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01. März 2017Eric Frey
Der Standard

Nahe dem Zentrum, dem Bahnhof und dem Flussufer

Ein für junge Bewohner konzipiertes Wohnhaus in St. Pölten ist Teil der Wachstumsoffensive der Stadt

Ein für junge Bewohner konzipiertes Wohnhaus in St. Pölten ist Teil der Wachstumsoffensive der Stadt

St. Pölten / Wien – Viele kleine Gemeinden rund um Wien wehren sich gegen Bevölkerungswachstum und lassen deshalb kaum Wohnbau zu. St. Pölten aber ist anders: Die lang verschmähte Landeshauptstadt ist vor allem dank der Beschleunigung der Westbahnstrecke und der Schließung der geruchsstarken Glanzstofffabrik zum attraktiven Wohnort geworden, der leistbares Wohnen mit urbanem Flair und Top-Verkehrsverbindungen liefert. Und St. Pölten heißt Neubewohner willkommen: In der 54.000-Einwohner-Stadt sind 3000 Wohnungen in Planung, und an die tausend werden derzeit gebaut.

Zu diesem Mini-Bauboom trägt auch die Wohnbaugenossenschaft Alpenland bei. Rund um das Regierungsviertel, das ihr heutiger Obmann Norbert Steiner einst als Hauptstadtplaner konzipiert hat, errichtet sie mehrere Wohnbauten, darunter auch das Projekt „Junges Wohnen“, das Ende März bezogen werden soll. Das vom Architektenbüro Superblock entworfene viergeschoßige Wohnhaus enthält 29 Wohnungen in der Größe von 54 bis 60 m 2 , die sich, wie der Name sagt, vor allem an junge Bewohner richten. Es liegt am Ostufer der Traisen, aber in Gehweite zum Stadtzentrum und zum Bahnhof und nur einen Sprung vom großen Erholungsbereich am Flussufer entfernt.

„Wir haben uns mit den Wohngewohnheiten von jungen Leu- ten beschäftigt“, erzählt Steiner. „Heraus kam, dass sie ganz unterschiedliche Vorstellungen und Bedürfnisse haben. Aber allen sind soziale Themen wichtig.“ Deshalb sind die Wohnungen flexibel gestaltbar – etwa für Singles, die zu Hause arbeiten, aber keine Wände wollen, für junge Paare oder für alleinerziehende Eltern, die auch bei wenig Grundfläche drei Zimmer benötigen.

Rund um das Gebäude gibt es umlaufende Balkone, im Erdgeschoß einen großen Gemeinschaftsraum mit Küche und Zugang zum Freien eingerichtet sowie einen Kinderwagenabstellraum, eine Waschküche und eine Tiefgarage. Das gesamte Gebäude ist – was in Niederösterreich nicht vorgeschrieben ist – barrierefrei.

Ein Förderprogramm des Landes für „Junges Wohnen“ hilft die Mietkosten bei acht Euro netto und rund zehn Euro brutto zu halten. Neben einem Finanzierungsbeitrag von 4000 Euro ergibt sich eine Monatsmiete von rund 550 Euro.

Die Alpenland plant ein Parallelprojekt in Baden und spricht mit anderen Gemeinden über den Bau ähnlicher Anlagen. „Wir spüren die Nachfrage rund um Wien, und gerade viele junge Menschen sind auf Wohnungssuche“, sagt Steiner. „Baden gilt als alte Stadt, aber als wir einen Informationsabend für junge Menschen abhielten, war der Saal bummvoll.“

Der Standard, Mi., 2017.03.01

02. März 2016Eric Frey
Der Standard

Ein­fach bau­en, an­ders bau­en – und sich küm­mern

Wel­chen Bei­trag kann die Wohn­po­li­tik zur In­teg­ra­ti­on von Flücht­lin­gen leis­ten? Dass mehr ge­baut wer­den muss, stand beim Stan­dard -Wohn­sym­po­si­um au­ßer Streit. Aber auch ein Um­den­ken im Wohn­bau und der Aus­bau der Be­wohn­er­be­treu­ung stan­den im Raum.

Wel­chen Bei­trag kann die Wohn­po­li­tik zur In­teg­ra­ti­on von Flücht­lin­gen leis­ten? Dass mehr ge­baut wer­den muss, stand beim Stan­dard -Wohn­sym­po­si­um au­ßer Streit. Aber auch ein Um­den­ken im Wohn­bau und der Aus­bau der Be­wohn­er­be­treu­ung stan­den im Raum.

Auf die letz­te gro­ße Mig­ra­ti­ons­wel­le wäh­rend des Bos­nien­kriegs in den 1990er-Jah­ren hat Ös­ter­reich, und vor al­lem die Stadt Wien, mit ei­ner Wohn­bau­of­fen­si­ve rea­giert, die den hei­mi­schen Markt fast 20 Jah­re lang aus­rei­chend mit Wohn­raum ver­sorg­te. Der neue Flücht­lings­strom aus dem Na­hen Os­ten stellt die Wohn­po­li­tik vor noch grö­ße­re Her­aus­for­de­run­gen. Denn zu den 90.000 Asyl­wer­bern des Vor­jah­res kom­men noch die zahl­rei­chen Zu­wan­de­rer aus an­de­ren Län­dern, vor al­lem aus der EU, da­zu, die oh­ne­hin schon für Woh­nungs­knap­pheit in den Bal­lungs­räu­men sor­gen. Und an­ge­sichts der kul­tu­rel­len Dif­fe­ren­zen mit vie­len An­kömm­lin­gen ist die Wohn­po­li­tik noch viel stär­ker ge­for­dert, die In­teg­ra­ti­on der neu­en Be­woh­ner zu un­ter­stüt­zen.

Un­ter dem Ti­tel „Un­ter­kunft oder In­teg­ra­ti­on“ be­schäf­tig­te sich das 54. Stan­dard -Wohn­sym­po­si­um ver­gan­ge­ne Wo­che mit die­sem schwie­ri­gen The­men. Auch wenn die meis­ten Red­ner be­ton­ten, dass man na­tür­lich bei­des brau­che – Un­ter­kunft und In­teg­ra­ti­on –, so zeig­ten sich in den Vor­trä­gen und Dis­kuss­io­nen doch höchst un­ter­schied­li­che Zu­gän­ge und Schwer­punk­te.

Ei­ne kla­re Bot­schaft kam von Her­bert Ludl, dem Ge­ne­ral­di­rek­tor der So­zi­al­bau AG, Ös­ter­reichs größ­ter ge­mein­nüt­zi­ger Ge­nos­sen­schaft: Mit dem Satz „Bau­en, bau­en, bau­en“ rief er da­zu auf, die gan­ze En­er­gie auf ei­ne Stei­ge­rung der Wohn­bau­leis­tung zu ver­wen­den. Man müs­se jetzt so­fort an­fan­gen, denn „es dau­ert ja drei bis fünf Jah­re bis zum Be­zug“, und soll­te mög­lichst gro­ße Pro­jek­te mit preis­wer­ten Woh­nun­gen und „oh­ne Schnick­schnack“ er­rich­ten. Denn in den gro­ßen An­la­gen funk­tio­nie­re auch die In­teg­ra­ti­on am be­sten. In der Wie­ner Stadt­re­gie­rung ist Ludls Bot­schaft be­reits an­ge­kom­men: Wohn­bau­stadt­rat Mi­cha­el Lud­wig (SPÖ) will die Zahl der neu­en Woh­nun­gen um ein Drit­tel von 10.000 auf 13.000 im Jahr er­hö­hen.

Die Wie­ner Ar­chi­tek­tin Sa­bi­ne Pol­lak warn­te hin­ge­gen da­vor, ein­fach nur drauf­los­zu­bau­en. Die Kri­se sei ei­ne Chan­ce, beim Wohn­bau um­zu­den­ken und auch an­ge­sichts un­ter­schied­li­cher Wohn­kul­tu­ren der Zu­wan­de­rer neue ar­chi­tek­to­ni­sche und öko­no­mi­sche Kon­zep­te zu ent­wi­ckeln.

Auch Pol­lak geht es da­rum, die Kos­ten zu sen­ken, und auch sie setzt auf gro­ße und dich­te An­la­gen mit klein­eren Wohn­ein­hei­ten. Aber vor al­lem drängt sie da­rauf, auf vie­les in der Stan­dard­aus­stat­tung zu ver­zich­ten, um Be­wohn­ern mehr Spiel­raum zu bie­ten. „Wir soll­ten rau­er und ro­her den­ken – of­fen ver­leg­te Lei­tun­gen, Es­trich­bö­den, Fix­ver­gla­sun­gen“, sag­te sie. Ziel soll­te da­bei auch sein, be­son­ders kost­spie­li­ge Bau­nor­men los­zu­wer­den.

Kei­ne Pap­pen­de­ckel­con­tai­ner

Auch Georg Bu­sik, Mar­ke­ting­spre­cher von Bau-Mas­siv, dem Fach­ver­band Stei­ne-Ke­ra­mik in der Wirt­schafts­kam­mer Ös­ter­reich, warn­te in sei­nen Be­grü­ßungs­wor­ten auf dem Sym­po­si­um, das ge­mein­sam mit dem Fach­ma­ga­zin Woh­nen Plus or­ga­ni­siert wur­de, vor all­zu viel Geiz beim Bau­en. „Wir dür­fen kei­ne Pap­pen­de­ckel­con­tai­ner auf­stel­len“, sag­te er. „Wer bil­lig baut, baut teu­er. Denn dann muss man es zwei­mal bau­en.“ Bei pro­vi­so­ri­schen Un­ter­künf­ten et­wa in Con­tai­nern kom­me auch das Pro­blem der um­welt­scho­nen­den Nach­nut­zung da­zu. „Ab­bau und Wie­der­auf­bau sind nicht nach­hal­tig.“

Das drit­te gro­ße The­ma auf dem Wohn­sym­po­si­um be­traf die Be­treu­ung von Be­wohn­ern als Mit­tel zur In­teg­ra­ti­on. Ne­ben ei­ner qua­li­täts­vol­len Wohn­um­ge­bung müs­se es An­sprech­part­ner vor Ort ge­ben, die auf Be­schwer­den rea­gie­ren, bei Strei­tig­kei­ten ver­mit­teln und auch den Zu­wan­der­ern hel­fen, sich in ei­ne neue Um­ge­bung mit an­de­ren Re­geln mög­lichst rasch ein­zu­fin­den.

Die Bot­schaft, dass die Soft­wa­re min­des­tens so wich­tig ist wie die Hard­wa­re, kam auch aus vie­len der Tisch­run­den her­aus, bei de­nen die Teil­neh­mer Vor­schlä­ge für die Wohn­po­li­tik er­ar­beit­eten. Für vie­le ist hier die Stadt Wien mit ih­rem viel­fäl­ti­gen An­ge­bot an Wohn­part­nern und Stadt­teil­ar­bei­tern ein Vor­bild.

Und selbst im Streit­ge­spräch zwi­schen zwei höchst un­ter­schied­li­chen po­li­ti­schen Pro­po­nen­ten – An­dre­as Rabl, dem FPÖ-Bürg­er­meis­ter aus Wels, und Ma­ri­na Han­ke, Wie­ner Ge­mein­de­rä­tin und Vor­sit­zen­de der So­zia­lis­ti­schen Ju­gend Wien – gab es zwar bei den Fra­gen der Auf­nah­me­be­reit­schaft für neue Flücht­lin­ge und der Hö­he der Min­dest­si­che­rung kei­ne Über­ein­stim­mung, sehr wohl aber bei der Be­deu­tung von Deutsch­kur­sen und an­de­ren In­teg­ra­ti­ons­maß­nah­men für je­ne Men­schen, die im Land blei­ben. Dort dür­fe nicht ge­spart wer­den, wa­ren sich bei­de ei­nig. Mit dem von den Teil­neh­mern zum Sie­ger ge­kür­ten Tisch­vor­schlag „We­ni­ger jam­mern, mehr küm­mern“ kann sich fast je­der iden­ti­fi­zie­ren.

Der Standard, Mi., 2016.03.02

02. März 2016Eric Frey
Der Standard

„Am Wohn­ort fin­det um­fas­sen­de In­teg­ra­ti­on statt“

Da­mit Men­schen un­ter­schied­li­cher Her­kunft fried­lich mit­ein­an­der le­ben kön­nen, braucht es ethni­sche Durch­mi­schung, ge­lun­ge­ne Ar­chi­tek­tur und ei­ne gu­te Be­treu­ung an dem Ort, an dem man die meis­te Zeit ver­bringt.

Da­mit Men­schen un­ter­schied­li­cher Her­kunft fried­lich mit­ein­an­der le­ben kön­nen, braucht es ethni­sche Durch­mi­schung, ge­lun­ge­ne Ar­chi­tek­tur und ei­ne gu­te Be­treu­ung an dem Ort, an dem man die meis­te Zeit ver­bringt.

Heinz Fass­mann, Vor­sit­zen­der des In­teg­ra­ti­ons­bei­rats im Au­ßen- und In­teg­ra­ti­ons­mi­nis­te­ri­um von Se­bas­ti­an Kurz, kennt die Zah­len ge­nau – und sie sind dra­ma­tisch. Er rech­net da­mit, dass von den 90.000 Flücht­lin­gen, die im Vor­jahr Asy­lan­trä­ge ge­stellt ha­ben, 50.000 im Land blei­ben wer­den – und dies zu­sätz­lich zu ei­ner ähn­lich star­ken nor­ma­len Zu­wan­de­rung. Der Wohn­bau müs­se mehr leis­ten, als nur Neu­be­wohn­ern Un­ter­kunft zu bie­ten, be­ton­te er in sei­nem Re­fe­rat beim Wohn­sym­po­si­um: „Da­zu kommt die Ver­klein­er­ung der Haus­hal­te, ein Er­satz für Ab­ris­se, die Ver­bes­se­rung der Qua­li­tät. Man müss­te aber jetzt al­les, was sonst im Wohn­bau ge­tan wird, nur für die Be­frie­di­gung die­ses Zu­wach­ses nut­zen, da­mit es sich aus­geht.“

Vor al­lem die Bal­lungs­räu­me stün­den vor rie­si­gen lang­fri­sti­gen Her­aus­for­de­run­gen, be­ton­te der Vi­ze­rek­tor für In­ter­na­tio­na­les an der Uni­ver­si­tät Wien. „So­bald Men­schen Asyl er­hal­ten, setzt die Se­kun­där­mig­ra­ti­on in die gro­ßen Städ­te ein. Man muss den Städ­ten er­lau­ben, et­was Luft zu ho­len. Da­her soll­te man schau­en, dass die Asyl­be­rech­tig­ten ei­ne Zeit­lang dort blei­ben, wo sie ih­ren Wohn­sitz ha­ben.“ Fass­mann regt da­her ei­ne Dis­kuss­ion über ei­ne Re­si­denz­pflicht an, die et­wa an die Aus­zah­lung von So­zi­al­leis­tun­gen ge­kop­pelt wer­den könn­te. Für die jüngs­ten Schrit­te der Re­gie­rung zur Be­gren­zung der Asy­lan­trä­ge hat Fass­mann Ver­ständ­nis, denn: „Oh­ne Maß­nah­men hät­ten wir 2016 mehr Zu­wan­de­rer als 2015, denn Wan­de­rung pro­du­ziert Wan­de­rer. Und ei­ne un­ge­brems­te Zu­wan­de­rung über meh­re­re Jah­re wür­de die Re­pu­blik vor ge­wal­ti­ge Pro­ble­me stel­len.“

Mit den Her­aus­for­de­run­gen, der Zu­wan­de­rung be­schäf­ti­gen sich Ös­ter­reichs Ge­mein­nüt­zi­ge schon seit 20 Jah­ren, be­ton­te So­zi­al­bau-Chef Her­bert Ludl. „Wir sind die ein­zi­gen Ver­mie­ter, die sich um mehr küm­mern als die Haus­ver­wal­tung, näm­lich die In­teg­ra­ti­on.“ Dies sei auch not­wen­dig, denn „der Wohn­ort ist der Ort schlech­thin, wo um­fas­sen­de In­teg­ra­ti­on ge­schieht, und das 24 Stun­den am Tag – nicht die Schu­le oder der Ar­beits­platz. Am ne­ga­ti­ven Bei­spiel von Pa­ral­lel­ge­sell­schaf­ten im Ghet­to er­kennt man gut, wel­che Ge­stal­tungs­kraft der Wohn­ort be­sitzt, im Gu­ten wie im Bö­sen.“

Auch Ludl ver­weist ger­ne auf den „Glo­ba­len Hof“ der So­zi­al­bau in Wien-Lie­sing, der vie­len als Vor­zei­ge­mo­dell für ge­lun­ge­ne In­teg­ra­ti­on dient. Fol­gen­de Grund­sät­ze lei­tet er aus der Er­fah­rung sei­nes Un­ter­neh­mens ab:

Q Be­wohn­er­mix: Ma­xi­mal die Hälf­te der Be­woh­ner ei­nes Wohn­hau­ses soll­ten Zu­wan­de­rer sein, und kei­ne Ethnie soll­te in­ner­halb die­ses An­tei­les über­hand­neh­men.

Q Frei­wil­lig­keit: Es müs­se freie Wahl der Kun­den herr­schen statt Woh­nungs­zu­tei­lung. Ös­ter­rei­cher wür­den al­ler­dings nur ein­zie­hen, wenn die Qua­li­tät stimmt, sagt Ludl, „denn sie sind ver­wöhnt.“

Q Be­zugs­per­son vor Ort: Es brau­che je­man­den, „den man an­spre­chen kann, der ver­mit­telt und die Re­geln durch­setzt – ei­ne Mi­schung aus Ko­or­di­na­tor, Beicht­va­ter und stren­gem She­riff“.

Q Ge­mein­schafts­ein­rich­tun­gen: Pra­xis­taug­li­che Ge­mein­schafts­räu­me sind für Ludl ein Schlüs­sel für In­teg­ra­ti­on: „Wir brau­chen ei­ne ge­wis­se Zahl an Be­geg­nungs­mög­lich­kei­ten, wo man sich trifft und aus­tauscht. Denn sonst ken­nen sich die Leu­te nicht und grü­ßen ein­an­der nicht, dann wird vie­les viel schwe­rer.“

Q Leist­bar­keit und Qua­li­tät: Und schließ­lich müss­ten Woh­nun­gen für Zu­wan­de­rer er­schwing­lich und für alt­ein­ge­ses­se­ne Bür­ger at­trak­tiv sein, be­tont Ludl. Dies ge­lin­ge nur im ge­mein­nüt­zi­gen ge­för­der­ten Wohn­bau.

Und nur gro­ße, zen­tral ge­plan­te Wohn­an­la­gen könn­ten all die­se Kri­te­rien er­fül­len, meint der So­zi­al­bau-Chef. „Zu glau­ben, dass man es mit Bau­grup­pen schaf­fen kann, die­se Wohn­ein­hei­ten zu schaf­fen, ist ei­ne Il­lu­si­on.“ Dem wi­der­sprach Fass­mann: „Gro­ße Ob­jek­te nei­gen zu Seg­re­ga­ti­ons­er­schei­nun­gen, klei­ne ge­misch­te sind in­teg­ra­ti­ver.“

Schaf­fen von et­was Neu­em

Ob groß oder klein – für Sa­bi­ne Pol­lak vom Ar­chi­tek­tur­bü­ro Köb & Pol­lak ist ei­ne ge­lun­ge­ne Ar­chi­tek­tur der Schlüs­sel für In­teg­ra­ti­on. Und In­teg­ra­ti­on be­deu­te vor al­lem das Schaf­fen von et­was Neu­em.

Pol­lak: „Das heißt für den Wohn­bau über­setzt: Nicht die Zu­wan­der­in­nen sol­len sich in un­se­re 75-Qua­drat­me­ter-und-drei-Zim­mer-Woh­nun­gen mit Log­gia und Mi­nia­tur­kel­ler­ab­teil in­te­grie­ren. Son­dern: Un­se­re Wohn­kon­zep­te ver­bin­den sich mit den Wohn­vor­stel­lun­gen und Öko­no­mien von Zu­wan­der­in­nen und er­ge­ben neue Ty­pen, neue Haus­for­men und neue Öko­no­mien des Woh­nens. Da­von kön­nen wir al­le pro­fi­tie­ren.“

Für die Vi­ze­rek­to­rin der Kunst­uni­ver­si­tät Linz soll­te das Ziel des in­teg­ra­ti­ven Wohn­baus die „ma­xi­ma­le In­klu­si­on“ sein – oder noch brei­ter ge­fasst:„ei­ne of­fe­ne, in­klu­die­ren­de, leist­ba­re, dich­te und kom­ple­xe Stadt.“

Die Zu­wan­de­rung sei ei­ne Chan­ce, fest­ge­fah­re­ne Struk­tu­ren im ge­för­der­ten Wohn­bau auf­zu­bre­chen und Neu­es aus­zu­pro­bie­ren, glaubt Pol­lak: „Ne­ben den jet­zi­gen Wett­be­wer­ben für maß­an­ge­fer­tig­te Schu­he könn­te es ge­ben: Wett­be­wer­be für Wohn­bau in Vor­fer­ti­gung, für Se­rien­bau, für ex­pe­ri­men­tel­len Wohn­bau, Wett­be­wer­be für krea­ti­ve Lö­sun­gen je­ner Fra­ge, wie ei­ne ge­ring­ere Aus­stat­tung zu ei­ner hö­he­ren Qua­li­tät wird.“ Doch da­für müss­ten Wohn­po­li­ti­ker viel mehr mit Ar­chi­tek­ten spre­chen und zu­sam­men­ar­bei­ten, als es der­zeit ge­schieht.

Der Standard, Mi., 2016.03.02

02. März 2016Eric Frey
Der Standard

Zu­zug als Chan­ce für den länd­li­chen Raum

Drei Prak­ti­ker über güns­ti­ge Un­ter­künf­te und neue We­ge im Wohn­bau

Drei Prak­ti­ker über güns­ti­ge Un­ter­künf­te und neue We­ge im Wohn­bau

In ei­nem Punkt wa­ren sich die Prak­ti­ker beim Wohn­sym­po­si­um ei­nig: An­ge­sichts der gro­ßen Zahl von Tran­sit­flücht­lin­gen und Asyl­wer­bern sei es not­wen­dig, rasch tem­po­rä­re Un­ter­künf­te zu er­rich­ten. Für je­ne Mig­ran­ten al­ler­dings, de­ren Asyl­sta­tus an­er­kannt wird, dür­fe es kei­ne ei­ge­nen Wohn­bau­ten ge­ben. Statt­des­sen müss­te man mehr für al­le Be­woh­ner bau­en und da­rauf schau­en, dass es zu ei­ner gu­ten Durch­mi­schung von Men­schen un­ter­schied­li­cher Her­kunft kommt.

Für die Grup­pe der Asyl­wer­ber stell­te der Salz­bur­ger Lan­des­ret­tungs­kom­man­dant des Ro­ten Kreu­zes, An­ton Hol­zer, ein von sei­ner Or­ga­ni­sa­ti­on ent­wi­ckel­tes Kon­zept vor, das Zel­te und Con­tai­ner er­set­zen soll: Mit ei­ner jun­gen Salz­bur­ger Ar­chi­tek­tin wur­den zwei- oder drei­ge­scho­ßi­ge Holz­häu­ser ent­wi­ckelt mit Wohn­ein­hei­ten für je vier Per­so­nen und zu­sätz­li­chen Auf­ent­halts­räu­men. Sie wur­den bis­her in See­kir­chen und Tams­weg auf güns­tig ge­pach­te­ten Grund­stü­cken er­rich­tet; spä­ter sol­len sie ab­ge­baut, in Con­tai­nern un­ter­ge­bracht und et­wa in Ka­ta­stro­phen­ge­bie­ten im Aus­land ein­ge­setzt wer­den. Ent­schei­dend für die Ak­zep­tanz durch Nach­barn ist laut Hol­zer die 24-Stun­den-Be­treu­ung, die auch eh­ren­amt­li­che Hel­fer über­neh­men.

Für an­er­kann­te Flücht­lin­ge ist Wien der stärk­ste An­zie­hungs­punkt. Dort gibt es ge­nug leist­ba­ren Wohn­raum, und es wird ver­stärkt ge­baut, sag­te Pe­ter Neud­lin­ger, Ge­schäfts­füh­rer des Wohn­ser­vi­ce Wien: „Es ist ei­ne be­wäl­tig­ba­re Si­tua­ti­on, wir jam­mern auf ho­hem Ni­veau.“ Das größ­te Hin­der­nis für Wohn­bau aber sei das Flo­ria­ni­prin­zip, so Neud­lin­ger: „Wo im­mer man bau­en will, heißt es: Aber bit­te nicht hier. Wir müs­sen Zu­zug als Chan­ce be­grei­fen, auch für den länd­li­chen Raum.“

Das kann Chris­ti­an Stru­ber, Ge­schäfts­füh­rer der Salz­burg Wohn­bau und Bun­des­ob­mann der Ar­ge Ei­gen­heim, nur un­ter­schrei­ben. Ge­ra­de für Kleinst­ge­mein­den sind Flücht­lin­ge ei­ne Mög­lich­keit, der Ab­wan­de­rung ent­ge­gen­zu­wir­ken und et­wa Schul­stand­or­te zu er­hal­ten, be­rich­te­te er. Für die Aus­wei­tung des Neu­baus schlägt Stru­ber die Über­bau­ung be­ste­hen­der Park­plät­ze, Tank­stel­len und Su­per­märk­te mit Wohn­an­la­gen vor. „Wir müs­sen neue We­ge ein­schla­gen und die Lü­cken im Stadt­bild schlie­ßen.“

Der Standard, Mi., 2016.03.02

23. Oktober 2013Eric Frey
Der Standard

Auf der Suche nach anderen Klimahebeln

Energieverbrauch dürfe nicht das einzige Kriterium für effizienten Klimaschutz sein, sagen Experten. Raumordnung, Bauvorschriften und bessere finanzielle Modelle sollten mehr Aufmerksamkeit erhalten.

Energieverbrauch dürfe nicht das einzige Kriterium für effizienten Klimaschutz sein, sagen Experten. Raumordnung, Bauvorschriften und bessere finanzielle Modelle sollten mehr Aufmerksamkeit erhalten.

Was bringt dem Klima ein Passivhaus in Neusiedl am See, wenn der Bewohner jeden Tag mit dem Auto nach Wien pendelt? Auf diese Frage reduzierte Planungs- und Energieexperte Wolfgang Vasko auf dem Wohnsymposium das Dilemma einer Klimaschutzpolitik, die das Problem nicht ganzheitlich angeht.

Auch die Architektin Renate Hammer, Sprecherin der Plattform Baukultur, ging in ihrem Beitrag auf das Thema Raumordnung ein, das in Österreich viel zu kurz komme: Die Zersiedelung sei einer der Hauptursachen für hohen CO2-Ausstoß. „Darüber müssen wir reden und nicht über die Effizienz der Haustechnik“, forderte sie. Im Bereich des eigentlichen Wohnbaus werde heute für geringe Steigerungen der Effizienz ein immer größerer Aufwand betrieben.

Aber auch das Thema Wohnkosten müsse aus Hammers Sicht umfassender als üblich behandelt werden - nämlich als Zeichen einer wirtschaftlichen Fehlentwicklung. Hammer: „Wenn wir von Menschen hören: ,Wir können uns die Wohnung nicht mehr leisten', ist dann das Wohnen zu teuer geworden oder die Menschen zu arm?“

Hammer verwies auch auf die zahlreichen anderen Auflagen der Bauordnung, die die Errichtungskosten hinauftrieben - etwa beim Brandschutz. Um den Spagat zwischen maximalem Klimaschutz und erträglichen Kosten zu schaffen, müssten Planer viel mehr Flexibilität erhalten, als sie es vor allem unter den Bedingungen der Wohnbauförderung hätten. „Wir wissen, dass wir nicht 30 Prozent CO2, sondern 80 Prozent einsparen müssen, sonst haben wir als Generation völlig versagt“, sagt Hammer. „Aber das geht nicht, wenn man mit den Vorschriften konform geht. Wir müssen viel mehr experimentell bauen dürfen.“

Bilanz im Lebenszyklus

Auch Franz Vogler, Leiter der Baupolizei Tirol und Vorsitzender des Sachverständigenbeirats im Österreichischen Institut für Bautechnik (OIB), fordert weniger starre Vorgaben und wünscht sich vor allem eine „lebenszyklusorientierte Bilanz des Energieverbrauchs“ eines Gebäudes, die auch etwa die Errichtungsphase und den späteren Abbruch mit einschließt. Dies werde nach dem Nationalen Plan auch möglich werden, sagte er. „Wir reden immer nur über die Reduktion des Energieverbrauchs und nichts anderes. Ich habe das Gefühl, da steckt Lobbyismus dahinter“, sagte er mit einem Seitenhieb auf die Dämmstoffindustrie.

Ein ständiges Problem sei auch, dass eine Seite die Ausgaben des Klimaschutzes zu tragen hätte, aber andere den Nutzen daraus ziehen, vor allem niedrigere Heizkosten, betonte Waltraud Schmid (Kompetenzentrum für Energie). Hier müssten noch neue Ideen entwickelt und angewandt werden, etwa Contracting-Modelle, die entsprechende finanzielle Anreize für Klimaschutzinvestitionen bieten.

Der Standard, Mi., 2013.10.23

23. Oktober 2013Eric Frey
Der Standard

Der hohe Preis für ein bisschen mehr

Österreichs geförderter Wohnbau setzt ganz auf Klimaschutz. Doch die Kosten sind hoch, und beim Passivhausstandard ist der Nutzen nicht immer klar, zeigte sich beim jüngsten Wohnsymposium des STANDARD.

Österreichs geförderter Wohnbau setzt ganz auf Klimaschutz. Doch die Kosten sind hoch, und beim Passivhausstandard ist der Nutzen nicht immer klar, zeigte sich beim jüngsten Wohnsymposium des STANDARD.

Ihr offizieller Name ist Richtlinie 2010/31/EU, sie ist seit 2010 in Kraft und seit diesem Jahr in den 27 EU-Staaten umgesetzt. Eigentlich ist die EU-Gebäuderichtlinie eine recht trockene Angelegenheit. Aber selten zuvor waren bei einem STANDARD-Wohnsymposium die Emotionen im Saal so hochgegangen wie vergangene Woche in der Wirtschaftskammer Österreich, als unter dem Titel „Belastung oder Zukunftschance“ die Kosten-Nutzen-Relation von Investitionen im Klimaschutz unter der EU-Gebäuderichtlinie diskutiert wurde.

Klar, jeder in der österreichischen Baubranche ist für den Klimaschutz - und dessen Förderung durch energieeffizienten Neubau und die thermische Sanierung bestehender Anlagen. Aber es gibt auch viele Stimmen, die sagen, dass Österreich in seinem Drang zum klimagerechten Bauen zu weit geht. Und das rief bei einigen der rund hundert Teilnehmer heftigen Widerspruch hervor.

Der Sprung vom Niedrigenergiehaus zum Passivhaus brächte kaum Mehrnutzen, sagen die Kritiker; das Passivhauskonzept - dass Wohngebäude überhaupt keine externe Energie benötigen - sei in der Realität nicht umsetzbar, weil sich viele Bewohner nicht an die Nutzungsregeln halten und etwa die Fenster aufreißen, statt die Frischluft aus den Lüftungsanlagen zu beziehen. Und der Straßenverkehr und die Industrie hätten bisher viel weniger für den Klimaschutz geleistet als der Wohnbau. Dort müsse man ansetzen statt an einer noch dickeren Wärmedämmung.

Und die hohen klimatechnischen Standards in Österreich würden das Bauen verteuern und so entscheidend zu den ständig steigenden Wohnkosten beitragen. „Wollen wir Klimaschutz um jeden Preis?“, fragte etwa Karl Wurm, Bundesobmann der gemeinnützigen Wohnbauvereinigungen, in seinem Eingangsreferat. Der Wohnbau hätte bereits einen großen Beitrag zur Reduktion der CO2-Emissionen geleistet, nun seien andere dran. Wurm kritisiert vor allem das neue Klimaschutzgesetz und den Nationalen Plan, mit dem die Ziele umgesetzt werden sollen. Damit gehe Österreich über die Vorgaben der EU-Gebäuderichtlinie weit hinaus. Diese sieht die sofortige Einführung des Energieausweises bei Neubau oder Sanierung sowie die Verwirklichung eines Niedrigst-energiestandards ab 2020 vor. Mit dem Passivhausstandard im geförderten Wohnbau werde in Österreich übers Ziel geschossen, kritisiert Wurm.

In die gleiche Kerbe schlug Karl-Heinz Stadler, Vizeobmann der Wohnbaugenossenschaft Neues Leben. Das Passivhaus bringe dem Bewohner keine Vorteile gegenüber dem Niedrigenergiehaus mit einem Heizbedarf von 40 kWh. „Die Mindermenge am Heizen wird kompensiert durch die Lüftungsenergie, die notwendig ist, um das Passivhaus zu betreiben“, sagte er. „Wenn wir bei 40 kWh bleiben würden, könnten wir einen Beitrag leisten, damit die Wohnkosten nicht explodieren.“

Stabile Regeln gewünscht

Nicht alle Experten und Praktiker beim Wohnsymposium, das vom Fachmagazin Wohnen Plus mitorganisiert wird, teilten diese Ansicht. Heimo Scheuch, Vorstandschef des Ziegelkonzerns Wienerberger, sieht einen dringenden Handlungsbedarf im Wohnbau, denn „40 Prozent des CO2-Ausstoßes kommen aus Gebäuden“. Scheuch warnt vor allem davor, die Regeln alle paar Jahre zu ändern: „Investoren fordern ein stabiles Rechtssystem. Wenn wir die Gebäuderichtlinie haben, das ist es. Davon müssen wir ausgehen können. Man darf sich nicht immer etwas Neues ausdenken.“

Bei der Planungssicherheit hat die EU-Kommission allerdings ausgelassen, erläuterte Waltraud Schmid, Leiterin des Kompetenzzentrums für Energie in Wien, die lange in Brüssel tätig war. Sie verwies auf die großen Chancen für die österreichische Wohnbauindustrie durch ihre Kompetenz beim Passivhaus. Der jüngste Sieg eines österreichischen Uni-Teams bei der Solar-WM in den USA sei kein Einzelfall „Nicht von ungefähr kommen die Chinesen zu uns und schauen sich nicht nur die Technologie, sondern auch die Rahmenbedingungen an“, sagt Schmid. „Vielleicht ist Österreich in seiner Vorreiterrolle zu weit gegangen, aber sie ist es wert, weitergetragen zu werden.“

Kühlung vom Donaukanal

Die großen Möglichkeiten neuer Technologien skizzierte der Planungsexperte Wolfgang Vasko (Vasko & Partner) anhand eines Bürogebäudes - des neuen Raiffeisenhauses am Wiener Donaukanal, laut Vasko das erste Passsivhochhaus der Welt. So werde dort der sogenannte Schotterkoffer im Boden für Erdwärme und das Wasser des Donaukanals für die Kühlung im Sommer genutzt. Das Wasser decke 28 Prozent des Kühlbedarfs ab.

Ein solches Hightech-Gebäude, egal ob Büro- oder Wohnhaus, stelle hohe Anforderungen an die Qualifikation der Wartung, betonte Vasko. Aber nicht nur die Facility-Manager, auch die Nutzer eines Hauses seien gefordert, denn bei falscher Verwendung würde das Passivhaus nicht funktionieren. „Ich bin der Meinung, dass man nicht nur für ein Auto, sondern auch für eine Wohnung ein Handbuch braucht“, sagte er. „Wenn hinter dem Kleiderkasten der Schimmel auftritt, dann soll nicht der Vermieter zur Verantwortung gezogen werden. Es reiche, wenn in einem Manual steht, dass gelüftet werden muss.“

Der Standard, Mi., 2013.10.23

06. Juni 2012Eric Frey
Der Standard

Nachhaltigkeit kommt in vielerlei Gestalt

Was macht Wohnhäuser zukunftsfähig? Ein STANDARD-Symposium widmete sich der Nachhaltigkeit im Spannungsfeld zwischen Ökologie, Leistbarkeit, guter Architektur und den Bedürfnissen der Bewohner.

Was macht Wohnhäuser zukunftsfähig? Ein STANDARD-Symposium widmete sich der Nachhaltigkeit im Spannungsfeld zwischen Ökologie, Leistbarkeit, guter Architektur und den Bedürfnissen der Bewohner.

Für 72 Prozent der österreichischen Konsumenten ist Nachhaltigkeit beim Wohnen ein wichtiges Thema, wie eine aktuelle Studie der Wiko Wirtschaftskommunikation zeigt; und fast ebenso viele wären bereit, für eine nachhaltige Immobilie mehr zu zahlen - die meisten zwischen 2,5 und zehn Prozent mehr.

Nachhaltigkeit ist auch in den Köpfen der Bewohner angekommen; in der Politik und in der Bauwirtschaft ist es schon seit Jahren ein ständig gebrauchtes Schlagwort. Doch wenn es um die konkrete Ausgestaltung der Nachhaltigkeit geht, dann bleiben zahlreiche Fragen unbeantwortet: Sollen alte Gebäude um jeden Preis thermisch saniert und neue nur noch als Passivhäuser errichtet werden? Oder geht durch höhere Baukosten ein Stück soziale Nachhaltigkeit verloren? Und ist es nicht ebenso wichtig, architektonisch wertvolle Gebäude zu errichten, damit sich Menschen auch noch nach Jahrzehnten drinnen wohlfühlen und nicht nach einer Generation die ökologisch teure Abrissbirne kommt? Braucht die Gesellschaft nicht ebenso kulturelle Nachhaltigkeit?

Einigkeit und Bruchlinien

Das 43. STANDARD-Wohnsymposium widmete sich vergangene Woche in der Wirtschaftskammer Österreich unter dem Titel „Nachhaltigkeit im Wohnbau: Modewort oder Mehrwert?“ diesen Fragen. Bei den Experten-, Politiker- und Teilnehmergesprächen gab es viel Einigkeit. Doch in der Frage der Prioritäten traten auf der vom Fachmagazin Wohnen Plus mitorganisierten Veranstaltung einige der oben skizzierten Bruchlinien offen zutage.

Während die Architekten und Nachhaltigkeitsexperten Karin Stieldorf und Martin Trebersburg in ihren Referaten die Passivhaustechnologie im Neubau und die thermische Sanierung alter Gebäude als zentrale Ziele bezeichneten, kritisierte Wolfdieter Dreibholz, der Vorsitzende der Grazer Altstadtsachverständigenkommission, die Überbetonung ökologischer Faktoren auf Kosten architektonischer Qualität. „Die Nachhaltigkeit wird verwendet, um Architektur zu verhindern“, warnte er und verwies dabei auf die „Wärmedämmungshysterie in den Achtzigerjahren“, die durch die technologischen Fortschritte der Glasindustrie beendet werden konnten, und auf aktuelle grüne Projekte wie ein achtgeschoßiger Holzwohnbau.

„Vom Grundriss her sind das dieselben Kisten, die vor 30 Jahren von Architekten wegen mangelnder Urbanität und Kreativität kritisiert worden sind“, sagt Dreibholz, der jahrelang mit Coop Himmelb(l)au zusammengearbeitet hat. „Heute werden diese Produkte hingestellt und unter dem Modewort Nachhaltigkeit ein weiteres Mal verkauft.“

Amsterdamer Schule

Als nachhaltigen Wohnbau lässt Dreibholz die Gemeindebauten der Zwischenkriegszeit gelten, die auf die Amsterdamer Schule zurückgehen. „Sie haben bewiesen, dass sie in ihrer Substanz und Haltung auch Renovierungen aushalten und trotzdem markante Teile einer Stadt sind.“

In die gleiche Kerbe schlug Architekt Markus Kaplan von BWM Architekten, der nach den traditionellen Tischgesprächen den Vorschlag „Identität schaffen“ als besten Weg zu mehr Nachhaltigkeit von Gebäuden präsentierte und dafür vom Symposium zum Sieger gekürt wurde. In Häusern mit Identität würden Menschen gerne möglichst lange wohnen.

Der Sozialmediziner Michael Kunze äußerte hingegen Zweifel an diesem Ziel. Bedürfnisse der Menschen würden sich ändern, und der Wohnbau müsse sich ständig anpassen. Denn „wir sind Nomaden beim Wohnen und unseren Bedürfnissen“. Sprüche wie „Einen alten Baum verpflanzt man nicht“ würden die wahren Lebenswelten nicht widerspiegeln.

Fokus auf Leistbarkeit

Den Vertretern der Bauträger - Sozialbau-Chef Herbert Ludl und Buwog-Vorstand Gerhard Schuster - galt wiederum die Leistbarkeit und die Kundenzufriedenheit als entscheidendes Kriterium für Nachhaltigkeit, wobei Ludl dies nur im gemeinnützigen und genossenschaftlichen Wohnbau realisierbar sieht: „Der Markt taugt nicht für die Wohnversorgung“. Schuster zeigte sich hingegen überzeugt, dass der freie Markt leistbares und bedarfsgerechtes Wohnen bieten kann. „Es ist nicht sinnvoll, eine Einheitsqualität zu liefern, der Wettbewerb der Qualitäten kann unsere Branche weiterbringen“, sagte er.

Im Politikergespräch zwischen dem Wiener Wohnbaustadtrat Michael Ludwig und dem ÖVP-Wohnbausprecher Johann Singer, Bürgermeister der kleinen oberösterreichischen Gemeinde Schiedlberg - traten die Unterschiede zwischen Stadt und Land hervor, wobei sich beide für mehr Verdichtung im Wohnbau aussprachen. Aber während Ludwig die föderale Struktur der Raumordnung kritisierte, wurde diese von Singer verteidigt.

Nachhaltigkeit, so das Resümee vieler Teilnehmer, sei auch im Wohnbau manchmal ein inhaltsleeres Modewort geworden. Um den Mehrwert zu lukrieren, sei mühsame Kleinarbeit notwendig, nicht nur bei Planung und Bau von Wohnhäusern, sondern auch bei ihrer Nutzung.

Der Standard, Mi., 2012.06.06

06. Juni 2012Eric Frey
Der Standard

Wegsuche zwischen Kultur, Klima und Demografie

Wohnhäuser sollen heute architektonische Ansprüche erfüllen, wenig Energie verbrauchen und sich den Veränderungen in der Gesellschaft anpassen. Wie das alles zusammenpasst, darüber diskutierten Experten.

Wohnhäuser sollen heute architektonische Ansprüche erfüllen, wenig Energie verbrauchen und sich den Veränderungen in der Gesellschaft anpassen. Wie das alles zusammenpasst, darüber diskutierten Experten.

Energetisch ist das Sydney Opera House sicherlich kein großer Wurf. Und von Leistbarkeit kann bei einer 14-fachen Baukostenüberschreitung auch keine Rede sein. Aber für Wolfdieter Dreibholz, den Vorsitzenden der Grazer Altstadtsachverständigenkommission hat das Jahrhundertbauwerk 40 Jahre nach Eröffnung „kulturelle Nachhaltigkeit ungeahnten Ausmaßes“ bewiesen, die durch den Kampf des damals noch jungen dänischen Architekten Jørn Utzon gegen die gesamte australische Gesellschaft noch an Bedeutung gewonnen hat.

Ebenso kompromisslos wie Dreibholz' Plädoyer für mutige Architektur tritt Karin Stieldorf vom Institut für Architektur und Entwerfen der TU Wien für die Schonung der Ressourcen im Wohnbau ein. „Gebäude, die ungesund und umweltschädigend und zu teuer und so gebaut sind, dass sie zu Nachbarschaftsstreit beitragen, sollten gar nicht gebaut werden,“ sagte sie. „Wir haben kein Recht, das, was die Erde bietet, gedankenlos zu verschwenden und kommenden Generationen eine versaute Erde zu hinterlassen.“

Alles über Passivhäuser

In ihrem Unterricht an der TU bemüht sich Stieldorf, die vor zehn Jahren die Arbeitsgruppe für nachhaltiges Bauen gegründet hat, um die Verbindung von Architektur und Energieeffizienz und hat Schüler aus aller Welt, die vor allem etwas über Passivhäuser lernen wollen. Dabei habe sie eines gelernt: „Klimagerechtes Bauen erfordert Feingefühl und die intensive Auseinandersetzung mit dem jeweiligen Standort.“ Denn im Ausland seien die klimatischen Bedingungen ganz anders als in Österreich.

Ebenso wichtig wie die Architektur ist für Stieldorf die Regionalplanung: die Verdichtung von Stadtrandgebieten, um Verkehr zu vermeiden, und die Einbettung von Neubauten in den Bestand, um möglichst wenig verändern zu müssen.

Stieldorf ist ebenso überzeugt vom umweltschonenden Wohnbau wie Martin Trebersburg, der ressourcenorientiertes Bauen an der Universität für Bodenkultur in Wien unterrichtet. Energieeffiziete Wohnbauten, ob neu errichtet oder saniert, seien angesichts steigender Energiepreise zwingend notwendig, um die „Haushaltsenergiearmut“ zu vermeiden.

Diese sei gegeben, wenn mehr als zehn Prozent des Einkommens zum Heizen verwendet werden müssen. „In einem Passivhaus braucht man für 70 m² zehn Euro im Monat zum Heizen und zehn Euro für Warmwasser“, sagte Trebersburg. „Da ist Energiearmut nicht möglich.“

Passivhäuser seien auch bei der Errichtung nicht teurer als konventionelle Bauten, hätte eine Studie gezeigt. Und eine Untersuchung von 18 Wohnanlagen in Wien habe ergeben, dass auch die Wohnzufriedenheit in energieeffizienten Häusern viel höher sei. Trebersburgs Schluss: „Ein energieeffizientes Gebäude ist ein nachhaltiges Gebäude, die beste Investition in die Zukunft.“

Für Michael Kunze, Vorstand des Instituts für Sozialmedizin der Med-Uni Wien, ist die größte Herausforderung an die Nachhaltigkeit die Demografie. Die Menschen würden immer länger leben, immer mehr ziehe es in die Städte, und die Grenzen zwischen Wohnort und Arbeitsplatz würden sich immer mehr verwischen. Benötigt werde daher auch „biografische und demografische Nachhaltigkeit“; und diese erfordere größtmögliche Flexibilität beim Wohnen, die Bereitschaft, Häuser abzureißen und neu zu bauen, und die Bereitschaft, alles neu zu überdenken. Kunze: „Stabil und kontinuierlich ist nur die Veränderung.“

Der Standard, Mi., 2012.06.06

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Presseschau 12

01. März 2017Eric Frey
Der Standard

Nahe dem Zentrum, dem Bahnhof und dem Flussufer

Ein für junge Bewohner konzipiertes Wohnhaus in St. Pölten ist Teil der Wachstumsoffensive der Stadt

Ein für junge Bewohner konzipiertes Wohnhaus in St. Pölten ist Teil der Wachstumsoffensive der Stadt

St. Pölten / Wien – Viele kleine Gemeinden rund um Wien wehren sich gegen Bevölkerungswachstum und lassen deshalb kaum Wohnbau zu. St. Pölten aber ist anders: Die lang verschmähte Landeshauptstadt ist vor allem dank der Beschleunigung der Westbahnstrecke und der Schließung der geruchsstarken Glanzstofffabrik zum attraktiven Wohnort geworden, der leistbares Wohnen mit urbanem Flair und Top-Verkehrsverbindungen liefert. Und St. Pölten heißt Neubewohner willkommen: In der 54.000-Einwohner-Stadt sind 3000 Wohnungen in Planung, und an die tausend werden derzeit gebaut.

Zu diesem Mini-Bauboom trägt auch die Wohnbaugenossenschaft Alpenland bei. Rund um das Regierungsviertel, das ihr heutiger Obmann Norbert Steiner einst als Hauptstadtplaner konzipiert hat, errichtet sie mehrere Wohnbauten, darunter auch das Projekt „Junges Wohnen“, das Ende März bezogen werden soll. Das vom Architektenbüro Superblock entworfene viergeschoßige Wohnhaus enthält 29 Wohnungen in der Größe von 54 bis 60 m 2 , die sich, wie der Name sagt, vor allem an junge Bewohner richten. Es liegt am Ostufer der Traisen, aber in Gehweite zum Stadtzentrum und zum Bahnhof und nur einen Sprung vom großen Erholungsbereich am Flussufer entfernt.

„Wir haben uns mit den Wohngewohnheiten von jungen Leu- ten beschäftigt“, erzählt Steiner. „Heraus kam, dass sie ganz unterschiedliche Vorstellungen und Bedürfnisse haben. Aber allen sind soziale Themen wichtig.“ Deshalb sind die Wohnungen flexibel gestaltbar – etwa für Singles, die zu Hause arbeiten, aber keine Wände wollen, für junge Paare oder für alleinerziehende Eltern, die auch bei wenig Grundfläche drei Zimmer benötigen.

Rund um das Gebäude gibt es umlaufende Balkone, im Erdgeschoß einen großen Gemeinschaftsraum mit Küche und Zugang zum Freien eingerichtet sowie einen Kinderwagenabstellraum, eine Waschküche und eine Tiefgarage. Das gesamte Gebäude ist – was in Niederösterreich nicht vorgeschrieben ist – barrierefrei.

Ein Förderprogramm des Landes für „Junges Wohnen“ hilft die Mietkosten bei acht Euro netto und rund zehn Euro brutto zu halten. Neben einem Finanzierungsbeitrag von 4000 Euro ergibt sich eine Monatsmiete von rund 550 Euro.

Die Alpenland plant ein Parallelprojekt in Baden und spricht mit anderen Gemeinden über den Bau ähnlicher Anlagen. „Wir spüren die Nachfrage rund um Wien, und gerade viele junge Menschen sind auf Wohnungssuche“, sagt Steiner. „Baden gilt als alte Stadt, aber als wir einen Informationsabend für junge Menschen abhielten, war der Saal bummvoll.“

Der Standard, Mi., 2017.03.01

02. März 2016Eric Frey
Der Standard

Ein­fach bau­en, an­ders bau­en – und sich küm­mern

Wel­chen Bei­trag kann die Wohn­po­li­tik zur In­teg­ra­ti­on von Flücht­lin­gen leis­ten? Dass mehr ge­baut wer­den muss, stand beim Stan­dard -Wohn­sym­po­si­um au­ßer Streit. Aber auch ein Um­den­ken im Wohn­bau und der Aus­bau der Be­wohn­er­be­treu­ung stan­den im Raum.

Wel­chen Bei­trag kann die Wohn­po­li­tik zur In­teg­ra­ti­on von Flücht­lin­gen leis­ten? Dass mehr ge­baut wer­den muss, stand beim Stan­dard -Wohn­sym­po­si­um au­ßer Streit. Aber auch ein Um­den­ken im Wohn­bau und der Aus­bau der Be­wohn­er­be­treu­ung stan­den im Raum.

Auf die letz­te gro­ße Mig­ra­ti­ons­wel­le wäh­rend des Bos­nien­kriegs in den 1990er-Jah­ren hat Ös­ter­reich, und vor al­lem die Stadt Wien, mit ei­ner Wohn­bau­of­fen­si­ve rea­giert, die den hei­mi­schen Markt fast 20 Jah­re lang aus­rei­chend mit Wohn­raum ver­sorg­te. Der neue Flücht­lings­strom aus dem Na­hen Os­ten stellt die Wohn­po­li­tik vor noch grö­ße­re Her­aus­for­de­run­gen. Denn zu den 90.000 Asyl­wer­bern des Vor­jah­res kom­men noch die zahl­rei­chen Zu­wan­de­rer aus an­de­ren Län­dern, vor al­lem aus der EU, da­zu, die oh­ne­hin schon für Woh­nungs­knap­pheit in den Bal­lungs­räu­men sor­gen. Und an­ge­sichts der kul­tu­rel­len Dif­fe­ren­zen mit vie­len An­kömm­lin­gen ist die Wohn­po­li­tik noch viel stär­ker ge­for­dert, die In­teg­ra­ti­on der neu­en Be­woh­ner zu un­ter­stüt­zen.

Un­ter dem Ti­tel „Un­ter­kunft oder In­teg­ra­ti­on“ be­schäf­tig­te sich das 54. Stan­dard -Wohn­sym­po­si­um ver­gan­ge­ne Wo­che mit die­sem schwie­ri­gen The­men. Auch wenn die meis­ten Red­ner be­ton­ten, dass man na­tür­lich bei­des brau­che – Un­ter­kunft und In­teg­ra­ti­on –, so zeig­ten sich in den Vor­trä­gen und Dis­kuss­io­nen doch höchst un­ter­schied­li­che Zu­gän­ge und Schwer­punk­te.

Ei­ne kla­re Bot­schaft kam von Her­bert Ludl, dem Ge­ne­ral­di­rek­tor der So­zi­al­bau AG, Ös­ter­reichs größ­ter ge­mein­nüt­zi­ger Ge­nos­sen­schaft: Mit dem Satz „Bau­en, bau­en, bau­en“ rief er da­zu auf, die gan­ze En­er­gie auf ei­ne Stei­ge­rung der Wohn­bau­leis­tung zu ver­wen­den. Man müs­se jetzt so­fort an­fan­gen, denn „es dau­ert ja drei bis fünf Jah­re bis zum Be­zug“, und soll­te mög­lichst gro­ße Pro­jek­te mit preis­wer­ten Woh­nun­gen und „oh­ne Schnick­schnack“ er­rich­ten. Denn in den gro­ßen An­la­gen funk­tio­nie­re auch die In­teg­ra­ti­on am be­sten. In der Wie­ner Stadt­re­gie­rung ist Ludls Bot­schaft be­reits an­ge­kom­men: Wohn­bau­stadt­rat Mi­cha­el Lud­wig (SPÖ) will die Zahl der neu­en Woh­nun­gen um ein Drit­tel von 10.000 auf 13.000 im Jahr er­hö­hen.

Die Wie­ner Ar­chi­tek­tin Sa­bi­ne Pol­lak warn­te hin­ge­gen da­vor, ein­fach nur drauf­los­zu­bau­en. Die Kri­se sei ei­ne Chan­ce, beim Wohn­bau um­zu­den­ken und auch an­ge­sichts un­ter­schied­li­cher Wohn­kul­tu­ren der Zu­wan­de­rer neue ar­chi­tek­to­ni­sche und öko­no­mi­sche Kon­zep­te zu ent­wi­ckeln.

Auch Pol­lak geht es da­rum, die Kos­ten zu sen­ken, und auch sie setzt auf gro­ße und dich­te An­la­gen mit klein­eren Wohn­ein­hei­ten. Aber vor al­lem drängt sie da­rauf, auf vie­les in der Stan­dard­aus­stat­tung zu ver­zich­ten, um Be­wohn­ern mehr Spiel­raum zu bie­ten. „Wir soll­ten rau­er und ro­her den­ken – of­fen ver­leg­te Lei­tun­gen, Es­trich­bö­den, Fix­ver­gla­sun­gen“, sag­te sie. Ziel soll­te da­bei auch sein, be­son­ders kost­spie­li­ge Bau­nor­men los­zu­wer­den.

Kei­ne Pap­pen­de­ckel­con­tai­ner

Auch Georg Bu­sik, Mar­ke­ting­spre­cher von Bau-Mas­siv, dem Fach­ver­band Stei­ne-Ke­ra­mik in der Wirt­schafts­kam­mer Ös­ter­reich, warn­te in sei­nen Be­grü­ßungs­wor­ten auf dem Sym­po­si­um, das ge­mein­sam mit dem Fach­ma­ga­zin Woh­nen Plus or­ga­ni­siert wur­de, vor all­zu viel Geiz beim Bau­en. „Wir dür­fen kei­ne Pap­pen­de­ckel­con­tai­ner auf­stel­len“, sag­te er. „Wer bil­lig baut, baut teu­er. Denn dann muss man es zwei­mal bau­en.“ Bei pro­vi­so­ri­schen Un­ter­künf­ten et­wa in Con­tai­nern kom­me auch das Pro­blem der um­welt­scho­nen­den Nach­nut­zung da­zu. „Ab­bau und Wie­der­auf­bau sind nicht nach­hal­tig.“

Das drit­te gro­ße The­ma auf dem Wohn­sym­po­si­um be­traf die Be­treu­ung von Be­wohn­ern als Mit­tel zur In­teg­ra­ti­on. Ne­ben ei­ner qua­li­täts­vol­len Wohn­um­ge­bung müs­se es An­sprech­part­ner vor Ort ge­ben, die auf Be­schwer­den rea­gie­ren, bei Strei­tig­kei­ten ver­mit­teln und auch den Zu­wan­der­ern hel­fen, sich in ei­ne neue Um­ge­bung mit an­de­ren Re­geln mög­lichst rasch ein­zu­fin­den.

Die Bot­schaft, dass die Soft­wa­re min­des­tens so wich­tig ist wie die Hard­wa­re, kam auch aus vie­len der Tisch­run­den her­aus, bei de­nen die Teil­neh­mer Vor­schlä­ge für die Wohn­po­li­tik er­ar­beit­eten. Für vie­le ist hier die Stadt Wien mit ih­rem viel­fäl­ti­gen An­ge­bot an Wohn­part­nern und Stadt­teil­ar­bei­tern ein Vor­bild.

Und selbst im Streit­ge­spräch zwi­schen zwei höchst un­ter­schied­li­chen po­li­ti­schen Pro­po­nen­ten – An­dre­as Rabl, dem FPÖ-Bürg­er­meis­ter aus Wels, und Ma­ri­na Han­ke, Wie­ner Ge­mein­de­rä­tin und Vor­sit­zen­de der So­zia­lis­ti­schen Ju­gend Wien – gab es zwar bei den Fra­gen der Auf­nah­me­be­reit­schaft für neue Flücht­lin­ge und der Hö­he der Min­dest­si­che­rung kei­ne Über­ein­stim­mung, sehr wohl aber bei der Be­deu­tung von Deutsch­kur­sen und an­de­ren In­teg­ra­ti­ons­maß­nah­men für je­ne Men­schen, die im Land blei­ben. Dort dür­fe nicht ge­spart wer­den, wa­ren sich bei­de ei­nig. Mit dem von den Teil­neh­mern zum Sie­ger ge­kür­ten Tisch­vor­schlag „We­ni­ger jam­mern, mehr küm­mern“ kann sich fast je­der iden­ti­fi­zie­ren.

Der Standard, Mi., 2016.03.02

02. März 2016Eric Frey
Der Standard

„Am Wohn­ort fin­det um­fas­sen­de In­teg­ra­ti­on statt“

Da­mit Men­schen un­ter­schied­li­cher Her­kunft fried­lich mit­ein­an­der le­ben kön­nen, braucht es ethni­sche Durch­mi­schung, ge­lun­ge­ne Ar­chi­tek­tur und ei­ne gu­te Be­treu­ung an dem Ort, an dem man die meis­te Zeit ver­bringt.

Da­mit Men­schen un­ter­schied­li­cher Her­kunft fried­lich mit­ein­an­der le­ben kön­nen, braucht es ethni­sche Durch­mi­schung, ge­lun­ge­ne Ar­chi­tek­tur und ei­ne gu­te Be­treu­ung an dem Ort, an dem man die meis­te Zeit ver­bringt.

Heinz Fass­mann, Vor­sit­zen­der des In­teg­ra­ti­ons­bei­rats im Au­ßen- und In­teg­ra­ti­ons­mi­nis­te­ri­um von Se­bas­ti­an Kurz, kennt die Zah­len ge­nau – und sie sind dra­ma­tisch. Er rech­net da­mit, dass von den 90.000 Flücht­lin­gen, die im Vor­jahr Asy­lan­trä­ge ge­stellt ha­ben, 50.000 im Land blei­ben wer­den – und dies zu­sätz­lich zu ei­ner ähn­lich star­ken nor­ma­len Zu­wan­de­rung. Der Wohn­bau müs­se mehr leis­ten, als nur Neu­be­wohn­ern Un­ter­kunft zu bie­ten, be­ton­te er in sei­nem Re­fe­rat beim Wohn­sym­po­si­um: „Da­zu kommt die Ver­klein­er­ung der Haus­hal­te, ein Er­satz für Ab­ris­se, die Ver­bes­se­rung der Qua­li­tät. Man müss­te aber jetzt al­les, was sonst im Wohn­bau ge­tan wird, nur für die Be­frie­di­gung die­ses Zu­wach­ses nut­zen, da­mit es sich aus­geht.“

Vor al­lem die Bal­lungs­räu­me stün­den vor rie­si­gen lang­fri­sti­gen Her­aus­for­de­run­gen, be­ton­te der Vi­ze­rek­tor für In­ter­na­tio­na­les an der Uni­ver­si­tät Wien. „So­bald Men­schen Asyl er­hal­ten, setzt die Se­kun­där­mig­ra­ti­on in die gro­ßen Städ­te ein. Man muss den Städ­ten er­lau­ben, et­was Luft zu ho­len. Da­her soll­te man schau­en, dass die Asyl­be­rech­tig­ten ei­ne Zeit­lang dort blei­ben, wo sie ih­ren Wohn­sitz ha­ben.“ Fass­mann regt da­her ei­ne Dis­kuss­ion über ei­ne Re­si­denz­pflicht an, die et­wa an die Aus­zah­lung von So­zi­al­leis­tun­gen ge­kop­pelt wer­den könn­te. Für die jüngs­ten Schrit­te der Re­gie­rung zur Be­gren­zung der Asy­lan­trä­ge hat Fass­mann Ver­ständ­nis, denn: „Oh­ne Maß­nah­men hät­ten wir 2016 mehr Zu­wan­de­rer als 2015, denn Wan­de­rung pro­du­ziert Wan­de­rer. Und ei­ne un­ge­brems­te Zu­wan­de­rung über meh­re­re Jah­re wür­de die Re­pu­blik vor ge­wal­ti­ge Pro­ble­me stel­len.“

Mit den Her­aus­for­de­run­gen, der Zu­wan­de­rung be­schäf­ti­gen sich Ös­ter­reichs Ge­mein­nüt­zi­ge schon seit 20 Jah­ren, be­ton­te So­zi­al­bau-Chef Her­bert Ludl. „Wir sind die ein­zi­gen Ver­mie­ter, die sich um mehr küm­mern als die Haus­ver­wal­tung, näm­lich die In­teg­ra­ti­on.“ Dies sei auch not­wen­dig, denn „der Wohn­ort ist der Ort schlech­thin, wo um­fas­sen­de In­teg­ra­ti­on ge­schieht, und das 24 Stun­den am Tag – nicht die Schu­le oder der Ar­beits­platz. Am ne­ga­ti­ven Bei­spiel von Pa­ral­lel­ge­sell­schaf­ten im Ghet­to er­kennt man gut, wel­che Ge­stal­tungs­kraft der Wohn­ort be­sitzt, im Gu­ten wie im Bö­sen.“

Auch Ludl ver­weist ger­ne auf den „Glo­ba­len Hof“ der So­zi­al­bau in Wien-Lie­sing, der vie­len als Vor­zei­ge­mo­dell für ge­lun­ge­ne In­teg­ra­ti­on dient. Fol­gen­de Grund­sät­ze lei­tet er aus der Er­fah­rung sei­nes Un­ter­neh­mens ab:

Q Be­wohn­er­mix: Ma­xi­mal die Hälf­te der Be­woh­ner ei­nes Wohn­hau­ses soll­ten Zu­wan­de­rer sein, und kei­ne Ethnie soll­te in­ner­halb die­ses An­tei­les über­hand­neh­men.

Q Frei­wil­lig­keit: Es müs­se freie Wahl der Kun­den herr­schen statt Woh­nungs­zu­tei­lung. Ös­ter­rei­cher wür­den al­ler­dings nur ein­zie­hen, wenn die Qua­li­tät stimmt, sagt Ludl, „denn sie sind ver­wöhnt.“

Q Be­zugs­per­son vor Ort: Es brau­che je­man­den, „den man an­spre­chen kann, der ver­mit­telt und die Re­geln durch­setzt – ei­ne Mi­schung aus Ko­or­di­na­tor, Beicht­va­ter und stren­gem She­riff“.

Q Ge­mein­schafts­ein­rich­tun­gen: Pra­xis­taug­li­che Ge­mein­schafts­räu­me sind für Ludl ein Schlüs­sel für In­teg­ra­ti­on: „Wir brau­chen ei­ne ge­wis­se Zahl an Be­geg­nungs­mög­lich­kei­ten, wo man sich trifft und aus­tauscht. Denn sonst ken­nen sich die Leu­te nicht und grü­ßen ein­an­der nicht, dann wird vie­les viel schwe­rer.“

Q Leist­bar­keit und Qua­li­tät: Und schließ­lich müss­ten Woh­nun­gen für Zu­wan­de­rer er­schwing­lich und für alt­ein­ge­ses­se­ne Bür­ger at­trak­tiv sein, be­tont Ludl. Dies ge­lin­ge nur im ge­mein­nüt­zi­gen ge­för­der­ten Wohn­bau.

Und nur gro­ße, zen­tral ge­plan­te Wohn­an­la­gen könn­ten all die­se Kri­te­rien er­fül­len, meint der So­zi­al­bau-Chef. „Zu glau­ben, dass man es mit Bau­grup­pen schaf­fen kann, die­se Wohn­ein­hei­ten zu schaf­fen, ist ei­ne Il­lu­si­on.“ Dem wi­der­sprach Fass­mann: „Gro­ße Ob­jek­te nei­gen zu Seg­re­ga­ti­ons­er­schei­nun­gen, klei­ne ge­misch­te sind in­teg­ra­ti­ver.“

Schaf­fen von et­was Neu­em

Ob groß oder klein – für Sa­bi­ne Pol­lak vom Ar­chi­tek­tur­bü­ro Köb & Pol­lak ist ei­ne ge­lun­ge­ne Ar­chi­tek­tur der Schlüs­sel für In­teg­ra­ti­on. Und In­teg­ra­ti­on be­deu­te vor al­lem das Schaf­fen von et­was Neu­em.

Pol­lak: „Das heißt für den Wohn­bau über­setzt: Nicht die Zu­wan­der­in­nen sol­len sich in un­se­re 75-Qua­drat­me­ter-und-drei-Zim­mer-Woh­nun­gen mit Log­gia und Mi­nia­tur­kel­ler­ab­teil in­te­grie­ren. Son­dern: Un­se­re Wohn­kon­zep­te ver­bin­den sich mit den Wohn­vor­stel­lun­gen und Öko­no­mien von Zu­wan­der­in­nen und er­ge­ben neue Ty­pen, neue Haus­for­men und neue Öko­no­mien des Woh­nens. Da­von kön­nen wir al­le pro­fi­tie­ren.“

Für die Vi­ze­rek­to­rin der Kunst­uni­ver­si­tät Linz soll­te das Ziel des in­teg­ra­ti­ven Wohn­baus die „ma­xi­ma­le In­klu­si­on“ sein – oder noch brei­ter ge­fasst:„ei­ne of­fe­ne, in­klu­die­ren­de, leist­ba­re, dich­te und kom­ple­xe Stadt.“

Die Zu­wan­de­rung sei ei­ne Chan­ce, fest­ge­fah­re­ne Struk­tu­ren im ge­för­der­ten Wohn­bau auf­zu­bre­chen und Neu­es aus­zu­pro­bie­ren, glaubt Pol­lak: „Ne­ben den jet­zi­gen Wett­be­wer­ben für maß­an­ge­fer­tig­te Schu­he könn­te es ge­ben: Wett­be­wer­be für Wohn­bau in Vor­fer­ti­gung, für Se­rien­bau, für ex­pe­ri­men­tel­len Wohn­bau, Wett­be­wer­be für krea­ti­ve Lö­sun­gen je­ner Fra­ge, wie ei­ne ge­ring­ere Aus­stat­tung zu ei­ner hö­he­ren Qua­li­tät wird.“ Doch da­für müss­ten Wohn­po­li­ti­ker viel mehr mit Ar­chi­tek­ten spre­chen und zu­sam­men­ar­bei­ten, als es der­zeit ge­schieht.

Der Standard, Mi., 2016.03.02

02. März 2016Eric Frey
Der Standard

Zu­zug als Chan­ce für den länd­li­chen Raum

Drei Prak­ti­ker über güns­ti­ge Un­ter­künf­te und neue We­ge im Wohn­bau

Drei Prak­ti­ker über güns­ti­ge Un­ter­künf­te und neue We­ge im Wohn­bau

In ei­nem Punkt wa­ren sich die Prak­ti­ker beim Wohn­sym­po­si­um ei­nig: An­ge­sichts der gro­ßen Zahl von Tran­sit­flücht­lin­gen und Asyl­wer­bern sei es not­wen­dig, rasch tem­po­rä­re Un­ter­künf­te zu er­rich­ten. Für je­ne Mig­ran­ten al­ler­dings, de­ren Asyl­sta­tus an­er­kannt wird, dür­fe es kei­ne ei­ge­nen Wohn­bau­ten ge­ben. Statt­des­sen müss­te man mehr für al­le Be­woh­ner bau­en und da­rauf schau­en, dass es zu ei­ner gu­ten Durch­mi­schung von Men­schen un­ter­schied­li­cher Her­kunft kommt.

Für die Grup­pe der Asyl­wer­ber stell­te der Salz­bur­ger Lan­des­ret­tungs­kom­man­dant des Ro­ten Kreu­zes, An­ton Hol­zer, ein von sei­ner Or­ga­ni­sa­ti­on ent­wi­ckel­tes Kon­zept vor, das Zel­te und Con­tai­ner er­set­zen soll: Mit ei­ner jun­gen Salz­bur­ger Ar­chi­tek­tin wur­den zwei- oder drei­ge­scho­ßi­ge Holz­häu­ser ent­wi­ckelt mit Wohn­ein­hei­ten für je vier Per­so­nen und zu­sätz­li­chen Auf­ent­halts­räu­men. Sie wur­den bis­her in See­kir­chen und Tams­weg auf güns­tig ge­pach­te­ten Grund­stü­cken er­rich­tet; spä­ter sol­len sie ab­ge­baut, in Con­tai­nern un­ter­ge­bracht und et­wa in Ka­ta­stro­phen­ge­bie­ten im Aus­land ein­ge­setzt wer­den. Ent­schei­dend für die Ak­zep­tanz durch Nach­barn ist laut Hol­zer die 24-Stun­den-Be­treu­ung, die auch eh­ren­amt­li­che Hel­fer über­neh­men.

Für an­er­kann­te Flücht­lin­ge ist Wien der stärk­ste An­zie­hungs­punkt. Dort gibt es ge­nug leist­ba­ren Wohn­raum, und es wird ver­stärkt ge­baut, sag­te Pe­ter Neud­lin­ger, Ge­schäfts­füh­rer des Wohn­ser­vi­ce Wien: „Es ist ei­ne be­wäl­tig­ba­re Si­tua­ti­on, wir jam­mern auf ho­hem Ni­veau.“ Das größ­te Hin­der­nis für Wohn­bau aber sei das Flo­ria­ni­prin­zip, so Neud­lin­ger: „Wo im­mer man bau­en will, heißt es: Aber bit­te nicht hier. Wir müs­sen Zu­zug als Chan­ce be­grei­fen, auch für den länd­li­chen Raum.“

Das kann Chris­ti­an Stru­ber, Ge­schäfts­füh­rer der Salz­burg Wohn­bau und Bun­des­ob­mann der Ar­ge Ei­gen­heim, nur un­ter­schrei­ben. Ge­ra­de für Kleinst­ge­mein­den sind Flücht­lin­ge ei­ne Mög­lich­keit, der Ab­wan­de­rung ent­ge­gen­zu­wir­ken und et­wa Schul­stand­or­te zu er­hal­ten, be­rich­te­te er. Für die Aus­wei­tung des Neu­baus schlägt Stru­ber die Über­bau­ung be­ste­hen­der Park­plät­ze, Tank­stel­len und Su­per­märk­te mit Wohn­an­la­gen vor. „Wir müs­sen neue We­ge ein­schla­gen und die Lü­cken im Stadt­bild schlie­ßen.“

Der Standard, Mi., 2016.03.02

23. Oktober 2013Eric Frey
Der Standard

Auf der Suche nach anderen Klimahebeln

Energieverbrauch dürfe nicht das einzige Kriterium für effizienten Klimaschutz sein, sagen Experten. Raumordnung, Bauvorschriften und bessere finanzielle Modelle sollten mehr Aufmerksamkeit erhalten.

Energieverbrauch dürfe nicht das einzige Kriterium für effizienten Klimaschutz sein, sagen Experten. Raumordnung, Bauvorschriften und bessere finanzielle Modelle sollten mehr Aufmerksamkeit erhalten.

Was bringt dem Klima ein Passivhaus in Neusiedl am See, wenn der Bewohner jeden Tag mit dem Auto nach Wien pendelt? Auf diese Frage reduzierte Planungs- und Energieexperte Wolfgang Vasko auf dem Wohnsymposium das Dilemma einer Klimaschutzpolitik, die das Problem nicht ganzheitlich angeht.

Auch die Architektin Renate Hammer, Sprecherin der Plattform Baukultur, ging in ihrem Beitrag auf das Thema Raumordnung ein, das in Österreich viel zu kurz komme: Die Zersiedelung sei einer der Hauptursachen für hohen CO2-Ausstoß. „Darüber müssen wir reden und nicht über die Effizienz der Haustechnik“, forderte sie. Im Bereich des eigentlichen Wohnbaus werde heute für geringe Steigerungen der Effizienz ein immer größerer Aufwand betrieben.

Aber auch das Thema Wohnkosten müsse aus Hammers Sicht umfassender als üblich behandelt werden - nämlich als Zeichen einer wirtschaftlichen Fehlentwicklung. Hammer: „Wenn wir von Menschen hören: ,Wir können uns die Wohnung nicht mehr leisten', ist dann das Wohnen zu teuer geworden oder die Menschen zu arm?“

Hammer verwies auch auf die zahlreichen anderen Auflagen der Bauordnung, die die Errichtungskosten hinauftrieben - etwa beim Brandschutz. Um den Spagat zwischen maximalem Klimaschutz und erträglichen Kosten zu schaffen, müssten Planer viel mehr Flexibilität erhalten, als sie es vor allem unter den Bedingungen der Wohnbauförderung hätten. „Wir wissen, dass wir nicht 30 Prozent CO2, sondern 80 Prozent einsparen müssen, sonst haben wir als Generation völlig versagt“, sagt Hammer. „Aber das geht nicht, wenn man mit den Vorschriften konform geht. Wir müssen viel mehr experimentell bauen dürfen.“

Bilanz im Lebenszyklus

Auch Franz Vogler, Leiter der Baupolizei Tirol und Vorsitzender des Sachverständigenbeirats im Österreichischen Institut für Bautechnik (OIB), fordert weniger starre Vorgaben und wünscht sich vor allem eine „lebenszyklusorientierte Bilanz des Energieverbrauchs“ eines Gebäudes, die auch etwa die Errichtungsphase und den späteren Abbruch mit einschließt. Dies werde nach dem Nationalen Plan auch möglich werden, sagte er. „Wir reden immer nur über die Reduktion des Energieverbrauchs und nichts anderes. Ich habe das Gefühl, da steckt Lobbyismus dahinter“, sagte er mit einem Seitenhieb auf die Dämmstoffindustrie.

Ein ständiges Problem sei auch, dass eine Seite die Ausgaben des Klimaschutzes zu tragen hätte, aber andere den Nutzen daraus ziehen, vor allem niedrigere Heizkosten, betonte Waltraud Schmid (Kompetenzentrum für Energie). Hier müssten noch neue Ideen entwickelt und angewandt werden, etwa Contracting-Modelle, die entsprechende finanzielle Anreize für Klimaschutzinvestitionen bieten.

Der Standard, Mi., 2013.10.23

23. Oktober 2013Eric Frey
Der Standard

Der hohe Preis für ein bisschen mehr

Österreichs geförderter Wohnbau setzt ganz auf Klimaschutz. Doch die Kosten sind hoch, und beim Passivhausstandard ist der Nutzen nicht immer klar, zeigte sich beim jüngsten Wohnsymposium des STANDARD.

Österreichs geförderter Wohnbau setzt ganz auf Klimaschutz. Doch die Kosten sind hoch, und beim Passivhausstandard ist der Nutzen nicht immer klar, zeigte sich beim jüngsten Wohnsymposium des STANDARD.

Ihr offizieller Name ist Richtlinie 2010/31/EU, sie ist seit 2010 in Kraft und seit diesem Jahr in den 27 EU-Staaten umgesetzt. Eigentlich ist die EU-Gebäuderichtlinie eine recht trockene Angelegenheit. Aber selten zuvor waren bei einem STANDARD-Wohnsymposium die Emotionen im Saal so hochgegangen wie vergangene Woche in der Wirtschaftskammer Österreich, als unter dem Titel „Belastung oder Zukunftschance“ die Kosten-Nutzen-Relation von Investitionen im Klimaschutz unter der EU-Gebäuderichtlinie diskutiert wurde.

Klar, jeder in der österreichischen Baubranche ist für den Klimaschutz - und dessen Förderung durch energieeffizienten Neubau und die thermische Sanierung bestehender Anlagen. Aber es gibt auch viele Stimmen, die sagen, dass Österreich in seinem Drang zum klimagerechten Bauen zu weit geht. Und das rief bei einigen der rund hundert Teilnehmer heftigen Widerspruch hervor.

Der Sprung vom Niedrigenergiehaus zum Passivhaus brächte kaum Mehrnutzen, sagen die Kritiker; das Passivhauskonzept - dass Wohngebäude überhaupt keine externe Energie benötigen - sei in der Realität nicht umsetzbar, weil sich viele Bewohner nicht an die Nutzungsregeln halten und etwa die Fenster aufreißen, statt die Frischluft aus den Lüftungsanlagen zu beziehen. Und der Straßenverkehr und die Industrie hätten bisher viel weniger für den Klimaschutz geleistet als der Wohnbau. Dort müsse man ansetzen statt an einer noch dickeren Wärmedämmung.

Und die hohen klimatechnischen Standards in Österreich würden das Bauen verteuern und so entscheidend zu den ständig steigenden Wohnkosten beitragen. „Wollen wir Klimaschutz um jeden Preis?“, fragte etwa Karl Wurm, Bundesobmann der gemeinnützigen Wohnbauvereinigungen, in seinem Eingangsreferat. Der Wohnbau hätte bereits einen großen Beitrag zur Reduktion der CO2-Emissionen geleistet, nun seien andere dran. Wurm kritisiert vor allem das neue Klimaschutzgesetz und den Nationalen Plan, mit dem die Ziele umgesetzt werden sollen. Damit gehe Österreich über die Vorgaben der EU-Gebäuderichtlinie weit hinaus. Diese sieht die sofortige Einführung des Energieausweises bei Neubau oder Sanierung sowie die Verwirklichung eines Niedrigst-energiestandards ab 2020 vor. Mit dem Passivhausstandard im geförderten Wohnbau werde in Österreich übers Ziel geschossen, kritisiert Wurm.

In die gleiche Kerbe schlug Karl-Heinz Stadler, Vizeobmann der Wohnbaugenossenschaft Neues Leben. Das Passivhaus bringe dem Bewohner keine Vorteile gegenüber dem Niedrigenergiehaus mit einem Heizbedarf von 40 kWh. „Die Mindermenge am Heizen wird kompensiert durch die Lüftungsenergie, die notwendig ist, um das Passivhaus zu betreiben“, sagte er. „Wenn wir bei 40 kWh bleiben würden, könnten wir einen Beitrag leisten, damit die Wohnkosten nicht explodieren.“

Stabile Regeln gewünscht

Nicht alle Experten und Praktiker beim Wohnsymposium, das vom Fachmagazin Wohnen Plus mitorganisiert wird, teilten diese Ansicht. Heimo Scheuch, Vorstandschef des Ziegelkonzerns Wienerberger, sieht einen dringenden Handlungsbedarf im Wohnbau, denn „40 Prozent des CO2-Ausstoßes kommen aus Gebäuden“. Scheuch warnt vor allem davor, die Regeln alle paar Jahre zu ändern: „Investoren fordern ein stabiles Rechtssystem. Wenn wir die Gebäuderichtlinie haben, das ist es. Davon müssen wir ausgehen können. Man darf sich nicht immer etwas Neues ausdenken.“

Bei der Planungssicherheit hat die EU-Kommission allerdings ausgelassen, erläuterte Waltraud Schmid, Leiterin des Kompetenzzentrums für Energie in Wien, die lange in Brüssel tätig war. Sie verwies auf die großen Chancen für die österreichische Wohnbauindustrie durch ihre Kompetenz beim Passivhaus. Der jüngste Sieg eines österreichischen Uni-Teams bei der Solar-WM in den USA sei kein Einzelfall „Nicht von ungefähr kommen die Chinesen zu uns und schauen sich nicht nur die Technologie, sondern auch die Rahmenbedingungen an“, sagt Schmid. „Vielleicht ist Österreich in seiner Vorreiterrolle zu weit gegangen, aber sie ist es wert, weitergetragen zu werden.“

Kühlung vom Donaukanal

Die großen Möglichkeiten neuer Technologien skizzierte der Planungsexperte Wolfgang Vasko (Vasko & Partner) anhand eines Bürogebäudes - des neuen Raiffeisenhauses am Wiener Donaukanal, laut Vasko das erste Passsivhochhaus der Welt. So werde dort der sogenannte Schotterkoffer im Boden für Erdwärme und das Wasser des Donaukanals für die Kühlung im Sommer genutzt. Das Wasser decke 28 Prozent des Kühlbedarfs ab.

Ein solches Hightech-Gebäude, egal ob Büro- oder Wohnhaus, stelle hohe Anforderungen an die Qualifikation der Wartung, betonte Vasko. Aber nicht nur die Facility-Manager, auch die Nutzer eines Hauses seien gefordert, denn bei falscher Verwendung würde das Passivhaus nicht funktionieren. „Ich bin der Meinung, dass man nicht nur für ein Auto, sondern auch für eine Wohnung ein Handbuch braucht“, sagte er. „Wenn hinter dem Kleiderkasten der Schimmel auftritt, dann soll nicht der Vermieter zur Verantwortung gezogen werden. Es reiche, wenn in einem Manual steht, dass gelüftet werden muss.“

Der Standard, Mi., 2013.10.23

06. Juni 2012Eric Frey
Der Standard

Nachhaltigkeit kommt in vielerlei Gestalt

Was macht Wohnhäuser zukunftsfähig? Ein STANDARD-Symposium widmete sich der Nachhaltigkeit im Spannungsfeld zwischen Ökologie, Leistbarkeit, guter Architektur und den Bedürfnissen der Bewohner.

Was macht Wohnhäuser zukunftsfähig? Ein STANDARD-Symposium widmete sich der Nachhaltigkeit im Spannungsfeld zwischen Ökologie, Leistbarkeit, guter Architektur und den Bedürfnissen der Bewohner.

Für 72 Prozent der österreichischen Konsumenten ist Nachhaltigkeit beim Wohnen ein wichtiges Thema, wie eine aktuelle Studie der Wiko Wirtschaftskommunikation zeigt; und fast ebenso viele wären bereit, für eine nachhaltige Immobilie mehr zu zahlen - die meisten zwischen 2,5 und zehn Prozent mehr.

Nachhaltigkeit ist auch in den Köpfen der Bewohner angekommen; in der Politik und in der Bauwirtschaft ist es schon seit Jahren ein ständig gebrauchtes Schlagwort. Doch wenn es um die konkrete Ausgestaltung der Nachhaltigkeit geht, dann bleiben zahlreiche Fragen unbeantwortet: Sollen alte Gebäude um jeden Preis thermisch saniert und neue nur noch als Passivhäuser errichtet werden? Oder geht durch höhere Baukosten ein Stück soziale Nachhaltigkeit verloren? Und ist es nicht ebenso wichtig, architektonisch wertvolle Gebäude zu errichten, damit sich Menschen auch noch nach Jahrzehnten drinnen wohlfühlen und nicht nach einer Generation die ökologisch teure Abrissbirne kommt? Braucht die Gesellschaft nicht ebenso kulturelle Nachhaltigkeit?

Einigkeit und Bruchlinien

Das 43. STANDARD-Wohnsymposium widmete sich vergangene Woche in der Wirtschaftskammer Österreich unter dem Titel „Nachhaltigkeit im Wohnbau: Modewort oder Mehrwert?“ diesen Fragen. Bei den Experten-, Politiker- und Teilnehmergesprächen gab es viel Einigkeit. Doch in der Frage der Prioritäten traten auf der vom Fachmagazin Wohnen Plus mitorganisierten Veranstaltung einige der oben skizzierten Bruchlinien offen zutage.

Während die Architekten und Nachhaltigkeitsexperten Karin Stieldorf und Martin Trebersburg in ihren Referaten die Passivhaustechnologie im Neubau und die thermische Sanierung alter Gebäude als zentrale Ziele bezeichneten, kritisierte Wolfdieter Dreibholz, der Vorsitzende der Grazer Altstadtsachverständigenkommission, die Überbetonung ökologischer Faktoren auf Kosten architektonischer Qualität. „Die Nachhaltigkeit wird verwendet, um Architektur zu verhindern“, warnte er und verwies dabei auf die „Wärmedämmungshysterie in den Achtzigerjahren“, die durch die technologischen Fortschritte der Glasindustrie beendet werden konnten, und auf aktuelle grüne Projekte wie ein achtgeschoßiger Holzwohnbau.

„Vom Grundriss her sind das dieselben Kisten, die vor 30 Jahren von Architekten wegen mangelnder Urbanität und Kreativität kritisiert worden sind“, sagt Dreibholz, der jahrelang mit Coop Himmelb(l)au zusammengearbeitet hat. „Heute werden diese Produkte hingestellt und unter dem Modewort Nachhaltigkeit ein weiteres Mal verkauft.“

Amsterdamer Schule

Als nachhaltigen Wohnbau lässt Dreibholz die Gemeindebauten der Zwischenkriegszeit gelten, die auf die Amsterdamer Schule zurückgehen. „Sie haben bewiesen, dass sie in ihrer Substanz und Haltung auch Renovierungen aushalten und trotzdem markante Teile einer Stadt sind.“

In die gleiche Kerbe schlug Architekt Markus Kaplan von BWM Architekten, der nach den traditionellen Tischgesprächen den Vorschlag „Identität schaffen“ als besten Weg zu mehr Nachhaltigkeit von Gebäuden präsentierte und dafür vom Symposium zum Sieger gekürt wurde. In Häusern mit Identität würden Menschen gerne möglichst lange wohnen.

Der Sozialmediziner Michael Kunze äußerte hingegen Zweifel an diesem Ziel. Bedürfnisse der Menschen würden sich ändern, und der Wohnbau müsse sich ständig anpassen. Denn „wir sind Nomaden beim Wohnen und unseren Bedürfnissen“. Sprüche wie „Einen alten Baum verpflanzt man nicht“ würden die wahren Lebenswelten nicht widerspiegeln.

Fokus auf Leistbarkeit

Den Vertretern der Bauträger - Sozialbau-Chef Herbert Ludl und Buwog-Vorstand Gerhard Schuster - galt wiederum die Leistbarkeit und die Kundenzufriedenheit als entscheidendes Kriterium für Nachhaltigkeit, wobei Ludl dies nur im gemeinnützigen und genossenschaftlichen Wohnbau realisierbar sieht: „Der Markt taugt nicht für die Wohnversorgung“. Schuster zeigte sich hingegen überzeugt, dass der freie Markt leistbares und bedarfsgerechtes Wohnen bieten kann. „Es ist nicht sinnvoll, eine Einheitsqualität zu liefern, der Wettbewerb der Qualitäten kann unsere Branche weiterbringen“, sagte er.

Im Politikergespräch zwischen dem Wiener Wohnbaustadtrat Michael Ludwig und dem ÖVP-Wohnbausprecher Johann Singer, Bürgermeister der kleinen oberösterreichischen Gemeinde Schiedlberg - traten die Unterschiede zwischen Stadt und Land hervor, wobei sich beide für mehr Verdichtung im Wohnbau aussprachen. Aber während Ludwig die föderale Struktur der Raumordnung kritisierte, wurde diese von Singer verteidigt.

Nachhaltigkeit, so das Resümee vieler Teilnehmer, sei auch im Wohnbau manchmal ein inhaltsleeres Modewort geworden. Um den Mehrwert zu lukrieren, sei mühsame Kleinarbeit notwendig, nicht nur bei Planung und Bau von Wohnhäusern, sondern auch bei ihrer Nutzung.

Der Standard, Mi., 2012.06.06

06. Juni 2012Eric Frey
Der Standard

Wegsuche zwischen Kultur, Klima und Demografie

Wohnhäuser sollen heute architektonische Ansprüche erfüllen, wenig Energie verbrauchen und sich den Veränderungen in der Gesellschaft anpassen. Wie das alles zusammenpasst, darüber diskutierten Experten.

Wohnhäuser sollen heute architektonische Ansprüche erfüllen, wenig Energie verbrauchen und sich den Veränderungen in der Gesellschaft anpassen. Wie das alles zusammenpasst, darüber diskutierten Experten.

Energetisch ist das Sydney Opera House sicherlich kein großer Wurf. Und von Leistbarkeit kann bei einer 14-fachen Baukostenüberschreitung auch keine Rede sein. Aber für Wolfdieter Dreibholz, den Vorsitzenden der Grazer Altstadtsachverständigenkommission hat das Jahrhundertbauwerk 40 Jahre nach Eröffnung „kulturelle Nachhaltigkeit ungeahnten Ausmaßes“ bewiesen, die durch den Kampf des damals noch jungen dänischen Architekten Jørn Utzon gegen die gesamte australische Gesellschaft noch an Bedeutung gewonnen hat.

Ebenso kompromisslos wie Dreibholz' Plädoyer für mutige Architektur tritt Karin Stieldorf vom Institut für Architektur und Entwerfen der TU Wien für die Schonung der Ressourcen im Wohnbau ein. „Gebäude, die ungesund und umweltschädigend und zu teuer und so gebaut sind, dass sie zu Nachbarschaftsstreit beitragen, sollten gar nicht gebaut werden,“ sagte sie. „Wir haben kein Recht, das, was die Erde bietet, gedankenlos zu verschwenden und kommenden Generationen eine versaute Erde zu hinterlassen.“

Alles über Passivhäuser

In ihrem Unterricht an der TU bemüht sich Stieldorf, die vor zehn Jahren die Arbeitsgruppe für nachhaltiges Bauen gegründet hat, um die Verbindung von Architektur und Energieeffizienz und hat Schüler aus aller Welt, die vor allem etwas über Passivhäuser lernen wollen. Dabei habe sie eines gelernt: „Klimagerechtes Bauen erfordert Feingefühl und die intensive Auseinandersetzung mit dem jeweiligen Standort.“ Denn im Ausland seien die klimatischen Bedingungen ganz anders als in Österreich.

Ebenso wichtig wie die Architektur ist für Stieldorf die Regionalplanung: die Verdichtung von Stadtrandgebieten, um Verkehr zu vermeiden, und die Einbettung von Neubauten in den Bestand, um möglichst wenig verändern zu müssen.

Stieldorf ist ebenso überzeugt vom umweltschonenden Wohnbau wie Martin Trebersburg, der ressourcenorientiertes Bauen an der Universität für Bodenkultur in Wien unterrichtet. Energieeffiziete Wohnbauten, ob neu errichtet oder saniert, seien angesichts steigender Energiepreise zwingend notwendig, um die „Haushaltsenergiearmut“ zu vermeiden.

Diese sei gegeben, wenn mehr als zehn Prozent des Einkommens zum Heizen verwendet werden müssen. „In einem Passivhaus braucht man für 70 m² zehn Euro im Monat zum Heizen und zehn Euro für Warmwasser“, sagte Trebersburg. „Da ist Energiearmut nicht möglich.“

Passivhäuser seien auch bei der Errichtung nicht teurer als konventionelle Bauten, hätte eine Studie gezeigt. Und eine Untersuchung von 18 Wohnanlagen in Wien habe ergeben, dass auch die Wohnzufriedenheit in energieeffizienten Häusern viel höher sei. Trebersburgs Schluss: „Ein energieeffizientes Gebäude ist ein nachhaltiges Gebäude, die beste Investition in die Zukunft.“

Für Michael Kunze, Vorstand des Instituts für Sozialmedizin der Med-Uni Wien, ist die größte Herausforderung an die Nachhaltigkeit die Demografie. Die Menschen würden immer länger leben, immer mehr ziehe es in die Städte, und die Grenzen zwischen Wohnort und Arbeitsplatz würden sich immer mehr verwischen. Benötigt werde daher auch „biografische und demografische Nachhaltigkeit“; und diese erfordere größtmögliche Flexibilität beim Wohnen, die Bereitschaft, Häuser abzureißen und neu zu bauen, und die Bereitschaft, alles neu zu überdenken. Kunze: „Stabil und kontinuierlich ist nur die Veränderung.“

Der Standard, Mi., 2012.06.06

16. Januar 2008Eric Frey
Der Standard

Bahnhof City droht Neuausschreibung

Der Standard-Bericht über den Architektenaufstand gegen den Wettbewerb für die Bahnhof City hat unter Vergabejuristen heftige Diskussionen ausgelöst. Viele von ihnen halten den Antrag auf Nachprüfung für aussichtsreich.

Der Standard-Bericht über den Architektenaufstand gegen den Wettbewerb für die Bahnhof City hat unter Vergabejuristen heftige Diskussionen ausgelöst. Viele von ihnen halten den Antrag auf Nachprüfung für aussichtsreich.

Sollte das Bundesvergabeamt (BVA) zum Schluss kommen, dass die ÖBB mit ihrem nicht EU-weit ausgeschriebenen Architektenwettbewerb für den neuen Stadtteil „Bahnhof City“ rund um den Hauptbahnhof Wien das Vergaberecht verletzt haben, dann wäre eine Neuausschreibung notwendig, sagt der BVA-Vorsitzende Michael Sachs. Die Chancen dafür stehen nach Meinung führender Vergaberechtsexperten gut.

Wie der STANDARD am Wochenende exklusiv berichtet hatte, hat eine Arbeitsgemeinschaft von knapp 50 in- und ausländischen Architektenbüros beim BVA eine Nachprüfung beantragt. Zusätzlich hat das renommierte norwegische Büro Snohetta AS einen Einzelantrag gestellt. Sie argumentieren, dass die ÖBB Immobilienmanagement GmbH, eine 100-Prozent-Tochter eines Staatsbetriebs, dem Bundesvergabegesetz (BVergG 2006) unterliegt und der Wettbewerb daher EU-weit ausschreiben hätte müssen. Stattdessen wurden nur acht Architektenbüros zu einem Wettbewerb eingeladen.

Nach dem BVergG sind öffentliche Auftraggeber und Auftraggeber in bestimmten Wirtschaftssektoren wie Straße oder Schiene an das Vergabegesetz gebunden, kommerziell agierende Töchter von Staatsbetrieben aber nicht.

Vom STANDARD befragte Experten vermuten eine versuchte Umgehung des Vergaberechts durch die Ausgliederung in eine Tochter, die allerdings bei geschickter Strukturierung vor den Berufungsstellen halten könnte.

Die Vergaberechtsanwältin Kathrin Hornbanger sieht in der Causa einen spannenden Grenzfall: „Wenn die Immobilienmanagement GmbH eine Sektorentätigkeit ausübt und für die ÖBB agiert, dann wäre sie ein öffentlicher Auftraggeber und müsste ausschreiben - nicht aber, wenn sie ganz normal am Markt tätig ist.“ Auch wenn mehr als 50 Prozent der Finanzierung des Projekts von der öffentlichen Hand kämen, wäre eine Ausschreibung notwendig.

Für den Anwalt Stephan Heid ist die Antwort auf diese Fragen klar: „Es handelt sich mit hoher Wahrscheinlichkeit um einen öffentlichen Auftragsgeber oder allenfalls einen Sektorenauftraggeber, der einen EU-weiten Wettbewerb hätte durchführen müssen“, sagt er. Ein Schwachpunkt des Nachprüfungsantrag sei allerdings, dass die Antragsteller plausibel machen müssen, dass sie am Auftrag tatsächlich interessiert sind. „Eine Arbeitsgemeinschaft von 50 Büros würde sich niemals an der Ausschreibung beteiligen - das könnte sich als Stolperstein erweisen“, warnt Heid.

Kritisch ist auch der sehr knappe Fristenlauf bei der Bekämpfung von Vergabeentscheidungen. Dabei spielt es eine Rolle, wann die Antragsteller vom Wettbewerb erfahren haben und realistischerweise erfahren konnten. Da die ÖBB dies nicht öffentlich gemacht hat, war die einzige Quelle die Berichterstattung im Standard - vor allem für ausländische Büros keine Pflichtlektüre.

Eine Rolle spielen könnte der jüngste Fall vor dem EuGH zur Fernwärme Wien (C-393/06), bei dem der Generalanwalt im November eine strikte Auslegung der Vergaberegeln bei öffentlichen Auftraggeber, die auch kommerziell tätig sind, gefordert hat.

„Staatsnähe“ nicht alles

Wenig überzeugt vom Standpunkt der antragsstellenden Architekten ist Michael Hecht, Partner bei Fellner Wratzfeld & Partner Rechtsanwälte in Wien. Die bloße „Staatsnähe“ alleine mache Unternehmen noch lange nicht zu öffentlichen Auftraggebern im Sinne des BVergG.

Hecht dazu: „Dass die Gewinne eines Unternehmens an den Gesellschafter - in diesem Fall die ÖBB Infrastruktur Bau AG - fließen, ist eine Selbstverständlichkeit. Es ist schon richtig, dass die überwiegende Finanzierung oder Leitung durch einen anderen öffentlichen Auftraggeber mit ausschlaggebend dafür ist, ob das Unternehmen ein öffentlicher Auftraggeber ist. Dieser Umstand alleine aber ist bedeutungslos, solange das Unternehmen nicht zum Zweck gegründet wurde, im Allgemeininteresse liegende Aufgaben zu erfüllen, die noch dazu nicht gewerblich sein dürfen.“

Diese besonderen Zwecke liegen laut Hecht im vorliegenden Fall nicht offenkundig vor: Wäre die bestmögliche Bewirtschaftung und Verwertung von Liegenschaften immer eine öffentliche Aufgabe, dann wäre die gesamte Immobilienbranche ein einziges öffentliches Unternehmen. „Die Forderung nach einer Anwendbarkeit der Vergabebestimmungen scheint hier geradezu überbordend zu sein. Würde jedes im weiteren Sinne staatliche Unternehmen vergabepflichtig, so wäre dies für einen vergaberechtlich ohnehin überreglementierten Markt eine Katastrophe.“

Der Standard, Mi., 2008.01.16



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Hauptbahnhof & Bahnhof City Wien

17. Oktober 2003Eric Frey
Der Standard

Soziale Grenzen für den freien Markt

Wer Wohnen nur als Ware betrachtet, stellt die sozialen Grundlagen unserer Gesellschaft infrage, hieß es beim 17. Standard-Symposium über die „Zukunft des Wohnens“. Doch für Liberalisierungen mit Augenmaß sei in Österreichs Wohnwirtschaft noch viel Platz.

Wer Wohnen nur als Ware betrachtet, stellt die sozialen Grundlagen unserer Gesellschaft infrage, hieß es beim 17. Standard-Symposium über die „Zukunft des Wohnens“. Doch für Liberalisierungen mit Augenmaß sei in Österreichs Wohnwirtschaft noch viel Platz.

Österreichs geförderter und gemeinnütziger Wohnbau steht mehr unter Druck als je zuvor: Der Finanzminister verkauft die Wohnungen und Wohnbaugesellschaften im Bundesbesitz und will im nächsten Finanzausgleich ab 2006 die Kürzung der Wohnbauförderung um ein Drittel durchsetzen. Für neoliberale Vorkämpfer wie Karl-Heinz Grasser ist Wohnen eine normale Ware, die man am besten dem freien Markt überlässt.

Doch für die große Mehrheit der Vertreter gemeinnütziger Bauträger, Architekten, Banker und Wohnexperten, die sich am vergangenen Dienstag zum 17. Wohnsymposium des STANDARD trafen, das sich dem Spannungsfeld zwischen Marktwirtschaft und sozialen Bedürfnissen widmete, ist Wohnen weit mehr: ein Grundrecht, dessen Qualität und Verfügbarkeit den Charakter der Gesellschaft verändert. Wer kein Handy hat, mag sich als arm empfinden, ist aber nicht unbedingt chancenlos. Schlechte Wohnbedingungen aber schaden der Gesundheit, erhöhen die Kriminalität, gefährden die Jugend und verhindern den Nachwuchs. „Slums statt Kinder“ - auch davor könnte eine Ministerin einmal warnen.


Falle Subjektförderung

Eine Politik, die „Wohnen nur von den Zahlen her betrachtet“, warnte Karl Wurm, Verbandsobmann der österreichischen Gemeinnützigen, werde ihrer Verantwortung nicht gerecht. In die gleiche Kerbe schlugen Wirtschaftsprofessor Ewald Nowotny und Heide Schmidt, die ehemalige Chefin des Liberalen Forums: Wohnraum sei zumindest kurzfristig begrenzt, und eine völlig deregulierte Baupolitik würde langfristig weitaus größere soziale Kosten hervorrufen, als sie kurzfristig einspart. Zahlreiche Redner und Diskutanten warnten vor der Falle, die Wohnbauförderung durch eine reine Subjektförderung - also Wohnbeihilfen für sozial Bedürftige - zu ersetzen: Dies mache das System noch teurer, warnte Wurm, und führe zur Bildung sozial unverträglicher Unterschichts- und Ausländergettos. Schmidt plädierte für eine Wohnpolitik, die sich flexibel zwischen Subjekt- und Objektförderung bewegen kann.

Doch in der Debatte auf dem Symposium mit dem Titel „Die Wohnung als Ware: Gesichert oder verkauft“, die von der Zeitschrift Wohnen Plus, dem Wohnservice Wien und erstmals auch der Immo-Bank AG gesponsert wurde, zeigte sich, dass eine Mitbeachtung sozialer Anliegen nicht Reformstopp bedeuten muss. So stellte der deutsche Immobilienmanager Volker Riebel dar, wie in Deutschland 120.000 Wohnungen aus ehemaligem Bundesbesitz aus sozialverträgliche Weise privatisiert wurden und die Bildung von Eigentum die Wohnbedingungen für Tausende ehemalige Mieter verbessert hat. Und Thomas Malloth, Präsident der Immobilientreuhänder in Österreich, wies auf die zahlreichen unfairen Verzerrungen durch die bestehende Wohnpolitik hin, die vor allem zulasten der Jungen gehen. Auch er trat für den Fortbestand einer Wohnbauförderung ein, denn diese sei die „Wiedergutmachung dessen, was wir im Markt falsch machen“. Doch diese müsse sich wieder ihrer Kernkompetenzen besinnen und denen zufließen, die sie brauchen.


Konzeptloser Verkauf

Ob Deutschland als Vorbild für die Grassersche Privatisierungspolitik dient, wurde allseits bezweifelt. Der Verkauf der Wohnungen durch die Bundesimmobiliengesellschaft BIG und von fünf bundeseigenen Wohnbaugesellschaften werde übereilt und konzeptlos durchgeführt, kritisierte Wurm.

Auch das Primat des Eigentums wurde von vielen infrage gestellt: Eigentum im mehrgeschoßigen Wohnbau behindere Sanierungsentscheidungen, warnte Malloth: „Eine Gesellschaft, die sich nur mit Eigentümern beschäftigt, bereitet mir Sorgen.“ Für viele Familien sei Eigentum ohne Förderungen ohnehin unerschwinglich. Der Salzburger Wohnbau-Landesrat Othmar Raus wies auf die Probleme hin, die sich beim Verkauf von Eigentum unter Zeitdruck stellen: Oft könnten die Gelder, die über Jahre hineingesteckt wurden, nicht mehr erlöst werden.

Auch anderswo ergeben sich immer öfter Schnittstellen zwischen sozialem Wohnbau und freiem Markt - etwa, wenn private Immobilieninvestoren geförderte Wohnbauprojekte erwerben. Wie man dann den Zweck der Förderung erhalten kann, wenn eine börsennotierte AG als Eigentümer fungiert, ist eine Herausforderung für die Politik. Und Zehntausende Österreicher, die brav ihre geförderten Landeskredite zurückzahlen, wissen gar nicht, dass diese gar nicht mehr dem Land gehören. Niederösterreich, Kärnten und Oberösterreich haben einen Teil ihrer Forderungen in Form einer Verbriefung an private Investoren abgetreten, um so ihre Budgetzahlen zu verbessern.

Auch die Vorschläge der traditionellen Tischrunden an die Politik beschäftigten sich zum Großteil damit, eine Balance zwischen sozialer Sicherheit und mehr Markt zu finden. Das beste Instrument dafür bleibt nach Meinung vieler die Wohnbauförderung, die zuletzt selbst von SP-Chef Alfred Gusenbauer infrage gestellt wurde. Dafür hat sein Parteifreund Raus wenig Verständnis: „Ich kann nur an alle appellieren: Hände weg von der Wohnbauförderung.“

Der Standard, Fr., 2003.10.17

30. Juni 2003Eric Frey
Der Standard

Piazza zwischen den Bürotürmen

Das neue Stadtviertel zwischen UNO-City und Donau nimmt allmählich Gestalt an. Noch vor Verwirklichung von Dominique Perraults Masterplan erhält die Donau-City mit der Fertigstellung des Strabag-Hauses ein Gesicht.

Das neue Stadtviertel zwischen UNO-City und Donau nimmt allmählich Gestalt an. Noch vor Verwirklichung von Dominique Perraults Masterplan erhält die Donau-City mit der Fertigstellung des Strabag-Hauses ein Gesicht.

Zwanzig Jahre nachdem die später gescheiterten Expo-Pläne das Areal zwischen UNO-City und Donauufer erstmals ins Blickfeld der Stadtentwicklung rücken ließen, besteht die Donau-City immer noch aus vereinsamten Türmen und unübersichtlichen Baustellen. Aber mit der für den Herbst anvisierten Fertigstellung des Strabag-Hauses beginnt das ganze Areal Gestalt anzunehmen, auch wenn der neue Masterplan des französischen Stararchitekten Dominique Perrault bisher nur auf dem Papier besteht.

Denn mit dem Strabag-Haus, der zukünftigen Konzernzentrale des Baukonzerns, entsteht im vorderen Teil des größten, rund 1,5 Mrd. Euro teuren Wiener Stadtentwicklungsprojektes auch eine Art öffentlicher Raum mit einer halb versenkten Piazza, Geschäften und einem Kulturzentrum, der Donau-CityHall. Dadurch wird die Achse zwischen U-Bahn-Station, Andromeda-Tower und dem lang gestreckten Techgate Richtung Donau verlängert und der bereits bezogene Ares-Tower mit dem Kernstück des Geländes verbunden. Das verwinkelte Design des 45 m hohen Strabag-Hauses (zwölf Geschoße) kontrastiert gut mit dem geradlinigen Ares-Tower - bei einem Blick nach Norden taucht zwischen den Fassaden die vertraute Spitze des Donauturmes auf.

Thomas Jakoubek, als Vorstand der WED der Chefentwickler der Donau-City, beschreibt stolz, wie er den oft sterilen Pläne der Architekten an die Bedürfnisse der Menschen angepasst hat, vor allem durch die Schaffung von öffentlichen Treffpunkten für die Tausenden Mitarbeiter zwischen den Bürotürmen. Anders als etwa das Vorbild „La Défense“ in Paris schafft in der Donau-City keine durchgehende Betondecke eine düstere unterirdische Autowelt. Wie in einer märchenhaften Hochgebirgslandschaft sind die - physisch getrennten - Ebenen der Fußgänger und Fahrzeuge optisch verbunden.

Mit dem gerade begonnenen Bau des Saturn-Towers, mit IBM als Hauptmieter, breitet sich die Donau-City bis an den Rand des Donauparks aus. Als Nächstes werden dann einige der Löcher innerhalb des Areals gestopft, etwa durch den Bau des Techgate-Towers, der sich vor dem Andromeda-Tower aufrichten wird. Die weiteren Türme von Perraults Masterplan, von denen er zumindest einen selbst verwirklichen wird, werden bis Ende des Jahrzehnts die Donau-City dann näher zur Reichsbrücke rücken lassen, während für das direkte Uferareal nur niedrige Bauten mit angeschlossenen Freizeiteinrichtungen geplant sind.

Der Standard, Mo., 2003.06.30

27. Juni 2003Eric Frey
Der Standard

Gutes Hausklima, geschontes Weltklima

Österreichs geförderter Wohnbau trägt durch kräftiges Energiesparen schon seit Jahren weit mehr zu den Kioto- Klimaschutzzielen bei als andere Wirtschaftszweige. Das Standard-Wohnsymposium widmete sich diesmal den Chancen von Passivhäusern und anderen Wohnbau-Innovationen im Spannungsfeld mit dem Bewohner - der Grenze jeder Technik.

Österreichs geförderter Wohnbau trägt durch kräftiges Energiesparen schon seit Jahren weit mehr zu den Kioto- Klimaschutzzielen bei als andere Wirtschaftszweige. Das Standard-Wohnsymposium widmete sich diesmal den Chancen von Passivhäusern und anderen Wohnbau-Innovationen im Spannungsfeld mit dem Bewohner - der Grenze jeder Technik.

Vor fünf Jahren hat Österreich so wie viele andere Staaten das Kioto-Protokoll unterschrieben und sich damit verpflichtet, seinen Ausstoß von klimaschädigendem CO vom Basisjahr 1990 bis 2010 um 13 Prozent zu senken. Doch seither ist der Ausstoß nicht gesunken, sondern deutlich gestiegen. Viele Experten bezweifeln, dass Österreich sein Kioto-Ziel erreichen kann.

Während Verkehr und Industrie Jahr für Jahr mehr Treibhausgase in die Atmosphäre blasen, erweist sich der Wohnbausektor als grüner Musterschüler: Dank gezielter Förderung für thermische Altbausanierung durch die Wohnbauförderung und innovativen Energiesparkonzepten im Neubau ist in diesem Bereich der CO-Ausstoß im Sinken begriffen.

Und während Architekten Energieeffizienz lange Zeit als lästige Auflage betrachtet haben, entdecken immer mehr Planer den Reiz des Passivhauses, das auch im Winter fast keine Heizung benötigt, um wohlige Wärme zu bieten - und im Sommer die Räume schön kühl hält.

Doch nicht alles, was technisch möglich ist, erweist sich als wirtschaftlich sinnvoll und nutzerfreundlich. Das 16. Wohnsymposium über die „Zukunft des Wohnens“, das DER STANDARD am vergangenen Dienstag mit dem „Haus der Zukunft“, dem Wohnservice Wien und der Zeitschrift Wohnen Plus veranstaltete, widmete sich unter dem Titel „Das Haus im Klimawandel: Passiv oder Hightech“ der Frage, wie Energiesparen und nachhaltiges Bauen in der Praxis umgesetzt werden können.

Im 15. Stock des Generali-Towers am Donaukanal trafen Experten und Manager aus der Wohnungswirtschaft, den Banken und der Architektur zusammen, um Vorschläge für noch größere Beiträge des Wohnbaus zum Klimaschutz auszuarbeiten. Das Fazit: Die Politik muss die richtigen Anreize für ökologisches Handeln bieten, doch letztlich hängt es von Planern, Bauträgern und vor allem von den Bewohnern ab, ob am Ende wirksam Energie gespart wird.


Rolle der Politik

Infrastrukturminister Hubert Gorbach bekannte sich in seiner Eröffnungsrede zur Verantwortung der Politik. Er erzählte von den Widerständen gegen den Bau vom Kunsthaus Bregenz, den er als Vorarlberger Landesrat einst betrieben hatte. Heute ist das Museum ein Prunkstück des Kulturlebens am Bodensee. „Vieles kann die Masse am Anfang nicht richtig beurteilen, da muss die Politik vorangehen“, sagte er.

In Gorbachs Ressortzuständigkeit fällt das „Haus der Zukunft“, das die technische und sozialwissenschaftliche Forschung auf dem Gebiet des nachhaltigen Bauens fördert - sowie deren Umsetzung in konkreten Bauprojekten. Doch zahlreiche Referenten warnten davor, sich allein auf technologische Innovationen wie das Passivhaus zu verlassen. Diese müssten von den Bewohnern akzeptiert werden, die wiederum ihr Verhalten auf die neue Bauweise anpassen müssten - etwa die automatische Lüftung, die das Fensteröffnen ersetzt.

Höhere Errichtungskosten würden zwar durch niedrigere Heizungskosten wieder hereinkommen, doch sei diese Rechnung vielen Kunden schwer zu vermitteln, sagten der Psychologe Alexander Keul und der Chef der Grazer Energie-Verwertung-Agentur, Boris Papousek. Gefährlich sei es auch, die optische Qualität bei der Passivhausweise zu vernachlässigen, warnte der Vorarlberger Architekt Dietmar Eberle. Doch wie viele neue Niedrigenergieprojekte im mehrgeschoßigen Wohnbau zeigen, lassen sich auch nachhaltige Häuser architektonisch interessant gestalten.

Vertreter des gemeinnützigen Sektors wie Herbert Ludl und Wilfried Haertl wiesen auf die kurz- und langfristigen finanziellen Einschränkungen hin, die dem Bauträger die Lust am Passivhaus nehmen können. Vor allem Ludl warnte davor, Energieeffizienz auf Kosten von Gemeinschaftseinrichtungen und anderen Zielen zu stark zu forcieren. Die wirkliche Chance für den Klimaschutz liege in der Altbausanierung, wo noch immer viel an Energieeinsparungen zu holen sei. Wie der Bauphysiker und Humanökologe Ardeshir Mahdavi ausführte, beträgt der jährliche Neubau bloß zwei Prozent des Gesamtbaubestandes, von dem viel noch nicht saniert ist.


Ökosünder Bauen

Und schließlich müsse man auch auf die Energiebilanz und ökologischen Kosten in der Bauindustrie schauen, die rund ein Drittel des gesamten Energieverbrauches in unserer Gesellschaft verschuldet. Daher war es kein Zufall, dass bei den von den neun Tischrunden ausgearbeiteten Vorschlägen für eine klimaschutzorientierte Wohnpolitik ein Aufruf für mehr Öko-Transparenz bei Baustoffen einen knappen Sieg davon trug. Die einprägsame Formulierung „Wie viel CO kostet das Haus?“ tat das ihre zum Erfolg.

Die politischen Parteien nehmen alle das Thema Klimaschutz und Kioto-Ziel ernst; das zeigte auch die Debatte zwischen SPÖ-Technologiesprecher Josef Broukal und ÖVP-Wohnbausprecher Wolfgang Großruck, die zumeist übereinstimmten. Über den besten Weg dorthin aber werden sich die Expertengeister aber noch lange scheiden.

Der Standard, Fr., 2003.06.27

11. April 2003Eric Frey
Der Standard

Wohnbau als kreativer Mehrfrontenkrieg

„Architektur versus Management“ lautete das Thema einer hochkarätigen Wohnbaudiskussion von Architekten, Genossenschaftern und Experten im Wiener Künstlerhaus. Ihr Fazit: Erst durch das Aufeinanderprallen verschiedener Positionen und Interessen könne guter Wohnbau entstehen.

„Architektur versus Management“ lautete das Thema einer hochkarätigen Wohnbaudiskussion von Architekten, Genossenschaftern und Experten im Wiener Künstlerhaus. Ihr Fazit: Erst durch das Aufeinanderprallen verschiedener Positionen und Interessen könne guter Wohnbau entstehen.

Was sagt ein Filmproduzent dem künstlerisch zu ambitionierten Regisseur? „Mit meinem Geld werden Sie keinen guten Film machen!“ Mit diesem Bonmot eröffnete SP-Technologiesprecher und Ex-ORF-Moderator Josef Broukal die Diskussion über „Architektur versus Management“ im ersten Wohnen Plus Club vergangene Woche.

In der Debatte erwies sich das Verhältnis zwischen Bauherren und Architekten doch eine Spur vielschichtiger als skizziert: Spannungen gebe es auch zwischen Bauherr und Behörden, ja manchmal zwischen Architekt und den zukünftigen Bewohnern. Gerade aus dieser „produktiven Ambivalenz“ könne nicht nur gute Architektur, sondern auch ein menschengerechter Wohnraum entstehen, sagte der Frankfurter Wohnforscher Joachim Brech: „Der Architekt muss immer einen Schritt weiter sein.“

Doch ließe man dem Architekten immer freien Lauf, dann käme nicht nur die Wirtschaftlichkeit, sondern manchmal auch die Kunden zu kurz, warf Wilhelm Zechner, der technische Direktor der Sozialbau AG, ein. „Wenn die Architektur zur Priorität wird, dann wird's gefährlich. Denn dann gibt es später Probleme bei der Bewirtschaftung des Hauses.“ Vor allem die Nachhaltigkeit sei ein Thema, das bei vielen Bauten aus Kostengründen noch zu kurz komme, fügte der Architekt Martin Treberspurg hinzu, dessen Ausstellung „Architektur + Innovationen + Zukunft“ im Wiener Künstlerhaus den Rahmen für die Diskussion bot.


Architekt=Manager

Auch Josef Klemen von der Siedlungsgenossenschaft Neues Leben warnte vor Projekten, „die den Bedürfnissen des Architekten entsprechen, aber die Wohnungsqualität nicht heben“. Dem widersprach Architekt Peter Scheifinger: Von einem Konflikt zwischen Architekt und Manager zu sprechen sei schon deshalb absurd, weil der Architekt auch Manager in Personalunion sein müsse.

Wohnungsbauer Klemen ortete die „echte Konfliktzone“ zwischen Bauherren und Behörden, die mit ihren Auflagen sowohl die Kreativität der Architekten als auch die Wirtschaftlichkeit der Bauträger unterliefen. Ein weiteres Spannungsfeld entstünde dort, wo Baufirmen auf Kosten dieser Qualität möglichst billig bauen wollen, warnte er.

Und Klemen weiter: Deshalb sei die Wohnbauförderung so wichtig. Sie dürfe nicht zur Sozialhilfe degenerieren, sondern sei Teil des Generationenvertrages, da sie jungen Menschen zu qualitativ hoch stehenden Wohnungen verhelfen könne.

Diese Wohnungssuchenden seien in den vergangenen Jahren, in denen das Angebot stetig zugenommen habe, immer wählerischer geworden, merkte Scheifinger an. „Wenn Leute wählen, ist es lästig“, bemerkte er spöttisch, warnte aber gleichzeitig davor, dass angesichts sinkender Wohnungsleerstände die Wahlmöglichkeiten ohnehin schrumpfen würden. Die Wohnpolitik lasse die Situation derzeit „wieder in Richtung Mangel schleifen“.

Scheifinger zeigte auch wenig Sympathie für das Phänomen des „Themenwohnens“: Inhalte werden hier durch Marketing ersetzt. Schuld daran sei auch der Wohnungssuchende, der oft nicht wisse, was er eigentlich wolle. Selbst die viel gepriesenen Passivhäuser bezeichnete er als „Marketing-Gag“.

Er kritisierte auch die Überbetonung von interessanten Fassaden, die nur wenig zu einer echten Wohnqualität beitragen würden. Das sei „nur etwas für Romantiker“, warf er ein. Dem widersprach sowohl Broukal, der die unterschiedliche Qualität von Bauten an Wiener Ausfallstraßen anmerkte, und Wohnforscher Brech: Eine gute Fassade sei „eine Frage des Respekts“.

Der Standard, Fr., 2003.04.11

05. Juni 1999Eric Frey
Der Standard

Mobile Bürger im geliebten Heim

Ein immobiler Wohnungsmarkt führt zur Arbeitslosigkeit, eine kreative Wohnumgebung kann neue Arbeit schaffen. Über die Chancen der Politik und der gemeinnützigen Wohnwirtschaft, Wohnen und Arbeiten zu vereinbaren und Wohndienstleistungen besser verfügbar zu machen, diskutierten am Dienstag auf der von der Bank Austria gesponserten Veranstaltungsserie „Die Zukunft des Wohnen“ an die hundert Architekten, Politiker und Wohnbauexperten unter der Leitung von Standard-Chefredakteur Gerfried Sperl. Ein Bericht von Eric Frey.

Ein immobiler Wohnungsmarkt führt zur Arbeitslosigkeit, eine kreative Wohnumgebung kann neue Arbeit schaffen. Über die Chancen der Politik und der gemeinnützigen Wohnwirtschaft, Wohnen und Arbeiten zu vereinbaren und Wohndienstleistungen besser verfügbar zu machen, diskutierten am Dienstag auf der von der Bank Austria gesponserten Veranstaltungsserie „Die Zukunft des Wohnen“ an die hundert Architekten, Politiker und Wohnbauexperten unter der Leitung von Standard-Chefredakteur Gerfried Sperl. Ein Bericht von Eric Frey.

Die Zeiten, in denen der Durchschnittsbürger einen Ehepartner, einen Arbeitsplatz und eine Wohnung fürs Leben hatte, gehen auch in Österreich zuende. Nicht nur die Scheidungsraten steigen, sondern auch die Bereitschaft zum Jobwechsel. Ein Drittel der Österreicher wechseln jedes Jahr ihren Arbeitsplatz, war die Antwort des Ökonomen Michael Wagner-Pinter auf die Frage „Mobil oder Immobil“, die dem zweiten STANDARD-Symposions über die „Zukunft des Wohnens“ seinen Titel gab. „Die Österreicher halten sich zwar für immobil, aber die Zahlen zeigen, daß sie es sehr wohl sind“, sagte er.

Nur beim Wohnen ist die Mobilität der Alpenbürger noch nicht ganz so ausgeprägt wie in anderen Ländern. Geförderte Wohnungen, die den Mieter an den günstigen Wohnraum binden, und noch mehr die Liebe zum Eigenheim machen den Ortswechsel zu einem raren Vorgang - selbst dann, wenn im Heimatort die Arbeitsplätze knapp werden.

Klaus Lugger, den Geschäftsführer der Neue Heimat Tirol, sieht auch hier einen Wandel, zumindest bei der jüngeren Generation. „Die Jugend hält sich jene Wohnungen, die sie brauchen, unabhängig von Förderungen und anderen Überlegungen“, sagte er. Entscheidend für eine höhere Mobilität sei die Senkung von Transaktionskosten sowie die Verbesserung des öffentlichen Verkehrs. Außerdem müßten besonders seine eigenen Landsleute in Sachen Eigenheim umdenken: „In Wien gibt es zu wenig Eigentum, in Tirol zu wenig Mitwohnungen.“


Leerstände

Dafür nehmen im ganzen Land die Leerstände zu, auch im geförderten Wohnsektor. Für Wagner-Pinter sind die Kosten dieser Leerstände „sehr gut investiert“, denn nur durch sie sei die für den Arbeitsmarkt nötige Mobilität überhaupt möglich.

Doch für den Ökonomen hat die österreichische Seßhaftigkeit auch positive Seiten. Die richtige Mischung aus Stabilität und Mobilität sei die beste Voraussetzung für eine funktionierende Gesellschaft, sagte Wagner-Pinter: „Eine Wohnumwelt, wo ständig ein-und ausgezogen wird, führt nur zu Chaos und Vandalismus.“ Deshalb sollte man auch Phänomene wie Pendeln und Zweitwohnsitze erleichtern und nicht verhindern.

Problematischer ist allerdings die Heim- und Telearbeit. Zwar ist die Arbeit zu Hause für viele eine praktische Lösung, doch kann sie zu einer Isolierung von Kollegen und zu einer Verschlechterung der Arbeitsbedingungen führen. Besonders Frauen müßten aufpassen, daß der Kostendruck in der Wirtschaft, der Heimarbeit so attraktiv macht, nicht auf ihre Kosten geht, warnte Eva Kail von der Leitstelle „Alltags-und frauengerechtes Planen und Wohnen“ der Stadtbaudirektion Wien. Die Förderung von Dienstleistungen rund um das Wohnen können hingegen nicht nur neue Arbeit schaffen, sondern auch die Lebensqualität in der bewohnten Umgebung steigern.

Heimarbeit sei auch eine Gefahr für die Privatsphäre des Menschen, warnte Joachim Brech, den Geschäftsführer des Wohnbundes aus Frankfurt. Gleichzeitig aber eröffne die moderne Telekommunikationstechnologie neue, attraktive Perspektiven für das Verbinden von Arbeit und Freizeit. „Die Leute wollen voll vernetzt sein, aber im Lehmhaus wohnen“, beschrieb er den Traum des typischen grünen Internet-Freaks.


„Robuste Strukturen“

Für die Bauplanung ist die sich wandelnde Arbeitswelt eine der größten Herausforderungen. Niemand weiß, wo und wie er in einigen Jahren arbeiten wird: in einem fernab gelegenen Betrieb, als Selbständiger im Kellerlokal, oder zu Hause. Damit die Wohnbauwirtschaft auf diese Bedürfnisse eingehen kann, muß sie laut Wagner-Pinter „robuste Strukturen“ schaffen, die für viele Zwecke verwendbar sind. Ebenso wie im Berufsleben „lebenslanges Lernen“ gefragt ist, muß der Wohnbau von einer Planung Abschied nehmen, „die für hundert Jahre die Nutzung fixieren will“, sagte er. Moderne Wohnanlagen brauche flexible Räume, die sich für eine Kinderstätte ebenso wie für eine Selbsthilfegruppe, eine Werkstatt oder einen Computerraum eignen.

Denn in den kommenden Jahren wird die Nachfrage nach ehrenamtlichen und informellen Dienstleistungen wie Altenpflege, Kinderbetreuung, oder Kulturschaffung zunehmen. Darin waren sich auch die beiden politischen Diskutanten, Hans Sallmutter von der Gerwerkschaft für Privatangestellten (GPA) und der steierische Landesrat Herbert Paierl einig. Zwar warnte Sallmutter davor, daß es „genug Arbeit gibt, aber zu wenig bezahlte Arbeit“. Doch selbst wenn das Finanzamt und die Gewerkschaft diesen grauen Sektor nicht so gerne sehen - einen kleinen Platz im Wohnhaus gönnen ihm doch alle.

Der Standard, Sa., 1999.06.05

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