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04. Februar 2022Falk Jaeger
Bauwelt

Raus aus dem BMI

Die gesamte Branche ist gespannt auf das neuen Bundesbauministerium. „400.000 neue Wohnungen“ heißt es im Koalitionsvertrag. Doch nicht nur darum sollte sich die Ministerin kümmern.

Die gesamte Branche ist gespannt auf das neuen Bundesbauministerium. „400.000 neue Wohnungen“ heißt es im Koalitionsvertrag. Doch nicht nur darum sollte sich die Ministerin kümmern.

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Bauwelt 2022|03 Im zweiten Anlauf

12. August 2019Falk Jaeger
db

Passgenaues Implantat

Frei von Retro-Allüren haben die Architekten den Neubau geschickt in die Raum- und Belichtungssituationen seiner Nachbarbebauung eingepasst. Mit seinem dunklen Backstein formuliert er klare Raumkanten, bildet mit perforierten Formaten aber auch luftige Brisesoleils und erscheint so gleichermaßen abgezirkelt wie auch durchlässig. Die Unterscheidung in offen und geschlossen bleibt dabei unentschieden in der Schwebe.

Frei von Retro-Allüren haben die Architekten den Neubau geschickt in die Raum- und Belichtungssituationen seiner Nachbarbebauung eingepasst. Mit seinem dunklen Backstein formuliert er klare Raumkanten, bildet mit perforierten Formaten aber auch luftige Brisesoleils und erscheint so gleichermaßen abgezirkelt wie auch durchlässig. Die Unterscheidung in offen und geschlossen bleibt dabei unentschieden in der Schwebe.

»Wenn Sie in die Pawła kommen, schauen Sie genau hin, Sie werden es nicht gleich finden«, war der Rat des Passanten auf die Frage nach dem neuen Kattowitzer Fakultätsgebäude. Der geschulte Blick des Kritikers irrte nicht lange herum, aber der Hinweis war aufschlussreich. Offenkundig ist es den Architekten gelungen, den Bau in die Stadtstruktur aus dem 19. Jahrhundert »harmonisch einzufügen«, wie es in Erläuterungstexten so gerne heißt.

Dabei handelt es sich keineswegs um Anpassungsarchitektur mit irgendwelchen Retro-Allüren, die in dem dicht bebauten Innenstadtquartier unweit des Zentrums und der Kulturmeile in einer schmalen Querstraße ihren Platz fand. Ein immerhin 50 m langer, glatter Monolith, in seiner Körperhaftigkeit betont, indem die Dachkante abgefast ist; durchaus, um die Traufhöhe der Nachbarhäuser aufzunehmen, aber eben in einer ortsunüblichen, skulptu­ralen Form. Unüblich wie die Fassade selbst, ein Überwurf aus Lochziegeln, der dem Auge keine Gliederung bietet, schon gar nicht irgendwelche Fensterformen, Simse und dergleichen. Das Haus verschließt sich auch hermetisch den Blicken von außen und von gegenüber, während von innen die Straße wahrnehmbar ist. Zum Beobachten animiert der Durchblick jedoch nicht, weil das Bild doch stark verpixelt wird und die Tiefe des Ziegelgitters die Schrägeinsicht verhindert. Abends freilich, mit Innenbeleuchtung, kehren sich die Sichtverhältnisse um und aus den gegenüberliegenden Nachbarhäusern sind Menschen zu sehen, die agieren, sitzen, arbeiten.

Das dunkle Ziegelmaterial korrespondiert mit der Umgebung – und mit dem Bestandsbau, der wie ein Exponat vom Neubau gerahmt wird. Dabei ist der zweigeschossige, 140 Jahre alte, typologisch unspezifische Ziegelbau nicht eben eine bauhistorische Preziose und war zum Abriss freigegeben. Doch die Architekten mochten ihn nicht aufgeben, restaurierten ihn und präparierten seine dekorative Fassadengliederung heraus. Die Historie trägt die Gegenwart, das Neue fußt auf dem Alten, so die plakative Aussage. Es gibt Arbeitsmodelle und Skizzen, die wörtlich zeigen, wie der Neubau, scheinbar ohne EG schwebend, huckepack auf dem Bestandsbau sitzt. Auch ideell trägt der historische Bau das Institut, denn im Inneren haben die Architekten in einem zweigeschossigen Raum die Bibliothek, gewissermaßen sein Gedächtnis, untergebracht.

Die Historie war den Architekten jedoch kein Fetisch, denn am rechten Rand haben sie den Altbau kurzerhand um 3,5 m beschnitten. Den schmerzlichen Verlust der Symmetrie haben sie in Kauf genommen, um pragmatisch Platz für die Tiefgarageneinfahrt zu schaffen. Da die Vorhangfassade nicht bis auf Straßenniveau herabreicht, bleibt das EG offen, ist voll verglast. Ein großzügiger, überdachter Vorbereich, ein ebenfalls großzügiger Windfang und die geräumige Lobby schaffen eine offene und transparente Eingangssituation mit unverspiegeltem Durchblick von der Straße bis zum Empfangstresen und in den Hof.

Gestaffelt

Auf dem beräumten Grundstück hatten sich die Architekten mit einer typischen Hinterhofsituation konfrontiert gesehen, mit Seitenflügelgiebeln, angeschnittenen Lichthöfen und schrundigen Brandwänden, an denen sich ­frühere Nachbargebäude palimpsestartig abzeichneten. Glücklicherweise passte das Raumprogramm perfekt und war mit der Randbebauung und ein- bzw. zweigeschossiger randständiger Hofbebauung gut zu bewältigen. Höfe und Einschnitte übernehmen die Baulücken der Umgebung und sorgen für genügend Licht und Luft.

Die Dachflächen der niedrigen Bauteile im Hof sind zwar verklinkert, aber nur zu einem kleinen Teil umfriedet und begehbar. Für so viel (kostenintensiv zu unterhaltende) Terrassenfläche gibt es in der zahlenmäßig kleinen Fakultät keinen Bedarf.

Dafür gibt es den großzügiger »Klosterhof« im Zentrum, der die Gebäude belichtet und als Treffpunkt, Verteiler und Ort für Open-air-Events aller Art fungiert. Und wo keine Fenster möglich waren, in der Nordostecke, ist das hauseigene Kino mit 121 Sitzplätzen untergebracht.

Dominierendes gestalterisches und funktionales Element ist der den meisten Fassaden vorgehängte Schirm aus backsteinformatigen, horizontal liegend ­gestapelten Rahmenziegeln. Das Gitter hat ein Wand-Öffnungsverhältnis von 1:1 und wirkt als Lichtfilter und Sonnenschutz. In den nach Westen gelegenen Büro- und Seminarräumen an der Straßenseite gibt es bodentiefe Fenster, doch der Schirm verhindert direkte Einblicke. Die Hörsäle im DG hingegen erhalten durch Fenster in der Dachschräge ohne Gitterschirm volles Tageslicht.

Die Fassaden zum Hof hin sind je nach Nutzungen nur teilweise beschirmt. Rings um den Hof sind die Studios, Schneideräume, Werkstätten und die Mensa angeordnet. Der renommierte Fotograf und Filmemacher Bogdan Dziworski, derzeit Dekan der Fakultät, hat hier z. B. sein Atelier und gerät über die vielfältigen Möglichkeiten der variablen Lichtverhältnisse ins Schwärmen. Er könne abdunkeln oder volles Tageslicht einlassen, habe den Ziegelschirm zur einen, offene Fenster zur anderen und die Terrasse für Freiluftaufnahmen vor der Tür.

Ein architektonischer Höhepunkt ist die Kaskadentreppe, die auf der Hofseite hinter der haushohen Glasfassade nicht nur zur Erschließung, sondern auch als kommunikatives Element die Geschosse miteinander verbindet. Die nackte Glasfront schien den Architekten zwar zu offen; dass der Ziegelschirm hier aus Kostengründen eingespart wurde, geriet aber eher zum Vorzug. Denn so ergibt sich eine eindrucksvolle, stockwerkübergreifende Glasfassade, hinter der man die Studierenden auf und ab gehen sieht und die für mehr Licht in den hinteren Flurzonen sorgt. Die Schwerter für die Gitterfassade waren schon montiert. Sie blieben – eigentlich nutzlos – vor der Glaswand stehen und geben ihr räumliche Tiefe.

Wie überall im Haus wird deutlich: Den offenen Bereichen spürbare Raumgrenzen zu geben, ist das von den Architekten verfolgte Grundprinzip. So gibt es die Gitter auch als Bereichstrennwände und zwischen manchen Büros und dem Flur. Sie tragen zu einer großen Vielfalt an anregenden Raumeindrücken bei, die beim Gang durch das Haus zu erleben sind, mit Sichtbeziehungen vom Schaufensterblick bis zum heimlichen Auge wie bei der Maschrabiyya (einem dekorativen Holzgitter der traditionellen islamischen Architektur) und ins gleißende Zenitlicht des Himmels. Eine »Schule des Sehens«, wie sie in einer Fakultät der Medienmenschen sicher willkommen ist.

Die Atmosphäre im Haus wird v. a. durch den an Wänden, Treppenstufen und Fußböden der Flure, Säle und Seminarräume allgegenwärtigen Ziegel bestimmt. Einmal glatt versintert, dann wieder als raue Torfbrandklinker, mal flächengleich, dann wieder im lebendigen Relief vermauert, harmoniert der Ziegel mit anthrazitgrauen stählernen Türgewänden, mit warmgelben, gediegenen Holzeinbauten und mit den Betonstützen- und Decken.

Er schluckt freilich auch viel Licht, was sich im Stromverbrauch des Hauses bemerkbar machen dürfte. Vielleicht ist der Umgang mit Licht und Schatten Katalonien, dem Herkunftsland der Architekten, geschuldet. In den heißen Sommern dort ist das prima. Während der osteuropäischen Herbst-und Winterzeit wünschte man sich jedoch, die Vorhangfassaden zur Seite schieben zu können, um jeden Strahl Tageslicht nutzen zu können.

Insgesamt beeindruckt das Geschick, mit dem das Bauvolumen passgenau in die innerstädtische Situation implantiert wurde und mit dem die unterschiedlichen Nutzungen miteinander verknüpft und in die Raum- und Belichtungssituationen eingepasst sind.

Noch befindet sich das Stadtviertel im Halbschlaf. Doch hier und da sind Ansätze neuer Entwicklungen zu registrieren und der Aufschwung des zentrumsnahen Quartiers ist absehbar. Die Radio- und TV Fakultät der Universität mit ihrer agilen, kulturaffinen Studentenschaft wird zweifellos ihren Anteil daran haben.

db, Mo., 2019.08.12



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db 2019|07-08 Offen / Geschlossen

02. November 2017Falk Jaeger
db

Raumgefüge

Deutlich größer als Pflegeheime in Deutschland, bietet der innerstädtisch gelegene Komplex Raum für 328 Pflegeplätze und einen Kindergarten. Er zeichnet sich durch eine ideenreiche Konzeption mit großzügigen Bewegungs- und Aufenthaltsflächen und ein Raumzonenprinzip mit kluger Zimmer- und Farbgestaltung aus.

Deutlich größer als Pflegeheime in Deutschland, bietet der innerstädtisch gelegene Komplex Raum für 328 Pflegeplätze und einen Kindergarten. Er zeichnet sich durch eine ideenreiche Konzeption mit großzügigen Bewegungs- und Aufenthaltsflächen und ein Raumzonenprinzip mit kluger Zimmer- und Farbgestaltung aus.

Es ist nicht die Namenspatronin Ingrid Leodolter (1919-86, Ärztin und ­verdienstvolle österreichische Gesundheitsministerin), die die Besucher im Eingangshof des Altenwohn- und Pflegeheims empfängt. Es ist Kaiserin Sisi, die von ihrem Denkmalsockel grüßt. Sie tut das schon seit 125 Jahren, denn auf diesem Grundstück unweit des Westbahnhofs stand zuvor das Kaiserin-Elisabeth-Spital. Im Zuge der Umorganisation der Wiener Krankenhäuser wurde das Spital 2012 im Rahmen des Wiener Geriatriekonzepts von 2007 in ein Pflegewohnhaus des Wiener Krankenanstaltenverbunds umgewidmet. Die Baulichkeiten waren dafür jedoch ungeeignet und mussten zum Großteil dem Bau eines modernen Pflegeheims weichen. Sisi durfte bleiben.

Der Neubau am Kardinal-Rauscher-Platz ist als Pflegeheim ein wirklich ­großes Haus mit immerhin 324 Wohn- und Pflegeplätzen, das einen ganzen Straßenblock einnimmt. Mit vier Geschossen und einer Staffelung nach ­Süden passt es sich in seiner Höhenentwicklung der geschlossenen Block­bebauung des 15. Bezirks Rudolfsheim-Fünfhaus an. Als Baukörper freilich tritt das Haus unmissverständlich auf den Plan. Die Architekten machten gar nicht erst den Versuch, 100 bzw. 115 laufende Meter Bewohnerzimmer zu ­kaschieren und die horizontal dahineilenden Fassaden in einzelne »Häuser« zu gliedern, um sich den Proportionsverhältnissen im Quartier anzupassen. Eigentlich ist man bei einem solchen Haus bemüht, das betreute Dasein der Bewohner und Patienten soweit als möglich der Normalität des Wohnens anzunähern. Doch weit, zu weit entfernt sich das Haus typologisch von der Wohnumgebung und wird, zumindest in der Außenansicht, eher als Krankenhaus gelesen.

Im Innern allerdings wandelt sich das Bild. Hier sind die großen ­Geschossflächen und langen Zimmerfluchten nicht durch serielle Ordnungsschemata auf übliche Weise bewältigt worden, sondern man hat sie als Chance für eine geniale Grundrissdisposition genutzt. Drei frei geformte, unterschiedlich gestaltete und bepflanzte Lichthöfe bilden ruhige Aufenthaltsbereiche und Orientierungsorte. Ein vierter Hof dient als geschützte Vorfahrt und ist mit Zugängen zum öffentlichen Café und zum Versammlungsraum eine der Schnittstellen zwischen Pflegeheim und Außenwelt.

»Keine Gänge, Marktplätze!« war das Credo der Architekten, und in der Tat gibt es im Normalgeschoss, das 100 Zimmer und zahlreiche Serviceräume umfasst, keinen einzigen herkömmlichen Flur, sondern ein offenes Raumkontinuum, in dem spielerisch Aufenthaltsbereiche und Ruhezonen organisiert sind. Wenige, unauffällige Glastüren unterteilen diese Erschließungs- und Kommunikationszone in Brandabschnitte und Stationen. Glasfronten zu den Innenhöfen sorgen für Transparenz, Durchblicke und eine großzügige Belichtung. Die Bewohner können stationsübergreifende, abwechslungs­reiche Rundgänge absolvieren und auf einer Etage einen halben Kilometer ­flanieren, ohne den Gebäudekomplex verlassen zu müssen. Zusätzlich gibt es nach allen vier Himmelsrichtungen gläserne Erker mit freiem Ausblick entlang der Straßen und in einem Fall bis hin zum Stephansdom.

Alle Patienten- und Bewohnerzimmer liegen an den Außenfassaden und haben durch die vorgelagerten Loggien ausnahmslos den Bezug zur umgebenden Stadt. Innen grenzen sie jeweils mit einer Nische, einem individuell gestaltbaren Verweilplatz vor der Wohneinheit (innere Loggia genannt) an die gemeinschaftliche Erschließungs- und Aufenthaltszone. So kommt ein sehr subtiles Raumgefüge mit unterschiedlichen Privatheitsgraden zustande, das den Bewohnern je nach Befindlichkeit die Wahl des Aufenthalts und unterschiedlich intensiver Kommunikationsmöglichkeiten freistellt, von der eigenen Loggia über das intime Zimmer, die etwas geschützte Innenloggia, die ­offenen Marktplätze bis zu den wiederum geschützteren, aber gemeinschaft­lichen Ruhe- und Aufenthaltsbereichen. Durch den offenen Bewegungs- und Aufenthaltsraum entstand ein in Nutzungsbereiche und Raumzonen unterschiedlichen Charakters gegliederter Lebensraum, der den Bewohnern je nach Wunsch Rückzugsorte bietet oder Teilhabe am sozialen Austausch ermöglicht. Die Betten in den Zimmern sind so positioniert, dass auch bettlägerige Bewohner durch Öffnen der Doppeltüren zur Loggia und zum Marktplatz hin am Stationsleben und am Stadtleben zumindest passiv teilnehmen können.

Ein ausgeklügeltes Farbkonzept, das auf den ersten Blick etwas unmotiviert bunt erscheinen mag, zoniert die Bereiche, erleichtert die Orientierung und sorgt für eine heitere und offene Atmosphäre, die den betagten Bewohnern gut tut und den Mitarbeitern bestmögliche Arbeitsbedingungen garantiert. Dies gilt v. a. für die Demenz-Station. Deren Freifläche im nordwestlichen ­Innenhof ist unter besonderen Gesichtspunkten der Orientierung und des Aufenthalts von Demenzkranken gestaltet worden (u. a. mit Rundweg und Buswartehäuschen), da viele von ihnen das Haus nicht verlassen können. Die Zuwendung der Architektur den Bewohnern gegenüber ist deutlich zu spüren und überträgt sich auch auf die Mitarbeiter.

Das Ingrid Leodolter Haus vereint unter einem Dach sozialmedi­zinische ­Betreuung, eine Station für Kurzzeitpflege, neun Stationen für Langzeitpflege sowie zwei Stationen für Demenzkranke. Es gab deshalb anfangs kritische Fragen wegen der Größe des Hauses und des »unpersönlichen Massenbetriebs«. Die Praxis zeigt jedoch, dass die Größe durch die architektonische Konzeption und die gestalterischen Mittel beherrscht wird. Und dass diese Größe andererseits den Bewohnern ein Maximum an Bewegungsraum, Lebensqualität und Abwechslung bietet, denn es ist immer viel los im Haus. Mit seiner innerstädtischen Lage, der leichten Erreichbarkeit für Angehörige, mit seiner integrierten Nutzungsstruktur und seiner Vernetzung mit dem umgebenden Wohnquartier u. a. durch Café, Friseursalon und den großen Kindergarten mit fünf Gruppen, der zum großen Teil von Mitarbeiterkindern besucht wird, ist es ein Musterbeispiel dafür, wie die Gesellschaft mit dem wachsenden Anteil an Senioren und Pflegebedürftigen umgehen kann, ohne sie auszugrenzen.

db, Do., 2017.11.02



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db 2017|11 Wohnen im Alter

02. Oktober 2017Falk Jaeger
db

Behnischs Erbe

Durch Günter Behnisch entstand eine »süddeutsche ­Architekturschule«, die es nicht immer leicht hat, landesweit Gehör zu finden – so sehen es die Stuttgarter Behnisch-Schüler von 4a-Architekten. Ein Gespräch mit den Büroinhabern Matthias Burkart, Andreas ­Ditschuneit und Ernst Ulrich Tillmanns, die sich ­in der Nachfolge Behnischs sehen, sich aber auch von ­seinen Ansichten emanzipierten.

Durch Günter Behnisch entstand eine »süddeutsche ­Architekturschule«, die es nicht immer leicht hat, landesweit Gehör zu finden – so sehen es die Stuttgarter Behnisch-Schüler von 4a-Architekten. Ein Gespräch mit den Büroinhabern Matthias Burkart, Andreas ­Ditschuneit und Ernst Ulrich Tillmanns, die sich ­in der Nachfolge Behnischs sehen, sich aber auch von ­seinen Ansichten emanzipierten.

Falk Jaeger: Sie sind Vertreter jener südwestdeutschen Architekturschule, die auf Günter Behnisch zurückgeht. Was war aus Ihrer Sicht das Wesentliche seiner Architekturauffassung?
Ernst Ulrich Tillmanns: Am wichtigsten waren ihm Leichtigkeit, Offenheit und Transparenz sowie das Verschmelzen von Innen- und Außenräumen. Die steinerne Schwere der Postmoderne – die zu unserer Zeit im Büro Behnisch in der Architekturwelt große Aufmerksamkeit erhielt – hat ihm nie gefallen.

Matthias Burkart: Ein weiteres zentrales Thema war für ihn das demokratische Bauen. Dafür stehen besonders zwei Hauptwerke: Das eine ist der Olympiapark in München als sehr offener, freier Landschaftsentwurf mit der gemeinsam mit Frei Otto geplanten Zeltkonstruktion. Das zweite Beispiel ist der Bundestag in Bonn, an dem wir mitgearbeitet haben. Dabei wurde eine »Landschaftsaue« aufgenommen – in Form des versenkten Plenarsaals mit einem freien Dach darüber. Diesen offenen, transparenten, vom Bürger einsehbaren, im übertragenen Sinn kontrollierbaren Raum hat Behnisch als »demokratische Architektur« verstanden.

Andreas Ditschuneit: Allerdings weisen beide Projekte sehr unterschiedliche Formen auf: Der Olympiapark ist stark organisch angelegt, während der Bundestag ein für Behnisch ungewöhnlich orthogonales, strenges Gebäude ist. Allerdings gibt es auch darin verspielte Dinge, z. B. das Vogelnesttreppengeländer.

War es Ihr erklärter Wunsch, im Büro Behnisch zu arbeiten oder war auch Zufall im Spiel?
Tillmanns: Die Stimmung der Zeit war geprägt durch verschiedene Protestbewegungen, z. B. gegen Atomkraft, den Nato-Doppelbeschluss oder die Startbahn West. Ich hatte das Bedürfnis, etwas Konstruktives zu tun, den Protest in etwas Positives zu wenden. Behnisch faszinierte mich damals, weil er einen Geist der Veränderung in Architektur umsetzte. Nicht der postmoderne formale Schnickschnack war für ihn interessant, sondern wie man ein Gebäude organisiert, wie es sich zur Landschaft verhält und wie man im Team arbeitet.

Was unterscheidet die südwestdeutsche Szene z. B. von Berlin oder ­Aachen?
Burkart: Berliner Architektur ist für uns Süddeutsche ja immer charakterisiert durch geschlossene, steinerne Fassaden. Behnischs Architektur war nie ­steinern. Seine Häuser zeigen Stahl und Glas und haben einen Bezug zur ­offenen Landschaft. Den suchen die Berliner nicht. Wie Behnisch bevorzugen auch wir heute noch Bauaufgaben, bei denen es um Solitäre in einem freien Umfeld geht.

Für Behnisch war das Experiment von großer Bedeutung. Lässt sich das heute noch durchhalten?
Burkart: Das Experimentelle wurde im Büro Behnisch nicht nur zugelassen, sondern gefördert. Bei seinem Hysolar-Gebäude für die Uni Stuttgart am Pfaffenwald konnten wir vieles ausprobieren. Heute dürfen wir bei keiner Bewerbung oder bei keinem Bauherrn erwähnen, dass wir experimentieren wollen.

Ditschuneit: Wir haben viel mit Materialien gespielt, auch mit neuen, z. B. mit Kunststoffplatten oder mit Doppelstegplatten. Ungewöhnlich war auch, wie man die Dinge dann zusammengefügt hat, wobei es auf Präzision nicht so sehr ankam. Manchmal gab es Brüche, aber die waren eigentlich willkommen, oft sogar gewollt. Hierzu erinnere ich mich besonders an das Postmuseum in Frankfurt: Um die Rotunde herum gibt es eine Verkleidung, deren Platten eine gezackte Kontur bildeten und der Rundung folgend abgesägt werden sollten. Behnisch war gerade auf der Baustelle und sagte: »Bloß nicht, lasst das! Es ist gerade gut, dass die Verkleidung eine ganz andere Geometrie einnimmt.«
Burkart: Und wir haben bei Behnisch die Schichten der Konstruktion immer offen gezeigt – die abgehängten Decken, die vorgehängten Fassaden. Um noch einmal auf den Vergleich zu Berlin zurückzukommen: Dort baut man viel mehr fugenlos monolithisch, das unterscheidet uns bis heute.

Städtebauwettbewerbe haben Behnisch nicht interessiert?
Ditschuneit: Das stimmt so nicht. Nach der Wende gab es in den neuen Bundesländern sehr viele Wettbewerbe. z.B. in Chemnitz haben wir an einem Wettbewerb für ein Universitätsgelände mit einem großen Studentenwohnheim und einer zentralen Mall teilgenommen. Wir haben strenge städtebauliche Achsen gezogen und alles gerastert und in Blöcke gegliedert. Das hat Behnisch nicht gefallen: »Zeichnet nicht so stures Zeug, macht das mal lockerer.« Am Schluss kam ein ganz wilder Entwurf heraus. Damit sind wir – wenig verwunderlich – in der zweiten Runde ausgeschieden, aber das hat er offenbar gerne in Kauf genommen.

Kann man sagen, dass Behnisch eine Art architektonischer Ideologie ­geprägt hat, die hier im Südwesten mitunter einen fast religiösen ­Cha­rakter annahm?
Ditschuneit: Das könnte man so sagen. Das betraf schon die Art, wie man gezeichnet hat. Alle haben damals so gezeichnet, auch an den Hochschulen, vor allem natürlich an Behnischs Hochschule in Darmstadt.

Burkart: Jede Wand nur mit einem dünnen Strich …

Ditschuneit: … ja, alles mit lockerem Strich und möglichst unter Verzicht auf rechte Winkel. Viele der jungen Leute können heute nicht gut mit der Hand zeichnen. In unserem Büro kommen wir trotz Computer nicht umhin, zu skizzieren. Wir haben alle Skizzenrollen auf dem Tisch.

Noch einmal kurz zurück zum Arbeiten bei Behnisch. Wie ging er mit ­Leuten um, die nicht so dachten oder nicht so denken wollten wie er?
Ditschuneit: Er hat schnell gemerkt, wenn jemand aus einer anderen Richtung kam. Das ging nicht lange gut. Ich erinnere mich an den Spruch: »Wenn ihr was anderes wollt, dann schnürt euer Ränzlein und geht woanders hin.«

Burkart: Aber er hat natürlich viele Mitarbeiter aus Darmstadt geholt, z. B. Carola Wiese, Jens Wittfoth und Falk Petri. Unsere ganze Bonn-Truppe mit zwanzig Architekten bestand zum Großteil aus Darmstädtern, die er unterrichtet hatte.

Wie wurde entworfen?
Ditschuneit: Im Studium haben wir einmal Entwurfsmethoden verschiedener Architekturbüros verglichen und Behnisch gefragt, wie er seine Entwurfsmethodik beschreiben würde. Er hat uns verwundert angeschaut und gesagt: »Weiß ich nicht.« Schon der Begriff Entwurfsmethodik schien ihn irgendwie zu stören. Aber schließlich hat er uns doch einiges dazu sagen können.

Burkart: Eine festgelegte Entwurfsmethodik, bei der sich die Dinge wiederholen, war für ihn schon zu viel der Vorgabe. Wir haben auch nie ein Geländer wie das andere gezeichnet oder irgendein Detail wiederverwendet. Jedes Projekt entstand neu und vollständig anders. Das könnten wir uns heute gar nicht mehr leisten.

Ditschuneit: Später dann, im Stadtbüro mit Stefan Behnisch, wurde diese Haltung nach und nach abgebaut. Da hieß es schließlich doch: »Fangt nicht wieder bei Adam und Eva an, nicht jedes Geländer muss ein Kunstwerk sein.«

Wie kam es schließlich zu Ihrer eigenen Bürogründung? War die Zeit einfach irgendwann reif für die Selbstständigkeit? Oder gab es einen äußeren Anlass?
Burkart: Wir waren alle vier beim Bonn-Projekt dabei und haben nebenbei an Wettbewerben teilgenommen – in der Hoffnung, uns mit einem daraus resultierenden Projekt selbstständig machen zu können. Das Büro Behnisch war so angelegt: Es war immer klar, dass man dort nicht alt wird.
1990 hatten wir bei einem Schulbauwettbewerb in Durmersheim einen zweiten Preis gewonnen und gleichzeitig einen Direktauftrag für ein Gewerbeprojekt in Lutherstadt Eisleben erhalten. Daraufhin marschierten wir zu viert in Behnischs Büro und erklärten, dass wir uns selbstständig machen wollten. Er hat gesehen, dass es uns ernst war und meinte: »Gut, das kann ich verstehen. Aber dass ihr alle gleichzeitig gehen wollt, dazu überlege ich mir noch etwas. Kommt mal in einer Woche wieder.« Er machte uns dann ein sehr gutes Angebot, und so sind wir nacheinander ausgestiegen. Ich persönlich habe das Bundestagsprojekt zu Ende gebracht, d. h. ich bin anderthalb Jahre später ausgeschieden als die anderen.

Wie hat sich die Architektur in Ihrem eigenen Büro dann verändert? Kann man sagen, dass Sie sich von Behnisch entfernt haben, und wenn ja, in ­welche Richtung?
Burkart: Wir haben uns nicht wirklich von ihm wegentwickelt, v. a. hat sich unsere Arbeit von den Aufgaben her geändert. Wir sind mit bescheidenen Aufträgen eingestiegen und haben uns langsam hochgearbeitet. Das begann mit einer Garage hier, einem Balkonanbau da und mit Messebauten für Daimler. Unsere Architekturhaltung hat sich dabei nicht sehr gewandelt, aber es gab nach und nach neue Einflüsse, etwa die heutigen Bauvorschriften. Dadurch wurde unsere Architektursprache strenger. Aber ich finde, z. B. bei unseren Bädern schaffen wir es immer noch ganz gut, relativ frei zu agieren und offene Räume zu entwerfen.

Ditschuneit: Unsere Architektur hat sich aber nicht nur durch die technischen Zwänge verändert. Wir gehen auch bewusst anders an die Dinge heran, nicht mehr additiv, sondern mehr kubisch, z. B. jüngst in Wien, bei diesen verputzten Badehäusern. Es ist gibt dort noch schiefe Winkel und alles fließt, aber die Bauteile sind nicht mehr so locker gefügt, sondern kompakter, massiver.

Ist denn Behnisch-Architektur heute überhaupt noch zeitgemäß?
Tillmanns: Ich finde, dass unser Bundestag auch heute noch toll dasteht und eine Ikone ist. Aber wenn ich sehe, wie Behnisch seine ersten Schulen gebaut hat, wo die Stahlträger ruppig durchs Glas stoßen: Das kann man heute nicht mehr so machen. Die Bedingungen haben sich ja geändert, die Wärmeschutzverordnung, das ganze Vergabewesen. Mich würde wirklich interessieren, wie Behnisch heute damit umginge. Er hat sich ja schon damals gegen diese ­Verwaltungsvorgaben aufgelehnt und hat mutig Anderes gemacht.

Die den Rationalisten so wichtige Symbolhaftigkeit von Archetypen ist für Sie nicht von Interesse?
Tillmanns: Mich persönlich hat es immer mehr gereizt, wenn ein Bauwerk nicht wie ein herkömmliches Haus aussieht. Wenn das Gebäude mehr zu sagen hat als ein einsilbiger Archetypus. Wenn man die Nutzungen und Funktionen neu denkt und sich die Dinge anders ausformulieren können als gewohnt.

Nehmen Sie sich Themen vor, gibt es narrative Elemente? Bei Behnisch kam das nie in Frage …
Burkart: Wir entwickeln unsere Entwürfe immer aus dem Ort heraus und gewinnen daraus Motive. Bei der Wiener Therme orientierten wir uns an einem Bachlauf, der sich zwischen Steinen hindurchwindet. In Luxemburg schwebt der Bau topografiebedingt über der Badehalle und die golden eloxierte Fassade bezieht sich auf die Gemarkung »Am Sand« …

Ditschuneit: … und bei der Bodensee-Therme ist es das Schiffsthema, zu ­sehen am Saunahaus, das mit einer Dachterrasse und einer Reling zum See hin auskragt. In Bad Ems sind die Kieselsteine das Motiv.
Burkart: Wir suchen damit durchaus auch nach Themen, die so ein Projekt marketingmäßig tragen, die sich verkaufen lassen. Denn die Badbetreiber legen heute Wert auf Alleinstellungsmerkmale.

Ist das nicht zwangsläufig mit formalen Spielereien verbunden?
Ditschuneit: Das ist es durchaus, wenn z. B. die Form der Fenster von den Flusskieseln abgeleitet ist.

Matthias Burkart: Die Gebäudehülle folgt heute vielleicht mehr formalen Ideen, aber die Grundrisse zeigen immer noch das Prinzip des von innen nach außen fließenden Raums. Natürlich muss das Sportschwimmerbecken immer rechteckig sein, aber ansonsten gibt es organische Formen, etwa bei den Planschbecken und den Außensaunen.

Sie sagten, Ihre Architektur sei formaler geworden. Wie kann man das verstehen?
Tillmanns: Uns interessiert heute durchaus, wie das Bild des Gebäudes wirkt. Bei Behnisch hat sich alles von innen heraus entwickelt und die Außenansicht ist dann eben wie von selbst entstanden. Wir machen schon noch einmal den Rückgriff auf den Grundriss und betreiben dieses Hin-und-her-Spielen zwischen äußerer Gestalt und Funktion. Aber wenn ich alte Behnisch-Gebäude angucke, dann dreht es mir manchmal den Magen um, wie lässig mitunter Details entstanden sind. Behnisch hat das damals nicht gestört, der fand das gut.

Burkart: Wie bereits gesagt: Formale Aspekte sind auch oft dem Wunsch der Bauherren nach dem Alleinstellungsmerkmal geschuldet. Bei der Erweiterung der Wilhelm-Maybach-Schule in Stuttgart-Bad Cannstatt zum Beispiel wurde die Aufstockung mit einem eigenen Tragwerk über das bestehende Schulgebäude gestülpt. So etwas kann man dann schon abschätzig formale Spielerei nennen, aber wir finden es legitim, denn es handelt sich um eine Ausbildungsstätte für Automobiltechnik. Wenn die Statik für eine normale Aufstockung ausgereicht hätte, wäre es wahrscheinlich weniger interessant ­gewesen.

Also ist es zutreffend, dass Sie und andere Architekten aus dem Behnisch-Umkreis ihre Architektur verfeinern, delikater und perfekter machen, obwohl Behnisch ja Akkuratesse und Perfektion hasste?
Tillmanns: Das kann man so sagen. Uns interessiert, wie gesagt, das gute ­Detail und die ortsspezifische Thematik.

Wie sieht es mit dem Einsatz von Farbe aus?

Tillmanns: Wir arbeiten mit kräftigeren Farben, während Behnisch damals mit Christian Kandzia zusammen die Bauteile in Pastelltönen anlegte. Er zerstückelte die Elemente und Zusammenhänge sozusagen durch die Farbgebung und unterteilte ihm zu mächtige Baukörper durch differenzierte Farben in Einheiten kleineren Maßstabs. So etwas machen wir nicht. Bei uns dürfen ein Dach ein Dach, eine Wand eine Wand und ein Fenster ein Fenster sein.

Burkart: Über Farbe wird jedenfalls in unserem Büro heiß diskutiert. In den Anfangstagen gab es relativ wenig Geld und da war Farbe natürlich immer ein Thema, weil man damit auf einfachem Wege viel erreichen kann: Strukturen größer oder kleiner wirken lassen, Stimmungen und Atmosphäre erzeugen usw. Höhepunkt war die Moskauer Therme ELSE-Club, in die wir eine ­geschwungene Wand, eine Art goldenes Ei gesetzt haben. Wir haben dabei keine goldene Farbe, sondern tatsächlich Blattgold verwendet. Die Reflexionen im Wasser, ein goldenes Schimmern, erzeugt eine besondere Atmosphäre. Von dort war der Schritt zur reinen Materialwirkung nicht weit. Pures Mate­rial wird bei uns immer wichtiger.

Wie hätte wohl Behnisch auf das Gold reagiert?
Ditschuneit: Ach, er hätte wahrscheinlich gesagt: »Wenn schon, dann müsst ihr echtes Gold nehmen.«

Burkart: Allerdings würden wir so etwas wie 2007 in Moskau heute nicht mehr machen. Was Farben betrifft, sind wir gerade eher in der Reduktion ­begriffen.

Ditschuneit: Außer bei den Bädern. Gerade an deren Decken bleibt Farbe ­etwas ganz Wichtiges. In Wien, wo wir nicht viel Geld zur Verfügung hatten, wollten wir zuerst eine schöne Holzdecke einbauen. Doch dann wurden es farbige Heraklitplatten: Die sind nicht teuer und akustisch vorteilhaft – im Hallenbad enorm wichtig – und die stehen in 300 verschiedenen Farben zur Verfügung. Wir haben Fotos in diesem Plattenformat gepixelt und für jede Halle, für jeden Bereich eine eigene Farbstimmung bekommen, von Frühlingsmotiven bis hin zu Winter- und Eisbildern. Die Wände sind hingegen nur grau oder weiß verputzt oder betonsichtig.

Burkart: … ein atmosphärisches Thema: Naturbilder zu Frühling, Sommer, Herbst und Winter, verpixelt als Abstraktion. Wenn man hindurchgeht, spürt man, wie sich die Bereiche und die Stimmungen ändern. Darin sehe ich auch einen entscheidenden Unterschied zur Behnisch. Der hatte kein Interesse, so ein Thema durchzudeklinieren oder Symbolik einzubringen. Die Farben als Symbol für die Jahreszeiten – einen solchen Transferschritt hätte er nie voll­zogen.

Noch eine letzte Frage: Ist mein Eindruck richtig, dass man mit Ihrer ­Auffassung von Architektur v. a. in Südwestdeutschland erfolgreich ist? Dass das in anderen Gegenden Deutschlands nicht akzeptiert wird, bei Wettbewerben z. B.?
Ditschuneit: Die Erfahrung haben wir gerade jüngst wieder gemacht, bei ­einem Wettbewerb, wo der Bauherr ausdrücklich unsere »süddeutsche Architektur« nicht wollte.

Burkart: Wir überlegen uns deshalb, mit gleichgesinnten Büros eine Art ­süddeutsche Allianz zu bilden, um gegen eine Fraktion, die für massive, schwere Architektur steht, zu bestehen. Denn wir haben bei Wettbewerben oder bei Preisgerichten das Gefühl, dass die mehr zusammenhalten als wir und dass wir mit unseren Arbeiten nicht richtig nach vorne kommen. Wir sind diesbezüglich wahrscheinlich, wie generell, ein bisschen zu lässig.

Herr Burkart, Herr Ditschuneit und Herr Tillmanns, vielen Dank für das Gespräch.

db, Mo., 2017.10.02



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db 2017|10 Stuttgart

01. Juli 2016Falk Jaeger
db

Wohlfühlräume für Nerds

Mit repetitiven Elementen und Fassaden aus flachen Ziegelsteinen bezieht sich das schmucke Software-Haus auf das industrielle Gefüge der Stadt, nimmt sich aber auch alle Freiheiten, einen offenen und gleichzeitig ikonischen Ort zu schaffen, ohne dabei Funktionalität und Energieeffizienz außer Acht zu lassen.

Mit repetitiven Elementen und Fassaden aus flachen Ziegelsteinen bezieht sich das schmucke Software-Haus auf das industrielle Gefüge der Stadt, nimmt sich aber auch alle Freiheiten, einen offenen und gleichzeitig ikonischen Ort zu schaffen, ohne dabei Funktionalität und Energieeffizienz außer Acht zu lassen.

So geht’s in der IT-Wirtschaft zu. Kaum ist das neue Verwaltungsgebäude des boomenden Software-Entwicklers fertiggestellt, gibt es die Firma schon nicht mehr, resp. ist sie in der des bisherigen Hauptauftraggebers aufgegangen (nicht zum Schaden des Gründers übrigens). Vor dem Sitz der polnischen ERICPOL in Łódź wehen jetzt die Fahnen von Ericsson.

Łódź, die ziemlich in der Mitte Polens gelegene drittgrößte Stadt des Landes, hatte ihre besten Zeiten im 19. Jahrhundert, als sich das »Manchester Polens« zu einem Zentrum der Textilindustrie mit über 500 Fabriken entwickelte. Nach dem Krieg wurden die eindrucksvollen burgenartigen Backsteinfabriken baulich vernachlässigt. Viele standen leer und weitere wurden nach der politischen Wende von 1989 aufgegeben. Noch immer steht man, ähnlich wie in Chemnitz, vor der Herkulesaufgabe, die voluminösen denkmalgeschützten Gemäuer der Reihe nach zu sanieren und neuen Nutzungen zuzuführen.

Einer der profiliertesten Fabrikanten war Karl Wilhelm Scheibler, dessen Neorenaissancevilla an der Hauptachse der Stadt, der historistischen Prachtmeile Piotrkowska, steht. An seinem rückwärtigen Garten angrenzend ein ehemaliges Freibad, auf dessen Areal das Ericpol-Gebäude errichtet wurde. Weitere unmittelbare Nachbarn sind historische Arbeiterwohngebäude des Tymienieckiego Industriequartiers.

Es ist gewiss nicht die Regel, dass ein neues Bürogebäude so achtsam nach den Gegebenheiten der unmittelbaren Umgebung in seine Form gebracht wird. Wo der Baukörper seinen Platz fand, wie er sich gegen die Straße öffnet, wie er gegenüber dem historischen Arbeiterwohnhaus respektvoll zurückweicht, wie er zum Garten hin den Grünraum gleichsam umarmt, wie sich das große Volumen in zwei Trakte teilt, die sich durch Biegung dann doch in einer gemeinsamen Erschließungszone treffen, wie der Bau zwei nach innen wirksame Plazas bildet, all dies ist sorgsam ausgeklügelt, ist eine Qualität für sich und hat wesentlich zum Gewinn des Wettbewerbs beigetragen. Den Bauauftrag bekamen die Architekten von HORIZONE Studio erst, als sie die Einigung mit der Denkmalpflege nachweisen konnten, die bei Bauhöhe, Position, Rückstaffelung und Materialität erheblichen Einfluss geltend machte, aber auch bei unkonventionellen aber qualitätvollen Ideen mitzugehen bereit war.

Die Grundrisse zeigen eine »normale« Zweibundanlage, mit einer Erschließung im Zentrum, wo sich die Flügel treffen. Diese Anordnung ermöglicht eine Unterteilung und flexible, kleinteilige Vermietung des Gebäudes, das von der STRABAG als Investorenprojekt für mehr als 700 Arbeitsplätze errichtet wurde.

Im Zentrum sind auch die mit Akustikglas umfangenen Besprechungsräume angeordnet, die den attraktiven Durchblick durch das Gebäude nicht behindern. Beliebte spontane Laptoparbeitsplätze und Pausenorte sind die Dachterrassen mit gläsernen Brüstungen für den ungehinderten Ausblick ins Grüne, hier, keine 150 m von der Hauptgeschäftsstraße entfernt.

Bevor Dominik Darasz, Bartlomiej Kisielewski und Robert Strzeński 2009 in Krakau ihr gemeinsames Büro HORIZONE Studio gründeten, sammelten sie in Büros in Helsingborg, Berlin und Dublin internationale Erfahrungen. So sind sie denn auch mit den Standards vertraut und Einflüsse von David Chipperfield, aber auch von Justus Pysall, bei dem Kisielewski gearbeitet hatte, sind deutlich zu spüren. Ericpol ist der größte Bau, den sie bisher realisieren konnten. Sie gewannen damit auf Anhieb den SARP Year Award für das beste polnische Gebäude 2015 in der Kategorie öffentliche Bauten und Bürobauten, vergleichbar dem deutschen BDA-Preis, sowie eine ehrende Erwähnung beim polnischen Brick Award 2015.

Denn die aufs Feinste gemauerten Fassaden sind mit handgestrichenen, sehr flachen und hellen Ziegeln des Typs »Kolumba« verkleidet, den Peter Zumthor für das Museum Kolumba in Köln entwickelt hatte.

Trotz der langen raumhohen, horizontalen Fenster, deren Pfosten als Glasschwerter ausgeführt sind, um Diagonalblicke nicht zu stören, sowie der schmalen Loggien (zählen als Feuerüberschlagsfläche, sind aber als Austritte und Raucherecken willkommen), erscheinen die Stirnflächen der Gebäudeflügel als massivere Wände. Dagegen sind die Längsfassaden durch eng getaktete Fenster fast aufgelöst. Deren strenge, repetitive Vertikalgliederung soll an die alten Fabrikbauten erinnern. Tiefes Relief und gleichzeitig Schutz vor schräg einfallendem Sonnenlicht erhalten die Fassaden durch die perforierten Lisenen, hinter denen sich Öffnungsflügel verbergen und die mit Frontblenden in den Farben von Ericpol besetzt sind. Der Sonnenverlauf wurde während der Planung eingehend analysiert, sowohl was die Belichtung, als auch was den Energieeintrag betrifft. Süd-, Ost- und Westfassaden wurden mit einer Doppelverglasung aus Sonnenschutzglas ausgerüstet, während die Nordfassade, die im Winter größeren Wärmeverlusten ausgesetzt ist, eine Dreifachverglasung erhielt. Perforierte, sonnen- und windabhängig automatisch gesteuerte Jalousien, kernaktivierte Betondecken und das elektronische, lernfähige Energie- und Betriebsmanagement des Gebäudes entsprechen westlichen Standards.

Verglichen mit anderen polnischen Neubauten fällt aber auch die hohe Qualität der Materialität und der tadellosen Bauausführung auf. Die augenfällige Präzision trägt zur signifikanten Eleganz des Gebäudes bei, die sich ansonsten aus der Baukörpergliederung mit ihren Schwüngen und den aufgefächerten Höfen ergibt.
In den Innenräumen herrscht die Nonchalance der IT-Branche. Sichtbetondecken, weiße Gipskartonwände, Büromöbel ohne Anspruch, jede Menge Bildschirme. Man starrt auf die Screens oder entspannt sich auf dem Sofa oder beim Zimmerbasketball, bis man wieder eine neue Idee hat. Hier und da im Flur eine Tafelwand, die beim informellen Stand-up Meeting mit Funktionsschemata, Formeln und/oder Comics vollgekritzelt wird.

Die Herrschaften, die ansonsten die Flurwände »bevölkern«, haben alle irgendetwas mit der IT-Historie zu tun oder sind geradewegs gängigen Computerspielen entsprungen. Kunststudenten haben Gelegenheit bekommen, ihre Vorstellungen zum vorgegebenen Thema an die Wände zu pinseln.

Teeküchen sind in grellen Farben gehalten. In den Treppenhäusern zeigt sich wieder die gestalterische Kraft der Architekten: Mit einfachen Materialien, Beton, Stahl und jeweils einer kräftigen Farbe auf der Treppenwange sowie raffinierter Lichtführung werden aus den als Rettungswegen notwendigen Erschließungselementen fast elegant zu nennende Treppenräume, die zu begehen eine angenehme Alternative zur Aufzugsfahrt sind.

Es ist ohnehin die Stärke des Gebäudes, den Nutzern vielfache Alternativen zur Verfügung zu stellen und die Durchblicke und Ausblicke ins Haus zu holen, um den hier tätigen kreativen Nerds optimale Bedingungen zu bieten, die diese mangels Interesse von selbst nie einfordern würden, die sie aber in ihrer Arbeit mit Wohlgefühl unmerklich unterstützen. Und dies ganz beiläufig, mit Stil und Eleganz, sodass das Gebäude auch als Sitz einer großen Anwaltssozietät Staat machen könnte. Denn wer kann schon wissen, wie es Ericsson in drei Jahren ergehen wird.

db, Fr., 2016.07.01



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db 2016|07-08 Polen

07. Oktober 2013Falk Jaeger
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Tanzende Quader

Es zählt die Lage: Das 8 x 12,5 m messende Grundstück könnte – am Eingang des Pfefferberg-Areals, von Künstlerateliers umgeben – für ein privates Museum kaum besser gelegen sein. Aber 100 m² Grundfläche sind für ein Ausstellungs- und Depotgebäude nicht gerade üppig. Mit verschiedenen Auskragungen nimmt die Bauskulptur das unausweichliche Übereinanderstapeln der Funktionen wörtlich und schafft differenzierte Räume für das kostbare Ausstellungsgut. Auch die kunsthandwerkliche Innengestaltung nimmt Bezug auf die Preziosen und schafft erlebnisreiche Räume, die – gerade der beengten Verhältnisse wegen – Freude bereiten und die Wahrnehmung schärfen.

Es zählt die Lage: Das 8 x 12,5 m messende Grundstück könnte – am Eingang des Pfefferberg-Areals, von Künstlerateliers umgeben – für ein privates Museum kaum besser gelegen sein. Aber 100 m² Grundfläche sind für ein Ausstellungs- und Depotgebäude nicht gerade üppig. Mit verschiedenen Auskragungen nimmt die Bauskulptur das unausweichliche Übereinanderstapeln der Funktionen wörtlich und schafft differenzierte Räume für das kostbare Ausstellungsgut. Auch die kunsthandwerkliche Innengestaltung nimmt Bezug auf die Preziosen und schafft erlebnisreiche Räume, die – gerade der beengten Verhältnisse wegen – Freude bereiten und die Wahrnehmung schärfen.

Ein labyrinthisches Privathaus, das Anwesen des Architekten Sir John Soane, gilt als Ort der weltweit größten Dichte an architektonischer Kultur. Das großartige Museum in London ist gleichzeitig das älteste Architekturmuseum der Welt. Wenn das Soane's nun die Eröffnungsausstellung der Tchoban Foundation in Berlin bestreitet, so ist der Bogen geschlagen zum jüngsten Architekturmuseum der Welt, denn im Quartier der ehemaligen Brauerei Pfefferberg, in direkter Nachbarschaft des Internationalen Architekturforums Aedes, öffnete im Juni das neue Haus der Tchoban Foundation Museum für Architekturzeichnung seine Pforten.

Der in St. Petersburg geborene Architekt Sergei Tchoban, Partner im Berliner Büro nps tchoban voss und im Moskauer Büro Speech Tchoban & Kuznetsov, ist selbst einer der bedeutendsten Architekturzeichner und mit eigenen Ausstellungen im In- und Ausland präsent. Er ist aber auch Sammler, Förderer, Impresario und Kurator dieser Kunstsparte, die mit dem Aufkommen des CAD, des architektonischen Entwerfens am Computer, ihre Bedeutung als Gebrauchsgrafik in der Baupraxis verloren hat und heute nur noch zum Bereich der Schönen Künste zählt. Seine Sammlung umfasst eine Zeitspanne vom 17. bis in unser Jahrhundert und hat einen Schwerpunkt auf den russischen Konstruktivisten der 20er Jahre. Die bedeutenden Blätter hat Tchoban zum Großteil in eine Stiftung eingebracht, deren neues Museum freilich nicht nur die eigene Sammlung präsentieren soll. Vielmehr hat Sergei Tchoban ein internationales Netzwerk aufgebaut und beispielsweise mit Ausstellungen in der Eremitage St. Petersburg, in der Académie des Beaux Arts in Paris oder im Londoner Soane's den Grundstein für gegenseitigen Austausch gelegt.

Das Soane's Museum bestritt denn auch die Eröffnung mit einem Paukenschlag: »Piranesis Paestum – Neuentdeckung der Meisterzeichnungen«. Zu sehen waren – leider nur bis Ende August – die raren Handzeichnungen des Künstlers, der für seine berühmten Kupferstiche der »Imaginären Gefängnisse« und der römischen Veduten sonst nur Vorskizzen angelegt hatte. Den Zyklus der Tempel von Paestum hatte Giovanni Battista Piranesi 1788 im letzten Lebensjahr mit schwindenden Kräften als detaillierte Ansichten gefertigt, damit sie sein Sohn in Kupfer stechen und postum veröffentlichen konnte. Bis Mitte Februar ist nun die Ausstellung »Architektur im Kulturkampf« zu sehen (Di-Sa 10-17 Uhr, Eintritt frei), die ausschließlich Werke aus der eigenen Sammlung zeigt. Das neue Berliner Museum ist der ideale Ort für derlei intime Kabinettausstellungen.

Von außen scheint das Gebäude wie aus vier nahezu geschlossenen Volumina locker aufgetürmt. Die Wände der tanzenden Quader bestehen aus einem beigefarbenen Beton, der fast wie steinmetzmäßig bearbeiteter Sandstein aussieht und mit Fassadenreliefs dekoriert ist. Die Motive entstammen u. a. der ersten Zeichnung, mit der Tchoban seine Sammeltätigkeit begann, einem Blatt von Pietro di Gonzaga aus dem beginnenden 19. Jahrhundert. Die Zeichnung wurde gescannt, einzelne Partien stark vergrößert und in Form von Kunststoffmatrizen in die Betonschalung eingebracht. Die Farbe des Betons lässt an vergilbtes Papier denken, und die Zeichnungen scheinen sich aufzufächern wie ein Stapel Blätter. So wird die Zweckbestimmung des Baus im Sinn einer narrativen Architektur schon von außen deutlich gemacht.

Zurzeit entsteht gegenüber ein von Justus Pysall entworfenes Atelierhaus in ähnlicher Größenordnung, gewissermaßen der Gegenentwurf mit transparenter, gläserner Fassade. Wie Scylla und Charybdis werden die beiden den Zugang zum neuen Berliner Kulturbrennpunkt Pfefferberg bewachen – und vielleicht auch die Passanten unwiderstehlich anziehen.

Die Wahl fiel auf das nur rund 100 m² messende Grundstück, weil es, etwa im Unterschied zu alternativen Industrieetagen, Gelegenheit bot, in einem angemessenen, kulturell aufgeladenen Umfeld eine eigene Adresse, ein eigenes Haus für das Museum zu schaffen.

Das Grundstück wurde vollständig überbaut, doch weil das Haus mit einer Seite am Teutoburger Platz und mit zwei Seiten am gepflasterten Hof des Pfefferbergs liegt und nur mit einer Seite an die Brandwand eines Nachbarhauses grenzt, kann es seine Außenwirkung voll entfalten. Rücksicht zu nehmen galt es nur in Bezug auf die Stabilität der alten Brandwand und auf die Gefahr eines Brandüberschlags übereck, die eine Brandschutzverglasung erforderlich machte. Ansonsten galt § 34 BauGB – inwieweit sich der Neubau »nach Art und Maß« in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt, wurde in detaillierter Abstimmung mit Stadtplanungsamt und Denkmalschutzbehörde ausgehandelt. Wirft sich linker Hand das 125 Jahre alte Brauereigebäude, in dem Olafur Eliasson mit 70 Mitarbeitern seine Kunstwerke produziert, als Backsteinversion eines florentinischen Palazzos in die Brust, so vermag Tchobans Museum den Aufmerksamkeitsgrad durchaus noch zu steigern. Es ist schon staunenswert, wie oben auf der irgendwie ägyptisch anmutenden Bauskulptur eine gläserne, an der auskragenden Unterseite verspiegelte Kanzel thront. Die inszenierte Dramaturgie der Annäherung führt vom großen Ganzen zum Detail, von der zyklopischen Stapelung über das Fassadenrelief zur Oberfläche und zur Materialtextur und beim Eintritt ins Innere vom Vorplatz über die Eingangsnische, das intime Foyer, die Treppe mit wechselseitiger Aussicht, die bergenden Ausstellungsräume bis hinauf zum gläsernen Penthaus mit Rundblick auf die Industriekultur, die Dächer des Quartiers und den grünen Stadtpark.

Im Innern wirkt es, sorgsam detailliert und in edlen Materialien ausgeführt, wie ein Schatzkästchen. Das EG wird vom Empfang und einer kleinen Präsenzbibliothek eingenommen. Die Wandvertäfelung aus Nussbaumholz wiederholt die Fassadenmotive. Auch die Betonwände des Aufzugsschachts sind mit dem Dekor reliefiert. Man fährt mit dem gläsernen Lift gewissermaßen durch die Baugeschichte, hat aber auch den Außenbezug.

Der Gestaltung der beiden Ausstellungsgeschosse waren umfangreiche Untersuchungen vorausgegangen. Wie groß müssen (dürfen) die Kabinette sein, in denen die meist nicht besonders großformatigen Blätter gezeigt werden? 3,75 m Wandabstand wurde für das Betrachten der Formate als optimal empfunden. Mit bis zu 70 Zeichnungen sollte eine Ausstellung bestückt werden können, dies die Maßgaben. Es zeigte sich, dass sich diese Verhältnisse auf dem Grundstück gut einrichten lassen. Die geknickten Raumgrundrisse tragen zur Differenzierung bei und wirken der Beengtheit entgegen, wie auch einzelne Fenster und die Loggia im zweiten OG.

Der Zuschnitt der Räume, v. a. aber die Auswahl der Baustoffe bringt einen weiteren Vorteile mit sich: Die konservatorischen Verhältnisse Belichtung, Temperatur und Feuchtigkeit lassen sich so präzise wie bei kaum einem anderen Museum auf die Anforderungen historischer Grafiken einstellen. Mit ihrer Fähigkeit, Feuchte und Wärme aufzunehmen bzw. abzugeben, wirken bereits die thermisch trägen Kalksandsteinwände und ihr Kalkzementputz auf natürliche Weise ausgleichend auf das Raumklima, welches in erster Linie auf die empfindlichen Exponate abgestimmt wird. Durch einen Fallluftstrom sind diese gegen die Emissionen der Besucher abgeschirmt. Dies alles überzeugt die Leihgeber, die ihre Schätze in die Tchoban Foundation gewissermaßen zur Erholung schicken können. Die diffusionsdichte Konstruktion aus weitgehend wiederverwertbaren Baustoffen sowie die energiesparende LED-Beleuchtung erlaubten es, mit denkbar geringen Luftwechselraten zu operieren und somit auch den Raumbedarf für die Gebäudetechnik zu minimieren.

Da die Raumtemperatur über die Heiz-/Kühldecke geregelt wird, kann die Klimaanlage – im Idealfall – außerhalb der Öffnungszeiten sogar abgeschaltet werden. Der rechnerisch spezifische Gesamt-Energiebedarf liegt bei überdurchschnittlich guten 250 kWh/a·m².

Auf die beiden Ausstellungsebenen folgt ein Lagergeschoss mit fest eingebauten Depotschränken als Schauarchiv. Bekrönt wird der hermetische Bau von einem gläsernen Quader mit Rundumsicht und zwei Dachterrassen, wo Kuratoren und Verwaltung einen wunderbaren Arbeitsplatz vorfinden.

Natürlich hat das Haus kein besonders günstiges Verhältnis zwischen Erschließungsflächen und Nutzflächen. Dazu trägt auch die aufwendige Klimatisierung mit auf- und absteigenden Schächten bei. Aber es ist maßgeschneidert, hat für die Ausstellungszwecke die optimale Größe und ist mit wenig Personal zu betreiben.

Expandieren wird das buchstäblich auf »kleinem Fuß« existierende Museum nicht können, aber wer würde sich das wünschen? In Zeiten der kaum zu bewältigenden Mega-Ausstellungen tut es gut, sich auf die stillen Qualitäten der wunderbaren, ausgesuchten Blätter einer überschaubaren Ausstellung zu konzentrieren. »Klein aber fein«, der klischeehafte Spruch war selten so angebracht wie beim neuen Museum für Architekturzeichnung in Berlin.

db, Mo., 2013.10.07



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db 2013|10 Auf engem Raum

02. September 2013Falk Jaeger
db

Ordnung attraktiv gemacht

Viele Architekten neigen dazu, die von ihnen generell favorisierte disziplinierte Gestaltung, Ordnung und Materialgerechtigkeit für ein probates pädagogisches Programm zu halten, mit dem man Kindern per Schulbau das »richtige« ästhetische Verständnis beibringen kann. Sie irren. Dass ein Schulbau andererseits keine Räuberhöhle oder gebauter Dinosaurier sein muss und trotz regelhafter Architektur erlebnisreich und anregend sein kann, haben wulf architekten in Karlsruhe bewiesen.

Viele Architekten neigen dazu, die von ihnen generell favorisierte disziplinierte Gestaltung, Ordnung und Materialgerechtigkeit für ein probates pädagogisches Programm zu halten, mit dem man Kindern per Schulbau das »richtige« ästhetische Verständnis beibringen kann. Sie irren. Dass ein Schulbau andererseits keine Räuberhöhle oder gebauter Dinosaurier sein muss und trotz regelhafter Architektur erlebnisreich und anregend sein kann, haben wulf architekten in Karlsruhe bewiesen.

Ein wenig abseits liegt die Karlsruher Nordweststadt schon, eine bleiern ruhige Schlafstadt, angelegt nach dem Trabantenstadtprinzip in den 60er Jahren. Bedeutende Architektur hat das Quartier nicht zu bieten, Einfamilienhäuser ohne Ende, hier und da etwas Geschosswohnungsbau, die eine oder andere Schule, ein Sportplatz. Am bemerkenswertesten noch das Wilhelmine-Lübke-Altenwohnheim, 1968 von Bertold Sack erbaut und offenkundig der Ära der Terrassenbauten von Faller und Schröder zuzurechnen. Doch dann lässt am Ende der Trierer Straße ein Ensemble aufmerken, das einen Epochensprung anzeigt. Nicht etwa durch extravagante Bauformen oder schiere Größe, sondern durch eine angesichts des Béton brut in der Nachbarschaft fast elegant zu nennende Leichtigkeit und Anmut: die neue Grundschule von wulf architekten.

Zunächst markiert ein merkwürdiger, offener Campanile den Zugang, der Glockenturm der rechter Hand benachbarten Jacobuskirche. Turm und Gemeindezentrum aus den 60er Jahren einerseits und die Evangelische Grundschule andererseits bilden einen wohlproportionierten Platz, der mit einem althergebrachten Schulhof nicht mehr viel gemein hat. Die Schule selbst versucht gar nicht erst, sich mit abweichenden Baukörperformen unter all den orthogonalen, flach gedeckten Quadern der unmittelbaren Nachbarschaft besonders zu positionieren, sondern ordnet sich städtebaulich unauffällig ein. Sie besteht aus Schulhaus und Sporthalle, zwei klaren, zweigeschossigen Baukörpern. Fragilen, leichten Volumen, deren Körperlichkeit sich bei Annäherung mehr und mehr aufzulösen scheint.

Der erstaunliche Effekt ist den geschosshohen, vertikalen Aluminiumlamellen geschuldet, die in unregelmäßigem Rhythmus zwischen die liniendünnen Deckenplatten gespannt sind und die Außenhaut der beiden Gebäude in einen farbig oszillierenden Schleier verwandeln. Zu der einen Seite sind alle Lamellen in Rot- und Pinktönen lackiert, zur anderen hin in Grüntönen. Einzelne Lamellen sind in Gelb gehalten. Die Stirnseiten zeigen Aluminium-Naturton, ebenso wie die schlanken konstruktiven Stützen übrigens. So wandelt sich das Bild im Vorbeigehen oder im Zusammenklang der beiden versetzt zueinander stehenden Baukörper. In der Bewegung entsteht ein Vexierbild.

»Fröhliche Farben«, der Topos kommt einem in den Sinn und bestimmt den ersten Eindruck. Dennoch handelt es sich nicht um eine hemmungslos bunte Schule; kräftige Farben tauchen nur noch einmal auf, bei den Gewänden der Oberlichter in der zentralen Halle des Schulhauses.

Die zweigeschossige Halle ist Erschließungsraum, Versammlungshalle, aber auch pädagogisches Element, denn die Evangelische Grundschule Karlsruhe ist eine Ganztagsschule mit Montessori-Pädagogik. Die Schule soll nicht nur Lern-, sondern auch Lebens- und Erfahrungsraum in einem umfassenden Sinne sein. Demgemäß ist das Raumprogramm nicht auf Flure, Klassenzimmer und Aula beschränkt. Das »Lernhaus« (wie es in der Montessori-Pädagogik heißt) bietet ein offenes, zweigeschossiges Zentrum mit Freitreppe und Podium sowie Nutzungsbereichen vor den Klassenzimmern. Das Podium aus einzelnen Kiefernholz-Elementen lässt sich für verschiedene Nutzungen zu unterschiedlichen Ebenen und Sitzanordnungen arrangieren. Auch andere Einbauten wie die Garderoben sind aus dem lebendig gemaserten Seekiefernholz gefertigt und prägen den Charakter des Raums.

Wunderbarer Bewegungsraum

Um die zentrale, von Zenitlicht belichtete Halle herum reihen sich im EG der Andachtsraum, der am Abend auch separat vom Windfang aus zu erreichen ist, vier Klassenzimmer mit zwei Multifunktionsräumen, ein Lehrerzimmer und eine große Küche. Treppauf ein ähnliches Raumprogramm mit vier Klassen, Lehrerzimmer, Musikraum, Werkraum, Bibliothek und einer weiteren Küche.

Frontalunterricht vor einer homogenen Klasse spielt in der Montessori-Pädagogik eine untergeordnete Rolle. Häufig werden die Gruppen gewechselt, neu formiert, die Sitzanordnung geändert. Deshalb sind die quadratischen Klassenzimmer mit 80 m² ungewöhnlich geräumig und erlauben vielgestaltige Nutzungsmöglichkeiten jenseits der üblichen schematisch aufgestellten Schulbankreihen. An den Standards des öffentlichen Schulbauwesens hat man sich bei diesem von der Schulstiftung der evangelischen Landeskirche Baden realisierten Projekt offenbar nicht orientieren müssen, wenngleich das knappe Budget mit 8,25 Mio. Euro zu sparsamer Bauweise zwang. Jeweils zwei Klassen ist noch ein zusätzlicher Multifunktionsraum zugeordnet, der weitere pädagogische Möglichkeiten, etwa des Lernens in kleiner Gruppe eröffnet.

Zwischen der eigentlichen Fassade und dem Lamellenstakkato liegt ein Rundgang, der im oberen Geschoss auch als zweiter Rettungsweg fungiert, aber v. a. natürlich wunderbaren Bewegungsraum für die Kinder abgibt. Den Blick beeinträchtigende Geländer gibt es nicht, nur sehr zarte Metallnetze mit äußerst minimierten Abspannvorrichtungen.

Durchgängig im Haus ist die Wertschätzung und Hinwendung zu den Schülern als Individuen zu spüren, bis hin zum Geschirr für das Schulessen, das nicht als Kantinen-Massenware eingekauft, sondern von den engagierten Eltern nach gestalterischen Gesichtspunkten sorgfältig ausgesucht wurde.

Der zweite Baukörper tritt noch luftiger vor Augen, weil die obere Etage nur aus einer Pergola zu bestehen scheint. Der Bau beinhaltet die Sporthalle, die 3 m tief eingesenkt wurde und oberirdisch normale Geschosshöhe erreicht. An der Südseite liegen im EG die Umkleideräume, im OG Rektorat und Verwaltung der Schule. Die Dachfläche der Halle wird als Pausenbereich und Spielfläche genutzt und auf zwei Seiten von der Pergola begrenzt. Sie ist mit Kunstrasen belegt, als Ballspielfläche markiert und ringsum mit einem fast unsichtbaren Edelstahlnetz umfangen, ein ungewöhnlicher, luftiger Spielraum mit vielfältigen Blickbeziehungen. Die Netze spielen bei dem Bauwerk also eine bedeutende Rolle. Sie sind innen wie außen als ephemere Raumabschlüsse und Brüstungen eingesetzt. Bei den Außentreppen werden sie sogar zu tragenden Elementen, denn die Handläufe sind mit Klemmvorrichtungen am Netz befestigt. So tragen sie wesentlich zum leichten, offenen und reizvollen Erscheinungsbild der Schule bei.

Lehrer haben leichtes Spiel

Die anregende Lernumgebung ist geeignet, im Sinn Maria Montessoris das Interesse und die spontane Aktivität bei den Kindern zu wecken. »Alles, was langweilt, entmutigt oder unterbricht, wird zu einem Hindernis, das durch keine logische Vorbereitung des Unterrichts überwunden werden kann«, ist ihr Credo. So gesehen müssen die Lehrer an dieser Schule wohl leichtes Spiel haben.

Welches Glück sie haben wird deutlich, wenn man z. B. eine der strengen, in düsteren Farben gemauerten Schulen Max Dudlers dagegenstellt. Sie mag gestalterische Qualitäten aufweisen, gut detailliert und solide gebaut sein, aber Kinder sollte man damit nicht behelligen.

Für die Evangelische Grundschule gilt: Selten wird ein pädagogisches Konzept so nonchalant und dennoch so konsequent in Architektur umgesetzt. Selten auch gelingt es in diesem Maß, eine zwanglose, freundliche, bei durchaus beibehaltener gestalterischer Disziplin dennoch räumlich ungemein vielseitige und differenzierte Lernumgebung zu schaffen. In diesem Punkt trennen wulf architekten und z. B. Peter Hübner, der ebenfalls anregende Schulen baut, Welten. Doch hier geht es nach Montessori, die dem Kind eine äußere Ordnung vorgeben möchte, damit es sich in seiner inneren Ordnung daran orientiere. »Sie muss attraktiv sein, um das Kind zu jener Aktivität aufzufordern, die es braucht, um von der äußeren Ordnung zur inneren zu gelangen.« Die Ordnung attraktiv machen, womit sicher auch ästhetisch, schön gemeint ist, das war hier die Aufgabe, die von den Architekten gemeistert wurde. Der Spruch hat gewiss einen langen Bart, aber er scheint hier am Platz: Hier würde man gerne nochmal zur Schule gehen.

db, Mo., 2013.09.02



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db 2013|09 Bauen für Kinder

05. Januar 2012Falk Jaeger
Neue Zürcher Zeitung

Glitzernde Musiktempel

Messegelände, Flughäfen, Kongresszentren, Stadien – China stattet seine rasch wachsenden Millionenstädte mit neuen Infrastrukturen aus. Auch die Kultur kommt nicht zu kurz. Neben Museen und Bibliotheken entstehen architektonisch ansprechende Opernhäuser.

Messegelände, Flughäfen, Kongresszentren, Stadien – China stattet seine rasch wachsenden Millionenstädte mit neuen Infrastrukturen aus. Auch die Kultur kommt nicht zu kurz. Neben Museen und Bibliotheken entstehen architektonisch ansprechende Opernhäuser.

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Presseschau 12

04. Februar 2022Falk Jaeger
Bauwelt

Raus aus dem BMI

Die gesamte Branche ist gespannt auf das neuen Bundesbauministerium. „400.000 neue Wohnungen“ heißt es im Koalitionsvertrag. Doch nicht nur darum sollte sich die Ministerin kümmern.

Die gesamte Branche ist gespannt auf das neuen Bundesbauministerium. „400.000 neue Wohnungen“ heißt es im Koalitionsvertrag. Doch nicht nur darum sollte sich die Ministerin kümmern.

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Bauwelt 2022|03 Im zweiten Anlauf

12. August 2019Falk Jaeger
db

Passgenaues Implantat

Frei von Retro-Allüren haben die Architekten den Neubau geschickt in die Raum- und Belichtungssituationen seiner Nachbarbebauung eingepasst. Mit seinem dunklen Backstein formuliert er klare Raumkanten, bildet mit perforierten Formaten aber auch luftige Brisesoleils und erscheint so gleichermaßen abgezirkelt wie auch durchlässig. Die Unterscheidung in offen und geschlossen bleibt dabei unentschieden in der Schwebe.

Frei von Retro-Allüren haben die Architekten den Neubau geschickt in die Raum- und Belichtungssituationen seiner Nachbarbebauung eingepasst. Mit seinem dunklen Backstein formuliert er klare Raumkanten, bildet mit perforierten Formaten aber auch luftige Brisesoleils und erscheint so gleichermaßen abgezirkelt wie auch durchlässig. Die Unterscheidung in offen und geschlossen bleibt dabei unentschieden in der Schwebe.

»Wenn Sie in die Pawła kommen, schauen Sie genau hin, Sie werden es nicht gleich finden«, war der Rat des Passanten auf die Frage nach dem neuen Kattowitzer Fakultätsgebäude. Der geschulte Blick des Kritikers irrte nicht lange herum, aber der Hinweis war aufschlussreich. Offenkundig ist es den Architekten gelungen, den Bau in die Stadtstruktur aus dem 19. Jahrhundert »harmonisch einzufügen«, wie es in Erläuterungstexten so gerne heißt.

Dabei handelt es sich keineswegs um Anpassungsarchitektur mit irgendwelchen Retro-Allüren, die in dem dicht bebauten Innenstadtquartier unweit des Zentrums und der Kulturmeile in einer schmalen Querstraße ihren Platz fand. Ein immerhin 50 m langer, glatter Monolith, in seiner Körperhaftigkeit betont, indem die Dachkante abgefast ist; durchaus, um die Traufhöhe der Nachbarhäuser aufzunehmen, aber eben in einer ortsunüblichen, skulptu­ralen Form. Unüblich wie die Fassade selbst, ein Überwurf aus Lochziegeln, der dem Auge keine Gliederung bietet, schon gar nicht irgendwelche Fensterformen, Simse und dergleichen. Das Haus verschließt sich auch hermetisch den Blicken von außen und von gegenüber, während von innen die Straße wahrnehmbar ist. Zum Beobachten animiert der Durchblick jedoch nicht, weil das Bild doch stark verpixelt wird und die Tiefe des Ziegelgitters die Schrägeinsicht verhindert. Abends freilich, mit Innenbeleuchtung, kehren sich die Sichtverhältnisse um und aus den gegenüberliegenden Nachbarhäusern sind Menschen zu sehen, die agieren, sitzen, arbeiten.

Das dunkle Ziegelmaterial korrespondiert mit der Umgebung – und mit dem Bestandsbau, der wie ein Exponat vom Neubau gerahmt wird. Dabei ist der zweigeschossige, 140 Jahre alte, typologisch unspezifische Ziegelbau nicht eben eine bauhistorische Preziose und war zum Abriss freigegeben. Doch die Architekten mochten ihn nicht aufgeben, restaurierten ihn und präparierten seine dekorative Fassadengliederung heraus. Die Historie trägt die Gegenwart, das Neue fußt auf dem Alten, so die plakative Aussage. Es gibt Arbeitsmodelle und Skizzen, die wörtlich zeigen, wie der Neubau, scheinbar ohne EG schwebend, huckepack auf dem Bestandsbau sitzt. Auch ideell trägt der historische Bau das Institut, denn im Inneren haben die Architekten in einem zweigeschossigen Raum die Bibliothek, gewissermaßen sein Gedächtnis, untergebracht.

Die Historie war den Architekten jedoch kein Fetisch, denn am rechten Rand haben sie den Altbau kurzerhand um 3,5 m beschnitten. Den schmerzlichen Verlust der Symmetrie haben sie in Kauf genommen, um pragmatisch Platz für die Tiefgarageneinfahrt zu schaffen. Da die Vorhangfassade nicht bis auf Straßenniveau herabreicht, bleibt das EG offen, ist voll verglast. Ein großzügiger, überdachter Vorbereich, ein ebenfalls großzügiger Windfang und die geräumige Lobby schaffen eine offene und transparente Eingangssituation mit unverspiegeltem Durchblick von der Straße bis zum Empfangstresen und in den Hof.

Gestaffelt

Auf dem beräumten Grundstück hatten sich die Architekten mit einer typischen Hinterhofsituation konfrontiert gesehen, mit Seitenflügelgiebeln, angeschnittenen Lichthöfen und schrundigen Brandwänden, an denen sich ­frühere Nachbargebäude palimpsestartig abzeichneten. Glücklicherweise passte das Raumprogramm perfekt und war mit der Randbebauung und ein- bzw. zweigeschossiger randständiger Hofbebauung gut zu bewältigen. Höfe und Einschnitte übernehmen die Baulücken der Umgebung und sorgen für genügend Licht und Luft.

Die Dachflächen der niedrigen Bauteile im Hof sind zwar verklinkert, aber nur zu einem kleinen Teil umfriedet und begehbar. Für so viel (kostenintensiv zu unterhaltende) Terrassenfläche gibt es in der zahlenmäßig kleinen Fakultät keinen Bedarf.

Dafür gibt es den großzügiger »Klosterhof« im Zentrum, der die Gebäude belichtet und als Treffpunkt, Verteiler und Ort für Open-air-Events aller Art fungiert. Und wo keine Fenster möglich waren, in der Nordostecke, ist das hauseigene Kino mit 121 Sitzplätzen untergebracht.

Dominierendes gestalterisches und funktionales Element ist der den meisten Fassaden vorgehängte Schirm aus backsteinformatigen, horizontal liegend ­gestapelten Rahmenziegeln. Das Gitter hat ein Wand-Öffnungsverhältnis von 1:1 und wirkt als Lichtfilter und Sonnenschutz. In den nach Westen gelegenen Büro- und Seminarräumen an der Straßenseite gibt es bodentiefe Fenster, doch der Schirm verhindert direkte Einblicke. Die Hörsäle im DG hingegen erhalten durch Fenster in der Dachschräge ohne Gitterschirm volles Tageslicht.

Die Fassaden zum Hof hin sind je nach Nutzungen nur teilweise beschirmt. Rings um den Hof sind die Studios, Schneideräume, Werkstätten und die Mensa angeordnet. Der renommierte Fotograf und Filmemacher Bogdan Dziworski, derzeit Dekan der Fakultät, hat hier z. B. sein Atelier und gerät über die vielfältigen Möglichkeiten der variablen Lichtverhältnisse ins Schwärmen. Er könne abdunkeln oder volles Tageslicht einlassen, habe den Ziegelschirm zur einen, offene Fenster zur anderen und die Terrasse für Freiluftaufnahmen vor der Tür.

Ein architektonischer Höhepunkt ist die Kaskadentreppe, die auf der Hofseite hinter der haushohen Glasfassade nicht nur zur Erschließung, sondern auch als kommunikatives Element die Geschosse miteinander verbindet. Die nackte Glasfront schien den Architekten zwar zu offen; dass der Ziegelschirm hier aus Kostengründen eingespart wurde, geriet aber eher zum Vorzug. Denn so ergibt sich eine eindrucksvolle, stockwerkübergreifende Glasfassade, hinter der man die Studierenden auf und ab gehen sieht und die für mehr Licht in den hinteren Flurzonen sorgt. Die Schwerter für die Gitterfassade waren schon montiert. Sie blieben – eigentlich nutzlos – vor der Glaswand stehen und geben ihr räumliche Tiefe.

Wie überall im Haus wird deutlich: Den offenen Bereichen spürbare Raumgrenzen zu geben, ist das von den Architekten verfolgte Grundprinzip. So gibt es die Gitter auch als Bereichstrennwände und zwischen manchen Büros und dem Flur. Sie tragen zu einer großen Vielfalt an anregenden Raumeindrücken bei, die beim Gang durch das Haus zu erleben sind, mit Sichtbeziehungen vom Schaufensterblick bis zum heimlichen Auge wie bei der Maschrabiyya (einem dekorativen Holzgitter der traditionellen islamischen Architektur) und ins gleißende Zenitlicht des Himmels. Eine »Schule des Sehens«, wie sie in einer Fakultät der Medienmenschen sicher willkommen ist.

Die Atmosphäre im Haus wird v. a. durch den an Wänden, Treppenstufen und Fußböden der Flure, Säle und Seminarräume allgegenwärtigen Ziegel bestimmt. Einmal glatt versintert, dann wieder als raue Torfbrandklinker, mal flächengleich, dann wieder im lebendigen Relief vermauert, harmoniert der Ziegel mit anthrazitgrauen stählernen Türgewänden, mit warmgelben, gediegenen Holzeinbauten und mit den Betonstützen- und Decken.

Er schluckt freilich auch viel Licht, was sich im Stromverbrauch des Hauses bemerkbar machen dürfte. Vielleicht ist der Umgang mit Licht und Schatten Katalonien, dem Herkunftsland der Architekten, geschuldet. In den heißen Sommern dort ist das prima. Während der osteuropäischen Herbst-und Winterzeit wünschte man sich jedoch, die Vorhangfassaden zur Seite schieben zu können, um jeden Strahl Tageslicht nutzen zu können.

Insgesamt beeindruckt das Geschick, mit dem das Bauvolumen passgenau in die innerstädtische Situation implantiert wurde und mit dem die unterschiedlichen Nutzungen miteinander verknüpft und in die Raum- und Belichtungssituationen eingepasst sind.

Noch befindet sich das Stadtviertel im Halbschlaf. Doch hier und da sind Ansätze neuer Entwicklungen zu registrieren und der Aufschwung des zentrumsnahen Quartiers ist absehbar. Die Radio- und TV Fakultät der Universität mit ihrer agilen, kulturaffinen Studentenschaft wird zweifellos ihren Anteil daran haben.

db, Mo., 2019.08.12



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db 2019|07-08 Offen / Geschlossen

02. November 2017Falk Jaeger
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Raumgefüge

Deutlich größer als Pflegeheime in Deutschland, bietet der innerstädtisch gelegene Komplex Raum für 328 Pflegeplätze und einen Kindergarten. Er zeichnet sich durch eine ideenreiche Konzeption mit großzügigen Bewegungs- und Aufenthaltsflächen und ein Raumzonenprinzip mit kluger Zimmer- und Farbgestaltung aus.

Deutlich größer als Pflegeheime in Deutschland, bietet der innerstädtisch gelegene Komplex Raum für 328 Pflegeplätze und einen Kindergarten. Er zeichnet sich durch eine ideenreiche Konzeption mit großzügigen Bewegungs- und Aufenthaltsflächen und ein Raumzonenprinzip mit kluger Zimmer- und Farbgestaltung aus.

Es ist nicht die Namenspatronin Ingrid Leodolter (1919-86, Ärztin und ­verdienstvolle österreichische Gesundheitsministerin), die die Besucher im Eingangshof des Altenwohn- und Pflegeheims empfängt. Es ist Kaiserin Sisi, die von ihrem Denkmalsockel grüßt. Sie tut das schon seit 125 Jahren, denn auf diesem Grundstück unweit des Westbahnhofs stand zuvor das Kaiserin-Elisabeth-Spital. Im Zuge der Umorganisation der Wiener Krankenhäuser wurde das Spital 2012 im Rahmen des Wiener Geriatriekonzepts von 2007 in ein Pflegewohnhaus des Wiener Krankenanstaltenverbunds umgewidmet. Die Baulichkeiten waren dafür jedoch ungeeignet und mussten zum Großteil dem Bau eines modernen Pflegeheims weichen. Sisi durfte bleiben.

Der Neubau am Kardinal-Rauscher-Platz ist als Pflegeheim ein wirklich ­großes Haus mit immerhin 324 Wohn- und Pflegeplätzen, das einen ganzen Straßenblock einnimmt. Mit vier Geschossen und einer Staffelung nach ­Süden passt es sich in seiner Höhenentwicklung der geschlossenen Block­bebauung des 15. Bezirks Rudolfsheim-Fünfhaus an. Als Baukörper freilich tritt das Haus unmissverständlich auf den Plan. Die Architekten machten gar nicht erst den Versuch, 100 bzw. 115 laufende Meter Bewohnerzimmer zu ­kaschieren und die horizontal dahineilenden Fassaden in einzelne »Häuser« zu gliedern, um sich den Proportionsverhältnissen im Quartier anzupassen. Eigentlich ist man bei einem solchen Haus bemüht, das betreute Dasein der Bewohner und Patienten soweit als möglich der Normalität des Wohnens anzunähern. Doch weit, zu weit entfernt sich das Haus typologisch von der Wohnumgebung und wird, zumindest in der Außenansicht, eher als Krankenhaus gelesen.

Im Innern allerdings wandelt sich das Bild. Hier sind die großen ­Geschossflächen und langen Zimmerfluchten nicht durch serielle Ordnungsschemata auf übliche Weise bewältigt worden, sondern man hat sie als Chance für eine geniale Grundrissdisposition genutzt. Drei frei geformte, unterschiedlich gestaltete und bepflanzte Lichthöfe bilden ruhige Aufenthaltsbereiche und Orientierungsorte. Ein vierter Hof dient als geschützte Vorfahrt und ist mit Zugängen zum öffentlichen Café und zum Versammlungsraum eine der Schnittstellen zwischen Pflegeheim und Außenwelt.

»Keine Gänge, Marktplätze!« war das Credo der Architekten, und in der Tat gibt es im Normalgeschoss, das 100 Zimmer und zahlreiche Serviceräume umfasst, keinen einzigen herkömmlichen Flur, sondern ein offenes Raumkontinuum, in dem spielerisch Aufenthaltsbereiche und Ruhezonen organisiert sind. Wenige, unauffällige Glastüren unterteilen diese Erschließungs- und Kommunikationszone in Brandabschnitte und Stationen. Glasfronten zu den Innenhöfen sorgen für Transparenz, Durchblicke und eine großzügige Belichtung. Die Bewohner können stationsübergreifende, abwechslungs­reiche Rundgänge absolvieren und auf einer Etage einen halben Kilometer ­flanieren, ohne den Gebäudekomplex verlassen zu müssen. Zusätzlich gibt es nach allen vier Himmelsrichtungen gläserne Erker mit freiem Ausblick entlang der Straßen und in einem Fall bis hin zum Stephansdom.

Alle Patienten- und Bewohnerzimmer liegen an den Außenfassaden und haben durch die vorgelagerten Loggien ausnahmslos den Bezug zur umgebenden Stadt. Innen grenzen sie jeweils mit einer Nische, einem individuell gestaltbaren Verweilplatz vor der Wohneinheit (innere Loggia genannt) an die gemeinschaftliche Erschließungs- und Aufenthaltszone. So kommt ein sehr subtiles Raumgefüge mit unterschiedlichen Privatheitsgraden zustande, das den Bewohnern je nach Befindlichkeit die Wahl des Aufenthalts und unterschiedlich intensiver Kommunikationsmöglichkeiten freistellt, von der eigenen Loggia über das intime Zimmer, die etwas geschützte Innenloggia, die ­offenen Marktplätze bis zu den wiederum geschützteren, aber gemeinschaft­lichen Ruhe- und Aufenthaltsbereichen. Durch den offenen Bewegungs- und Aufenthaltsraum entstand ein in Nutzungsbereiche und Raumzonen unterschiedlichen Charakters gegliederter Lebensraum, der den Bewohnern je nach Wunsch Rückzugsorte bietet oder Teilhabe am sozialen Austausch ermöglicht. Die Betten in den Zimmern sind so positioniert, dass auch bettlägerige Bewohner durch Öffnen der Doppeltüren zur Loggia und zum Marktplatz hin am Stationsleben und am Stadtleben zumindest passiv teilnehmen können.

Ein ausgeklügeltes Farbkonzept, das auf den ersten Blick etwas unmotiviert bunt erscheinen mag, zoniert die Bereiche, erleichtert die Orientierung und sorgt für eine heitere und offene Atmosphäre, die den betagten Bewohnern gut tut und den Mitarbeitern bestmögliche Arbeitsbedingungen garantiert. Dies gilt v. a. für die Demenz-Station. Deren Freifläche im nordwestlichen ­Innenhof ist unter besonderen Gesichtspunkten der Orientierung und des Aufenthalts von Demenzkranken gestaltet worden (u. a. mit Rundweg und Buswartehäuschen), da viele von ihnen das Haus nicht verlassen können. Die Zuwendung der Architektur den Bewohnern gegenüber ist deutlich zu spüren und überträgt sich auch auf die Mitarbeiter.

Das Ingrid Leodolter Haus vereint unter einem Dach sozialmedi­zinische ­Betreuung, eine Station für Kurzzeitpflege, neun Stationen für Langzeitpflege sowie zwei Stationen für Demenzkranke. Es gab deshalb anfangs kritische Fragen wegen der Größe des Hauses und des »unpersönlichen Massenbetriebs«. Die Praxis zeigt jedoch, dass die Größe durch die architektonische Konzeption und die gestalterischen Mittel beherrscht wird. Und dass diese Größe andererseits den Bewohnern ein Maximum an Bewegungsraum, Lebensqualität und Abwechslung bietet, denn es ist immer viel los im Haus. Mit seiner innerstädtischen Lage, der leichten Erreichbarkeit für Angehörige, mit seiner integrierten Nutzungsstruktur und seiner Vernetzung mit dem umgebenden Wohnquartier u. a. durch Café, Friseursalon und den großen Kindergarten mit fünf Gruppen, der zum großen Teil von Mitarbeiterkindern besucht wird, ist es ein Musterbeispiel dafür, wie die Gesellschaft mit dem wachsenden Anteil an Senioren und Pflegebedürftigen umgehen kann, ohne sie auszugrenzen.

db, Do., 2017.11.02



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02. Oktober 2017Falk Jaeger
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Behnischs Erbe

Durch Günter Behnisch entstand eine »süddeutsche ­Architekturschule«, die es nicht immer leicht hat, landesweit Gehör zu finden – so sehen es die Stuttgarter Behnisch-Schüler von 4a-Architekten. Ein Gespräch mit den Büroinhabern Matthias Burkart, Andreas ­Ditschuneit und Ernst Ulrich Tillmanns, die sich ­in der Nachfolge Behnischs sehen, sich aber auch von ­seinen Ansichten emanzipierten.

Durch Günter Behnisch entstand eine »süddeutsche ­Architekturschule«, die es nicht immer leicht hat, landesweit Gehör zu finden – so sehen es die Stuttgarter Behnisch-Schüler von 4a-Architekten. Ein Gespräch mit den Büroinhabern Matthias Burkart, Andreas ­Ditschuneit und Ernst Ulrich Tillmanns, die sich ­in der Nachfolge Behnischs sehen, sich aber auch von ­seinen Ansichten emanzipierten.

Falk Jaeger: Sie sind Vertreter jener südwestdeutschen Architekturschule, die auf Günter Behnisch zurückgeht. Was war aus Ihrer Sicht das Wesentliche seiner Architekturauffassung?
Ernst Ulrich Tillmanns: Am wichtigsten waren ihm Leichtigkeit, Offenheit und Transparenz sowie das Verschmelzen von Innen- und Außenräumen. Die steinerne Schwere der Postmoderne – die zu unserer Zeit im Büro Behnisch in der Architekturwelt große Aufmerksamkeit erhielt – hat ihm nie gefallen.

Matthias Burkart: Ein weiteres zentrales Thema war für ihn das demokratische Bauen. Dafür stehen besonders zwei Hauptwerke: Das eine ist der Olympiapark in München als sehr offener, freier Landschaftsentwurf mit der gemeinsam mit Frei Otto geplanten Zeltkonstruktion. Das zweite Beispiel ist der Bundestag in Bonn, an dem wir mitgearbeitet haben. Dabei wurde eine »Landschaftsaue« aufgenommen – in Form des versenkten Plenarsaals mit einem freien Dach darüber. Diesen offenen, transparenten, vom Bürger einsehbaren, im übertragenen Sinn kontrollierbaren Raum hat Behnisch als »demokratische Architektur« verstanden.

Andreas Ditschuneit: Allerdings weisen beide Projekte sehr unterschiedliche Formen auf: Der Olympiapark ist stark organisch angelegt, während der Bundestag ein für Behnisch ungewöhnlich orthogonales, strenges Gebäude ist. Allerdings gibt es auch darin verspielte Dinge, z. B. das Vogelnesttreppengeländer.

War es Ihr erklärter Wunsch, im Büro Behnisch zu arbeiten oder war auch Zufall im Spiel?
Tillmanns: Die Stimmung der Zeit war geprägt durch verschiedene Protestbewegungen, z. B. gegen Atomkraft, den Nato-Doppelbeschluss oder die Startbahn West. Ich hatte das Bedürfnis, etwas Konstruktives zu tun, den Protest in etwas Positives zu wenden. Behnisch faszinierte mich damals, weil er einen Geist der Veränderung in Architektur umsetzte. Nicht der postmoderne formale Schnickschnack war für ihn interessant, sondern wie man ein Gebäude organisiert, wie es sich zur Landschaft verhält und wie man im Team arbeitet.

Was unterscheidet die südwestdeutsche Szene z. B. von Berlin oder ­Aachen?
Burkart: Berliner Architektur ist für uns Süddeutsche ja immer charakterisiert durch geschlossene, steinerne Fassaden. Behnischs Architektur war nie ­steinern. Seine Häuser zeigen Stahl und Glas und haben einen Bezug zur ­offenen Landschaft. Den suchen die Berliner nicht. Wie Behnisch bevorzugen auch wir heute noch Bauaufgaben, bei denen es um Solitäre in einem freien Umfeld geht.

Für Behnisch war das Experiment von großer Bedeutung. Lässt sich das heute noch durchhalten?
Burkart: Das Experimentelle wurde im Büro Behnisch nicht nur zugelassen, sondern gefördert. Bei seinem Hysolar-Gebäude für die Uni Stuttgart am Pfaffenwald konnten wir vieles ausprobieren. Heute dürfen wir bei keiner Bewerbung oder bei keinem Bauherrn erwähnen, dass wir experimentieren wollen.

Ditschuneit: Wir haben viel mit Materialien gespielt, auch mit neuen, z. B. mit Kunststoffplatten oder mit Doppelstegplatten. Ungewöhnlich war auch, wie man die Dinge dann zusammengefügt hat, wobei es auf Präzision nicht so sehr ankam. Manchmal gab es Brüche, aber die waren eigentlich willkommen, oft sogar gewollt. Hierzu erinnere ich mich besonders an das Postmuseum in Frankfurt: Um die Rotunde herum gibt es eine Verkleidung, deren Platten eine gezackte Kontur bildeten und der Rundung folgend abgesägt werden sollten. Behnisch war gerade auf der Baustelle und sagte: »Bloß nicht, lasst das! Es ist gerade gut, dass die Verkleidung eine ganz andere Geometrie einnimmt.«
Burkart: Und wir haben bei Behnisch die Schichten der Konstruktion immer offen gezeigt – die abgehängten Decken, die vorgehängten Fassaden. Um noch einmal auf den Vergleich zu Berlin zurückzukommen: Dort baut man viel mehr fugenlos monolithisch, das unterscheidet uns bis heute.

Städtebauwettbewerbe haben Behnisch nicht interessiert?
Ditschuneit: Das stimmt so nicht. Nach der Wende gab es in den neuen Bundesländern sehr viele Wettbewerbe. z.B. in Chemnitz haben wir an einem Wettbewerb für ein Universitätsgelände mit einem großen Studentenwohnheim und einer zentralen Mall teilgenommen. Wir haben strenge städtebauliche Achsen gezogen und alles gerastert und in Blöcke gegliedert. Das hat Behnisch nicht gefallen: »Zeichnet nicht so stures Zeug, macht das mal lockerer.« Am Schluss kam ein ganz wilder Entwurf heraus. Damit sind wir – wenig verwunderlich – in der zweiten Runde ausgeschieden, aber das hat er offenbar gerne in Kauf genommen.

Kann man sagen, dass Behnisch eine Art architektonischer Ideologie ­geprägt hat, die hier im Südwesten mitunter einen fast religiösen ­Cha­rakter annahm?
Ditschuneit: Das könnte man so sagen. Das betraf schon die Art, wie man gezeichnet hat. Alle haben damals so gezeichnet, auch an den Hochschulen, vor allem natürlich an Behnischs Hochschule in Darmstadt.

Burkart: Jede Wand nur mit einem dünnen Strich …

Ditschuneit: … ja, alles mit lockerem Strich und möglichst unter Verzicht auf rechte Winkel. Viele der jungen Leute können heute nicht gut mit der Hand zeichnen. In unserem Büro kommen wir trotz Computer nicht umhin, zu skizzieren. Wir haben alle Skizzenrollen auf dem Tisch.

Noch einmal kurz zurück zum Arbeiten bei Behnisch. Wie ging er mit ­Leuten um, die nicht so dachten oder nicht so denken wollten wie er?
Ditschuneit: Er hat schnell gemerkt, wenn jemand aus einer anderen Richtung kam. Das ging nicht lange gut. Ich erinnere mich an den Spruch: »Wenn ihr was anderes wollt, dann schnürt euer Ränzlein und geht woanders hin.«

Burkart: Aber er hat natürlich viele Mitarbeiter aus Darmstadt geholt, z. B. Carola Wiese, Jens Wittfoth und Falk Petri. Unsere ganze Bonn-Truppe mit zwanzig Architekten bestand zum Großteil aus Darmstädtern, die er unterrichtet hatte.

Wie wurde entworfen?
Ditschuneit: Im Studium haben wir einmal Entwurfsmethoden verschiedener Architekturbüros verglichen und Behnisch gefragt, wie er seine Entwurfsmethodik beschreiben würde. Er hat uns verwundert angeschaut und gesagt: »Weiß ich nicht.« Schon der Begriff Entwurfsmethodik schien ihn irgendwie zu stören. Aber schließlich hat er uns doch einiges dazu sagen können.

Burkart: Eine festgelegte Entwurfsmethodik, bei der sich die Dinge wiederholen, war für ihn schon zu viel der Vorgabe. Wir haben auch nie ein Geländer wie das andere gezeichnet oder irgendein Detail wiederverwendet. Jedes Projekt entstand neu und vollständig anders. Das könnten wir uns heute gar nicht mehr leisten.

Ditschuneit: Später dann, im Stadtbüro mit Stefan Behnisch, wurde diese Haltung nach und nach abgebaut. Da hieß es schließlich doch: »Fangt nicht wieder bei Adam und Eva an, nicht jedes Geländer muss ein Kunstwerk sein.«

Wie kam es schließlich zu Ihrer eigenen Bürogründung? War die Zeit einfach irgendwann reif für die Selbstständigkeit? Oder gab es einen äußeren Anlass?
Burkart: Wir waren alle vier beim Bonn-Projekt dabei und haben nebenbei an Wettbewerben teilgenommen – in der Hoffnung, uns mit einem daraus resultierenden Projekt selbstständig machen zu können. Das Büro Behnisch war so angelegt: Es war immer klar, dass man dort nicht alt wird.
1990 hatten wir bei einem Schulbauwettbewerb in Durmersheim einen zweiten Preis gewonnen und gleichzeitig einen Direktauftrag für ein Gewerbeprojekt in Lutherstadt Eisleben erhalten. Daraufhin marschierten wir zu viert in Behnischs Büro und erklärten, dass wir uns selbstständig machen wollten. Er hat gesehen, dass es uns ernst war und meinte: »Gut, das kann ich verstehen. Aber dass ihr alle gleichzeitig gehen wollt, dazu überlege ich mir noch etwas. Kommt mal in einer Woche wieder.« Er machte uns dann ein sehr gutes Angebot, und so sind wir nacheinander ausgestiegen. Ich persönlich habe das Bundestagsprojekt zu Ende gebracht, d. h. ich bin anderthalb Jahre später ausgeschieden als die anderen.

Wie hat sich die Architektur in Ihrem eigenen Büro dann verändert? Kann man sagen, dass Sie sich von Behnisch entfernt haben, und wenn ja, in ­welche Richtung?
Burkart: Wir haben uns nicht wirklich von ihm wegentwickelt, v. a. hat sich unsere Arbeit von den Aufgaben her geändert. Wir sind mit bescheidenen Aufträgen eingestiegen und haben uns langsam hochgearbeitet. Das begann mit einer Garage hier, einem Balkonanbau da und mit Messebauten für Daimler. Unsere Architekturhaltung hat sich dabei nicht sehr gewandelt, aber es gab nach und nach neue Einflüsse, etwa die heutigen Bauvorschriften. Dadurch wurde unsere Architektursprache strenger. Aber ich finde, z. B. bei unseren Bädern schaffen wir es immer noch ganz gut, relativ frei zu agieren und offene Räume zu entwerfen.

Ditschuneit: Unsere Architektur hat sich aber nicht nur durch die technischen Zwänge verändert. Wir gehen auch bewusst anders an die Dinge heran, nicht mehr additiv, sondern mehr kubisch, z. B. jüngst in Wien, bei diesen verputzten Badehäusern. Es ist gibt dort noch schiefe Winkel und alles fließt, aber die Bauteile sind nicht mehr so locker gefügt, sondern kompakter, massiver.

Ist denn Behnisch-Architektur heute überhaupt noch zeitgemäß?
Tillmanns: Ich finde, dass unser Bundestag auch heute noch toll dasteht und eine Ikone ist. Aber wenn ich sehe, wie Behnisch seine ersten Schulen gebaut hat, wo die Stahlträger ruppig durchs Glas stoßen: Das kann man heute nicht mehr so machen. Die Bedingungen haben sich ja geändert, die Wärmeschutzverordnung, das ganze Vergabewesen. Mich würde wirklich interessieren, wie Behnisch heute damit umginge. Er hat sich ja schon damals gegen diese ­Verwaltungsvorgaben aufgelehnt und hat mutig Anderes gemacht.

Die den Rationalisten so wichtige Symbolhaftigkeit von Archetypen ist für Sie nicht von Interesse?
Tillmanns: Mich persönlich hat es immer mehr gereizt, wenn ein Bauwerk nicht wie ein herkömmliches Haus aussieht. Wenn das Gebäude mehr zu sagen hat als ein einsilbiger Archetypus. Wenn man die Nutzungen und Funktionen neu denkt und sich die Dinge anders ausformulieren können als gewohnt.

Nehmen Sie sich Themen vor, gibt es narrative Elemente? Bei Behnisch kam das nie in Frage …
Burkart: Wir entwickeln unsere Entwürfe immer aus dem Ort heraus und gewinnen daraus Motive. Bei der Wiener Therme orientierten wir uns an einem Bachlauf, der sich zwischen Steinen hindurchwindet. In Luxemburg schwebt der Bau topografiebedingt über der Badehalle und die golden eloxierte Fassade bezieht sich auf die Gemarkung »Am Sand« …

Ditschuneit: … und bei der Bodensee-Therme ist es das Schiffsthema, zu ­sehen am Saunahaus, das mit einer Dachterrasse und einer Reling zum See hin auskragt. In Bad Ems sind die Kieselsteine das Motiv.
Burkart: Wir suchen damit durchaus auch nach Themen, die so ein Projekt marketingmäßig tragen, die sich verkaufen lassen. Denn die Badbetreiber legen heute Wert auf Alleinstellungsmerkmale.

Ist das nicht zwangsläufig mit formalen Spielereien verbunden?
Ditschuneit: Das ist es durchaus, wenn z. B. die Form der Fenster von den Flusskieseln abgeleitet ist.

Matthias Burkart: Die Gebäudehülle folgt heute vielleicht mehr formalen Ideen, aber die Grundrisse zeigen immer noch das Prinzip des von innen nach außen fließenden Raums. Natürlich muss das Sportschwimmerbecken immer rechteckig sein, aber ansonsten gibt es organische Formen, etwa bei den Planschbecken und den Außensaunen.

Sie sagten, Ihre Architektur sei formaler geworden. Wie kann man das verstehen?
Tillmanns: Uns interessiert heute durchaus, wie das Bild des Gebäudes wirkt. Bei Behnisch hat sich alles von innen heraus entwickelt und die Außenansicht ist dann eben wie von selbst entstanden. Wir machen schon noch einmal den Rückgriff auf den Grundriss und betreiben dieses Hin-und-her-Spielen zwischen äußerer Gestalt und Funktion. Aber wenn ich alte Behnisch-Gebäude angucke, dann dreht es mir manchmal den Magen um, wie lässig mitunter Details entstanden sind. Behnisch hat das damals nicht gestört, der fand das gut.

Burkart: Wie bereits gesagt: Formale Aspekte sind auch oft dem Wunsch der Bauherren nach dem Alleinstellungsmerkmal geschuldet. Bei der Erweiterung der Wilhelm-Maybach-Schule in Stuttgart-Bad Cannstatt zum Beispiel wurde die Aufstockung mit einem eigenen Tragwerk über das bestehende Schulgebäude gestülpt. So etwas kann man dann schon abschätzig formale Spielerei nennen, aber wir finden es legitim, denn es handelt sich um eine Ausbildungsstätte für Automobiltechnik. Wenn die Statik für eine normale Aufstockung ausgereicht hätte, wäre es wahrscheinlich weniger interessant ­gewesen.

Also ist es zutreffend, dass Sie und andere Architekten aus dem Behnisch-Umkreis ihre Architektur verfeinern, delikater und perfekter machen, obwohl Behnisch ja Akkuratesse und Perfektion hasste?
Tillmanns: Das kann man so sagen. Uns interessiert, wie gesagt, das gute ­Detail und die ortsspezifische Thematik.

Wie sieht es mit dem Einsatz von Farbe aus?

Tillmanns: Wir arbeiten mit kräftigeren Farben, während Behnisch damals mit Christian Kandzia zusammen die Bauteile in Pastelltönen anlegte. Er zerstückelte die Elemente und Zusammenhänge sozusagen durch die Farbgebung und unterteilte ihm zu mächtige Baukörper durch differenzierte Farben in Einheiten kleineren Maßstabs. So etwas machen wir nicht. Bei uns dürfen ein Dach ein Dach, eine Wand eine Wand und ein Fenster ein Fenster sein.

Burkart: Über Farbe wird jedenfalls in unserem Büro heiß diskutiert. In den Anfangstagen gab es relativ wenig Geld und da war Farbe natürlich immer ein Thema, weil man damit auf einfachem Wege viel erreichen kann: Strukturen größer oder kleiner wirken lassen, Stimmungen und Atmosphäre erzeugen usw. Höhepunkt war die Moskauer Therme ELSE-Club, in die wir eine ­geschwungene Wand, eine Art goldenes Ei gesetzt haben. Wir haben dabei keine goldene Farbe, sondern tatsächlich Blattgold verwendet. Die Reflexionen im Wasser, ein goldenes Schimmern, erzeugt eine besondere Atmosphäre. Von dort war der Schritt zur reinen Materialwirkung nicht weit. Pures Mate­rial wird bei uns immer wichtiger.

Wie hätte wohl Behnisch auf das Gold reagiert?
Ditschuneit: Ach, er hätte wahrscheinlich gesagt: »Wenn schon, dann müsst ihr echtes Gold nehmen.«

Burkart: Allerdings würden wir so etwas wie 2007 in Moskau heute nicht mehr machen. Was Farben betrifft, sind wir gerade eher in der Reduktion ­begriffen.

Ditschuneit: Außer bei den Bädern. Gerade an deren Decken bleibt Farbe ­etwas ganz Wichtiges. In Wien, wo wir nicht viel Geld zur Verfügung hatten, wollten wir zuerst eine schöne Holzdecke einbauen. Doch dann wurden es farbige Heraklitplatten: Die sind nicht teuer und akustisch vorteilhaft – im Hallenbad enorm wichtig – und die stehen in 300 verschiedenen Farben zur Verfügung. Wir haben Fotos in diesem Plattenformat gepixelt und für jede Halle, für jeden Bereich eine eigene Farbstimmung bekommen, von Frühlingsmotiven bis hin zu Winter- und Eisbildern. Die Wände sind hingegen nur grau oder weiß verputzt oder betonsichtig.

Burkart: … ein atmosphärisches Thema: Naturbilder zu Frühling, Sommer, Herbst und Winter, verpixelt als Abstraktion. Wenn man hindurchgeht, spürt man, wie sich die Bereiche und die Stimmungen ändern. Darin sehe ich auch einen entscheidenden Unterschied zur Behnisch. Der hatte kein Interesse, so ein Thema durchzudeklinieren oder Symbolik einzubringen. Die Farben als Symbol für die Jahreszeiten – einen solchen Transferschritt hätte er nie voll­zogen.

Noch eine letzte Frage: Ist mein Eindruck richtig, dass man mit Ihrer ­Auffassung von Architektur v. a. in Südwestdeutschland erfolgreich ist? Dass das in anderen Gegenden Deutschlands nicht akzeptiert wird, bei Wettbewerben z. B.?
Ditschuneit: Die Erfahrung haben wir gerade jüngst wieder gemacht, bei ­einem Wettbewerb, wo der Bauherr ausdrücklich unsere »süddeutsche Architektur« nicht wollte.

Burkart: Wir überlegen uns deshalb, mit gleichgesinnten Büros eine Art ­süddeutsche Allianz zu bilden, um gegen eine Fraktion, die für massive, schwere Architektur steht, zu bestehen. Denn wir haben bei Wettbewerben oder bei Preisgerichten das Gefühl, dass die mehr zusammenhalten als wir und dass wir mit unseren Arbeiten nicht richtig nach vorne kommen. Wir sind diesbezüglich wahrscheinlich, wie generell, ein bisschen zu lässig.

Herr Burkart, Herr Ditschuneit und Herr Tillmanns, vielen Dank für das Gespräch.

db, Mo., 2017.10.02



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01. Juli 2016Falk Jaeger
db

Wohlfühlräume für Nerds

Mit repetitiven Elementen und Fassaden aus flachen Ziegelsteinen bezieht sich das schmucke Software-Haus auf das industrielle Gefüge der Stadt, nimmt sich aber auch alle Freiheiten, einen offenen und gleichzeitig ikonischen Ort zu schaffen, ohne dabei Funktionalität und Energieeffizienz außer Acht zu lassen.

Mit repetitiven Elementen und Fassaden aus flachen Ziegelsteinen bezieht sich das schmucke Software-Haus auf das industrielle Gefüge der Stadt, nimmt sich aber auch alle Freiheiten, einen offenen und gleichzeitig ikonischen Ort zu schaffen, ohne dabei Funktionalität und Energieeffizienz außer Acht zu lassen.

So geht’s in der IT-Wirtschaft zu. Kaum ist das neue Verwaltungsgebäude des boomenden Software-Entwicklers fertiggestellt, gibt es die Firma schon nicht mehr, resp. ist sie in der des bisherigen Hauptauftraggebers aufgegangen (nicht zum Schaden des Gründers übrigens). Vor dem Sitz der polnischen ERICPOL in Łódź wehen jetzt die Fahnen von Ericsson.

Łódź, die ziemlich in der Mitte Polens gelegene drittgrößte Stadt des Landes, hatte ihre besten Zeiten im 19. Jahrhundert, als sich das »Manchester Polens« zu einem Zentrum der Textilindustrie mit über 500 Fabriken entwickelte. Nach dem Krieg wurden die eindrucksvollen burgenartigen Backsteinfabriken baulich vernachlässigt. Viele standen leer und weitere wurden nach der politischen Wende von 1989 aufgegeben. Noch immer steht man, ähnlich wie in Chemnitz, vor der Herkulesaufgabe, die voluminösen denkmalgeschützten Gemäuer der Reihe nach zu sanieren und neuen Nutzungen zuzuführen.

Einer der profiliertesten Fabrikanten war Karl Wilhelm Scheibler, dessen Neorenaissancevilla an der Hauptachse der Stadt, der historistischen Prachtmeile Piotrkowska, steht. An seinem rückwärtigen Garten angrenzend ein ehemaliges Freibad, auf dessen Areal das Ericpol-Gebäude errichtet wurde. Weitere unmittelbare Nachbarn sind historische Arbeiterwohngebäude des Tymienieckiego Industriequartiers.

Es ist gewiss nicht die Regel, dass ein neues Bürogebäude so achtsam nach den Gegebenheiten der unmittelbaren Umgebung in seine Form gebracht wird. Wo der Baukörper seinen Platz fand, wie er sich gegen die Straße öffnet, wie er gegenüber dem historischen Arbeiterwohnhaus respektvoll zurückweicht, wie er zum Garten hin den Grünraum gleichsam umarmt, wie sich das große Volumen in zwei Trakte teilt, die sich durch Biegung dann doch in einer gemeinsamen Erschließungszone treffen, wie der Bau zwei nach innen wirksame Plazas bildet, all dies ist sorgsam ausgeklügelt, ist eine Qualität für sich und hat wesentlich zum Gewinn des Wettbewerbs beigetragen. Den Bauauftrag bekamen die Architekten von HORIZONE Studio erst, als sie die Einigung mit der Denkmalpflege nachweisen konnten, die bei Bauhöhe, Position, Rückstaffelung und Materialität erheblichen Einfluss geltend machte, aber auch bei unkonventionellen aber qualitätvollen Ideen mitzugehen bereit war.

Die Grundrisse zeigen eine »normale« Zweibundanlage, mit einer Erschließung im Zentrum, wo sich die Flügel treffen. Diese Anordnung ermöglicht eine Unterteilung und flexible, kleinteilige Vermietung des Gebäudes, das von der STRABAG als Investorenprojekt für mehr als 700 Arbeitsplätze errichtet wurde.

Im Zentrum sind auch die mit Akustikglas umfangenen Besprechungsräume angeordnet, die den attraktiven Durchblick durch das Gebäude nicht behindern. Beliebte spontane Laptoparbeitsplätze und Pausenorte sind die Dachterrassen mit gläsernen Brüstungen für den ungehinderten Ausblick ins Grüne, hier, keine 150 m von der Hauptgeschäftsstraße entfernt.

Bevor Dominik Darasz, Bartlomiej Kisielewski und Robert Strzeński 2009 in Krakau ihr gemeinsames Büro HORIZONE Studio gründeten, sammelten sie in Büros in Helsingborg, Berlin und Dublin internationale Erfahrungen. So sind sie denn auch mit den Standards vertraut und Einflüsse von David Chipperfield, aber auch von Justus Pysall, bei dem Kisielewski gearbeitet hatte, sind deutlich zu spüren. Ericpol ist der größte Bau, den sie bisher realisieren konnten. Sie gewannen damit auf Anhieb den SARP Year Award für das beste polnische Gebäude 2015 in der Kategorie öffentliche Bauten und Bürobauten, vergleichbar dem deutschen BDA-Preis, sowie eine ehrende Erwähnung beim polnischen Brick Award 2015.

Denn die aufs Feinste gemauerten Fassaden sind mit handgestrichenen, sehr flachen und hellen Ziegeln des Typs »Kolumba« verkleidet, den Peter Zumthor für das Museum Kolumba in Köln entwickelt hatte.

Trotz der langen raumhohen, horizontalen Fenster, deren Pfosten als Glasschwerter ausgeführt sind, um Diagonalblicke nicht zu stören, sowie der schmalen Loggien (zählen als Feuerüberschlagsfläche, sind aber als Austritte und Raucherecken willkommen), erscheinen die Stirnflächen der Gebäudeflügel als massivere Wände. Dagegen sind die Längsfassaden durch eng getaktete Fenster fast aufgelöst. Deren strenge, repetitive Vertikalgliederung soll an die alten Fabrikbauten erinnern. Tiefes Relief und gleichzeitig Schutz vor schräg einfallendem Sonnenlicht erhalten die Fassaden durch die perforierten Lisenen, hinter denen sich Öffnungsflügel verbergen und die mit Frontblenden in den Farben von Ericpol besetzt sind. Der Sonnenverlauf wurde während der Planung eingehend analysiert, sowohl was die Belichtung, als auch was den Energieeintrag betrifft. Süd-, Ost- und Westfassaden wurden mit einer Doppelverglasung aus Sonnenschutzglas ausgerüstet, während die Nordfassade, die im Winter größeren Wärmeverlusten ausgesetzt ist, eine Dreifachverglasung erhielt. Perforierte, sonnen- und windabhängig automatisch gesteuerte Jalousien, kernaktivierte Betondecken und das elektronische, lernfähige Energie- und Betriebsmanagement des Gebäudes entsprechen westlichen Standards.

Verglichen mit anderen polnischen Neubauten fällt aber auch die hohe Qualität der Materialität und der tadellosen Bauausführung auf. Die augenfällige Präzision trägt zur signifikanten Eleganz des Gebäudes bei, die sich ansonsten aus der Baukörpergliederung mit ihren Schwüngen und den aufgefächerten Höfen ergibt.
In den Innenräumen herrscht die Nonchalance der IT-Branche. Sichtbetondecken, weiße Gipskartonwände, Büromöbel ohne Anspruch, jede Menge Bildschirme. Man starrt auf die Screens oder entspannt sich auf dem Sofa oder beim Zimmerbasketball, bis man wieder eine neue Idee hat. Hier und da im Flur eine Tafelwand, die beim informellen Stand-up Meeting mit Funktionsschemata, Formeln und/oder Comics vollgekritzelt wird.

Die Herrschaften, die ansonsten die Flurwände »bevölkern«, haben alle irgendetwas mit der IT-Historie zu tun oder sind geradewegs gängigen Computerspielen entsprungen. Kunststudenten haben Gelegenheit bekommen, ihre Vorstellungen zum vorgegebenen Thema an die Wände zu pinseln.

Teeküchen sind in grellen Farben gehalten. In den Treppenhäusern zeigt sich wieder die gestalterische Kraft der Architekten: Mit einfachen Materialien, Beton, Stahl und jeweils einer kräftigen Farbe auf der Treppenwange sowie raffinierter Lichtführung werden aus den als Rettungswegen notwendigen Erschließungselementen fast elegant zu nennende Treppenräume, die zu begehen eine angenehme Alternative zur Aufzugsfahrt sind.

Es ist ohnehin die Stärke des Gebäudes, den Nutzern vielfache Alternativen zur Verfügung zu stellen und die Durchblicke und Ausblicke ins Haus zu holen, um den hier tätigen kreativen Nerds optimale Bedingungen zu bieten, die diese mangels Interesse von selbst nie einfordern würden, die sie aber in ihrer Arbeit mit Wohlgefühl unmerklich unterstützen. Und dies ganz beiläufig, mit Stil und Eleganz, sodass das Gebäude auch als Sitz einer großen Anwaltssozietät Staat machen könnte. Denn wer kann schon wissen, wie es Ericsson in drei Jahren ergehen wird.

db, Fr., 2016.07.01



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db 2016|07-08 Polen

07. Oktober 2013Falk Jaeger
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Tanzende Quader

Es zählt die Lage: Das 8 x 12,5 m messende Grundstück könnte – am Eingang des Pfefferberg-Areals, von Künstlerateliers umgeben – für ein privates Museum kaum besser gelegen sein. Aber 100 m² Grundfläche sind für ein Ausstellungs- und Depotgebäude nicht gerade üppig. Mit verschiedenen Auskragungen nimmt die Bauskulptur das unausweichliche Übereinanderstapeln der Funktionen wörtlich und schafft differenzierte Räume für das kostbare Ausstellungsgut. Auch die kunsthandwerkliche Innengestaltung nimmt Bezug auf die Preziosen und schafft erlebnisreiche Räume, die – gerade der beengten Verhältnisse wegen – Freude bereiten und die Wahrnehmung schärfen.

Es zählt die Lage: Das 8 x 12,5 m messende Grundstück könnte – am Eingang des Pfefferberg-Areals, von Künstlerateliers umgeben – für ein privates Museum kaum besser gelegen sein. Aber 100 m² Grundfläche sind für ein Ausstellungs- und Depotgebäude nicht gerade üppig. Mit verschiedenen Auskragungen nimmt die Bauskulptur das unausweichliche Übereinanderstapeln der Funktionen wörtlich und schafft differenzierte Räume für das kostbare Ausstellungsgut. Auch die kunsthandwerkliche Innengestaltung nimmt Bezug auf die Preziosen und schafft erlebnisreiche Räume, die – gerade der beengten Verhältnisse wegen – Freude bereiten und die Wahrnehmung schärfen.

Ein labyrinthisches Privathaus, das Anwesen des Architekten Sir John Soane, gilt als Ort der weltweit größten Dichte an architektonischer Kultur. Das großartige Museum in London ist gleichzeitig das älteste Architekturmuseum der Welt. Wenn das Soane's nun die Eröffnungsausstellung der Tchoban Foundation in Berlin bestreitet, so ist der Bogen geschlagen zum jüngsten Architekturmuseum der Welt, denn im Quartier der ehemaligen Brauerei Pfefferberg, in direkter Nachbarschaft des Internationalen Architekturforums Aedes, öffnete im Juni das neue Haus der Tchoban Foundation Museum für Architekturzeichnung seine Pforten.

Der in St. Petersburg geborene Architekt Sergei Tchoban, Partner im Berliner Büro nps tchoban voss und im Moskauer Büro Speech Tchoban & Kuznetsov, ist selbst einer der bedeutendsten Architekturzeichner und mit eigenen Ausstellungen im In- und Ausland präsent. Er ist aber auch Sammler, Förderer, Impresario und Kurator dieser Kunstsparte, die mit dem Aufkommen des CAD, des architektonischen Entwerfens am Computer, ihre Bedeutung als Gebrauchsgrafik in der Baupraxis verloren hat und heute nur noch zum Bereich der Schönen Künste zählt. Seine Sammlung umfasst eine Zeitspanne vom 17. bis in unser Jahrhundert und hat einen Schwerpunkt auf den russischen Konstruktivisten der 20er Jahre. Die bedeutenden Blätter hat Tchoban zum Großteil in eine Stiftung eingebracht, deren neues Museum freilich nicht nur die eigene Sammlung präsentieren soll. Vielmehr hat Sergei Tchoban ein internationales Netzwerk aufgebaut und beispielsweise mit Ausstellungen in der Eremitage St. Petersburg, in der Académie des Beaux Arts in Paris oder im Londoner Soane's den Grundstein für gegenseitigen Austausch gelegt.

Das Soane's Museum bestritt denn auch die Eröffnung mit einem Paukenschlag: »Piranesis Paestum – Neuentdeckung der Meisterzeichnungen«. Zu sehen waren – leider nur bis Ende August – die raren Handzeichnungen des Künstlers, der für seine berühmten Kupferstiche der »Imaginären Gefängnisse« und der römischen Veduten sonst nur Vorskizzen angelegt hatte. Den Zyklus der Tempel von Paestum hatte Giovanni Battista Piranesi 1788 im letzten Lebensjahr mit schwindenden Kräften als detaillierte Ansichten gefertigt, damit sie sein Sohn in Kupfer stechen und postum veröffentlichen konnte. Bis Mitte Februar ist nun die Ausstellung »Architektur im Kulturkampf« zu sehen (Di-Sa 10-17 Uhr, Eintritt frei), die ausschließlich Werke aus der eigenen Sammlung zeigt. Das neue Berliner Museum ist der ideale Ort für derlei intime Kabinettausstellungen.

Von außen scheint das Gebäude wie aus vier nahezu geschlossenen Volumina locker aufgetürmt. Die Wände der tanzenden Quader bestehen aus einem beigefarbenen Beton, der fast wie steinmetzmäßig bearbeiteter Sandstein aussieht und mit Fassadenreliefs dekoriert ist. Die Motive entstammen u. a. der ersten Zeichnung, mit der Tchoban seine Sammeltätigkeit begann, einem Blatt von Pietro di Gonzaga aus dem beginnenden 19. Jahrhundert. Die Zeichnung wurde gescannt, einzelne Partien stark vergrößert und in Form von Kunststoffmatrizen in die Betonschalung eingebracht. Die Farbe des Betons lässt an vergilbtes Papier denken, und die Zeichnungen scheinen sich aufzufächern wie ein Stapel Blätter. So wird die Zweckbestimmung des Baus im Sinn einer narrativen Architektur schon von außen deutlich gemacht.

Zurzeit entsteht gegenüber ein von Justus Pysall entworfenes Atelierhaus in ähnlicher Größenordnung, gewissermaßen der Gegenentwurf mit transparenter, gläserner Fassade. Wie Scylla und Charybdis werden die beiden den Zugang zum neuen Berliner Kulturbrennpunkt Pfefferberg bewachen – und vielleicht auch die Passanten unwiderstehlich anziehen.

Die Wahl fiel auf das nur rund 100 m² messende Grundstück, weil es, etwa im Unterschied zu alternativen Industrieetagen, Gelegenheit bot, in einem angemessenen, kulturell aufgeladenen Umfeld eine eigene Adresse, ein eigenes Haus für das Museum zu schaffen.

Das Grundstück wurde vollständig überbaut, doch weil das Haus mit einer Seite am Teutoburger Platz und mit zwei Seiten am gepflasterten Hof des Pfefferbergs liegt und nur mit einer Seite an die Brandwand eines Nachbarhauses grenzt, kann es seine Außenwirkung voll entfalten. Rücksicht zu nehmen galt es nur in Bezug auf die Stabilität der alten Brandwand und auf die Gefahr eines Brandüberschlags übereck, die eine Brandschutzverglasung erforderlich machte. Ansonsten galt § 34 BauGB – inwieweit sich der Neubau »nach Art und Maß« in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt, wurde in detaillierter Abstimmung mit Stadtplanungsamt und Denkmalschutzbehörde ausgehandelt. Wirft sich linker Hand das 125 Jahre alte Brauereigebäude, in dem Olafur Eliasson mit 70 Mitarbeitern seine Kunstwerke produziert, als Backsteinversion eines florentinischen Palazzos in die Brust, so vermag Tchobans Museum den Aufmerksamkeitsgrad durchaus noch zu steigern. Es ist schon staunenswert, wie oben auf der irgendwie ägyptisch anmutenden Bauskulptur eine gläserne, an der auskragenden Unterseite verspiegelte Kanzel thront. Die inszenierte Dramaturgie der Annäherung führt vom großen Ganzen zum Detail, von der zyklopischen Stapelung über das Fassadenrelief zur Oberfläche und zur Materialtextur und beim Eintritt ins Innere vom Vorplatz über die Eingangsnische, das intime Foyer, die Treppe mit wechselseitiger Aussicht, die bergenden Ausstellungsräume bis hinauf zum gläsernen Penthaus mit Rundblick auf die Industriekultur, die Dächer des Quartiers und den grünen Stadtpark.

Im Innern wirkt es, sorgsam detailliert und in edlen Materialien ausgeführt, wie ein Schatzkästchen. Das EG wird vom Empfang und einer kleinen Präsenzbibliothek eingenommen. Die Wandvertäfelung aus Nussbaumholz wiederholt die Fassadenmotive. Auch die Betonwände des Aufzugsschachts sind mit dem Dekor reliefiert. Man fährt mit dem gläsernen Lift gewissermaßen durch die Baugeschichte, hat aber auch den Außenbezug.

Der Gestaltung der beiden Ausstellungsgeschosse waren umfangreiche Untersuchungen vorausgegangen. Wie groß müssen (dürfen) die Kabinette sein, in denen die meist nicht besonders großformatigen Blätter gezeigt werden? 3,75 m Wandabstand wurde für das Betrachten der Formate als optimal empfunden. Mit bis zu 70 Zeichnungen sollte eine Ausstellung bestückt werden können, dies die Maßgaben. Es zeigte sich, dass sich diese Verhältnisse auf dem Grundstück gut einrichten lassen. Die geknickten Raumgrundrisse tragen zur Differenzierung bei und wirken der Beengtheit entgegen, wie auch einzelne Fenster und die Loggia im zweiten OG.

Der Zuschnitt der Räume, v. a. aber die Auswahl der Baustoffe bringt einen weiteren Vorteile mit sich: Die konservatorischen Verhältnisse Belichtung, Temperatur und Feuchtigkeit lassen sich so präzise wie bei kaum einem anderen Museum auf die Anforderungen historischer Grafiken einstellen. Mit ihrer Fähigkeit, Feuchte und Wärme aufzunehmen bzw. abzugeben, wirken bereits die thermisch trägen Kalksandsteinwände und ihr Kalkzementputz auf natürliche Weise ausgleichend auf das Raumklima, welches in erster Linie auf die empfindlichen Exponate abgestimmt wird. Durch einen Fallluftstrom sind diese gegen die Emissionen der Besucher abgeschirmt. Dies alles überzeugt die Leihgeber, die ihre Schätze in die Tchoban Foundation gewissermaßen zur Erholung schicken können. Die diffusionsdichte Konstruktion aus weitgehend wiederverwertbaren Baustoffen sowie die energiesparende LED-Beleuchtung erlaubten es, mit denkbar geringen Luftwechselraten zu operieren und somit auch den Raumbedarf für die Gebäudetechnik zu minimieren.

Da die Raumtemperatur über die Heiz-/Kühldecke geregelt wird, kann die Klimaanlage – im Idealfall – außerhalb der Öffnungszeiten sogar abgeschaltet werden. Der rechnerisch spezifische Gesamt-Energiebedarf liegt bei überdurchschnittlich guten 250 kWh/a·m².

Auf die beiden Ausstellungsebenen folgt ein Lagergeschoss mit fest eingebauten Depotschränken als Schauarchiv. Bekrönt wird der hermetische Bau von einem gläsernen Quader mit Rundumsicht und zwei Dachterrassen, wo Kuratoren und Verwaltung einen wunderbaren Arbeitsplatz vorfinden.

Natürlich hat das Haus kein besonders günstiges Verhältnis zwischen Erschließungsflächen und Nutzflächen. Dazu trägt auch die aufwendige Klimatisierung mit auf- und absteigenden Schächten bei. Aber es ist maßgeschneidert, hat für die Ausstellungszwecke die optimale Größe und ist mit wenig Personal zu betreiben.

Expandieren wird das buchstäblich auf »kleinem Fuß« existierende Museum nicht können, aber wer würde sich das wünschen? In Zeiten der kaum zu bewältigenden Mega-Ausstellungen tut es gut, sich auf die stillen Qualitäten der wunderbaren, ausgesuchten Blätter einer überschaubaren Ausstellung zu konzentrieren. »Klein aber fein«, der klischeehafte Spruch war selten so angebracht wie beim neuen Museum für Architekturzeichnung in Berlin.

db, Mo., 2013.10.07



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db 2013|10 Auf engem Raum

02. September 2013Falk Jaeger
db

Ordnung attraktiv gemacht

Viele Architekten neigen dazu, die von ihnen generell favorisierte disziplinierte Gestaltung, Ordnung und Materialgerechtigkeit für ein probates pädagogisches Programm zu halten, mit dem man Kindern per Schulbau das »richtige« ästhetische Verständnis beibringen kann. Sie irren. Dass ein Schulbau andererseits keine Räuberhöhle oder gebauter Dinosaurier sein muss und trotz regelhafter Architektur erlebnisreich und anregend sein kann, haben wulf architekten in Karlsruhe bewiesen.

Viele Architekten neigen dazu, die von ihnen generell favorisierte disziplinierte Gestaltung, Ordnung und Materialgerechtigkeit für ein probates pädagogisches Programm zu halten, mit dem man Kindern per Schulbau das »richtige« ästhetische Verständnis beibringen kann. Sie irren. Dass ein Schulbau andererseits keine Räuberhöhle oder gebauter Dinosaurier sein muss und trotz regelhafter Architektur erlebnisreich und anregend sein kann, haben wulf architekten in Karlsruhe bewiesen.

Ein wenig abseits liegt die Karlsruher Nordweststadt schon, eine bleiern ruhige Schlafstadt, angelegt nach dem Trabantenstadtprinzip in den 60er Jahren. Bedeutende Architektur hat das Quartier nicht zu bieten, Einfamilienhäuser ohne Ende, hier und da etwas Geschosswohnungsbau, die eine oder andere Schule, ein Sportplatz. Am bemerkenswertesten noch das Wilhelmine-Lübke-Altenwohnheim, 1968 von Bertold Sack erbaut und offenkundig der Ära der Terrassenbauten von Faller und Schröder zuzurechnen. Doch dann lässt am Ende der Trierer Straße ein Ensemble aufmerken, das einen Epochensprung anzeigt. Nicht etwa durch extravagante Bauformen oder schiere Größe, sondern durch eine angesichts des Béton brut in der Nachbarschaft fast elegant zu nennende Leichtigkeit und Anmut: die neue Grundschule von wulf architekten.

Zunächst markiert ein merkwürdiger, offener Campanile den Zugang, der Glockenturm der rechter Hand benachbarten Jacobuskirche. Turm und Gemeindezentrum aus den 60er Jahren einerseits und die Evangelische Grundschule andererseits bilden einen wohlproportionierten Platz, der mit einem althergebrachten Schulhof nicht mehr viel gemein hat. Die Schule selbst versucht gar nicht erst, sich mit abweichenden Baukörperformen unter all den orthogonalen, flach gedeckten Quadern der unmittelbaren Nachbarschaft besonders zu positionieren, sondern ordnet sich städtebaulich unauffällig ein. Sie besteht aus Schulhaus und Sporthalle, zwei klaren, zweigeschossigen Baukörpern. Fragilen, leichten Volumen, deren Körperlichkeit sich bei Annäherung mehr und mehr aufzulösen scheint.

Der erstaunliche Effekt ist den geschosshohen, vertikalen Aluminiumlamellen geschuldet, die in unregelmäßigem Rhythmus zwischen die liniendünnen Deckenplatten gespannt sind und die Außenhaut der beiden Gebäude in einen farbig oszillierenden Schleier verwandeln. Zu der einen Seite sind alle Lamellen in Rot- und Pinktönen lackiert, zur anderen hin in Grüntönen. Einzelne Lamellen sind in Gelb gehalten. Die Stirnseiten zeigen Aluminium-Naturton, ebenso wie die schlanken konstruktiven Stützen übrigens. So wandelt sich das Bild im Vorbeigehen oder im Zusammenklang der beiden versetzt zueinander stehenden Baukörper. In der Bewegung entsteht ein Vexierbild.

»Fröhliche Farben«, der Topos kommt einem in den Sinn und bestimmt den ersten Eindruck. Dennoch handelt es sich nicht um eine hemmungslos bunte Schule; kräftige Farben tauchen nur noch einmal auf, bei den Gewänden der Oberlichter in der zentralen Halle des Schulhauses.

Die zweigeschossige Halle ist Erschließungsraum, Versammlungshalle, aber auch pädagogisches Element, denn die Evangelische Grundschule Karlsruhe ist eine Ganztagsschule mit Montessori-Pädagogik. Die Schule soll nicht nur Lern-, sondern auch Lebens- und Erfahrungsraum in einem umfassenden Sinne sein. Demgemäß ist das Raumprogramm nicht auf Flure, Klassenzimmer und Aula beschränkt. Das »Lernhaus« (wie es in der Montessori-Pädagogik heißt) bietet ein offenes, zweigeschossiges Zentrum mit Freitreppe und Podium sowie Nutzungsbereichen vor den Klassenzimmern. Das Podium aus einzelnen Kiefernholz-Elementen lässt sich für verschiedene Nutzungen zu unterschiedlichen Ebenen und Sitzanordnungen arrangieren. Auch andere Einbauten wie die Garderoben sind aus dem lebendig gemaserten Seekiefernholz gefertigt und prägen den Charakter des Raums.

Wunderbarer Bewegungsraum

Um die zentrale, von Zenitlicht belichtete Halle herum reihen sich im EG der Andachtsraum, der am Abend auch separat vom Windfang aus zu erreichen ist, vier Klassenzimmer mit zwei Multifunktionsräumen, ein Lehrerzimmer und eine große Küche. Treppauf ein ähnliches Raumprogramm mit vier Klassen, Lehrerzimmer, Musikraum, Werkraum, Bibliothek und einer weiteren Küche.

Frontalunterricht vor einer homogenen Klasse spielt in der Montessori-Pädagogik eine untergeordnete Rolle. Häufig werden die Gruppen gewechselt, neu formiert, die Sitzanordnung geändert. Deshalb sind die quadratischen Klassenzimmer mit 80 m² ungewöhnlich geräumig und erlauben vielgestaltige Nutzungsmöglichkeiten jenseits der üblichen schematisch aufgestellten Schulbankreihen. An den Standards des öffentlichen Schulbauwesens hat man sich bei diesem von der Schulstiftung der evangelischen Landeskirche Baden realisierten Projekt offenbar nicht orientieren müssen, wenngleich das knappe Budget mit 8,25 Mio. Euro zu sparsamer Bauweise zwang. Jeweils zwei Klassen ist noch ein zusätzlicher Multifunktionsraum zugeordnet, der weitere pädagogische Möglichkeiten, etwa des Lernens in kleiner Gruppe eröffnet.

Zwischen der eigentlichen Fassade und dem Lamellenstakkato liegt ein Rundgang, der im oberen Geschoss auch als zweiter Rettungsweg fungiert, aber v. a. natürlich wunderbaren Bewegungsraum für die Kinder abgibt. Den Blick beeinträchtigende Geländer gibt es nicht, nur sehr zarte Metallnetze mit äußerst minimierten Abspannvorrichtungen.

Durchgängig im Haus ist die Wertschätzung und Hinwendung zu den Schülern als Individuen zu spüren, bis hin zum Geschirr für das Schulessen, das nicht als Kantinen-Massenware eingekauft, sondern von den engagierten Eltern nach gestalterischen Gesichtspunkten sorgfältig ausgesucht wurde.

Der zweite Baukörper tritt noch luftiger vor Augen, weil die obere Etage nur aus einer Pergola zu bestehen scheint. Der Bau beinhaltet die Sporthalle, die 3 m tief eingesenkt wurde und oberirdisch normale Geschosshöhe erreicht. An der Südseite liegen im EG die Umkleideräume, im OG Rektorat und Verwaltung der Schule. Die Dachfläche der Halle wird als Pausenbereich und Spielfläche genutzt und auf zwei Seiten von der Pergola begrenzt. Sie ist mit Kunstrasen belegt, als Ballspielfläche markiert und ringsum mit einem fast unsichtbaren Edelstahlnetz umfangen, ein ungewöhnlicher, luftiger Spielraum mit vielfältigen Blickbeziehungen. Die Netze spielen bei dem Bauwerk also eine bedeutende Rolle. Sie sind innen wie außen als ephemere Raumabschlüsse und Brüstungen eingesetzt. Bei den Außentreppen werden sie sogar zu tragenden Elementen, denn die Handläufe sind mit Klemmvorrichtungen am Netz befestigt. So tragen sie wesentlich zum leichten, offenen und reizvollen Erscheinungsbild der Schule bei.

Lehrer haben leichtes Spiel

Die anregende Lernumgebung ist geeignet, im Sinn Maria Montessoris das Interesse und die spontane Aktivität bei den Kindern zu wecken. »Alles, was langweilt, entmutigt oder unterbricht, wird zu einem Hindernis, das durch keine logische Vorbereitung des Unterrichts überwunden werden kann«, ist ihr Credo. So gesehen müssen die Lehrer an dieser Schule wohl leichtes Spiel haben.

Welches Glück sie haben wird deutlich, wenn man z. B. eine der strengen, in düsteren Farben gemauerten Schulen Max Dudlers dagegenstellt. Sie mag gestalterische Qualitäten aufweisen, gut detailliert und solide gebaut sein, aber Kinder sollte man damit nicht behelligen.

Für die Evangelische Grundschule gilt: Selten wird ein pädagogisches Konzept so nonchalant und dennoch so konsequent in Architektur umgesetzt. Selten auch gelingt es in diesem Maß, eine zwanglose, freundliche, bei durchaus beibehaltener gestalterischer Disziplin dennoch räumlich ungemein vielseitige und differenzierte Lernumgebung zu schaffen. In diesem Punkt trennen wulf architekten und z. B. Peter Hübner, der ebenfalls anregende Schulen baut, Welten. Doch hier geht es nach Montessori, die dem Kind eine äußere Ordnung vorgeben möchte, damit es sich in seiner inneren Ordnung daran orientiere. »Sie muss attraktiv sein, um das Kind zu jener Aktivität aufzufordern, die es braucht, um von der äußeren Ordnung zur inneren zu gelangen.« Die Ordnung attraktiv machen, womit sicher auch ästhetisch, schön gemeint ist, das war hier die Aufgabe, die von den Architekten gemeistert wurde. Der Spruch hat gewiss einen langen Bart, aber er scheint hier am Platz: Hier würde man gerne nochmal zur Schule gehen.

db, Mo., 2013.09.02



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db 2013|09 Bauen für Kinder

05. Januar 2012Falk Jaeger
Neue Zürcher Zeitung

Glitzernde Musiktempel

Messegelände, Flughäfen, Kongresszentren, Stadien – China stattet seine rasch wachsenden Millionenstädte mit neuen Infrastrukturen aus. Auch die Kultur kommt nicht zu kurz. Neben Museen und Bibliotheken entstehen architektonisch ansprechende Opernhäuser.

Messegelände, Flughäfen, Kongresszentren, Stadien – China stattet seine rasch wachsenden Millionenstädte mit neuen Infrastrukturen aus. Auch die Kultur kommt nicht zu kurz. Neben Museen und Bibliotheken entstehen architektonisch ansprechende Opernhäuser.

Hinweis: Leider können Sie den vollständigen Artikel nicht in nextroom lesen. Sie haben jedoch die Möglichkeit, diesen im „Neue Zürcher Zeitung“ Archiv abzurufen. Vollständigen Artikel anssehen

18. Juni 2010Falk Jaeger
Neue Zürcher Zeitung

Ein unsichtbares Haus

In den vergangenen Jahren konnte Dresden mit mehreren restaurierten Ausstellungsgebäuden aufwarten. An diesem Wochenende wird das vom Berliner Architekten Volker Staab aufgestockte und erneuerte Albertinum wiedereröffnet.

In den vergangenen Jahren konnte Dresden mit mehreren restaurierten Ausstellungsgebäuden aufwarten. An diesem Wochenende wird das vom Berliner Architekten Volker Staab aufgestockte und erneuerte Albertinum wiedereröffnet.

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Albertinum Dresden - Umbau

07. Juni 2010Falk Jaeger
db

Nostalgische Wohlfühlarchitektur ist doch keine Baukunst!

Die Mehrheit der Architekten hält den neuen Traditionalismus für eine vorübergehende Modetorheit, die Wissenschaft und die Fachpresse findet die Beschäftigung damit degoutant. Dessen Protagonisten jedoch bauen fleißig und unbeirrt und erfreuen sich des Beifalls der Lokalpresse und des breiten Publikums. Eine theoretische Auseinandersetzung fand bedauerlicherweise bisher nicht statt.

Die Mehrheit der Architekten hält den neuen Traditionalismus für eine vorübergehende Modetorheit, die Wissenschaft und die Fachpresse findet die Beschäftigung damit degoutant. Dessen Protagonisten jedoch bauen fleißig und unbeirrt und erfreuen sich des Beifalls der Lokalpresse und des breiten Publikums. Eine theoretische Auseinandersetzung fand bedauerlicherweise bisher nicht statt.

»Aus nackter Zweckform wird abstrakte Schönheit«, dieser Ausruf Erich Mendelsohns 1924 in Chicago angesichts gigantischer Getreidesilos mit ihren »Kindheitsformen, unbeholfen, voll urwüchsiger Kraft, dem reinen Bedürfnis ergeben«, beleuchtet schlaglichtartig ein Dilemma, das die damals aufkommende Moderne von Anbeginn und bis heute mit sich trägt. Abstrakte Schönheit ist ein hehres Ziel, das sich jedoch mit niedrigeren Grundbedürfnissen des Menschen nicht zu vertragen scheint. In der dünnen Höhenluft ästhetischer Sphären hält es der Normalbürger nicht lange aus. Ihn verlangt es alsbald nach Gefühlswerten, Behaglichkeit, gar Gemütlichkeit (die der Fachmann lieber »Anmutung« nennt). Mendelsohn nennt es »Charme«, wenn er 1950 über die ihn maßlos enttäuschenden Bauten Mies van der Rohes in Chicago berichtet: »Preußische Strenge ohne den Charme Schinkels, ein klarer Himmel ohne Sonne und tot wie Julius Cäsar …« und den Kollegen in einem Engpass sieht, von dem aus es nicht mehr weiter gehe.

Immer wieder haben Architekten dieses Dilemma gespürt und darauf zu reagieren gesucht. Adolf Loos, der das Ornament für vergeudete Arbeitskraft hielt, gestand seinen Klienten wenigstens feurigen Marmor und lebhaft gemaserte Holzoberflächen als Augenfutter zu, Bruno Taut griff beherzt zum Farbtopf und Le Corbusier wurde in seinem Spätwerk immer barocker.

Und heute?

Noch immer gibt es Architekten, die am liebsten eine Welt für sich hätten, die sie unbehelligt vom Banausentum Lieschen Müllers mit gebauten Manifesten und unbeseelten architekturtheoretischen Etüden ausstatten könnten. Viele sind Schüler von Oswald Mathias Ungers, dem Exponenten der »Architektur als Wissenschaft«, dem so manches Haus zum unbewohnbaren Kunstwerk geraten ist, zum perfekten, Weltraumkälte ausstrahlenden Artefakt.

Wie schwierig es heute ist, mit zeitgenössischen Mitteln Atmosphäre zu schaffen, zeigt der Fall Hans Kollhoff, der, früher respektabler Moderner, inzwischen keine Hemmungen mehr hat, Blümchentapeten und Ohrensesseln zu neuem Leben zu verhelfen, weil er sich nicht in der Lage sieht, dem Defizit auf andere Weise beizukommen. Die meisten Architekten überlassen die Inszenierung von Anmutung und Atmosphäre jedoch den nachträglich beauftragten Lichtplanern und Innenarchitekten.

Farbe, neben Licht das zweite bedeutsame Element bei der Gestaltung von gestimmten Räumen, wird von den meisten als unseriös und Verfälschung der reinen Architektur brüsk abgelehnt. Sie schwärmen dann von den naturgegebenen Farben der Materialien und erfreuen sich an einem »schönen Grau« von Aluminium natur. Die als Seriosität getarnte Enthaltsamkeit ist nichts als Scheu vor Emotionalität. »Die Architektur weckt Stimmungen. Es ist die Aufgabe des Architekten, diese Stimmungen zu präzisieren«, hatte Adolf Loos 1925 postuliert und die Architekten täten gut daran, diesen Ratschlag wieder mehr zu beherzigen.

Einen Ausweg sehen manche in der Wiederbelebung historischer Bauformen. Nun hat aber der Traditionalismus, in Deutschland mehr als in anderen Ländern, mit einem Stigma zu kämpfen, das ihm das Dritte Reich aufgedrückt hat, als der Neoklassizismus zum Staatsstil für die Repräsentationsbauten des Regimes erklärt wurde. Seitdem ist der Faschismusvorwurf als finales Totschlagargument gegen die Retroarchitektur nicht auszumerzen, so oberflächlich und bar jeder Fachkenntnis er auch sein mag.

Doch dass der Traditionalismus seit einem Jahrhundert ohnehin nicht die Kraft hat, sich entscheidend durchzusetzen, zeigen die anderen europäischen Länder, die in den 30er Jahren eine politisch nicht kontaminierte Neoklassizismusphase durchlebt haben. Für die Beschäftigung mit dem historischen Vokabular, für ein Wiederaufleben des Vitruvianismus fehlt die Rückbindung in ein gesellschaftliches Werte- und Normensystem.

Genauere Kenntnisse in Baugeschichte? Fehlanzeige

Um ein neoklassizistisches Bauwerk zu entwerfen, bedarf es grundlegender bauhistorischer Kenntnisse. Das Erlernen dieser architekturtheoretischen und baugeschichtlichen Grundlagen in der Architektenausbildung nach alter Väter Art ist heutzutage jedoch weder möglich noch vorstellbar, und so muss es zwangsläufig beim Dilettantismus bleiben, beim »das sieht irgendwie alt aus«. Nur in wenigen Ausnahmefällen halten Retrobauten einer bauhistorischen Analyse stand. Die verantwortungslose Selbstbedienung aus der Asservatenkammer der Baugeschichte geht oft mit einer Ignoranz und Interesselosigkeit der bauhistorischen Kultur gegenüber einher, die eine theoretische Beschäftigung mit ihr ausschließt. Der neue Historismus hat an den Hochschulen und in den Architekturzirkeln keine architekturtheoretische Grundlage, er wird als Baukunst nicht anerkannt und höchstens als kurioses gesellschaftliches Randphänomen diskutiert, quasi von außen beäugt, als sei er eine vorübergehende Modetorheit. Retroarchitekten gelten als Außenseiter (Matthias Ocker: »Ich bin ein Exot«), ein Dialog mit dem Gros der modern orientierten Architekten findet (ausgehend von beiden Seiten) nicht statt oder erschöpft sich in gegenseitigen Vorhaltungen.

Solange Architekten ihr Augenmerk ausschließlich auf die Beachtung von funktionalen und ökonomischen Randbedingungen richten oder blutleere architekturtheoretische Etüden oder, andererseits, möglichst spektakuläre architektonische Sensationen errichten, ohne sich wirklich um die Wünsche und Bedürfnisse der Nutzer nach Gemüts- und Gefühlswerten zu kümmern, wird die Akzeptanz der modernen Gegenwartsarchitektur in der breiten Bevölkerung nicht wachsen und werden jene, die kaiserzeitlichen Traditionalismus als nostalgische Wohlfühlkulisse anbieten, ein leichtes Spiel haben.

db, Mo., 2010.06.07



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db 2010|06 Retrospektiv

16. Januar 2009Falk Jaeger
TEC21

Oberfläche als Medium

Die Oberfläche eines Gebäudes trägt wesentlich zu seiner Akzeptanz bei. Das Münchner Architekturbüro Hild und K hat in den vergangenen Jahren auf unterschiedliche Weise versucht, das Bedürfnis nach Schmuck und narrativen Elementen auf hintergründige, intelligente Art zu befriedigen. Wie kann man der Forderung der Postmoderne nach einer Ergänzung der Moderne um Gemütswert und kommunikative Elemente nachkommen, ohne in Historismen zu verfallen? Die Projekte der letzten zwölf Jahre zeigen ein breites Spektrum von Interventionsmöglichkeiten.

Die Oberfläche eines Gebäudes trägt wesentlich zu seiner Akzeptanz bei. Das Münchner Architekturbüro Hild und K hat in den vergangenen Jahren auf unterschiedliche Weise versucht, das Bedürfnis nach Schmuck und narrativen Elementen auf hintergründige, intelligente Art zu befriedigen. Wie kann man der Forderung der Postmoderne nach einer Ergänzung der Moderne um Gemütswert und kommunikative Elemente nachkommen, ohne in Historismen zu verfallen? Die Projekte der letzten zwölf Jahre zeigen ein breites Spektrum von Interventionsmöglichkeiten.

Als der Berliner Publizist Wolf Jobst Siedler Anfang der 1960er-Jahre durch Berlin flanierte und die ihres Stuckkleids beraubten Fassaden der Kaiserzeit musterte, machte er eine interessante Entdeckung: «... jetzt, da [das Dekor-Gewimmel] entfernt wurde, wird sichtbar, was bis gestern durch den Stuckzierrat verborgen blieb: Die architektonische Leistung ist schlecht. Denn nun erst stimmen keine Masse mehr: nicht die Grösse der Fenster und nicht ihr Abstand voneinander, nicht der Winkel am Erkervorsprung und nicht die einst durch Gesimse Schinkelscher Herkunft dekorierten Blindfenster.»[1]

Dekoration der Oberfläche zur Kaschierung von Bausünden? Dieser Vorwurf erscheint uns heute kleinlich. Mit Emphase werden Stuckfassaden gepflegt, restauriert, zum Teil rekonstruiert: Die von der zeitgenössischen Architektur gequälte Volksseele verlangt danach. Doch jetzt leiden die Architekten unter der Nostalgiewelle und suchen nach Auswegen.

Dreidimensionales Graffito

Den Auftakt zur Beschäftigung mit dieser Frage machten Andreas Hild und Dionys Ottl von Hild und K 1996 mit dem Bau einer Wertstoffsammelstelle im bayrischen Landshut: Sie umfriedeten die Anlage mit einer Mauer aus rechteckigen Betonfertigteilen, mit denen durch unterschiedlich angeordnete Aussparungen der immer gleichen Grösse die Buchstaben geformt werden. «Sammeln» steht da in übermannshohen Lettern zu lesen. Die Elemente erinnern an Buchstaben, wie sie von Graffiti-Sprayern gestaltet werden, der goldene Anstrich vermittelt ein Gefühl von Wertigkeit. Offenkundig nötigt die Arbeit den Sprayern Respekt ab, denn sie haben sich an der Anlage noch nicht verewigt.

Ebenfalls in Landshut gestalteten die Architekten 1997 die Bushaltestelle Ländtorplatz am Rande der Altstadt (Bilder 4 5). Die Architekten wollten die eher bescheidene Aufgabe dazu nutzen, etwas Besonderes zu gestalten: Anstelle einer herkömmlichen Pfosten-Riegel- Konstruktion entwarfen sie zunächst eine Stahlskulptur mit rostiger Oberfläche im Stil Richard Serras, was bei der Auftraggeberin, der Stadt Landshut, nicht auf Gegenliebe stiess. Daraufhin entstand die Idee, ein Biedermeierdekor überdimensional auf das Wartehäuschen zu projizieren. Mittels Laserschneideverfahren wurde das florale Dekor aus 12 mm starken gekanteten Cortenstahlplatten ausgeschnitten und praktisch zu einem Wartehaus gefaltet: Das Ornament wurde zur Tragstruktur des kleinen Bauwerks. Die Oberfläche – rostüber zogener Stahl – steht in Kontrast zum eher aus dem Luxussegment bekannten Dekor. Auf humorvolle, leicht ironische Art fügt sich das moderne Häuschen in die historisch geprägte Umgebung ein.

Vergrössern, verfremden

Als Hild und K zwei Jahre später ein Gründerzeithaus in Berlin zu sanieren hatten, das zwischen zwei noch prächtig im Schmuck stehenden Fassaden ganz nackt und bloss wirkte, erinnerten sie sich dieses Prinzips. Der Baueingabeplan vom Ende des 19. Jahrhunderts zeigte die zeitgenössischen Verzierungen der fünfgeschossigen Fassade. Er wurde eingescannt und hundertfach auf den Massstab 1:1 vergrössert. Die daraus entstehende Vergröberung ergibt einen verblüffenden Effekt: Baluster werden zu Flaschenkürbissen, Fensterverdachungen erscheinen wie dick verschneit, Kapitelle quellen auf, als seien sie aus Hefeteig. Die weichgezeichneten Schmuckelemente erinnern an Formen des Jugendstils oder an Rudolf Steiners Säulenordnung mit ihren wogenden Kapitellen im ersten Goetheanum in Dornach.Das auf diese Weise «designte» Dekor liessen die Architekten als vertieftes Relief mittels einer Art Schablonenputz auf die Fassade des Hauses aufbringen. Schattenwurf und Plastizität der wenige Zentimeter tiefen Dekorschicht unterscheiden sich dabei deutlich von der dreidimensional geformten Nachbarfassade (Bilder 7-8), die Gesamtwirkung ist dennoch verblüffend. Zumal das Dekor seinen eigenen Schatten schon eingebaut hat, denn die Schattierungen, mit denen der Baumeister um 1900 seine Bauzeichnung effektvoll verschönert hatte, übernahmen die Architekten gleich mit. Ein Scherz, der dadurch noch scherzhafter wird, dass die Schatten von der im Norden stehenden Mitternachtssonne geworfen werden ... Hild und K vermeiden es, skulpturale Elemente als Dekor zur Wirkung zu bringen: Sie bearbeiten die Oberfläche, erzeugen eine grafische Wirkung und nutzen sie zur Übermittlung semantischer Botschaften. Ihre Berliner Fassade ist nicht gedankenlos geschmückt, sie erzählt eine Geschichte. Das Dekor wurde mit einem Trick in die Gegenwartsarchitektur geschmuggelt.

Experimentell weitergedacht haben die Architekten das Prinzip der Reproduktion durch Vergrösserung verfremdeter Dekors bei einem kleinen Projekt in München. An einem Wohnungsbau aus dem Jahr 1901 mussten die maroden Balkone an der Hofseite ersetzt werden. Als Reminiszenz an die schmiedeeisernen Balkongitter der Jahrhundertwende suchten die Architekten nach einem figurativen historistischen Muster. Sie fotografierten ein Dekorband der Strassenfassade und lösten das Bild in ein Bandraster auf. Eine Laserschneideanlage perforierte die Stahlplatten mit dem Raster. So entstanden durchbrochene Brüstungsgitter, die in der Nahsicht abstrakte Strukturen zeigen. Wahrnehmen lässt sich das vegetabile Dekor erst aus grösserer Entfernung, vom Nachbarhaus oder vom Hof aus (Bilder 10-11).

Von aussen nach innen

Sucht man nach weiteren Experimenten dieser Art im Werk der Architekten, stösst man auf ein im Jahr 2000 entstandenes Haus in Aggstall (D), einem kleinen Weiler zwischen München und Regensburg. Auch bei dessen Aussenhaut geht es um eine Reliefwirkung, diesmal erzeugt durch vorstehende Ziegel, die ein Rautenmuster bilden. Von weitem entsteht der Eindruck, das Gebäude sei mit einer Brokattapete beklebt oder von einem Norwegerpulli umhüllt (Bild 1). Aus der Nähe zeigt sich, dass es sich um korngelb geschlämmte Ziegelwände handelt und das Dekor vor allem durch die Schattenwirkung entsteht. Das vermeintliche, einer Tapete entsprechende Flächenmuster erweist sich als geometrische Ornamentierung, die mit dem Mass- und Proportionssystem des Hauses in Zusammenhang steht. Das Grundmuster besteht aus repetierten Vierecken, sozusagen grob gepixelten Rauten. Da sich das Rautenmuster fortlaufend um die Hauskanten legt (Bild 2), fungiert die Raute als Modul. Dieser Modulordnung sind auch die Wandöffnungen unterworfen: Fenster und Türen sind in das Muster eingepasst, das Aussendekor nimmt also auf die Proportionen der Innenräume Einfluss. Die Oberfläche wird zur Struktur, die Struktur zur Proportion.

Vom Dekor zur Geometrie

Einen ähnlichen Ansatz verfolgten Hild und K 1994 beim Neubau eines Lagerhauses für Farben in Eichstätt (D). Mit handelsüblichen Porenbetonfassadenplatten in zwei verschiedenen Stärken und sechs unterschiedlichen Längen formten sie eine schlichte Fassade für den als einschiffige Halle konzipierten Bau. Durch die regellose Kombination der Platten bei immer gleicher Breite entsteht ein apartes Spiel der Fensteröffnungen, durch die unterschiedliche Bauteilstärke ein Schatten werfendes, vertikales Relief. Die Fenster sind rahmenlos bündig in die Fassade eingesetzt und werden durch die dickeren Elemente geschützt. Am Abend wird der Eindruck durch eine unprätentiöse, doch umso effektvollere Beleuchtung noch verstärkt: Die Beleuchtungskörper werden im Traufbereich von den dünneren Elementen aufgenommen. Wegen der normierten Bauteile blieb die Konstruktion einfach und kostengünstig, und auch die Montage war nicht mit Mehraufwand verbunden. Hier geht es nicht um die Dekoration schlechter Architektur, sondern um die Architektur selbst. Wolf Jobst Siedler hätte keine Kritik anzubringen.

Die Weiterentwicklung dieser Überlegung führte 2004 beim Bau des Bayerischen Forschungs- und Technologiezentrums für Sportwissenschaften in München zu einem noch geometrischeren, reduzierteren Ergebnis. Das Gebäude wurde entsprechend den Vorgaben des Campus-Masterplans und mit kleinem Budget realisiert. Entstanden ist ein Systembau aus Betonfertigteilen. Einzige ins Auge fallende Gestaltungsmassnahme sind die zwei sich abwechselnden Fensterformate. Auf den nicht von Fenstern durchbrochenen Flächen wird das Fassadenraster in nahezu monochromatischen Weiss- und Hellgrautönen fortgeführt. Die einzelnen Rasterfelder unterscheiden sich durch verschiedene Lagen von Farbaufträgen und wechselnde Streichrichtungen. Es entsteht eine luzide Oberfläche, die der gleichförmigen, rationalistischen Reihung der Lochfassade etwas Leichtes, Elegantes verleiht. Hild und Ottl beschäftigen sich intensiv mit dem Verhältnis von Bauwerk und möglichen Modulationen der Oberflächen. Durch die Diskussion haben sie sich von populären künstlerischen Ornamentmotiven entfernt und in Richtung architektonisch-abstrakte Motive bewegt. «Häuser sollen normal aussehen», sagen sie, doch unverändert bleibt ihr Bemühen, die Oberflächen zum Sprechen zu bringen.

Literatur:
[1] Wolf Jobst Siedler, Elisabeth Niggemeyer: Die gemordete Stadt – Abgesang auf Putte und Strasse, Platz und Baum. F. A. Herbig Verlagsbuchhandlung, 1964, S. 13

TEC21, Fr., 2009.01.16



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15. Mai 2008Falk Jaeger
Metamorphose

Ostmoderne relaunched

Ob sie jemals als schön empfunden worden sind, die Typenschulen aus DDR-Produktion? Mittlerweile jedenfalls gelten sie in ihrer funktionalen und konstruktiven Klarheit als charaktervoll – und denkmalwert. Kein Grund also, sie mit Steildächern und bunten Fassaden zu verhübschen. Auch Huber Staudt Architekten haben einen alternativen Weg gefunden, zwei Schulen im Berliner Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg gestalterisch behutsam in unsere Zeit zu bringen.

Ob sie jemals als schön empfunden worden sind, die Typenschulen aus DDR-Produktion? Mittlerweile jedenfalls gelten sie in ihrer funktionalen und konstruktiven Klarheit als charaktervoll – und denkmalwert. Kein Grund also, sie mit Steildächern und bunten Fassaden zu verhübschen. Auch Huber Staudt Architekten haben einen alternativen Weg gefunden, zwei Schulen im Berliner Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg gestalterisch behutsam in unsere Zeit zu bringen.

Nicht weniger als 160 Abkömmlinge der Berliner Bernhard-Rose-Schule (ursprünglich Axel-Wedding-Oberschule) sind auf dem Gebiet der ehemaligen DDR anzutreffen, denn dieses Bauwerk war 1965 - 66 von Gerhard Hölke als Prototyp der „Typenreihe SK Berlin“ errichtet worden und steht deshalb unter Denkmalschutz. Einer der Abkömmlinge findet sich in unmittelbarer Nachbarschaft, die heutige Blumen-Grundschule, auch sie ein viergeschossiger, kubischer Baukörper mit vorgezogenem Treppenhaus.
Was sofort ins Auge fällt ist die Tatsache, dass man durchaus städtebauliche Überlegungen angestellt hatte: Während die Bernhard-Rose-Schule an der Singerstraße in die Straßenflucht tritt, wurde die Blumen-Schule an der Andreasstraße in den Hintergrund gerückt, um einen Spielgarten vor dem Haus zu gewinnen. Im Blockinnenraum stehen die zugehörigen Sporthallen am gemeinsamen Schulhof. Aus heutiger Sicht fragwürdig ist jedoch die Tatsache, dass die Ausrichtung der Typenbauten nach der Himmelsrichtung offenbar als nachrangig angesehen wurde, denn die Schulen stehen im rechten Winkel zueinander. Heute, da die Typenschulen durchweg Sanierungsbedarf haben, ist natürlich der Umgang mit der Sonneneinstrahlung Thema.

Günstige Kennwerte

Die Berliner Architekten Christian Huber und Joachim Staudt haben sich der beiden Schulen angenommen, um sie mit neuen Fassaden heutigen bauphysikalischen Erfordernissen anzupassen. Andernorts werden die Errungenschaften des industrialisierten Bauwesens der DDR mit einem Vollwärmeschutz verpackt und sind nach neuer Farbgebung in „freundlichen“ Farben nicht wiederzuerkennen. Manch intelligenteres Herangehen führt zu hervorragenden neuen Lösungen, bei denen jedoch die Identität der Bauten verloren geht (siehe Grundschule in Schulzendorf, Metamorphose 1/2008, S. 24). Huber Staudt spürten das Verlangen, der originären Architektur der Schulen zu ihrem Recht zu verhelfen. Was sie sich vornahmen, wird im Pressewesen „Relaunch“ genannt, die vorsichtige gestalterische Aktualisierung eines Objekts, das seine Charakteristik behalten und wiedererkennbar bleiben soll.
Ziel war auch, die Kennwerte der EnEV um vierzig Prozent zu unterschreiten, damit die zwei Millionen Euro teure Maßnahme aus verschiedenen Töpfen gefördert werden konnte. Wenig Kopfzerbrechen bereiteten die geschlossenen Giebelwände, die mit einem aufgebrachten Wärmedämmverbundsystem optimiert wurden. Dass eine der Giebelwände an die Kugelstoßanlage grenzt und Schüler manchmal auf dumme Ideen kommen, muss wohl als außerplanmäßige Belastung gesehen werden, für die das Bauteil nicht ausgelegt sein kann. Auch für die Kunst am Bau trugen die Architekten Sorge. Ein fast giebelgroßes, kreisförmiges Kunstwerk am Südgiebel der Blumen-Schule zeigt wie vor dem Umbau Ikarus – neuerdings jedoch als eingetieftes Putzrelief. Davor montiert: der Kosmonaut Juri Gagarin als restaurierte Metallbandfigur in der Manier von Leonardo da Vincis vitruvianischem Menschen im Maßkreis.

Haut und Vorhang

Als komplexeres Problem erwies sich die bautechnische Ertüchtigung der Treppenhäuser. Sollten die Betonfassadenplatten mit dem eingetieften Dekor, eine Art reziproke Diamantrustika, erhalten werden, kam man um eine Innendämmung mit Schaumglas nicht umhin. Die einfach verglasten Fenster mit ihren schlanken Stahlrahmen blieben an Ort und Stelle und sind durch einen zusätzlichen, innen angebrachten Flügel zu einer Art Kastenfenster ausgebaut.
Das Hauptaugenmerk aber galt natürlich den Längsfassaden. Die Brüstungen des Typenbaus bestehen aus Betonsandwichelementen mit Innendämmung. Erste Maßnahme war, die Elemente von unten anzubohren und für das Kondenswasser Abflussröhren einzubauen. Die alten Fenster sind durch neue Holzfenster in derselben Teilung von 1,20 Metern ersetzt und außen dunkel gestrichen. Auf die Fassadenplatten wurden – ebenfalls außen – eine 15 Zentimeter starke Mineralfaserdämmung und schwarzes Windpapier aufgebracht. Zehn Zentimeter vor dieser schwarzen Fläche „schwebt“ eine zusätzliche, elementierte Aluminiumfassade. Sie besteht aus eloxierten, rechteckigen Hohlprofilen von fünf verschiedenen Breiten und vier verschiedenen Farben in einer holzartigen Farbpalette, die abwechselnd in horizontalen, über die gesamte Gebäudelänge laufenden Streifen montiert sind. Jeweils ein Fassadenfeld von 4,24 Metern Länge wurde mit L-förmigen Schienen zu einem vorfabrizierten Element zusammengefasst und in die Unterkonstruktion aus Aluminiumwinkeln und U-Profilen eingehängt. Der Abstand zwischen den 20 bis 100 Millimeter breiten Streifen ist mit 2,5 Zentimetern so gewählt, dass Selbstreinigung gewährleistet ist, ein Besteigen der Fassade jedoch verhindert wird. Unerwünschte Graffiti oder Farbschmierereien lassen sich dank der Eloxalschicht mit Spezialreinigern entfernen, ohne dabei die Oberfläche zu verletzen. Größtes logistisches Problem war das Sortieren der Streifen nach Plan, größte Herausforderung am Bau die präzise Montage, denn schon die geringste Unregelmäßigkeit würde deutlich ins Auge fallen.
Im Bereich der Klassenzimmer sind die ursprünglich durchlaufenden Fensterbänder durch Fassadenelemente mit etwas breiteren Zwischenräumen und Durchblick unterbrochen. Die Elemente hängen immer dort, wo die Klassenzimmertrennwände auf die Fassade treffen, so dass sich die innere Gliederung des Gebäudes nach außen abbildet. Vor den Fenstern der rückwärtigen Seite laufen einzelne Streifen über die gesamte Fassadenlänge durch und machen den Flur ablesbar.
Durch die deutlich abgesetzte zweite Haut bleiben die ursprünglichen Gebäude wie hinter einem Vorhang erfahrbar und das Ziel, der vier Jahrzehnte alten Architektur Referenz zu erweisen, wurde erreicht.

Metamorphose, Do., 2008.05.15



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Blumen-Grundschule und Bernhard-Rose-Schule, ökologische Fassadensanierung
Neugestaltung Fassade Bernhard-Rose-Schule



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Metamorphose 2008/03 Neues im Osten

02. Januar 2007Falk Jaeger
db

Städtische Skulptur in Beton

Ein Sichtbeton-Ensemble in technischer Perfektion – abgeliefert vom Meister des Sichtbetons – komplettiert die Neue Mitte Ulms. Wie viel Erfahrung und Wissen um betontechnologische Finessen in seine Realisierung eingeflossen ist, sieht man ihm nicht an. Und vieles bleibt Bürogeheimnis. Aber auch unter gestalterisch-städtbaulichen Aspekten begeistert der Entwurf.

Ein Sichtbeton-Ensemble in technischer Perfektion – abgeliefert vom Meister des Sichtbetons – komplettiert die Neue Mitte Ulms. Wie viel Erfahrung und Wissen um betontechnologische Finessen in seine Realisierung eingeflossen ist, sieht man ihm nicht an. Und vieles bleibt Bürogeheimnis. Aber auch unter gestalterisch-städtbaulichen Aspekten begeistert der Entwurf.

In der Innenstadt von Ulm geht man endlich daran, die städtebaulichen Sünden der Nachkriegszeit zu tilgen. Mit zwei skulpturalen Neubauten wurde die brachiale Verkehrsschneise Neue Straße auf Altstadtproportionen reduziert und die Zäsur zwischen Münsterplatz und Marktplatz über¬wunden.
»Neue Mitte« ist sicher kein glückliches Label für die Bemühungen in der ehemaligen Reichsstadt Ulm, eine städtebauliche Maladie zu heilen, die ihren Ursprung im Bombenhagel vom 17. Dezember 1944 hat, als siebzig Prozent der Innenstadt in Trümmer sanken. Schließlich besetzt das spätgotische Münster als monumentale Bauskulptur unübersehbar diese Mitte und dominiert sie als städtebauliches Signet.

Neue Mitte: Meier, Böhm, Braunfels – und Wöhr

Eigentlich begann das Projekt »Neue Mitte« schon 1986 mit dem Bau des Stadthauses, dieses strahlendweißen Artefakts, das Richard Meier wie ein Objekt von einem anderen Stern auf den Platz vors Münster setzte. Zuvor hatten sich die Ulmer ein Jahrhundert lang über den zu großen Münsterplatz gezankt, der um 1880 entstanden war, als man das Münster vom »kleinlichen Gewinkel« zu seinen Füßen befreit hatte, um es besser zur Wirkung zu bringen.
Altmeister Gottfried Böhm war der nächste auswärtige Stararchitekt. Er platzierte eine gläserne Pyramide als Stadtbibliothek neben das Alte Rathaus. Hatte sich die Nachkriegsbebauung bis dato um eine harmonieorientierte Ergänzung der Häuserfamilie bemüht, was zur heute schon wieder belächelten vielgiebligen Lego-Moderne rings um den Münsterplatz führte, wählte Böhm einen radikal neuen Weg. Seine gläserne Bauskulptur ist in keiner Weise bereit, den nachbarlichen Altstadthäusern Avancen zu machen, weder durch das ringsum übliche Baumaterial, noch durch Reflexion des Bautypus’.
Böhm ging damit einen Schritt weiter als Richard Meier, der immerhin noch mit Putzfassaden aufgewartet hatte. Diese beiden Sonderbauten setzten nun die flankierenden Marksteine für den Stadtraum zwischen Münster und Altem Rathaus, der zurzeit grundsätzlich und weitgreifend umgestaltet wird.
»In Ulm, um Ulm und um Ulm herum«, heißt ein alter Zungenbrecher aus dem Schwäbischen, von mitten »durch Ulm hindurch« ist dabei jedoch nie die Rede. Das hatten die Stadtväter beim Wiederaufbau nach dem Krieg wohl nicht bedacht, als sie die Neue Straße als sechsspurige Bresche quer durch die Innenstadt trieben. Heute wird diese autogerechte Schneise als brutaler städtebaulicher Sündenfall empfunden und wieder zugebaut, um eine Struktur zu gewinnen, die dem Charakter der noch immer historisch geprägten Innenstadt besser entspricht.
Eine weiträumig neue Verkehrsorganisation machte es möglich, die Neue Straße wieder zu einer Altstadtstraße ohne Durchgangsfunktion zurückzustufen. Die drei als »Neue Mitte« firmierenden Gebäude, die auf die Tiefgarage gesetzt wurden und den Straßenraum wieder auf kernstädtische Proportionen einschränken, haben nun die Aufgabe, die Verbindung zwischen Münsterplatz und Marktplatz zu knüpfen.
Der Heizkesselfabrikant Siegfried Weishaupt, der sich schon im nahen Schwendi einen Museumsbau von Richard Meier leistete, lässt sich hier von dem Münchner Architekten Wolfram Wöhr eine »Kunsthalle Weishaupt« für seine Sammlung moderner Kunst bauen, die mit dem dann gleichfalls von Wöhr erneuerten Museum verbunden werden wird.
Der im Frühjahr zu eröffnende Bau zeigt an seinen Längsseiten über einem gläsernen Sockelgeschoss eine weitgehend geschlossene Steinfassade und nach Westen ein gebäudehohes Panoramafenster. Seine mangelnde Maßstäblichkeit wird, so muss befürchtet werden, nicht in gleichem Maß durch skulpturale Kraft legitimiert, wie es nebenan geschieht. Denn als Nachbarn hat die Kunsthalle zwei neue Geschäfts- und Bürohäuser, die die Vermittlung zwischen historisch geprägten Randbedingungen und baukünstlerischer Zeitgenossenschaft sehr gekonnt meistern.

Widerworte in Beton

Die Antwort auf ein historisch geprägtes Ambiente kann durch Anpassung oder durch Konfrontation und Widerworte gegeben werden; unentschlossenen Zwischenlösungen mangelt es meist jedoch an Qualität und Überzeugungskraft. Der Münchner Architekt Stephan Braunfels wählt immer den zweiten Weg. Für neohistoristische Etüden hat er sich nie erwärmen können. Geschult an der klassischen Moderne versucht er, die Baugeschichte fortzuschreiben. Und er wählt immer Beton, ob bei den Parlamentsbauten in Berlin, der Museumsarchitektur in München oder eben der Altstadtbaukunst in Ulm. Beton als ästhetische Aussage, aber auch als fügsames Material für die Konkretisierung skulptural zum Ausdruck kommender Kräfte und Bewegungen.
Die beiden Gebäude an der Neuen Straße akzentuieren und gliedern als kunstvoll austariertes Arrangement aus Kuben selbstbewusst den Stadtraum und nehmen ihn für sich ein. Trotz deutlicher Horizontalgliederung treten sie nicht als konventionelle Hauskörper, sondern als plastische, geschossübergreifende Volumina in Erscheinung, die zwar gegenüber der Nachbarbebauung im Maßstab nicht auftrumpfen, aber dennoch als eigenständige Bauskulpturen wahrgenommen werden. Die beiden im Grundriss keilförmigen, aufeinander zulaufenden Bauten strukturieren den Stadtraum, geben ihm Richtung und Bezüge. Stoßrichtung, Auskragungen und das Lasten und Balancieren interpretieren das von Gulio Carlo Argan analysierte Leitmotiv der Dynamik von Masse und Bewegung, wie es der Raum-Zeit-Architektur der Bauhausmoderne zu eigen ist.
Beim Gebäude der Sparkasse spreizen sich die beiden Riegel, öffnen sich mit der gläsernen Spalte gegen den Rathausplatz und forcieren die Simultanität zwischen innen und außen. Ein vorgeschobener, gleichfalls gläserner Pavillon bildet das Entree zum Foyer und zu den Bürogeschossen. Der niedrigere südliche Riegel mit nur vier Geschossen bietet auf seinem Dach Platz für eine Terrasse. Ein schwebender Rahmen fasst den Freiraum und bringt Le Corbusiers Ikonografie ins Spiel. Feinster, glatter Sichtbeton und flächenbündige Verglasungen ohne Eckpfosten definieren die skulpturale Erscheinung der Kuben mit großer Präzision.
Akkuratesse und Präzision beherrschen auch die Gestaltung und Detaillierung im Inneren. Weiß- und Grautöne bestimmen die Farbpalette der Büroräume und des Lichthofs. Die Attraktion ist die Stadt, kein »Hingucker« schmälert die Aufmerksamkeit für die wunderbaren Ausblicke in die umgebenden Straßenraumfluchten.
Das zweite, etwas kleinere Gebäude, nach Süden und Westen noch blockhafter, geschlossener, bildet das »Münstertor« am Durchgang zum Münsterplatz. Als »Haus der Sinne« haben es die Marketingstrategen apostrophiert. Auf vier Ebenen durch versetzte Deckenaussparungen mit Rolltreppen erschlossen, breitet sich ein Brillencenter aus, ergänzt um ein Kosmetikinstitut, einen Designer-Friseur, um Confiserie, Teeladen und Vinothek. »Bella Vista« heißt das Dachcafé an der Münsterplatzseite, das mit einem atemberaubenden Ausblick aufwartet. Von hier aus kann man in aller Ruhe das mittelalterliche Rippen- und Fialengebirge nebenan studieren und über die Unterschiede der gotischen Tektonik und der Raum-und-Scheiben-Architektur von Braunfels' Moderne nachsinnen.
Die »Neue Mitte« nimmt keinen direkten Bezug auf die altstadttypische kleinformatige Binnengliederung; beide Häuser gewinnen ihren Charakter durch abstrakt-formale Qualitäten und das dynamische Wechselspiel miteinander an diesem exponierten Standort. Verglichen mit ihnen wirkt Böhms Bibliothek in sich gekehrt, während Meiers Stadthaus, das mit Nutzungsproblemen zu kämpfen hat, wenigstens optisch mithalten kann – wenn es von Zeit zu Zeit frisch geweißelt wird. Dagegen wird es die zurückhaltendere Weishaupt-Kunsthalle etwas schwerer haben, das Publikum in ihren Bann zu ziehen. Jedenfalls ist Ulm auf dem richtigen Weg bei der Strukturverbesserung und Stadtbildauffrischung seiner Innenstadt.

Beton
Ausgangssituation: Die beiden unmittelbar nebeneinander liegenden Gebäude haben zwei unterschiedliche Bauherren. Deshalb waren zwei verschiedene Baufirmen mit der jeweiligen Ausführung beauftragt, zusätzlich gab es unterschiedliche Betonlieferanten und Betone unterschiedlicher Festigkeitsklassen.
Zielsetzung: Die beiden Gebäude sollten trotz dieser Bedingungen eine einheitliche Sichtbetonansicht mit einer hellen, gräulich-blauen Oberfläche bieten – ohne Ausblutungen, Verfärbungen und Farbunterschiede zwischen den einzelnen Betonierabschnitten bei einem fugenlosen Betonieren unter der Vorgabe einer Rissüberbrückung.
Vorgehen: Trotz externer Bauleitung erfolgte die Erstellung des Leistungsverzeichnisses, die Vergabe sowie die Betreung der Betonierarbeiten vor Ort durch Stephan Braunfels Architekten. Dabei waren Musterbauteile zur Festlegung der Betonrezeptur in Abhängigkeit von dem Erscheinungsbild und Verarbeitungsqualitäten zu erstellen. Außerdem war die Verwendung einer Spezialschalung (15-fach verleimtes Birkensperrholzfurnier) vorgegeben.
Besonderheit: Eigentlich wäre zur Verminderung der Rissbildung ein durch seine niedrige Hydrationswärmeentwicklung rissminimierend wirkender Hochofenzement (NW-Zement) erforderlich gewesen. Da dieser aber zu dunkleren Ansichtsflächen führt, fiel die Entscheidung für einen Portlandzement.

Auszüge Betonrezeptur Sparkasse Ulm:
Festigkeitsklasse: B35/45
Zement: Portlandkalksteinzement CEM II/A-LL 32,5 R
w/z Wert: < 0,50
- Aufheller als Zuschlagstoff

Auszüge Betonrezeptur Münstertor:
Festigkeitsklasse: B35 – C35/37
Zement: Portlandkalksteinzement CEM II/ 16 R
w/z Wert: < 0,45
- Zugabe von Verflüssiger / Verzögerer
- ohne Aufheller
Nachbehandlung: Der Beton wurde nicht nachbearbeitet. Allerdings wurden eine hydrophobe Imprägnierung gegen eindringendes Wasser (spätere Rostschäden, Algenbildung) und ein Grafittischutz aufgetragen.

db, Di., 2007.01.02



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db 2007|01 Beton



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Neue Mitte Ulm

06. September 2006Falk Jaeger
db

Wohn- und Geschäftshaus in Berlin-Mitte

Die schlechte Auftragslage junger Architekten in Berlin hat Jean-Marc Abcarius und Christopher Burns auf die Idee gebracht, ihre Vorstellungen vom Wohnen in der Stadt auf eigene Kosten zu realisieren und zu vermarkten. Das Konzept „Urban living“ beinhaltet anspruchsvoll ausgestattete Wohnhäuser in städtischer Dichte mit flexiblen Grundrissen und attraktivem Außenraum. Das Gebäude in der Mulackstraße ist bereits das zweite realisierte Projekt dieser Art.

Die schlechte Auftragslage junger Architekten in Berlin hat Jean-Marc Abcarius und Christopher Burns auf die Idee gebracht, ihre Vorstellungen vom Wohnen in der Stadt auf eigene Kosten zu realisieren und zu vermarkten. Das Konzept „Urban living“ beinhaltet anspruchsvoll ausgestattete Wohnhäuser in städtischer Dichte mit flexiblen Grundrissen und attraktivem Außenraum. Das Gebäude in der Mulackstraße ist bereits das zweite realisierte Projekt dieser Art.

Bürgerliche Wohnkultur korrelierte ursprünglich mit einem entsprechenden sozialen Bezugsfeld. Die Privatheit der Wohnung war ergänzt durch die sozialen Kontakte in überschaubaren Szenarien beim Kolonialwarenhändler, in der zunftmäßig organisierten Arbeitswelt, in Rathaus, Kirche und Wirtshaus.

Die Kontakte sind anonymer geworden, die Gesellschaft offener, vier Fenster mit Gardinen und Klappläden als Demarkation zur Straße hin entsprechen nicht mehr dem Kommunikationsmuster des neuen Städters. „Die Grenze ist nicht das, wobei etwas aufhört, sondern, wie die Griechen es erkannten, die Grenze ist jenes, von wo etwas sein Wesen beginnt“, lautet ein oft in Anspruch genommenes Zitat von Martin Heidegger. Es ist das Wesen des Städters, das sich auch durch die Grenzlinie zwischen Privatheit und Öffentlichkeit manifestiert, und die gilt es zu überdenken. Seltsam nur, dass die innerstädtische Wohnarchitektur so hartnäckig in den alten Konventionen verharrt, da werden Ausnahmen gern zur Kenntnis genommen. Die Mulackstraße in Berlin Mitte, fünf Minuten vom allbekannten Hackeschen Markt entfernt, ist eine schmale Nebenstraße und verläuft etwa in Ost-West-Richtung. Sie war im Krieg zur Hälfte zerstört worden, doch der Wiederaufbau ließ bis zum neuen Jahrtausend auf sich warten. Jetzt schließen sich die Baulücken nach und nach. Viel Szenerummel wie in der benachbarten August-, der Gips- oder Sophienstraße wird in naher Zukunft nicht zu erwarten sein. Wenn auch vereinzelt in die Erdgeschosse eine Galerie, Boutique oder Restauration einzieht, man wohnt hier ganz angenehm in ruhigem Ambiente.

Wie begegnet man nun der viel zitierten Enge in der Stadt? Die Frage scheint die Architekten des Neubaus mit der Hausnummer 12 von Beginn ihrer Arbeit an umgetrieben zu haben. Jean-Marc Abcarius und Christopher Burns waren 1990 nach Berlin gekommen, weil sie im wiedervereinigten Deutschland am großen Aufbruch teilhaben wollten. Sie eröffneten ein gemeinsames Büro und - bekamen keine Aufträge. Selbst die fünf Projekte, mit denen sie beim Senat vorstellig wurden, blieben ohne Erfolg. Schließlich gründeten sie eine GbR und starteten auf eigene Rechnung das Projekt „Urban living“, ein Wohnhaus in der Joachimstraße (siehe db 8/2002). Das Haus mit seinen loftartigen, offenen Räumen machte Furore und bewies eines: Für ungewöhnliche, intelligente Wohnungen gibt es einen Markt, auch bei hoffnungslos übersättigtem Angebot.

„Urban living 2“ in der Mulackstraße war die logische Folge; es war schon vor Baubeginn verkauft. Die Bauherren ließen ihnen „fast zu viele Freiheiten“, was für das Entwerfen nicht nicht gerade förderlich sei. Jedenfalls ging es ihnen wieder darum, möglichst wenig determinierte Räume zu schaffen und in der Enge der innerstädtischen Situation möglichst viel Offenheit zu erreichen. Sie dachten sich eine Fassade aus, „die fast nicht da ist“, gänzlich verglast, mit Lamellenpaneelen versehen, die sich beiseiteschieben lassen, um den Raum zu öffnen - Innenraum und Stadtraum können nach Wunsch und bei angenehmem Wetter eins werden. Knappe Vor- und Rücksprünge bilden eine Art Erker in der nach Süden gelegenen Fassade und schaffen strukturelle Korrespondenzen zu den historistischen Nachbarfassaden, schließlich baut man in vorgeprägter Umgebung. Die Dachzone staffelt sich unter Ausnutzung der planungsrechtlichen Möglichkeiten zurück und ist selbstredend als Freilufterweiterung der Maisonettewohnung im Obergeschoss ausgebildet. Die Hofseite ist eine einzige Kaskade an Balkonen und Terrassen bis hinab zum Gartenparterre.

Schon im Erdgeschoss gibt es den Durchblick vom Schaufenster bis in den Hinterhof, eine einladende Geste an die Passanten. Eine Kunstgalerie nutzt den Einraum, der sich aus dem Hauskörper in den Garten hinausschiebt. Vor der Glaswand zum Hof fällt Tageslicht durch den gläsernen Fußboden in das Untergeschossatelier. Eine formal aufs Äußerste reduzierte Treppe aus Kragstufen führt an der Längswand hinab.

Draußen lockt ein Zen-Garten, mit einem prächtigen Götterbaum, mit Bambusbüschen und Brunnen, mit Bangkirai-Podest und einer das Zenitlicht reflektierenden Bodenschüttung aus Nordseemuscheln. Gras oder Unkraut ist nicht erwünscht. Die hohe, unverputzte Ziegelbrandwand der denkmalgeschützten Franz-Mett-Sporthalle bildet den reizvoll-schroffen Hintergrund zur minimalistischen Gartenidylle.

Die Farbe Weiß beherrscht das Haus, die Galerie, die hellen und transparenten Wohnungen darüber, schafft eine eigene, fast transzendente Wirklichkeit und entgrenzt den Raum, der sich von der Beengtheit der Straße und des Hofes lösen kann. Die tragenden Wände verlaufen in Längsrichtung, um das einfallende Tageslicht so wenig wie möglich abzuschirmen. Räumliche Trennung geschieht, wenn unbedingt notwendig, durch Einbauelemente. Das Behaustsein in abgeschlossenen Zimmern wird nicht mehr angestrebt, die Bewohner sollen ihre Wohnsituation selbst inszenieren. Sogar die Badewanne gehorcht der Leitidee des fließenden Raumes. Sie lagert auf Rollen und lässt sich an verschiedenen Stellen flexibel anschließen, auf Wunsch auch auf der Terrasse.

Mit ihrer Freiheit, die Permeabilität der Grenze des Privatraumes durch Stores, Fenster, Lamellen und Lichtein- und -ausfall nach Belieben zu dosieren, was sich auch signalhaft am Außenbau ausdrückt, mit dieser größtmöglichen Bandbreite beim Wechsel zwischen Intimität und Öffentlichkeit, schafft die Architektur ein neues urbanes Lebensgefühl, das die Architekten mit Recht „urban living“ nennen.

Perfektion im formal reduzierten Detail und sparsamer Materialeinsatz mit der Beschränkung auf weiße Putzwände, lackierte Einbaumöbel, einzeln Akzent setzende Holzflächen und einen sehr hellen Kalkstein in großformatigen Platten als Bodenbelag charakterisieren die Innenräume, erzeugen eine edel-asketische Atmosphäre, geeignet nicht für Sammlernaturen, die sich von nichts trennen können, sondern für Menschen, die bewusst mit leichtem Gepäck durchs Leben gehen. Die technisch hochwertige Ausstattung arbeitet im Verborgenen, die Fußbodenheizung, die flächenbündigen Leuchtkörper, die Beschallung und die übrige Haustechnik sind elektronisch gesteuert. Geheizt und gekühlt wird überdies mit Erdwärme aus fünf Sonden, die 99 Meter tief in den Grund reichen.

„Urban living 2“ ist ein Lückenschluss in der Reihe historischer Nachbarhäuser, der nicht die Konfrontation hypermodern gegen altmodisch sucht und sich nicht mit formaler Unduldsamkeit Geltung verschafft, sondern der gelassen mit den Nachbarn ins Gespräch kommt, wenn er auch eine andere, neue Geschichte zu erzählen weiß. Das Haus ist ein innerstädtisches Refugium, das sich nicht in Privatheit der persönlichen vier Wände abschottet, sondern den Austausch mit der urbanen Situation annimmt und einen bestimmten Lebensstil determiniert. Es fördert ein intensives Dasein mit und in der Stadt, wie es sonst nur in südlichen Ländern üblich ist.

db, Mi., 2006.09.06



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Wohn- und Geschäftshaus in Berlin-Mitte



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db 2006|09 Lücken in der Stadt

10. März 2006Falk Jaeger
db

In Schwung gebracht

Eine Wohnlandschaft wie aus dem Musterbuch Verner Pantons: fließende Räume, skulptural ausgebildete Wandelemente und außergewöhnliche Materialien bilden eine eigene Welt in einem ausgebauten Dachgeschoss eines Mietshauses im Zentrum Berlins.

Eine Wohnlandschaft wie aus dem Musterbuch Verner Pantons: fließende Räume, skulptural ausgebildete Wandelemente und außergewöhnliche Materialien bilden eine eigene Welt in einem ausgebauten Dachgeschoss eines Mietshauses im Zentrum Berlins.

Ein eigenartiges futuristisches Ambiente, in dem die Schwimmerin Sandra Völker und Gregor Gysi sich gegenübersitzen und in der ARD-Gesprächsreihe »Szene-Wechsel« über Lampen- und Wahlfieber, über Alltagsstress und Zukunftspläne plaudern. Kippende Wände, eine Treppe in der Untersicht, rechts eine Sitzmulde mit gewagt orangeroten Kissen, ab und zu rückt die Regie ein rätselhaftes ovales Becken mit grünlichem Wasser ins Bild. Der Zuschauer vermutet eine Wanne, in der eine Badenixe außerhalb des Bildes offenbar munter planscht, denn der Wasserspiegel schwappt wie bei Windstärke drei, wovon sich der Politiker jedoch nicht irritieren lässt, die Schwimmerin ohnehin nicht. Die filmreife Wohnung in James-Bond-Manier liegt im Dachgeschoss eines unauffälligen Mietshauses im Berliner Szeneviertel Prenzlauer Berg, das in mancher Hinsicht das Westberliner Kreuzberg abgelöst hat.

Der Bauherr kommt aus der Filmbranche. Er hat von den Jungs gehört, die Brad Pitt ein Haus gebaut haben. Auch schien er einen ähnlichen Entwurf für die PR-Firma Zeal Pictures in Charlottenburg zu kennen. Folgerichtig engagierte er die drei jungen, in Braunschweig ausgebildeten Architekten, die sich frühzeitig ins Ausland abgesetzt haben und ihr Glück in Amerika suchten. In Los Angeles gründeten sie ihr erstes Büro, gestalteten Ausstellungen, Läden, Büros und schließlich Häuser. Dort haben sie sich die Hyperdosis Lockerheit und Eloquenz geholt, mit der sie jetzt auch in Deutschland erfolgreich sind.

Das »Berliner Dach« ist eine besondere Form des Dachkörpers, die bei den traufständigen Berliner Mietshäusern der Gründerzeit an- zutreffen ist. Zur Straße hin zeigt sich eine steile, etwa ein Geschoss hohe, mit Pfannen gedeckte Dachfläche, die nach einem Knick in ein sehr flaches, mit Pappe oder Blech gedecktes Dach übergeht. Genutzt wurde der Dachraum als Trockenboden und Abstellraum. Viele dieser Dachgeschosse in zentraler Lage haben sich inzwischen von staubigen Taubenparadiesen zu Luxusdomizilen gewandelt.

Billig ist der Ausbau nicht zu haben, denn oft ist der Dachstuhl marode und für das Wohnen im fünften Obergeschoss ist die Montage eines Lifts im Hinterhof angebracht.
Beim Haus in Prenzlauer Berg, einem fünfgeschossigen Bau aus der Zeit um die Jahrhundertwende mit Stuckdekor in einem verhaltenen Jugendstil, haben die Architekten die Dachkonstruktion kurzerhand abgeräumt und den Dachkörper durch einen Neubau ersetzt. Eine Stahlkonstruktion als aufgedoppelter Boden entkoppelt den Dachraum akustisch vom Haus. Bescheiden, aber für den kleinen Einkauf ausreichend, der in den Hof an die Wand des Hinterhauses gestellte Zwei-Personen-Aufzug, der die Dachwohnung andient.

Das Entree liegt also im Hinterhaus. Von hier aus erstreckt sich das Apartment über den Seitenflügel bis ins Vorderhaus. Bedingt durch das vorgegebene Treppenhaus gestaltet sich die Eingangssituation etwas verwinkelt, doch eröffnet sich ein erster Durchblick in den Salon, der sich drei Schritte weiter in voller Größe darbietet.

Dunkles Eichenparkett, mit orangerotem Leder gepolsterte Sitznischen, eine wandbreite, geschosshohe Fensterfront kommen ins Blickfeld, dann die in die Nische integrierte telegene Badewanne. Sofort wird deutlich, dass dieses Ambiente nichts mit einem konventionellen Lebensstil zu tun haben kann.

Rechts ein geländerloser »Stairway to Heaven«, der Aufgang zur Dachterrasse und Einfallstor für die Zwölf-Uhr-Sonne. Links ein Durchblick, dort öffnet sich ein weiterer Raum - oder erweitert sich der schon durchmessene? »Schlafzimmer« jedenfalls mag man den bewegten Raum nicht nennen, in dessen wiederum dynamisch geschwungener Nische ein Doppelbett Platz fand. Irgendwie sind es »Resträume«, die übrig blieben, nachdem ein vielfach abgerundeter Baukörper wie ein Möbel in den geschossweiten Raum eingestellt worden ist. Ein Körper mit geneigten Wänden und Einschnitten, der die Nebenfunktionen aufnimmt - Bad, Sauna, Gästetoilette. Seine Wände durchqueren den kubischen Raum, seine amöboide Fußspur durchschneidet den orthogonalen Grundriss, läuft in den wenig mehr als flurbreiten Seitenflügel und schwingt in den Raum des Vorderhauses, um auch dort einen eingestellten Körper zu bilden.
Die runden Formen verbinden alle Funktionen miteinander, dem offenen, fließenden Raumkonzept entspricht das offene Lebenskonzept des Bauherrn. Trotzdem lassen sich die Räume bei Bedarf durch Schiebewände separieren, der Schlaf- vom Wohnbereich, das Bad vom Schlafraum. Auch können Büro und Einliegerwohnung abgetrennt und vermietet werden, da sie vom Haupttreppenhaus aus separat zugänglich sind.

Der schmale Verbindungsraum des Seitenflügels wurde für die Küche und den Essplatz genutzt. Dieser transitorische Bereich hat einen eigenen, fast höhlenartigen, dämmerigen Charakter. Während sich im Wohnbereich die Wand auflöst, hinterleuchtete Nischen und Regalfächer bildet und die Raumgrenzen verunklart, erscheint die Küchenwand hart und undurchdringlich. Hier sind die Trockenbauwände grau gestrichen und poliert. Sie korrespondieren mit dem Küchenblock, der Spüle aus Beton und dem Boden aus ebenfalls grauer Ausgleichsmasse. Die Einbaumöbel, melaminbeschichtet, ergänzen den Edel-Look aus preiswerten Materialien.
Die Räume im Vorderhaus erscheinen dagegen wieder hell und weit, öffnen sich auf ganzer Breite über die vorgelagerte Terrasse, die den vorgeschriebenen Brandüberschlagsabstand gewährleistet, zum Straßenraum. Hier ist die Küche im inneren Block untergebracht, in den auch der Kamin eingeschnitten ist. Weitere Durchbrüche bieten Ausblicke aus der Badewanne in den Schlaf- und Wohnbereich.

Biedermeierliches Wohnen scheint hier nicht möglich, das dynamische Raum- und Designkonzept antizipiert ein ganz anderes Lebensgefühl. Eine neue, eigene Welt tut sich beim Eintreten auf und bietet einen Fluchtpunkt, Entspannung, Loslösung vom Alltag, je nach Laune und Bedürfnis. »Graft« bedeutet pfropfen, etwas Neues, Fremdes auf einen alten Stamm setzen, und dies ist auf dem Dach des Gründerzeithauses in Prenzlauer Berg buchstäblich geschehen.

db, Fr., 2006.03.10



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02. November 2004Falk Jaeger
Neue Zürcher Zeitung

Ein Haus der Häuser

Am letzten Wochenende feierte das Deutsche Architekturmuseum in Frankfurt sein zwanzigjähriges Bestehen und blickte auf eine wechselvolle Geschichte zurück. Mit einer «Revision der Moderne» hatte Gründungsdirektor Heinrich Klotz das Haus eröffnet. Eine «Revision der Postmoderne» ruft nun die wechselvollen Jahre in Erinnerung.

Am letzten Wochenende feierte das Deutsche Architekturmuseum in Frankfurt sein zwanzigjähriges Bestehen und blickte auf eine wechselvolle Geschichte zurück. Mit einer «Revision der Moderne» hatte Gründungsdirektor Heinrich Klotz das Haus eröffnet. Eine «Revision der Postmoderne» ruft nun die wechselvollen Jahre in Erinnerung.

Die erste Architekturbiennale von Venedig, 1980 unter dem Titel «La presenza del passato» durchgeführt und mittlerweile ein verklärter Wendepunkt in der Architekturgeschichte, hatte Wirkung gezeigt. Architektur war zum Bestandteil des Kulturbetriebs geworden. Überall in Europa wurden Architekturmuseen, Stiftungen und Galerien gegründet: Luzern 1983, Basel 1984, Brüssel 1986, Zürich 1987 sowie 1988 Amsterdam, Rotterdam und Paris. Der Marburger Kunsthistoriker Heinrich Klotz hatte die Gunst der Stunde erkannt, als die Finanzmetropole Frankfurt am Main versuchte, mit einer ganzen Perlenkette von neuen Kunsttempeln am «Museumsufer» vom «Bankfurt»-Image wegzukommen, und die Gründung eines städtischen Architekturmuseums initiiert. Er war durchaus nicht traurig, als die Stadt das Museum als Deutsches Architekturmuseum (DAM) mit höherem Auftrag versah, suchte er doch ohnehin, der Sammlung des Museums nicht lokales, sondern nationales, ja internationales Profil zu geben. Mit einem üppigen Ankaufsetat von 250 000 Mark pro Jahr reiste er durch die Welt, konkurrierte bei Auktionen von Zeichnungen und Modellen mit Phillis Lambert vom Centre canadien d'Architecture in Montreal sowie bei Versteigerungen von Inkunabeln mit Oswald Mathias Ungers und warb um Nachlässe und Stiftungen. Im Juni 1984 war es dann so weit: Sein Museum am Schaumainkai konnte eröffnen, und Klotz lief zu grosser Form auf, als Kurator, Autor, Organisator und Impresario einer ganzen Architekturepoche - der Postmoderne, deren Verbreitung er nachdrücklich förderte.

Die Pläne für den Umbau einer spätklassizistischen Stadtvilla zum Museum hatte sein Freund Ungers geliefert. Der Kölner Architekt entkernte und reduzierte das Gebäude auf seine Umfassungsmauern und integrierte die Hülle in einen räumlichen Quadratraster, welcher das ganze Haus wie eine mathematische Grundformel durchzieht. Im Inneren spielte er sein Lieblingsthema «Haus im Haus» weiter und versuchte, die Architektur zur reinen, weissen Form zu abstrahieren, nur Körper und Raum zu zeigen - ein architekturtheoretisches Manifest.

Anfangs sah sich Heinrich Klotz vielfach angefeindet. Architekten wie Günter Behnisch oder Peter Schweger wollten den gewiesenen Weg in die Postmoderne partout nicht einschlagen. Die meisten Kritiker und Theoretiker zeigten sich ebenfalls engherzig. So öffnete er sich und sein Haus auch für andere Überzeugungen. Als Klotz 1989 das Museum verliess, um in Karlsruhe mit dem Zentrum für Kunst und Medientechnologie grössere Pläne zu verwirklichen, hatte es 57 Ausstellungen, eine Million Besucher und einen Berg Schulden vorzuweisen. Das machte es seinem Nachfolger Vittorio Magnago Lampugnani nicht leichter, zumal die goldenen Gründerjahre in Frankfurt ein Ende genommen hatten und der Ausstellungsetat auf null geschrumpft war.

So musste sich Lampugnani mit Fremdausstellungen über Wasser halten, was sich im Fall der PR-Schau «Die Ästhetik der Dichte - Hong Kong Architektur» als nicht unproblematisch erwies. Als Eigeninitiative realisierte Lampugnani, der eher architekturtheoretische und -historische Interessen verfolgte, eine Trilogie zur Architektur in Deutschland zwischen 1900 und 1950. Der polyglotte Italiener sah sich in der Position, mit dieser Rückschau deutsche Tabus anrühren zu können. Noch nie nach dem Krieg war die in Deutschland durch den Nationalsozialismus stigmatisierte traditionalistische und konservative Architektur so vorurteilsfrei (viele sagten: unkritisch) präsentiert und gefeiert worden. Hochkarätige Exponate und fundierte Kataloge machten die Trilogie zum wissenschaftlichen Ereignis für die Fachwelt. Doch lediglich zwanzig Ausstellungen kamen in gut fünf Jahren von 1990 bis 1995 zustande; das grosse Publikum wurde kaum je angesprochen. Der letzte Teil der Trilogie «Macht und Monument» konnte erst 1998, nun unter der Leitung von Wilfried Wang, gezeigt werden, denn Lampugnani hatte das DAM in Richtung ETH Zürich verlassen. Wang, dem es gelang, neue Geldquellen zu erschliessen, präsentierte neben Einzelausstellungen den beachtlichen Zyklus «Architektur im 20. Jahrhundert» mit Länderschauen von Österreich über Irland, Portugal, Schweden, Griechenland, Finnland und die Schweiz bis nach Deutschland.

Im Jahr 2000 übernahm die Kritikerin und Professorin für Baugeschichte Ingeborg Flagge das Haus und verfügte als Erstes die Renovierung und Rückführung des Ungers-Baus in den Originalzustand. Mit Ausstellungen von Jörg Schlaich bis zu den «Blobmeistern», von Thomas Herzog bis zu Paul Schmitthenner erweiterte sie das Spektrum der im DAM diskutierten Architektur erheblich. Mit der Vortragsreihe «Grosse Architekten», mit Schülerprogrammen und einer Cafeteria im Erdgeschoss soll ein breiteres Publikum für das Haus gewonnen werden. Trotz anhaltender Finanzmisere ist es ihr gelungen, dem DAM zu neuer Bedeutung und vor allem wieder zu ansehnlichen Besucherzahlen zu verhelfen. Nun kann sie mit einer breit angelegten «Revision der Postmoderne» den 20. Geburtstag ihres Hauses feiern.

Die Ausstellung «Revision der Postmoderne» dauert bis zum 6. Februar 2005. Katalog Euro 34.90.

Neue Zürcher Zeitung, Di., 2004.11.02

06. August 2004Falk Jaeger
Neue Zürcher Zeitung

Die Abstraktion der Berghütte

Deutschland ist schon lange nicht mehr Ursprung eines erfolgreichen Architekturtrends gewesen. Umso aufmerksamer beobachtet man die internationale Szene. Derzeit besonders beliebt ist die in ihrem Ursprungsland bereits etwas in die Jahre gekommene Neue Einfachheit, die man den Deutschschweizern abgeschaut hat.

Deutschland ist schon lange nicht mehr Ursprung eines erfolgreichen Architekturtrends gewesen. Umso aufmerksamer beobachtet man die internationale Szene. Derzeit besonders beliebt ist die in ihrem Ursprungsland bereits etwas in die Jahre gekommene Neue Einfachheit, die man den Deutschschweizern abgeschaut hat.

Eine Aura umgibt derzeit die Schweizer Architekten, sobald sie den Rhein überqueren. Längst haben sie die Österreicher in den deutschen Preisgerichten abgelöst. Das leichtfertige Schwadronieren hat ein Ende; die Aufmerksamkeit gilt der sorgfältigen Verfertigung der Gedanken beim Artikulieren. Die Schweizer gelten beim Bauen als kompromisslose Hüter des „harten Kerns der Schönheit“ (Peter Zumthor), als Protagonisten der Neuen Einfachheit. Dass die Jungen sich dort bereits wieder von den einfachen Kisten verabschiedet haben, werden die nördlichen Nachbarn aufgrund der trägen Rezeptionsmechanismen erst mit Verzögerung gewahr werden.

Vereinfachung des Lebens

Der Begriff „Neue Einfachheit“ als Klassifizierungswerkzeug ist naturgemäss so wenig architekturspezifisch wie es jene der Postmoderne oder der Dekonstruktion waren. So heisst der Bestseller von Elaine St. James, der als Speerspitze eines Trends gegen den Kaufrausch gedacht ist, „Simplify Your Life“. Die darin propagierte Entrümpelung des Konsums, die nicht unbedingt mit Sparsamkeit einhergeht, ist in weitem Masse deckungsgleich mit den Denkmustern jener Architekturströmung, deren Quelle aus deutscher Sicht in der deutschsprachigen Schweiz gesehen wird. Das einfache Haus nach Schweizer Muster ist hingegen kein billiges, wie könnte es, sind doch die ihm zugrunde liegenden Schweizer Kardinaltugenden Solidität, Präzision und Dauerhaftigkeit keine Armutsverheissungen.
Die Gründe für die Popularität der Schweizer Gegenwartsarchitektur in Deutschland sind jedoch weiter zurückzuverfolgen. Es waren Architekten wie Luigi Snozzi, Mario Campi, ja auch der junge Mario Botta, die in den siebziger Jahren den Weg zur Askese empfahlen. Die Saat ging auf; das Interesse an der Schweizer Architektur hielt an, wurde zwar unterdessen etwas vom Blick nach Graz, dann nach Vorarlberg abgelenkt, um sich dann umso stärker auf die Deutschschweiz zu konzentrieren. Dort hat man in Perfektion vorgeführt, was deutschen Architekten am Herzen liegt: ordentliche Konstruktion und Materialgerechtigkeit quasi als moralische Imperative. Sahen sich deutsche Architekten oft aus Kostengründen zu leichten Fassaden und billigen Fenstern gedrängt, so schien dieses Schicksal den Schweizer Kollegen erspart geblieben. Und selbst die Reduktion auf konzeptionelle Archetypik schienen Schweizer Bauherren klaglos mitzumachen. Staunend beobachtete man aus dem Norden, wie Baukünstler wie Peter Märkli oder Peter Zumthor mit leichter Hand die Bilderflut abschütteln konnten, mit der die Architektur anderenorts als Konsum- und Modeartikel zu Erfolg zu kommen suchte. „Erst nachdem es uns möglich geworden war, die Fragen an den Ort, das Material und die Bauaufgabe schrittweise zu beantworten, sind nach und nach Strukturen und Räume entstanden, die uns selber überraschten und von denen ich glaube, dass sie das Potenzial einer ursprünglichen Kraft haben, die hinter das Arrangieren von stilistisch vorgefertigten Formen zurückreichen“, beschreibt Zumthor das Glücksgefühl, das die deutschen Architekten ihm neiden.

Gut möglich, dass es doch etwas mit dem Land zu tun hat, mit der Topographie, mit der Abgelegenheit vieler Baustellen, die es geboten erscheinen lässt, sich den Eigengesetzlichkeiten des Ortes anzuvertrauen, der Materie der Bergwelt. Es geht um Authentizität, wie sie Juhani Pallasmaa definiert, als „Eigenschaft des tiefen Verwurzeltseins mit den Schichtungen von Kultur“. Denn offenkundig in dem Moment, in dem internationale Erfolge die Aufgaben, die Aufträge und die Arbeitsweise globalisieren, werden die regionalen Eigenheiten aufgegeben, und es bleibt der spezifische Umgang mit dem Material als gepflegtem Charakteristikum gleich einem Individualstil. Herzog und de Meuron zum Beispiel verlassen auf dem Weg vom Körper zum Bild die Wertschätzung des einfachen Materials im Sinne Colin Rowes und ersetzen es durch Wirkungsmacht, die in der Folge Gefühle und Reaktionen steuert. Nicht der Dignität der einfachen Materialien eignet der Primat, sondern der Exklusivität der Wirkung des sorgsam ausgewählten Materials - koste es, was es wolle, könnte man scherzhaft sagen.

Kultur und Topologie

Zwei Wege also, und beide haben in Deutschland ihre Anhänger. Die „wahre“ Neue Einfachheit, vorzugsweise an Architekturen kleineren Zuschnitts zelebriert, in Form schlichter Holzhäuser und erratischer Betonkuben unter Weglassen oder raffiniertem Wegkonstruieren aller Details, besitzt die Aura der Askese, die in Zeiten des Überflusses an Sinnesreizen ihren Charme entwickelt. Man darf die stereometrischen Gehäuse allerdings nicht mit den der Form entsagenden Kisten verwechseln, die Rem Koolhaas als „generic“ bezeichnet - als unspezifische, ortsungebundene „Container“, die flexibel zu verwenden sind, aber eben nichts darzustellen haben. Die „Schweizer Kisten“ sind zeichenhaft und haben trotz extremer Reduktion durchaus regional unterschiedlichen ortsgebundenen Charakter, denn sie sind aus der Interpretation der jeweiligen kulturellen und topologischen Situation heraus entwickelt.
Solche Differenzierungen werden aus der Ferne freilich kaum wahrgenommen. Was diese alpine Fels- und Bohlenarchitektur auch im niederdeutschen Flachland attraktiv (und anscheinend wiederholbar) macht, ist ihre Abstinenz an regionalistischem Formenvokabular. Die Abstraktion der Berghütte ist eine Schwester der abstrahierten Fischerkate. Vielleicht hat man nur die Dachneigung anzupassen. Und noch eines eint die Schweizer und ihre deutschen Jünger: ihr heimliches Auge auf Bewunderer. So simpel die Kisten erscheinen, sie sind nie gänzlich unspektakulär, sind oft sogar Inszenierung, nach aussen wie nach innen, für Beschauer und Bewohner. Selbst der Minimalist will gesehen werden. Das Haus S in Ludwigsburg (NZZ 6. 2. 04) etwa stellt sich richtiggehend in Positur. Es wurde von den örtlichen Architekten Giorgio Bottega und Henning Ehrhardt entworfen, wirkt wie aus Plastilin geschnitten und gibt sich als Archetypus eines Walmdachhauses, der auf so profane Dinge wie Dachrinnen oder Fensterbänke verzichten kann.

Doch auch der andere Weg, begangen von den Stars der Basler Szene, verführt zur Nachfolge. Das am archaischen Objekt eingeübte Materialgefühl schlägt oft genug in Materialverliebtheit um. Es ist nicht mehr die Wirklichkeit der Dinge, die zu Raum, sondern die Illusion der Materialien, die zum Schein des Raumes wird. Ob Edelstahl oder Gusseisen, ob Sperrholz oder Siebdruckglas, ob Sandstein oder Gabionen, es geht um das erzeugte Bild, es geht um Material als Dekor. Wie anders sollte man das "9×9-Haus" von Titus Bernhard in Stadtbergen bei Augsburg lesen, ein archetypisches Würfelhaus mit Zeltdach, das eine Gabionenfassade erhielt, ringsum und nahtlos übers Dach gezogen. Dabei handelt es sich im Inneren um ein komplexes Raumgebilde und um einen ökologisch optimierten Bau, bei dem keine im Interesse der Ästhetik notwendigen bautechnischen Kompromisse gemacht wurden.

Bei all den Beispielen geht es um einen aus der Neuen Einfachheit hervorgegangenen Minimalismus, hier und da sogar um die Rehabilitation des Ornaments, wie das Projekt Südwestmetall sehr eindrucksvoll zeigt, das die Münchner Architekten Allmann Sattler Wappner in Reutlingen gebaut haben. Es besteht aus drei schlichten Hauskörpern, deren alles umkleidende Edelstahlhaut sich im Erdgeschoss in durchbrochene Dekortafeln auflöst. - Und wieder haben die deutschen Architekten ein gutes Gefühl, sehen eine Chance, mit Hilfe der Schweizer Vorbilder dem rechtschaffenen Stahlprofil-Sandsteintafel-Pragmatismus bundesdeutscher Kommerzarchitektur zu entfliehen. Monopoly-Häuschen in Edelstahl, das vornehm geschneiderte Kleid aus simplen Eternitplatten, das Etagenhaus mit Lamellenhaut, ein Trend, eine Tendenz der Gegenwartsarchitektur ist zu konstatieren, die späterhin ohne Mühe datiert werden kann. Bis zur Rehabilitation des Ornamentes ist es nur noch ein Schritt. Herzog und de Meuron haben ihn, wie immer, schon getan. Die deutschen Architekten werden folgen, ohne Zweifel.

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 2004.08.06

24. November 1999Falk Jaeger
Neue Zürcher Zeitung

Subtiles Spiel mit Innen und Aussen

Einen «hässlichen Klotz» nannten viele in Erfurt den strengen Entwurf der Berliner Architektin Gesine Weinmiller für den Neubau des Deutschen Bundesarbeitsgerichts. Dabei ist ihr mit einer raffinierten Fassade, disziplinierter Innengestaltung und einer ganzen Reihe architektonischer Überraschungen ein vornehmes und lebendiges Gebäude im Stil der Neuen Einfachheit gelungen.

Einen «hässlichen Klotz» nannten viele in Erfurt den strengen Entwurf der Berliner Architektin Gesine Weinmiller für den Neubau des Deutschen Bundesarbeitsgerichts. Dabei ist ihr mit einer raffinierten Fassade, disziplinierter Innengestaltung und einer ganzen Reihe architektonischer Überraschungen ein vornehmes und lebendiges Gebäude im Stil der Neuen Einfachheit gelungen.

Man sollte meinen, die lange Abstinenz von wohlgestalteter Architektur müsse die plattenbaugeschädigten Ostdeutschen für qualitätvolles Bauen empfänglich gemacht haben. Doch überall in den neuen deutschen Bundesländern kämpfen Stadtbauräte und engagierte Architekten Seite an Seite wie gegen Windmühlenflügel, um anspruchsvolle Baukunst zu realisieren. Selbst der dritte Aufguss zweitklassiger Postmoderne findet im Osten mehr Anklang als eine seriöse Neomoderne oder gar Avantgardearchitektur. In der thüringischen Landeshauptstadt Erfurt, der die Föderalismuskommission des Deutschen Bundestags das bisher in Kassel beheimatete Bundesarbeitsgericht zugesprochen hatte, wurde das Neubauprojekt von der Bevölkerung als «hässlicher Klotz» bezeichnet. Vor allem die Lokalpresse schürte den Unmut gegen den vermeintlich monumentalen Entwurf mit polemischen Artikeln und öffnete ihre Leserbriefspalten für geharnischte Unmutsäusserungen. Doch der Bauherr liess sich nicht beirren und realisierte den Entwurf der Berliner Architektin Gesine Weinmiller in unmittelbarer Nachbarschaft der Zitadelle auf dem Petersberg - am Ende wohl doch nicht zum Schaden der Erfurter oder ihrer Stadt.


Ein Tempel über der Stadt

Wie ein Parthenon steht der Neubau da, ernst, statuarisch, sein Umfeld auf dem Glacis der barocken Stadtbefestigung beherrschend. Er verkörpert nicht die domestizierte Postmoderne, mit der seit der Wende die Erfurter Innenstadt rasch aufgefüllt wurde, nicht die gläserne High-Tech- Mode, wie sie seit kurzem am Fuss des Petersbergs anzutreffen ist. Man fühlt sich durch die karge Kombination von Sichtbeton und Naturstein an neuere spanische Architektur erinnert, an Livio Vacchini oder andere Schweizer Vertreter der Neuen Einfachheit.

Angebote macht der Bau für den, der sehen kann und will. Für den Spaziergänger etwa, der von der Zitadelle her kommt, einer alten Bruchsteinmauer folgt, durch einen abgezirkelten Hain wandelt, das Gerichtsgebäude und ein Wasserbecken umrundet, aus dem rätselhafte Mauern aufsteigen.

Subtil spielt der Bau, dessen Fassade sich im Raster der raumhohen französischen Fenster aufzulösen scheint, mit Innen und Aussen. umgibt sich mit raumhohen französischen Fenstern. Die individuell zu öffnenden Lüftungsflügel verbergen sich hinter hohlen Natursteingewänden, die als «Taschen» auch den Sonnenschutz aufnehmen. Der Theumarer Schiefer wurde «sklypiert», das heisst, ihm wurde mit feinen, horizontal gesägten Rillen zu einer lebendigen Oberfläche verholfen. «Gestört» wird das gleichförmige Fensterraster durch die gläsernen Sonnenblenden, die elektrisch aus den Taschen gefahren werden können. Sie sind mit einem Buchstabenraster bedruckt, das, wie es sich bei genauerem Hinsehen herausstellt, aus den endlos wiederholten ersten Sätzen des Grundgesetzes besteht: «Die Würde des Menschen ist unantastbar . . .»

Obgleich das Gebäude durch die Fenster ringsum zugänglich scheint, ist der Zutritt verwehrt. Der Besucher hat sich selbstverständlich am zentralen, gesicherten Eingang auszuweisen. Wie bei einem Tempelbezirk erfolgt der Zugang nach Durchschreiten eines Tores erst im westlichen Innenhof, der die Eingangssituation räumlich überraschend reizvoll formuliert. Vier «Gerichtslinden» im Karree und die «Weltachse», eine drei Geschosse hohe Stapelstele von Jürgen Partenheimer, schmücken den gepflasterten Hof. In der Achse öffnet sich dann der Eingang. Die Angestellten erreichen von hier aus die verschiedenen Treppenhäuser. Prozessteilnehmer und Besucher werden geradeaus in das zentrale Foyer geleitet; Jurastudenten erklimmen die Stiege im eichengetäfelten Treppenhaus und besuchen die fast das gesamte erste Obergeschoss einnehmende grösste arbeitsrechtliche Bibliothek Deutschlands.


Ordnung und Eleganz

Eine überaus klare Nutzungsstruktur und die präzis geordneten Grundrisse der zwei Lichthöfe umfangenden Bürotrakte bestätigen den äusseren Eindruck eines disziplinierten, auch distinguierten Hauses, dem eine gewisse Eleganz eigen ist: die Eleganz eines vornehmen Kleides, das weder durch extravaganten Wurf noch durch vorlaute Farben auffallen muss und doch durch Material, Schnitt und Farbe eine vollkommene Erscheinung vermittelt. Gestalterische Minimierung der Details im Sinne Mies van der Rohes wird überall als Gestaltungsprinzip deutlich, etwa im östlichen Lichthof, dem «Bibliothekshof». Hier galt es, eine gestalterische Lösung für die zur Erhellung des grossen Foyers dienenden Oberlichter zu finden.

Üblicherweise kommen vulgäre Plexiglaskuppeln aus dem Katalog zum Einsatz. Die Architektin hat statt dessen präzise, milchglasgedeckte Tableaus entwickelt, die fast skulpturalen Charakter haben und wunderbar mit dem spartanisch- edel wirkenden japanischen Garten harmonieren, den die Gartenkünstler aus dem Atelier des kürzlich verstorbenen Dieter Kienast gestalteten. In der Treppenhalle, in den Foyers und in den vier Verhandlungssälen erzeugen Eichenpaneele und Natursteinböden aus blassgrünem Tessiner Gneis eine vornehme Atmosphäre, die einem Bundesgericht sicher angemessen ist. Die Farbe kommt durch die hochrangige Kunst unter anderem von Remy Zaugg, Veronika Kellendorfer, Katharina Grosse und Ian Hamilton Finlay ins Haus.

Wenn auch das Gebäude monolithisch blockhaft geformt ist und durch Öffnungen und seitliche Loggienhöfe kaum variiert wird, erfährt es doch durch den raffinierten geschossweisen Wechsel der Fensteröffnungen, den Versatz der Betonskelettrahmen und die unterschiedlichen Stellungen der Sonnenblenden eine subtile, doch um so stärker physisch erlebbare Rhythmik und Lebendigkeit, deren Ursache erst auf den zweiten Blick erkennbar wird. Als herrischer «Klotz» oder «Block», wie der flüchtige Blick auf das Modell befürchten liess, wirkt der realisierte Entwurf durch diese feinsinnige Fassade mitnichten. Doch auch der wohlkalkulierte, dezent-effektvolle Einsatz der Materialwirkung hebt das in den Kontext der Neuen Einfachheit der neunziger Jahre einzuordnende Bauwerk in einen hohen Rang.

Falk Jaeger

Neue Zürcher Zeitung, Mi., 1999.11.24



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