim Oberösterreichischen Kulturquartier/Offenen Kulturhaus in Linz das sich mit seinem Platz zu einem der lebendigsten Orte in Linz entwickelt hat.

22. März 2021Martina Pfeifer Steiner
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Ein Beitrag. Strategie der Überwindung

Nur weil Adolf Hitler seine „Jugendstadt“ Linz zur „schönsten aller Donaustädte“ ausbauen wollte, die es mit Wien und Budapest aufnehmen könne, und im...

Nur weil Adolf Hitler seine „Jugendstadt“ Linz zur „schönsten aller Donaustädte“ ausbauen wollte, die es mit Wien und Budapest aufnehmen könne, und im...

Nur weil Adolf Hitler seine „Jugendstadt“ Linz zur „schönsten aller Donaustädte“ ausbauen wollte, die es mit Wien und Budapest aufnehmen könne, und im Zusammenhang mit der Errichtung der Nibelungenbrücke zwei portalhafte, monumentale Brückenkopfbauten ans Ufer stellte – kann man deshalb von kontaminierten Bauten sprechen? Noch dazu war die Bestimmung als Oberfinanzpräsidium zu funktionieren doch relativ harmlos. 1945 wurde die Baustelle wieder aufgenommen und es entstand ein neues Amtsgebäude der Finanz- Landesdirektion. Ja, es ist legitim solche plakativen Aufhänger in der Schlagzeile zu verwenden, vor allem wenn es dann im Buch um Architektur geht, um den Umbau und die Erweiterung der Kunstuniversität Linz durch Architekt Krischanitz. Wohltuend, wie sich der Herausgeber Georg Schöllhammer bedächtig dem Vorgefundenen und daraus Gemachten annähert: „Räumliche und baugeschichtliche Übergänge, Schnittstellen, Berührungspunkte und Anschlussstellen (durchaus auch im historischen Bedeutungsfeld, das im Begriff Nazibau opak mitschwingt) sind ein Generalthema dieses Projekts, das zwölf Jahre nach dem Wettbewerb nun fertiggestellt ist, und Antwort auf die Fragen nach dem Widerspruch zwischen Inhalt und Form.“

Im kunsthistorischen Aufriss erfährt man von Gabriele Kaiser Interessantes über den Prozess in der Entstehungsgeschichte. Wolfgang Kil hätte vielleicht in seiner Betrachtung zu „Denkmalsturz. Gleichgültigkeit. Kunstgeschichte.“ bei den „acht Notaten über „Das Böse“ in der Baukunst und wie man sich seiner erwehrt“ das negative Leitwort nicht so oft verwenden müssen, wenn er höchst aufschlussreich über Hitlers Offizialbauten in Weimar oder der „Chipperfield-Provokation“ bei der Sanierung des Hauses der Kunst in München schreibt. Interviews des Herausgebers mit dem ehemaligen Rektor Reinhard Kannonier und der aktuellen Rektorin Brigitte Hütter geben einen Eindruck, wie die NutzerInnen mit der Architektur umgehen. Dass das einzige, nach außen sichtbare Zeichen der Revitalisierung der denkmalgeschützten Baustruktur die Kunst-und-Bau-Installation der Künstlerin Karin Sander – nämlich der „Transzendenzaufzug“ – ist, die einen wesentlichen funktionellen Mehrwert hat, spricht für die Qualitäten, die sich nur im Inneren erschließen. „Adolf Krischanitz großzügige Entkernung des biederen und kleinräumigen Inneren dieses als Verwaltungskomplex für die Finanzbehörde errichteten Objekts nimmt diese Dialektik wahr, nimmt sie auf und setzt sie als Motiv um. Dabei wird sie mit ihren neuen funktionsflexiblen Erschließungs-, Nutzungs- und Lichtkonzepten in einer klaren, struktual gedachten und schnörkellos formulierten Architektursprache vermittelt, der es nie darum geht, mit rhetorisch gesetzten modernistischen Antithesen gegen den neoklassizistischen Bestand zu agieren“, so Schöllhammer. Ein Buch über Architektur, das Geschichte, historische Baukultur und damit verknüpfte Konnotationen umfassend und anregend thematisiert.

newroom, Mo., 2021.03.22



verknüpfte Publikationen
Strategie der Überwindung

09. März 2021newroom

Mark Gilbert – wegweisend

„Seit Jahren, eigentlich Jahrzehnten, hat die Architektur neue Wege gesucht, ja suchen müssen. Es wurde zunehmend klar, dass es weniger um das Spektakel...

„Seit Jahren, eigentlich Jahrzehnten, hat die Architektur neue Wege gesucht, ja suchen müssen. Es wurde zunehmend klar, dass es weniger um das Spektakel...

„Seit Jahren, eigentlich Jahrzehnten, hat die Architektur neue Wege gesucht, ja suchen müssen. Es wurde zunehmend klar, dass es weniger um das Spektakel sowie das Setzen von Macht- und Marktwahrzeichen geht, sondern um das Schaffen einer fairen und gesunden Umwelt. Unsere Prioritäten müssten sich ändern. Man denkt nun an die Städte, die überall wachsen und sich verdichten. Diese Entwicklungen werfen neue Fragen auf: Wie können Ballungsräume leistbar bleiben, wenn jeder dort hinziehen will? Wie kann ein gleichwertiger Zugriff auf den städtischen Raum für alle gesichert werden? Wie können wir mit immer knapper werdenden Mitteln eine schöne und qualitätsvolle Plattform für das städtische Leben gestalten? Es geht dabei auch um die Natur, das Klima und die Ressourcen. Damit ist jedoch nicht nur die Reduktion von Energieverbrauch und CO2-Ausstoß gemeint. Es bedarf vielmehr eines gesunden Umdenkens wie wir mit der Ressource Boden umgehen, über wirksame Widmungsstrukturen, die der Gemeinschaft dienen, und wie wir den Lebensraum für Biodiversität sichern können.

Wir müssen uns mit Fragen über die Beziehung von Stadt und Land konfrontieren, wenn die Grenzen zwischen den beiden schwinden, neue Zielsetzungen definieren und dazu Strategien entwickeln oder sogar erfinden. Das alles beinhaltet für mich der Begriff „wegweisend“, was ich keinesfalls mit dem „Visionären“ – den genialen Strich, den brillanten Wurf – gleichsetze. Ich verstehe es vielmehr als eine dialektische Entwicklung und Entfaltung von Erkenntnissen, die immer mit Widerstand und Widerspruch begleitet sind. Bauen ist ein kollektiver Prozess, in dem viele Akteure und Interessen geachtet werden müssen. Fortschritt und Entwicklung entstehen aus dem Dialog, durch den gegenseitigen befruchtenden Austausch. Das ist das Wesen der Dialektik. Orientierung und Bewegung sind vielmehr kollektives Ereignis, als individueller Blitzschlag.“

Mark Gilbert, geb. 1961, trans_city, Wien. Das überwiegende Tätigkeitsfeld von Mark Gilbert und Christian Aulinger ist der Wiener Wohnbau. Dabei geht es immer um die spezifischen Lösungen in einer Dialektik der sehr komplexen und vernetzten Szene, bestehend aus Bauträgern, Banken, aus Politikern, Beamten, aus Soziologen und Planern, die Grenzen ausloten und gemeinsam den Weg weisen.

02. März 2021Martina Pfeifer Steiner
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Hintergründig

Wie interessant ist das, die Lebensgeschichten von Künstlerinnen als Wohngeschichten zu erzählen! Josephine Baker, Karen Blixen, Coco Chanel, Eileen Gray,...

Wie interessant ist das, die Lebensgeschichten von Künstlerinnen als Wohngeschichten zu erzählen! Josephine Baker, Karen Blixen, Coco Chanel, Eileen Gray,...

Wie interessant ist das, die Lebensgeschichten von Künstlerinnen als Wohngeschichten zu erzählen! Josephine Baker, Karen Blixen, Coco Chanel, Eileen Gray, Peggy Guggenheim, Gabriele Münter, Asta Nielsen, Vanessa Bell und Virginia Woolf werden von der versierten Kunsthistorikerin Käthe Kruse in ihren Häusern porträtiert. Sie schreibt fesselnd von Freud und Leid, Lebens- und Schaffenskrisen mit schicksalshaften Wendungen der neun Protagonistinnen, vor der Kulisse ihrer Wohnstätten. Eileen Gray, zum Beispiel, gilt heute aufgrund ihres einzigen Entwurfs für das Haus „E.1027“ am Cap Martin in Südfrankreich als Ikone der Avantgardearchitektur. Sie entwickelte dafür einen modularen „Campingstil“ mit flexiblen Wänden und multifunktionalen Möbeln, machte jedoch einen fatalen Fehler und setzte ihren damaligen Partner, den Verleger Jean Badovici, als Eigentümer ein, der das Haus natürlich nach der Trennung beanspruchte. Dieser Umstand ist der Link zu Le Corbusier, der gegen den Willen von Eileen Gray die Wände in ihrem Haus mit seinen Malereien versah: „Ich habe eine verrückte Lust, dir die Wände zu versauen“, schrieb er an Badovici. Dass Le Corbusier später sein „Le Cabanon“ am Nachbargrundstück weiter oben aufstellte und gerne das „E.1027“ erworben hätte, dies mangels finanzieller Mittel aber nicht tat, lässt ergreifend den Verdruss der Architektin nachvollziehen.

Eine Schicksalsgeschichte ist spannender als die nächste: Wir erfahren von Gabriele Münters „Russenhaus“ und der unglücklichen Beziehung zu Wassily Kandinsky; vom Konkurrenzverhältnis der postimpressionistischen Malerin Vanessa Bell und ihrer älteren Schwester Virginia Woolf, das sich durchaus in ihren Behausungen nachvollziehen lässt; von Coco Chanel, deren Wohnadresse eigentlich nur in der Rue Cambon 31, ihrem Geschäftshaus im Herzen von Paris, festmachen lässt; vom Palazzo Venier de Leoni Peggy Guggenheims in Venedig. Illustriert mit je einem Portrait der Bauherrin und einem Foto des beschriebenen Ambientes bleibt das Hardcover-Buch im handlichen Format, das man gerne und immer wieder aufschlägt.

newroom, Di., 2021.03.02



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Künstlerinnen und ihre Häuser

23. Februar 2021Martina Pfeifer Steiner
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Individuell und originell. Das eigenwillige Eigenheim

Die Architekturhistorikerin und Urbanistin Turit Fröbe ist wahrlich eine passionierte Baukulturvermittlerin. Als plakativer Aufhänger eignet sich der Begriff...

Die Architekturhistorikerin und Urbanistin Turit Fröbe ist wahrlich eine passionierte Baukulturvermittlerin. Als plakativer Aufhänger eignet sich der Begriff...

Die Architekturhistorikerin und Urbanistin Turit Fröbe ist wahrlich eine passionierte Baukulturvermittlerin. Als plakativer Aufhänger eignet sich der Begriff ‚Bausünde’ zwar sehr gut, in diesem Buch wird das Phänomen der individuellen Ausdrucks-Willigkeit jedoch vielschichtig behandelt. Und unterhaltsam, wie man es von der Autorin der Bücher und Abreißkalender zur „Kunst der Bausünde“ gewohnt ist. Der Streifzug beginnt mit einem Lagebericht der Innenstädte. Konnte man sich früher noch auf ausgefallene Formensprache bei Parkhäusern verlassen, fügen sie sich heute mit ihren Riesenkubaturen unspektakulär ins allgemeine Einerlei. Fündig wird Turit Fröbe jedoch im Erdgeschoß bei Portalgestaltungen und aufsehenerregenden Schaufensterfronten mit gruseligem Materialmix. Sie findet auch eine neue (Un-)Sitte bei innerstädtischen Häuserzeilen: die gemalte Illusion, die beispielsweise Plattenbauten barock nachverdichten, Nachbarschaften dazu erfinden oder Altbauten mit dieser Methode der aufgemalten Fassade „sensibel“ erweitern.

Die eigenwilligen Eigenheime werden in der Dokumentation nicht einfach nur zur Belustigung vorgeführt, sie werden kulturgeschichtlich betrachtet und dabei Dynamiken, Gesetzmäßigkeiten und baukulturelle Entwicklungen aufgezeigt. Am Stadtrand entfalten sich Bausünden nach wie vor mit Enthusiasmus und bilden tendenziell Cluster durch Nachahmung. „Zu den Streetart-Klassikern gehören die Bausünden, die etwas über die Träume, Wohnwünsche oder Hobbys ihrer Bewohner verraten und diese in den öffentlichen Raum tragen. Sie zeigen, wo das Haus lieber stünde oder was es lieber wäre.“ Wie treffend ist dieses Kapitel doch mit Südstaaten-Villa, Ritterburg, Fachwerkhaus, Toskana-Anwesen etc. illustriert. Das Vorurteil über Gartenzwerge, die Vorgärten bespielen, muss aber aufgegeben werden, diese sind zu obskuren und fast kultigen Raritäten geworden. An ihre Stelle treten andere Figurenprogramme, Mottogärten, Schotterplätzchen und Steinkörbe im niederschwellig zu erwerbenden Baumarktstil. Zum Schluss gibt es noch Tipps für die kreative Bauherrschaft aber auch für die gediegene Leserschaft zur Anwendung als Bewusstseinsschärfung: Sei mutig! Zeig, was du hast! Viel ist nicht genug! Auch kleine Eingriffe können große Wirkung erzielen! Passt nicht geht immer! Vergib deinen Nachbarn!

newroom, Di., 2021.02.23



verknüpfte Publikationen
Eigenwillige Eigenheime Die Bausünden der anderen

02. Februar 2021Martina Pfeifer Steiner
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In Perfektion. Umfassend, wesentlich, sorgfältig

Der fünfte Band zum Gesamtwerk von Herzog & de Meuron ist nicht einfach nur eine Monografie, es ist der umfassende Blick auf urbane Zusammenhänge, auf...

Der fünfte Band zum Gesamtwerk von Herzog & de Meuron ist nicht einfach nur eine Monografie, es ist der umfassende Blick auf urbane Zusammenhänge, auf...

Der fünfte Band zum Gesamtwerk von Herzog & de Meuron ist nicht einfach nur eine Monografie, es ist der umfassende Blick auf urbane Zusammenhänge, auf die Weiterentwicklung der Stadt, auf das Gesamtbild, in Durchmischung und Vielfalt – anhand der Werke, die in den drei Jahren von 2002 bis 2004 begonnen wurden. Welche Projekte von den insgesamt sechzig genauer betrachtet werden, klärt übersichtlich ein Icon des jeweiligen Schwarzplan-Abdrucks.

Zum Beispiel das Stadion für die Olympischen Spiele 2008 in Peking: Eine Seite, das Satellitenbild des Stadtteils, die andere mit einem spannenden Intro: „Zu unserem Erstaunen gewannen wir den Wettbewerb: mit einem radikalen Projekt. Radikal, weil es nicht einfach eine olympische Ikone werden wollte wie schon viele Stadien zuvor, sondern weil es als eine Art Trojanisches Pferd konzipiert war: Als Stadion für Sportler gebaut, sollte es zu einer Arena für das Spiel der Bevölkerung werden.“ Reihen von kleinen Fotos illustrieren im Folgenden den Entwurfs- und Bauprozess, ein ausführlicher Text erzählt davon. Verständlich verlinkt wird mit dem Pläne-Kapitel und wenn vorhanden, mit den großformatigen Farbbildern im Anhang. Zu diesem Projekt passend findet man im Kapitel „Texte Herzog & de Meiron“ auch ein lesenswertes Gespräch zu „Konzept und Fälschung“ zwischen Ai Weiwei und Jacques Herzog. Oder die Elbphilharmonie in Hamburg: 2001 gestartet und im Jänner 2017 eröffnet, ist sie der Grund für die zeitliche Verzögerung von Band 5. Genauso ausführlich will man über ein wegweisendes Bauwerk der 2000er-Jahre lesen.

Imposant ist die Werkchronologie. Sie startet mit Projekt Nummer 1, Attika Umbau, 1987, unterteilt sich in die Bände 1 bis 4; ab dem Hotel Astoria, Luzern, Nr. 207 wird es mit Kurztext, Fakten und einem Foto bis zur Nr. 266 Burgos Masterplan ausführlicher, weil in diesem Band Nr. 5 behandelt; und gibt Ausblick bis zur Nr. 534 in den Fortsetzungs-Bänden. Ein klug gedachtes Buch, bei dem man schon beim Durchblättern ganz viel Interessantes und Anregendes erfahren hat, weil es die Leserin in den Bann zieht zu sehen, wie solche Bauten die Städte reicher und vielschichtiger machen.

newroom, Di., 2021.02.02



verknüpfte Publikationen
Herzog & de Meuron 2002-2004

02. Februar 2021Martina Pfeifer Steiner
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Sorgfältig Weiterdenken

Good News! »Critical Care« ist ein Plädoyer für eine neue Haltung in Architektur und Urbanismus. Die Suche nach positiven Konnotationen für Sorgsamkeit...

Good News! »Critical Care« ist ein Plädoyer für eine neue Haltung in Architektur und Urbanismus. Die Suche nach positiven Konnotationen für Sorgsamkeit...

Good News! »Critical Care« ist ein Plädoyer für eine neue Haltung in Architektur und Urbanismus. Die Suche nach positiven Konnotationen für Sorgsamkeit fällt recht ergiebig aus: Behutsamkeit, Aufmerksamkeit, Augenmerk, Bedacht, Umsicht, Achtsamkeit, Besonnenheit, Hingabe, Interesse, Wachsamkeit, Fürsorge, Rücksichtnahme, Behutsamkeit. Unser Planet braucht das, um den Menschen und allen Wesen Lebensqualität zu bieten! Architektur beschäftigt sich immer mit der Zukunft und hat großes Potenzial diese zu verändern – die Beziehungen zwischen Ökonomie, Ökologie und Arbeit grundsätzlich zu denken, mit neuen Allianzen und selbstverständlich interdisziplinär.

Die Wanderausstellung des Az W – Architekturzentrum Wien zeigt anhand von aktuellen Beispielen aus Asien, Afrika, Europa, der Karibik, den USA und Lateinamerika, dass Architektur und Stadtentwicklung sich durchaus dem Diktat des Kapitals entziehen sowie mit Ressourcen und Arbeit achtsam umgehen kann, und gruppiert die Projekte nach fünf Themen: Sorgetragen für Wasser, Grund und Boden, den öffentlichen Raum, für Fertigkeiten und Kenntnisse, Reparatur sowie für die lokale Produktion. Das Stadtentwicklungsgebiet am Wiener Nordbahnhof ist ein großmaßstäbliches Beispiel, bei dem die „Freie Mitte“ mit ihrer urbanen Wildnis der Verdichtung mit Wohn- und Bürobauten im neuen Stadtviertel widersteht. Die natürlichen, kulturellen und sozialen Ressourcen sind Ausgangspunkt für einen Partizipationsprozess, der alte Wasserturm und die Nordbahnhalle bleiben als kreativ bespielbare Stätten erhalten.

Ein Wiedersehen

Wir erinnern uns an eine ungemein inspirierende Ausstellung 2012 im vai über die belgischen Architekten de vylder vinck taillieu. Diese tragen ein sehr spezielles Rettungsprojekt bei. Bevor auch noch der letzte, über Jahrzehnte ungenutzte, prächtige Pavillon am Rande des Parks einer Psychiatrischen Klinik abgerissen wurde, überzeugten sie mit der Idee, die Ruine in einen großzügigen öffentlichen Raum mit Pflanzen und Tieren zu transformieren. Lacaton & Vassal ist ebenfalls schon aus „Inhabiting. Pleasure and Luxury for Everyone“ bekannt und es wurde im Mai 2019 auch das Wohnbau-Sanierungsprojekt in Bordeaux im vai präsentiert. Anstatt die Großwohnsiedlungen aus den 1960er-Jahren zu sprengen, entwickelten sie ein nachhaltiges und viel ökonomischeres Konzept, bei dem unter Beteiligung der BewohnerInnen mit einfachen thermischen Maßnahmen und Zufügung einer zweiten luziden Raumschicht aus Wintergarten und Balkon, die Wohnhochhäuser umgerüstet wurden.

Auch Anna Heringer widmete das vai mit „Didi Textiles“ im März 2019 eine Ausstellung. Im kleinen Dorf Rudrapur in Bangladesh baute sie gemeinsam mit der Modemacherin Veronika Lena und der gemeinnützigen lokalen Organisation Dipshikha die lokale Textilproduktion auf. Es ging darum eine Alternative zu zeigen und den Menschen das Leben und Bleiben in ihren Dörfern zu ermöglichen. In diesem Projekt werden die textilen Ressourcen mit Handwerk veredelt – und aus alten Saris Designprodukte.

Regionalentwicklung

Architektur als Akupunkturtherapie zum ländlichen „Upgrading“ gelang der Pekinger Architektin Xu Tiantian in der chinesischen Region Songyang. In Zusammenarbeit mit den Dorfgemeinschaften, lokalen HandwerkerInnen und den Kommunen wurde in wenigen Jahren ein neues „rurales Selbstbewusstsein“ in Gang gesetzt. Mit minimalen Interventionen begannen sie die vorhandenen Ressourcen und oft schon vergessene handwerkliche Traditionen einzubinden, um zentrale Elemente der Dorfsubstanz sowie Dorfgeschichte zu wahren und positive Zukunftsperspektiven für die kulturelle, soziale und ökonomische Entwicklung zu schaffen, wie bei der Tofu Fabrik in Caizhai, die mit einer Erweiterungsstruktur in Holzkonstruktion, gefertigt von den lokalen HandwerkerInnen, nun gleichzeitig Produktionsstätte, öffentlicher Raum, Veranstaltungszentrum und touristischer Anziehungspunkt ist.

Ein weiteres Modellprojekt für nachhaltige Dorfentwicklung gibt es in der chinesischen Provinz Sichuan, wo nach zerstörerischen Erdbeben und Erdrutschen ein beispielgebender Wiederaufbau gelang. Man möchte hier alle Interventionen anführen, es darf jedoch noch neugierig gemacht werden auf ein ehemaliges Kaufhaus in São Paulo, das in ein soziales Kultur-, Sport- und Gesundheitszentrum umgebaut wurde, mit öffentlichen, luftigen Wegen, die als Rampen bis zum Swimmingpool am Dach leiten. Oder auf die stimmungsvolle Reaktivierung eines brachliegenden römischen Bewässerungssystems inmitten von jetzt öffentlich zugänglichen Kleingärten in Spanien. Oder auf ein spektakuläres urbanes Projekt: In Kolumbien wurde ein Drittel der Wasserspeicheranlagen von Medellin in einen neuen, sicheren öffentlichen Raum für die benachteiligten Nachbarschaften verwandelt. Und noch ein Blick nach Jordanien, wo gemeinsam mit den BewohnerInnen und den geflüchteten Menschen 100 kuppelartige Klassenräume für die Kinder errichtet wurden, in traditionellen und klimagerechten Lehmbaumethoden.

Was für ein Glück, dass Clemens Quirin das Ausstellungskonzept für die Räumlichkeiten des vai Vorarlberger Architektur Institut adaptieren konnte und somit auch in Vorarlberg alle 21 Projekte mit ihren großformatigen Bilderzählungen, Modellen und Filmen präsentiert werden. Ein 15 Meter langer, 3 Meter breiter Tisch, der die ansonsten den Raum zerteilenden Säulen gekonnt integriert, schafft in großer Geste eine wohltuende Übersichtlichkeit. Es ist ratsam, sich für diese Ausstellung reichlich Zeit zu nehmen, auch für die Videos, die Hintergründe zu den Entstehungsprozessen vermitteln und die AkteurInnen zu Wort kommen lassen. Umsichtige Zusammenarbeit ist immer konkret und entsteht aus den spezifischen lokalen Verhältnissen und Bedingungen. Wenn solche weltweiten Initiativen dokumentiert und geteilt werden, gibt das Mut und Hoffnung für ein gutes Leben auf unserem Planeten.

newroom, Di., 2021.02.02

26. Januar 2021Martina Pfeifer Steiner
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Rarität mit bleibender Brisanz

Franz Eberhard Kneissl war ein bekannter Architekt, in Literaturkreisen anerkannt und sein bildnerisches Werk ist es wert entdeckt zu werden. Franz E....

Franz Eberhard Kneissl war ein bekannter Architekt, in Literaturkreisen anerkannt und sein bildnerisches Werk ist es wert entdeckt zu werden. Franz E....

Franz Eberhard Kneissl war ein bekannter Architekt, in Literaturkreisen anerkannt und sein bildnerisches Werk ist es wert entdeckt zu werden. Franz E. Kneissls (1945–2011) Nachlass wurde nun aufgearbeitet und als gesammelte Texte herausgegeben. Die ersten Essays Kneissls erschienen Anfang der 1990er-Jahre in der Zeitschrift Architektur.Aktuell. Sie lesen sich heute noch mit unveränderter Relevanz. Einer davon befasst sich mit ausführlichen Recherchen am Praterstern, aus diesem Text stammt der originelle Buchtitel „Der Praterstern ist kein Himmelskörper“.

Die Überlegungen zum heute brandaktuell diskutierten Thema Boden erschienen ebenfalls zuerst in der Architekturzeitschrift und später in Kneissls Roman „Eine Ratte namens Apfel“: „Es ist auch ein Unterschied, ob man sich auf schweizerischem oder chinesischem Boden befindet, obwohl der Boden selbst keinen Unterschied machen würde. Auf schweizerischem Boden kann man vielleicht sagen und tun, was auf chinesischem Boden nicht möglich wäre.
Eine steile Felswand wird üblicherweise nicht als Boden bezeichnet, obwohl es eine Bodenformation ist wie ein Hang, ein Tal oder eine Ebene. Boden geht unter Wasser durch und kommt an anderer Stelle wieder heraus. Wenn man unter Wasser gehen könnte, wäre es möglich, zu Fuß von New York nach London zu gehen. Es ist derselbe Boden. Ob darauf Japaner, Afrikaner oder Amerikaner stehen: es ist ein Boden, den kein Zaun, keine Mauer, keine Grenze und kein Gebäude zerteilen kann. Er taucht wie ein Wal unter einem Schiff durch und zieht weiter. Boden ist als die Unterseite von Luft und Wasser ein abstrakter Begriff ohne Tiefe und Bild.“

Die MOBA Kolumnen in der Zeitschrift Hintergrund (Hrsg. Architekturzentrum Wien) zeigt, wohin sich sein Schreiben entwickelte. In zwölf eskalierenden Geschichten erzählt er absurd überhöht von einem unfassbaren Wesen, das auch im Architektur-Roman eine Rolle spielt. Parallel dazu entstand die „Sammlung imaginärer Episoden, die – paarweise gegenübergestellt – das Phänomen des Kippverhaltens von zivilisierten Menschen und Menschengruppen abhandeln“, so Kneissl, und als Taxi zum Parkplatz bei Sonderzahl veröffentlicht wurde. Eine von ihm selbst getroffene Auswahl von Episoden findet sich ebenfalls bei den gesammelten Texten. Zur chronologischen Ordnung und Orientierung sind im Buch Trennblätter mit Jahreszahlen eingelegt.

Die Würdigung der Person Franz E. Kneissl und seines umfassenden Werkes übernimmt Otto Kapfinger, der im Editorial Board beim Konzept mitwirkte. Wie auch Gottfried Pirhofer, der in zahlreichen – vor allem – Stadtforschungsprojekten mit Kneissl zusammengearbeitet und geschrieben hat. Pirhofer gibt in seinem Beitrag Einblick in den Diskurs und das Ringen um die drängenden Themen.
Die Konzentration aller eingesammelten Texte einerseits und die Straffung seiner zwei Buch-Veröffentlichungen andererseits ergeben eine spannende Dramaturgie. Wir können Kneissl ganz neu lesen. Frappierend, wie brisant und treffend seine Werke heute noch sind.

newroom, Di., 2021.01.26



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Der Praterstern ist kein Himmelskörper

26. Januar 2021Martina Pfeifer Steiner
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Von Menschenteppich und Kondomgesellschaft

Franz Eberhard Kneissl war Architekt, Schriftsteller und Künstler. Er wäre im Februar 76 Jahre alt geworden und ist vor 10 Jahren verstorben. Es ist nunmehr...

Franz Eberhard Kneissl war Architekt, Schriftsteller und Künstler. Er wäre im Februar 76 Jahre alt geworden und ist vor 10 Jahren verstorben. Es ist nunmehr...

Franz Eberhard Kneissl war Architekt, Schriftsteller und Künstler. Er wäre im Februar 76 Jahre alt geworden und ist vor 10 Jahren verstorben. Es ist nunmehr die dritte Ausstellung, die in der Galerie ZUGänglicheKunst im Bahnhofsgebäude von Pörtschach am Wörthersee das außergewöhnliche bildnerische Werk Kneissls vermittelt. Großes Staunen, denn Kneissls Bilder packen uns emotional im Jetzt – in dieser Ausnahmesituation der Pandemie. Und das Frappante daran: wir können davon auch in seinen Büchern lesen!

Betrachtet man das gesamte Werk von Franz E. Kneissl (1945–2011), das mit der Herausgabe der Texte „Der Praterstern ist kein Himmelskörper“ und in der Ausstellung seiner Bilder anschaulich wird, darf man frei von Interpretation feststellen, dass seine Themen, seine Ideen auf bildnerischer wie literarischer Ebene gleichwertig und konsequent behandelt sind. Er erfand neue Begriffe für seine Beobachtungen von Phänomenen, es gibt Texte, genauso gibt es Bilder. Eine seiner Erfindungen ist MOBA, >ein nebuloses, weißliches, gräuliches, manchmal ins ranzig Gelbliche changierendes Gebilde<. Moba spielt in Kneissls ersten Roman eine Hauptrolle und verselbständigt sich später. Es hätte sich noch weiterentwickelt, wie aus seinen >Notizen zu Bildern:< ersichtlich.

Der Begriff „Menschenteppich“ kommt ebenfalls immer schon vor – seitdem Kneissl sich literarisch äußerte in seinen Texten, jedoch übermäßig und vor allem in seinen Bildern. Die Bildunterschriften sind eigentlich Textminiaturen, die sich ähnlich einer digitalen Leuchtschrift ändern hätten können: >EIN GEIERMENSCHENTEPPICH, EINEN SCHWEINEMENSCHENTEPPICH VERFOLGEND< oder >IM GRUNDE DÜRFTE DER MENSCHENTEPPICH EIN DERARTIG ÜBERFRACHTETES SCHIFF NICHT ZULASSEN<.

Man kann sich mit Hilfe seiner Texte weiterhanteln: >Die Wolke verdichtet sich zu einem hinaufprojizierten, himmelsbedeckenden Bild. Dem Bild einer Ansiedlung riesiger, hochaufragender Kondome mit bizarren Musterungen und wilden Ausformungen, in deren Innerem es pulsiert.
Die Kondome sind für den Verkehr ohne Berührung. Die industrielle Handhabung des Menschenteppichs verläuft nicht über das einzelne, sondern über gesammelte, gleichzubehandelnde Kontingente. In reale oder imaginäre Häute abgepackt ist das Vielfache leichter zu beherrschen. Die dünne Plastikhaut ist die nach dem Erfinder bezeichnete Urform für Verkehr ohne Berührung. Es war die Geburtsstunde einer um die Welt gehenden Idee: Zu kontingentieren sowie zu separieren, um ungewollte, unangemessene oder gar die Gesundheit gefährdende bis lebensbedrohliche Berührung systematisch zu vermeiden.<

Menschenmassen, Verkehr ohne Berührung, kondomartige Schutzkleidung, Masken ... in Zeiten wie diesen lassen Assoziationen und die Begriffe krasse sowie real gewordene Varianten dazu finden. Kneissls Nachlass gibt viel brisanten Stoff, er formulierte seine Konstrukte akribisch aus, literarisch wie zeichnerisch. Dass er den Nerv der Zeit so schonungslos scharf und immer aufs Neue getroffen hat, ist eigentlich unheimlich.

newroom, Di., 2021.01.26

26. Januar 2021newroom

Gernot Hertl – reichhaltig

„Die Reichhaltigkeit in der Architektur hat sehr viel mit meiner Motivation zu tun: Die Schönheit an sich, die Freude machen kann, Geborgenheit, die Architektur...

„Die Reichhaltigkeit in der Architektur hat sehr viel mit meiner Motivation zu tun: Die Schönheit an sich, die Freude machen kann, Geborgenheit, die Architektur...

„Die Reichhaltigkeit in der Architektur hat sehr viel mit meiner Motivation zu tun: Die Schönheit an sich, die Freude machen kann, Geborgenheit, die Architektur schaffen kann, die Sinnlichkeit, auf allen Ebenen – das sind Themen, die mich selbst überhaupt zur Architektur gebracht haben. Im täglichen Leben, aber vor allem in der Arbeit funktioniert es im Büro tatsächlich so, dass wir uns schon in der Entwurfsphase viele Sinnlichkeitsfragen stellen. Es ist ein Sammeln von Metaphern und ein Wieder-erinnern an Stimmungen in Raumsituationen. Wir glauben, dass wenn man sich auf solche Qualitäten einlässt, anzunehmen ist, dass Atmosphäre damit auch vermittelt und spürbar wird. Dieser hypothetische Ansatz ist in unserer täglichen Arbeit Prozess. Wir haben so etwas Ähnliches wie ein bürointernes Vokabular entwickelt, um atmosphärische Prinzipien im Entwurf einzubauen und um neben dem Verstehen und Einbringen funktionaler Logik auch mit Herleitung von Stimmungen Räume zu verändern.

Ich denke, dass diese Form von Reichhaltigkeit tatsächlich gesellschaftlich sehr relevant ist. Letztendlich können Archäologen frühere politische Systeme und Gesellschaften hauptsächlich am Baulichen festmachen. Es muss nicht jedes Haus laut schreien, was es denkt. Aber ich halte es für wichtig, dass wir als Gesellschaft mit Schönheit und mit Wertigkeit nicht nur abbilden wie unsere Häuser, unser gesamtes gebautes Umfeld sind, sondern wie wir sein wollen.“

Gernot Hertl, geb. 1971, Steyr. Seit Beginn prägt die Auseinandersetzung mit der vom Raum definierten Atmosphäre den Entwurfsalltag bei Hertl.Architekten. Diskutiert wird im Büro immer über alle laufenden Projekte gleichzeitig, weil Qualitäten grundsätzlich für jede Aufgabe zutreffen. Da kann es auch vorkommen, dass mit Themen des einen Projekts, ein anderes neu gedacht wird.

19. Januar 2021Martina Pfeifer Steiner
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Preiswürdiges Panoptikum

Sinn macht die Dokumentation der besten Bauten Österreichs in der Serie. Und Sinn macht, bei der Kuratierung den Fokus auf Architekturpreise zu legen....

Sinn macht die Dokumentation der besten Bauten Österreichs in der Serie. Und Sinn macht, bei der Kuratierung den Fokus auf Architekturpreise zu legen....

Sinn macht die Dokumentation der besten Bauten Österreichs in der Serie. Und Sinn macht, bei der Kuratierung den Fokus auf Architekturpreise zu legen. Auch hier kann man Kriterien anlegen, denn die „Preislandschaft“ ist anfällig für Kommerzialisierung. Das Az W Architekturzentrum Wien ist Herausgeber und weiß genau zu bewerten, ob ausreichend Architekturfachleute in der Jury vertreten waren und ob die baukulturellen Aspekte im Vordergrund standen. Mit „Best of Austria 2018–19“ liegt nun die siebte Ausgabe vor, ermöglicht vom Bundesministerium für Kunst, Kultur, öffentlicher Dienst und Sport. Diesen Rückhalt brauchen solche Projekte, sonst wäre die kontinuierliche, umfassende Dokumentation und zugleich Sammlung von herausragenden Leistungen für die Baukultur wohl schwer durchzuziehen.

Gut gemacht: Großes Format, schwarze Hülle in feiner Lederoptik, Hardcover, ganz dünn, abgerundete Ecken, in Farbe hervorgehoben „BEST Architecture 2018–19“, diesmal gelb. Pragmatisch und übersichtlich wird auch mit dem Inhalt umgegangen: Die Kategorien – Stadtraum, Infrastruktur; Industrie, Handel, Gewerbe; Einfamilienhaus; Wohnen; Kultur; Tourismus, Freizeit; Büro, Verwaltung; öffentliche Bauten; Bildung – sind farblich markiert und als „Fingerabdruck“ auch außen sofort auffindbar. Ein bis zwei Doppelseiten mit gut geschriebenen Kurztexten, Daten und Fakten sowie Verlinkung mit dem Award, eine umfassende Bildserie – der Qualitätsstandard für Architekturfotografie ist schon seit Jahrzehnten sehr hoch – für jedes Projekt machen das Blättern interessant und unterhaltsam. Dass ein Kapitel den mit Preisen und Auszeichnungen gewürdigten Akteurinnen und Akteuren gewidmet wird, mit Texten (übrigens durchgängig auch in Englisch) und Biografie, zeigt zum Abschluss deutlich, dass ausgezeichnete Architektur von Menschen geschaffen wird, die große Verantwortung für die Baukultur übernehmen.

newroom, Di., 2021.01.19



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Best of Austria Architektur 2018_19

12. Januar 2021Martina Pfeifer Steiner
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Hoch – höher – die Besten

So wichtig, dass eine Publikation zur Typologie des Hochhauses die aktuell spannende Weltarchitektur breitbandig vermittelt. Den internationalen Hochbaupreis...

So wichtig, dass eine Publikation zur Typologie des Hochhauses die aktuell spannende Weltarchitektur breitbandig vermittelt. Den internationalen Hochbaupreis...

So wichtig, dass eine Publikation zur Typologie des Hochhauses die aktuell spannende Weltarchitektur breitbandig vermittelt. Den internationalen Hochbaupreis – ausgeschrieben vom DAM Deutschen Architekturmuseum – gibt es biennal seit 2004. Aus fünf Finalisten wurde also das neunte Mal ein Gewinnerprojekt gekürt, nominiert waren heuer 31 außergewöhnliche Hochhausprojekte aus 14 Ländern aller Kontinente. Der Preisträger steht in Stockholm. Die Hälfte der Buchs widmet sich bildreich dem „Norra Tornen“, geplant von OMA Office for Metropolitan Architecture. Und die Geschichte wird spannend erzählt: Man erfährt, wie die zwei skulptural geschachtelten Türme den Übergang zwischen zwei völlig unterschiedlichen Stadtteilen mit einer prägenden städtebaulichen Torsituation schaffen; welch große Wohnqualität und Maßstäblichkeit durch die geschickte Fügung der Einheiten entsteht; über die exzellente Materialität und Ausführung der Betonfertigteilelemente. Ausführliche Interviews mit dem Projektarchitekten von OMA und dem Bauherrschaftsvertreter geben Stoff für einen interessanten Diskurs.

Adäquaten Raum in der Publikation wird auch den Finalisten gegeben. Der „Omniturm“ in Frankfurt von BIG Bjarke Ingels Group bietet die Mischnutzung für Büros und Wohnen an. Die Vorzüge beschreibt die Jury folgend: „Beim Design des Turms sticht der „Schwung“ im Mittelteil – dem Wohnbereich – heraus, wodurch interessante Terrassenkonzepte entstehen. Darüber hinaus überzeugt das Gebäude durch seine effiziente Flächenaufteilung und Funktionalität.“ Aus dem Staunen kommt man bei der Betrachtung des Luxuswohnturms für nur 20 Geschoßwohnungen in Singapur, geplant von Heatherwick Studio, nicht mehr heraus. Die Bezeichnung „Eden“ bezieht sich offensichtlich auf einen Paradiesgarten, der hier in unbeschreiblicher, verspielter Perfektion Realität wird. „The Stratford“ von Skidmore, Owings & Merril LLP steht in London direkt am Olympiapark als markantes „mixed-use“-Hochhaus und bietet ein neues Konzept mit Hotel, Gastronomie und Wohnen. Und „Leeza Soho“ von Zaha Hadid Architects verleitet zu einer Reise nach Peking, nur um den spektakulär ausformulierten Zwischenraum der zwei Bürotürme mit flexiblen Büroflächen für kleine und mittlere Unternehmen zu erleben. Von Außen meint man solche kondomartig glasumhüllte Bauwerke schon gesehen zu haben, beim Lesen (übrigens durgehend englisch/deutsch) erfährt man, dass die eindrucksvolle, geschwungene Auflösung mit ihren Brückenverbindungen die statische Ursache in der Querung der U-Bahnlinie durch die Mitte des Gebäudes hat.

Auch alle nominierten Projekte werden des Weiteren auf je einer Doppelseite dokumentiert. Ein sehr gut gemachter Katalog, der die – hoffentlich weiterreisende – Ausstellung zum Internationalen Hochhaus Preis 2020 begleitet, aber vor allem nachhaltig einer breiten, interessierten Leserschaft zeitgenössische Entwicklungen in der Weltarchitektur ins Wohnzimmer bringt.

newroom, Di., 2021.01.12



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Best Highrises 2020/21

12. Januar 2021newroom

Tom Lechner – beständig

„Die Entwicklung unseres Büros hat im weiteren Sinne auch mit Beständigkeit zu tun, und dass ich nach dem Studium aufs Land zurückkehrte, wo meine Wurzeln...

„Die Entwicklung unseres Büros hat im weiteren Sinne auch mit Beständigkeit zu tun, und dass ich nach dem Studium aufs Land zurückkehrte, wo meine Wurzeln...

„Die Entwicklung unseres Büros hat im weiteren Sinne auch mit Beständigkeit zu tun, und dass ich nach dem Studium aufs Land zurückkehrte, wo meine Wurzeln sind. Schon als junger Architekt habe ich mich daher früh sehr intensiv mit der bäuerlichen Alltagsarchitektur, der Bautradition und dem Handwerk auseinandergesetzt. Ich versuchte immer mit den notwendigen Mitteln angemessene Antworten auf den Ort zu finden, und zwar mit inhaltlichen und nicht rein formalistischen Ansprüchen. Mein Gegenüber – Entscheidungsträger, Bürgermeister, private Bauherren – konnte ich nur mit solchen Argumenten und Beschreibungen überzeugen und so vermitteln, dass zeitgemäße Architektur sehr wohl Teil einer Tradition ist und auch immer war. In den 20 Jahren meiner beruflichen Tätigkeit hat sich die Bautechnik extrem weiterentwickelt, und als Architekt muss man selbstverständlich die Fortschritte z.B. im Holzbau nutzen, doch das ursprüngliche Handwerk darf dabei nicht vergessen werden. So hat das einfache, bodenständige Konstruieren in Holz nichts mit Nostalgie zu tun, sondern mit Bewusstsein der Aufgabe und dem Material gegenüber. Wer baut, findet immer eine Bestandsituation vor. Wir fokussieren uns daher bei jeder Aufgabe auf eine gute Analyse, einen guten Entwurf und dann auf ein gutes Detail, das wirklich aus dem Handwerklichen generiert wird. Das bedeutet auch wieder Beständigkeit, nämlich: Materialien und Handwerk aufrechtzuerhalten bzw. weiterzutragen, so wie es auch für Generationen vor uns selbstverständlich war.

Was können wir den nächsten Generationen zum Thema Baukultur hinterlassen? Eine wichtige Frage und eine unglaublich große Verantwortung. Die Entwicklung zur Wegwerfgesellschaft wird immer gravierender, es geht nur noch um die Kosten, und die Rentabilität wird immer kurzfristiger gerechnet. Wir als Architekturschaffende müssen uns doch so gut es geht sicher sein, dass wir den Ort, an dem wir arbeiten dürfen, zumindest nicht zerstören. Qualitäten drängen sich nicht unbedingt in den Vordergrund, sondern sie existieren einfach, und wenn Architektur genügend Raum für den Menschen bietet, dann ist das eine richtig kraftvolle Symbiose, die weit über die Ästhetik hinausgeht.“

Tom Lechner, geb. 1970, LP Architektur, Altenmarkt im Pongau, Salzburg. Bei der Erweiterung eines alten Bauernhofs war Sensibilität und das Bewusstsein über baukulturelle Heimat und Tradition Voraussetzung um eine angemessene Antwort auf den Ort zu finden und dem Bauherrn, der sich der Erhaltung von gefährdeten Nutztierrassen wie Alpinen Steinschafen oder Pinzgauer Ziegen widmet, die Arbeit zu erleichtern.

22. Dezember 2020Martina Pfeifer Steiner
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Sensibilisieren auf gefährdete Baukultur

Ausnehmend schön gemacht: gutes Format, angenehme Papierqualität, ausgewogene Grafik, übersichtliche Vermittlung. Hält man ein Buch in dieser Qualität...

Ausnehmend schön gemacht: gutes Format, angenehme Papierqualität, ausgewogene Grafik, übersichtliche Vermittlung. Hält man ein Buch in dieser Qualität...

Ausnehmend schön gemacht: gutes Format, angenehme Papierqualität, ausgewogene Grafik, übersichtliche Vermittlung. Hält man ein Buch in dieser Qualität und Sinnhaftigkeit in Händen, wird die Berechtigung von analogem Lesestoff wieder evident. Dabei startete das engagierte Projekt digital, als Kampagne des Bündner Heimatschutzes im Wochentakt „52 beste Bauten 1950–2000“ aus Graubünden auf einer Website hervorzuheben, um für das gefährdete baukulturelle Erbe der jüngeren und jüngsten Vergangenheit zu sensibilisieren. Eine wesentliche und breitenwirksame Baukulturvermittlung ist damit gelungen und diese hat zweifelsohne großen Mehrwert als analoge Publikation. Sie versammelt sämtliche digitale „Kalenderblätter“ in chronologischer Ordnung als architekturgeschichtliche Galerie. Jedes Bauwerk auf einer Doppelseite, mit den wichtigsten Fakten, einem interessanten Text, relevanten Literaturverweisen und einem großformatigen farbigen und einem kleineren schwarz-weiß Bild, eigens vom Fotografen Ralph Feiner aufgenommen. Das gibt nicht nur Ein- und Überblick auf die Graubündner Architekturszene mit ihren Strömungen und Strukturen – dazu auch ein Essay – sondern es erzählt zudem vom Umgang mit den Baudenkmälern der Nachkriegszeit.

Der Bündner Heimatschutz steht als baukulturelle Organisation an vorderster Front um für das gebaute Erbe zu sensibilisieren. Kaum zu glauben, dass sogar Peter Zumthors „Wohnhaus für Betagte“ in Chur 2015 in Gefahr war, abgebrochen zu werden – „Ein Bauwerk, das die Bauaufgabe „Altersheim“ einst neu erfand“ und im Buch als Nummer 42 dokumentiert wird. Die geplante Rettungsaktion konnte dann doch eingestellt werden, weil die Eigentümerschaft schlussendlich Einsicht zeigte. Peter Zumthor renovierte das Wohnheim in der Zwischenzeit und passte es selbst den gestiegenen Komfortansprüchen an. Ein Glücksfall! Der Talstation der Albigna-Seilbahn von Buno Giacometti, Bruder des bekannten Künstlers Alberto Giacometti, war hingegen das Schicksal des Abbruchs beschieden, und ein Zeugnis architektonischer Erneuerung aus dem Jahre 1955 ging damit unwiederbringlich verloren.

Die 52 besten Bauten sind der gemeinsame Nenner einer dreiköpfigen Jury. Gewisse Subjektivität ist bei jeder Auswahl zu unterstellen, der Abstand von 20 Jahren schafft jedoch Distanz und schärft den Blick auf das Wesentliche, aber auch auf die Qualitäten der alltäglich umgebenden Baukultur, was erst mit dem Hinweis darauf wieder bewusst wird. Dass die Kapelle Sogn Benedetg, die das Cover ziert, vorkommt ist klar, aber die Dokumentation, dass es bei Gebäuden wie der Höheren Technischen Lehranstalt in Chur (1993, Jüngling und Hagmann) oder bei der Einstellhalle in Domat (1988, Isa Stürm, Urs Wolf) oder der Siedlung Lacuna in Chur (1964–1972 Lacuna 1, 1972–1981 Lacuna 2, Thomas Domenig) auch ganz viel Spannendes zu entdecken gilt, könnte den Bauwerken in naher Zukunft einen wertschätzenden Umgang mit der architektonischen Substanz sichern.

newroom, Di., 2020.12.22



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52 beste Bauten

22. Dezember 2020newroom

Gus Wüstemann – wegweisend

„Ich denke, dass wir uns in einer Phase befinden, wo wegweisende Veränderungen unumgänglich sind. Das fängt beim Weltklima an und reicht bis zu sozialen...

„Ich denke, dass wir uns in einer Phase befinden, wo wegweisende Veränderungen unumgänglich sind. Das fängt beim Weltklima an und reicht bis zu sozialen...

„Ich denke, dass wir uns in einer Phase befinden, wo wegweisende Veränderungen unumgänglich sind. Das fängt beim Weltklima an und reicht bis zu sozialen demographischen Gesichtspunkten und wie wir leben. Vielleicht müssen wir wieder einen Schritt zurück machen, weniger kommerziell, weniger egoistisch und mehr im Sinne der Gemeinschaft handeln. Das sind auch wichtige Faktoren in der Architektur, die man immer wieder mitdenken sollte, es geht um Inhalt und Bescheidenheit. Unsere ethische Haltung ist tief verwurzelt in Unabhängigkeit von sozialer Hierarchie und Status, frei von Programmen und der Konnotation von Architektur oder gesellschaftlicher Referenz.
 Da gibt es schon noch reichlich Interpretationsspielraum, wie etwas programmiert werden, wo etwas hinpassen oder wie etwas aussehen muss. Darin stecken nämlich viele Vorurteile und Stagnation.

Wir versuchen in unserer Arbeit immer quasi bei Null zu beginnen, das heißt unprätentiös an ein Projekt, einen Ort zuzugehen, ohne dass schon alles definiert ist, sondern ein neues Gefühl, eine Sinnlichkeit entstehen zu lassen, aber immer gepaart mit großem Pragmatismus. Dabei wird eine schlichte, ressourceneffiziente Raumästhetik mit einem ethischen Programm verbunden: Offene und flexible Räume, das Ineinandergreifen von Innen und Außen sowie von multifunktionalen, nicht normierten Bereichen. Dann kann es auch vorkommen, dass ein Low-Budget Wohnbau mit Luxus beschrieben wird, weil das Wohngefühl nicht der geringen Wohnfläche mit peripher begrenzenden Flächen entspricht, sondern ein annähernd topografisches Erlebnis, ein Teil von etwas Größeren zu sein, vermittelt.“

Gus Wüstemann, geb. 1966, Architekt, Zürich / Barcelona. Ein wichtiges Anliegen von gus wüstemann architects ist die Bereitstellung von qualitativ hochstehendem und kostengünstigem Wohnraum für alle. Mit dem Ersatzneubau in Zürich erarbeitete das Studio dazu ein wegweisendes Konzept.

15. Dezember 2020Martina Pfeifer Steiner
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Fortsetzung als Buch. Die Songyang Story

Jetzt als Publikation: Die „Rural Moves – The Songyang Story“ wurde als Ausstellung vom Aedes Architecture Forum in Berlin entwickelt, wanderte ins Az...

Jetzt als Publikation: Die „Rural Moves – The Songyang Story“ wurde als Ausstellung vom Aedes Architecture Forum in Berlin entwickelt, wanderte ins Az...

Jetzt als Publikation: Die „Rural Moves – The Songyang Story“ wurde als Ausstellung vom Aedes Architecture Forum in Berlin entwickelt, wanderte ins Az W Architekturzentrum Wien und dann weiter ins Architekturzentrum Basel. Für das Buch wurden die aufsehenerregenden Projekte um einige vor kurzem fertiggestellte ergänzt und AutorInnen eingeladen, das Songyang-Phänomen aus sozialer, ökonomischer und ökologischer Sichtweise zu untersuchen.

Architektur als Akupunkturtherapie? Auf der Suche nach architektonischen wie räumlichen Modellen zum ländlichen „Upgrading“, das auch für Europa Impulse geben könnte, trafen Hans-Jürgen Commerell und Kristin Feireiss auf die „Songyang Story“. In dieser chinesischen Region mit mehr als 400 Dörfern setzte die Pekinger Architektin Xu Tiantian und ihr Büro DnA_Design and Architecture in Zusammenarbeit mit den Dorfgemeinschaften, der kommunalen Regierung und lokalen HandwerkerInnen mit unglaublich schönen Projekten in wenigen Jahren ein neues „rurales Selbstbewusstsein“ in Gang. Songyang gilt als traditionell landwirtschaftlich geprägte Region mit sanften Hügeln, Reisfeldern und Teeplantagen. Mit minimalen Interventionen begannen Xu Tiantian und ihr Team die vorhandenen Ressourcen und oft schon vergessene handwerkliche Traditionen einzubinden, um zentrale Elemente der Dorfsubstanz sowie Dorfgeschichte zu bewahren und positive Zukunftsperspektiven für die kulturelle, soziale und ökonomische Entwicklung zu schaffen.

Das Buch erzählt die Geschichte von Songyang sehr eindrucksvoll. Ausgewählte Projekte werden im großformatigen Fotoessay aus zwei Distanzen betrachtet, einmal in der Landschaft, dann als Gesamtansicht und schließlich mit den Menschen, Situationen, die das Leben dort ausmachen. Kompakt wird auf einer Doppelseite mit informativem Kurztext und anschaulichen Plänen vermittelt, was man noch gerne darüber erfahren würde: Die „Brown Sugar Factory“ beispielsweise, wird nur in den drei Wintermonaten für die Zuckerproduktion genutzt, das Gebäude steht die übrige Zeit der Dorfgemeinschaft zur Verfügung. Mit einem komplett transparenten Erdgeschoß verbinden sich nach dem Umbau die Arbeitszonen mit den Feldern und den dörflichen Strukturen. Dort treffen sich die Alten tagsüber zum Tee, abends werden Filme gezeigt, dann spielt wieder das lokale Puppentheater auf. Oder die Shimen-Brücke aus den 1950er-Jahren, die zwei Dörfer über den Songyin-Fluss verbindet und nach der Renovierung zum überdachten gemeinsamen Kulturraum wird. Oder das Dushan-Leisure-Center in Silingxia-Village, das sich im großen Bogen in die Landschaft integriert. Oder ein Bambus-Theater, bei dem die Architektin einen Low-Tech-Ansatz findet, nämlich das schnelle Wachstum und die Biegequalität des Materials. Einmal angelegt braucht die wachsende Kuppel wenig Pflege.

Wie wertvoll, dass es zu diesen Projekten eine ausführliche Publikation gibt: Bitte anschauen! Inspirieren lassen! Solche Projekte geben Optimismus, Mut und Hoffnung.

newroom, Di., 2020.12.15



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The Songyang Story

08. Dezember 2020Martina Pfeifer Steiner
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Wahrnehmungsübungen in Zeiten von Corona

Es ist eine der originellsten Kunstaktionen in diesen schweren Zeiten, die Wojciech Czaja da eingefallen ist. Ein notorisch Reisender wie er, kommt bei...

Es ist eine der originellsten Kunstaktionen in diesen schweren Zeiten, die Wojciech Czaja da eingefallen ist. Ein notorisch Reisender wie er, kommt bei...

Es ist eine der originellsten Kunstaktionen in diesen schweren Zeiten, die Wojciech Czaja da eingefallen ist. Ein notorisch Reisender wie er, kommt bei derartigen Beschränkungen, wie sie ab März 2020 schlagartig eintrafen, in große Not. „My little Hektopolis in times of Corona“ blinkte plötzlich auf seiner Facebook-Seite auf und ein Foto von einer Ecke der Wolfganggasse, Wien-Meidling, wo es ausschaut wie in – Tel Aviv. Almost. Zufällig seien die ersten Blickpunkte mit Assoziationen zu Orten auf der ganzen Welt entstanden, bei seinen rastlosen Fahrten mit der Vespa durch Wien. Und die FB-Community applaudierte, konnte nicht mehr genug bekommen. Es war also absolut schlüssig, aus diesen täglichen Postings eine Fortsetzung seines Büchleins „Hektopolis, ein Reiseführer in hundert Städte“ zu machen. Bleibt Wojciech Czaja in diesen ortsspezifischen, feinstofflichen Beobachtungen ausschließlich bei pointierten Anekdoten, wird in „Almost“ das Wort auf Ortsbezeichnungen reduziert und die Geschichten in Bildern erzählt.

Dass „Almost“ ohne „Hektopolis“ nicht entstanden wäre, ist anzunehmen, denn nur wer die Welt so intensiv bereist hat, kann sie unvermutet irgendwo in Wien wiederfinden. Ansonsten wäre wohl Detroit nicht in der Moselgasse am Laaer Berg und Chicago in der Wexstraße der Brigittenau zu entdecken. „Almost Villa Malaparte, Capri“ lautet ziemlich frech die Adresse „Neubaugasse, Rudolfsheim-Fünfhaus“, unschwer als Stadtbibliothek zu erkennen. Wir treffen auf „Almost Madrid“ an der Freyung, Innere Stadt; in „Almost Beijing“ wird witzig auf eine Art Vogelnest der Firma eybl in Liesing, Triesterstraße, verwiesen; und „Almost Palm Springs“ gibt es in der Simmeringer Hauptstraße. Das ist unterhaltsame Architekturvermittlung. Und eine anregende, wenn man sich nach der Lektüre auf den Weg macht um Kandy am Praterstern zu suchen.

newroom, Di., 2020.12.08



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Almost. 100 Städte in Wien

01. Dezember 2020Martina Pfeifer Steiner
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Eine kleine Kostbarkeit

Ein kleines Haus. Ein kleines Buch. Tatsächlich wollte Le Corbusier eines seiner kleinsten Bücher, einem seiner kleinsten Bauwerke widmen. Die „Villa Le...

Ein kleines Haus. Ein kleines Buch. Tatsächlich wollte Le Corbusier eines seiner kleinsten Bücher, einem seiner kleinsten Bauwerke widmen. Die „Villa Le...

Ein kleines Haus. Ein kleines Buch. Tatsächlich wollte Le Corbusier eines seiner kleinsten Bücher, einem seiner kleinsten Bauwerke widmen. Die „Villa Le Lac“ am Genfersee plante er für seine Mutter. Texte und Gestaltung stammen ausschließlich von Le Corbusier. Und er nahm es sehr genau! Papierqualität gab er vor, das Format sowieso, aber auch dass die Reproduktionsqualität der zahlreichen Fotos mittelmäßig sein sollte. Wie sehr er sich doch ärgerte, über eine erschienene Vorzugsausgabe: „Diese „Luxusausgabe“ ist idiotisch. Verlangt war mattes, offenporiges Naturpapier, die Abzüge waren „grob gerastert“ (wie für Zeitungen), um die Gedanken aus den lediglich andeutenden Bildern schweifen zu lassen. Hier jedoch hat das Papier alles herabgewürdigt.“

Diese Neuausgabe des Originals von 1954 hält sich weitgehend an die Vorgaben und es gibt sie dreimal, jeweils auf Deutsch, Französisch und Englisch. Es beginnt sehr spannend mit Skizzen von einem Haus und der Landschaft (nämlich am Genfersee), wo es stehen sollte. Durch Zufall (wie es immer so ist) wurde das richtige Grundstück gefunden. Das zweite Kapitel nimmt uns mit auf eine Entdeckungstour durch das kleine Haus, illustriert mit Fotos, die den Blick auf das in unterhaltsamen Texten Beschriebene richten. Zeichnungen von Le Corbusier aus dem Jahre 1945 schließen an. Die letzte Überschrift lautet: „Das Verbrechen“, das Kapitel umfasst eine Skizze und einen Absatz: „Im Jahre 1924, als das kleine Haus fertig war, versammelte sich der Gemeinderat einer Nachbargemeinde, um festzustellen, dass eine derartige Architektur eine „Verschandelung“ der Natur darstelle. Aus Angst, sie möchte trotzdem Schule machen (wer weiß?), verbot er jede Nachahmung für alle Zeiten ...“

newroom, Di., 2020.12.01



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Ein kleines Haus

01. Dezember 2020newroom

Markus Innauer – Wandel

"Die Covid Krise wird zweifellos auch in der Architektur einiges verändern. Das Bewusstsein über die eigene Lebenssituation ist größer geworden. Plötzlich...

"Die Covid Krise wird zweifellos auch in der Architektur einiges verändern. Das Bewusstsein über die eigene Lebenssituation ist größer geworden. Plötzlich...

"Die Covid Krise wird zweifellos auch in der Architektur einiges verändern. Das Bewusstsein über die eigene Lebenssituation ist größer geworden. Plötzlich kann alles anders sein: man sollte Wohnen mit Arbeiten kombinieren oder Kinder, die nicht mehr in die Schule gehen können, zu Hause betreuen. Vor allem beim Wohnbau wird offensichtlich wie unflexibel die Grundrisskonzepte sind. Es bräuchte viel einfachere Strukturen, die sich den wandelnden Anforderungen besser anpassen. Auch in Vorarlberg – so hochgelobt die innovativen Kindergärten, Schulen, Holzbauten etc. sind – hinkt der Wohnbau hinterher. 90 Prozent der Grundrisse schauen gleich aus, und solange die Bauträger ihre Wohnungen gut verkaufen, wird sich daran nicht viel ändern. Bewegung können wohl nur veränderte Kundenwünsche hineinbringen. Deshalb beurteilen wir die Krise für dieses Umdenken als Chance. Wir sind aber optimistisch, es gibt bereits viele innovative Ansätze und Entwicklungen, die im Wohnbau zunehmend durchsetzbar sind.

Ein Wandel im größeren Zusammenhang ist eigentlich schon längere Zeit spürbar und hat indirekt durchaus mit der ökologischen Krise zu tun, nämlich dass es eine Tendenz zu mehr Regionalismus gibt. Natürlich impliziert ein Büro im Bregenzerwald, wie wir es führen, eine enge Verbindung zur Region in der wir arbeiten und leben. Das heißt aber nicht, dass es immer ein Holzbau sein muss. Wir interpretieren die Aufgaben jedenfalls nah am Ort, der Landschaft und ihren BewohnerInnen.“

Markus Innauer, geb. 1980, Innauer Matt Architekten, Bezau. Der Wandel zu mehr regionalem Bewusstsein ist bereits spürbar. In der Arbeit von Markus Innauer und Sven Matt geht es immer um den Bezug zum Ort. Sie planen also nicht nur innovative Holzbauten, die Stationen der Patscherkofelbahn zum Beispiel werden ihrer Lage adäquat als massive Baukörper in die Bergwelt gesetzt.

24. November 2020Martina Pfeifer Steiner
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Im Engadin. Eine poetische Bildgeschichte

Der wichtige Schweizer Architekt Marcel Meili (1953–2019) hat uns mit der sehr persönlichen Bildgeschichte ein Geschenk hinterlassen. Schon der Titel „Steiners...

Der wichtige Schweizer Architekt Marcel Meili (1953–2019) hat uns mit der sehr persönlichen Bildgeschichte ein Geschenk hinterlassen. Schon der Titel „Steiners...

Der wichtige Schweizer Architekt Marcel Meili (1953–2019) hat uns mit der sehr persönlichen Bildgeschichte ein Geschenk hinterlassen. Schon der Titel „Steiners Postauto“ löst so viele Assoziationen aus. Und der schlichten Eleganz und Haptik des Covers im warmen Braunton, des rauen, schweren Papiers kann man sich nicht entziehen und merkt sofort, dass man etwas sehr Wertvolles in Händen hält. Der Titel bezieht sich auf das Bild „Postauto ob Silvaplana“ des legendären Fotografen Albert Steiner (1877–1965), das Meili und seine Frau, die Künstlerin und Kuratorin Eva Afuhs (1954–2011), seinem 92-jährigen Vater geschenkt hatten. Diese Fotografie ist der Auftakt einer emotionalen Reise durch die Landschaft des Engadins, mit Erzählungen, Betrachtungen, Ausschweifungen, Erinnerungen. Sie ist auch die einzige in seitenfüllendem Format. Unvermittelt beginnt man zu lesen, lässt sich ein auf den Text, der die Spannung aus seiner Langsamkeit generiert, auf die Bilderzeile, die sich als Band in immer gleicher Breite über die Buchseiten zieht, die Abbildungen in einer Größe, die zum genau Hinschauen anmiert und alles erkennen lässt. Giovanni Segantini (1858–1899) begegnet uns, mit der „Hütte auf dem Schafberg, wo Segantini starb, vor 1928“ von Albert Steiner, und dann ein Foto von Marcel Meili „Segantini-Hütte auf dem Schafberg, ca. 2005), des weiteren eine höchst interessante Gegenüberstellung des Gemäldes „Die bösen Mütter, 1894“ und die Fotografie „Winterabend bei Maloja, um 1914“ von Albert Steiner. Es ist aber auch Marcel Meilis autobiografische Ausflugsfahrt, bei der wir ihn begleiten dürfen, mit Ausblicken in weite Landschaften, auf die Straßen, wie sie durch die Alpen schneiden, die Baukultur und wie sie vom Tourismus beeinflusst wird, im Engadin und überall sonst noch.

Wie groß das Geschenk ist, welches Marcel Meili mit diesem Buch hinterlässt, erfährt man aus der editorischen Notiz am Schluss. Das Buch blieb nämlich vorerst seinem persönlichen Umfeld vorenthalten, für das er es ja auch geschrieben hat. In einem Privatdruck von 30 Exemplaren erschien es 2007 in japanischer Bindung, 2013 noch einmal in einer Auflage von 20 Stück als Paperback. Ein Jahr vor seinem Tod erlaubte Marcel Meili dem Verlag Scheidegger & Spiess dann glücklicherweise diese essayistische Spurensuche der Allgemeinheit zugänglich zu machen.

newroom, Di., 2020.11.24



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Steiners Postauto

17. November 2020Martina Pfeifer Steiner
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Bausünden können so schön sein

Es liest sich wie ein Krimi. Die gute Bausünde zeichnet sich durch Mut, Einfallsreichtum und beherzte Entschlossenheit aus, sie hat jedenfalls Bildqualität....

Es liest sich wie ein Krimi. Die gute Bausünde zeichnet sich durch Mut, Einfallsreichtum und beherzte Entschlossenheit aus, sie hat jedenfalls Bildqualität....

Es liest sich wie ein Krimi. Die gute Bausünde zeichnet sich durch Mut, Einfallsreichtum und beherzte Entschlossenheit aus, sie hat jedenfalls Bildqualität. Die gute Bausünde ist fest am Ort verwurzelt und doch ist es ihr Charakter, mit dem städtebaulichen Kontext nicht in Beziehung zu treten. Form, Farbe, Material oder Größe sind Mittel um Fremdkörper zu sein und zu bleiben. Haben sie Bestand? Gute Bausünden sind in großer Gefahr von schlechten ersetzt zu werden. Dann sind es meist banale Belanglosigkeiten, penetrante Langweiler, austauschbar, so dass die Leute nicht einmal mehr Anstoß daran nehmen. Dann schlägt der mangelnde Kontext zurück, der Einheitsbrei ist das tatsächliche Übel der Stadt.

Turit Fröbe ist Architekturhistorikerin, Urbanistin und passionierte Architekturvermittlerin, sie nimmt uns mit auf eine unterhaltsame Reise durch Deutschland, lässt teilhaben an ihrer Bestandsaufnahme zur Bausünde. Äußerst spannend. Man fiebert mit, wenn in Berlin auf der Fischerinsel mit dem „Ahornblatt“ – ein Selbstbedienungsrestaurant mit 880 Sitzplätzen, 1970–1973 erbaut – das erste unter Denkmalschutz gestellte Bauwerk der DDR-Moderne nach der Wende 2000 trotzdem abgerissen wurde und durch eine uninspirierte Blockrandbebauung ersetzt wird. Vom städtebaulichen Gedanken her zweifellos argumentierbar, der Verlust des identitätsstiftenden, für seine Schalenkonstruktion berühmte skulpturale Bauwerk, löscht jedoch auch die Spuren der DDR-Vergangenheit aus dem Stadtbild.

In der aktuellen Neuausgabe gibt es ferner ein Update zu den Veränderungen seit 2013. Den gruseligen Tunnel, der in Weimar den Vorplatz des Bahnhofs mit dessen Rückseite verbindet, gibt es nicht mehr und auch der abgezäunte Kiesplatz der Kita in Charlottenburg an einer dreispurigen Durchgangsstraße wurde aufgelassen. Dass die grausamen Bausünden wie Verkehrsbauten, Abfahrten, die in die Altstadt donnern oder mehrspurige, die sie durchschneiden, resistenter und auch schwerer zu tilgen sind, ist überall zu beobachten. Eine schlechte Nachricht kommt aus Köln: die wunderschöne Betonskulptur – eine gezackte Dachplatte auf geschätzt acht Meter hohen Säulen – der Bushaltestelle vor dem Kölner Dom wurde abgebrochen.

Das Bilderbuch, mit den prägnanten Texten dazwischen und Titeln wie: „Bausündenpolitik, Unfälle und Rätsel, Beschriftet und bemalt, Schizohäuser“ lässt die LeserInnen mitleiden, auflachen, sich ereifern. Den Namen des Stararchitekten und späteren Pritzker-Preisträgers, der in Braunschweig die schönste Karstadt-Filiale Deutschlands geplant hat, bleibt Turit Fröbe jedoch schuldig. Macht nichts, Hauptsache das eigenwillige Bauwerk bleibt stehen!

newroom, Di., 2020.11.17



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Die Kunst der Bausünde

09. November 2020Martina Pfeifer Steiner
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Stadtspaziergang. Anleitung zum Aufmerksam-sein

Ganz in der Tradition eines Lucius Burckhardt und der von ihm entwickelten Promenadologie werden die Assoziationen, die man zu seiner Wissenschaft des...

Ganz in der Tradition eines Lucius Burckhardt und der von ihm entwickelten Promenadologie werden die Assoziationen, die man zu seiner Wissenschaft des...

Ganz in der Tradition eines Lucius Burckhardt und der von ihm entwickelten Promenadologie werden die Assoziationen, die man zu seiner Wissenschaft des Spaziergangs haben könnte, bedient. Die nomadisierenden Veranstalter – in Persona Silvia Boul und Simon Baur – „beobachten, erforschen und erträumen neue Orte, die sie für einen definierten Zeitraum ausloten, vermessen und bespielen, und dies mit Liebe, Lust und Laune.“ „Sieben Spaziergänge durch Basel“ mit dem „Reiz des Nebensächlichen“ sind gerade in der 3. Auflage erschienen und „Acht überraschende Spaziergänge. Beiläufig Wesentliches in Venedig“ neu dazu gekommen.

Deklariert als Stadtführer – ist es jedoch keiner, den man bei einem Trip in die jeweilige Destination dabei haben müsste. Es reicht, wenn man sich fröhlich auf die Blickpunkte einer unterhaltsamen, lockeren Erkundungstour einlassen will. Ernst gemeint ist das mit den acht bzw. sieben Spaziergängen aber schon, denn ein Daumenregister gliedert sie komfortabel und die Kurzbeschreibung der Stationen ist jeweils im Stadtplan-Ausschnitt verortet. Hingeschaut wird auf das, was gerade auffällt, auf Beiläufigkeiten, die mitunter nur zu bestimmten Tageszeiten existieren und auch wieder verschwinden. Die Bilder sind nur eine Anregung für den eigenen Blick, die individuell wahrzunehmenden Auffälligkeiten. Die Texte dazu sollte man selbst dosieren. Gibt es bei manchen durchaus Interessantes zu erfahren – „Schrein. Fondamenta Barbarige, 2365. Hier geht es nicht nur um Religion, sondern auch um Komposition. Ein Kruzifix, eingerahmt von einer grossartigen architektonischen Szenerie, sämtliche Farben perfekt aufeinander abgestimmt. Auch der Ungläubige wird hier einen Moment verweilen.“ – wird das Vorgegebene mitunter auch etwas zu direkt: „Steg. Fondamenta de La Pescaria, 1826. Macht man sich hier das Leben etwas zu kompliziert? Wäre es nicht viel einfacher, vom Ufer aus ins Boot zu steigen? Oder garantiert dieser Steg ein rascheres Einparken? Vermutlich geht es bloss um die Ästhetik. Dieser dienen auch die Spiegelungen im Wasser.“

Alles in allem gibt es damit zwei Büchlein, die sich hervorragend für Sofareisen eignen und genauso viel Sinn machen, als Anleitung zum Aufmerksam-sein für jede bereiste Destination. Es muss eben nicht Venedig oder Basel sein, es wäre doch auch ein geeignetes Format für eine individuelle Fortsetzung mit den eigenen Reisepassagen.

newroom, Mo., 2020.11.09



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Beiläufig Wesentliches in Venedig

27. Oktober 2020Martina Pfeifer Steiner
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Vorbildlich und engagiert

Warum ist denn die Vorarlberger Baukultur im Vergleich zu anderen Bundesländern im Großen und Ganzen auf einem so hohen qualitativen Level? Vielleicht...

Warum ist denn die Vorarlberger Baukultur im Vergleich zu anderen Bundesländern im Großen und Ganzen auf einem so hohen qualitativen Level? Vielleicht...

Warum ist denn die Vorarlberger Baukultur im Vergleich zu anderen Bundesländern im Großen und Ganzen auf einem so hohen qualitativen Level? Vielleicht weil es in fast allen Kommunen auffallend gute Schulen, Kindergärten, und Gemeindehäuser gibt, die ein wirksames Vorbild für zeitgenössische Architektur abgeben? Nachvollziehbar also, dass von zwölf Prämierungen des 8. Bauherrenpreises der HYPO Vorarlberg die Hälfte an öffentliche Bauten geht. Und es hätte noch einige unter den 146 Projekten gegeben, die einen Preis oder eine Anerkennung verdient hätten!

Der Preis, der seit 1987 nunmehr alle fünf Jahre vergeben wird, unterstreicht die Bedeutung von qualitätsvollem, nachhaltig wirksamen Bauen und Planen für Gesellschaft und Umwelt. Wilfried Ammann, Vorstand der HYPO Vorarlberg stellt treffend fest: „Qualitätsvolles Bauen braucht eben beides: innovative ArchitektInnen ebenso wie mutige BauherInnen. Das Verhältnis ist nicht allein materieller Natur. Nur im fruchtbaren Zusammenspiel dieser beiden kann Neues entstehen.“

Fast alles digital

In diesem Corona-Jahr war auch bei der Abwicklung des Bauherrenpreises, die traditionsgemäß das vai Vorarlberger Architektur Institut übernimmt, alles etwas anders. Von einer Absage ist glücklicherweise Abstand genommen worden, die Einreichungen konnten ausschließlich digital abgeben werden. Eine Vorauswahl der Jury fand ebenfalls im Web statt. 22 Bauwerke sollten jedoch vor Ort besichtigt werden. Und man hatte Glück, die sommerliche Entspannung in der Krise machte dafür ein Zeitfenster auf. So reisten die externen Jurymitglieder an: Sandra Hofmeister, Chefredakteurin beim Detail Verlag, aus München, Klaudia Ruck von Winkler+Ruck Architekten aus Kärnten und aus Wien Anna Popelka, ppag Architekten, sowie Markus Zilker, einzueins architektur. Wie schon beim Bauherrenpreis 2015 wurde von der Einordnung in Kategorien Abstand genommen. „Kategorien pressen Bauprojekte oft in ein allzu enges Korsett und weisen ihrer Betrachtung eine einseitige Perspektive zu. So wird die Qualität von Gebäuden auf Aspekte wie Funktion, Typologie oder Bauherrschaft reduziert. Dabei ist Architektur im richtigen Leben viel umfassender und vielfältiger. Wer ihre Qualitäten vergleichend beurteilen will, muss das Augenmerk auf all das richten, was lebendige Baukultur leisten kann – jenseits von Kategorisierungen und mit offenem Blick für Überraschungen und erfinderische Lösungen, die gute Projekte auszeichnen.“ Dieses Statement der Jury findet man in der umfassenden Dokumentation zum 8. Bauherrenpreis.

Die prämierten Werke

Gleich zwei Preise gehen in den Bregenzerwald nach Mellau. Das sind die neuen Gemeindebauten – Kindergarten und Mehrzwecksaal – die mitten im Ort ein identitätsstiftendes Ensemble bilden und ein Gebäudekomplex – zwei maßstabsgerechte Kubaturen die unterirdisch verbunden sind – mit zehn touristisch genutzten Apartments plus Büro für den Bauherrn und Planer Jürgen Haller. Die Doppelrolle von Architekt und Bauherr kommt öfter vor. So auch beim Atelier Klostergasse in Bregenz. Bernardo Bader fügt hier gekonnt ein Atelier- und Wohnhaus auf einem brachliegenden Restgrundstück im Zentrum im dadurch neu entstehenden städtebaulichen Kontext ein. Bei Ein- und Mehrfamilienhäusern stachen Projekte mit schwierigen Planungsvoraussetzungen hervor. So bekamen das Haus Rosa – ein Statement für vertikale Dichte – und die Sanierung des Ökonomiegebaudes Josef Weiss zum Wohnen und Arbeiten im denkmalgeschützten Bestand eine Anerkennung, auch hier die Doppelrolle für Sebastian Brandner und Julia Kick. Unter den Preisträgern finden sich noch die Schule Schendlingen, Bregenz, und die Volksschule Unterdorf in Höchst. Mit einem Preis für die Stadtbibliothek in Dornbirn und Anerkennungen für das Kinderhaus Sulz sowie das Gemeindeamt Zwischenwasser sind hiermit alle prämierten Kommunalbauten angeführt. Zwei Wohnbauten in Bludenz und Feldkirch zeichnen sich weiters mit gelungener Stadterweiterung und einer charmanten Nachverdichtung aus.

Die Ausstellung

Auch die festliche Preisverleihung – ursprünglich im Werkraumhaus geplant – musste kurzfristig ins vai verlegt und als Livestream übertragen werden. Wie gut, dass im Konzept für die Ausstellung von vornherein auf Videos gesetzt wurde. „Die je sechs Preisträger- und Anerkennungsprojekte präsentieren wir diesmal mit Kurz-Dokumentationen, in denen nicht nur die Bauwerke vermittelt werden, sondern vor allem die Menschen – die BauherInnen, NutzerInnen, ArchitektInnen – zu Wort kommen“, erläutert der Kurator Clemens Quirin. Und das ist gut gemacht! Mies. Magazin, ein vor zirka zehn Jahren in Wien gegründetes Kollektiv von damals Architekturstudierenden, beauftragte man für die Filmaufnahmen, sie führten zudem die Interviews. Auch die Ausstellungsarchitektur ist besonders. Anstatt große Tafeln mit Bauwerks-Fotografien, stehen Projektionswände für die Preisträger spannungsvoll im Raum. Die dazugehörenden Beamer sind sicher in eigens designten Möbelstücken untergebracht, mit einem Mehrwert als Informationsträger am Deckel. Die sechs Anerkennungen reihen sich übersichtlich auf Flatscreens der Wand entlang, die Beiträge sind genauso ausführlich und interessant.

Im Entree gibt es den Überblick. Alle eingereichten Projekte mit Fotos im Postkartenformat und knappen Fakten auf der einen Seite, auf der anderen die besichtigten und blau umrahmt die prämierten. „Fünf Jahre, das ist ein halbes Jahrzehnt. Mich interessiert, was wir aus den realisierten Projekten in dieser Zeitspanne herauslesen können. Welche Themen und Anliegen haben Niederschlag gefunden in diesen Bauwerken? Was war den AuftraggeberInnen wichtig, welche Themen haben PlanerInnen besonders fokussiert, worin wurde investiert, worin nicht?“ stellt Verena Konrad, die Direktorin des vai fest. Mit den monatlichen Führungen „Architektur vor Ort“ und der wöchentlichen redaktionellen Gestaltung der Baukulturgeschichten in den VN „Leben & Wohnen“ gibt es dazu allerdings auch noch konstante und sehr starke Formate der Architekturvermittlung im vai.

[ Der Text erschien in der November-Ausgabe 2020 von KULTUR - Zeitschrift für Kultur und Gesellschaft, http://www.kulturzeitschrift.at ]

newroom, Di., 2020.10.27

27. Oktober 2020newroom

Tina Gregorič – Wandel

„Der Wandel beinhaltet die Chance auf eine bessere Zukunft. Wir als ArchitektInnen sollten uns nicht mit dem Status-quo oder den geltenden Standards abfinden...

„Der Wandel beinhaltet die Chance auf eine bessere Zukunft. Wir als ArchitektInnen sollten uns nicht mit dem Status-quo oder den geltenden Standards abfinden...

„Der Wandel beinhaltet die Chance auf eine bessere Zukunft. Wir als ArchitektInnen sollten uns nicht mit dem Status-quo oder den geltenden Standards abfinden und müssen uns bewusst sein, für welch großen Prozentsatz von Emissionen sowie Eingriffen in die Umwelt wir zuständig sind. Ob ein gutes oder besseres Projekt, es ist immer eine große Implementierung oder auch eine Zerstörung. Die stetige Frage, ob wir wirklich so viel bauen müssen, ist höchst angebracht und bei jedem potenziellen Bauwerk die Reflexion über Notwendigkeit und Mehrwert für die Region, die Stadt, das Dorf, die Gesellschaft, die Umwelt. Und das ist eine immense Verantwortung aller am Prozess Beteiligten, die als Gemeinschaft und im guten Dialog Antworten finden müssen.

Wir gehen eigentlich jedes Projekt unter der Perspektive von Wandel an und stellen das Offensichtliche, die Standardlösung zuerst einmal in Frage. Architektur beinhaltet ja eigentlich den Wandel. Selbst beim normalen Einfamilienhaus auf dem Land gibt es genauso wie beim sozialen Wohnbau immer den nächsten Schritt ausgehend vom Status-quo. Wenn wir zurzeit in Ljubljana einen Wohnbau mit 500 Einheiten realisieren, müssen wir uns des Wandels in Familie, Gesellschaft, wie Arbeit organisiert wird, sehr bewusst sein. Extrem deutlich wird der Anspruch auf flexible Raumnutzungen natürlich ganz aktuell in der Covid-Krise. Auch bei der Planung eines Universitätscampus erforschen wir genau die momentanen Bedingungen, müssen jedoch den sehr raschen Veränderungsprozess schon implementieren, denn wir wissen genau, dass die Anforderungen bereits zum Zeitpunkt der Fertigstellung andere sein werden. Ein faszinierendes Beispiel in der Architekturgeschichte ist das Salk Institute for Biological Studies in San Diego, Kalifornien, von Louis Kahn. Vor nunmehr fast sechzig Jahren gebaut, hält das vorausschauende Konzept mit den Laboratorien und vorgelagerten Zonen für Kontemplation heute noch als hochmoderne Forschungsstätte stand.“

Tina Gregorič, geb. 1974, dekleva gregorič architects, Ljubljana, Slowenien. Bei ihren Projekten ist Wandel der Kern des Konzepts. Aljoša Dekleva und Tina Gregorič planten 2006 den Universitätscampus in Izola als offenes Netzwerk und kontinuierlich wachsendes räumliches System, das den zukünftigen potenziellen Anforderungen gerecht wird und entwickeln derzeit das Science Centre in Ljubljana, ein weiteres Schlüsselprojekt mit kreisförmigen Pavillons, in dem mehrfache Nutzungsänderungen und Kreislaufwirtschaft im Mittelpunkt stehen.

20. Oktober 2020Martina Pfeifer Steiner
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Ein cleverer Plan

Man sollte sich dieser Geschichte über Iggy Peck, dem nicht zu bremsenden enthusiastischen Dreikäsehoch, der sich nur für Architektur zu interessieren...

Man sollte sich dieser Geschichte über Iggy Peck, dem nicht zu bremsenden enthusiastischen Dreikäsehoch, der sich nur für Architektur zu interessieren...

Man sollte sich dieser Geschichte über Iggy Peck, dem nicht zu bremsenden enthusiastischen Dreikäsehoch, der sich nur für Architektur zu interessieren scheint, in zielgruppengerechter Gesellschaft eines Schulkinds widmen, denn dann erst erschließt sich die feine Heiterkeit, wenn der kleine Hosenscheißer aus Kleber und Windeln einen hohen Turm baut und die Mama das so cool findet, bis sie die Nase rümpft, weil es gebrauchte sind. Dann bemerkt man auch die Katze, die ebenso ihr Schnäutzchen verzieht, die als Modell für die Sphinx aus Sand herhält, die adäquat zum großen Bogen aus Pfannkuchen mit Torte drauf einen kleinen, konstruiert mit ihrem Trockenfutter, bekommt.

In der Schule gibt es nicht so viel Verständnis wie von den stolzen Eltern. Warum die Lehrerin panisch-aggressiv auf Iggys Schloss aus Kreidestücken reagiert – „Ihr lernt Mathematik, dazu Deutsch und Musik, doch über Bauwerke sprechen wir nicht!“ – erfährt man in einer absurden aber lustigen Rückschau, die sich dem Erwachsenen mit „kindlicher“ Begleitung besser erschließt. Aber aus der analytischen Betrachtung heraus wird an dieser Stelle klar, dass die wunderbar illustrierte Geschichte aus den USA kommt und die Originalausgabe des Jahres 2007 glücklicherweise nun übersetzt und neugedichtet wurde. Die erfreuliche Wendung passiert bei einem „altmodischen Wandertag“. „Nun hört euch das an: Laut geändertem Plan der Grundschule in Klasse 2 lernt von nun an Frau Licht im Kunstunterricht über Bauwerke so allerlei.“ Ende gut alles gut, da hüpft das Architekturvermittlerinnen Herz doch vor Freude.

newroom, Di., 2020.10.20



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Iggy Peck, Architekt

13. Oktober 2020newroom

Heike Bruckner – Wandel

"Im Wandel liegen für mich die großen Chancen. Aktuell auch beruflich: Ich befinde mich nach zwölf Jahren Planungsabteilung in der Landwirtschaftskammer...

"Im Wandel liegen für mich die großen Chancen. Aktuell auch beruflich: Ich befinde mich nach zwölf Jahren Planungsabteilung in der Landwirtschaftskammer...

"Im Wandel liegen für mich die großen Chancen. Aktuell auch beruflich: Ich befinde mich nach zwölf Jahren Planungsabteilung in der Landwirtschaftskammer gerade in der Gründungsphase meines Büros. Meine Intention ist es, Architektur und die Geomantie zu verbinden. Ganzheitliche Planung beginnt für mich immer beim Grundstück selbst, also dem genius loci. Ich untersuche den Ort mit geomantischen Mitteln wie der H3-Rute. Mit diesem Instrument kann man – mit viel Training und Erfahrung – nicht nur Klassiker wie Wasseradern orten, sondern ein größeres Spektrum von Schwingungen messen. Verwerfungen im Untergrund, Risse, aber auch historische Belastungen können damit sehr gut aufgespürt werden. Ich achte beim Entwurf also nicht nur auf Grundstücksgrenzen oder Bauabstände, sondern kann auch andere Einflüsse nutzen, verstärken oder verbessern und in die weitere Entwurfsplanung miteinbeziehen.

Ich bin jemand die gerne aus der Tradition schöpft. Für mich entsteht Neues erst, wenn man begreift, was es bisher gegeben hat. Wenn ich die Vergangenheit nicht kenne, bleibt immer eine Unsicherheit über die Innovation. Gerade in meiner geomantischen Arbeit greife ich auf einen großen Fundus alter Methoden zurück und habe damit umfassende Möglichkeiten zu variieren, es entsteht daraus etwas Diffiziles, aber doch Neuartiges."

Heike Bruckner, geb. 1974, Architektin und Geomantin in Bregenz. Voraussetzung für Innovation ist das Wissen über die Tradition. Beim oktogonalen landwirtschaftlichen Gebäude in Röthis hinterfragt die Architektin etablierte Grundsätze und konzipiert ein Wohlfühlgebäude für Tier und Mensch. Jedes Segment des im Grundriss verzogenen Achtecks bietet auch einen artgerechten Freibereich. Die Ziegen dürfen dort sogar über einen eigenen Baumstamm-Steig auf das intensiv begrünte Dach klettern.

29. September 2020newroom

Armin Pedevilla – Option

"Bei meinem eigenen Haus, das im Verband mit einem vermietbaren Feriendomizil in einem abgelegenen Weiler im Gadertal steht, setzten wir uns stark mit...

"Bei meinem eigenen Haus, das im Verband mit einem vermietbaren Feriendomizil in einem abgelegenen Weiler im Gadertal steht, setzten wir uns stark mit...

"Bei meinem eigenen Haus, das im Verband mit einem vermietbaren Feriendomizil in einem abgelegenen Weiler im Gadertal steht, setzten wir uns stark mit der Herkunft von Materialien und dieser Logik, wie die alten Gebäude gebaut wurden, auseinander. Durch die Analyse sind wir auf Themen wie Nachhaltigkeit gestoßen. Man verwendete früher ausschließlich lokale Baumaterialien: die herumliegenden Steine, das Holz aus dem nahen Wald, man hat auf unnötige Grabungen für Keller oder Hangsicherungen verzichtet. Deswegen ist es für uns eine wesentliche Option, mit diesen lokalen und vertrauten Materialien zu arbeiten, mit dieser vertrauten Farb- und Formgebung, und somit auch die Architektur annehmbarer zu machen. In Zeiten der Globalisierung und unbegrenzten Verfügbarkeit von Materialien, kann moderne Architektur sehr befremdlich wirken. Auch wenn wir bei diesem Chalet die strengen Auflagen – zum Beispiel bei den Fenstergrößen – ausdiskutieren mussten, gewann es nicht nur den Südtiroler Architekturpreis, sondern auch den Publikumspreis.

Unser Credo ist es, die Materialien „leben“ zu lassen und eben nicht mit irgendwelchen Beschichtungen und Oberflächen abzutöten. Nach einer
Reifungszeit von zirka einem Jahr entsteht schon eine Patina, die eben nicht nach Verschleiß aussieht, sondern nach Beständigkeit. Und das erleben wir im Grunde ja bei den alten Häusern die ihre Geschichte erzählen, weil sie im Abrieb auch etwas zulassen. Das Zusammenspiel von puren Materialien gibt den Gebäuden eine lebendige und vor allem hochwertige Erscheinung."

Armin Pedevilla, geb. 1973, Pedevilla Architekten, Bruneck, Italien. Bei ihren Projekten entscheiden sie sich immer für lokale und vertraute Materialien, die – in neuen Kontext gesetzt – zeitgenössische Architektur auch in einer traditionellen Nachbarschaft annehmbar macht.

15. September 2020newroom

Gerhard Sailer – Option

"Option ist eigentlich eine Wahlfreiheit, und mit der Möglichkeit zur Entscheidung ist auch die des Versagens beinhaltet. Wir sind in einer Gesellschaft...

"Option ist eigentlich eine Wahlfreiheit, und mit der Möglichkeit zur Entscheidung ist auch die des Versagens beinhaltet. Wir sind in einer Gesellschaft...

"Option ist eigentlich eine Wahlfreiheit, und mit der Möglichkeit zur Entscheidung ist auch die des Versagens beinhaltet. Wir sind in einer Gesellschaft der Multioptionen angelangt. Das ist auch durch die Kunst vorangetrieben worden, die sich von den Fesseln befreit und einen Immunkörper für die Gesellschaft aufgebaut hat. Die Welt ist aus den Fugen geraten. Auf allen Ebenen, von der Fleischindustrie bis zur Bauindustrie, haben wir die Optionen so ausgereizt, dass jetzt Covid-19 von der ganzen Welt aufgegriffen wurde, um jenes Innehalten auszulösen, damit die sogenannten Optionen neu ausverhandelt werden können.

Für die Architektur bedeutet es, dass die herkömmlichen Methoden außer Kraft gesetzt werden und ein Kreislaufdenken Platz greifen muss. Es geht darum, die baulichen Manifestationen treffsicherer zu machen, für das was die Gesellschaft in Hinkunft braucht. Wer, wenn nicht ArchitektInnen, Städte- und RaumplanerInnen wären in der Lage, die neuen Anforderungsprofile und Programme zu definieren. Eine tägliche Herausforderung. Das Angenehme in der Architektur ist, dass Entscheidungen nicht wie bei Piloten – wenn es kritisch wird – in den nächsten zwei Minuten getroffen werden müssen. Wir können neue Ansätze entwickeln, an Modellen überprüfen und imaginieren, was Räume, Platzformen, Begegnungsorte erfüllen sollen. Die Varianten, Alternativen sind anschaulich aufzuzeigen, und man muss sie nicht sofort mit Ja und Nein beantworten. Wir können ständig nach dem missing link suchen, mit dem wir wieder einen Schritt weiterkommen. Und da ist natürlich Teamarbeit stark gefordert um unterschiedliche Sichtweisen zuzulassen. Das Wichtigste ist, dass die Architektur ihre gesellschaftliche Aufgabe als Disziplin wieder entwickeln kann. Das heißt, dass man nicht nur einer Ideologie nachrennen sollte, was letztlich zu diesem Stararchitektentum führt und auch nur mithilft, die Tourismusschiene weiterzutreiben."

Gerhard Sailer, geb. 1955, architekturbüro HALLE1, Salzburg. Mit ihren Projekten versuchen sie immer wieder in der vermeintlich konservativen Stadt an die Grenzen des Möglichen zu kommen. Wie beim Makartsteg, der sich skulptural ins barocke Stadtbild schmiegt und sogar in den Ansichten von Salzburg als beliebtes Motiv aufgenommen wird.

01. September 2020newroom

Carlo Baumschlager – Reduktion

"Zur Einfachheit gibt es zahlreiche Thesen, ich denke an den Minimalismus in der Kunst oder die vielfältigen Ansätze in der Architektur. Ich würde Einfachheit...

"Zur Einfachheit gibt es zahlreiche Thesen, ich denke an den Minimalismus in der Kunst oder die vielfältigen Ansätze in der Architektur. Ich würde Einfachheit...

"Zur Einfachheit gibt es zahlreiche Thesen, ich denke an den Minimalismus in der Kunst oder die vielfältigen Ansätze in der Architektur. Ich würde Einfachheit deshalb gerne aus meiner Sicht definieren. Mir scheint, dass der eigene Kulturkreis eine gewichtige Rolle spielt. Wenn man an die „einfache Architektur“ in Vorarlberg oder der Ostschweiz, auch Süddeutschland denkt, hat das viel mit der Prägung der Menschen und damit auch die der Architekten zu tun. Hier findet sich die Idee einer intelligenten Banalität, der Vernunft, der „Gewöhnlichkeit“. Es ist auffällig, dass Architekten aus diesem Kulturkreis bei Vorträgen oder Jurys wenig geschwätzig sind. Das kennzeichnet diese Haltung und das zeigt auch eine größere Nähe zur klassischen Moderne bzw. zu dem, was daraus entstanden ist, im Gegensatz zu Moden wie Postmoderne oder Dekonstruktivismus.

Gewiss hat das schlussendlich Konsequenzen in der Architektur, in ihrer Sauberkeit, dass es eben eine klare kompositionelle Struktur gibt, dass Volumen und Flächen deutlich gemacht werden, und bei all diesen entwerferischen Instrumenten, die zu einer gewissen Geradlinigkeit, zu einem gewissen Pragmatismus führen. Damit können wir gut umgehen: Kosten, Einfachheit in der Konstruktion, die Holzbau-Thematik, das hat alles damit zu tun, dass man eben nicht rhetorisch sein möchte. So gehen wir auch alle Projekte an, und das führt immer wieder hin zur „Reduktion“. Wir analysieren sehr genau die Aufgabenstellung, die budgetären Möglichkeiten. Uns interessieren unter anderem so pragmatische Fragen wie Energieverbrauch eines Hauses, der ökologische Beitrag, den wir damit leisten können, also grundsätzliche Fragen, die aber auch mit Entwicklungen zu tun haben. Diese versuchen wir aufzulisten, durchzugehen und in unseren Projekten Antworten darauf zu geben. Das ist ein Teil des Erfolgs der Architekten dieser Region, dass wir nicht nur wissen was wir tun, sondern es auch verbalisieren können. Architektur darf keine Geschmacksfrage sein, sondern muss tiefer schürfen und Lösungen bieten, die den Menschen verständlich und lesbar gemacht werden sollen. Das ist nicht das Laut-hinaus-Geschriene, das ist eine subtile Poesie."

Carlo Baumschlager, geb. 1956, Baumschlager Hutter Partners, Dornbirn, Wien, München, Heerbrugg, St. Gallen, Zürich. Aus Reduktion und Klarheit in ihrer Haltung entwickeln sich immer wieder prototypische Projekte mit beispielsweise neuen pädagogischen Konzepten wie beim Schulbau in Hard oder neue Systembauweisen mit Standardisierung von Wohnungstypologien bei RIVA.

25. August 2020Martina Pfeifer Steiner
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Kärnten. Fokus auf die Nachkriegsmoderne

Gut so. Der Preisträger für das Architekturstipendium Kärnten 2019 hieß Lukas Vejnik. Er stammt aus Bad Eisenkappel und erhielt es für die Arbeit „Architektur....

Gut so. Der Preisträger für das Architekturstipendium Kärnten 2019 hieß Lukas Vejnik. Er stammt aus Bad Eisenkappel und erhielt es für die Arbeit „Architektur....

Gut so. Der Preisträger für das Architekturstipendium Kärnten 2019 hieß Lukas Vejnik. Er stammt aus Bad Eisenkappel und erhielt es für die Arbeit „Architektur. Kultur. Landschaft. Nachkriegsmoderne im Alpen-Adria-Raum“. Als ein Ergebnis dieses Forschungsprojekts liegt nun ein wichtiges Buch über die Zeugnisse des Aufbruchs der Nachkriegsmoderne in Architektur und Städteplanung vor, die es zweifellos auch in Kärnten gibt.

Ausgangspunkt sind die Fotografien von Hans-Jörg Abuja (1919–2002), die das Landesmuseum Kärnten als Nachlass übernommen hat. Er war ein weltoffener, vielseitig interessierter Mensch, der stark in Kärntens Künstlerszene verankert war. Er hatte eine Vorliebe für Architekturfotografie und mit seiner „Linhof Master Technika Classic“, einer Balken-Plattenkamera dokumentierte er nahezu alle Autobahnbrücken, Speicherwerke, Schulen, Kirchen, Wohnbauten etc., die ab den 1950er-Jahren entstanden sind. Die schwarz-weiß Fotografien – pragmatisch in einen schwarzen Bilderrahmen gesetzt – begleiten die Essays verschiedener AutorInnen und im letzten Teil die Dokumentation ausgewählter Bauten.

Eingeschoben, als „Reise ins Land der Moderne – Teil 2“, ist das Fotoessay in Farbe von Gerhard Maurer. Assoziationsreiche Blickwinkel eröffnen diese Bilder auf im Alltag unbeachtete Bauwerke wie die Sternenhochhäuser in Klagenfurt, den Ruderverein Nautilus, die Ankogel Seilbahn in Mallnitz, das Generalkonsulat der Sozialistisch Föderativen Republik Jugoslawien, das Schulzentrum in Spittal an der Drau und das Ferienheim der Wiener Sängerknaben in Sekirn am Wörthersee. Sichtbar werden auch die Architekten, viele davon unbekannt oder vergessen, der bemerkenswerten Bauten aus der Nachkriegsmoderne. Darunter jedoch auch klingende Namen wie Clemens Holzmeister mit der Volksschule Grafenstein. Dokumentiert wird dieses Projekt neben weiteren im Schlussteil mit Geschichten rund um die Entstehung und originalem Planmaterial.

Die Publikation stellt wohl einen architekturhistorischen Meilenstein für Kärnten dar, der Titel „Land der Moderne“ ist durchaus angebracht und der Blick darauf sehr erkenntnisreich.

newroom, Di., 2020.08.25



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11. August 2020newroom

Robert Lamprecht – Wandel

„In welcher Zukunft wollen wir leben? Zu diesem maßgeblichen Thema haben wir aus dem Büroalltag heraus – meine Frau Ania und ich waren noch in verschiedenen...

„In welcher Zukunft wollen wir leben? Zu diesem maßgeblichen Thema haben wir aus dem Büroalltag heraus – meine Frau Ania und ich waren noch in verschiedenen...

„In welcher Zukunft wollen wir leben? Zu diesem maßgeblichen Thema haben wir aus dem Büroalltag heraus – meine Frau Ania und ich waren noch in verschiedenen Arbeitsverhältnissen – für einen Wettbewerb das Projekt Urbansuperforest entwickelt. Das war dann auch der Start für unser Büro Superfuturegroup. Wir formulierten damit ein Statement zu einer nachhaltigen Zukunftsvision für die Stadt des 21. Jahrhunderts. Die dabei entwickelten Ideen und Ansätze zu einer komplett begrünten Stadtlandschaft, die mit vorgefertigten Holzmodulen eine terrassenartige, bepflanzte, zusätzliche Ebene auf die Dächer der Innenstadt von Wien legt, nehmen wir bis heute sehr grundlegend in unserer Arbeit mit. Diese gedachte Intervention würde nicht nur das Ökosystem einer Stadt positiv verändern, sondern auch den Blick darauf. Auf ‚Google Earth‘ wäre sie nämlich unsichtbar und völlig neu als Wald wahrzunehmen. Grüne Strategien im Städtebau; neue Haustypologien mit Co-Living und Co-Working; mit Holzkonstruktionen weitgehend CO2-neutral bauen – das sind lauter Aspekte, die sich, wenn sie einmal grundlegend durchdacht sind, auch umsetzen lassen.

Als Architekturschaffende sind wir gefordert Ideen und Antworten auch zu sozialen, technologischen, politischen Herausforderungen zu finden. Dieses Potenzial vor Augen, spüren wir als junges Büro umso heftiger die einengenden Mechanismen und Strukturen, die sich gegen den Wandel stellen und am Gewohnten festklammern. Im Feld zwischen Ideal und Wirklichkeit bleibt uns nichts anderes, als von Tag zu Tag überzeugender zu werden – wissend, die ‚Konstante‘ auf unserer Seite zu haben. Denn wirklich konstant bleibt allemal die Veränderung.“

Robert Lamprecht, geb. 1980, Superfuturegroup, Graz. Ansätze der Zukunftsvisionen des jungen Büros finden sich auch in konkreten Projekten wie einem Holzbau in Oberösterreich und dem Zweivillen-Projekt in Graz baulich umgesetzt.

04. August 2020Martina Pfeifer Steiner
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Nachhaltig. Jetzt findet die Zukunft statt

Handhabbare Ansätze es besser zu machen. Eigentlich ist es ein Katalog, der vom Format her gut in der Hand liegt, Softcover in rau-grauer Haptik, zwei...

Handhabbare Ansätze es besser zu machen. Eigentlich ist es ein Katalog, der vom Format her gut in der Hand liegt, Softcover in rau-grauer Haptik, zwei...

Handhabbare Ansätze es besser zu machen. Eigentlich ist es ein Katalog, der vom Format her gut in der Hand liegt, Softcover in rau-grauer Haptik, zwei Farben: azurblau und dazu passendes intensivgrün. Diese Farben, eingesetzt bei den Fotos und Hervorhebungen, schließen abwechselnd die kurzen, essentiellen Kapitel ein. Die Herausgeber Sigrid Bürstmayer und Karl Stocker beschäftigen sich am „Institute of Design and Communication“ der FH JOHANNEUM in Graz in ausführlichen Studien mit dem Thema „Designing Sustainable Cities“. Sieben Autoren aus Istanbul, Detroit, Mexico City, Puebla und Graz richten in ihren Essays den Blick auf ebendiese Orte und initiieren damit den Diskurs über die Strategien der Zukunft im Städtebau.

Designing the World for the Better: Welche Kompetenzen sind für die Herausforderungen unserer Zeit Voraussetzung; die Ressourcen in der Stadt finden und sie nicht aus der Natur holen; Kreislauf anstatt linearer Wirtschaft; weniger Produkte, mehr Qualität – das sind einige der anregenden Überschiften in diesem Kapitel. Auch die Titel der weiteren Essays sind vielversprechend: ‚Urban Oases. Can cities of the future function like forests? Oder „Mexico City: New collective approaches to fix a broken City“ oder ‚Design for sustainability: Questioning our material culture’. Alles in allem – ein interessanter, fundierter Diskussionsbeitrag zur Nachhaltigkeit in exzellenter Buchgestaltung.

newroom, Di., 2020.08.04



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Designing Sustainable Cities

28. Juli 2020newroom

Barbara Poberschnigg – Reduktion

"Mein Leben, vor allem auch beruflich, basiert immer wieder auf Reduktion. Das bedeutet: Reflektieren und Zurückschauen auf das was sich angesammelt hat,...

"Mein Leben, vor allem auch beruflich, basiert immer wieder auf Reduktion. Das bedeutet: Reflektieren und Zurückschauen auf das was sich angesammelt hat,...

"Mein Leben, vor allem auch beruflich, basiert immer wieder auf Reduktion. Das bedeutet: Reflektieren und Zurückschauen auf das was sich angesammelt hat, materiell wie ideell, und sich immer wieder befreien – von Dingen, von Umständen, sich Raum schaffen. Auch unser Entwurfsprozess basiert im Wesentlichen auf Reduktion. Es gibt die Ideen, dann das Sprudeln beim Brainstorming im Team, alles wird umgerührt. Mit dem Hinterfragen kommt Neues dazu und ersetzt vieles, das verworfen wird. Die Reduktion auf das Wesentliche ermöglichte auch mein Lieblingsprojekt ‚HERberge für Menschen auf der Flucht’ zu verwirklichen, das eigentlich der Grundstein für STUDIO LOIS war. In gewinnorientierter Konstellation wäre es schwierig, sich auf solche Prozesse einzulassen. Mit einem total geringen Budget hatten wir die Freiheit so viel wie möglich daraus zu machen. Der Schlüssel war Kommunikation. Bauen mit dem, was anderen ‚übrig‘ ist. Wir verwendeten Baustoffe die als ‚second class‘ gelten, Auslaufmodelle, aus Sonderproduktionen stammten. Wir haben durch die ganze Welt telefoniert, vieles günstiger, teilweise gratis bekommen. Bei der Einrichtung starteten wir mit einem Nullbudget eine beispiellose Aktion: Gebrauchtmöbel und ein Selbstbausystem, vom heimischen Tischler zugeschnitten, von 200 Freiwilligen quer durch alle sozialen Schichten und Altersklassen an einem Wochenende zusammengebaut, ermöglichten die wohnliche Adaptierung der Zimmer für 130 Leute.

Braucht man das? Kann es auch anders sein? Durch Nachdenken und Reden sind alle Knoten zu lösen. Wie bei unserem letzten, sehr komplexen Bildungsbau der Schulen Kettenbrücke. Mit dem ‚Ausmisten‘ von überholten Vorstellungen und mit Raumstrukturen, die offen und flexibel sind, bewegte sich auch in den Köpfen aller Beteiligten einiges."

Barbara Poberschnigg, geb. 1969, STUDIO LOIS, Innsbruck. Reduktion und ständiges Hinterfragen waren beim Projekt ‚HERberge für Menschen auf der Flucht’ die Voraussetzungen, um mit dem knappen Budget ein Maximum an Wohnqualität zu ermöglichen.

21. Juli 2020Martina Pfeifer Steiner
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Zum Vertiefen. Ferdinand Schuster 1920–1972

A B S – Analysen, Bauten, Schriften des Architekten, Hochschullehrers und Theoretikers Ferdinand Schuster werden in diesem gewichtigen Werk umfassend aufgearbeitet....

A B S – Analysen, Bauten, Schriften des Architekten, Hochschullehrers und Theoretikers Ferdinand Schuster werden in diesem gewichtigen Werk umfassend aufgearbeitet....

A B S – Analysen, Bauten, Schriften des Architekten, Hochschullehrers und Theoretikers Ferdinand Schuster werden in diesem gewichtigen Werk umfassend aufgearbeitet. Herausgeber ist Daniel Gethmann, Professor an der TU Graz, wo auch Schuster als leidenschaftlicher, innovativer Lehrer gewirkt hat. Und er greift über zahlreiche fundierte AutorInnen auf das Forschungsprojekt „Ferdinand Schuster. Das architektonische Werk“ zurück. Im ersten Kapitel „Analysen“ erfährt man, dass Schusters beruflicher Weg eigentlich als Geigenbauer vorgezeichnet und er ein begabter Cellist war. Oder wie wesentlich er sich in die Stadt- und vor allem Verkehrsplanung in Kapfenberg eingebracht hat, wo auch viele seiner Bauten zu verorten sind. Mit „Die konkrete Utopie“ ist dieses Essay vielversprechend überschrieben. Oder dass Schuster seine Vorlesungen am Institut für Baukunst und Entwerfen mit Wissensbereichen über Informationstheorie, Kybernetik und Semiotik erweiterte.

B wie Bauten.170 Seiten werden übersichtlich den wichtigsten Bauten gewidmet. Pragmatische Kurztexte zur Beschreibung, historische Fotografien in schwarz-weiß gemischt mit den Aufnahmen aus der Jetzt-Zeit von Michael Goldgruber und ausführliches Planmaterial illustrieren diese. Die etwas modische Grafik mit großformatigen Fotos beispielsweise, die als Streifen auf die nächste Seite geklappt sind, ist konsequent durchgezogen. Schriften. Das essentielle Kapitel der Vorlesungen von Ferdinand Schuster bildet das Grande Finale. Damit erschließt sich auch die Bedeutsamkeit, dass solch grundlegende Aufarbeitungen des Schaffens und Wirkens von wichtigen Protagonisten österreichischer Nachkriegsarchitektur als Buch vorliegen.

newroom, Di., 2020.07.21



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Ferdinand Schuster (1920–1972)

14. Juli 2020newroom

Markus Pernthaler – Wandel

„In Zeiten wie diesen ist der Wandel substanziell und spielt sich eigentlich in allen Bereichen ab, ob das die Digitalisierung ist, die Ökologisierung,...

„In Zeiten wie diesen ist der Wandel substanziell und spielt sich eigentlich in allen Bereichen ab, ob das die Digitalisierung ist, die Ökologisierung,...

„In Zeiten wie diesen ist der Wandel substanziell und spielt sich eigentlich in allen Bereichen ab, ob das die Digitalisierung ist, die Ökologisierung, ob es politische Umbrüche sind, neue Formen des Zusammenlebens oder die Arbeitsbedingungen. Selten hat es so dramatische Verwerfungen gegeben, die wir zweifellos auch mit Architektur bewältigen müssen. Zu Ökologisierung und Klimawandel gibt es mittlerweile unzählige Studien, die Frage ist jedoch, inwieweit man diese Themen in verwertbare Teilaspekte zerlegen kann, um konkrete Lösungsansätze zu finden. Ich bezweifle den Wert diverser Applikationen auf oder in konventionellen Gebäuden. Es geht vielmehr um ein Ineinandergreifen von grundsätzlichen Konzepten und die Frage, inwieweit sich damit die Architektur verändern muss. Auch die Skalierung ist wichtig. Alles mit einem Gebäude umzusetzen, wird wenig sinnvoll sein, wenn ich jedoch den Wandel auf der Skala von Quartieren betrachte, dann gibt es effizientere Lösungen. Dazu kommen noch die Herausforderungen durch bereits eingetretene oder prognostizierbare Naturkatastrophen, das betrifft ganz wesentlich die Raumordnung: Wo kann und soll man bauen und wie wird in Zukunft Bauland ausgewiesen? Darüberhinaus benötigen wir ein neues Verständnis für das Zusammenwirken von Stadt und Land.

Parallel dazu gibt es den demografischen Wandel, für den sich in der Architektur eigentlich noch relativ wenig manifestiert hat. Die Produktion von Kleinwohnungen aus ökonomischen Gründen braucht Zusatzangebote für die Gemeinschaft. Ein wesentlicher Punkt ist in diesem Zusammenhang zudem die Qualität des öffentlichen Raums. Dieser muss mehr leisten können. Ich denke dabei an begrünte Innenhöfe, bespielbare Zwischenzonen, Rückzugsorte oder Bereiche für Kommunikation. Das betrifft auch die Thematik von Migration; Menschen aus südlichen Kulturkreisen haben einen viel lebendigeren Zugang zum öffentlichen Raum. Viele dieser Aspekte fließen in das städtebauliche Entwicklungskonzept ‚My Smart City‘ ein. Mit dem Bau des Science Tower (2012-2017), gedacht als best-practice Beispiel um neue Technologien alltagstauglich zu machen, wurde ein Prozess eingeleitet, der auf zwölf Jahre angelegt ist. Was alle Beteiligten bei diesem geförderten Forschungsprojekt lernen mussten, ist die enorme Dynamik und das rasante Fortschreiten neuer Technologien. Eine der spannendsten Fragen wird sein, inwieweit KI (Künstliche Intelligenz) vor dem Hintergrund der Herausforderungen unser zukünftiges Leben bestimmen wird.“

Markus Pernthaler, geb. 1958, Architekt in Graz. Forschung und Entwicklung neuer gebäudeintegrierter Technologien gelingen im Science Tower von Markus Pernthaler Architekten. Das Kompetenzzentrum bildete den baulichen Auftakt zum zukunftstauglichen Entwicklungskonzept im Smart City Quartier rund um die Helmut-List-Halle in Graz.

16. Juni 2020Martina Pfeifer Steiner
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Aufregend. René Burris Kunst des Sehens

„Fotografie ist nichts, es kommt darauf an, was man fühlt und ausdrückt. Es geht darum, Aufmerksamkeit zu erregen und „Schau!„ zu sagen! Es ist das Gegenteil...

„Fotografie ist nichts, es kommt darauf an, was man fühlt und ausdrückt. Es geht darum, Aufmerksamkeit zu erregen und „Schau!„ zu sagen! Es ist das Gegenteil...

„Fotografie ist nichts, es kommt darauf an, was man fühlt und ausdrückt. Es geht darum, Aufmerksamkeit zu erregen und „Schau!„ zu sagen! Es ist das Gegenteil von Ausbeutung: ein Über-sich-Hinauswachsen, ein Teilen.“ Dieses Zitat steht im Vorwort des aufregenden Bandes über den berühmten Magnum-Fotografen René Burri. Ein Jahr vor seinem Tod (1933–2014) gründete er eine eigene Stiftung, die sich seinem Werk widmet. Heute ist diese im Musée de L´Elysee in Lausanne untergebracht, die Sammlung umfasst 50.000 Schwarz-Weiß- und Farbbilder, 170.000 Farbdias sowie die Filme, Fotobände, Notizbücher, Collagen, Zeichnungen und Aquarelle, die im Museum inventarisiert, analysiert, restauriert und sorgfältig aufbewahrt werden. Das Buch „René Burri. Explosion des Sehens“ ist nun die begleitende Publikation mit 250 der insgesamt 500 repräsentativen Aufnahmen die in der großen Ausstellung in Lausanne gezeigt werden.

Es ist ein intimes Portrait dieses hartnäckig suchenden Fotografen entstanden. René Burri offenbart sich als modern und erfinderisch, leidenschaftlich, witzig, neugierig und großzügig. In jungen Jahren, mit 22, nach Abschluss an der Kunstgewerbeschule Zürich und dem Vorkurs bei Johannes Itten, fährt er per Autostopp nach Paris um Pablo Picasso zu treffen, weil er vom Bild „Guernica“, das er in einer Ausstellung in Mailand gesehen hatte, so begeistert war. Vergeblich. Doch zwei Jahre später klappt es doch, und es gibt bemerkenswerte Fotos von Picasso. Fasziniert ist er auch von Le Corbusiers Notre-Dame-du-Haut in Ronchamps, und es blieben nicht die einzigen Bauwerke des großen Architekten, die er fotografieren sollte. 1969 begann er für das „Daily Telegraph Magazine“ eine Serie zum Thema moderne Architektur, an der er mehrere Jahre arbeitete. Er dokumentierte wichtige Bauten in Spanien, Dänemark, Finnland, Frankreich, Italien, Japan und Mexiko, dabei begegnete er auch Luis Barragán und nahm die Stallungen von San Crisóbal auf. Mehrere spannend geschriebene Essays von verschiedenen Autoren zu den einzelnen Stationen eines ereignisreichen Lebens komplettieren die Fotos, Collagen, Zeichnungen eines der ganz großen Fotografen: René Burri.

newroom, Di., 2020.06.16



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René Burri – Explosion des Sehens

16. Juni 2020newroom

Alexander Hagner – zurückgeben

„Ja, wir haben etwas zu verschenken, aber nicht für den Mistkübel! Wir – mit meiner Büropartnerin Ulrike Schartner – machen keine Wettbewerbe, sondern...

„Ja, wir haben etwas zu verschenken, aber nicht für den Mistkübel! Wir – mit meiner Büropartnerin Ulrike Schartner – machen keine Wettbewerbe, sondern...

„Ja, wir haben etwas zu verschenken, aber nicht für den Mistkübel! Wir – mit meiner Büropartnerin Ulrike Schartner – machen keine Wettbewerbe, sondern verschenken lieber unsere Arbeit an Menschen in der Nachbarschaft, die das dringend brauchen. Es gibt aber noch weitere Gründe, warum wir die selbstausbeuterische Auftragsakquise ablehnen: Die wichtigste Phase bei einem Projekt ist der Start, die Diskussion und Entwicklung einer Idee mit dem Gegenüber. Wo gibt es Anknüpfungspunkte? So ein Projekt ist ja keine isolierte Eizelle, da entsteht immer ein Knoten und somit die Frage, wie viele Fäden davon wegführen. Bei unseren Projekten für obdachlose Menschen mit der VinziRast beispielsweise, geht es ums Miteinander, ums Sich-einbringen, dabei bin ich nicht nur Architekt sondern auch Vereinsmitglied. Da muss man nicht anfangen über das Geld zu reden, der Mangel kann nicht mit dem Mangel beantwortet werden. Ich wünsche mir eine andere Gewichtung. Die Bedürfnisse nach Geborgenheit, nach Schönheit sind immer die gleichen. Wenn ich als Architekt antrete ein Zuhause für jemanden zu bauen, der lange auf der Straße gelebt hat, dann muss ich den künftigen Nutzer ernst nehmen, die Werkzeuge müssen noch schärfer sein, denn von der gebauten Hardware hängt Gedeih und Verderb ab. Zuwendung und Wertschätzung muss die Architektur insbesondere für Randgruppen vermitteln. Was dann an Resonanz zurückkommt, kann kein Honorar, kein Architekturpreis aufwiegen.

Bei einem Projekt geht es ja nicht nur um den Grundriss und die Gestaltung, sondern die Bespielung ist entscheidend und was dabei zusammengeführt oder mehrfach belegt werden kann. Für mich ist ein Gebäude erst mal ein Parasit: es nimmt Platz in Anspruch, wirft Schatten und saugt sich fest an Gas, Strom, Abwasser. Das ist sein Grundwesen. Und wenn ich an reine Spekulationsarchitektur denke, dann bleibt es sogar dabei. In der Biologie haben wir gelernt, dass jedes System bei einem zu starken Parasitenbefall eingeht. Vergleichen wir das mit dem Stadtorganismus. Damit ein Bauwerk nicht mehr nimmt, als es zurückgeben kann, müssen wir versuchen dieses Grundparasitäre umzuwandeln und etwas Symbiotisches daraus machen. Denn nur mit Synergien kann so etwas wie ein gutes Stadtgefüge und letztendlich auch Gesellschaft funktionieren.“

Alexander Hagner, geb. 1963, gaupenraub +/-, Wien. Projekte für obdachlose Menschen wie VinziRast – mittendrin, VinziDorf Wien oder VinziRast am Land, das in Mayerling entsteht und den Menschen auf dem Weg in ein selbstbestimmtes Leben wieder ‚Boden unter den Füßen’ gibt, haben nicht nur das Potenzial eines Umschlagsplatzes für Gesellschaft, sondern geben durch ihre Synergien auch noch die monetäre Investition zeitnah zurück.

02. Juni 2020Martina Pfeifer Steiner
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(ge)wichtig: Doshis Architektur für den Menschen

Auf eine über sechzig-jährige Schaffensperiode des bedeutenden indischen Architekten Balkrishna V. Doshi ist der ausführliche und wesentliche Blick in...

Auf eine über sechzig-jährige Schaffensperiode des bedeutenden indischen Architekten Balkrishna V. Doshi ist der ausführliche und wesentliche Blick in...

Auf eine über sechzig-jährige Schaffensperiode des bedeutenden indischen Architekten Balkrishna V. Doshi ist der ausführliche und wesentliche Blick in der Monografie und der dazu passenden Ausstellung des Vitra Design Museums gerichtet. 2018 erhielt Doshi den sogenannten Nobelpreis für Architektur, den Pritzker-Preis. Aufsehenerregend und höchst angebracht war die Auszeichnung für seine Leistungen in Forschung, Lehre und Praxis, für seine visionäre Arbeit im Bereich des kostengünstigen Wohnens und der Stadtplanung sowie sein starkes Engagement für Bildung. Die Grundsätze moderner Architektur passt Doshi mit seinem experimentellen Ansatz auf Traditionen und Gegebenheiten in Indien an, schafft damit soziale Veränderungen und gleichzeitig Räume, die die Lebensqualität verbessern.

Balkrishna V. Doshi wurde 1927 in Indien geboren. In einer illustrierten Zeittafel erfährt man Persönliches zum Lebenslauf, Interessantes zur beruflichen Laufbahn, aber parallel auch über die gesellschaftspolitische Situation seiner Lebensstationen. Ein Empfehlungsschreiben von Le Corbusier, bei dem Doshi einige Jahre gearbeitet hat, ist abgebildet, ebenso die Bauwerke, die ihn mit Luis I. Kahn verbinden. Das findet man also am Ende dieser Publikation zusammen mit dem kompletten Werkkatalog mit anschaulichen Vignetten aus den Jahren 1954 bis 2016. Insgesamt ist diese wichtige und gewichtige Monografie sehr gut strukturiert und lesbar. Essays mit Titeln wie „Eine Moderne für Indien“, „Türen öffnen“, „Zuhause und Stadt“ von verschiedenen AutorInnen wechseln sich mit Betrachtungen von Doshi persönlich ab. Das Kapitel „Ausgewählte Projekte 2058–2014“ wird in Portfolios I – IV unterteilt: Farbfotos neben Schwarz-Weiß und Originalplänen wie Konstruktionszeichnungen; seine Originalskizzen aus den Tagebüchern; Türen und Türgriffe; ein Fotoessay von Ivan Baan; eines von Vinjay Panjwani machen diesen Teil höchst spannend und emotional.

Ein außergewöhnlich schön gemachtes Buch, schon von der Textur und Farbe des Covers her anziehend, hält es auf den 388 Seiten auch bezüglich Gestaltung, was es beim ersten In-die-Hand-nehmen verspricht.

newroom, Di., 2020.06.02



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Balkrishna Doshi

02. Juni 2020newroom

Sascha Bradic – zurückgeben

„Grundsätzlich könnte man sagen, dass die Architektur immer etwas wegnimmt. Sobald gebaut wird, steht ein Volumen da und die Leere verschwindet. Auf dieser...

„Grundsätzlich könnte man sagen, dass die Architektur immer etwas wegnimmt. Sobald gebaut wird, steht ein Volumen da und die Leere verschwindet. Auf dieser...

„Grundsätzlich könnte man sagen, dass die Architektur immer etwas wegnimmt. Sobald gebaut wird, steht ein Volumen da und die Leere verschwindet. Auf dieser Metaebene könnte man der Architektur eine aggressive Haltung zuschreiben. Umso vorsichtiger sollte die Herangehensweise bei den Konzepten mit dem Ort, dem Kontext sein. Zurückgeben oder Freilassen, dass sind für mich Fragen und Phänomene, die in meiner Arbeit immer wieder auftauchen. Jedes Projekt gibt etwas an die Umgebung, an die Gemeinschaft zurück. Bei der Fachhochschule St. Pölten haben wir zum Beispiel durch die großzügige Auskragung des Obergeschoßes eine Art öffentliche Promenade angelegt, die alle Passanten ganz selbstverständlich benutzen. Diese Schwelle, dieser interaktive Dialog von Stadt und Haus, das ist es, was mich besonders interessiert. Auch im Böheimkirchener Bürgerzentrum ist es gelungen durch eine vertikale Erschließung innerhalb des Gebäudes den Höhenunterschied zwischen Marktplatz und Kirche zu überwinden und mit der neuen Verbindung den Ortskern aufzuwerten.

Solche Übergänge sind wesentlich, denn dort entsteht die Stadt. Aktuell wird deutlich, dass diese Räume eigentlich fehlen, bzw. anders zu besetzen oder aufzuwerten sind. Was Architekten zurückgeben oder freilassen hat gesellschaftliche und kulturelle Auswirkungen. Die Erkenntnisse aus der Krise werden den Umdenkprozess vorantreiben und der Verdichtung Freiräume, die keine Funktionen haben, gegenüberstellen. Wir befinden uns jetzt in einer wichtigen Vorbereitungsphase, denn die Veränderungen in der Architektur fangen mit dem Umdenken an.“

Sascha Bradic, geb. 1965, NMPB Architekten, Wien. Die Schwelle zwischen öffentlichem und privatem Raum ist entscheidend für die Qualität von Geben und Nehmen beim Bauen. Für den Architekten entsteht in diesem Zwischenraum die Stadt.

19. Mai 2020newroom

Hugo Dworzak – bewegen

„Wir sind ja in einem Genre tätig, das sich – wenn überhaupt – nur sehr langsam bewegt. Das ist wahrlich ein Zeitlupenberuf! Von der ersten Überlegung...

„Wir sind ja in einem Genre tätig, das sich – wenn überhaupt – nur sehr langsam bewegt. Das ist wahrlich ein Zeitlupenberuf! Von der ersten Überlegung...

„Wir sind ja in einem Genre tätig, das sich – wenn überhaupt – nur sehr langsam bewegt. Das ist wahrlich ein Zeitlupenberuf! Von der ersten Überlegung bis zur Fertigstellung dauert es schon ewig. Und dann steht das Bauwerk da – etwas Statischeres als Architektur gibt es gar nicht. Die wenigen Teile, die offensichtlich beweglich sind – nämlich Fenster und Türen – haben sich seit Jahrhunderten nicht verändert. Alles andere ist dermaßen stabil, dass es sich auch in den Köpfen sehr selten zu bewegen beginnt. Nichtsdestotrotz glauben alle, dass wir ständig etwas bewegen. Bis auf wenige Ausnahmen werden jedoch die Architekten von ihren Auftraggebern bewegt. Falls neue Konzepte wie Transparenz, Leichtigkeit, offene Grundrisse möglich waren, dann immer nur durch die Weiterentwicklung der Baumaterialien. Gerade jetzt aber sind wir Architekten gefordert zu verändern und zu erfinden – im Sinne sozialer Verantwortlichkeit uns der Herausforderung zu stellen, dass es zukünftig ‚heiß‘ wird und lauwarme Formulierungen zu wenig sein werden. Ganzheitliches Betrachten ist notwendig – wir sind die Universalisten!

Für mich ist noch immer das Centre Pompidou in Paris ein Beispiel, das Vieles bewegt: Eine mutige Aktion, in die gewachsene Altstadt so eine fremdartige Maschine hineinzusetzen, die in der Folge sowohl sozial als auch kulturell Wunder vollbracht hat. Ich stelle bei mir auch immer wieder eine gewisse Leidenschaft fest, mehr als nur Fenster und Türen zu bewegen. Man kann zum Beispiel die Belegung einer Fußballplatz-Kapelle durch Aufklappen der Seitenwände von fünf auf bis zu 3.500 Personen vergrößern außerdem hat sie Räder und ist mobil. Die einzige Kirche in Österreich die zum Gläubigen kommt. Oder der Kinderpavillon, der – gedacht als temporärer Schul- und Kindergarten – an anderer Stelle, in anderer Form wieder aufgebaut werden kann. Das Temporäre entzieht sich der Strenge des Regelwerks und schafft Beweglichkeit.“

Hugo Dworzak, geb. 1957, Architekturwerkstatt Dworzak - Grabher in Lustenau. Eine bewegliche Brücke, eine aufklappbare mobile Kapelle oder ein Kinderpavillon der bei veränderter Nutzung auf vier Geschoße gestapelt werden kann ­– die Leidenschaft für weitreichende Beweglichkeit ist bei den Bauwerken des Architekten offenkundig.

10. Mai 2020Martina Pfeifer Steiner
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Die Vorzeige-Baukünstler

Wir müssten eigentlich nicht wieder aufzählen wie Vorarlberg mit ressourcenschonender Architektur, partizipativen Siedlungsprojekten, innovativen Schulbauten,...

Wir müssten eigentlich nicht wieder aufzählen wie Vorarlberg mit ressourcenschonender Architektur, partizipativen Siedlungsprojekten, innovativen Schulbauten,...

Wir müssten eigentlich nicht wieder aufzählen wie Vorarlberg mit ressourcenschonender Architektur, partizipativen Siedlungsprojekten, innovativen Schulbauten, auch durch die aufs Wesentliche reduzierten und dem Handwerklichen stark verbundenen Einfamilienhäusern zur Vorzeigeregion wurde. Aber so ist es eben. Vier der Vorarlberger Baukünstler aus den legendären Anfangszeiten haben ihren Vor- bzw. Nachlass dem Architekturzentrum Wien vermacht. Und mit dem SammlungsLab hat das Az W neuerdings ein Ausstellungsformat kreiert, das die Schätze aus dem Archiv in den Blick rückt. So entstand die Idee, einen Generationendialog zwischen den Pionieren der Baukünstlerszene – Hans Purin, Rudolf Wäger, Gunter Wratzfeld und Karl Sillaber (Architektengemeinschaft C4) – und den „Jungen“ – Bettina Götz, Richard Manahl (ARTEC), Bernardo Bader, Andreas Cukrowicz, Anton Nachbaur, Matthias Hein und Helena Weber – zu führen. Die Kuratorin ist Sonja Pisarik vom Az W.

Die jüngere Generation bezieht sich mit je einem aktuellen, eigenen Projekt auf insgesamt sechs Bauten aus dem Archiv. Das Spannende an der Ausstellung sind jedoch die filmischen Begegnungen an Originalschauplätzen in Vorarlberg. Die ORF-Journalistin Ingrid Bertel ist prädestiniert dafür, diese zu inszenieren, ist sie doch selbst in der Siedlung Halde von Purin aufgewachsen. Die große Herausforderung war jedoch, dass mit Hans Purin und dem im Frühjahr 2019 verstorbenen Rudolf Wäger zwei wichtige Protagonisten fehlten. Sollte man die zwei bei den Dialogen einfach weglassen? Nein, das kam für Ingrid Bertel nicht in Frage. Sie hatte doch reichlich Filmmaterial und vor kurzem ein Österreich Bild (Pionierleistungen – 50 Jahre neue Vorarlberger Bauschule, September 2018, ORF 2) gestaltet.

An den Tisch setzten

Als Bindeglied zwischen Ausstellung und Filmen fungiert ein eigens entworfener Tisch, der zu allen Schauplätzen mitgereist ist und in der Ausstellungsarchitektur wieder auftaucht. Der Vorarlberger Designer Robert Rüf zeichnet dafür verantwortlich. „Die Situation war schon eigenartig, am Tisch zu sitzen, vor mir der Laptop mit den vorbereiteten Gesprächs-Sequenzen von Rudolf Wäger und daneben die Filmkamera“, berichtet Matthias Hein, der als Ambiente für diesen Dialog das gerade fertiggestellte Kinderhaus in Kennelbach ausgesucht hat. In diesem letzten, so wertvollen Interview von Ingrid Bertel mit Wäger waren vielfältige Anknüpfungspunkte zu finden. „Ich schätze seine Architektur sehr und auch die prägnante, einfache Art wie Rudl Dinge mit dieser Selbstsicherheit auf den Punkt bringt. Ich denke, das Kinderhaus passt gut dazu, weil ich hier versuchte, das Formale zurücktreten zu lassen und das Neue mit den räumlichen Verschränkungen im Inneren hineinzubringen.“

Bernardo Baders Dialogpartner ist ebenfalls Wäger. Der Tisch steht nun in seinem vielbeachteten Projekt „Islamischer Friedhof“. Eine der wenigen Regieanweisungen von Ingrid Bertel war, sich nicht allzu konkret auf die Bauten zu beziehen, sondern auf Qualitäten und größere Themen. Das gelingt in diesem Gespräch sehr gut, der Bogen wird bis zu aktuellen Baugruppenprojekten gespannt.

Nachhaltigkeit

Der Spirit der 68er-Jahre, auch mit dem gemeinschaftlichen Bauen, zeigt sich bei der Siedlung Halde in Bludenz deutlich. Damit beginnt ja eigentlich jede Erzählung über die Vorarlberger Baukünstlerbewegung. Die Architektin Bettina Götz ist hier aufgewachsen, was sehr prägend für ihr Berufsleben war. Also sitzen sie und Richard Manahl am Dach der Telegrafenstation hinter der oberen Häuserreihe der Halde und reagieren auf die Einspielungen über Hans Purin. Als Projekt haben ARTECs ihre Wohnhausanlage „Die Bremer Stadtmusikanten“ in Wien ausgewählt. Eine gute Überleitung zur Siedlung an der Ach, die 1971–1982 in Bregenz entstanden ist: Geplant von Jakob Albrecht, Eckehard Schulze-Fielitz und Gunter Wratzfeld begibt sich letztgenannter mit den beiden ebendort in Diskussion: „Dichte führt nicht automatisch zu Problemen, Dichte kann auch Qualität haben.“

Mit Andreas Cukrowicz und Anton Nachbaur setzt sich Gunter Wratzfeld hingegen im für ihn sehr wichtigen Kindergarten Koblach (1996–98) an den Tisch. Cukrowicz Nachbaur Architekten wiederum, begeben sich im von ihnen ausgewählten Projekt „vorarlberg museum“ mit Karl Sillaber in den Dialog. Der Reigen setzt sich mit Matthias Hein fort, der Karl Sillaber in der Volksschule Nüziders begegnet. Dieses 1958–1963 entstandene Gebäude der Architektengemeinschaft C4 wird auch in der Ausstellung präsentiert. „Das war ein besonderer Tag für mich“, sagt Matthias Hein, „mit welcher Freude und Gründlichkeit Karl mich durch diese Schule führte und mir dann im Hof stehend jeden einzelnen Gipfel des Bergpanoramas benannte, den er bereits erklommen hat.“ Karl Sillaber tritt noch einmal mit Helena Weber auf. Und zwar nicht von ungefähr in der Volksschule in Lustenau Hasenfeld, hat die Architektin doch das von C4 geplante Bauwerk jüngst saniert.

Vorarlberg – eine Insel der Seligen? Das Rheintal ist eine der dynamischsten Agglomerationen Europas mit durchaus „raumgreifenden“ Entwicklung: Mittlerweile ist es nach Wien und Graz der am dichtesten besiedelte Ballungsraum Österreichs. „Schaffa, schaffa, Hüsle baua“ war lange Zeit Programm. Neben vereinzelten Versuchen, verdichtetes Wohnen durchzusetzen, entstanden in den letzten Jahrzehnten unzählige Einfamilienhäuser. Der rasante Verbrauch von Grünflächen führte zu einer voranschreitenden Zersiedelung und mittlerweile ist finanzierbarer Grund Mangelware. Wäre es nicht wichtig, den Stimmen von damals wieder mehr Gehör zu schenken? Wie schafft man behutsame Nachverdichtung, die einerseits die landschaftlichen Gegebenheiten pflegt und andererseits den dringend benötigten Wohnraum liefert? Schon Friedrich Achleitner konstatierte, dass Dichte nicht ein rein ökonomischer Wert ist: „Sie bedeutete in der Entwicklung der Menschheit immer auch gesellschaftliches Leben, Information, Kultur, also die Potenzierung individueller Fähigkeiten in der Gemeinschaft.“

[ Der Text erschien in der März-Ausgabe 2020 von KULTUR - Zeitschrift für Kultur und Gesellschaft, http://www.kulturzeitschrift.at ]

newroom, So., 2020.05.10

05. Mai 2020Martina Pfeifer Steiner
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Schillernd. Frederick Kiesler

Als Phänomen bewundert, leistete Frederick Kiesler mit seinem einzigen realisierten größeren Bauwerk, dem Schrein des Buches, das nach fast zehn Jahren...

Als Phänomen bewundert, leistete Frederick Kiesler mit seinem einzigen realisierten größeren Bauwerk, dem Schrein des Buches, das nach fast zehn Jahren...

Als Phänomen bewundert, leistete Frederick Kiesler mit seinem einzigen realisierten größeren Bauwerk, dem Schrein des Buches, das nach fast zehn Jahren Planungszeit 1965 in Jerusalem fertig gestellt wurde, einen bahnbrechenden Beitrag zur Kunst und Architektur. Friedrich Kiesler (geb. 1890 in Czernowitz, gest. 1965 in New York) war ein österreichisch-amerikanischer Architekt, Künstler, Designer, Bühnenbildner und Theoretiker, ein wahrer Visionär der Kunst und Architektur des 20. Jahrhunderts. Zu seinem Begräbnis versammelten sich vierhundert Leute aus der Kunstszene in New York, und der Tänzer Erick Hawkins sagte in seiner Trauerrede: „If Kiesler was an unique man it may be because he loved composers like a composer, poets like a poet, actors like an actor and dancers like a dancer“ und sinngemäß weiter: Wenn irgendwo zeitgenössische Musik gespielt wurde, Kiesler war da. Wenn ein junger Dichter seine Gedichte veröffentlichte, Kiesler hatte das Buch, wenn ein neuer Kunstfilm gezeigt wurde, Kiesler war im Publikum.

Das erfahren wir im ersten Kapitel mit dem Biografischen Sammelsurium und über die Knoten im Netzwerk, in der Publikation „Face to Face with the Avant-Garde“, die 21 Essays veröffentlicht, die sein schillerndes Leben und facettenreiches Werk in verschiedenen Kontexten verorten und Kiesler in einen Dialog mit den bedeutendsten Künstlern und Architekten seiner Zeit bringen. Wichtiger Partner für die wissenschaftliche Aufarbeitung war die Österreichische Friedrich und Lillian Kiesler-Privatstiftung in Wien, deren Aufgabe es ist, das Erbe des Architekten zu erforschen und der aktuellen Architektur- und Kunstproduktion einzuschreiben. Der Fokus des Buches liegt jedoch auf den bilden Flecken in der Kiesler-Forschung, vor allem auf den 1920er Jahren, diese Zeit verbrachte er in Berlin, Wien und Paris, und auf dem späteren Leben. Einzel- und Fallstudien sowie eine ineinandergreifende Analyse seines Lebens und Werkes bilden die Struktur dieser Anthologie.

Piet Mondrian zum Beispiel, wird so gut wie nie mit Kiesler in Verbindung gebracht, dabei gibt es interessante Anknüpfungspunkte. Illustriert wird dies auch mit einem Gruppenfoto, das 1942 in Peggy Guggenheims Apartment aufgenommen wurde, wo neben schillernden Namen wie Max Ernst, Fernand Léger, Amédée Ozenfant, Marcel Duchamp diese beiden vertreten sind. Duchamp taucht wiederum im fünfzehnten Essay „Marcel-Imprint“ auf und sehr prominent auch auf dem Cover mit dem lässigen Gruppenfoto vor einem Wohnhaus. In Format und Haptik liegt das Buch sehr angenehm in der Hand, schönes Braun rahmt das atmosphärische Bild, die Buchseiten im Cremeton und gut lesbar gesetzt, mit auffallend übersichtlichen Anmerkungen am Ende jedes Kapitels: Eine Einladung wählerisch hineinzulesen und sich dem „größten nichtbauenden Architekten“ seiner Zeit – wie Philip Johnson ihn bezeichnet – mit seinen komplexen und transdisziplinären Ansätzen anzunähern.

newroom, Di., 2020.05.05



verknüpfte Publikationen
Frederick Kiesler: Face to Face with the Avant-Garde

05. Mai 2020newroom

Julia Kick – zurückgeben

„Wenn ich im kleinen Blumenbeet vor dem Haus werke, fällt mir erst an der Reaktion der PassantInnen auf, was wir mit der Revitalisierung des alten Stadels...

„Wenn ich im kleinen Blumenbeet vor dem Haus werke, fällt mir erst an der Reaktion der PassantInnen auf, was wir mit der Revitalisierung des alten Stadels...

„Wenn ich im kleinen Blumenbeet vor dem Haus werke, fällt mir erst an der Reaktion der PassantInnen auf, was wir mit der Revitalisierung des alten Stadels mitten in Dornbirn diesem Ort zurückgegeben haben. Früher Teil eines Ensembles von Villa und Weinkeller, ist die Parzelle mit dem baufälligen Holzgebäude irgendwie übriggeblieben und stand zum Verkauf. Die Entwicklung dieses zentralen und bisher vernachlässigten Bahnhofsareals finde ich extrem spannend. Also haben wir uns hier eingebracht und dieses denkmalgeschützte Bauwerk für eigene Arbeits- und Wohnzwecke wiederbelebt. Belassen, wie vorgefunden – das wollten wir wörtlich nehmen. Und so bleibt alles, was hinzugekommen ist, ablesbar. Sogar das große Scheunentor behält die ursprüngliche Funktion und erlaubt die komplette Öffnung zur Stadt. Im Prinzip sind bei den Einbauten und Adaptierungen alle Veränderungen in den Nutzungen mitgedacht, in letzter Konsequenz sogar das zurückbauen – zurückgeben – als Wirtschaftsgebäude.

Dieses Thema findet sich eigentlich bei allen meinen Projekten: Altbestand haftet immer eine eigene Geschichte an und es geht auch darum einen speziellen Ort zu erhalten bzw. der Öffentlichkeit und vor allem dem Bauherren das Bestmögliche zurückzugeben. Zum Schluss gibt es jedoch den Punkt, wo die Architektur den NutzerInnen überlassen – zurückgegeben – wird und es aushalten muss, in Beschlag und Besitz genommen, aber auch verändert zu werden. Man kann allenfalls noch gewisse Leitgedanken mitgeben und hoffen, dass sie verstanden werden.“

Julia Kick, geb. 1984, Architektin in Dornbirn. Mit einem baufälligen Stadel mitten in der Stadt, den die Architektin für eigene Arbeits- und Wohnzwecke revitalisiert hat, wird das gesamte Umfeld bereichert.

21. April 2020newroom

Bernardo Bader – freilassen

„Man muss und soll nicht alles machen. Mir ist ein Statement von Hans Hollein noch in guter Erinnerung, in dem er sagte, dass sich ein Architekt nicht...

„Man muss und soll nicht alles machen. Mir ist ein Statement von Hans Hollein noch in guter Erinnerung, in dem er sagte, dass sich ein Architekt nicht...

„Man muss und soll nicht alles machen. Mir ist ein Statement von Hans Hollein noch in guter Erinnerung, in dem er sagte, dass sich ein Architekt nicht allein durch seine Bauten auszeichnet, sondern durch das, was er nicht gebaut hat. Ich will nicht nur produzieren, es ist manchmal besser etwas abzulehnen oder nicht mitzumachen, auch bei Wettbewerben. Für mich und uns soll es zuerst einmal stimmig sein, und dann können wir eine gute Arbeit leisten, ansonsten lasse ich es lieber sein.

In räumlichen Dimensionen ist es für mich wichtig Orte freizulassen. Sinn macht, bestimmte Situationen noch zu intensivieren und manche Bereiche überhaupt freizulassen. Es ist doch ermüdend, wenn man im Prinzip überall alles bekommt, überall in der selben Dichte, im selben Puls. Das gilt für die Stadt genauso wie in einem Haus. Hier in der Klostergasse ist der Wechsel besonders spannend – von dichter und dann wieder offener, dunkel und hell, warm und kalt. Wenn ich an Bürohäuser denke, in denen jeder Arbeitsplatz exakt gleich ausgeleuchtet sein soll, so wollte ich mir bei meinem Atelier-Neubau die Freiheit nehmen mit unterschiedlicher Verteilung der großformatigen Öffnungen vielfältige Situationen zu schaffen. Die Räumlichkeiten in den vier Geschoßen bleiben flexibel, es kann dort sowohl gearbeitet als auch gewohnt werden, doch die Atmosphäre ist in jedem Bereich durch Ausblick und Sonnenstand unterschiedlich. Grundsätzlich sind wir als Gestalter immer gefordert den roten Faden zu spannen und den Planungsprozess anzuführen, doch auch hier ist für eine bereichernde Zusammenarbeit immer wieder ein Freilassen und Loslassen entscheidend.“

Bernardo Bader, geb. 1974, Architekt in Bregenz. Freigelassen wurde eine kleine Parzelle mitten in Bregenz, bis der Architekt sein Bauwerk mit vier übereinander gestapelten Geschoßen gleicher räumlicher Disposition errichtete, in dem gearbeitet wie gewohnt werden kann.

16. April 2020Martina Pfeifer Steiner
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Zurück in die Moderne. Zu Besuch in Los Angeles

Die Häuser von Neutra, Schindler, Ain und Zeitgenossen ziehen ihre Spuren über die Hügel von Los Angeles. Der Fotograf David Schreyer und der Kunsthistoriker...

Die Häuser von Neutra, Schindler, Ain und Zeitgenossen ziehen ihre Spuren über die Hügel von Los Angeles. Der Fotograf David Schreyer und der Kunsthistoriker...

Die Häuser von Neutra, Schindler, Ain und Zeitgenossen ziehen ihre Spuren über die Hügel von Los Angeles. Der Fotograf David Schreyer und der Kunsthistoriker Andreas Nierhaus zeichnen diese unter dem Blickwinkel des „Los Angeles Modernism“ spannend, vielschichtig und atmosphärisch nach. Das Fotoessay von David Schreyer fängt Situationen im Heute ein, die den Betrachter zum Besucher werden lassen und lädt zum Verweilen ein. Dazu kommen die Texte von Nierhaus, die Orientierung geben, das Wesentliche zu Anlage und Konzept der Architektur auf den Punkt bringen und vor allem die Geschichten erzählen, wie die aktuellen BewohnerInnen mit den Ikonen der kalifornischen Moderne umgehen, sie bewohnen und die Qualitäten schätzen.

Das „Lechner House“ aus dem Jahr 1947 beispielsweise, verbarg seine Qualitäten als spätes Meisterwerk, wurde es doch mit einer Reihe von Umbauten wesentlich erweitert. Die neue Bewohnerin und Architektin Pamela Shamshiri „war kein besonderer Fan von Rudolph Schindler, als sie sich auf die Suche nach einem Haus machte, um es zu restaurieren und zu erhalten; sie dachte eher an Richard Neutra oder John Lautner.“ Doch dann fand sie das Haus in Studio City auf dem Immobilienmarkt. Es ging ihr bei der Renovierung nicht um die streng wissenschaftliche Rekonstruktion eines Originalzustands, sondern um eine Adaptierung an heutige Wohnbedürfnisse unter Berücksichtigung von Schindlers ursprünglichen Ideen. „Es war allerdings nicht einfach, sich das Haus anzueignen: Lange hatten sie und ihre beiden Söhne den Eindruck, als würde Schindler mit ihnen zusammenwohnen – bis sie an einem bestimmten Moment das Haus übernahmen: „Jetzt erst wohnen wir wirklich hier“.“

Das sind die Geschichten, die das Blättern im Bilderbuch mit dem kurzweiligen Vertiefen in den Texten so reichhaltig macht. Grundrisse im Maßstab 1:200 vervollständigen im Anhang die Beschäftigung mit den Häusern aus den 1930er- bis 1960er-Jahren in Los Angeles. „Mit unserer Perspektive auf ausgewählte, vorbildliche Häuser der kalifornischen Moderne wollen wir einen neuen Blick etablieren, der sich als anti-monumental beschreiben lässt: nicht die eine ästhetisierte, pure und „ganze“ Form, sondern das Fragment, nicht die perfekte Oberfläche, sondern ihre Kratzer, nicht das erhabene Kunstwerk, sondern das alltägliche, aber hochwertige Gebrauchsobjekt Haus.“

newroom, Do., 2020.04.16



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Los Angeles Modernism Revisited

07. April 2020newroom

Sabrina Mehlan – bewegen

„Innehalten und uns fragen: Wo wollen wir eigentlich hin? Wollen wir nach zehn Jahren genau so weitermachen? Das war der bewusste Auftakt im neuen Jahr...

„Innehalten und uns fragen: Wo wollen wir eigentlich hin? Wollen wir nach zehn Jahren genau so weitermachen? Das war der bewusste Auftakt im neuen Jahr...

„Innehalten und uns fragen: Wo wollen wir eigentlich hin? Wollen wir nach zehn Jahren genau so weitermachen? Das war der bewusste Auftakt im neuen Jahr für den wir uns ganz entspannt Raum schafften. Mit Stefanie Wögrath und Petra Meng sind wir zu dritt. Wir haben uns gleich nach dem Studium selbstständig gemacht und sofort einen Wettbewerb gewonnen, hatten also viel Glück und einen extrem guten Lauf. Aber wollen wir in dieser erfolgreichen, möglichst effizienten Produktion stecken bleiben. Welchen Fokus will eigentlich jede individuell in ihrer Arbeit setzen? Und da haben wir schon bemerkt, dass sich die Interessen verändert und wir uns weiterentwickelt haben. Wir wollen uns bewegen, wirklich über die Grenzen gehen, Material erproben, etwas Neues ausprobieren. Es wird auch wichtig sein, uns dafür Freiräume zu schaffen, eventuell für administrative Aufgaben jemanden herein zu nehmen, um mehr Zeit und Muße für Entwurfsaufgaben zu haben. Wir wollen auch die Qualitäten, die es an unserem zweiten Standort in Zürich gibt, zunehmend in Wien einfließen lassen. Wir können dort nämlich viel ausführlicher bis ins kleinste Detail arbeiten, weil Planungsablauf und die Budgets dort andere sind. Den Standort in Wien zu stärken und diese entspannteren Arbeitsbedingungen hierher zu transformieren sind jetzt für uns die großen Themen.“

Sabrina Mehlan, geb. 1978, illiz architektur, Wien und Zürich. In alle Richtungen bewegen mussten sich die drei Architektinnen beim aktuellen Projekt einer kleinen Feuerwehr-Fahrzeughalle in Wien Speising um die Hürden zu nehmen und mit einer Metallfassade in Gelb zu überzeugen.

10. März 2020Martina Pfeifer Steiner
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Vergnügliches zur Marke Bauhaus

Gebrauchsfertig und leseleicht liegt dieser Katalog, diese broschierte Publikation über die „Marke Bauhaus 1919–2019“ in der Hand: Gut gegliedert, interessante...

Gebrauchsfertig und leseleicht liegt dieser Katalog, diese broschierte Publikation über die „Marke Bauhaus 1919–2019“ in der Hand: Gut gegliedert, interessante...

Gebrauchsfertig und leseleicht liegt dieser Katalog, diese broschierte Publikation über die „Marke Bauhaus 1919–2019“ in der Hand: Gut gegliedert, interessante Artikel, schlüssig illustriert, die Fußnoten dort wo man sie findet. Der Autor Philipp Oswalt hat sich intensiv mit dem historischen Erbe des Bauhauses auseinandergesetzt, war er doch selbst von 2009 bis 2014 Direktor der Stiftung Bauhaus Dessau. Und er geht es pointiert, doch nicht unkritisch an, wesentliche, verschwiegene oder auch verleugnete Dimensionen des Bauhauses offenzulegen. „Dass das Bauhaus eine Marke ist, bestreitet heutzutage niemand. Genauer gesagt ist es eine Dachmarke, die mehrere Submarken verschiedener Akteure unter sich vereint. Zu diesen gehört die Designmarke Bauhaus, unter der Möbel- und Hausrathersteller ikonische Bauhausdesigns vertreiben – in teurer Originalfassung oder als billiges Plagiat“, das ist in der Einleitung zu lesen. Aber auch als Kulturmarke zur nationalen Selbstdarstellung und Imagepflege, als touristische Marke der Städte Weimar, Dessau und Tel Aviv, ebenso als Bildungsmarke leistet das Bauhaus gute Dienste. „Mit dem Bauhausstil preisen Fertighaushersteller und Immobilienhändler ihre Bauten an. Und natürlich spielt das Bauhaus auf dem Kunstmarkt und im Kulturbetrieb eine wichtige Rolle für Museen, Sammler, Kunsthändler, Galerien oder Auktionshäuser.“

Damit ist das Thema, das so unterhaltsam in diesem Buch behandelt wird, aufgespannt. Ein Beispiel dafür: Man könne das Ehepaar Gropius als Influencer bezeichnen, denn das Direktorenhaus wäre ein Schaukasten gewesen. „Der Direktor des Bauhauses und seine Gattin demonstrieren als gesellschaftliche Elite ebenso live wie medial, wie der moderne Mensch wohnen soll. Allerdings besteht eine große Diskrepanz zwischen diesem Repräsentationsbau und dem sozialen Anspruch des Bauhauses, guten Wohnraum für alle zu schaffen, wie ihn Gropius selbst propagiert hatte. Das Direktorenpaar lebt auf 250 Quadratmetern Wohnfläche inklusive Gästewohnung und Mädchenzimmer, im Souterrain ist auf weiteren 190 Quadratmetern neben dem Weinkeller auch eine Hausmeisterwohnung untergebracht.“

Unterhaltsam ist auch das große Kapitel über die Bildmarken. Überschriften wie „Wortmarke. Ein dynamisches Logo“, „Gebäudeschriftzug. Reklamefassade“ oder „Quadrat Dreieck Kreis. Urformel der Gestaltung“ und „Wagenfeld-Lampe. Ein Gebrauchsobjekt als Bildikone“ lassen einiges erwarten, vor allem wenn man registriert, dass zu den hervorragenden Texten unzählige Beispiele im jeweiligen Anhang zu finden sind.

newroom, Di., 2020.03.10



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Marke Bauhaus 1919-2019

10. März 2020newroom

Martin Mackowitz – zurückgeben

„Im Prinzip geht es nicht um einzelne Bauherren oder einzelne Objekte sondern um die Gesellschaft. Darum verstehe ich mich als Gesellschaftsarchitekt....

„Im Prinzip geht es nicht um einzelne Bauherren oder einzelne Objekte sondern um die Gesellschaft. Darum verstehe ich mich als Gesellschaftsarchitekt....

„Im Prinzip geht es nicht um einzelne Bauherren oder einzelne Objekte sondern um die Gesellschaft. Darum verstehe ich mich als Gesellschaftsarchitekt. Architektur beinhaltet das Skalieren in alle Maßstäbe. Egal was man angreift, vom ausgewählten Material bis zum städtebaulichen Entwurf, es gilt immer der gleiche Anspruch, nämlich an das größere Ganze zu denken. Das umfasst dann eben nicht nur die Menschen, sondern auch Lebensräume, das umfasst nicht nur Bauliches sondern auch Nichtgebautes. Ich rede oft über Hardware und Software – über das Materialisierte und das Programmierte oder Prozesshafte. Und was quasi durch das Zurückgeben entsteht, sind sehr oft neue Formen von Biotopen oder Ökosystemen, die Lebewesen und andere Lebensweisen aktivieren. Ein Schlüsselwort ist Empathie und eine der wichtigsten Fähigkeiten in der Architektur: etwas zusammen zu fügen, ein Komponieren im weiteren Sinn von unterschiedlichen Konsistenzen oder Materialen, eine Kettenreaktion verursachen. Und je mehr Initialzündungen, Akkupunkturpunkte man setzt, desto üppiger wächst und gärt so ein Herd. Es geht darum neue Perspektiven zu eröffnen, sich weiterzuentwickeln, Nachhaltigkeit im weitesten Sinne. Und mitunter ist die richtige Reaktion – anstatt etwas zu bauen, einen Verein zu gründen. Das Geben beinhaltet dabei immer auch das Nehmen. Ich tanke und profitiere davon, dieser Motor treibt meine Schaffenskraft an und ist begleitet von viel Enthusiasmus und ja – Ideologie.“

Martin Mackowitz, geb. 1984, ma_ma Werkraum für interaktive Baukunst in Schlins. Aufgrund familiärer Verflechtungen plant er sein Haus neben der Lehmbauwerkstatt von Martin Rauch. Sein Bauplatz ist nicht nur Bauplatz, sondern die wesentliche Ressource für das Bauwerk.

03. März 2020Martina Pfeifer Steiner
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Maler aus Leidenschaft. Le Corbusier

Anlass für die Publikation über das bildnerische Werk von Le Corbusier war eine Ausstellung in Sardinien, wo es inmitten der Insel, im kleinen Dorf Orani,...

Anlass für die Publikation über das bildnerische Werk von Le Corbusier war eine Ausstellung in Sardinien, wo es inmitten der Insel, im kleinen Dorf Orani,...

Anlass für die Publikation über das bildnerische Werk von Le Corbusier war eine Ausstellung in Sardinien, wo es inmitten der Insel, im kleinen Dorf Orani, ein Museum zu Ehren des Bidlhauers Constantino Nivola gibt. Eine lebenslange Freundschaft verband diesen mit Le Corbusier, den er 1940 in den USA kennenlernte. Eine Zeitlang teilten sich die beiden ein Atelier in Greenwich Village. Auch später war Le Corbusier im Haus Nivolas in East Hampton, Long Island, gerne Gast und fertigte 1950 ein großes Wandbild in der Küche an. Sechs Gemälde, sechs Skulpturen und etwa dreihundert Zeichnungen seines Freundes umfasst die Sammlung von Constantino Nivola, die heute in der Fondation Le Corbusier, aber auch in verschiedenen Galerien und Museen in Amerika aufbewahrt ist.

„Le Corbusier: Lessons in Modernism“ erzählt nun zum ersten Mal die Geschichte dieser bemerkenswerten Sammlung und thematisiert die grafische und bildnerische Entwicklung von Le Corbusier zwischen den späten 1920er- und frühen 1950er-Jahren. Das Werk des Architekten ist nicht vollständig zu erfassen, ohne ihn auch als Maler, Zeichner und Grafiker zu betrachten. Le Corbusier selbst legte Wert auf die Feststellung, dass der Schlüssel zu seiner Architektur in seinem künstlerischen Werk liegt und er grundsätzlich und aus Leidenschaft Maler sei. In weiteren Essays wird die Rezeption seiner Kunstwerke in den USA analysiert, die Chronologie der Ausstellungen, die Beziehungen zu Galeristen und Sammlern und das gesamte künstlerische Umfeld.

Im letzten Kapitel des Buches findet man eine Auswahl von Zeichnungen, die den bedeutendsten Teil seines bildnerischen Werkes ausmachen. Es sind vorwiegend Frauenakte, und die Étude sur le thème de ’La tricoteuse‘, 1947 – also übersetzt ’Die Strickerin‘ – ziert das Cover.

newroom, Di., 2020.03.03



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Le Corbusier Lessons in Modernism

25. Februar 2020Martina Pfeifer Steiner
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Der Visionär. Walter Gropius

„Mehr noch als durch seine Bauten wurde Walter Gropius als Gründer des Bauhauses bekannt. Er hatte die Vision, dass ein neuartiges Ausbildungssystem stärker...

„Mehr noch als durch seine Bauten wurde Walter Gropius als Gründer des Bauhauses bekannt. Er hatte die Vision, dass ein neuartiges Ausbildungssystem stärker...

„Mehr noch als durch seine Bauten wurde Walter Gropius als Gründer des Bauhauses bekannt. Er hatte die Vision, dass ein neuartiges Ausbildungssystem stärker auf die gebaute Umwelt einwirken könne als einzelne Bauwerke.“ Das erfährt man gleich am Anfang der Einführung des Autors Carsten Krohn. In diesem Buch geht es um die Bauten und Projekte von Walter Gropius und diese sind mit hervorragenden, wesentlichen Texten, Farbfotos, die in den letzten zehn Jahren aufgenommen worden sind, und neu gezeichneten Grundrissen illustriert, alles von Carsten Krohn, der schon über das Werk von Peter Behrens, Mies van der Rohe und Hans Scharoun geschrieben hat. Die Schwarz-Weiß-Aufnahmen stammen größtenteils aus dem Bauhaus-Archiv. Behrens hatte auch auf Gropius einen großen Einfluss. Nachdem er sein Architekturstudium (München und Berlin) abgebrochen hatte, arbeitete er im Atelier von Peter Behrens „Ich verdanke ihm viel, vor allem die Gewohnheit, in Prinzipien zu denken.“.

Interessantes kommt zutage: Schon als Student beschäftigte Gropius einen Zeichner. „Meine absolute Unfähigkeit auch nur das einfachste aufs Papier zu bringen [...] lässt mich oft mit Sorgen auf meinen zukünftigen Beruf sehen. Es scheint mir fast eine physische Unmöglichkeit bei mir zu sein, denn ich bekomme sofort einen Krampf in der Hand.“ Mit einem weiteren Behrens-Mitarbeiter, Adolf Meyer, eröffnet Gropius dann ein eigenes Büro. In dieser Publikation sind auch die frühesten Werke zu finden, an deren Veröffentlichung Gropius eigentlich nicht interessiert war. „Die Entwicklung des Werks zeigt sich wie bei den anderen Protagonisten der Bewegung als ein mäandernder Weg, als ein Prozess des Suchens“, schreibt der Autor und zeichnet diesen höchst interessant nach. Bei den späteren Bauten von „The Architects Collaborative“, das Gropius mit sieben jüngeren Partnern 1945 in den USA gründete, folgt Krohn wiederum nicht dem „Verzeichnis der Werke von Walter Gropius‘ des Sigfried Giedeon, weil dort auch jene angeführt sind, für die Gropius nicht mitverantwortlich war.

Erkenntnisreich veranschaulicht das Buch diesen bedeutsamen Part der Architekturgeschichte – mit so viel Wissen und Wissenschaftlichkeit fundiert, dennoch so lesbar und lesenswert.

newroom, Di., 2020.02.25



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Walter Gropius Bauten und Projekte

17. Februar 2020Martina Pfeifer Steiner
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Ausführlich. Boris Podrecca Architektur

Dass die große Ausstellung im Ringturm der Architektur von Boris Podrecca gewidmet ist hat gute Gründe: Für die Wiener Städtische Versicherung hat der...

Dass die große Ausstellung im Ringturm der Architektur von Boris Podrecca gewidmet ist hat gute Gründe: Für die Wiener Städtische Versicherung hat der...

Dass die große Ausstellung im Ringturm der Architektur von Boris Podrecca gewidmet ist hat gute Gründe: Für die Wiener Städtische Versicherung hat der Architekt den 20. Stock des 1953 von Erich Boltenstern geplanten Ringturms am Schottenring umgestaltet und vor allem die ehemalige Kassenhalle im Erdgeschoß zum Ausstellungszentrum verwandelt. Und es ist auch eine Würdigung zum achtzigsten Geburtstag.

Erstaunlich, wie es der Kurator der Ausstellungsreihe „Architektur im Ringturm“ Adolph Stiller immer schafft, in kürzester Zeit ein inhaltsschweres Begleitbuch zu produzieren. Im bewährten Format folgt man der Schau und zeigt darin eine Auswahl aktueller Bauten aus dem vergangenen Jahrzehnt in Bild und präzisen Kurzbeschreibungen. (Hier sei eine große Bitte angemerkt: bei der nächsten Publikation auch für diese Texte eine lesbare Schriftgröße verwenden und nicht jene der Fußnoten!) Eingeschoben in die fotoreiche Dokumentation der Bauten sind lesenswerte Vorträge und Essays von Boris Podrecca mit vielversprechenden Titeln wie: „Von Bedarf und Entbehrlichkeit des öffentlichen Raumes“, „Theorie lateral“ oder „Lehre und Leere“.

Das Œvre des Architekten und Bildhauers, der neben Wien auch in Venedig ein Büro hat, ist unglaublich vielfältig und charakterisiert von besonderer Sensibilität bei Material- und Farbwahl und für den vorhandenen Kontext. Zahlreiche Hauptplätze tragen Podreccas Handschrift, wie der Rathausplatz St. Pölten, der Hauptplatz Leoben, der Kremser Bahnhofsplatz und der Neue Platz in Klagenfurt. In diesem Zusammenhang muss auch auf eine seiner ersten Platzgestaltungen 1989 verwiesen werden: der Tartini Platz – ein wahres Geschenk an öffentlichem Raum für Piran! Im Buch ist die mutige Umgestaltung der Städtischen Galerie aus 2012 ebendort dokumentiert.
Zu weiteren wichtigen Bauten zählen neben Stadtprojekten, Umbauten und großen Wohn- und Museumsbauten der gemeinsam mit Rudolf F. Weber und Gustav Peichl entworfene Millenniumstower und die Umgestaltung des Pratersterns in Wien.
Die Ausstellung im Ringturm gibt es noch bis 20. März 2020 zu sehen, und die im Verlag Müry Salzmann erschienene Publikation im Buchhandel.

newroom, Mo., 2020.02.17



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Boris Podrecca Architektur

11. Februar 2020Martina Pfeifer Steiner
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Erkenntnisreich. Kulturarbeit der Alliierten

Yes! – grün; Qui! – blau; Ok! – gelb; Da! – rot. „Dieses Buch verändert den Blick auf die österreichische Architekturgeschichte“, so beginnt die Direktorin...

Yes! – grün; Qui! – blau; Ok! – gelb; Da! – rot. „Dieses Buch verändert den Blick auf die österreichische Architekturgeschichte“, so beginnt die Direktorin...

Yes! – grün; Qui! – blau; Ok! – gelb; Da! – rot. „Dieses Buch verändert den Blick auf die österreichische Architekturgeschichte“, so beginnt die Direktorin Angelika Fitz im Vorwort. Wer die Ausstellung „Kalter Krieg und Architektur – Beiträge zur Demokratisierung Österreichs nach 1945“ im Architekturzentrum Wien besucht hat, wird es wohl gleich mitgenommen haben, wer sie versäumt hat, sollte sich die Publikation – es gibt sie in vier verschiedenen Farben, die für die Besatzungsmächte stehen – besorgen. Es ist auch schon die englische Ausgabe erschienen.

Den LeserInnen wird es leicht gemacht Überblick zu behalten. Großbritanniens Beitrag zum sozialen Aufbau, Frankreichs Beitrag zum Aufbau einer Elite, der Beitrag der USA zu einem „besseren“ Leben, der „freundschaftliche“ und „friedfertige“ Beitrag der Sowjetunion – diese Überschriften geben ein vielversprechendes Grundgerüst. „Der Kampf der Systeme nach dem Zweiten Weltkrieg war allumfassend und setzte sich im kulturellen Wettrüsten fort. Die globale Dimension des Ost-West-Konflikts und dessen Auswirkung stehen im Zentrum der Neuvermessung des österreichischen Architekturdiskurses nach 1945“ erläutert die Autorin Monika Platzer. Vorarbeit hat sie in ihrer Dissertation „Gegen den Kanon erzählt. Positionen, Akteure und Netzwerke der Wiener Nachkriegsarchitektur im Kalten Krieg“ geleistet.

Vier farblich markierte Kapitel bereiten die Aspekte von Kulturarbeit der Alliierten in sehr gut gestalteten Bild- und Textseiten auf. Da erfährt man, dass Großbritannien die „Erziehungsarbeit“ ernst nahm und 5,5 Tonnen Bücher nach Österreich schickte; dass sich die Franzosen der Jugendpolitik widmeten und Kulturinstitute einrichteten; dass die Le-Corbusier-Ausstellung zeitgleich mit der über Konrad-Wachsmann stattfand; dass die Amerikaner Überzeugungsarbeit für ein neues Wohnen leisteten, mit Anregungen zur Produktion billiger Serienhäuser; dass sich die Hoffnung der Sowjets nicht erfüllte, mit ihrer kulturpolitischen Arbeit Österreich zu einer Umkehr in Richtung Volksdemokratie zu bewegen.

Gut liegt es in der Hand, das Buch. Nachschlagen oder Vertiefen, Schmökern oder Arbeiten, an jeder Stelle ist der Zusammenhang gegeben. Genauso wie beim Besuch der bereichernden, inspirierenden, informativen Ausstellung.

newroom, Di., 2020.02.11



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Kalter Krieg und Architektur Beiträge zur Demokratisierung Österreichs nach 1945

11. Februar 2020Martina Pfeifer Steiner
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Eine Entdeckungsreise

Land Stadt Kongress Vorarlberg im Festspielhaus Bregenz

Land Stadt Kongress Vorarlberg im Festspielhaus Bregenz

Urbanisierung und Landflucht oder Stadtflucht – als Abwanderung ins städtische Umland – und eine Sehnsucht nach dem Leben auf dem Lande, das sind gegenwärtige Phänomene die eher zur Zersiedlung denn zur Revitalisierung von Orten führen. Es zeichnet sich international auch der Trend ab, dass es vor allem junge Menschen in die Metropolen zieht. In Vorarlberg sind solche Abwanderungstendenzen anscheinend noch nicht allzu wahrnehmbar. „Was also ist Vorarlberg? Nicht ganz Land oder nicht ganz Stadt?“ Dies ist auf der Einladungskarte zum Land Stadt Kongress Vorarlberg zu lesen. Und damit die Begriffe auch richtig verstanden werden, gibt es eine Fußnote dazu: „Congress (lat. Zusammenkunft einer Gesellschaft), con=zusammen, gradi=schreiten. Denn jede Entdeckungsreise beginnt mit dem ersten gemeinsamen Schritt, oder?“

Mitgestalter sein

Damit wird schon viel über die Herangehensweise der Initiatoren an das Projekt LandStadt Vorarlberg vermittelt. „Denn Verständnis ist ein gemeinsamer Weg, keine fertige Definition. Und Kooperation ist die Voraussetzung für einen chancenreichen Lebensraum“, steht weiters auf der Karte. Gerhard Stübe hat als Geschäftsführer der Kongresskultur Bregenz unzählige hochkarätige Kongresse und Tagungen im Festspielhaus miterlebt, es waren jedoch kaum branchenübergreifende oder interdisziplinäre Zusammensetzungen darunter. „Durch meinen Beruf wurde mir bewusst, dass es in Vorarlberg schon viele großartige Initiativen für ein kollaboratives Zusammenleben gibt. Diese Projekte funktionieren in sich selbst sehr gut, jedoch sind sie untereinander noch nicht sonderlich gut vernetzt. Das LandStadt-Zukunftssymposium soll genau diese kreativen Menschen und Ideen zusammenbringen.“ Gerhard Stübe geht es sehr persönlich an, denn als Mitbewohner wolle er auch in gewisser Weise Mitgestalter des Lebensraums Vorarlberg sein und einen Beitrag für die nächsten Generationen leisten.

Das Büro für Zukunftsfragen für dieses Vorhaben ins Boot zu holen war offenbar naheliegend. „Die Projekte „Raumbild 2030“ und „LandStadt“ greifen inhaltlich sehr ineinander, denn beide Projekte sollen dazu beitragen, den verfügbaren Raum als solchen zu begreifen. Während sich das Raumbild eher mit der Gestaltung des öffentlichen Raumes beschäftigt, liegt bei LandStadt der Fokus auf dem zwischenmenschlichen Umgang. Es stellt also eine Begegnungs- und Zusammenarbeitsplattform dar“, sagt Bertram Meusburger, der gleich auch die Projektleitung übernahm. Weitere Kooperationspartner sind Bodensee Vorarlberg Tourismus, Stadtkultur Feldkirch und das vai Vorarlberger Architektur Institut. „Da bringt jeder sein Knowhow ein, und das Besondere daran ist, dass wir voneinander lernen und dadurch auch neues Wissen generieren!“ meint Gerhard Stübe begeistert.

Playful Research

Wohin geht diese Entdeckungsreise? Es hat doch jede und jeder eine Geschichte zu erzählen, kann also mitreden und mitdenken. „Wir lernen uns selber kennen: LandStadt Vorarlberg. Denn hier leben wir von den Zwischenräumen, die man kaum sieht und von den Potentialen, die an jeder Ecke warten. Wir sind mittendrin und zwischendrin“, steht unter dem Motto „LandStadt lüftet Vorarlberg“, im Sinne von frische Luft hereinlassen und das Geheimnis lüften. LandStadt könnte man auch als eine mentale Landkarte auffassen, wo es um das Bewusstsein geht, in welcher Haltung, Qualität, Motivation die Menschen ihren Lebensraum suchen, finden und mitgestalten. Der dem Kongress vorgelagerte Prolog bietet dazu die Plattform. Um die Erfahrungen, Geschichten, Erkenntnisse möglichst weitreichend einzuholen, wird mit der spielerischen Methode des „Playful Research“ interagiert. Das Spezielle daran ist, dass diese digitale Umfrage unterhaltsam moderiert ist und die Ergebnisse der anderen Teilnehmenden unmittelbar und differenziert abgerufen werden können. Es passiert also bei der Befragung schon ein Austausch. Ein weiteres Format im Prolog sind die Kamingespräche, die an Locations im ganzen Land in kleineren Runden stattfinden. Diese Auseinandersetzung mit der Alltagswelt spielt in die nächste Stufe des Live-Austauschs hinein.

Begegnungsplattform

Der Kongress, also die große zweitägige Zusammenkunft im Festspielhaus, bietet dann den Möglichkeitsraum, für alle, ja alle, die sich für die LandStadt Vorarlberg interessieren. Er soll eine Begegnungsplattform sein, wo man voneinander lernen und Erfahrungen, Erkenntnisse sammeln kann, offen und neugierig. Bewusst wird hier keine Zielgruppe definiert, das wäre für die Initiatoren nur kontraproduktiv und sie schützen sich durch die heterogene Herangehensweise davor, dass wieder „nur im eigenen Sud gekocht wird“. Es darf etwas entstehen und nicht vorweggenommen werden, das Phänomen LandStadt steht als Bild, als eine Metapher da, und es wird spannend sich darüber auszutauschen, was die Qualität des Lebensraums der Zukunft ausmachen kann.

Eine Plattform für intensiven Austausch, nicht oberflächlich, sondern tiefgehend, nicht nur der Innenblick, sondern auch der Außenblick. Dafür hat der Beirat aus den Kooperationspartnern eine illustre Liste von Vortragenden für die Hauptreferate zu den Themen Soziologie, soziale Segregation, Bildung, Demokratie, Raumentwicklung etc. zusammengestellt, welche sogenannte Keynotes platzieren, in den verschiedenen Penels diskutieren. Bewährte Austauschformate wie Art of Hosting, Story Telling und Pecha Kucha werden für Inspiration und Verdichtung sorgen.

Dem diesjährigen Kongress unter dem Motto „LandStadt verstehen“ folgt ein Epilog, um dann mit dem Prolog zum „LandStadt-Festival erleben“ 2022 fortzusetzen. In dieser Weise Wellen schlagend wird bis zum Kongress 2024 geplant, der mit „LandStadt-Labor gestalten“ in Aussicht gestellt wird.

StadtLand Kongress Vorarlberg
am 31.3. – 1.4.20 im Festspielhaus Bregenz

newroom, Di., 2020.02.11

03. Februar 2020Martina Pfeifer Steiner
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Inspirierend. Architektur der Unendlichkeit

„Die Architektur thematisiert Unendlichkeit in einem sehr basalen Sinn, denn ein Gebäude schneidet ja einen Teil aus dem Unendlichen heraus. Architektur...

„Die Architektur thematisiert Unendlichkeit in einem sehr basalen Sinn, denn ein Gebäude schneidet ja einen Teil aus dem Unendlichen heraus. Architektur...

„Die Architektur thematisiert Unendlichkeit in einem sehr basalen Sinn, denn ein Gebäude schneidet ja einen Teil aus dem Unendlichen heraus. Architektur kann somit sinnbildlich für das Endliche im Unendlichen stehen“, sagt der Filmemacher Christoph Schaub im Booklet. Er traut sich mit dem neunzig-minütigen Film ‚Architektur der Unendlichkeit’ in einem zweidimensionalen Format über ein dreidimensionales Erlebnis. Das schafft er über den emotionalen Zugang mit Licht, Ton, Musik und lässt den inneren Bildern mit Assoziationen, Erinnerungen der ZuschauerInnen befreiten Lauf.

Er lässt die Großen zu Wort kommen und sakrale Räume öffnen: Peter Zumthor in der Feldkapelle-Bruder-Klaus und dem Kolumba Museum in Köln; Álvaro Siza Viera in der Kirche Santa Maria in Marco de Canaveses im Norden Portugals; Peter Märkli in seinem archaischen Raum La Congiunta im Tessin, der nicht Kirche und nicht Museum ist, aber die in sich ruhenden Figuren Hans Josephsons inszeniert. In diesen Filmpassagen wird auch das Rätsel der begleitenden Percussion gelöst. Der Schweizer, in New York lebende Jazz-Schlagzeuger Jojo Mayer ist im Bild und performt an Wand und Boden. Mit Christina Iglesias Installationsprojekt und James Turrells Skyspace am Arlberg gibt es noch eine künstlerische Aufladung.

Doch nach welchen Kriterien hat der Filmemacher die Menschen und Projekte ausgewählt? „Einerseits mussten die Protagonisten und Bauwerke in Bezug auf mein Erzählinteresse inspirierend wirken. Andererseits mussten sie zueinander passen. Hierbei habe ich mir immer vorgestellt, würden sich die Protagonisten bei gutem Wein und Essen treffen, dann müssten sie sich prächtig unterhalten, sich mögen und einander respektieren – kurz: Sie sollten einen inspirierenden Abend miteinander verbringen.“

newroom, Mo., 2020.02.03



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Architektur der Unendlichkeit

28. Januar 2020newroom

Daniel Fügenschuh – zurückgeben

„Nach dem Mauerfall wurde mir erst bewusst, dass es auch diesen umgekehrten Aspekt des Wachstums gibt, nämlich eine starke Abwanderung und die Überlegung...

„Nach dem Mauerfall wurde mir erst bewusst, dass es auch diesen umgekehrten Aspekt des Wachstums gibt, nämlich eine starke Abwanderung und die Überlegung...

„Nach dem Mauerfall wurde mir erst bewusst, dass es auch diesen umgekehrten Aspekt des Wachstums gibt, nämlich eine starke Abwanderung und die Überlegung Wohnbauten zu reduzieren, um eine Modernisierung herbeizuführen. Im Westen gibt es dazu das Pendant bei den Brutalismus-Bauten. Es ist jedoch absurd, funktionierenden Wohnraum abzubrechen! Inzwischen gibt es bessere Ansätze zum Stadt-Weiterbauen, Um- und Neunutzen: Bei Großwohnsiedlungen aus den 1960er, 70er-Jahren wurden die Hochhäuser mit technisch sehr einfach gehaltenen klimatischen Pufferzonen versehen und damit ein erweiterter und attraktiver Innenraum geschaffen. Lacaton & Vassal (mit Frédéric Druot) statuierten bei der „Transformation de la Tour Bois-le-Prêtre“ in Paris ein Exempel. Im Sinne der Nachhaltigkeit ist es folgerichtiger mit dem baukulturellen Erbe aus dieser Zeit kreativ umzugeben und es nicht zu zerstören. Man gewinnt einen offensichtlichen Mehrwert! Es gibt aber auch brisante raumplanerische Themen in Zonen, wo früher Wiesen mit Einkaufszentren versiegelt worden sind und heute die Stadtentwicklung hemmen. Mitunter muss dort rückgebaut werden, um mit neuen Wohn- und Mischgebieten nach innen wachsen zu können und so lebenswerte Stadtviertel zurückgegeben werden.“

Daniel Fügenschuh, geb. 1970, Architekt, Atelier in Innsbruck, Vizepräsident der Bundeskammer der ZiviltechnikerInnen und Vorsitzender der Bundessektion ArchitektInnen. Die Renovierung der Mazagg Villa aus den 1920er-Jahren für eigene Wohnbedürfnisse und die Implementierung von Fügenschuhs Atelier unter der Erde gibt dem Ort den ursprünglichen Garten wieder zurück.

16. Dezember 2019Martina Pfeifer Steiner
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Eine Wiederentdeckung – Der Pavillon Le Corbusier in Zürich

Der Ausstellungspavillon am Zürichhorn ist der letzte baureife Entwurf Le Corbusiers. Obwohl – ein Ausstellungssaal sollte es ja nie sein. Le Corbusier...

Der Ausstellungspavillon am Zürichhorn ist der letzte baureife Entwurf Le Corbusiers. Obwohl – ein Ausstellungssaal sollte es ja nie sein. Le Corbusier...

Der Ausstellungspavillon am Zürichhorn ist der letzte baureife Entwurf Le Corbusiers. Obwohl – ein Ausstellungssaal sollte es ja nie sein. Le Corbusier hielt die projektierte Interaktion von Architektur und Mobiliar, von Malerei, Tapisserie, Plastik und Grafik „im Maßstab eines Wohnhauses“ für wirkungsvoller. „Ein Demonstrationsobjekt architektonischer Prinzipien und ein Laboratorium für die Synthese der Künste“ wurde es, wie die Autoren Arthur Rüegg und Silvio Schmed feststellen, mit einem Pavillon „aus vorfabrizierten Stahl- und Glaselementen, dessen Maße vom „Modulor“ abgeleitet sind.

Die Galeristin und Innenarchitektin Heidi Weber ist die Bauherrin und hat ihre Visionen mit großem Engagement in den 1960er-Jahren realisiert und selbstfinanziert. Als die Stadt Zürich 2014 durch den Heimfall des Baurechts zur Eigentümerin des Le Corbusier Pavillons wurde, stellte man sich der anspruchsvollen Herausforderung das integral denkmalgeschützte Bauwerk für einen zeitgemäßen Ausstellungsbetrieb wieder Instand zu setzen. Durchaus adäquat, dass darüber eine Publikation erschienen ist.

Angenehm unaufgeregt kommt das Buch daher. Es ist was es ist. Nämlich die Dokumentation des Hochbauamts der Stadt Zürich über die Restaurierung eines Architektur-Juwels. Prägnante Texte, ganzseitige, aktuelle Fotos, Bildmaterial aus der Vergangenheit, auch Baustellenfotos, unterlegt mit interessanten, gut lesbaren Erläuterungen machen das Blättern im Bilderbuch zu einer kurzweiligen, anschaulichen Entdeckungstour durch den Pavillon.

Ein Exempel sei herausgepickt: Das seitenfüllende Foto zeigt „die defekten und stark verrosteten Einbauleuchten – hier ein Beispiel im Rampenbereich – mussten nachgebaut und mit neuen Kabelabschnitten ausgestattet werden; die 220-Volt-Beleuchtung und die integrierte 12-Volt-Notleuchte wurden erneuert. Die Abdeckung des Gehäuses erfolgte mit den originalen Gussglas-Scheiben.“ Und gegenüberliegend die Illustration: „Rampe mit bauzeitlichem Noppenbelag („Pirelliboden“); Wandleuchten nach der Instandsetzung.“ Man muss also nicht nach Zürich fahren, um in diese faszinierende Le Corbusier-Welt einzutauchen, man wird jedoch nach Lektüre dieses Buchs die nächstbeste Gelegenheit ergreifen, dies zu tun.

newroom, Mo., 2019.12.16



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Pavillon Le Corbusier Zürich

26. November 2019Martina Pfeifer Steiner
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Jeden Tag eines abreißen

Das ist unterhaltsame Architekturvermittlung! Der Abrisskalender, bei dem man Tag für Tag vergnüglich eine Bausünde abreißen darf. Turit Fröbe, Architekturhistorikerin,...

Das ist unterhaltsame Architekturvermittlung! Der Abrisskalender, bei dem man Tag für Tag vergnüglich eine Bausünde abreißen darf. Turit Fröbe, Architekturhistorikerin,...

Das ist unterhaltsame Architekturvermittlung! Der Abrisskalender, bei dem man Tag für Tag vergnüglich eine Bausünde abreißen darf. Turit Fröbe, Architekturhistorikerin, Urbanistin und passionierte Baukulturvermittlerin bietet mit einer subjektiven Leichtigkeit Gelegenheit dazu. Sie kann auf ein umfangreiches Archiv zurückgreifen, beschäftigt sie sich doch seit Jahren intensiv mit dem Aufspüren von außerordentlichen Architekturen. Im Bestseller „Die Kunst der Bausünde“ (Quadriga Verlag) war sie schon 2013 auf der Spur des Schönen im Hässlichen.

366 Bausünden zum Abreissen. Jeden Tag ein Abbild davon, da braucht es nicht viel Erläuterung dazu. Die Verortung ist interessant, sagt jedoch nichts aus über die Stadt oder das Quartier, wo diese Bausünden zu finden sind. Viele der Beispiele stellen sich derartig übertrieben – jedoch zweifellos ernst gemeint – dar, dass sie als boshafte Persiflage gelten könnten. Manche werden mit einem witzigen Kommentar versehen, so wie bei der Bildsequenz ab Montag 03.02.2020: Berlin | Sehr beliebt: die Gabione (Anm.: das sind die gefragten Steinkörbe, die es im Baumarkt für Gartenabgrenzungen gibt). Entweder kompakt, ...; Dienstag 04.02.2020: Hamm | ... dekorativ auf Lücke gesetzt ...; Mittwoch 05.02.2020: Karlsruhe | ... oder kunstvoll arrangiert. Ein Hingucker! Und als Nachschlag am Donnerstag 06.02.2020: Ludwigsburg | Waschbeton hinter Gittern = moderner Gabionen-Look.

Wer mit offenen Augen durch die Welt geht, wird nach diesem täglichen Impuls die gebaute Umwelt mit den eigenen Entdeckungen als Belustigung empfinden! Beim Abrisskalender ist an alles gedacht: dass er schmuck aufzustellen ist, dass genüsslich abgerissen werden kann, nur die Box, in der man die Fundstücke sammeln, vielleicht sogar kategorisieren könnte, muss die Leserin selbst organisieren.

newroom, Di., 2019.11.26



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Der Abrisskalender 2020

06. August 2019Martina Pfeifer Steiner
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Fußballlegende und Architekt

Assoziationsreich: Der Name Gerhard Hanappi lässt an erfolgreiche Fußballzeiten in der Nachkriegszeit denken, vielleicht taucht auch ein Bild der Tragstruktur...

Assoziationsreich: Der Name Gerhard Hanappi lässt an erfolgreiche Fußballzeiten in der Nachkriegszeit denken, vielleicht taucht auch ein Bild der Tragstruktur...

Assoziationsreich: Der Name Gerhard Hanappi lässt an erfolgreiche Fußballzeiten in der Nachkriegszeit denken, vielleicht taucht auch ein Bild der Tragstruktur des Gerhard-Hanappi-Stadions auf, im sentimentalen Nachsinnen. Das „St. Hanappi“ in Wien Hütteldorf wurde vom dort residieren Club nicht nur nach seinem bekannten Spieler benannt, sondern von eben diesen geplant. Gerhard Hanappi war nämlich auch Architekt. Und weil dieses Zeugnis österreichischer Nachkriegsarchitektur 2014 für die neue Spielstätte von Rapid Wien weichen musste, war diese Architektur ein guter Ausgangspunkt, die Biografie eines Doppeltalents in seiner Zeit aufzurollen.

Gut, dass man noch vor dem drohenden Abbruch die Idee hatte, das Stadion fotografisch aufzuarbeiten. Gut, dass die Enkelin und Filmemacherin Katalin Hanappi für den ORF eine Dokumentation über Gerhard Hanappi machen durfte. Lauter Fügungen, die zum Buchkonzept führten. Der Beitrag „Mein Opa“ wird dann auch zum Kernstück der Publikation. Katalin Hanappi geht es zwar – ganz dem Titel entsprechend – sehr persönlich an, doch die tiefgründige Recherche bringt eine schillernde Biografie zutage. Inwieweit man sich in die Wiener Sportkultur, in einen sozial- und wirtschaftshistorischen Streifzug durch das Meidling der 1930er-/40er-Jahre vertiefen möchte, kann jede/r selbst entscheiden. Interessant ist jedenfalls, sich mit den verlorenen Bauten mit durchwegs hoher Qualität zu beschäftigen.

Gerhard Hanappi studierte neben seiner Sportkarriere Architektur an der Technischen Hochschule Wien und arbeitete in der Stadtplanung unter Roland Rainer im Wiener Rathaus, bevor er nach seiner Laufbahn als Fußballer ein eigenes Architekturbüro eröffnete. Wohnbauten, Tankstellen und Sportstätten plante er, das Kapitel „Gefundene Werke“ gibt Einblick. Doch wie bei so vielen ArchitektInnen, die keinen Eingang in die Architekturgeschichte gefunden haben, sind seine architektonischen Spuren kaum mehr zu finden und die Werke nur noch fragmentarisch dokumentiert.

newroom, Di., 2019.08.06



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Gerhard Hanappi Fussballer und Architekt

11. Juni 2019Martina Pfeifer Steiner
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Er fehlt

Ein Pionier der Vorarlberger Baukünstlerszene ist nicht mehr. Rudolf Wäger ist am 20. April 2019 gestorben. Nichts Schöneres, als mit ihm über Architektur...

Ein Pionier der Vorarlberger Baukünstlerszene ist nicht mehr. Rudolf Wäger ist am 20. April 2019 gestorben. Nichts Schöneres, als mit ihm über Architektur...

Ein Pionier der Vorarlberger Baukünstlerszene ist nicht mehr. Rudolf Wäger ist am 20. April 2019 gestorben. Nichts Schöneres, als mit ihm über Architektur zu reden, seinen Betrachtungen zu folgen, über die Meilensteine, über die Arbeiten von KollegInnen, über seine Bauten. Er interessierte sich auch sehr für die Interviewreihe »nextroom fragt«, bei der die Architekturdatenbank nextroom.at im Zwei-Wochen-Rhythmus mit fünf konstanten Fragen Einblick in den Arbeitsalltag und die Bedingungen für Architektur gibt. Er sei ja noch nicht befragt worden, beanstandete er spaßeshalber. Das konnte natürlich umgehend berichtigt werden und es entstand das folgende Interview. Wer hätte sich gedacht, dass es sein letztes sein sollte.

In welchen Bürostrukturen hast Du gearbeitet?

Da muss ich umfassend werden, das geht gar nicht anders. Nach einigen Stationen als Zeichner, Bauleiter, dann wieder als Geselle in der Zimmerei und Zeichner von Fensterdetails bei einem Schreiner kam der erste Planungsauftrag von meiner Cousine. Ihr Vater war Dachdecker, das Haus in Götzis haben wir weitgehend auch selbst gebaut. Wir Brüder haben dann zu dritt mit Sigi das Haus von Heinz in Angriff genommen: Gemeinsam geplant und selbstverständlich ausgeführt, Säulen betoniert, Stahlträger, Betondecke, im oberen Stock innen Sichtmauerwerk, außen Holzverschalung. 1965 kam schon das Würfelhaus, auch am Grundstück unseres Vaters. Das habe ich in einem halben Jahr selbst aufgestellt, gelebt habe ich damals wohl vom aufgenommenen Kredit. 160.000 Schilling hat es gekostet. Naja, und dann ist es wirklich losgegangen mit dem Planen, gearbeitet habe ich am Esstisch, meistens abends, wenn die Kinder schon im Bett waren. Das war sozusagen meine erste Bürostruktur! Es folgte dann schon die Reihenhaussiedlung Ruhwiesen in Schlins, wo ich ein Arbeitszimmer in unserem Hausteil hatte. Die Intermezzi mit den gemeinsamen Büros mit meinem Bruder Sigi an den verschiedenen Standorten, möchte ich jetzt nicht einordnen. Jedenfalls bin ich nach zirka zehn Jahren mit eigenem Büro in meiner Wohnung in der Neustadt, Feldkirch, 1992 nach Satteins ins neu gebaute Atelier übersiedelt. In dieser Zeit hatte ich immer so vier bis fünf MitarbeiterInnen. In Satteins habe ich dann auch im Atelier gewohnt, bis ich 2010 noch einmal ein Haus gebaut habe, hier in Übersaxen.

Was inspiriert Dich?

Ich kann sagen was mich inspiriert hat. Am Anfang waren das die dänischen Häuser, in erster Linie von Arne Jacobsen oder die finnischen von Alvar Alto beispielsweise. Und selbstverständlich hat mich F. L. Wright und Le Corbusier inspiriert. Genauso Craig Ellwood, das ist ein super Amerikaner sowie das Ehepaar Ray und Charles Eames. Und logisch, wir haben Zeitungen angeschaut, sind gereist, haben viel gesehen was uns fasziniert hat!
Man muss sich nur die Kapelle Notre Dame du Haut de Ronchamp anschauen. Le Corbusier ist französisch-locker, das kann man so sagen: Einmal das schiffsförmige Dach, wie er dieses auf den Baukörper gesetzt hat! Man könnte denken, das kann sich doch niemand erlauben – aber es passt genauso wunderbar! Und dann die vielen komponierten kleinen Ausschnitte, mit den eingesetzten farbigen Gläsern, oder im hinteren Turm, über der Taufkapelle, wo im roten Schimmer das Licht seitlich hereinfällt, das ist nur einem Le Corbusier möglich gewesen. Oder wie er die Kirche vom Kloster Sainte-Marie-de-la-Tourette als sture Kiste hinsetzt, mit einem Deckel drauf und dann diesen Lichtschlitz belässt, auch wie sich die Altäre für die Übenden abgestuft hinunter ziehen, diese Lockerheit fasziniert mich.
Man sieht das auch bei seinen ganz normalen Häusern – ganz normale Häuser gibt es zwar bei Le Corbusier nicht – wie La Petite Maison für seine Eltern am Genfer See: allein bei den Nebenräumen, wie dort alles hineingebastelt ist, aber es stimmt perfekt. Die Villa Savoye ist vielleicht etwas stringenter, doch später ist er noch lockerer geworden, hat halt irgendwo eine Säule hingesetzt, wo er fand da braucht und will er sie, formal einwandfrei!
Eine ganz späte Geschichte ist der Ausstellungspavillon für die Kunstsammlerin Heidi Weber in Zürich, auf einem wunderschönen Grundstück am See. Unter die freistehende Dachkonstruktion aus Stahl stellt Le Corbusier modulare Ausstellungsräume mit Außenwänden aus emaillierten Metallplatten. Vor zwanzig, dreißig Jahren sind wir dorthin gepilgert. Nachdem es jahrelang geschlossen war, ist es jetzt renoviert und wiedereröffnet worden.
Beeindruckend sind für mich auch die Häuser von F. L. Wright. Zum Beispiel ein ganz interessantes Gebäude [Solar Hermicycle, Middleton, Wisconsin], das mit einem halbkreisförmigen Grundriss, wie eine Bananenform, sehr schön in die Landschaft eingefügt ist. Auf der Nordseite verschwindet es im aufgeschütteten Erdwall, nach Süden reichen die Glasflächen über beide Stockwerke, der Dachüberstand ist auf die Sonnen-Einstrahlungswinkel im Sommer wie Winter hin genau berechnet und die Galerie vor den Schlafzimmern wie ein Balkon von den Dachsparren abgehängt, damit das Erdgeschoß stützenlos bleibt. Die intensive Beschäftigung mit solchen Meilensteinen fasziniert mich nach wie vor.

Was begrenzt die Verwirklichung Deiner Visionen?

Der Bauherr zum Beispiel, mit seinen überzogenen Wünschen oder mit seinen festgefahrenen Vorstellungen. Und vor allem das Geld! Ja, mit einem Wort – die Realität. Wenn ich mich nicht locker über die Realität hinwegsetzen kann, dann ist es halt auch ein Hindernis, wenn ich darauf achten muss, dass jedes Detail sitzt, das Haus auch funktioniert und die Kosten eingehalten werden.

Worüber sollten ArchitektInnen reden, einen Diskurs anzetteln?

Über das Bauen! Den Jungen würde ich ganz dringend folgendes vorlesen: „Österreich ist Europameister im Bodenverbrauch. Täglich werden hierzulande knapp 13 Hektar Land mit Häusern, Straßen, Gewerbegebieten und Industriehallen verbaut, was der Größe von 18 Fußballfeldern entspricht.“ Das muss man sich einmal vorstellen! „Zielvorgabe der EU wären 2,5 Hektar pro Tag. Das heimische Straßennetz ist mit 15 Metern pro Kopf eines der dichtesten Europas. Zum Vergleich: Deutschland und die Schweiz bringen es mit acht Metern pro Kopf nur auf die Hälfte. Der Grund für das eifrige Bauen ist klar: Die Bevölkerung wächst in vielen Regionen, und die braucht Platz. Das passiert auch in anderen Staaten, wovon die meisten jedoch mit mehr raumplanerischem Weitblick ans Werk gehen. Hierzulande hingegen wird die Menge leerstehender Gebäude auf 40.000 Hektar geschätzt, das entspricht der Fläche der Stadt Wien. Dennoch ist es günstiger, einen Neubau auf die grüne Wiese zu stellen, als im Dorfkern einen Altbau zu sanieren. Bauland und Mieten sind im Gewerbegebiet billiger als in der Innenstadt. Zwischen Vorarlberg und dem Burgenland ist die Landschaft mit 150 Groß-Einkaufszentren und knapp 300 Fachmärkten zugepflastert. Die Bürgermeister reißen sich darum, denn sie spülen Kommunalsteuern in die Kassen. Warum überlässt die Regierung dieses äußerst wichtige Zukunftsthema Ländern und Gemeinden, die der Aufgabe offensichtlich nicht gewachsen sind?“ Das ist ein Artikel der im Profil Nr. 3/50. Jahrgang/13. Jänner erschienen ist, mit dem Titel „Das leise Sterben: Wie unsere Tier- und Pflanzenwelt verschwindet“ und die Überschrift dieses Kapitels lautet „Betonland Österreich“. Es ist ja wirklich verrückt, was wir mit der Umwelt anstellen! Heute muss ich einen Tag lang aus dem Fenster schauen, damit ich zwei Vögel vorbei fliegen sehe! Genau das sind die Themen, über die ein Architekt nachdenken muss: über den Umweltschutz! Und man darf sich schon fragen, ob die Architektur im engeren Sinn noch so wichtig ist!

Auswahl der Bauwerke

Die fünfte Frage wäre, welches der Projekte hervorgehoben werden sollte. Aber das konnten wir uns definitiv schenken, in Anbetracht dessen, dass wir schon stunden- bzw. tagelang fokussiert auf die Monografie, die zu seinem 80. Geburtstag erscheinen wird, die Bauwerkeliste von über 120 Objekten ausführlich bearbeitet hatten. Es ist ein Privileg für den kleinen Kreis der Vertrauten, denen Rudolf Wäger erlaubt hat, sein Werk aufzuarbeiten, dass die gestundete Zeit noch genutzt werden durfte. Niemand konnte wissen, dass nur noch so wenig davon bleiben sollte, alle haben diese Zeit jedoch als unermesslich wertvoll geschätzt. Lassen wir den bekannten Architekturpublizisten Otto Kapfinger zum Schluss noch zu Wort kommen, der in seinem Nachruf schreibt: „Ein großes Buch, das sein Werk erstmals ganzheitlich darstellen soll, war im letzten Jahr unter seiner Mitwirkung schon im Werden. Er hat es nicht erlebt. Doch es wird einmal kommen – und uns dabei unterstützen, ja herausfordern, sein Vermächtnis, sein Ideal wieder zu verstehen, es weiterzutreiben, weiterzuleben.“

newroom, Di., 2019.06.11

04. Juni 2019Martina Pfeifer Steiner
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In die Welt der Giedions eintauchen

Vielversprechend vermittelt das Titelbild eine Ahnung über die Fülle des Archivmaterials, das in dieser Publikation erschlossen werden könnte. Es stellt...

Vielversprechend vermittelt das Titelbild eine Ahnung über die Fülle des Archivmaterials, das in dieser Publikation erschlossen werden könnte. Es stellt...

Vielversprechend vermittelt das Titelbild eine Ahnung über die Fülle des Archivmaterials, das in dieser Publikation erschlossen werden könnte. Es stellt sich dann tatsächlich heraus, dass die berstenden Regale – Wohnbedarf-Modell 131 von Marcel Breuer – und der runde Aalto-Tisch mit Bergen von Dokumenten, Dossiers im Arbeitszimmer von Sigfried Giedion und Carola Giedion-Welcker stehen. Die Villa des außergewöhnlichen Kunsthistorikerpaars in Zürich wurde 1979, kurz nach dem Tod von Carola, dokumentarisch durchfotografiert.

‚Raum, Zeit und Architektur’, das Werk, in dem Sigfried Giedion 1941 seine amerikanischen Vorlesungen veröffentlichte, war doch die Pflichtlektüre im Architekturstudium. Nicht minder in Fachkreisen bekannt: Carola Giedion-Welcker, die sich als eine der ersten deutschsprachigen Forscherinnen mit James Joyce auseinandersetzte. Durch einen unglaublichen Glücksfall wurde 2016 bei der Sichtung der Restbestände anlässlich der Räumung der Giedion-Villa ein entscheidender Fund gemacht: Im Dachboden wurden neben Möbeln, Plakaten und Kisten voller Arbeitsmaterial ein wahrer Schatz gehoben – die 1000 Briefe umfassende Korrespondenz des Ehepaars aus fünf Jahrzehnten. Diese bisher unbekannten Schriften schließen viele Informationslücken, machen neue Geschichten und das persönliche wie fachliche Verhältnis der beiden lesbar.

„Sigfried Giedion und Carola Giedion-Welcker im Dialog“ lautet der Titel nicht von ungefähr. Vom neu entdeckten Material ausgehend wurde der Inhalt dieses Buches entwickelt. Gerade weil zu beiden Kunsthistorikern bereits ausführliche Biografien vorliegen, werden nun gezielt einzelne Ereignisse und Momente herausgegriffen, die von besonderer Bedeutung sind und ihr gemeinsames Leben charakterisieren. Die authentische Wiedergabe der Archivalien erlaubt es, tief in die Welt der Giedions abzutauchen. Das abgebildete und transkribierte Material spielt die Hauptrolle, erläuternde Texte zu den Themen der einzelnen Kapitel halten sich im Hintergrund. Fünf eingeschobene Kapitel mit den Korrespondenzen des Ehepaars bilden das chronologische Gerüst. Aus fünf Jahrzehnten wurden jeweils Zeiträume von nur wenigen Monaten ausgewählt. Dies gibt einen punktuellen, intensiven Eindruck über das Alltagsleben, die Lebenssituation, das Zeitgeschehen und die aktuellen Projekte der beiden.

Komfortabel im Bilderbuch blätternd begibt man sich auf individuelle Entdeckungsreise in ein faszinierendes Archiv, bei dem die Bilderzählung jedes Kapitels zum Ausgangspunkt für überraschende Erkenntnisse werden kann. Der durchgängige, weiße Fußnoten-Streifen mit Verortung, Erläuterung oder Transkription der handschriftlichen abgebildeten Dokumente, Fotos, Abbildungen der Kunstsammlung machen das völlig frei von Anstrengung. Wie inspirierend ist doch diese Welt der Giedions!

newroom, Di., 2019.06.04



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Die Welt der Giedions

09. Mai 2019Martina Pfeifer Steiner
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Behaglichkeit und Luxus für jeden

„Anne Lacaton und Jean-Philippe Vassal beschäftigen sich seit Jahrzehnten mit einer sozialen Architektur, die für sich den Anspruch hat, „luxuriös“ im...

„Anne Lacaton und Jean-Philippe Vassal beschäftigen sich seit Jahrzehnten mit einer sozialen Architektur, die für sich den Anspruch hat, „luxuriös“ im...

„Anne Lacaton und Jean-Philippe Vassal beschäftigen sich seit Jahrzehnten mit einer sozialen Architektur, die für sich den Anspruch hat, „luxuriös“ im eigentlichen Wortsinn zu sein – „ein Sich-zeigen“. Es geht dabei um Formen der Großzügigkeit im Alltag, die einem sozialpolitischen Anspruch folgen. Dabei wählen sie einfache Materialien um Wohnraum zu erweitern, zu adaptieren, neu entstehen zu lassen.“ Damit fasst Verena Konrad die Themen der neuen Ausstellung im vai – mit dem Untertitel „Pleasure and Luxury for Everyone“ – zusammen. Ihre Motivation diese Schau, die 2018 im aut – architektur und tirol in Innsbruck gezeigt wurde nach Dornbirn zu holen, ist schnell erklärt: „Inspiration. Wir wollen Anregungen für die Veränderung von Bestand und für einen Diskurs zum Wohnbau der Gegenwart vermitteln.“

Besonders interessant sei dieser Zugang bei den Transformationen von Großsiedlungen aus den 1960er- und 1970er-Jahren. In der 2004 mit Frédéric Druot veröffentlichten Studie „PLUS“ setzen sich Lacaton & Vassal gegen die Sprengung von Großwohnsiedlungen aus den 1960er- wie 1970er-Jahren ein. Sie reagieren damit auf Pläne des französischen Staats, Wohnbauten aus dieser Zeit durch neue zu ersetzen und zeigen auf, dass Erhalt und Umnutzung sozial, ökonomisch und ökologisch nachhaltiger sind. Sie entwickelten daher ein Konzept, mit dem unter Beteiligung der BewohnerInnen und einfachen Maßnahmen solche Wohnhochhäuser umgerüstet werden können. Ohne dass die Leute während der thermischen Sanierung ausziehen müssen, bekommen die Wohnungen eine zweite, luzide Raumschicht aus Wintergarten und Balkon vorgelagert, und das bei gleichbleibender Miete!

Luxus durch Wintergärten

Bereits 1993, bei ihrem ersten Projekt, dem Einfamilienhaus Latapie, zeigte sich der kreative Zugang von Lacaton & Vasall deutlich: Eine adaptierte Gewächshauskonstruktion stülpt sich über einen einfachen Holzbaukörper und definiert eine klimatische Hülle als erweiterten Lebensraum. So entstanden 185 m² Nutzfläche für damals etwas mehr als 55.000 Euro. Weniger ausgeben für Mehr, das war immer schon ihr Prinzip. Das Konzept der Wintergärten nimmt in weiterer Folge eine zentrale Rolle in ihrem Werk ein. Damit reduzieren sich nicht nur die Baukosten, die bioklimatischen Bedingungen sind ideal, die Kubaturen bieten alle Freiheiten der Aneignung und vor allem den Luxus von Großzügigkeit.

Dies gilt auch für die experimentelle Reihenhaussiedlung „Cité Manifeste“ in Mulhouse, das Projekt mit dem Lacaton & Vassal international bekannt wurden. Auch in der ersten Ausstellung in den neuen Räumlichkeiten der Marktgasse des vai „9by9 Wohnmodelle weltweit“ war dieses Projekt beispielgebend. Von den fünf für das Areal am Rande der historischen Arbeitersiedlung beauftragten Architekturteams erfüllten sie mit ihrem Wohnprojekt am konsequentesten den Anspruch auf mehr Raum, nicht nur weil sie fast das doppelte Volumen des üblichen Standards im sozialen Wohnbau errichteten, sondern auch weil die Loft ähnlichen Wohnungen viel Spielraum für Individualität und Kreativität zulassen. Gleichzeitig werden die gewohnten Klischees der NutzerInnen herausgefordert und die Maxime der Raumreduktion im sozialen Wohnbau in Frage gestellt.

Als ein Weiterdenken gilt der soziale Wohnbau „Jardins Neppert“ aus den Jahren 2014/15 mit 59 Einheiten, ebenfalls in Mulhouse, ebenfalls mit derselben Bauherrschaft. Wieder ist es keine standardisierte Architektur, sondern befreit Funktionen wie Nutzungen von ihren künstlichen Grenzen und schafft Außenräume um die Innenräume zu erweitern. Radikale Ressourcenminimierung, unkonventionelle Materialien und Gebäudetypologie bringen mehr Raum, Offenheit, Licht und Komfort als die herkömmlichen Wohnanlagen.

Eins-zu-eins Atmosphäre

In den Räumlichkeiten des vai empfangen raumfüllende Projektionen des transformierten Pariser Wohnhochhauses beim Tour Bois-le Prêtre die BersucherInnen mit der charakteristischen Großzügigkeit der Bauten von Lacaton & Vasall. Die meisten Bilder ihrer Architekturen zeigen Innenräume in ihrer alltäglichen Unperfektheit. Das vermittelt aber sehr beeindruckend die Atmosphäre, die ja durch die Benutzung so einzigartig wird. Man wähnt sich mittendrin, steht mit den Leuten am Balkon und schaut in die Ferne. Diese Art der Eins-zu-eins Darstellung wählten Lacaton & Vassal auch bei der vergangenen Architekturbiennale in Venedig, bei der sie für einen Beitrag im Hauptpavillon in den Giardini eingeladen waren.

Großformatig wird auch das Schaufenster in der Marktgasse beklebt. So findet man sich wieder im inspirierenden Ambiente, schmökert in Büchern und Projektdokumentationen oder folgt den Video-Vorträgen der beiden, die konzeptionelle Alternativen zu aktuellen Diskussionen im sozialen Wohnbau anbieten. Im anderen Teil der vai-Ausstellung gibt es als Blickpunkte Slideshows, die weitere wichtige Projekte präsentieren, wie die vielbeachtete Renovierung der Kulturlocation „Palais de Tokyo“ in Paris oder auch das „Café Una“ im Museumsquartier Wien. Auf diesen vielen kleinen Bildschirmen werden in konstruktiver und architektonischer Hinsicht ihre Entwurfsmethoden vermittelt.

Architekturtage 2019

Und so dient die Biennale hier als Überleitung zu den Architekturtagen. Diese finden nämlich heuer schon wieder und zum bundesweiten Thema „Raum Macht Klima“ statt. Man wollte zum 10. Jubiläum den biennalen Rhythmus auf den der Architekturbiennale in Venedig abstimmen um abwechselnd die Jahres-Highlights zu bieten. Die Architekturtage 2019 in Vorarlberg fokussieren dieses Jahr auf Feldkirch. Das Spannungsfeld von mittelalterlichem Stadtkern, sich weiterentwickelnden und zusammenwachsenden Stadtteilen und ein Prozess der Urbanisierung der gesamten Region gibt interessante Ansatzpunkte für das vom vai Vorarlberger Architektur Institut zusammengestellte Programm. StadtgestalterInnen und NutzerInnen führen an ungewöhnliche Orte, geben Einblick in ihre Arbeit und Lebensweise und diskutieren stadtplanerische und baukulturelle Themen.

newroom, Do., 2019.05.09

30. April 2019Martina Pfeifer Steiner
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Unterhaltsam. querkraft gibt freimütig Einblick

Jetzt ist sie da – die erste Monografie. Nach 20 Jahren, 400 Projekten und 70 Realisierungen. querkraft will menschen raum geben. Dieser Satz blinkt auf...

Jetzt ist sie da – die erste Monografie. Nach 20 Jahren, 400 Projekten und 70 Realisierungen. querkraft will menschen raum geben. Dieser Satz blinkt auf...

Jetzt ist sie da – die erste Monografie. Nach 20 Jahren, 400 Projekten und 70 Realisierungen. querkraft will menschen raum geben. Dieser Satz blinkt auf ihrer Webseite auf. Großgeschrieben im Wortecluster sind Begriffe wie Lebenslust, Neugier, Freude, Bewegung. Und so kriegt das Buch den Titel „architektur leben“ und als Untertitel: „lustvoll querdenken“, „es ist freitag, 15 uhr, da gehen wir normalerweise nach hause“.

Alles richtig gemacht haben die Herausgeberinnen Franziska Leeb – mit Schwerpunkt Texte – und Gabriele Lenz ­– Grafik. Ein klare Struktur mit Unterteilung in Fünf-Jahres-Kapitel macht die ganze Sache kurzweilig. Einzelne Projekte werden vorgestellt: Bildreich; eine Doppelseite für zeichnerische Erläuterung mit der Projektbeschreibung, diese immer nur eine Spalte lang und wesentlich, die zweite Spalte auf Englisch.

Eingeschoben auf grau getöntem Papier – 1cm schmaler als das Buchformat – die querkraft story 1–4. Und hier wird es so richtig unterhaltsam. Jakob Dunkl, Gerd Erhartt und Peter Zapp erzählen locker dahin, wie alles 1998 begann, über die ersten Aufträge, Episoden, Anekdoten, illustriert mit vielen kleinen Fotos, z. B. von aufgestapelten „Plotteggs“, die zu Stehtischen werden. Man erfährt, dass es sich um die erste gemeinsame Aufgabe eines Ausstellungsdesigns handelte. Eine beachtliche Stückzahl Silageballen ließen sie mit dem Traktor in die Technische Universität am Wiener Karlsplatz bringen und stellten Apple-Monitore drauf. Dass die Ballen dann zu „safteln“ begannen und den Natursteinboden verätzten, war die inkludierte Challenge.

Ein Schlüsselprojekt für querkraft war 2004 das Adidas Brand Center am Firmencampus in Herzogenaurach, Deutschland. Sie wunderten sich schon, dass sie aus zirka 250 internationalen Büros unter den 29 ausgewählten Wettbewerbsteilnehmern waren, und noch mehr, als sie gewannen. Zur Entscheidungs-Präsentation blieb der Anzug dann im Koffer, Peter und Gerd blieben authentisch und gingen in T-Shirt und Jeans hin.

Des Weiteren wird erzählt, wie es 2014 zum Bürostandort in der Wiener Börse kam, der ja eigentlich viel zu feudal war, und wie sie nach guten Verhandlungen doch auf die Einladungskarte zum rauschenden Eröffnungsfest schrieben: „querkraft geht an die börse!“
Natürlich sind das Liaunig Museum und der Holzwohnbau in Seestadt Aspern schön mit seitenfüllenden Fotos dokumentiert. In der querkraft story vol.4 kommt der Ausblick auf die Realisierungen auch nicht zu kurz, denn es handelt sich ja um Projekte, die querkraft teilweise schon jahrelang beschäftigen: Die Entwicklung des ersten urbanen IKEA beim Wiener Westbahnhof zum Beispiel. Oder der kürzlich gewonnene Wettbewerbsentwurf für den österreichischen Pavillon auf der EXPO 2020 in Dubai.

Zum Schluss gibt es noch ein vergnügliches Interview mit querkraft von Jan Tabor und den Herausgeberinnen. Wir erfahren dabei endlich, wie es zu „querkraft“ kam und dass der Namensfindungsprozess sehr mühsam war. Sogar Autor Wolfgang Haas, der damals noch Werbetexter war, hatten sie gefragt. Und dann, beim Schifahren, tauchte das Wort querkraft auf. „Auf der Heimahrt haben wir über „Querkraft“ diskutiert. Haben aber auch bei jedem Ortschild, das wir passiert haben, erwogen, ob nicht auch irgendein Ortsname passen könnte. Zürs vielleicht? Zuletzt war RAX, nach der Raxalpe, einem der Wiener Hausberge, gut im Rennen.“ Aber dann merkten sie langsam, dass der Name „querkraft“ super ist: „... Ein Vorteil ist, dass er mit Q beginnt, da gibt es wenige.“

newroom, Di., 2019.04.30



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querkraft – livin‘ architecture / Architektur leben lustvoll querdenken

21. April 2019Martina Pfeifer Steiner
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bauhaus imaginista – Das Buch zur Ausstellung

Großformat, Rot, Gelb, Weiß, die Buchstaben des Titels eingeprägt und assoziationsreich: „bauhaus imaginista Die globale Rezeption bis heute“ – man nimmt...

Großformat, Rot, Gelb, Weiß, die Buchstaben des Titels eingeprägt und assoziationsreich: „bauhaus imaginista Die globale Rezeption bis heute“ – man nimmt...

Großformat, Rot, Gelb, Weiß, die Buchstaben des Titels eingeprägt und assoziationsreich: „bauhaus imaginista Die globale Rezeption bis heute“ – man nimmt das Buch zur Hand und will sich darauf einlassen. Auch grafisch wird die Neugierde an keiner Stelle eingebremst: klare Gliederung, genug Weißraum, gut zu lesen, seitenfüllende Illustrationen, die Erläuterungen dazu immer naheliegend.

Und das funktioniert sehr gut als Buch, auch wenn es als nachhaltiger Katalog zum internationalen Ausstellungs- und Veranstaltungsprojekt „bauhaus imaginista“ entstanden ist. Zum 100-jährigen Gründungsjubiläum erforscht dieses Projekt die globalen Verflechtungen im Kontext der geopolitischen Veränderungen des 20. Jahrhunderts. Es ist ein Versuch, auf vielfältige Weise nachzuverfolgen, wie die gestalterischen Ideen und ganzheitlichen Kunstkonzepte des Bauhauses das alltägliche Leben innerhalb Deutschlands beeinflussten und die Ansätze, die es mit anderen Protagonisten in Europa, Asien, Nord- und Südamerika teilte.

Ausgangspunkt für vier Kapitel sind Objekte, die ideelle wie materielle Hinterlassenschaften des Bauhauses und die Themen der Gegenwart tangieren. Kapitel 1 „Corresponding With“ beginnt mit dem Bauhaus-Manifest, das Walter Gropius 1919 anlässlich der Gründung der Schule verfasste. Veröffentlicht neben dem expressionistischen Holzschnitt einer Kathedrale von Lyonel Feininger, fordert es Künstler aller Sparten auf, Handwerker für den Bau der Zukunft zu werden. „D a s E n d z i e l a l l e r b i l d n e r i s c h e n T ä t i g k e i t i s t d e r B a u ! Ihn zu schmücken war einst die vornehmste Aufgabe der bildenden Künste, sie waren unablösliche Bestandteile der großen Bestandteile der großen Baukunst. Heute stehen sie in selbstgenügsamer Eigenheit, aus der sie erst wieder erlöst werden können durch bewußtes Mit- und Ineinanderwirken aller Werkleute untereinander.“ Dieses Manifest wird in Beziehung gesetzt mit den Ansätzen der parallel entstandenen Kunst- und Designhochschulen in Asien, die sich ebenfalls mit der Gestaltung des Zusammenlebens beschäftigten.

„Learning From“ geht von einer kleinen Tuschezeichnung aus, in der Paul Klee geometrische Muster eines maghrebinischen Teppichs aufgreift und weiterentwickelt. Lernprozesse, Aneignungen und die aus ihnen resultierenden Synthesen von Objekten vormodernen Kunsthandwerks bis hin zu modernem Design werden in diesem zweiten Kapitel untersucht.

Kapitel 3 ‚Moving Away’ beginnt mit Marcel Breuers Collage „ein bauhaus-film (1926)“, der die Designgeschichte in eine unbekannte Zukunft fortschreibt. Diese Collage wurde in den Ausklappseiten der ersten von Gropius herausgegebenen Ausgabe der „bauhaus. zeitschrift für gestaltung“ 1926 veröffentlicht und persifliert quasi eine Zeitschriftenanzeige. Die filmische Collage, die eine Reihe seiner zwischen 1921 und 1925 entworfenen Stühle zeigt, wird zum Ausgangspunkt der Befragung einer modernen Haltung, die Design als Mittel zur Verbesserung des Alltags begreift.

Am Ende „Still Undead“: 1922 entwickelte der Bauhaus-Student Kurt Schwerdtfeger einen experimentellen Licht- und Schattenapparat für ein Bauhausfest. Das reflektorische Lichtspiel, das mit dieser neuartigen Apparatur und einer Gruppe von Performern erzeugt werden konnte, wurde von einem eigens arrangierten Sound begleitet, und in der Wohnung von Wassily Kadinsky uraufgeführt. Die Sinneswahrnehmungen des modernen Menschen sollten damit auf neue Weise stimuliert werden. Diese am Bauhaus entwickelten Konzepte neuer partizipativer Medienumgebungen fanden ihren Platz in der Lehre und Forschung in den Vereinigten Staaten.

„... Wollen, erdenken, erschaffen wir gemeinsam den neuen Bau der Zukunft, der alles in einer Gestalt sein wird: Architektur und Plastik und Malerei, der aus Millionen Händen der Handwerker einst gen Himmel steigen wird als kristallenes Sinnbild eines neuen kommenden Glaubens.“ So steht es im Bauhaus-Manifest 1919 von Walter Gropius. Lassen wir uns inspirieren!

newroom, So., 2019.04.21



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Bauhaus Imaginista

02. April 2019Martina Pfeifer Steiner
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Karl Schwanzer. Architekt aus Leidenschaft als Graphic Novel

„Wenn man sich entschlossen hat, Architekt zu sein, muss man den Mut aufbringen, Visionen erfüllen zu wollen“, so wird Karl Schwanzer auf schwarz-weißen...

„Wenn man sich entschlossen hat, Architekt zu sein, muss man den Mut aufbringen, Visionen erfüllen zu wollen“, so wird Karl Schwanzer auf schwarz-weißen...

„Wenn man sich entschlossen hat, Architekt zu sein, muss man den Mut aufbringen, Visionen erfüllen zu wollen“, so wird Karl Schwanzer auf schwarz-weißen Intermezzi-Seiten zitiert. Unkonventionell und rasant erzählt das bunte Comics über ein radikales Leben des bedeutenden Architekten. Die Idee dazu hatte einer seiner beiden Söhne, Martin Schwanzer. Der Titel ‚Architekt aus Leidenschaft’ ist dem des Buchs ähnlich, das Karl Schwanzer 1973 im eigens gegründeten modul-Verlag herausbrachte, der lautete nämlich ‚Architektur aus Leidenschaft’. Und diesen Anknüpfungspunkt nimmt auch der Plot der Geschichte: Der ‚Herr wegen des Buchs’ taucht auf. Ihm erzählt der Architekt in der Graphic Novel alles Relevante.

Wir erfahren, dass er 1937 an der Technischen Hochschule in Wien mit seinem Architekturstudium begann, wohin er 1959 als Professor berufen wurde. Entgegen der akademischen Praxis ließ er dort Gruppenarbeiten zu, was nicht alle gut fanden, ‚weil halt immer einer dabei ist, der nur Kaffee kocht ...’. Die Methode hatte jedoch Erfolg, denn in diesem Klima sind einige sehr interessante Architektengruppen entstanden: Haus-Rucker-Co, gegr. 1967, Coop Himmelb(l)au, gegr. 1968, ZÜND-UP, gegr. 1969, Missing Link, gegr. 1970. Auch eine Studienreise in die USA organisierte der Professor Schwanzer. Damals eine Sensation! Finanziert wurde das teure Unterfangen, indem er den Studenten Forschungsaufträge aus der Bauwirtschaft verschaffte. In Amerika wurden dann einige bedeutende Architekten besucht, wie der aus Österreich emigrierte Friedrich Kiesler oder Größen wie Louis Kahn und Philip Johnson. An der TH sorgte er für mehr Internationalität mit Vortragenden, auch aus anderen Disziplinen. Mit Hans Hass entwarfen die StudentInnen Unterwasserhäuser, die der Zeitschrift ‚Spiegel’ eine Schlagzeile wert war: ‚Tiefes Blödeln Die Architektur-Klasse der TH Wien entwarf die ersten Unterwasser-Bauten mit zivilem Komfort. Sie gleichen Blüten, Regenschirmen und Lampions.’

„Begeisterung, Leidenschaft, die mitunter zur Besessenheit ausartet, macht nicht immer viele Freunde.“ So berichtet der Architekt von seinen berühmten Projekten. Den Wettbewerb für den Österreich-Pavillon für die Weltausstellung in Montreal gewann er mit der Idee, im Inneren des Pavillons keine Exponate zu zeigen, sondern eine extra entwickelte Multimedia-Show, die ‚Austrovision’. Für die komplexe Show wurden spezielle Projektoren gebaut und Otto Schenk führte Regie. Allerdings habe das Projekt im Wettbewerb noch ganz anders ausgeschaut und es gab viel Kritik. Vor allem von Friedrich Achleitner: ‚Ein Gruselkabinett prostituierter Werte!’, ‚Ein bauliches Ringelspiel’, ‚Ein Alptraum!’. Insofern war die Kritik für Schwanzer berechtigt, weil er immer noch etwas verbessern konnte. Der Pavillon durchlief eine lange Phase der Formfindung, mit vielen Studienmodellen. Der Rest wanderte in den Papierkorb. Wegen seiner Gewohnheit auch bereits fertige Pläne wieder komplett zu verwerfen, sprach man in seinem Atelier von den ‚goldenen Papierkörben’.

Karl Schwanzer erzählt weiters, wie er zum BMW-Auftrag gekommen ist: Keinen Sieger gab es beim Wettbewerb zur BMW-Firmenzentrale in München, nur zwei 2. Preise. Es war klar, den Auftrag MUSSTE er haben! Jeden einzelnen der BMW-Aufsichtsräte besuchte er zuhause um seinen Entwurf zu bewerben. Nachdem diese sich runde Büros nicht vorstellen konnten, ging er kurzerhand ins Bavaria Filmstudio und ließ ein 1:1 Model einer Viertel-Etage bauen, bis ins kleinste Detail ausgestattet, samt Ausblick auf München vor den Fenstern und Statisten, um die Büroatmosphäre perfekt zu simulieren. Ein teurer Spaß! Aber erfolgreich. Die Projektbeschreibung: ‚Das 100 m hohe Verwaltungsgebäude ist ein sogenanntes Hängehaus. Über vier Arme eines Trägerkreuzes wurden die einzelnen runden Geschosse nach oben gezogen.’ Und wir erfahren, dass der Architekt in seinen Plänen immer schon als optisches Gegengewicht ein Gebäude eingezeichnet hatte, das nie Teil der Ausschreibung war. Doch auch hier ging seine Idee auf und er bekam den zusätzlichen Auftrag für das BMW-Museum, damals das erste durchinszenierte Werksmuseum eines Automobilherstellers.

„Das Hinabtauchen in die eigene Tiefe, der Wahrheit auf den Grund gehen, kann man nur selbst.“ Das Buch endet mit der Todesanzeige auf einem Frühstückstisch. Karl Schwanzer ist am 20. August 1975 gestorben. Doch zum 100. Geburtstag am 21. Mai 2018 feiert das Wien Museum, dass der Nachlass des Architekten von seinen Söhnen – vorbildlich geordnet – zur wissenschaftlichen Aufarbeitung und museologischen Erschließung übergeben wurde. Die „Karl Schwanzer Anthologie“ mit Fotos und Dokumenten aus 28 Jahren Architektur- und Zeitgeschichte aus dem Nachlassarchiv erscheint im Mai 2019, ebenfalls im Verlag Birkhäuser.

newroom, Di., 2019.04.02



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Schwanzer – Architekt aus Leidenschaft

02. April 2019Martina Pfeifer Steiner
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Auf den Spuren von Karl Schwanzer

Geheimnisvoll gibt sich diese Ausgabe. Der übliche Klappentext steht auf dem weißen Papier, mit dem das Buch eingepackt ist. Die Klebestreifen müssen gelöst...

Geheimnisvoll gibt sich diese Ausgabe. Der übliche Klappentext steht auf dem weißen Papier, mit dem das Buch eingepackt ist. Die Klebestreifen müssen gelöst...

Geheimnisvoll gibt sich diese Ausgabe. Der übliche Klappentext steht auf dem weißen Papier, mit dem das Buch eingepackt ist. Die Klebestreifen müssen gelöst werden, erst dann kommt ein edles Werk zum Vorschein: Großformat, nur 128 Seiten, auf dem Cover die goldgeprägten Buchstaben und Spuren einer angedeuteten Spirale, Ton in Ton.

2018, zum 100. Geburtstag von Karl Schwanzer erscheint diese Bestandsaufnahme als Spurensuche in mehrfacher Hinsicht: Die Spuren, die der Architekt über Jahrzehnte als Impulsgeber und Vordenker der zeitgenössischen österreichischen Architektur hinterlassen hat und genauso die Spuren, welche durch die Nutzung der von ihm geplanten Gebäude entstanden sind. Zum Hundertsten wurde auch der Nachlass des Architekten von seinen beiden Söhnen dem Wien Museum übergeben. Ein imposantes Œuvre: Die einzigartige Dokumentation zur Architektur-, Kultur- und Zeitgeschichte von 1947 bis 1975 umfasst rund 7000 Pläne zu zirka 170 Projekten, 10 000 Fotografien, mehr als 6 000 Diapositive, 22 Filmdosen, 1 382 Akteneinheiten, rund 400 Bücher und Zeitschriften, 16 772 Mikrofilmkarten, außerdem Modelle und zahlreiche Möbel.

Ulrike Matzer und Stefan Oláh begeben sich also auf diese Spurensuche. Karl Schwanzer beauftragte zur Dokumentation seiner Bauten schon damals bedeutende Fotografen, er war offensichtlich auch bei Öffentlichkeitsarbeit und Publikationen zu seinen Gebäuden seiner Zeit voraus. Der Architekturfotograf Stefan Oláh nähert sich nun posthum dem Werk Schwanzers. Was blieb von seinen Werken? Was verschwand? Wie verändert sich die Bausubstanz im Lauf der Jahre? In dichter Bildsprache zeigt der Fotograf die österreichische Botschaft in Brasilia, Außen wie Innen, Details von Siebdruck-Tapisserien, die Loggia, das Sekretariat, das Wasserbecken im Garten. Und über weitere Seiten kann man sich auf die Erweiterung der Kapuzinergruft in Wien, das WIFI in St. Pölten, das Pfarrzentrum Leopoldau, selbstverständlich auf die BMW-Gebäude in München, das Museum des 20. Jahrhunderts, den Erweiterungsbau der Hochschule für angewandte Kunst und das Philips Verwaltungsgebäude in Wien einlassen. Der letzte Teil der Bildstrecke widmet sich Möblierungen seiner Gebäude, Sesseln, Hockern, bis zu Türgriffen.

Eingerahmt werden die Bilder neben den allgemeinen Texten zur Einführung mit Passagen zur Spurensicherung im Museum für angewandte Kunst ‚Die Möbel aus Karl Schwanzers Pavillon der Weltausstellung in Brüssel’ von Sebastian Hackenschmidt und mit ‚Spuren in die Zukunft – Fragen an drei Generationen’. Moderiert von Sophie Menasse werden Otto Kapfinger, Michaela Lindinger, Laura Karasinski, Therese Leick mit sechs Themen und Aussagen des Architekten Karl Schwanzer konfrontiert: „Das ist der Auftrag, den wir von der Geschichte bekommen haben, genauso wie in der Vergangenheit: daß wir als Architekten auch Spuren hinterlassen sollen, wollen und auch gerne tun. Wenn längst die ursprüngliche Nutzung eines schönen Baues untauglich geworden und sich überholt hat, steht das Gebäude noch immer da und erfreut uns.“

newroom, Di., 2019.04.02



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Karl Schwanzer – Spuren / Traces

01. April 2019Martina Pfeifer Steiner
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Akupunkturen

Architektur als Akupunkturtherapie? Auf der Suche nach architektonischen wie räumlichen Modellen zum ländlichen „Upgrading“, das auch für Europa Impulse...

Architektur als Akupunkturtherapie? Auf der Suche nach architektonischen wie räumlichen Modellen zum ländlichen „Upgrading“, das auch für Europa Impulse...

Architektur als Akupunkturtherapie? Auf der Suche nach architektonischen wie räumlichen Modellen zum ländlichen „Upgrading“, das auch für Europa Impulse geben könnte, trafen Hans-Jürgen Commerell und Kristin Feireiss vom Aedes Architecture Forum, Berlin, auf die „Songyang Story“. In dieser chinesischen Region mit mehr als 400 Dörfern setzte die Pekinger Architektin Xu Tiantian und ihr Büro DnA_Design and Architecture in Zusammenarbeit mit den Dorfgemeinschaften, der kommunalen Regierung und lokalen HandwerkerInnen in wenigen Jahren, mit unglaublich schönen Projekten, ein neues „rurales Selbstbewusstsein“ in Gang. Die inspirierende Ausstellung macht nun im Az W halt, geht dann weiter ins Architekturzentrum Basel und man kann nur hoffen, dass sie noch viele weitere Stationen findet.

Songyang gilt als traditionell landwirtschaftlich geprägte Region mit sanften Hügeln, Reisfeldern und Teeplantagen. „Unsere Zusammenarbeit mit Songyang begann mit der allmählichen Entwicklung eines touristischen Angebots, das anfänglich auf die Teeplantage in Damushan beschränkt war und später auf die umliegenden Dörfer ausgeweitet wurde“, berichtet die Architektin im Ausstellungskatalog. Mit minimalen Interventionen begannen sie die vorhandenen Ressourcen und oft schon vergessene handwerkliche Traditionen einzubinden, um zentrale Elemente der Dorfsubstanz sowie Dorfgeschichte zu wahren und positive Zukunftsperspektiven für die kulturelle, soziale und ökonomische Entwicklung zu schaffen.

Die Ausstellung erzählt die Geschichte von Songyang sehr eindrucksvoll. Ausgewählte Projekte werden auf Tafeln aus zwei Distanzen betrachtet, einmal in der Landschaft sitzend und dann als Gesamtansicht. Schöne, große Modelle, Pläne, Fotos und Filmsequenzen, die das Leben in diesen Gebäuden veranschaulichen sowie die Menschen zu Wort kommen lassen, vermitteln die Themen kurzweilig und auch die Texte sind interessant und gut zu lesen.

Die „Brown Sugar Factory“ beispielsweise, wird nur in den drei Wintermonaten für die Zuckerproduktion genutzt, das Gebäude steht die übrige Zeit der Dorfgemeinschaft zur Verfügung. Mit einem komplett transparenten Erdgeschoß verbinden sich nun die Arbeitszonen mit den Feldern und den dörflichen Strukturen. Dort treffen sich die Alten tagsüber zum Tee, abends werden Filme gezeigt, dann spielt wieder das lokale Puppentheater auf. Oder die Shimen-Brücke aus den 1950er-Jahren, die zwei Dörfer über den Songyin-Fluss verbindet und nach der Renovierung zum überdachten gemeinsamen Kulturraum wird. Oder das Dushan-Leisure-Center in Silingxia-Village, das sich im großen Bogen in die Landschaft integriert. Oder ein Bambus-Theater, bei dem die Architektin einen Low-Tech-Ansatz findet, nämlich das schnelle Wachstum und die Biegequalität des Materials. Einmal angelegt braucht die wachsende Kuppel wenig Pflege.

Zu dieser Ausstellung „Rural Moves – The Songyang Story“ ist ein einfach-klares Resümee zu ziehen: Hingehen, Anschauen! Und wer nicht gleich einen Ausstellungskatalog mitnimmt, wird ein zweites Mal vorbeikommen, denn solche Projekte will man nicht vergessen.

newroom, Mo., 2019.04.01

26. März 2019Martina Pfeifer Steiner
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Raum der Stille. Sakrale Architektur von Mario Botta

„Die Themen des „Sakralen“ – Stille, Meditation und Gebet – zeigen, obwohl sie in starkem Widerspruch zum Alltagsleben stehen, mit viel mehr Nachdruck...

„Die Themen des „Sakralen“ – Stille, Meditation und Gebet – zeigen, obwohl sie in starkem Widerspruch zum Alltagsleben stehen, mit viel mehr Nachdruck...

„Die Themen des „Sakralen“ – Stille, Meditation und Gebet – zeigen, obwohl sie in starkem Widerspruch zum Alltagsleben stehen, mit viel mehr Nachdruck als andere „profane“ Themen die ursprünglichen Aspekte, die der architektonischen Arbeit ihre Daseinsberechtigung geben. Ich denke: an das Licht und an den Schatten, an die Schwere und an die Leichtigkeit, an die Mauer und an die Transparenz, an den Weg und an die Schwelle, an das Endliche und an das Unendliche, an die Kraft des gebauten Werkes und daran, dass es ein aktiver Teil eines Lebensraums ist, mit dem die Bewohner täglich in Kontakt sind.“ Damit ist doch schon alles gesagt. Mario Botta (geb. 1943) hatte in den letzten fünfzig Jahren mannigfaltige Gelegenheit, dieses Postulat in signifikanter Formensprache und materiell aufzustellen.

Zum ersten Mal wird im deutschsprachigen Raum die umfassende Ausstellung mit 22 ausgewählten Sakralbauten Bottas vom Wiener Städtischen Versicherungsverein gezeigt. „Architektur im Ringturm“ gibt es seit über zwanzig Jahren. Der von Erich Boltenstern geplante Ringturm wurde 1955 als Zentrale der Vienna Insurance Group eröffnet. Von Boris Podrecca in ein modernes Veranstaltungszentrum umgebaut, finden in der ehemaligen Kassenhalle regelmäßig Ausstellungen statt. Kurator ist der Architekt Adolph Stiller. Kaum zu glauben, in wie kurzer Zeit er die dazu gehörende Publikation zustande bringt, immer ein kleines Wunder!

Bei „Architektur im Ringturm 54“ ist man mittlerweile angelangt, erschienen beim Müry Salzmann Verlag, im wiedererkennbaren Format, diesmal Kupfer schimmernd, immer in höchster Qualität, immer in großer Stringenz und Klarheit, immer in engem Zusammenhang mit der Ausstellung. Und das birgt eine willkommene Bereicherung, denn die Ausstellungen im Ringturm sind so dicht, dass man unbedingt nachlesen, nachschauen will, abgesehen von der nachhaltigen Wirkung eines Buches oder gar der vollständigen Sammlung dieser Reihe.

Zwischen den Realisierungen der vorgestellten sakralen Bauten liegen Jahrzehnte: Angefangen mit der Klosterkapelle Biogorio im Tessin aus dem Jahr 1966 bis zu den kürzlich fertiggestellten Werken wie die Kapelle des Heiligen Franziskus in Lugano oder die Moschee in Yinchuan, China. Neben der Abhandlung „Vom Sakralen zur Architektur“ von Mario Botta sind weitere lesenswerte Essays zu finden mit Titeln wie „Die göttliche Proportion“, „Von Architektur und anderen Rätseln“, „Das Heilige als Freund“ und „Die gebaute Stille“. Die Darstellung der 22 Sakralbauten folgt jener der Ausstellung. Prägnante Beschreibungen, Skizzen, Fotos, welche die Form und Einbettung in die Umgebung wiedergeben, ebenso die Innenräume. In der Ausstellung stehen selbstverständlich die imposanten Modelle aus massivem Holz, die obendrein die Bilderstrecken im Buch vervollständigen.

newroom, Di., 2019.03.26



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Mario Botta - Sakrale Räume

19. März 2019Martina Pfeifer Steiner
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Doppelnummer mit viel Herzblut

Zwanzig Jahre lang eingesammelt, 150 Positionen zur Architektur in und um Österreich, in zwei Din-A4 Bänden vorgelegt, aufwändig gestaltet, A–K in schwarzer...

Zwanzig Jahre lang eingesammelt, 150 Positionen zur Architektur in und um Österreich, in zwei Din-A4 Bänden vorgelegt, aufwändig gestaltet, A–K in schwarzer...

Zwanzig Jahre lang eingesammelt, 150 Positionen zur Architektur in und um Österreich, in zwei Din-A4 Bänden vorgelegt, aufwändig gestaltet, A–K in schwarzer Hülle, L–Z in weißer, zusammengehängt mit einem symbolträchtigen Gummiband. „Damit es kein zu schwerer Wälzer wird“, sagt Volker Dienst, der sich seit 1997 unermüdlich bemüht mit der Vortragsreihe architektur in progress vor allem den jungen Architekturschaffenden ein Podium zu bieten. Die Newcomer von damals sind zum Teil heute längst vielfach preisgekrönt und gehören zu den großen Playern in der Szene. Oder sie haben sich neu formiert und sind anderweitig tätig. Auch dies richtig darzustellen gehörte zu den Herausforderungen des Redaktionsteams.

Renommierte Architekturkritiker und Journalisten wurden losgeschickt und portraitieren die Architekturbüros, ihre Haltungen, ihre Arbeitsweisen. Jedes vortragende Team – von damals bis heute – präsentiert auch sein jeweiliges Herzblut-Projekt. Eingestreut finden sich Essays von ehemaligen Teammitgliedern und Kommentare zur Szene von Verena Konrad, Laurids Ortner, Manuela Hötzl und Volker Dienst.

Grafisch alles richtig gemacht: Jedes Büro kriegt eine Doppelseite, die kurzen Texte werden in zwei inhaltlich logische Absätze strukturiert, die Englisch-Version geschickt positioniert. Klarheit auch im gesamten Aufbau: Ein markanter Titel für jede/n – z.B. „Jenseits des Formalen“ für BWM Architekten, „Empathie und Pragmatismus“ für AllesWirdGut, „Locker und respektvoll bleiben“ für Julia Kick, „Genial Einfach“ für Franz&Sue – und ein Satz der Haltung und Visionen des Teams wiedergibt. Die zweite Seite ist für ein großes Foto des Herzblut-Projekts reserviert, mit prägnanter, dazu passender Beschreibung. Unter Daten erfährt man noch Fakten über die GründerInnen, Gründungsjahr, Standort und wann die Vorträge bei archichtektur in progress gehalten wurden.

Großes Engagement und wahrlich viel Herzblut flossen in diese zwei Bände, die einen spezifischen Blick auf eine heterogene Architekturszene der letzten zwanzig Jahre freigibt und einen wesentlichen Beitrag zum Diskurs über Baukultur leistet.

newroom, Di., 2019.03.19



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HERZ BLUT - 150 Positionen zur Architektur in und um Österreich

18. März 2019Martina Pfeifer Steiner
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Ein Bilderbuch-Spaziergang durch die Gärten von La Gara

Altrosa Leinen, ein geprägtes Farbbild auf dem Cover. Die Aufmachung hat etwas Altmodisches, zugleich Wertiges, jedenfalls Atmosphärisches. Und das trifft...

Altrosa Leinen, ein geprägtes Farbbild auf dem Cover. Die Aufmachung hat etwas Altmodisches, zugleich Wertiges, jedenfalls Atmosphärisches. Und das trifft...

Altrosa Leinen, ein geprägtes Farbbild auf dem Cover. Die Aufmachung hat etwas Altmodisches, zugleich Wertiges, jedenfalls Atmosphärisches. Und das trifft es doch genau: Das Landgut La Gara aus dem 16. Jhd. liegt etwa 15 km vom Genfer Stadtzentrum entfernt, ist etwa 45 Hektar groß und die prächtige Auffahrtsallee, Grenzmauern, Kanäle, der Ehrenhof und das Herrenhaus, flankiert von Wirtschaftsgebäuden, gehen auf das 18. Jhd. zurück. Unmittelbar und dreißig Seiten lang nähert man sich dem Anwesen. Die Bilderstrecken hat Georg Aerni über vier Jahre hinweg zu allen Jahreszeiten fotografiert.

„Schon bei meinem ersten Besuch auf La Gara, der durch die Vermittlung des Landschaftsarchitekten Erik Dhont zustande gekommen war, wurde klar, dass das Anwesen Stoff für ein Buch bietet, dessen Relevanz weit über La Gara hinausgehen wird“, schreibt die Autorin Anette Freytag. Die bewegte Geschichte in dieser Schweizer Grenzregion und der Kulturtransfer der aus Frankreich geflüchteten Hugenotten hätten hier ebenso ihre Spur hinterlassen wie die „ferme ornée“, eine Strömung aus dem 18. Jhd., die landwirtschaftliche Bereiche eines Anwesens ästhetisch mit den nur dekorativ genutzten Gartenbereichen zu einer Einheit zu verbinden suchte. Im Zentrum des Buches sollten nicht nur die historischen Schichten des Landguts stehen, sondern auch die Erneuerung ab 2001: die Arbeiten des belgischen Landschaftsarchitekten Erik Dhont und die Erkenntnisse, die durch die Restaurierung der Gärten wie der Gebäude durch die Schweizer Architektin Verena Best-Mast und durch die Revitalisierung der umgebenden Landschaft gewonnen wurden. So wechseln sich die mehrseitigen Fotoblöcke mit ausführlichen wissenschaftlichen Texten, zahlreichen Karten und Skizzen ab.

Die aktuellste Intervention ist das Labyrinth von Markus Raetz. Überraschung, Versteck, Rätsel und seine Lösung sind die wiederkehrenden Motive. Ein lateinisches Palindrom ist der Anlage des Labyrinths eingeschrieben und wird zugleich zu dessen Schlüssel, gepflanzt und in Form geschnitten. Erik Dhont hat dafür außer den aus historischen Labyrinthen bekannten immergrünen Pflanzen Buchsbaum, Stechpalme und Liguster auch Feldahorn, Birnbaum, Holzapfel, Kornelkirsche und Winter-Jasmin gewählt. Das gibt dem 650 m² großen Irrgarten eine spezielle Textur im Wandel der Jahreszeiten. Die Skulpturen von Markus Raetz entfalten ihre Bedeutungsebenen nur in der Bewegung des Betrachters. Der Erlebniswert wird also zu einer Frage des eigenen Standorts.

Auch wenn dieses Buch den LeserInnen mit wissenschaftlichem Interesse an Landschaftsarchitektur und Gartenkunst vollends gerecht wird, macht es auch jene glücklich, die sich emotional nur auf die atmosphärischen Bilder einlassen wollen. Der Spaziergang durch das Bilderbuch führt über die Auffahrtsallee zum durch den Ehrenhof verbundenen Gebäude-Ensemble – die innenarchitektonischen Interventionen werden etwas später erkundet – , zu den durch zwei gemauerte Kanäle begrenzten Ziergärten sowie zur Obstbaumwiese, zum sich extra muros zwischen Kanal und Wäldchen ausbreitenden Karpfenbecken um schlussendlich bei den Formationen der Gartenanlage intra muros sowie den zeitgenössischen landschaftlichen Interventionen zu verweilen.

newroom, Mo., 2019.03.18



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Die Gärten von La Gara

18. März 2019Martina Pfeifer Steiner
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Und was hat das mit Architektur zu tun?

Stofflich-sinnlich fühlt es sich bei der Ausstellung im vai in Dornbirn an. Anna Heringer war mit Ihrem Beitrag „This ist not a shirt. This is a playground“...

Stofflich-sinnlich fühlt es sich bei der Ausstellung im vai in Dornbirn an. Anna Heringer war mit Ihrem Beitrag „This ist not a shirt. This is a playground“...

Stofflich-sinnlich fühlt es sich bei der Ausstellung im vai in Dornbirn an. Anna Heringer war mit Ihrem Beitrag „This ist not a shirt. This is a playground“ bei der vergangenen Architekturbiennale mit dem übergeordneten Thema „Freespace“ nicht das erste Mal in Venedig eingeladen. Schon zwei Jahre zuvor realisierte sie mit dem Lehmbauspezialisten Martin Rauch im Biennale-Hauptpavillon in den Giardini eine sogenannte Pepita, übersetzt „Goldstück“ – und im sinnlichen Erlebniswert, eine Rückzugshöhle aus Lehm. Dass es bei ihrer aktuellen textilen Installation um Architektur geht, erläutert sie: „Soziale und gebaute Räume werden durch die Herstellung der Kleidung, die wir tragen und der Textilien, die wir täglich nutzen wesentlich beeinflusst. Es ist wichtig das in seiner vollen Tragweite zu verstehen.“ Jeder Mensch beeinflusst durch Kaufverhalten und Geldflüsse Räume. Wenn Menschen mangels Arbeitsplätzen ihre Dörfer verlassen müssen, in unkontrolliert wachsende Ballungsräume abwandern und unterbezahlt in den Slums enden, hat das sehr viel mit gebautem Raum und Siedlungsstrukturen zu tun.

Made in Rudrapur

Mit Bangladesh verbindet Anna Heringer schon eine sehr lange Geschichte. Im kleinen Dorf Rudrapur baute sie mit den Menschen vor Ort nämlich ihr erstes Gebäude, die Meti-School, die 2007 mit dem Aga Khan Preis ausgezeichnet wurde. Handgemacht, mit den vorhandenen Ressourcen Lehm und Bambus. Heringer interessiert sich aber auch für die Lebensumstände der BewohnerInnen, die ökonomischen und kulturellen Bedingungen der Orte, an denen sie baut. Bangladesh hat eine lange Textiltradition. So entstand die Idee zur Initiative „Didi Textiles“ mit der gemeinnützigen lokalen Organisation Dipshikha und der Schneiderin Veronika Lang. Es ging darum eine Alternative zu zeigen, die auf der wundervollen bengalischen Textilkunst aufbaut und den Menschen das Leben und Bleiben in ihren Dörfern ermöglicht: Die Saris der Frauen und Wickelröcke der Männer werden traditionell über die Jahre gesammelt und mit feinen Stichen zu Decken vernäht – also ein erstes Up-Cycling. Bevor diese Decken dann nur noch für Putzlappen oder Kinderwindeln taugen, übernimmt sie nun „Didi Textiles“ und macht daraus hochwertige Kleidungsstücke. „Den Wert einer Kultur sieht man häufig in deren Abfall. Wenn dieser Stoff nochmals aufgewertet und neu genutzt werden kann, ist das ein großer Gewinn. Unsere Ressourcen sind wertvoll und wir veredeln sie mit Handwerk, um etwas Einzigartiges zu schaffen“, sagt Anna Heringer. In Fertigstellung begriffen ist das von ihr geplante Desi-Trainingcenter. Dort soll Menschen mit Behinderungen das Schneidern beigebracht werden. Im Obergeschoss wird es eine Textilwerkstatt geben, in der Frauen im Auftrag von „Didi Textiles“ Kleidung nähen. Organisiert über Dipshikha werden sie gut bezahlt und gleichzeitig sorgt die NGO dafür, dass auch Geld in die Dorfgemeinschaft fließt und Schulen und Betreuung unterstützt werden.

„Das faszinierende bei den Projekten von Anna Heringer ist, dass sie nicht über den Lebenszyklus eines Gebäudes spricht, sondern über Wirtschaftskreisläufe, über Autonomie, über Selbstermächtigung. „Architecture is a tool to influence life“, sagt sie immer. Es geht also darum, den Menschen damit ein selbstbestimmtes Leben zu erleichtern und sie von ausbeuterischen globalen Systemen unabhängiger zu machen“, erklärt Verena Konrad. Deshalb sei die Ausstellung nur eine konsequente Fortführung der Programmlinie im vai und des Schwerpunkts Ökologie. „Ökologie ist immer auch Gesellschaftskritik.“

Golden Box und Pop-Up-Store

Die Ausstellung im vai hat mit „This is not a shirt“ nicht nur den gleichen Titel wie auf der Biennale. Als „Kleider machen Leute“ stoppte sie in der Architekturgalerie München und wurde dort um einige bestickte Textilien bereichert. Auf diesen sind die Bauprojekte Meti-School und Desi-Trainingcenter von Studio Anna Heringer in Rudrapur mit aufgestickten Grundrissen, Ansichten und einem Masterplan dokumentiert.

Ein sehr berührendes Element der Ausstellung ist die goldene Box: Außen glänzend und verspiegelt, innen beklemmend und mit Berichten über Katastrophen tapeziert steht sie stellvertretend für das Leben im Umfeld der Fabriken: Das Äußere für die Träume der Menschen und für die Shoppingmalls unserer kapitalistischen Welt. Das Innere konfrontiert einen mit der Realität. Die Wände sind mit Zeitungsartikeln über erschreckende Arbeitsbedingungen und Unglücke tapeziert, die in der Vergangenheit passiert sind. Spätestens seit dem Brand in der Tazreen-Kleiderfabrik, in einem Außenbezirk der Hauptstadt Dhaka, im November 2012 mit 117 Toten und mehreren hundert Verletzten oder dem Einsturz des Textilfabrikgebäudes Rana Plaza in Sabhar (1135 Tote und 2438 Verletzte) ein Jahr später, darf niemand mehr wegschauen.

Auch in Dornbirn wird der „Didi Textiles“-Pop-Up-Store eröffnet und man kann die wunderschönen, fein gearbeiteten, mehrschichtigen Didi-Shirts, Didi-Skirts und Kissenüberzüge, die mit fußbetriebenen, alten Maschinen, die keinen Strom brauchen, genäht wurden, auch kaufen. Der Erlös geht an die Schneiderinnen, ein Teil davon wieder in die Dorfentwicklung. Das Highlight bei der Ausstellungseröffnung im vai ist die Modeschau, bei der diese Textilkunst in Szene gesetzt wird.

Mit der Ausstellung zu „BASEhabitat – Architektur für Entwicklung“ im Herbst schließt sich der thematische Kreis im vai, der „Mit Erde gebaut“ begann. Es sei also Roland Gnaiger, dem Gründer von BASEhabitat, das passende Schlusswort überlassen: „Wir können heute ohne Verzicht und Einschränkung Häuser bauen, die die Ressourcen ihrer Orte nützen anstatt auszubeuten, die die Umwelt bereichern anstatt zu zerstören und die den Menschen damit lebenswerte Räume bieten.“

newroom, Mo., 2019.03.18

18. März 2019Martina Pfeifer Steiner
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Wieder zu Hause

„Getting Things Done. Evolution of the Built Environment in Vorarlberg“ im vorarlberg museum

„Getting Things Done. Evolution of the Built Environment in Vorarlberg“ im vorarlberg museum

Die hohe Qualität der Baukultur in Vorarlberg ist ein bemerkenswertes Phänomen. So verwundert es nicht, dass die Sektion für Auslandskultur des Bundesministeriums für Europa, Integration und Äußeres auf der Suche nach Themen, die ein innovatives, kreatives Bild vom modernen Österreich vermitteln könnten, die Idee verfolgte, eine Architekturausstellung über das Netzwerk von derzeit dreißig österreichischen Kulturforen in insgesamt 28 Länder der Welt zu schicken. Das Land Vorarlberg als Kooperationspartner anzufragen war naheliegend, und für Konzept und Kuration wurde Architekt Wolfgang Fiel gefunden. So ging die Wanderausstellung „Getting Things Done“ über zeitgenössische Architektur und Handwerkskunst Vorarlbergs im November 2014 auf die Reise. Nach fünf Jahren erfolgreicher Tournee kehrt sie nun nach Hause zurück – und das im wörtlichen Sinn, denn das vorarlberg museum übernimmt diesen vielschichtigen Blick auf die Entwicklung der Baukultur in seine Sammlung. Kurator Wolfgang Fiel hat zirka die Hälfte der Stationen begleitet.

Martina Pfeifer Steiner – Was habt ihr in den letzten fünf Jahren mit dieser Wanderausstellung über das architektonische Schaffen des kleinsten Bundeslands Österreichs erlebt, und wie ist sie international angekommen?
Wolgang Fiel – Das Interesse war wirklich groß, zwischen fünfzig und hundert BesucherInnen kamen immer, am bestbesuchten Event zählten wir hundertfünfzig! Vor allem wenn die Ausstellung im Kontext von Universitäten gezeigt wurde, gab es großen Andrang. Bei den Stationen, die ich begleiten durfte, hielt ich meist einen Vortrag. Istanbul war besonders: einerseits weil meine Frau Denizhan Sezer hier zu Hause ist, andererseits weil wir an der Yıldız Teknik Üniversitesi einen Workshop gaben – „Evolution of the Built Environment in Vorarlberg: The Story Thus Far or How would we do it in Turkey“ – der begeistertes Feedback erntete. In Cardiff, Wales, organisierte man ein „Getting Things Done“-Symposium und die beteiligten Professoren berichteten, dass sie mindestens einmal im Jahr mit den StudentInnen nach Vorarlberg kommen, um sich Holzbau-Architektur anzuschauen. Über das Kulturforum Washington kam die Anfrage der University of Maryland. Bei dieser Lecture diskutierten wir angeregt darüber, dass eine dermaßen hohe Qualität und Sorgfalt bei öffentlichen Gebäuden wie Schulen, Kindergärten, Gemeindezentren in den USA unbekannt sei. Eine super Station war auch die Norsk design- og arkitektursenter (DOGA) in Oslo und räumlich imposant die spanische Architektenkammer, das Colegio de Arquitectos de Madrid (COAM).

Tradition von Handwerk und Holzbau

Pfeifer Steiner – In Vorarlberg hat man ja doch mit kleineren Strukturen zu tun. In dieser Ausstellung wurde man auch nicht mit bloß Anekdotischem
 oder prototypisch Exemplarischem konfrontiert. Worin lag dann das Inspirierende?
Fiel – Der kuratorische Anspruch zielt auf eine kritische Auseinandersetzung mit der Entwicklung 
und gegenwärtigen Befindlichkeit der Baukultur Vorarlbergs ab. Es geht um die Vermittlung der über den spezifischen Kontext und die regionalen Entstehungsbedingungen hinausgehenden Themen, mit denen man sich heute auf der ganzen Welt beschäftigen muss. Bei Feldern wie Energie, Nachhaltigkeit, Holzbau zeigt unsere Region Lösungsmöglichkeiten auf, die auf breiter Ebene behandelt werden, es hat sich eine besondere Kultur entwickelt. Man war verblüfft über den Stellenwert des Handwerks und die daraus entstehenden innovativen Prozesse. Sicher mag das auch an der überschaubaren Größenordnung lokaler Bauaufgaben liegen, hat aber vor allem damit zu tun, dass die eng geknüpften sozialen Netzwerke eine Kommunikation auf kürzesten Wegen erlaubt und die einzelnen Akteure voneinander lernen wollen.
Pfeifer Steiner – Aber gibt es nicht in vielen Ländern eine ausgeprägte Tradition von Handwerk und beispielsweise Holzbau?
Fiel – Doch, zweifellos! Mir wurde jedoch bei diesen Reisen wieder präsent, dass es in extrem vielen Ländern der Welt zwar eine hochstehende Holzbautradition einmal gegeben hatte, das Bewusstsein dafür aber verloren ging. In Kuala Lumpur, Malaysia, waren wir auf Einladung der Petronas Galeries, das ist die Kultur-Foundation des staatlichen Ölkonzerns. Angeregt von der Ausstellung sind uns dann im ganzen Land wunderbare alte Holzbauten gezeigt worden, die eine neue Wertschätzung erfahren.

Das Display als Wundertüte

Pfeifer Steiner – Die Wanderausstellung kehrt nun zurück und findet ihr zu Hause in der Sammlung des vorarlberg museums. Zeit für einen Rückblick? Und wie ist die Ausstellung in Bregenz angelegt?
Fiel – Ich denke, wir haben die sinnliche, stoffliche und soziale Komponente gut vermitteln können. Das ganze Setup hat in jeder Hinsicht funktioniert. Im vorarlberg museum zeigt das Ausstellungsdisplay noch einmal seine Stärken. Das interaktive Hängeregister-Möbel mit den Projektfahnen bildet die Mitte. Zum Abschluss werden noch einmal zwölf ausgewählte Interviews in Langfassung gezeigt. Die insgesamt 57 Gespräche, die auf der Website zum allseitigen Gebrauch und Interesse zur Verfügung stehen, sind für mich ein wichtiges Zeitdokument. Ein spezielles Feature für Bregenz ist die Projektion der domestischen Einblicke, eine Bildstrecke, die bei den Interviews in den privaten Wohnungen der ProtagonistInnen entstanden ist.
Pfeifer Steiner – Im Idealfall wird die Ausstellung an dieser Endstation nicht nur archiviert, sondern könnte Anregung für die Fragestellungen der Zukunft sein?
Fiel – Bei den „Getting Things Done Tandemführungen“ wird dies versucht. ArchitektInnen, Handwerker, Kunsthistorikerin und ArchitekturpublizistInnen begeben sich in unterschiedlichen Konstellationen, aus verschiedenen Perspektiven in den Dialog. Für mich ist die Ausstellung kein Selbstzweck, sondern eigentlich ein Reflexionsmittel. Und das würde ich mir wirklich erhoffen, dass sich die Architektur in Vorarlberg nicht nur selbst spiegelt oder feiert, sondern wir uns fragen, was als nächstes kommt.

newroom, Mo., 2019.03.18

05. März 2019Martina Pfeifer Steiner
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Die Wurzeln und Flügel der Gebrüder Brückner

Man wollte dieses Buch zum schönsten küren, wenn das hier vorgesehen wäre. Weißes Leinen, am Cover zarte Schraffierungen – Gebautes in der Natur? Für 400...

Man wollte dieses Buch zum schönsten küren, wenn das hier vorgesehen wäre. Weißes Leinen, am Cover zarte Schraffierungen – Gebautes in der Natur? Für 400...

Man wollte dieses Buch zum schönsten küren, wenn das hier vorgesehen wäre. Weißes Leinen, am Cover zarte Schraffierungen – Gebautes in der Natur? Für 400 Seiten plus gar nicht schwer, angenehmes ungestrichenes Papier, schönes Format. Erwartungsvoll darf man sich auf das „architektonische Denken und Handeln“ der Brüder Christian und Peter Brückner einlassen. Die Wurzeln liegen in ihrer Heimat, der nördlichen Oberpfalz in Tirschenreuth unweit der tschechischen Grenze, wo sie noch heute eines der Büros führen. Das zweite ist in Würzburg, die 60 Mitarbeiter teilen sich je zur Hälfte auf diese beiden Standorte auf.

„Der skizzierte Weg durch das Buch ist gesäumt von Einschüben – Rastplätzen, Aussichtspunkten, Einkehrmöglichkeiten – unterschiedlichster Provenienz. Wir haben Menschen dazu eingeladen etwas beizusteuern – Menschen, die unseren Weg in vielerlei Hinsicht begleiteten: unser Team, Bauherren, Nutzer, Handwerker, Weggefährten, Freunde, Familie“, eröffnen Peter und der neun Jahre jüngere Cristian Brückner. Die Fotos – mit viel Weißraum inszeniert – machen den Hauptteil des Buches aus. Drei große Themen werden damit atmosphärisch rüber gebracht. In „Heimat“ sind „Orte und Landstriche ein unerschöpflicher Speicher: Schicht um Schicht wachsen Natur und Menschenwerk. Unablässig modelliert die Witterung; rastlos überschreibt die Menschenhand, legt sich Zeichen über Zeichen, entnommen den Alphabeten der Macht und der Arbeit, der Kunst und des Geistes“, schreibt Winfried Helm auf dem graubeigen Trennblatt. Fasziniert dürfen wir blättern, die Bilder lösen Erinnerungen, vielschichtige Assoziationen aus. Das zweite Kapitel „Die Essenzen des Bauens“ nähert sich der „Aura des Materials“, dem „Geheimnis des Raums“, dem „Wesen des Ortes“ und dem „Miteinander“. Auch wenn man emotional tief hineingezogen wird, bleibt die Struktur des Buchs mit der klein geschriebenen Zeile aus dem Inhaltsverzeichnis links unten durchsichtig. Dezent eingestreut erscheinen Textpassagen: „Für uns sind Grenzen dort, wo etwas Neues beginnt. Diese Maxime begleitet uns von Anfang an. Es gibt nicht nur Licht und Schatten. Es sind die Zwischenräume, die uns interessieren. Beim Bauen und im Leben gelangen wir immer wieder an Grenzen, die überwunden werden müssen.“ Oder: „Den Ort lesen. Die Geschichte wahrnehmen. Den Bestand nutzen. Die Natur verstehen. Lebensräume schaffen. Das verstehen wir unter nachhaltigem Bauen.“ Und: „Planen und Bauen sind ein Versprechen, das eingelöst werden will.“

Bevor man schlussendlich im dritten Teil doch zu den 36 ausgewählten Bauwerken gelangt, bei denen Details, Fügungspunkte, Materialien, Strukturen der Bilder von vorigen Kapiteln wiedererkannt werden, kommt unter „Miteinander“: „Wir sind Brüder. Wir ergänzen uns. Die Dinge entstehen im Dialog. Dieser wird durch das Team maßgeblich erweitert. Das was daraus entsteht, ist ein gemeinsames Ergebnis. Uns interessiert nicht, von wem welcher Baustein kommt. 1+1=1“ Dass die Werkliste noch als „Erdachtes, Gebautes und Entstehendes“, teilweise vignettengroß bebildert, die Spannung hält, überrascht nicht. Zum „Ausklang“ dann Persönliches: „Unser Weg. Wir schaffen Lebensräume. Wir respektieren Mensch und Ort. Wir bauen Erinnerung.“ Wurzeln und Flügel – ein Buch, das man immer wieder in die Hand nehmen will um vor irgendeiner aufgeschlagenen Seite zu meditieren.

newroom, Di., 2019.03.05



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Brückner & Brückner Architekten

22. Januar 2019Martina Pfeifer Steiner
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Raum und Desingstrategien in Elsa Prochazkas architectureality

Ein gewichtiges Stück, das Titelbild vielversprechend, mit der Monografie von Elsa Prochazka liegt ein klug gemachtes Werk auf den Büchertisch. „Architektur...

Ein gewichtiges Stück, das Titelbild vielversprechend, mit der Monografie von Elsa Prochazka liegt ein klug gemachtes Werk auf den Büchertisch. „Architektur...

Ein gewichtiges Stück, das Titelbild vielversprechend, mit der Monografie von Elsa Prochazka liegt ein klug gemachtes Werk auf den Büchertisch. „Architektur ist nicht Kategorie, sondern Träger für sich stets wiederholende existenzielle Fragestellungen. Das Interesse an Funktion, Ökonomie, Form, Material und inhaltlicher Metapher bildet den Vorwand, diese Fragen immer neu zu stellen. Die Suche nach Antworten kann auch Architektur sein.“ Soweit ihr Statement am Anfang. Drei Beiträge von geladenen AutorInnen ergänzen den Bildband. Cino Zucchi, der mailändische Architekt, strukturiert sein Essay mit denkwürdigen Impulszitaten und stellt so die Bezüge zum architektonischen Werk von Elsa Prochazka her. Persönlich wird es in den „geschriebenen Gesprächen“ von Marlene Streeruwitz, der bekannten Autorin und Regisseurin. In „festgemacht“ erfahren wir, dass IGIRIEN – die Bezeichnung der Architektengruppe unter der sie mit Franz E. Kneissl und Werner Appelt in den 1970er-Jahren sehr erfolgreich war – sich vom Namen der Phantasiestadt IGIR aus ihrer Kindheit herleitet. Gesprochen wurde dort igirisch, und dies wurde nicht nur zum Synonym für „vom Üblichen abweichend“, sondern brachte auch ihre Eltern zur Verzweiflung. „Es war also eine Art Gegenentwurf zum erlebten Umfeld“, sagt Elsa Prochazka heute dazu. Der Beitrag von Valie Export stellt sich als Fotocollage „Für Elsa 2018“ dar, sehr inspirierend!

Doch nun zum Hauptteil: Über das eindrucksvolle Oeuvre werden Layer eingerichtet, die schon durch die Begriffe reiche Assoziationen auslösen: line – reflex – skin – layers – volume – plane – highrise – point. Und wenn wir beim ersten Projekt des Kapitels „highrise“ landen, wird ersichtlich, dass es sich beim Titelbild um ein Lego-Modell des Kulturzentrums „Hochhaus für Josephine Baker“ handelt, das 1991 anlässlich der ORF-Fernsehsendung „kunst-stücke“ entstanden ist und in der anschließenden Ausstellung im MAK der Öffentlichkeit präsentiert wurde.

Die Dramaturgie des Bildbandes ist perfekt: Ganzseitige Bilder der „who is who“-ArchitekturfotografInnen machen den Leser zum aufmerksamen Betrachter und bis zum Schluss die jeweilige Projektbeschreibung in angenehmer Kurzfassung auftaucht, haben wir mitunter schon selbst herausgefunden, um welches Projekt es sich handeln könnte. Diese Monografie zum Werk der Architektin Elsa Prochazka zeigt in einer selektiven Zusammenschau „ihren Umgang mit allen Skalen von Städtebau zu Design und stellt die Konzept- und Metaebene ihrer Projekte in wechselseitigen Bezug.“ An das heutzutage unübliche „Hochglanz-Outfit“ hat man sich nach ausführlicher, kurzweiliger Beschäftigung mit dem Buch gewöhnt, vielleicht in seiner Art des „Nicht-modischen“ eh schon wieder gut.

newroom, Di., 2019.01.22



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05. Juni 2018Martina Pfeifer Steiner
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Allumfassend: Hermann Czech

Schönes Buchformat, qualitätsvolle Haptik beim Blättern, ein gewichtiges Werk liegt mit der ersten, umfassenden Monografie über Hermann Czech vor. Die...

Schönes Buchformat, qualitätsvolle Haptik beim Blättern, ein gewichtiges Werk liegt mit der ersten, umfassenden Monografie über Hermann Czech vor. Die...

Schönes Buchformat, qualitätsvolle Haptik beim Blättern, ein gewichtiges Werk liegt mit der ersten, umfassenden Monografie über Hermann Czech vor. Die Autorin Eva Kuß verschweigt nicht, dass die inhaltliche Basis mit ihrer Dissertation an der Universität für angewandte Kunst in Wien, am Institut für Theorie und Geschichte der Architektur gelegt wurde. Mehr noch, sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin am FWF Forschungsprojekt „Hermann Czech – Architetecture and Critic of Language in Postwar Vienna“.

Kein Buch zum Lesen, also ein Nachschlagewerk? Das eigenartige Wort „schmökern“ kommt einen in den Sinn, beim Blättern, wenn man unwillkürlich hängen bleibt, an den Fotos der wohl bekannten Bauten, Umbauten, Projekte, zwei drei Absätze liest. Hermann Czech hat zweifellos ein halbes Jahrhundert Architekturgeschichte mitgeschrieben.

Und er hat mitgemacht! In zahlreichen Gesprächen, mit seinem Textarchiv, seiner riesigen Fachbibliothek gab er Einblick in seine Gedankenwelt, in seine Theorien, in seine Geschichte. Das Buch ist eine intellektuelle Biografie, wie Eva Kuß in ihrem Vorwort feststellt, und zeigt die Entwicklung eines Architekten in der Auseinandersetzung mit dem kulturellen Kontext, dem er angehört. Sie beginnt unter dem Titel „Fortschritt und Kritik: Die Wiener Moderne“ mit einer Darstellung dieses kulturellen historischen Umfelds, beschäftigt sich ausführlich mit den Nachwirkungen der Aufklärung im Wien des 19. Jahrhunderts sowie mit der in der Folge entstandenen spezifisch österreichischen Philosophie, deren Schwerpunkte eine empirische Grundeinstellung, Wissenschaftstheorie, Logik und Sprachkritik waren, bis hin zu deren wichtigsten Vertretern in der Architektur: Otto Wagner, Adolf Loos und Josef Frank.

Mit `„Hintergrund“ – Kindheit, Jugend, Studium´ ist der biografische Teil überschrieben. Die typografische Differenzierung erleichtert hier den Überblick, welche Texte aus den Interviews mit Hermann Czech stammen und was Schlussfolgerung und Recherche der Autorin ist. Spannend, die Illustrationen als schwarz/weiß Abbildungen von Studienprojekten wie die Überdachung des Grabens, Wiens bekanntesten Straßenplatz im 1. Bezirk. Czech schlägt bei dem selbst gestellten Thema „eine flexible Konstruktion aus Zugseilen, Druckstäben und einer Membran vor, die auf die Firstmauern der den Straßenzug begrenzenden Häuser aufgelegt werden sollten und knüpft damit an Konzepte von Frei Otto an. Für wesentlich erachtete Czech das Erlebnis des hohen Raums“ (S 98).

Wohltuend-ausführlich geht es mit reich- und in Farbe bebilderten, ausgewählten Projekten weiter. Wie gute Bekannte erscheinen sie und bescheren Aha-Erlebnisse, auch wegen der vielen noch nie gesehenen Entwurfsskizzen.

Im Endeffekt muss man feststellen: Das Buch verleitet doch zum Lesen. Und das mit Freude.

newroom, Di., 2018.06.05



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07. Mai 2018Martina Pfeifer Steiner
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Thoughts Form Matter

Interview mit Verena Konrad, Kommissärin des Österreich Pavillons bei der 16. Architekturbiennale in Venedig

Interview mit Verena Konrad, Kommissärin des Österreich Pavillons bei der 16. Architekturbiennale in Venedig

Die Biennale in Venedig gehört zu den weltweit wichtigsten Ausstellungen. Kunst und Architektur wechseln sich jedes Jahr ab, so darf man biennal spartenbezogen wörtlich nehmen. Für die 16. Architekturbiennale geben die Kuratorinnen Yvonne Farrell und Shelley McNamara von Grafton Architects das Generalthema „Freespace“ vor, womit sie die „Großzügigkeit des Geistes“ und Humanität als die zentralen Aspekte einer Architekturagenda beschreiben, die sich auf die Qualität des Raumes konzentriert. Verena Konrad, Leiterin des vai Vorarlberger Architektur Instituts, wurde zur Kommissärin für den Österreich Pavillon ernannt. Sie übernahm auch die Kuration und suchte sich ihre Teams: Kathrin Aste und Frank Ludin von LAAC, die seit mehr als zehn Jahren innovative Antworten auf urbane und landschaftliche Herausforderungen entwickeln, erforschen und lehren (aktuelles Projekt: Stadtnaht Dornbirn, Erweiterung der Fußgängerzone); Dieter Henke und Marta Schreieck versuchen bei all ihren Werken differenzierte Räume mit besonderer Atmosphäre und Stimmung anzubieten. Mit Stefan Sagmeister und Jessica Walsh sind die Creative Directors von Sagmeister & Walsh aus New York mit im Boot.

Pfeifer Steiner – Wie entstand die Idee für den österreichischen Beitrag zum Generalthema „Freespace“?

Konrad – Es waren mehrere Schleifen, die wir genommen haben. Als ich im April zur Kommissärin ernannt wurde recherchierte ich zunächst bis zum Sommer und steckte den Rahmen ab, was im Kontext der Biennale jedenfalls funktionieren könnte. Die größte Herausforderung für die Nationen-Pavillons ist nämlich, dass vergleichsweise spät das Thema der Biennale publik gemacht wird. Das war schon spannend, denn ich halte es für wesentlich, dass sich ein Land auch als Teil der Staatengemeinschaft zu einem Generalthema positioniert. Dieses Zusammenstehen von Kreativen – und ich meine damit von gestaltenden Menschen – die den Anspruch haben, neue Lösungen für individuelle und kollektive Problemstellungen zu finden und diese Fragen und Antworten mit einem intellektuellem Anspruch zu verbinden, gehört für mich global zu den wichtigsten Agenden, um die aktuelle demokratiepolitische Krise zu überwinden.

Die Interpretation von „Freespace“ von Grafton Architects lässt viele Zugänge zu. Ich sehe meine Aufgabe darin, diesem Thema einen spezifischen Rahmen zu geben, es zu deuten und unsere Deutung verständlich und erlebbar zu machen: Wir haben den Pavillon von Josef Hoffmann und Robert Kramreiter, es gibt das räumliche und kulturelle Setting der Biennale und mit dem Manifest von Grafton Architects war uns allen zusammen dann klar – wir bauen! Und wir agieren jeweils innerhalb der eigenen Disziplin. Architektur und Design verschwimmen nicht, sondern bleiben in Kommunikation miteinander und finden atmosphärische Schnittmengen. Im Sinne des räumlichen Erlebnisses gehen wir stark auf den Hoffmann-Bau ein, das war ein sehr schöner gemeinsamer Prozess.

Die intellektuelle Kraft von Architektur

Pfeifer Steiner – Was dürfen wir uns zu den Installationen der drei Teams schon vorstellen?

Konrad – Uns gefällt, wie beim vorgegebenen Thema gedankliche Räume geöffnet werden und wir entnehmen einige Metaphern aus dem Manifest. Ein wichtiger Satz für uns – „we see the earth as client.“ Soviel darf ich verraten: es wird keinen geraden Boden geben, dafür starke Außen- und Innenverbindungen und die Metapher des Reflexionsraumes wird sehr präsent sein. Die BesucherInnen zirkulieren in unserem Raum und finden völlig unterschiedliche Atmosphären vor. Drei Subthemen haben die Teams besonders interessiert, die jeweils stark mit ihrer Bürobiografie und dem eignen Verständnis von Architektur bzw. Design zu tun haben. Bei LAAC ist es das Phänomen der Abweichung und des relationalen Raumes, das spürbar wird. Sie brechen die strenge Symmetrie des Hoffmann-Baus und eröffnen durch das Mittel des Maßstabs einen neuen gedanklichen Horizont. Henke Schreiecks Arbeit heißt „Layers of Atmosphere“. Zwei idente Räume, jedoch spiegelverkehrt, können einmal vertikal und einmal horizontal erwandert werden. Der Mehrwert von Architektur stellt sich bei diesen Installationen als Verbindung von individuellem Erleben und kollektiven Reflektieren dar und die BesucherInnen werden über die Zeit bis November ihre Spuren hinterlassen und Skulpturen wie Materialien mitunter durch ihre Nutzung auch verändern. Das Designer-Team Sagmeister & Walsh reflektiert, inwiefern eine visuelle, digitale Kultur unser Rezeptionsverhalten in Bezug auf Architektur verändert. Und es geht um ein Begriffspaar – Schönheit und Funktionalität – das in der Gegenüberstellung Kontroversen heraufbeschwört und Frage wie Statement zugleich ist: „Beauty is Function“.

Pfeifer Steiner – Wie wird es euch gelingen, bei einer derart großen und weitläufigen Ausstellung das Publikum zu gewinnen?

Konrad – Wissend, dass die Menschen bis sie zu unserem Pavillon kommen schon sehr viel gesehen haben und vielleicht auch schon müde sind, wollen wir sie mit unserem Beitrag wohltuend auffangen. Wir versuchen Räume entstehen zu lassen, die höchste ästhetische Qualität haben und dadurch eine längere Verweildauer evozieren. Insgesamt hat unser Beitrag den schönen Titel „Thoughts Form Matter“, was man als Satz lesen kann, doch zugleich funktionieren auch die einzelnen Begriffe, die indirekt gespiegelt in allen Arbeiten wieder vorkommen. Und als Grundaussage ist uns ganz wichtig, dass Architektur immer visionär sein soll und dass sie mit der Kraft von Gedanken arbeitet. Wir dürfen nicht den Maschinen die Bauprozesse überlassen. Der Mensch ist unverzichtbar, wenn es um die räumliche Gestaltung unserer Welt geht. Wir sehen Architektur und Gestaltung als zivilisatorische Leistung.

Mehrwert für Vorarlberg

Pfeifer Steiner ­– Vor dem vai flattert schon verheißungsvoll die Biennale-Fahne. Was werden wir in Vorarlberg davon mitbekommen?

Konrad – Wir haben ja das Biennale-Büro nicht wie sonst üblich in Wien, sondern im vai in Dornbirn eingerichtet. Dadurch können wir mit einer extrem schlanken Struktur arbeiten. Für die Produktionsleitung, Sponsoring, Öffentlichkeitsarbeit etc. haben wir professionelle PartnerInnen gefunden, die schon öfter für die Biennale in Venedig tätig waren. Das heißt: alles was ich nicht weiß, wissen meine KollegInnen! Des Weiteren gibt es eine „Making of“-Ausstellung, die zu den Architekturtagen (9.6.) im vai eröffnet wird. So bekommen alle Interessierten auch im Ländle Einblick. Es gibt einen Katalog, Filme, die Arbeitsmodelle und Mockups, Beiträge zu Kontext und Geschichte der österreichischen Beiträge aus dem Biennale-Archiv der Universität für angewandte Kunst Wien sowie den „Biennale-Espresso“ als Vermittlungsformat. Zudem haben wir schon viele Anmeldungen zu Führungen vor Ort in Venedig.

Pfeifer Steiner – Vielen Dank für das Gespräch und auf gutes Gelingen!

16. Architekturbiennale in Venedig
vom 26.5. – 25.11.2018
Eröffnung Österreich Pavillon
24.5. um 15:00 Uhr
»Making of« Austrian Pavilion | La Biennale di Venezia 2018
Eröffnung Ausstellung 9.6.18 um 19:00 Uhr

newroom, Mo., 2018.05.07

25. Februar 2018Martina Pfeifer Steiner
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Unstabilisiert, vorfabriziert und tragend

Ist uns das eigentlich bewusst? Die Geschichte des Lehmbaus beginnt im 10. Jahrtausend vor Christus, als die Menschen sesshaft wurden. Fünfzehn Prozent...

Ist uns das eigentlich bewusst? Die Geschichte des Lehmbaus beginnt im 10. Jahrtausend vor Christus, als die Menschen sesshaft wurden. Fünfzehn Prozent...

Ist uns das eigentlich bewusst? Die Geschichte des Lehmbaus beginnt im 10. Jahrtausend vor Christus, als die Menschen sesshaft wurden. Fünfzehn Prozent der UNESCO Weltkulturerbe-Stätten sind aus Lehm gebaut und ein Drittel der Weltbevölkerung, das sind zweieinhalb Mrd. Menschen, wohnt in Lehmhäusern! Höchste Zeit, dass der Lehmbau aus seiner Nische herauskommt, wo er verharrte, wo man das ganze verlorene Wissen wieder entdeckt hat und mit modernen Technologien anwendet. Im Zeitalter der Industrialisierung wurden Fragen zu Klimawandel, CO2-Emissionen, Ressourcen, zur (grauen) Energie und zum ökologischen Fußabdruck vernachlässigt bis ignoriert, die heute absolut brisant sind.

Mit dem TERRA Award, dem ersten internationalen Preis für zeitgenössische Lehmarchitektur kam nun einiges in Bewegung, indem die außergewöhnliche ästhetische und technische Qualität dieses puren Baustoffes an innovativen Gebäuden sichtbar gemacht wurde. Das konnte die Initiatorin Dominique Gauzin-Müller noch nicht absehen, als sie das interdisziplinäre Forschungsteam CRAterre (Nationales Zentrum für Lehmbau) in Grenoble kennenlernte. Seit 35 Jahren beschäftigt sie sich mit ökologischer Architektur, schrieb zahlreiche, vielbeachtete Bücher und bewirkte nicht nur mit ihrer Ausstellung „Die Leichtigkeit des Seins – Aktuelle Bauten aus Holz in Frankreich“, die vor drei Jahren auch im vai gezeigt wurde, beträchtliche Aufmerksamkeit für das nachwachsende Baumaterial. „Wenn ich die gleiche Energie zur Verbreitung von Lehm aufbringen würde ...? Das interessierte mich brennend“, erzählt Dominique Gauzin–Müller.

PR für Lehm

Ein Preis – ein Buch – eine Wanderausstellung. Das war die Idee. Doch für Lehm gibt es keine Interessensverbände oder große Firmen wie bei Holz, folglich kein Geld. Man musste kreativ sein und die richtigen Partner suchen. Unter der Schirmherrschaft des UNESCO- Lehrstuhls „Lehmarchitektur, Baukultur und nachhaltige Entwicklung“, unterstützt von der École nationale supèrieure d´architecture de Grenoble, CRAterre und dem Forschungs- und Experimentierzentrum amàco wurde also der weltweite TERRA Award ausgeschrieben, der den Mut der Bauherrschaft, die Kreativität der ArchitektInnen und die Kompetenz von Handwerk und Unternehmen feiern sollte.

„Wir konnten überhaupt nicht einschätzen, wie viele Projekte eingereicht werden würden, fünfzig oder hundert? Und dann waren es tatsächlich 357 hochkarätige zeitgenössische Lehmbauten, von allen Kontinenten, in allen Techniken, ob aus Lehmziegeln, Wellerbau, gepressten Lehmsteinen, Stampflehm oder Strohlehm“, Gauzin-Müller wundert sich heute noch.

Von einer Jury wurden dann vierzig Bauten in unterschiedlichen funktionellen Kategorien als Finalisten nominiert. Da der alle vier Jahre stattfindende Terra 2016 Welt-Kongress zum zweiten Mal in Europa und noch dazu in Lyon stattfinden sollte, war die gefinkelte Idee, die „Jury d´honneur“ zu Beginn des Kongresses durchzuführen und die Preisträger des TERRA Awards als Abschluss zu präsentieren. So war dann tatsächlich der chinesische Architekt Wang Shu, Pritzker Preisträger 2012, Jury-Präsident. Interessant, dass die Wanderausstellung und das Buch „LEHMBAU HEUTE“ mit den vierzig Nominierten bis zu dieser Großveranstaltung schon fertiggestellt war. „Es ging uns nicht darum einige wenige hervorzuheben, sondern die Fülle und Vielfalt von modernem Lehmbau zu zeigen“, sagt Dominique Gauzin-Müller.

Der Pionier

Naheliegend, dass nun einer der wichtigsten und einflussreichsten Lehmbauer auftauchen muss. Der Vorarlberger Martin Rauch ist ein Pionier in der Verarbeitung von Stampflehm. Vier der von ihm aus vorgefertigten Elementen errichteten Bauwerke sind Finalisten des TERRA Awards: das Kräuterzentrum Ricola in Laufen, das Besucherzentrum der Vogelwarte in Sempach und das Ferienhaus Plazza Pintgiain in der Schweiz sowie die Büros der Druckerei Gugler in Österreich. Ihn würdigt die Jury mit einem Sonderpreis für sein Gesamtwerk, dem Preis für technologische Innovation. „Der TERRA Award für Martin Rauch ehrt einen Künstler und Bauunternehmer, dem es gelungen ist, sich respektvoll und vollkommen auf das dem Material Lehm innewohnende großartige Potenzial einzulassen. Seine Baumethoden und seine Produktion achten den Lehm für das, was er ist: eine großzügige Gabe der Natur, ein einfaches, unverändertes und umweltschonendes Baumaterial. Martin Rauch baut mit Erde für die Erde“, hieß es in der Laudatio.

Wieder naheliegend, dass nun bei der Präsentation der TERRA Award-Wanderausstellung mit den vierzig Projekten der Finalisten und interessanten Illustrationen der verschiedenen Lehmbautechniken im vai die Arbeit Martin Rauchs und seines Teams von Lehm Ton Erde mit den Produktions- und Innovationsprozessen einen bereichernden Sonderteil darstellt. Kurator Clemens Quirin verrät, dass es auch ein Modell im Maßstab 1:50 geben wird, welches den Herstellungsprozess von Stampflehm-Fertigteilen demonstriert. Auf drei Metern Länge wird vom Material Erde weg über das Mischen, Produktion und Lagerung der Elemente schlussendlich der Aufbau einer Wand gezeigt.

Hundert Prozent

Drei Statements beinhaltet der Titel für diese Schau: unstabilisiert, vorfabriziert, tragend. Der Vorarlberger Lehmbauer bleibt immer dem unverfälschten Erdmaterial treu. Statt in der vermeintlichen Verbesserung von Materialeigenschaften durch Additive wie Zement sucht Martin Rauch neue Wege und Lösungen in der konstruktiven Gestaltung und der Bautechnik. Erde zu Erde. Seine Gebäude sind zu hundert Prozent recycelbar. Installationen, Leerrohre, Holzbalken können einfach mit Wasser herausgelöst und wiederverwendet, das Haus rückstandslos der Natur zurückgegeben werden. „Das ist nur möglich, wenn man absolut keine Zusatzstoffe zur Stabilisierung verwendet. Und will man vorgefertigte Stampflehm-Elemente ohne sichtbare Fugen zusammensetzen, funktioniert das ebenfalls nur, wenn der Lehm pur bleibt“, so Martin Rauch.

In den letzten zwanzig Jahren hat das Team sehr viel Erfahrung in der Vorfertigung von Stampflehm-Elementen gesammelt. Jedes Projekt ist ein Prototyp und die Werkzeuge und Techniken entwickelten sich an jedem einzelnen Gebäude weiter. Aufsehenerregend war die Zusammenarbeit mit den Stararchitekten Herzog & de Meuron. Die Lagerhalle für die Kräuter der Ricola-Bonbons ist mit 111 Metern Länge derzeit das größte Stampflehmgebäude Europas. Die kiesige Erde wurde vor Ort gewonnen, Mergel und Lehm kamen aus einer nahen Ziegelfabrik. Um die insgesamt 3 000 m² selbsttragende Fassade zu bauen, errichtete Lehm Ton Erde in der Nähe der Baustelle eine Fertigungsanlage wo die Wandelemente gestampft wurden. „Da ist schon viel Vertrauen und Mut bei der Bauherrschaft eine Voraussetzung, denn sie kann sich nur auf meine Expertise verlassen, wenn neue Wege begangen werden. Überzeugungsarbeit ist notwendig und mein Spruch - eine Lehmwand ist viel schwieriger zu verkaufen als eine zu bauen – kommt nicht von ungefähr“, berichtet Martin Rauch.

Perspektiven

Sein eigenes Haus in Schlins war in dieser Hinsicht ein beruflicher Meilenstein. Dieses gilt international als Manifest der modernen Lehmbauarchitektur. Hier konnte Martin Rauch vorbehaltlos experimentieren - war er doch Bauherr, Handwerker und Co-Planer in einer Person - den Stampflehm tragend einzusetzen. Und die Zukunftsperspektiven tun sich schon bei seinem nächsten Vorhaben auf. An der eigenen Produktionshalle soll ein tragendes Bausystem aus Stampflehm entwickelt werden. „Abgesehen davon, dass wir eine große Produktionsstätte brauchen, ist jetzt einfach die Zeit, das Thema substanziell weiterzuentwickeln, zu forschen und zu zeigen, wie Lehm in großen Dimensionen als tragendes Baumaterial eingesetzt werden kann“, sagt Martin Rauch. Es gelte jedoch auch, für den Lehmbau mit seinen dicken Wänden eine spezifische Architektursprache zu finden sowie in der Ausbildung das Wissen über diesen ursprünglichen Werkstoff zu verbreiten. Die Weiterentwicklung der Vorfertigung beim Stampflehmbau im großen Stil würde Möglichkeiten eröffnen, an die wir heute noch gar nicht denken.

newroom, So., 2018.02.25

11. September 2017Martina Pfeifer Steiner
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Ein großes Fest der Künste

„Von Bauwerken, die an ihrem Ort eine besondere Präsenz entwickeln, habe ich oft den Eindruck, sie stünden unter einer inneren Spannung, die über den Ort...

„Von Bauwerken, die an ihrem Ort eine besondere Präsenz entwickeln, habe ich oft den Eindruck, sie stünden unter einer inneren Spannung, die über den Ort...

„Von Bauwerken, die an ihrem Ort eine besondere Präsenz entwickeln, habe ich oft den Eindruck, sie stünden unter einer inneren Spannung, die über den Ort hinausweist. Sie begründen ihren konkreten Ort indem sie von der Welt zeugen. Das aus der Welt Kommende ist in ihnen eine Verbindung eingegangen mit dem Lokalen.“, schreibt Peter Zumthor in seinem Buch `Architektur denken´[1]. Vielleicht macht genau das Zumthors Bauten so spektakulär, wobei für seine wahrhafte Architektur dieses Eigenschaftswort überhaupt nicht adäquat ist. Eindrucksvoll ist jedoch, was seine Häuser mit dem Ort und den Menschen machen. Das weiß auch KUB Direktor Thomas D. Trummer ganz genau: „Die Möglichkeiten, die das Kunsthaus Bregenz bietet, sind einzigartig. Dieser Raum schafft es, dass wir die Wahrnehmung intensivieren. Das erleben nicht nur die BesucherInnen so, sondern auch die KünstlerInnen.“ Wie aufsehenerregend und immer komplett einmalig, um in Superlativen zu bleiben, das wurde bei der Rückschau anlässlich des 20 Jahre-KUB Jubiläums wieder offenkundig. Ebenfalls erwiesen, was das andere große Werk des Architekten im Bregenzerwald als Versammlungsort für die Menschen und ihre handwerklichen Produkte macht. Anlässlich der Fertigstellung 2013 bemerkte Zumthor: „Es war für mich spannend, mit dem Werkraumhaus ein ländliches Gegenstück zum Kunsthaus Bregenz zu bauen, das ebenso stolz ist und selbstbewusst. Das nicht nur vom eigenen Dorf spricht, sondern auch ein wenig von der Welt. Interessant war das Abwägen zwischen Bäuerlichen und Städtischen, wie ländlich oder wie elegant das Haus werden sollte.“

Zumthor bespielte `sein´ Kunsthaus 2007 schon einmal. Die eindrucksvolle Ausstellung `Bauten und Projekte 1986 – 2007´ zeigte nicht nur Modelle (die sieben Jahre später das KUB Sammlungsschaufenster eröffneten) und Pläne, sondern eine Videokunst-Installation, die auf sechs raumhohen Screens pro Stockwerk insgesamt zwölf seiner Bauten, aus sechs Blickwinkeln gefilmt, als Cyberspace im Maßstab 1:1 durchwandern ließ. Bei Zumthors zweiter großen KUB-Ausstellung geht es diesmal nicht um seine Werke. Er hat sich wieder einen besonderen Ansatz ausgedacht: Zumthor lädt ein, zeigt was ihm wichtig ist – Dear to Me - und teilt es, er lädt zum großen Fest der Künste, das vier Monate lang im KUB ausgerichtet wird.

Musik und Literatur

Ein Spektakel, und jetzt passt das Wort! Wie schaffen die das, 150 Veranstaltungen? Doch fragen wir uns nicht immer wieder, wie das KUB-Team in nur drei Wochen alle Spuren verwischt und das Neue installiert? Denken wir nur an die aufwändige vorangegangene Ausstellung `Adrián Villar Rojas´! Zumthor verwandelt das Haus nun in vier verschiedene Kunstlandschaften. Im Erdgeschoß - Lounge-Atmosphäre: Ein großflächiger roter Teppich, zugeschnitten, auf dem schwarzen Podest ein Bösendorfer-Flügel, der Baldachin darüber sowie die geometrischen Paneele an den Wänden haben neben formalen auch akustische Funktionen. 36 Sessel, 36 Hocker und 6 Sofas in braunem Leder wurden von Zumthor eigens entworfen und gehen anschließend in die neue Kollektion eines Deutschen Möbelherstellers über. Es gibt eine Bar und nach sechs Uhr, bei Veranstaltungen, einen Drink, den der Architekt kreierte. Nur an diesem Ort erfährt man auf Monitoren etwas über Zumthors Arbeit. Die filmische Collage von Christoph Schaub, zusammengestellt aus Interviews, Gesprächen, Vorträgen und Diskussionen der letzten 30 Jahre basiert auf Themen, die im Schaffen und Denken des Architekten wichtig sind.

Peter Conradin Zumthor, der Sohn, ist Kurator des musikalischen Programms. Er interpretiert den Titel der Ausstellung so: „In Bezug auf Peter Zumthor und die ihm liebe Musik bedeutet das: Neues und Altes, Ernstes, Augenzwinkerndes, Komponiertes, Improvisiertes, Naturbelassenes, Ausgeklügeltes, Radikales, Überbordendes, Minimalistisches, Tanzbares, Berühmtes, Unbekanntes, Riskantes, Erprobtes, Internationales, Lokales. So lange es gut ist, gilt: It’s dear to me.“ Der Musiker konnte Olga Neuwirth dafür begeistern, ein Stück für Lochkarte und Spieluhr zu komponieren. Im ersten Obergeschoß bleibt das Kunsthaus wie es ist, sogar die langen schwarzen Sitzbänke versammeln sich hier zu abstrakten Linien. Zentral eine zarte Skulptur, die den 16 Meter langen Lochkartenstreifen bis an die Lichtdecke schweben lässt. Die Komposition `Tinkle for P.Z.´ dürfen die BesucherInnen auf der Spieluhr `klimpern´ lassen und erleben zudem die Musik auch optisch, denn in den grafischen Mustern auf dem Band sind deutlich einfache Tonleitern bis zu rasenden Akkordfolgen im voraus sichtbar.
In klassischer Hängung gibt es in diesem Stockwerk noch ein fotografisches Essay von Hélène Binet. Die Tessiner Fotografin hat das KUB schon bei der Eröffnung 1997 fotografiert. Hier findet man ihre noch nie in dieser Form ausgestellte Schwarz-Weiß Bilderserie, mit den gepflasterten Wegen auf die Akropolis in Athen, des griechischen Landschaftsarchitekten Dimitris Pikionis (1887–1968).

Eine Bibliothek

Das literarische Programm kuratiert die Literaturwissenschaftlerin Brigitte Labs-Ehlert. Sie ließ sich bei der Auswahl der Schriftsteller und der Lesetexte auf `Atmosphären´ ein, die Zumthor in seinem ebenso titulierten Buch beschreibt. Besonders erfreulich ist, dass der Georg Büchner Preisträger Marcel Beyer einen neuen Text beiträgt, der im KUB uraufgeführt wird. Das wird wohl im zweiten Stock stattfinden, denn dort ist eine Bibliothek eingerichtet. Ein Dickicht von Bücherwänden fasst eine Privatsammlung von 40.000 Bänden. Sie gruppieren sich labyrinthartig um ein Forum, das mit Stühlen der ältesten Schweizer Stuhl- und Tischmanufaktur `horgenglarus´ möbliert ist.

Wahrlich eine imposante Installation, die schon einen Glücksfall und freundschaftliche Vernetzung voraussetzte. Walter Lietha führte vierzig Jahre lang das `Antiquariat Narrenschiff´ in Chur und ist soeben im Begriff, seine immense Sammlung an Büchern, Bildern, Kleinplastiken, Dokumenten, Fotos, Schallplatten und Sammlungen von Antiquitäten aller Art nach Trin zu transportieren, das Narrenschiff übersiedelt nämlich in die ehemalige Bergpension Ringel. Dadurch war es möglich einen großen Teil der Bücher vorübergehend nach Bregenz zu bringen. Die Sammlung bibliophiler und kostbarer Werke befindet sich bereits im `Ringel-Refugium´. Somit darf die im Kunsthaus eingerichtete Bibliothek benutzt werden, da es sich um ein Gebrauchsantiquariat handelt. Wir werden also Tage im KUB verbringen, und besondere Entdeckungen machen können. Lietha sammelte alle Schätze, die andere Menschen entsorgen wollten. „Mir war bewusst geworden, dass Bücher großartige Zeitmaschinen sind, die Gedanken in gedruckten Buchstaben blitzschnell, über die Zeiten hinweg in mein Bewusstsein zu senden wussten. Dieses Phänomen, das nicht der Vergänglichkeit der Zeit folgte, konnte nur als Geist definiert werden, zeitlos in Büchern in gedruckter Form gebannt und aufbewahrt“, sagt er.

Ein Garten

Für das oberste Geschoss erschafft das Künstlerpaar Gerda Steiner und Jörg Lenzlinger einen Garten. Ob sie Zumthor ihren Entwurf vorher präsentierten? „Nein, das war eine Einladung an die Künstler, ich habe schon gesehen, dass sie zauberhafte Gärten machen, das gefällt mir gut, da hab ich keine Sorge, ich weiß ja wen ich einlade“, sagt er. `Lungenkraut´ ist der Titel dieser Kunstlandschaft und nach den Fotos und Texten des Künstlerpaars zu urteilen, wird es sehr poetisch.
Konzerte, Lesungen und Gespräche wird es geben, „hochkarätig, anspruchsvoll, überraschend, lustvoll, spielerisch, versponnen, volkstümlich, ausgelassen“. Es sei geplant, dass Zumthor jeden Donnerstag nach Bregenz kommt und bis Sonntag vor Ort bleibt, vorausgesetzt es ist eine schöne Bleibe zu finden. Das gehört wohl zum Konzept, er nimmt sich die Zeit. Von September bis Jänner lädt Zumthor außerdem sonntagvormittags GesprächspartnerInnen ein. Dazu wird sich das Erdgeschoß mit der Bühne anbieten. Aber insgesamt findet das Fest der Künste im ganzen Haus statt. So erfüllt es beispielsweise der Posaunist, der sich zwei Tage lang überall im Haus bewegt, mit Musik. „Die Einladung, das KUB zu bespielen, gibt mir Gelegenheit, Träume dieser Art wahr werden zu lassen und diese mit allen Besucherinnen und Besuchern zu teilen.“

[1] Peter Zumthor, Architektur denken, Birkhäuser, Basel, 2010, S. 41

newroom, Mo., 2017.09.11

10. Juli 2017Martina Pfeifer Steiner
newroom

Freiraum ist Lebensqualität

Es ist an der Zeit, die wandelnden Konzepte und Strategien von zeitgenössischer Landschaftsarchitektur zu vermitteln und ein Bewusstsein zu schaffen, wie...

Es ist an der Zeit, die wandelnden Konzepte und Strategien von zeitgenössischer Landschaftsarchitektur zu vermitteln und ein Bewusstsein zu schaffen, wie...

Es ist an der Zeit, die wandelnden Konzepte und Strategien von zeitgenössischer Landschaftsarchitektur zu vermitteln und ein Bewusstsein zu schaffen, wie bedeutend die Gestaltung von Frei- und Grünräumen für städtebauliche Entwicklung und die Zukunft der Gesellschaft ist. Dieses Thema beleuchtet nun das vai in einer vertiefenden Ausstellung, und zwar auf Projektebene, der Ebene der AkteurInnen, des Berufsstandes bezüglich historischer Entwicklung, Ausbildung, Herausforderungen und des gesellschaftlichen Anspruches. Ein theoretischer Layer, auch zu den Subthemen, wird ebenfalls angelegt.

Über Jahrhunderte hinweg waren es Architekten, Gärtner, Maler oder Laien, die Gärten, Parks, öffentliche Plätze und Landschaften gestalteten. Gibt es irgendwo ein Schloss ohne sorgfältige Landschaftsplanung? Legendär ist die Kunst des englischen Landschaftsgartens im 18. Jahrhundert, die in bewusstem Kontrast zum bisher dominierenden französischen Barockgarten stand. Anstelle der mathematischen Strenge von exakt angelegten Beeten und beschnittenen Hecken, suchte man nach der Ästhetik natürlicher Landschaft und abwechslungsreichen Eindrücken, der Idee eines „begehbaren Landschaftsgemäldes“ folgend.

Der Berufsstand der LandschaftsarchitektInnen ist in Österreich ein recht junger, es gibt erst seit 1991 ein reguläres Studium an der Universität für Bodenkultur (BOKU) in Wien. Entsprechend den neuen Tätigkeitsfeldern wie Stadt- und Dorferneuerung, Agrarförderung, Umweltverträglichkeitsprüfungen und Gartendenkmalpflege wurden nun auch Umwelt- und Naturschutz, kooperative Planungsverfahren und alltagstaugliche Freiraumgestaltung Teil des Selbstverständnisses von Landschaftsarchitektur.

Lebensqualität

Anfang der 1990er Jahre pilgerte man noch nach Paris um den aufsehenerregenden Parc André- Citroën zu besuchen. Die große Geste war spektakulär zu dieser Zeit. Auf dem Gelände der ehemaligen Automobilfabrik, einer Fläche von 14 Hektar, wurde der Park im Stil der Postmoderne angelegt, mit drei pompösen Glashäusern, Themengärten (weiß, schwarz, rot, blau, „en mouvement“) und einer riesigen Wiese, die geometrische Wasserläufe durchziehen. Der Park kommt dem dichtbebauten Wohngebiet zugute und verbindet es mit der Seine.
Soziale und städtebauliche Dimensionen von Landschaftsarchitektur sind auch am weltbekannten High-Line-Park in Manhatten ablesbar. 2009 verwandelte man in New York die ungenutzte Hochbahntrasse in einen neuen Begegnungsort. Wo einst Güterzüge in neun Metern Höhe die oberen Stockwerke der Fabriken und Lagerhäuser mit Fleisch belieferten, blühen heute Astern und Petunien. Die Umnutzung der High Line veränderte die Umgebung rundherum. Der Meatpacking District, wo sie beginnt, West Chelsea, durch den sie führt, und Hell ́s Kitchen, wo sie aufhört wurden zu Szenevierteln, Straßenzüge sorgfältig renoviert und neue Wolkenkratzer gebaut.

Die aktuellen Arbeitsbereiche von Landschaftsarchitektur gehen vor allem in Richtung Beteiligungsprozesse. Auf interdisziplinäre Vernetzung setzt die heutige Generation, was sich an der vermehrten Kooperation in Bauprojekten zeigt, aber auch in Bürogemeinschaften.

Bürgerbeteiligung

Die Stadt Bregenz rang lange um ihren Kornmarktplatz. Ein weitreichender Bürgerbeteiligungsprozess brachte an die hundertfünfzig Leute mit Architekten, Landschaftsplanern und PolitikerInnen an einen Tisch um sich der Frage zu nähern: Was braucht Bregenz in seiner Mitte? Und das Ergebnis ist überzeugend. Der sandfarbene durchgehende Bodenbelag erzeugt Weite, die ovalen Bauminseln mit den alten Platanen und die Sitzgelegenheiten, welche sich in konvexer Linie reihen, eine angenehme Balance von Privatheit und Kommunikation.

Ebenso waren beim Platz der Wiener Symphoniker vor dem Festspielhaus die Vogt Landschaftsarchitekten aus Zürich beteiligt. Erinnern wir uns an den Aufruhr vor zehn Jahren, als man sich nicht vom alten Brunnen und einzelnen Bäumen trennen wollte. Heute schätzen alle diesen lebendigen Ort der Begegnung, der obendrein dem internationalen Flair des Hauses gerecht wird. Und wer kann sich dem Zauber des Laubbaumgartens vor dem Casino entziehen?

Dass die Kostenstelle für Landschaftsarchitektur beim Montforthaus in Feldkirch eingespart wurde, merkt man dagegen. Es reicht nicht, die Natursteinpflasterung einfach zu verlängern, einem Platz muss seine Form gegeben werden. Tatsächlich hat die Intervention der Landschaftsarchitektin Nicoletta Piersantelli dann den Stadtraum hinter dem Montforthaus gerettet. Das engagierte Beteiligungsprojekt, initiiert von einer Lehrerin des Pädagogischen Förderzentrums, hat viel bewirkt. Thematisiert wurde das starke Bedürfnis nach einem Pausenhof, Ergebnis ist eine Stadtmöblierung, die noch dazu den Bogen zum Museumsquartier in Wien spannt. Die grünen „Enzis“ fanden ihren Platz und machen Feldkirchs Stadtleben eindeutig kommunikativer.

Auch beim Laurentiuspark an der sogenannten Gesundheitsmeile, die das Krankenhaus Bludenz, Seniorenheim, „Wohnen für Jung und Alt“ und „Werkzeit“, die Ausbildungsstätte für Jugendliche, vereint, war Piersantelli federführend. In einem ausführlichen Beteiligungsprozess wurden VolksschülerInnen, die Jugendlichen und SeniorInnen in Planung und Ausführung eingebunden.

Landschaftsarchitektur vor Ort

Die Ausstellung im vai zeigt zahlreiche Beispiele der Landschaftsplanung in Vorarlberg und den angrenzenden Regionen. Konkrete Projekte sind Privatgärten, Parks, Plätze, Straßenräume, Spielplätze, Außenanlagen von Kindergärten, Schulen, Pflegeheimen, Sozialeinrichtungen, Wohnanlagen und Gewerbebauten, hier auch historische mit Neuinterpretation. Als Nachschlagewerk dient nextland, eine Internetplattform, die seit 2005 der Architekturdatenbank nextroom.at angeschlossen ist, und mit dieser vai-Aufarbeitung weiter wachsen wird.

Wichtig für die Vermittlung sind Vor-Ort-Begehungen. In Exkursionen, Wanderungen, Spaziergängen wird inhaltlich vertieft und mit den AkteurInnen diskutiert. Auch für Kinder und Jugendliche gibt es ein vielfältiges Herbstprogramm.

Die Gestaltung von Landschaftsräumen ist heutzutage auf Projektebene bereits gut verankert. Erfreulich, wenn auch die Öffentlichkeit bewusst die Qualitäten von Freiräumen wahrnehmen kann, das wäre die Intuition von gelungener Landschafts-Architektur-Vermittlung.

newroom, Mo., 2017.07.10

03. April 2017Martina Pfeifer Steiner
newroom

Ein Buchraum zum Flanieren und Vertiefen

Vis-à-vis in ihrem Architekturbüro sitzen einander Markus Gohm und Ulf Hiessberger seit 25 Jahren. Nun geben sie mit einem außergewöhnlichen Buch Einblick...

Vis-à-vis in ihrem Architekturbüro sitzen einander Markus Gohm und Ulf Hiessberger seit 25 Jahren. Nun geben sie mit einem außergewöhnlichen Buch Einblick...

Vis-à-vis in ihrem Architekturbüro sitzen einander Markus Gohm und Ulf Hiessberger seit 25 Jahren. Nun geben sie mit einem außergewöhnlichen Buch Einblick in ihr Werk. Es ist keine Monografie im herkömmlichen Sinn, obwohl es sich 24 ausgewählten Bauwerken widmet. Die Architekten drängen sich nicht vor, eine Minimalbiografie erzählt das Wesentliche, sie feiern auch nicht ihre Architektur, sondern geben Einblick, laden uns ein näherzukommen, zu entdecken, wie es sich so lebt in ihren Gebäuden.

Die Suche nach der Patina

Sie folgen der Idee, die Komponente der Veränderung durch Benützung und Zeit zu reflektieren. „Uns interessiert wie sich die von uns geschaffene Architektur in diesen 25 Jahren verändert hat, wie sie im Gebrauch gealtert ist und Patina außen wie innen angelegt hat. Zudem dient uns dieses nochmalige genaue Hinsehen der Überprüfung der eigenen Positionierung“, sagt Ulf Hiessberger.
Und obligates Mittel dafür ist die Fotografie. Markus Gohm erzählt in seinem ausführlichen Fotoessay eine Geschichte. Seit sieben Jahren fotografiert er wieder intensiv und ist Mitglied der Berufsvereinigung der bildenden Künstler Vorarlbergs. „Der Blick durch die Kamera gilt üblicherweise nicht der Architektur, sondern dem Leben. Meine Fotografie erkundet Beziehungen – zwischen Menschen, zwischen ihnen und Räumen, Landschaften oder Objekten. Auch bei der Fotografie für dieses Buch handelt es sich nicht um Architekturfotografie, sondern um eine Reportage auf der Suche nach Aggregatszuständen, der Suche nach Gebrauchsspuren.“

Es fand sich das richtige Kernteam zusammen. Marina Hämmerle ist Herausgeberin. Sie hat schon bei anderen Buchprojekten gezeigt, wie unkonventionelle Ansätze zu ganz neuen Sichtweisen von Architektur führen können. Michael Marte, der Junge des Grafikbüros Create Sense übernahm die Buchgestaltung und entwickelte dafür sogar eine neue Typografie. Harry Marte, der Vater, war Creative Consultant. Er brachte auch Michael Köhlmeier ins Spiel, die beiden verbindet nicht nur Freundschaft, sondern auch die Musik.

So nehmen wir das hochwertige Buch im großen Format zur Hand, schwarz-weiß, weiß-schwarz das Cover, Fülle und Farbe dazwischen. Gleich am Anfang überrascht der Text von Michael Köhlmeier. 13 kurze Kapitel, mit Titeln überschrieben („II. Der Herd“, „IV. Nachbar und Barbar“, „X. Heimat und Himmel“ etc.) bringen eine ganz andere Perspektive ein, die sich nicht mit der Architektur von Gohm Hiessberger befasst. „In den MINIMA TABERNACULA, einer Erzählung zur Überwindung des Mangels, beginnt Michael Köhlmeier bei der Urhütte. Er ertastet darin, wie viel es zum Hausen braucht und was an uns rührt“, steht im Editorial.

Architektur darf man überantworten

Es folgt als Hauptteil das Fotoessay von Markus Gohm. Die Architekten können damit auch selber überprüfen, wie Bauten Zeit und Nutzern standhalten beziehungsweise was sie den Benutzern offerieren. „Die Rückschau bestärkte uns auch in der Haltung, Architektur muss überantwortet werden an die Nutzerinnen. Wir können nicht vorschreiben, wie sie die Bauten zu nutzen haben“, so Hiessberger. Die LeserInnen dürfen eintreten, in aller Ruhe (mindestens sieben Bildseiten lang) und sich einlassen auf die Ästhetik des alltäglichen Lebens. Manchmal tauchen Menschen auf, oft ist es das Gebäude wie es ist, nur der hölzerne Stiefelknecht, angelehnt am roten Spint, erzählt davon, was Feuerwehrleute brauchen; ein Haufen Plüschtier-Frösche vor der immensen Plattensammlung, von der Sammelleidenschaft des Bewohners, vorbeihuschende Personen, vom Leben in der Stadt.

Spätestens wenn man am Inlay mit dem Essay „DER ZWEITE SATZ“ von Marina Hämmerle anlangt, erschließt sich der Rhythmus des Buches, einer Lemniskate, der liegenden Acht, folgend. Das Fotoessay in Farbe beginnt mit den neuesten Projekten. Wo die Schleife wieder für den nächsten Ausschlag Schwung holt, finden sich 13 Projektbeschreibungen, die zwar präzise von der Architektur sprechen und doch poetisch und vielschichtig durchscheinen lassen, dass es um den großen Bogen geht, auch zu den Texten von Köhlmeier, die Inspiration für den jeweiligen Fokus geben. Und an diesem Schnittpunkt die weitere Bewegung. Doppelseitige Architektur-Fotos, zum Zeitpunkt der Fertigstellung aufgenommen, in Schwarz-Weiß lassen die soeben besuchten Bauten wiedererkennen. Die Orientierung wird leicht gemacht, denn es folgt pragmatisch und immer im gleichen eleganten Format und Maßstab ein genordeter Satelliten-Lageplan, die Fakten wie Bauherrschaft, Ausführung, Umbauter Raum, Nutzfläche und eine Grafik von Schnitt und Grundrissen. Interessiert können wir zurückblättern, denn im Sinne guter Signaletik findet sich der Wegweiser elegant als Seitennummer, wo das Pendant in Farbe oder Text zu finden ist. Dieser Projektteil beginnt mit den frühen Werken und nimmt drei Projekte in Bau und drei in Planung als Blick in die Zukunft mit.

Überraschende Einlagen

Die „Vis à Vis“-Geschichte wird in Bildern erzählt, es gibt keine Beschriftung oder Textpassagen in der umfassenden Fotostrecke, sondern nur das weiße Trennblatt mit der Verortung des jeweiligen Gebäudes und einem über die ganze Seite auseinandergezogenen Drei- bis Vierzeiler: MASSGESCHNEIDERTE UMWANDLUNG – MIT RESERVE für einen Hausumbau oder INS LAND HINEINSCHAUEN – DEN GARTEN VOR SICH zum Baumarkt in Dornbirn. Die Texte sind von den Bildern entkoppelt und tauchen im gut lesbaren Format als Inlay auf. Zum Schluss das Essay von Otto Kapfinger. Der Architekturpublizist rezensiert nicht wie erwartet die Bauten, sondern beschreibt genau den Blick des Fotografen. Schon wieder überrascht, können wir das, wozu wir uns vielleicht im ersten Teil in Eigengesprächen verleiten ließen, mit Kapfinger reflektieren.

Etwas provokant könnte man sagen: Man muss sich nicht für die Bauten von Gohm Hiessberger interessieren, um dieses Buch zu lesen. Es macht einfach Freude hindurchzuwandern.

newroom, Mo., 2017.04.03



verknüpfte Publikationen
Gohm Hiessberger vis-à-vis

15. März 2012Martina Pfeifer Steiner
zuschnitt

Der Schlüssel zum Hochhaus

Seit Jahren beschäftigt sich die Rhomberg Gruppe damit, wie der Einsatz von Ressourcen und Energie bei der Errichtung eines Gebäudes und über dessen gesamten Lebenszyklus hinweg reduziert werden kann. Sie initiierte ein Forschungsprojekt zur Nachhaltigkeit im urbanen Städtebau und gründete Cree. Creative Resource & Energy Efficiency.

Seit Jahren beschäftigt sich die Rhomberg Gruppe damit, wie der Einsatz von Ressourcen und Energie bei der Errichtung eines Gebäudes und über dessen gesamten Lebenszyklus hinweg reduziert werden kann. Sie initiierte ein Forschungsprojekt zur Nachhaltigkeit im urbanen Städtebau und gründete Cree. Creative Resource & Energy Efficiency.

Im ersten Teil des Forschungsprozesses arbeiteten internationale Wissensführer aus Architektur, Statik, Bauphysik, Gebäudetechnik und Prozessmanagement zusammen und prüften, wie hoch in Holz gebaut werden kann. Das Ergebnis der Studie war ein bis zu zwanzig Stockwerke hohes Holzhybridhaus, das nur 822 Tonnen CO2 im Laufe seines Bestehens verbraucht – im Gegensatz zu 10.375 Tonnen eines konventionellen Hochhauses. Architekt Hermann Kaufmann wurde ins Boot geholt und damit beauftragt, für das Holzhochhaus ein baureifes System zu entwickeln. Mit dem Prüfnachweis (nach DIN EN 13501) des Feuerwiderstandes REI 90 der Holzverbundhybriddecke wurde eine wichtige Voraussetzung der Brandschutzbehörde erfüllt und ein wichtiger Schritt in Richtung Realisierung getan. Dazu wurden in Tschechien mehrere Holz-Beton-Verbundelemente von 2,7 Metern – entspricht dem Fassadenraster – mal 8,1 Metern – die mögliche Raumtiefe – einem Brandversuch unterzogen.

Der Life Cycle Tower One wird derzeit in Dornbirn als Prototyp mit acht Stockwerken gebaut – der massive Betonkern mit Stiegenhaus und Lift steht bereits. Die Holz-Beton-Verbundrippendecke ist der eigentliche Schlüssel, um in die Höhe zu bauen, da es mit ihr gelingt, die jeweiligen Geschosse durch eine nicht brennbare Schicht konsequent zu trennen. In eine Stahlschalung von 8,1 mal 2,7 Metern werden die Holzbalken eingelegt, die Abstände dazwischen geschalt und im Vergussverfahren betoniert. Durch den hohen Vorfertigungsgrad vereinfacht sich der Bauablauf wesentlich. Die Deckenelemente können industriell viel präziser gearbeitet werden, es gibt keine Aushärtungszeiten auf der Baustelle und für die Verlegung eines Deckenelements geben die Handwerker ganze 5 Minuten an.

Der Schubverbund zwischen Beton und Leimbinder wird nicht mittels komplizierter Verbinder, sondern über Schrauben und Schubkerven hergestellt. Ein Sturzträger aus Beton trägt weiters statisch wesentlich zur Durchleitung der enormen Kräfte aus den Fassadenstützen bei. Das Hirnholz der Doppelstützen steht direkt auf dem Beton, der verbindende Dorn wird auf der Baustelle im Fertigteil eingegossen. Dieser Sturzträger ermöglicht die brandschutztechnisch notwendige geschossweise Trennung der Konstruktion auch in der Stützenebene und eine Einleitung der Lasten aus der Decke in die Stütze, ohne einen Holzbauteil quer zur Faser zu belasten. Dem Kräfteverlauf folgend, werden die Stützen den tatsächlichen statischen Erfordernissen entsprechend konfektioniert.

Da bei einem Hochhaus bis zu ein Drittel der Kosten für die Fassade aufgewendet wird, birgt die geringe Konstruktionshöhe der hbv-Decke einen entscheidenden ökonomischen Vorteil. Der durch die Konstruktion statisch nicht benötigte Raum seitlich zwischen den Leimbindern wird für die Unterbringung der Installationsmodule wie Beleuchtung, Lüftung, Heizung, Kühlung und Sprinkler genutzt. Sie sind vorgefertigt und werden einfach zwischen die Leimbinder gehängt. Dies bringt wiederum mit den stützen- und wandfreien Räumen die geforderte Flexibilität und Nachhaltigkeit in Bezug auf sich ändernde Nutzungen mit sich.

In den Innenräumen bleibt die Tragwerkskonstruktion aus Holz sicht- und erlebbar. Als Außenhaut wurde eine regelmäßige Aluminium-Fassade um das stringente Systembauwerk gewählt. Der Prototyp wird als Büro genutzt. Fortsetzung folgt. Hermann Kaufmann hat zusammen mit Cree schon den nächsten Auftrag in Arbeit. Im Montafon entsteht für die Vorarlberger Illwerke ein fünfgeschossiges, aus Holz gefertigtes Bürogebäude – ebenfalls als Holzhybridbau. Mit einer Gesamtfläche von 10.400 m² ist es eines der größten in Europa.

zuschnitt, Do., 2012.03.15



verknüpfte Bauwerke
Life Cycle Tower

18. September 2010Martina Pfeifer Steiner
Der Standard

Grün und noch viel grüner

Trophäen für Projekte zur Nachhaltigkeit und Menschlichkeit der gebauten Umwelt vergibt der „Zumtobel Group Award 2010“.

Trophäen für Projekte zur Nachhaltigkeit und Menschlichkeit der gebauten Umwelt vergibt der „Zumtobel Group Award 2010“.

Künstliche Beleuchtung verbraucht fast zwanzig Prozent des weltweit erzeugten Stromes. Nachhaltigkeit ist also ein Kernthema bei Zumtobel Group, dem österreichischen Lichtkonzern, der mit professionellen Lichtlösungen und innovativen Leuchtmitteln auch zur Ressourcenschonung beiträgt. Das Engagement für eine lebenswerte, nachhaltige und humane Zukunft geht jedoch weiter. Zum zweiten Mal wird der Zumtobel Group Award for Sustainability and Humanity in the Built Environment ausgelobt. Kuratiert wieder von Aedes Architekturforum Berlin, ist dem Unternehmen die Förderung von visionären Projekten insgesamt 140.000 Euro wert.

Eine internationale Expertenrunde legte der Jury insgesamt 40 Projekte aus aller Welt vor. Diese kürte einen Preisträger und je vier Auszeichnungen in zwei Kategorien. Sparte „Gebaute Umwelt“ würdigt effektive und innovative Projekte in Architektur und Stadtplanung, die richtungweisend für eine lebenswerte Zukunft im urbanen Raum sind und regionale Besonderheiten in der Architektur aufnehmen.

Die Kategorie „Forschung & Initiative“ zeichnet Projekte von gemeinnützigen Organisationen, Universitäten und Einzelpersonen aus, die noch nicht abgeschlossen sind, damit das Preisgeld zur Weiterentwicklung und Förderung beitragen kann. 2010 geht der Zumtobel Group Award an Terreform ONE+Terrefuge, ein gemeinnütziges Designkollektiv. Die interdisziplinäre Forschergruppe aus Wissenschaftlern, Künstlern, Architekten und Studenten wurde von Joachim Mitchell und Maria Aiolova initiiert. Ihr visionäres Forschungsprojekt New York City Resource & Mobility zeigt in einem Masterplan kühn und unkonventionell die ökologische Zukunftsfähigkeit der Stadt auf. Sie bieten ein umfassendes Umwandlungsmodell an, in dem die Verhältnisse von Gebäuden, Grünflächen, Straßen und von öffentlichem und privatem Besitz neu geordnet werden.

In hundert Jahren ist New York eine grüne Stadt und bezüglich Lebensmittelproduktion weitgehend autark. Durch Freilegung der unter Beton versteckten Wasserwege für den Verkehr, entstehen neue Grünflächen, die landwirtschaftlich genutzt werden können. Bäume und Pflanzen, die sich an den Häuserfassaden hochranken, tragen heimische Früchte, Gewächshäuser statt Glasfassaden bringen sogar exotische hervor. Es entsteht insgesamt ein kühleres und ausgeglichenes Stadtklima, Regenwasser-, Wind- und Sonnenenergienutzung tragen zu einer neuen Energiebilanz bei.

Der Müll, den New York City in einer Stunde produziert, würde die Freiheitsstatue anfüllen, mit dem Tagesquantum wäre das Empire State Building alle achtzehn Tage voll. Automatisierte Druckroboter, eine Anlehnung an Walt Disney, bereiten im visionären Projekt die Mülldeponien auf. Neu gebaut wird mit recyceltem Material und auch der theoretische weitere Baugrund in Größe der Insel von Manhattan würde in Jahrzehnten aus Abfall erzeugt.

Terreform ONE+Terrefuge kreieren auch Fortbewegungsmittel, die friedvoll sind. Da kommen die „car lambs“ als smarte, sichere Stadtautos. Alles Maschinelle befindet sich in den Reifen, der Korpus ist innen wie außen aus weichen Polstern, auf Sojabasis. Sie bewegen sich langsam, können in Schienen einklinken, man gibt Informationen und Richtung an. Parken bedeutet Aufladen und es gibt auch ein intelligentes System, das den Strom aufteilt. Auch der „Blimp bumper bus“ ist entschleunigt. Der Passagier steigt nicht ein, sondern springt auf, in weiche Fly-in-Sessel, die langsam auf Straßenniveau dahingleiten. Wie soll bei dem gemächlichen Einheitstempo ein Stau entstehen?

River Gym NY ist ein konsequent weitergedachtes Verkehrsmittel. Viele Menschen von New Jersey überqueren täglich den Hudson River, um zur Arbeit zu gelangen. Sie buchen die Mitgliedschaft in einer Art Gesundheitszentrum und bewegen mit ihrer Energie bzw. Gymnastik die Fähre weiter. Passive Überfahrer werden gratis mitgenommen.

Die Jury stellt einhellig fest, dass dieses autarke urbane Modell zum Ressourcenaustausch „auf die Notwendigkeit in heutigen Zeiten reagiert, in größeren Dimensionen zu denken. Zu Recht stellt das Projekt mehr Fragen, als es Antworten gibt.“

Grün bleibt es auch in Kategorie „Gebaute Umwelt“. Der Zumtobel Group Award geht an TRIPTIQUE Architekten. Das französisch-brasilianische Architekturbüro wurde von Gregory Bousquet, Carolina Bueno, Guillaume Sibaud und Olivier Raffaelli vor zehn Jahren gegründet. Weltweite Vernetzung mit Partnern ist ihre Arbeitsmethode. Sie zeigen, dass Umweltbewusstsein Spaß machen kann. HARMONIA//57 ist ein Gebäude mit Künstlerateliers in São Paulo, das Low-Tech-Materialien und -Elemente mit einem einfachen Bewässerungssystem und innovativer Wassernutzung kombiniert.

Zwei Baukörper, einer schwebt auf Pfeilern, der andere ist ebenerdig, sind durch Brücken aus Metall verbunden, dazwischen entsteht ein offener Platz. Oben drauf sitzt ein Vogelhäuschen. Große aufgesetzte Fenster und einfachste Lattentore als Sonnenschutz vermitteln Leichtigkeit. Diese zieht sich mit spontan veränderbaren Volumina und Nutzungsmöglichkeiten auch ins Innere. An diesem Ort in Brasilien herrscht Tropenklima, mit hohen Temperaturen und im Winter viel Regen.

Das Gebäude wird zum innovativen Hybridraum, es kann atmen, schwitzen und verändert sich selbst. Die Hülle ist aus Dichtbeton mit auffallender Struktur. Richtige Pflanzlöcher sind vorgesehen für eine zweite, grüne Schicht. Das Grün quillt förmlich aus der Wand, verändert und verdichtet sich stetig. Ein sichtbar verlegtes Bewässerungssystem aus Rohrleitungen besprüht von außen das Gebäude und sorgt wie die Schattenspender für angenehmes Raumklima. Das technisch einfache, jedoch voll integrierte Leitungssystem verbindet Kollektoren und Tanks, wird zum architektonischen Gestaltungselement. Mit der Zeit wird HARMONIA//57 langsam in der dichten Bepflanzung verschwinden.

Mit dem Zumtobel Group Award für Nachhaltigkeit wird eine Plattform geschaffen, um unterschiedliche Fragen von Energieversorgung und Ressourcennutzung, sozialen Strukturen und den städtebaulichen Kontext zu adressieren. Alle acht gewürdigten Projekte machen eines deutlich: Durch neues Denken kann vieles erreicht werden.

Der Standard, Sa., 2010.09.18



verknüpfte Akteure
Zumtobel AG

19. Dezember 2009Martina Pfeifer Steiner
Der Standard

Zellteilung auf Vorarlbergisch

Zwei Ausgucke ragen neugierig in Richtung Bodensee. Dass sich dahinter ein typisches Einfamilienhaus aus den Sechzigerjahren verbirgt, sieht man dem modernen Drillingshaus der Hein-Troy Architekten kaum an.

Zwei Ausgucke ragen neugierig in Richtung Bodensee. Dass sich dahinter ein typisches Einfamilienhaus aus den Sechzigerjahren verbirgt, sieht man dem modernen Drillingshaus der Hein-Troy Architekten kaum an.

Einst hatte die kinderreiche Familie Kienreich in diesem typischen Sechzigerjahrehaus gewohnt, auf einem 750 Quadratmeter großen Grund, mit ruhigem Blick zum Bodensee. Sechs der insgesamt acht Geschwister zogen mit der Zeit aus, die Zwillingsbrüder Georg und Martin allerdings hatten Lust, in Hörbranz zu bleiben und den elterlichen Bau zu erweitern. Für diese knifflige Bauaufgabe - so viel war klar - waren Architekten gefragt. Drei Vorschläge wurden eingeholt, der Entwurf der Hein-Troy Architekten überzeugte.

Die gewohnte Lebensqualität der Eltern zu erhalten und zu verbessern war die große Herausforderung an diesem Projekt. Gleichzeitig musste, unter Einhaltung aller baulichen Abstandsregeln, ordentlich nachverdichtet werden. Das Konzept der Architekten: Das alte Gebäude blieb unangetastet, lediglich Garage und Dach wurden abgerissen. Drangesetzt und aufgebaut wurde in Holzfertigteilen.

„Es ist bald festgestanden, dass sich zwillingsgleiche Wohnungen nicht ausgehen“, erklärt Juri Troy. Stattdessen entwarfen die beiden Architekten zwei Wohneinheiten, die in den Qualitäten zwar ausgewogen, in Funktion und Charakter jedoch völlig unterschiedlich sind. Mit Erfolg: „Wir wussten auf Anhieb, welche der beiden Wohnungen zu wem passt“, erinnert sich Martin Kienreich.

Er hat sich für die zweigeschoßige Maisonette entschieden, die anstelle der ehemaligen Garage entstand. Während im Erdgeschoß Schlafzimmer und Bad liegen, dehnt sich im frech auskragenden Kubus auf zwei Splitlevels der Wohnbereich aus. Über eine Halbtreppe gelangt man auf die Galerie. Sie wird als Küche genutzt. Von dort führt der Weg zu zwei weiteren Zimmern. Highlight ist die Terrasse mit überwältigendem Ausblick. Gleichzeitig wirkt sie wie ein Innenhof, privat und uneinsehbar.

Georgs Wohnung hingegen ist weitläufig, auf einer Ebene organisiert und scheint dem Elternhaus wie ein Hut einfach aufgesetzt zu sein. Reizvoll ist das Labyrinth der Zimmerfolgen, die intern und über den Gang zu erreichen sind. Der offene Bereich für Wohnen, Kochen, Essen profitiert vom gewaltigen Panorama und von einer vorgelagerten Loggia.

Wohnen auf der Baustelle

An beiden Apartments wurde gemeinsam gearbeitet. Viel Eigenleistung, viel Mithilfe durch Freunde steckt in dem Bau. Die Eltern zeigten großes Durchhaltevermögen: Während der einjährigen Bauzeit blieben sie im Haus und versorgten die Handwerker mit deftiger Brotzeit. Ihr Wohnbereich, der in der Fassade als Kontur noch deutlich zu erkennen ist, wurde nur renoviert und rundum dick isoliert. Im Zuge dessen wurden auch die Fenster ausgetauscht und Verbreiterungen am Balkon vorgenommen. Der Vater, der immer schon mit Holz heizte, staunt heute, dass er für drei Wohnungen weniger Brennstoffs bedarf als früher für das eine Haus.

„So wichtig wie die abgetrennten Wohnungen waren uns auch die gemeinsamen Bereiche“, stellen Martin und Georg fest. Zwei Treppen führen ins Untergeschoß, in dem Lagerräume und Gästezimmer zur Verfügung stehen. Im Partyraum mit großer Glasfassade werden Familienfeste gefeiert, die im Sommer regelmäßig in den Garten ausufern. Besonders auffällig ist, dass trotz Verdreifachung der Kubatur kein Flecken des kostbaren Grüns geopfert werden musste. Der Mehrwert, der sich durch den Umbau des Hauses Kienreich eingestellt hat, ist auf allen Linien spürbar - nicht nur im Endergebnis, sondern auch im Zusammenhalt, der durch den gemeinsamen Bauprozess entstanden ist.

Der Standard, Sa., 2009.12.19



verknüpfte Bauwerke
Mehrfamilienhaus K³

14. November 2009Martina Pfeifer Steiner
Der Standard

Ziegelstein mit Wasserlade

Frisch gelandet: Das turmartige Wohngebäude steckt wie ein Fels in der Böschung. Schlicht und schnörkellos offenbart das Haus der Heim+Müller Architekten nach außen nicht, welch Luxus innen steckt.

Frisch gelandet: Das turmartige Wohngebäude steckt wie ein Fels in der Böschung. Schlicht und schnörkellos offenbart das Haus der Heim+Müller Architekten nach außen nicht, welch Luxus innen steckt.

Schauplatz ist Wolfurt, eine kleine, engagierte Gemeinde in Vorarlberg: Um ein geplantes Investorenprojekt am schönsten Hang in der Ortsmitte zu verhindern, griff die Gemeinde kurzerhand ein und erstand den begehrten Bauplatz selbst. Danach halbierte sie den Grund, definierte enge Baugrundlagen und bot die zwei Parzellen zum Kauf an.

Einer der glücklichen Bauherren für das Traumgrundstück war Thomas Böhler. Er ist Fachmann für Computer- und Netzwerktechnik und arbeitet schon seit längerer Zeit mit den Dornbirner Architekten Heim+Müller zusammen. So geschieht das Naheliegende, der vierte Entwurf gelangt schließlich zur Realisierung.

„Unser Bauherr ist anspruchsvoll, dafür ist er aber auch bereit, sich auf Besonderheiten einzulassen, was seinem Hang zur Extravaganz durchaus entgegenkommt“, resümiert Architekt Michael Heim. Das Ergebnis ist ein Monolith aus Backstein, der vergangenen Mittwoch mit dem Austrian Brick and Roof Award des Verbandes Österreichischer Ziegelwerke (VÖZ) ausgezeichnet wurde. In dieser exponierten Lage war das ewig haltbare Material die erste Wahl. „Faszinierend, wie die drei spezialisierten Maurer aus der Schweiz Ziegel für Ziegel aufschichteten und die Kunst der Fuge beherrschten“, blickt der Bauherr zurück. So perfekt wird es natürlich nur, wenn bis ins letzte Detail konsequent geplant und vorgezeichnet wird.

Selbstbewusst steht der ziegelrote Kubus an der Hangkante. Die freche Auskragung, die wie eine Bauchtasche vor die Südfassade gehängt ist, trägt einen Swimming-pool. Rund 50 Tonnen Wasser werden elegant in Schwebe gehalten. Wenige, jedoch kräftig verankernde Eingriffe in das steile Gelände waren notwendig.

Die Zufahrtsstraße im Osten wird nur von einer schlanken Rampe berührt. Sie erinnert an eine Heubodenauffahrt, an eine Zugbrücke vielleicht. Vom Straßenniveau aus entwickeln sich die drei Ebenen in die Tiefe. „Ganz oben, da ist die schönste Aussicht, und trotzdem sind da keine Fenster“, staunen die Passanten immer wieder. Tatsächlich: Das Büro, gleichzeitig Foyer, hat nur einen schmalen Fensterspalt Richtung Gebhardsberg, die Autos in der Garage hingegen kommen auch ohne Aussicht aus.

Die gläsernen Einschnitte haben's in sich: Durch den Fensterspalt scheint man geradewegs ins Wasser springen zu können. „Dieses Gefühl war uns wichtig, denn vom vorgehängten Pool sollten alle Geschoße profitieren“, sagt der Architekt verschmitzt. Konsequent sind die Badezimmerfenster im untersten Geschoß als Bullaugen ausgebildet. Die Sicht ins blaue Wasser des Pools ist wie auf einem Luxuskreuzfahrtschiff.

In der Mitte liegt das Wasser

Das Highlight spielt sich ohne Zweifel im Mittelgeschoß ab. Der offene Wohnbereich ist allseitig verglast, der Panoramablick gleitet über Terrasse und Wasserfläche nahtlos in die Ferne. Die gläserne Balkonbrüstung tut ihr Übriges. „Wenn ich auf dem Sofa sitze, plätschert das Wasser des Pools an die Scheiben“, stellt der glücklich wohnende Thomas Böhler fest, „in endloser Weite sehe ich über die Wasserkante zum Bodensee.“

Im Wohnzimmer ertappt man den Bauherrn bei seinem Hobby, das gleichzeitig sein Beruf ist: Die komplette Haus- und Mediatechnik kann er von hier aus elektronisch steuern. Die Schaltzentrale ist ein eigens entwickelter Touchscreen, der mit einfachen Bildern und Symbolen überaus bedienerfreundlich gestaltet ist. Temperaturregelung, Regenwasserverwaltung, Alarmanlage und Beleuchtungschoreografie im ganzen Haus werden über ein intelligentes Bus-System angesteuert. Tippt man auf Fernsehen, setzen sich Fensterrollos und Leinwand in Bewegung, während durch ein Klapptürchen der Beamer eigenständig ausfährt. Klug und sparsam ist hingegen das Heizsystem mit Erdwärme. Ein archaischer Lehmofen sorgt zusätzlich für die nötige atmosphärische Gemütlichkeit.

Der Standard, Sa., 2009.11.14



verknüpfte Bauwerke
Einfamilienhaus Böhler

31. Oktober 2009Martina Pfeifer Steiner
Der Standard

Ein Haus kriegt eine Welle betoniert

Ein Vorarlberger Betonfabrikant bestellte bei den jungen Architekten Georg Bechter und Jürgen Stoppel ein Traumhaus aus Beton. Gelungen ist ein Experiment, das dem grauen Material ungeahnte Dimensionen verleiht.

Ein Vorarlberger Betonfabrikant bestellte bei den jungen Architekten Georg Bechter und Jürgen Stoppel ein Traumhaus aus Beton. Gelungen ist ein Experiment, das dem grauen Material ungeahnte Dimensionen verleiht.

Sie waren noch nicht einmal mit ihrem Architekturstudium fertig, als Jürgen Stoppel und Georg Bechter eines Tages mit der Anfrage konfrontiert wurden: „Könnt ihr für uns ein Haus planen? Aber es muss eine Betonfassade sein!“ In seinem Betonwerk stellt Rochus Rohner, Bauherr in diesem Projekt, üblicherweise Betonsteine und Kanalrohre her, diesmal sollte es die Hülle seines eigenen Hauses sein.

Auf der Wunschliste, zusätzlich zum normalen Raumprogramm einer Familie mit drei Kindern, standen außerdem ein Blumengeschäft für seine Frau Barbara sowie eine kleine Einliegerwohnung. Herausfordernd ist auch die Lage in Lauterach, umzingelt von Autobahn und Straßenüberfahrt.

Mit einem L-förmigen, zweigeschoßigen Baukörper reagierten die Architekten auf die lärmbelastete Situation. Straßenseitig wird mit Nebenräumen und einigen wenigen Fenstern großflächig abgeschottet, nach Süden öffnet sich das Gebäude und macht Platz für eine geschützte Terrasse.

„Durch die flüssige Verarbeitung unterscheidet sich Beton grundsätzlich von allen anderen verwendeten Baustoffen“, meint Jürgen Stoppel versonnen, „wir haben über das Material und seine Möglichkeiten viel nachgedacht.“ In der Geometrie der Schalung verfestigt sich Beton sehr langsam. Damit ergibt sich die Möglichkeit, die Qualitäten des erstarrenden Materials zu nutzen.

Die Herstellung amorpher Betonplatten ohne aufwändige Matrizen oder Negativschalungen - das musste allerdings erst erfunden werden. Der erfahrene und experimentierfreudige Bauherr und die unbelasteten Architekturstudenten traten mit ihrem Projekt den Beweis an, dass mit gleichem Zeit- und Materialaufwand wie für konventionelle Betonfertigteile bewegte und unregelmäßige Oberflächen entstehen können.

In der Nebensaison stellten sie in der Werkshalle einen sechzig Meter langen und einen Meter breiten Schalungstrog auf. Abhängig von der Positionierung der Fenster wurden drei verschiedene Längen festgelegt und abgeschalt. Nach ungefährer Vorlage schraubte der Betonfachmann biegsame Sperrholzleisten in Wellenlinien auf das Schalungsbrett.

Betonguss mit Latexschalung

Und nun die Lüftung des Geheimnisses: Bevor der Beton sehr unregelmäßig in die präparierte Schalung floss, wurde ein weiches, elastisches Latexgewebe eingelegt. Aus der industriellen Schalung entstand am Ende ein plastisches Unikat, das am gemauerten und isolierten Haus wie eine herkömmliche vorgeblendete Fassade befestigt wurde.

Die aalglatte Oberfläche der Außenhaut mit ihrem voluminösen Schattenspiel spiegelt nicht nur die Leidenschaft der Bewohner zu ihren Berufen wider, sondern lässt fast vergessen, das Haus weiter zu entdecken. Drei markante Einschnitte in rot lackiertem Aluminiumblech durchbrechen den strengen Baukörper. Einer davon ist die Überdachung für Haustüre, Geschäft und Garage, die zeitweise etwas zweckentfremdet für Blumengestecke offen steht. Über dem Laden ist die hineingesteckte Loggia der Einliegerwohnung so angeordnet, dass die Privatsphäre beidseitig gewahrt bleibt.

Im Süden liegt der Wohnraum mit großzügigen Schiebefenstern, darüber befinden sich die Kinderzimmer und der Elternbereich. „Uns war wichtig, dass die Kinder nicht in ihren Kammern verschwinden, sondern dass sie einen großen, flexibel nutzbaren Bereich vorfinden, wo sie gemeinsam spielen können“, sagt Bauherrin Barbara Rohner. Zu diesem Zweck gibt es etwa die große Diele im ersten Stock. Dass seit kurzem ein Außen-Whirlpool das Atrium im ersten Stock ausfüllt, erstaunt die Architekten, zeigt aber deutlich, wie freudig die Möglichkeiten dieses Hauses angenommen und genutzt werden.

Der Standard, Sa., 2009.10.31



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Haus Rohner

10. Oktober 2009Martina Pfeifer Steiner
Der Standard

Mit dem Schuhlöffel ins Wohnzimmer

Die Baulücke in Oberlech wurde bis zum letzten Millimeter ausgereizt. Auf drei Stockwerken brachten die Architekten von Holzbox Tirol ein Miniaturhaus mit multifunktionalen 20 Quadratmetern unter.

Die Baulücke in Oberlech wurde bis zum letzten Millimeter ausgereizt. Auf drei Stockwerken brachten die Architekten von Holzbox Tirol ein Miniaturhaus mit multifunktionalen 20 Quadratmetern unter.

Das nennt sich Effizienz: Das Apartmenthotel Kar in Oberlech war bis auf den letzten Quadratzentimeter ausgenutzt. Allein, für die dringend benötigte Hausmeisterwohnung blieb kein Platz mehr. Die Findigkeit des Architekturbüros Holzbox Tirol ist bereits bekannt, doch als Armin Kathan die 1,90 Meter breite Restfläche im Autoliftgebäude als alternativen Bauplatz für die Wohnung vorschlug, erntete er nur Kopfschütteln.

Unüberwindbar schien auch der Widerstand der örtlichen Behörden, doch irgendwann überzeugte die geniale Lösung, in den übriggebliebenen Abstellraum die Zwanzig-Quadratmeter-Maisonette einzupassen. Und tatsächlich: Heute windet sich das Wunderwerk an Raumoptimierung mit fünf unterschiedlichen Funktionsbereichen über insgesamt drei Stockwerke. So urig wie der Bewohner Harmann Vrielink - ein Holländer, der Opernsängern einst logopädischen Unterricht erteilte - sollte auch die Wohnhülle sein.

Wie durch einen Schuhlöffel gelangten die nötigen Wohnungsingredienzien in die sieben Quadratmeter große Nutzfläche. An die Planung einer Raumfahrtkapsel erinnernd, galt es, die unterschiedlichen Funktionen klug miteinander zu verzahnen, Doppelnutzungen zu ermöglichen und den Raum multifunktional zu möblieren. Nur durch diese Millimeterarbeit war es möglich, das Häuschen im Haus funktionieren zu lassen.

Es gibt viel zu entdecken. Sich den raffinierten Details zu widmen lohnt allemal. Durch die Minigarderobe betritt man die Küche. Alles ist da, Geschirr und Gläser hängen an der Wand. Das Treppenpodest dient gleichzeitig als Sitzbank zum Esstischchen. Hinter der Glastüre im zweiten Stock lässt sich bereits das Bad erahnen. „Sogar für eine Waschmaschine ist noch Platz“, stellt Harmann zufrieden fest.

Blickfang ist jedoch die Couchnische. Die vorgefertigte und hochinstallierte Box wurde in die Fassade gesteckt und ragt wie ein Erker frech aus dem Altbau. Hier kommt der Bewohner ins Schwärmen: „Die geöffneten Fensterflügel verschwinden in der Rückwand. Du wähnst dich im Freien, sitzt am Platz an der Sonne, in Augenhöhe mit den Berggipfeln des Arlbergs.“ Dass sich die orangen Pölster zum Gästebett klappen lassen, ist ein praktischer Zusatznutzen.

Spätestens hier fällt es auf: Die signifikante Farbe des Heimatlandes von Harmann zieht sich gezielt durch alle Ebenen. Typisch für die Architekten von Holzbox Tirol ist auch das Material der Einbauten: Treppen, Möbel und Regale wurden allesamt aus dunkelbraunen Schalungsplatten gefertigt.

Kletterpartie bis ins Hochbett

Vor der letzten Kehre im obersten Stock duckt sich noch ein kleines Büro unter die Dachschräge. Hier bearbeitet Harmann Vrielink seine Fotos und Alben - und vergisst dabei die Welt rundherum. Das konzentrierte Arbeiten beweist, dass sich der 70-Jährige in seiner Maßanfertigung wohlfühlt. „Das war uns sehr wichtig“, sagt Architekt Kathan, „gerade in so einem kompakten Projekt ist das Wohlbefinden großgeschrieben.“

Das breite Hochbett im Hausgiebel ist Endstation der Kletterpartie. Schon als Kind hatte der Hausherr davon geträumt, in einer Hütte zu wohnen. Die Verschalung aus Zirbenholz an Decke und Wänden gibt diese Stimmung wieder.

Fazit: Die kompakte Hausmeisterwohnung in Oberlech ist typisch für die Arbeit von Holzbox Tirol. Der Ansatz, flächeneffizient und funktionsübergreifend zu planen, ist in diesem Bauprojekt bis an seine Grenzen ausgereizt. Es scheint unmöglich, 20 Quadratmeter auf drei Stockwerke aufteilen zu wollen. Und doch ist dieses Wohnungsexperiment dank verspielter Tüftelei bis in den letzten Winkel geglückt.

Der Standard, Sa., 2009.10.10

26. September 2009Martina Pfeifer Steiner
Der Standard

Betonhaus mit Subtraktionen

Das schlichte Betonhaus auf den Hügeln um Innsbruck kommt ganz ohne herkömmliche Fenster aus. Große Einschnitte und hineinversetzte Glasflächen lassen im Inneren des Hauses überraschende Außenräume zu.

Das schlichte Betonhaus auf den Hügeln um Innsbruck kommt ganz ohne herkömmliche Fenster aus. Große Einschnitte und hineinversetzte Glasflächen lassen im Inneren des Hauses überraschende Außenräume zu.

Die Vorgeschichte zum erfolgreichen Hausbau war lang. Das beliebte Wohngebiet auf den Anhöhen um Innsbruck, nicht weit von der Hungerburg entfernt, hatte es Familie M. angetan. Als das Traumgrundstück endlich gefunden war, wurde man konkret. „Wir wollten das Material Beton ausgiebig verwenden. Eine weitere wichtige Vorgabe war, viele überdeckte Freibereiche zu schaffen“, erinnert sich der Bauherr.

Bei Architekt Erich Strolz von Holzbox Tirol, einem guten und langjährigen Freund, fanden die Bauherren für ihr Anliegen ein offenes Ohr. Am idyllischen Hanggrundstück präsentiert sich der fertige Bau schließlich als schlichter Betonquader mit abstrakt wirkenden Einschnitten, die mit Leichtbauelementen und viel Glas ausgefüllt sind.

„Wir haben alles, was im Bebauungsplan vorgeschlagen war, umgedreht“, erklärt Strolz. „Wir haben das Gebäude so weit wie möglich an die Grundgrenze im Westen gerückt, Zufahrt und Autoabstellplätze befinden sich nun ganz oben, und die Terrasse liegt im Osten.“ Die drei Ebenen, die teilweise im Hang stecken, sind klar formuliert: Im Mittelgeschoß kommt man an, oben wohnen die Eltern und unten die beiden Kinder. Versammlungsort und Schaltstelle zwischen den Generationen ist das Wohngeschoß dazwischen.

Über einen gedeckten Bereich, der als Carport für zwei Fahrzeuge und als hybrider Raum zwischen innen und außen dient, betritt man das Haus. Der Garderobenschlauch wirkt kompakt, die Aufmerksamkeit zieht stattdessen die großzügige Küche auf sich, in welcher der Besucher unvermittelt steht. Über den Essplatz hinweg gleitet der Blick wieder ins Freie. Große Terrassentüren öffnen das Gebäude an allen Seiten. „Das ist der zentrale Punkt des Hauses und jener Ort, an dem wir die Besucher empfangen“, sagt der Familienvater, „hier wird gekocht, gegessen und relaxt.“

Die Ausgangstüre führt auf die große hölzerne Terrasse. Abenteuerlich steckt das lange, schmale Betonbecken im Gelände, abgegrenzt mit einem umlaufenden Rand in Sitzhöhe. Wie bei einem künstlich angelegten Gebirgsbach stürzt das Wasser drei Meter in die Tiefe, hinein ins nächste Becken. Es eröffnet sich ein Blick in die Bergwelt, ganz so, als säße man auf der Mittelstation einer Bergbahn. Spätestens jetzt ist klar, warum die unruhige, rege verbaute Seite im Westen des Grundstücks vernachlässigt wird.

Umlaufendes Terrassenband

Noch intensiver wird der Bezug zur wilden Natur auf der Dachterrasse. Sie ist, wie auch das gesamte obere Stockwerk, den Eltern vorbehalten. Auch hier werden die Funktionen mit gutem Grund unerwartet zugeteilt. Den Schlafbereich erreichen die Eltern über das Bad, das einer genaueren Betrachtung würdig ist. Hinter zwei Wandscheiben, an denen je ein Waschbecken hängt, liegt auf der einen Seite die Toilette, auf der anderen Seite die Dusche verborgen. Dazwischen steckt die Badewanne. Der Holzboden und die raumhohen Glasschiebetüren zum gedeckten Terrassenumgang wirken ungewohnt großzügig. „Wir wollten eben mit Socken herumlaufen können“, sagt der Bauherr, „egal, ob drinnen oder draußen.“

Eine besondere Qualität dieses Lebensbereichs ist der Ausblick nach Süden. Doch wieso blickt das Wohnzimmer ausgerechnet nach Norden? „Ganz einfach: Von hier aus beobachten wir Ameisenhügel, Fuchs und Rehe.“ Nach einem anstrengenden Arbeitstag dient dieser Ort der Entspannung, Meditation und Regeneration. Das diffuse Nordlicht tut das Seinige dazu.

Der Standard, Sa., 2009.09.26



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Einfamilienhaus M.

12. September 2009Martina Pfeifer Steiner
Der Standard

Schiefe Kiste mit grader Optik

Das eigene Haus des Vorarlberger Architekten Dieter Klammer steckt voller Finessen. Äußerlich gleicht das Gebäude einer wohlgeformten Skulptur am Hang, innen eröffnet sich gar südländische Wohnqualität.

Das eigene Haus des Vorarlberger Architekten Dieter Klammer steckt voller Finessen. Äußerlich gleicht das Gebäude einer wohlgeformten Skulptur am Hang, innen eröffnet sich gar südländische Wohnqualität.

Das eigene Haus zu planen ist für einen Architekten wohl eine der größten Herausforderungen. Für Dieter Klammer, von architekturterminal hackl und klammer, war die Unterstützung seiner Frau Claudia daher besonders wertvoll. Sie hatte den Bauplatz geerbt und fungierte nun als Bauherrin.

Ein Grundstück wie dieses ist nicht leicht zu finden. Verträumt liegt es auf dem Sattelberg in Klaus, mehr Sattel als Berg, mit Weitblick tief ins Rheintal hinein. Selbstverständlich, als könnte es gar nicht anders sein, schmiegt sich der neue Baukörper in die Hangkontur. Von der Zufahrtsseite aus wirkt er kompakt und geschlossen. Die großen Fensterflächen gegen Süden und der Innenhof nach Südost verleihen dem Gebäude noch ganz andere, offene Seiten.

Eine dünne Haut aus dunklem patinierten Zink spannt sich als Fassadenmaterial weich über die Bauteile. Horizontale, leicht unregelmäßige Fugen setzen einen klaren Kontrapunkt zur Schräglage. Dafür bleibt die Hangneigung durch das abfallende Dach und die schiefen Ebenen im Inneren umso spürbarer.

Fließende Übergänge

Freundlich öffnet sich das Haus seinen Bewohnen und Besuchern. Mit dem ersten Schritt beginnt ein Spiel zwischen Außenraum und Innenraum - beide werden als Einheit erlebt. Die helle Deckenverkleidung und der Holzfußboden werden draußen fortgeführt. Wer im Foyer steht, wähnt sich im Freien, wer auf der Terrasse sitzt, meint, es sich im Wohnzimmer bequem gemacht zu haben.

Die Wohnebene entsteht aus fließenden Raumabfolgen. Alle Bereiche gruppieren sich um das verglaste Atrium mit seinem grauen Schotterkies. Zoniert wird der offene Einraum lediglich mit dunklen Möbeleinbauten. Sie entwickeln sich mal zu Treppen, mal zu ruhigen, überdimensionalen Nischen. Ein raumhoher Fensterspalt auf einer Seite und die Orientierung zum Innenhof lassen auf die plakative Aussicht im Süden gerne verzichten. Hier wird mit Schränken und Feuerstelle eine bewusste Barriere zum tiefer unten gelegenen Essraum geschaffen.

Eine flache Rampe, die parallel der Hangneigung folgt, führt nach unten. Die nahtlose räumliche Erweiterung des Speiseraums auf die Veranda wirkt südländisch, ja nahezu luxuriös. Die verhältnismäßig hohe Brüstung der Öffnungen wird über die ganze Länge durchgezogen, innen mit Fenstern ausgefüllt, außen luftig gelassen. Der Architekt hat auch dazu die gute Erklärung: „Mir ist der Erlebniswert jedes Ausblickes wichtig. Mit dem Fensterband nach Süden wird die Weite des Rheintales hervorgehoben, das nahegelegene Gewerbegebiet nimmt man dafür kaum wahr.“

Wie werden Material und Farbe eingesetzt? Das Rückgrat des Hauses bildet die dicke Lehmwand. Der warme Farbton des natürlichen Baustoffs findet sich als helles Echo an Decke und Bücherregalen wieder. Auch die Küche passt sich der Farbigkeit an.

Frank Gehry in Vorarlberg

Auffällig ist die Vorliebe für Designerlampen. So hängt über dem Esstisch beispielsweise das zerknüllte Ungetüm von Frank Gehry. Neben einigen weiteren Schmuckstücken wird als Ergänzung indirektes Licht eingesetzt.

Über das skulptural geformte Foyer gelangt man nach unten ins Schlafgeschoß. Trotz teilweise eingebuddelter Hanglage wirken die Räume großzügig geschnitten. Große Fensterflächen, die fast bis zum Boden reichen, machen Bad und Schlafbereich hell und angenehm. Eine Extravaganz findet sich beim Ankleideraum: Eine Glastüre führt in den verspielt intimen Innenhof, der halb im Hang eingegraben ist.

Von Natur aus eben war die Wiese vor Schlafzimmer und Studio. Dies ist daher auch die einzige Stelle, die gemäht wird. Alle anderen Freiflächen blühen urig, ganz natürlich vor sich hin - und bereichern das offene Wohnen mit Lebensqualität und fantastischen Bildern der Landschaft.

Der Standard, Sa., 2009.09.12



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Haus Klammer

06. Juni 2009Martina Pfeifer Steiner
Der Standard

Raumgespür statt Raumprogramm

Wer wagt, gewinnt. Die außergewöhnliche Form des Einfamilienhauses in Vorarlberg hat ganz eng mit den Wünschen seiner Bewohner zu tun. Architekt Bernardo Bader baute ein Haus mit vielen Emotionen.

Wer wagt, gewinnt. Die außergewöhnliche Form des Einfamilienhauses in Vorarlberg hat ganz eng mit den Wünschen seiner Bewohner zu tun. Architekt Bernardo Bader baute ein Haus mit vielen Emotionen.

Familie Dür hatte ein Traumgrundstück geerbt. Die Parzelle liegt oberhalb des Dorfplatzes von Schwarzach, der westliche Weitblick reicht bis zum Bodensee. Mit Bernardo Bader fand sich ein junger und engagierter Architekt, der sogleich einen Entwurf für die besondere Lage anfertigte. „Ich muss gestehen, dass ich die Bauherren am Anfang etwas unterschätzt habe. Sie waren viel mutiger, als ich gedacht hätte“, sagt Bader. Anstatt ihr Wohnbedürfnis in einer Auflistung der benötigten Zimmer festzulegen, stellten sich Daniela und Mathias Dür in ihren Gedanken zum Neubau lieber das Raumgefühl vor.

Um die Lichtverhältnisse zu erkunden und die Lieblingsplätze zu entdecken, verbrachten sie viel Zeit auf dem Baugrundstück. Klar formuliert wurde etwa das Bedürfnis nach einem offenen Wohn-EssRaum. Deutlichster Wunsch: „Ja nichts Überflüssiges!“ Es sollte ein Haus für eine kleine Familie sein, in dem alle Räume großzügig genutzt und die Budgetvorstellungen eingehalten werden.

Aus den Vorgaben heraus entwickelte Bader schließlich einen Baukörper, der den Innenraum außen eindeutig ablesbar macht. Auf Eingangsebene beginnt die Raumabfolge mit der Küche, die ostseitig im niedrigsten Teil des Gebäudes untergebracht ist. Sonne am Morgen und Sicht auf Entree und Zufahrt sind die Vorzüge dieses Bereichs. Zum Essplatz hin spannt sich eine Art Zelt auf. Auf der Südseite ist in den Baukörper eine Terrasse eingeschnitten, die gleichzeitig als Balkon auskragt. Der sich ergebende Dachvorsprung fokussiert die Aussicht auf den Kirchturm und erzeugt einen geborgenen Außenraum.

Das asymmetrisch ansteigende Dach erreicht im Wohnzimmer seinen Höhepunkt. Mit viereinhalb Meter Raumhöhe ist es das Zentrum des Hauses. Hier schweifen die Blicke weit in die Ferne, wo irgendwo am Horizont die Sonne im Bodensee versinkt. Bewegt man sich im Raum, eröffnen sich einem immer wieder neue Panoramaausschnitte. Dieser Erlebnisreichtum ist wahrer Luxus. „Wenn das, was wir täglich benützen, so viel Wohlbefinden beinhaltet“, meinen die Dürs zufrieden, „dann verzichten wir gern auf Wellnesszone und Einliegerwohnung.“

Im unteren Stockwerk, das aufgrund der Hanglage ebenfalls ebenerdig liegt, beginnt der massive Hauskern. Hier liegen die Schlafzimmer, das Bad und ein kleiner Keller. Das konsequente Farb- und Materialkonzept in den Innenräumen verstärkt das besondere Wohngefühl. Während der massive Kern mitsamt Treppe weiß verputzt ist, kommt im Wohnzimmer durchgängig Holz zum Einsatz. Der Eichenboden und die Vertäfelung der Wände mittels ausgesuchter Weißtannenbretter bilden eine hölzerne Schale.

Ein Schindelkleid aus Holz

Diese setzt sich außen nahtlos fort: Über die gesamte Gebäude-skulptur wird ein Kleid aus Holzschindeln gestülpt. An den Wänden wird Weißtanne verwendet, am Dach äußerst haltbare Alaska-Weißzeder. Es ist eine Frage der Zeit, bis das Haus im silbrig dunklen Glanz mit der Natur verwachsen sein wird. Dazu zählt auch die große, natürlich angelegte Wiese unter dem Haus, die nur über eine Freitreppe erreichbar ist. Das war der Preis für die weite Aussicht.

Nach zwei Jahren Planungszeit gibt Bernardo Bader seiner Baufamilie das Prädikat der „intensivsten Bauherren aller Zeiten“. Im Gegenzug entlohnen sie ihn mit den Worten: „Seit unserem Hausbau interessieren wir uns brennend für Architektur. Wir haben nun eine andere Sicht auf die gebaute Umwelt.“ Zu verdanken ist dies dem Mut und der Bereitschaft, sich auf Neues einzulassen. Das Resultat ist ein Haus, das aufs Lebensgefühl der Familie Dür maßgeschneidert und somit unverwechselbar ist.

Der Standard, Sa., 2009.06.06



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Haus Dür

16. Mai 2009Martina Pfeifer Steiner
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Wohnen auf gleicher Wellenlänge

Beim Wohnpark Sandgrubenweg in Bregenz wurde der überstrapazierte Begriff Nachhaltigkeit neu definiert. Vor dem Bauen wurde Basisforschung betrieben. Entstanden ist daraus ein in jeder Hinsicht flexibles Wohnprojekt.

Beim Wohnpark Sandgrubenweg in Bregenz wurde der überstrapazierte Begriff Nachhaltigkeit neu definiert. Vor dem Bauen wurde Basisforschung betrieben. Entstanden ist daraus ein in jeder Hinsicht flexibles Wohnprojekt.

Rhombergbau, einer der größten Investoren Vorarlbergs, hatte ein ehrgeiziges Projekt im Visier. Im Rahmen des Forschungsprojekts Haus der Zukunft packte man das Thema Nachhaltigkeit an der Wurzel. Neben ökologischen und ökonomischen Belangen wollte man verstärkt auf soziale, kulturelle und gesundheitliche Themen setzen. Der neuen Art des Wohnbaus gab man einen eigenen Namen: Inklusivwohnen.

Aus diesem Vorspann entwickelten die Architekten Hörburger, Kuess, Ritsch und Schweitzer in Planungsgemeinschaft den Wohnpark Sandgrubenweg. Das innovative Pilotprojekt umfasst vier organisch geformte Baukörper mit insgesamt 76 Wohnungen. Auf einem Grundstück neben dem ungenutzten Werksgelände einer großen Textilfirma - recht zentral in Bregenz gelegen - wurden die ersten beiden Einheiten bereits bezogen. Die anderen zwei sind zurzeit in Bau.

Die geschwungene Baukörperform ergibt sich aus der vorhandenen Topografie, aus der Besonnung sowie aus der Geomantie, also aus der Wissenschaft der Energiefelder der Erde. Ausgehend von der formalen Figur von sich überlagernden Sinuswellen wird die Stellung der Baukörper zueinander spielerisch festgelegt. Damit wird das unverwechselbare Projekt zu einer Wohnlandschaft im Grünen.

„Es ist eine vielfach belegte Tatsache, dass der Wohntraum in Österreich stark vom Einfamilienhaus geformt ist“, sagt Architekt Wolfgang Ritsch. Gemeinsam mit seinen Kollegen suchte er daher nach diversen Möglichkeiten, die Wunschvorstellung vom eigenen Haus in den Geschoßwohnbau einfließen zu lassen. Das Resultat ist ein überdimensionales Regal, in das die Wohneinheiten wie Schubladen hineingeschoben werden.

Die Wohnungsgröße ist flexibel und wird erst beim Wohnungskauf festgelegt. Danach findet die endgültige Parifizierung statt. Eine solche Freiheit fernab vorgegebener Quadratmetereinheiten ist nur in Skelettbauweise möglich. In diesem Fall bergen die Stahlbetonstützen sämtliche Abflussleitungen, während der etwas höhere Bodenaufbau alle übrigen Anschlüsse versteckt. Auf klassische Installationsschächte wurde verzichtet. Küche und Bad können auf diese Weise beliebig den Ort wechseln.

Für spätere Umbauarbeiten, falls gewünscht, sind unter dem durchlaufenden Parkettboden Schwellen für die Montage von Wänden vorbereitet. Auch die Fensteröffnungen sind frei wählbar. Festgelegt ist lediglich der Glasanteil pro Himmelsrichtung, was mit den rechnerischen Gegebenheiten der Bauphysik zusammenhängt.

Gemeinsames Planen

Doch wie wollte man sicherstellen, dass die individuellen Bedürfnisse der Bewohner tatsächlich erkannt werden? Genau hier setzt die entwickelte Methode des sogenannten „bewussten Planens“ an. „Die wesentlichen Prägungen von Wohnbedürfnissen finden im Alter von dreieinhalb bis sieben Jahren statt“, erläutert Ritsch. Um diese aus dem Unterbewusstsein zu befördern, näherte er sich mit gezielten, systematisierten Fragen über den Alltag an die zukünftigen Wohnungsbesitzer: Wie wird gelebt, wie wird gekocht, und was wird wirklich gebraucht? Ein Bestellplan legt zu guter Letzt Materialien, Farben und Formen fest.

Das Pilotprojekt Inklusivwohnen nimmt die Entwicklungen der vergangenen 20 Jahre auf, in denen bereits immer wieder partizipative Wohnbauten in Zusammenarbeit mit den Bewohnern entstanden sind. Innovativ ist hier die Berücksichtung der rasanten gesellschaftlichen und demografischen Veränderungen. Der Wohnpark Sandgrubenweg ist damit ein Vorzeigebeispiel für selbstbestimmte Lebensgestaltung sowie für vernünftige Kommunikation zwischen Bauherr, Bewohner und Architekt.

Der Standard, Sa., 2009.05.16



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Wohnpark Sandgrubenweg

25. April 2009Martina Pfeifer Steiner
Der Standard

Das Haus zur schönen Aussicht

Auf einem der Feldkircher Hügel werden Wünsche wahr. In traumhafter Lage wird der Panoramablick nur durch den Himmel und weit entfernte Berge begrenzt. Die Architektur nimmt sich dabei vornehm zurück.

Auf einem der Feldkircher Hügel werden Wünsche wahr. In traumhafter Lage wird der Panoramablick nur durch den Himmel und weit entfernte Berge begrenzt. Die Architektur nimmt sich dabei vornehm zurück.

In Fresch, einem kleinen verborgenen Ortsteil von Feldkirch, hatte Claudia Rederer schon als Kind gewohnt. Als sie den Neubau ihres Hauses projektierte, musste sie nicht lange überlegen. Die Entscheidung fiel zugunsten des elterlichen Hanggrundstücks. Mit Konrad Klostermann war auch der Architekt schnell gefunden. Einige bereits realisierte Einfamilienhäuser und intensive Gespräche überzeugten die Baufamilie auf Anhieb.

Für seine Auftraggeber nahm sich der Architekt viel Zeit. Sämtliche Bedürfnisse, Vorstellungen und Träume wollte er genau ergründen. Gefragt war ein maßgeschneidertes Haus mit minimalen Eingriffen ins Gelände. Ein konkreter Wunsch war der Nutzgarten am Hang. Möglichst große und ebene Gartenflächen sollten dafür erhalten bleiben.

Die weite Aussicht ins Rheintal sowie auf die reizvolle Hügellandschaft des Schellenbergs im Hintergrund bilden ein reizvolles Szenario. Der Baukörper wird direkt an die Hangkante gerückt. Darüber schwebt ein luftig draufgesetzter und leicht auskragender Pavillon. Das Haus erscheint dadurch zierlich und klein. Die eben begehbare Terrasse jedoch zeichnet die stattliche Grundfläche des teilweise eingegrabenen Erdgeschoßes nach. Talseitig gehen die Holzlatten in die Horizontlinien über, auf der anderen Seite verbinden sie sich nahtlos mit der Wiese.

Das atemberaubende Panoramabild verleiht einem das Gefühl, sich auf einer Bergspitze zu befinden. Offen, leicht und rundum eingeglast präsentiert sich das Obergeschoß. Ein Haus ohne Wände, könnte man meinen. „Die Entscheidung zu so viel Glas hat Mut von uns gefordert“, sagt die Baufrau, „doch das Ergebnis hat unsere Vorstellungen mehr als übertroffen.“

Durch die starke Einbeziehung der Landschaft wird der Wohnbereich erweitert. Die Natur wird regelrecht ins Haus geholt, jede Jahreszeit und Witterung wird genossen. „Die Glasfronten laden zum stundenlangen Fern-Sehen ein. Vögel fliegen in Augenhöhe vorbei, Fuchs und Hase tauchen gelegentlich am Waldesrand auf“, schildert Claudia Rederer die pure Idylle.

Zurück zu den inneren Werten. Auf Straßenniveau wird das Haus betreten. Ähnlich einer Eingangshalle vermittelt diese Situation, was den Besucher im ganzen Haus erwartet: Ausblick, Weite und Freiheit. Hinter der großzügigen, einläufigen Treppe geht es geschützt und intim zu den Schlafräumen. Die Einbauten entlang des Ganges bergen viel Stauraum und dienen als Ersatz für den nicht vorhandenen Keller. Der schöne Garten mit Obstbaumbestand vor den Zimmern blieb erhalten.

Die Landschaft im Kochtopf

Über den Baumkronen schließlich schwebt der Wohnteil. Die Decke aus sichtbar belassenem Beton und der Boden aus Akazienholz verstärken die horizontale Bewegung. Alles andere ist weiß: Sowohl die Wände zu den kleinen Nebenräumen und zum Arbeitszimmer, das wiederum mit großen Schiebetüren zu öffnen ist, als auch die Kochinsel, an der öfter Mann als Frau Hand an den Kochlöffel legt und den Weitblick genießt.

Architekt Konrad Klostermann wurde beauftragt, auch die Inneneinrichtung zu gestalten. Alles ist aus einem Guss. Nicht nur das funktionelle Kochzentrum mit freistehendem Arbeitsblock und Kastenwand wurde von ihm entwickelt, auch die übrigen Einbauten stammen aus seiner Feder. Außerdem entwarf er die Stableuchten sowie alle anderen Lichtpunkte im Haus. Die Möglichkeit, die Zusammenarbeit nicht an der Hausmauer enden zu lassen, wurde beiderseits hoch geschätzt und zur Ausformung bis ins Detail genutzt.

Mit weiteren Einzelmöbeln lässt man sich vorerst Zeit. „Die Möbelstücke werden uns schon finden. Wir wollen nicht jetzt schon komplett fertig und festgelegt sein“, meint die Baufrau - und denkt dabei an den neuen Esstisch aus altem Nussholz, der zur Verarbeitung bereits beim Handwerker lagert.

Der Standard, Sa., 2009.04.25



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Haus R und K

28. März 2009Martina Pfeifer Steiner
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Aus der Erde geformt

Der Vorarlberger Lehmbauer Martin Rauch und der Schweizer Architekt Roger Boltshauser realisierten in Schlins ein ökologisches Musterhaus. Das Stampflehmhaus lotet die Grenzen des Machbaren aus.

Der Vorarlberger Lehmbauer Martin Rauch und der Schweizer Architekt Roger Boltshauser realisierten in Schlins ein ökologisches Musterhaus. Das Stampflehmhaus lotet die Grenzen des Machbaren aus.

Sonnenhang in Schlins, Vorarlberg. Idylle pur. Da, wo alle acht Rauch-Geschwister ein Fleckchen Erde zum Bauen erbten, wollte sich Martin Rauch ein Musterhaus zu seinem Werken und Wirken schaffen. Schon zu Studienzeiten an der Angewandten in Wien irritierte Rauch mit seiner Diplomarbeit der anderen Art. Statt des geforderten Kaffee- oder Teeservices aus Ton hatte er damals eine zehn Quadratmeter große Lehmwand präsentiert.

Auch die Studienkollegin und spätere Frau Marta Debevec widersetzte sich den Vorgaben der Professoren und stellte ein begehbares Labyrinth aus Keramik auf. Da hatten sich zwei exotische Keramikkünstler gefunden. Der Protest war Startschuss für ihr Lebensprojekt, das nicht nur zwei Kinder hervorbrachte, sondern auch das selbst geplante und gebaute Stampflehmhaus, in dem sie heute wohnen.

„Die Bauzeit war am schönsten“, sagen die beiden, „der Prozess, wie das Haus einzig und allein mit Handarbeit förmlich aus der Erde herausgedrückt wurde, war faszinierend.“ Dass mit Lehm gebaut werden sollte, war von Anfang an klar. „Es ist ein Material, dessen Energieausstrahlung positiv besetzt ist. Lehm tut dem Menschen und der Umwelt gut, er hat eine klare Biografie.“

Verwendet wurde, was das Grundstück zu bieten hatte. Mit unterschiedlichen Verarbeitungsmethoden wurde alles Mögliche getan, um die nötige Tragfähigkeit und Beständigkeit zu erreichen. Die Erde wurde gesiebt, das Feine zu Boden und Wänden, das Grobe zu Decken verarbeitet, gestampft, gepresst.

Die Materialwahrheit ist durch und durch gegeben: als Stampflehm bei Wänden und Fußböden, als Innenputz sowie als Spachtelung und optischer Abschluss. Die größte Tugend des Lehms ist die Wasserlöslichkeit. Durch die hundertprozentige Recyclebarkeit mittels Wasser ist Lehm zwar lückenlos demontierbar, das heißt aber nicht, dass sich das Haus beim ersten Regenguss auflöst. Überstände aus gebrannten Lehmziegelreihen sorgen dafür, dass sich die Fassade nicht auswäscht.

Gleichzeitig hat Lehm vorbildliche Eigenschaften, was die Feuchtigkeitsregulation betrifft. Im Gegensatz zu seinem vorauseilenden, missverständlichen Ruf, saugt sich das Baumaterial nämlich nicht voll, sondern quillt auf und verhindert damit, dass die Feuchtigkeit in die Tiefe gelangt.

Sakrale Lichtführung

Das Innenleben des Gebäudes erschließt sich in einer Sequenz von individuell nutzbaren Räumen in vollendeter Ausgewogenheit von Proportionen und Öffnungen. Besonders eindrucksvoll ist das Stiegenhaus. Der sakrale dreigeschoßige Raum, in dessen Rundungen die gebrannten Treppenstufen stecken, ist von einer Kuppel gedeckt. Im Lehm eingeschlossene Glaszylinder leiten das Licht bis ganz nach unten.

Ihr eigenes Know-how konnte Marta Rauch bei der Entwicklung der Fliesen einbringen. Die Baufrau war mit den ursprünglichen Glasurtechniken vertraut. In diesem Bauprojekt konnte sie experimentieren und ihre Sache weiterentwickeln. Die grünlich-schwarzen Raku-Bodenfliesen im Eingangsbereich und im Badezimmer sind im Endeffekt die einzige Farbe im ganzen Haus.

Lehm als handwerkliches Element, Ton als gestalterische Komponente und Erde als ökologisch-politisches Thema werden Marta und Martin Rauch auch weiterhin beschäftigen. Ihr Haus zeigt als Statement auf, wie die rohe Kraft und Massivität der Erde mittels ausgereifter Kultivierung zu einem Bauwerk verdichtet wird, das eines Tages vollständig in sein Ursprungsmaterial zurückkehren könnte.

Der Standard, Sa., 2009.03.28



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Lehmhaus Rauch

Profil

Studium der Betriebswirtschaft (mag.rer.soz.oec.) und der Architektur in Graz. Architekturvermittlerin, Journalistin, Architekturpublizistin, Autorin, Reisende. Lebt in Vorarlberg und Wien.

2017 – 2021 Redakteurin bei nextroom. Interviewreihe »nextroom fragt« mit 33 Interviews zur Architektur, 27 Statements zur Architektur, 10 Statements zur Landschaftsarchitektur, 15 Reportagen; Bauwerksdokumentation, Buchbesprechungen.

2008 – 2015 Architekturvermittlungsprojekte für das vai Vorarlberger Architektur Institut:
Projektleitung nextroom Architekturdatenbank, Sammlungspartner Vorarlberg
Projektleitung „Architektur vor Ort“, monatliche Architekturführungen
Konzept „architekturJetzt – Kulturvermittlung an junge Menschen“
Projektleitung „Unit Architektur – Baukultur im Unterricht“
2014 Kuratorin der Ausstellung „Unit Architektur | Architektur begreifen“ im vai Dornbirn
2015 Ausstellung „Unit Architektur | Architektur begreifen“ im Spittel, Fachhochschule Kärnten 

2010 Konzept „Impulswoche technik bewegt“ für bink - Initiative Baukulturvermittlung für junge Menschen
2013 Konzept „Baukulturkompass“ für bink – Initiative Baukulturvermittlung für junge Menschen

2011 – 2016 Redaktionsleitung „vorum – Zeitschrift der Raumplanung Land Vorarlberg“, insgesamt 9 Ausgaben

Monatliche Kolumne auf kultur-online.net – PS: Architektur; Artikel in Fachzeitschriften: hochparterree, zuschnitt, materialegno, modus
Häusergeschichten in Der Standard, VN Leben Wohnen, Neue Vorarlberger Tageszeitung

Publikationen

„Franz E. Kneissl | Der Praterstern ist kein Himmelskörper | Gesammelte Texte“, Martina Pfeifer Steiner (Hrsg.) mit Beiträgen von Otto Kapfinger und Gottfried Pirhofer, Verlag Sonderzahl, 2017 

„rastlos - Architekt Werner Pfeifer 1919–1972“ Martina Pfeifer Steiner (Autorin und Herausgeberin) mit Beiträgen von Robert Fabach und Marina Hämmerle, Park Books, Zürich, Sept. 2018

„33 Interviews zur Architektur“ herausgegeben von nextroom, Müry Salzmann, 2019

„Monografie Rudolf Wäger 1941–2019“ mit Marina Hämmerle, Herausgeber vai Vorarlberger Architektur Institut, Az W Architekturzentrum Wien, Birkhäuser, Jänner 2021

Veranstaltungen

Kuratorin Ausstellung „Unit Architektur – Architektur begreifen“ für das vai Vorarlberger Architektur Institut, 2014 und 2016 in der Fachhoschschule Kärnten

Kuratorin mit Marina Hämmerle „Rudolf Wäger. Baukünstler. 1941–2019“ für das vai Vorarlberger Architektur Institut, Februar 2021

Auszeichnungen

2014 Bank Austria Kunstpreis für Unit Architektur vai

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