Übersicht

Texte

07. Dezember 2001Patrick Barton
Neue Zürcher Zeitung

Die Arroganz der Gebäude

Renzo Piano und die Zukunft der Wolkenkratzer

Renzo Piano und die Zukunft der Wolkenkratzer

Seit dem 11. September stellen Laien und Fachleute das architektonische Höhenwachstum in Frage. Renzo Piano, der ein Hochhaus für die «New York Times» realisieren soll, hat sich jüngst über die Konsequenzen des Angriffs auf das World Trade Center geäussert. Mit dem Architekten sprach Patrik Barton.

Wie wird sich das Leben in den Metropolen nach dem 11. September verändern?

Das geschieht auf vielen Ebenen. Es dürfte aber klar sein, dass die Menschen in den nächsten Jahren lieber nicht in Wolkenkratzern arbeiten wollen - wegen prekärer Fluchtwege, vor allem aber, weil diese Gebäude offenbar Terroristen anziehen. Natürlich muss etwas gegen Terrorismus getan werden. Anschlägen dieser Dimension wird kein Gebäude standhalten können. Aber man kann daraus lernen: vor allem bezüglich Feuerschutz, Stabilität und Evakuierungsstrategien.

Aus der Katastrophe lernen
Ist das alles eine Frage der Technik?

Nein, aber wir werden lernen. Die Frage lautet: Was müssen wir tun, um das Erreichte zu retten, ohne dabei unsere Häuser und unsere Lebensweisen grundlegend zu ändern?

Auf städtebaulicher Ebene stellt sich die Frage, ob der 11. September nicht auch ein Ende der Verdichtungsspirale bedeutet.

Das glaube ich nicht unbedingt. Vor allem sollte man Wolkenkratzer nicht mit städtischer Verdichtung gleichsetzen, das ist nämlich keine logische Gleichung. Nehmen Sie zum Beispiel London: Die Innenstadt ist sehr dicht bebaut, aber die meisten Gebäude haben nur drei oder vier Geschosse. Man kann eine Stadt also auch ohne Wolkenkratzer verdichten.

Sie kennen New York. Zurzeit planen Sie den neuen Sitz der «New York Times». Ausserdem arbeiten Sie an einem Masterplan für die Umgestaltung der Morgan Library. Wie hat sich das Bewusstsein für das Bauen dieser Stadt verändert?

Ich war am 11. September in New York. Das war ein unbeschreiblicher Tag - alle waren in einer Art Schockzustand. Am Tag darauf traf ich mich mit meinen Auftraggebern von der «New York Times». Niemand sagte: Lasst uns aufhören, oder lasst uns eine Pause machen. Vielmehr hiess es: Wir müssen den Terroristen dieStirn bieten. Die Amerikaner haben eine unglaubliche Energie.

Aber jetzt, in der posttraumatischen Phase, ändert sich doch etwas im Denken. Wird sich auch im Geist des Bauens etwas ändern?

Ja. Es wird sich auch in New York einiges ändern. Zuallererst werden sich die Stadtplaner über die urbane Verdichtung Gedanken machen. Ich glaube, es wird eine Begrenzung der zulässigen Nutzfläche eines Gebäudes geben. Und dannglaube und hoffe ich, dass man mit Extravaganzen etwas zurückhaltender sein wird. Die Arroganz der Gebäude wird abnehmen. Aber das hat nicht erst jetzt angefangen. Als ich den Auftrag für die «New York Times» bekam, fragte ich: Warum nehmen Sie einen Europäer und nicht einen Amerikaner? Die Antwort lautete: Weil Sie vielleicht besser wissen als wir, wie man Urbanität schafft, wie man einen humanistischeren Zugang zum Bauen findet. In diesem Sinn wird sich jetzt wahrscheinlich noch mehr verändern.

An einem Ort wird man das in besonderer Weise berücksichtigen: Dort, wo das World Trade Center stand, muss neu gebaut werden. Was ist dabei die grösste Herausforderung?

In gewisser Weise war ich in einer ähnlichen Situation, als ich an der Neugestaltung des Potsdamer Platzes arbeitete. Hier wie dort gab odergibt es eine Wüste, die von einem Krieg verursacht wurde. Man muss also etwas Neues bauen und gleichzeitig an das Geschehene erinnern.

Soll man also die Zwillingstürme wieder aufbauen?

Nein. Ich hatte nie etwas gegen diese Gebäude, aber sie sind immer aus dem Rahmen gefallen. Die Twin Towers sind vor 30 Jahren gebaut worden, aber tatsächlich war ihr Konzept auf dem Stand der Mitte des vorigen Jahrhunderts.

Was würden Sie stattdessen machen?

Man muss schon etwas bewahren. Dabei denke ich nicht unbedingt an die Ruine. Die Herausforderung wird sein, eine Balance zwischen Nostalgie und Erinnern zu finden.

Haben Sie Ihre Pläne für das Hauptquartier der «New York Times» jetzt überarbeitet?

Das Grundkonzept ist unverändert. Verglichen mit dem Prunk, dem Massstab und der Mächtigkeit anderer Wolkenkratzer ist das Gebäude für die «New York Times» klein und feinsinnig. Es soll gute Arbeitsbedingungen in einer transparenten Umgebung bieten. Der Entwurf war von Anfang an eine Antwort auf dieses Denkmuster, nach dem ein Turm arrogant und mysteriös sein muss. Wir haben jetzt nur wenig verändert und zum Beispiel zusätzliche Treppen vorgesehen.

Worin liegt das Innovative Ihres Turmprojekts?

Das Schönste am Turm wird das Atmosphärische sein. Er ist Teil seiner Umgebung, er verwandelt sich ständig. Seine Farbe ändert sich mit dem Wetter. Wir haben uns für eine beinahe weisse Fassade entschieden. Dieses Weiss, eine Nichtfarbe, wird das Wetter spiegeln. Nach einem Wolkenbruch wird das Gebäude bläulich, kalt aussehen. Abends wird es erröten. Es ist eine Metamorphose: ein Wandel mit dem Wind, mit dem Wetter und mit der Tageszeit.

New York als Herausforderung
Sie bauen zum ersten Mal in New York. War Ihnen bange davor?

Ich fühle mich von dieser Aufgabe keineswegs eingeschüchtert. Aber ich fragte mich natürlich, wie man es am besten anstellt. Der Kontext ist von fundamentaler Bedeutung. Das Schwierigste ist nicht das Gebäude selbst, sondern wie man es in die Logik seiner Umgebung einpasst.

Die USA sind derzeit Ihr Haupttätigkeitsfeld: Sie erweitern das Chicago Art Institute, bauen das Harvard Art Museum in Boston, einen Kunstcampus in Atlanta, eine Galerie in Dallas . . .

. . . es ist mehr ein Skulpturengarten als eine Galerie. Wir haben auch ein neues Projekt in San Francisco, wo wir im Golden Gate Park die California Academy of Science bauen werden. Und dazu arbeiten wir noch an der Renovierung der Morgan Library in New York. Wir haben also einige Sachen in den USA.

Auch in Europa bleiben Sie aktiv. Das höchste Gebäude des Kontinents sollen Sie direkt an der London Bridge bauen. Wie wird es ausschauen?

Es wird ein 306 Meter hohes Gebäude sein, dessen Spitze sich im Himmel verliert. Ich finde die Idee faszinierend, dass sich ein Gebäude im Nichts verliert.

Dem Nichts ist das Projekt vielleicht in seiner Gesamtheit schon sehr nahe, denn die Unterstützung war von Anfang an schwach. Der Terrorangriff von New York hat alles jetzt noch stärker ins Wanken gebracht.

Ja, denn dieses Projekt war und ist mit einem starken Symbolwert versehen. Die zuständigen Behörden wollen jetzt darüber befinden, und ich würde mich nicht wundern, wenn am Ende eine emotionale Entscheidung steht.

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 2001.12.07



verknüpfte Bauwerke
New York Times Building

04. Mai 2001Patrick Barton
Neue Zürcher Zeitung

Brückenschlag zwischen Norm und Freiheit

Santiago Calatravas Sondica-Flughafen in Bilbao

Santiago Calatravas Sondica-Flughafen in Bilbao

Für gewöhnlich gelten Flughäfen nicht gerade als lyrische Orte. Menschen lassen sich dort abfertigen, um von einer Welt in eine andere katapultiert zu werden. Wohin die Reise auch geht: Hallen, Rollbänder, Schalterbarrieren gleichen sich allüberall. Als ob er dies nicht mehr ertragen könnte, hat der von Zürich aus tätige Spanier Santiago Calatrava mit seinem Sondica-Flughafenterminal in Bilbao den erfolgreichen Versuch unternommen, atypisch zu bauen. Von aussen gleicht das Gebäude einem weissen Vogel. Eine Glasfront erstreckt sich über die ganze Spannweite des Gebäudes, an dem grazil die Fingerdocks hängen. Für den Reisenden wird der Ortswechsel hier zum bleibenden Erlebnis.


Bilbao strebt auf

Mit diesem Bauwerk hat Bilbao einen neuen Weg eingeschlagen. Ein Spanier baut einen spanischen Flughafen am zukunftsorientiertesten Ort des Landes - so lautet die Botschaft, mit der sich die Stadt selbst feiert. Mit einer Neuerfindung seiner selbst hat sich Bilbao den zeitgenössischen Bedürfnissen einer auf Freizeit fixierten Gesellschaft gestellt (NZZ 31. 12. 99). Die Stars der Architektenzunft arbeiten am neuen Bilbao: Norman Foster gestaltete die Stationen des U-Bahn-Netzes; Frank O. Gehrys Guggenheim-Museum bedarf kaum noch einer Hervorhebung, so sehr hat es zum Ruhm der Stadt beigetragen. Das alles passt gut zur einst serbelnden Industriestadt, in der sich nun Hochtechnologiefirmen ausbreiten.

Nun besitzt die Metropole des Baskenlandes also auch einen neuen Flughafen - am alten Ort zwar, mit alten Rollbahnen, aber im Gewand eines hochmodernen Terminals. Dass man den Bauauftrag einem Spanier, einem Nichtbasken zumal, anvertraute, zeugt von einem neuen Selbstbewusstsein. Die Wahl traf den Richtigen, denn Calatrava versteht sich auf das Bauen im Dienste der Mobilität. Architekturgeschichte schrieb er mit dem Zürcher Bahnhof Stadelhofen, dessen nackter Walfischbauch einen Höhepunkt der Betonarchitektur des 20. Jahrhunderts markiert. Für Barajas, das Luftkreuz von Madrid (wo er letztlich nicht zum Zuge kam), entwarf Calatrava eine Ansammlung von gewölbten Formen, die an einen Rochen erinnern. In Lyon realisierte er einen Flughafenbahnhof, der beide Verkehrsträger geschmeidig zusammenführt. Die Reihe der Verkehrsbauten in Calatravas Œuvre ist noch länger: Hervorgehoben sei der Oriente-Bahnhof in Lissabon, bei dem die Gleise von eleganten Baldachinen aus Glas und Stahl überspannt werden.

All diese Bauten haben direkt oder indirekt auch mit der Brückenbaukunst zu tun. Mit ihr fing alles an, und sie ist noch immer sein Markenzeichen: Den Vorgang des Brückenschlags lässt Calatrava in abstrakter Weise figürlich werden. Zupass kommt ihm dabei das Ingenieurspatent, das der Architekt an der Eidgenössisch Technischen Hochschule in Zürich erworben hat. Seither blieb Zürich Calatravas Arbeits- und Lebensmittelpunkt, ohne dass er die spanischen Wurzeln abgeschnitten hätte. So zeugen in Valencia, wo er vor 49 Jahren geboren wurde, spektakuläre Kulturbauten von seinem Können. Die Stadt ist so stolz auf ihren Sohn, dass sie nach ihm bereits eine Brücke benannte (die natürlich Calatrava entworfen hat). Ausgangspunkt seiner Projekte sind die Strukturen der Natur, die Anatomie von Mensch und Tier. Die von diesen Naturzitaten ausgehende Gefahr, ins Kitschige abzurutschen, sieht er wohl, zumal sich die Kritik bisweilen zu Äusserungen bemüssigt fühlt wie, Calatrava sei ein Baumeister für «genmanipulierte Gotik».


Ein Flughafen als Kathedrale

Der so zum «Neugoten» abgestempelte Architekt hat sich beim Sondica»-Flughafen teilweise auf das für Madrid-Barajas entwickelte Rochenzitat bezogen, wobei in Bilbao der Fisch ganz offensichtlich mit einer weissen Taube gekreuzt wurde. Eingebettet ist dieses Zwitterwesen in ein Motiv von Halbbogen, das in allen Teilen des Gebäudes aufgenommen wird. Den stärksten Eindruck hinterlässt die zentrale Halle, die sich kathedralenhaft wölbt. Das Dach hätte Calatrava gern verglast. Doch nun hat nur die weite Front Fenster. Wer durch den Eingang in das Innere schreitet, wähnt sich der Sonne dennoch nah: Es strahlen oben die Rippen des Daches und unten die Fächer einer die Schalter überwölbenden Grundstruktur. Dazwischen lässt die weite Glasfront Licht ins Innere. Die Flucht der Innenfront wird leider durchbrochen von einer Empore für die Vorfeldkontrolle, die den Blick des Besuchers beeinträchtigt. So verliert sich das Grandiose etwas. Damit passt sich das Innere aber auch der Intimität dieses eher kleinen Flughafengebäudes an, das eine Fläche von 29 000 Quadratmetern auf vier Ebenen umfasst. - Die an- und abfliegenden Flugzeuge werden von einem Kontrollturm aus dirigiert, der dem Terminal jenseits der Pisten gegenüberliegt. Es ist ein Solitär, der die Architektur des Terminals nicht aufnimmt - ausser in seinem oberen Abschluss, der einmal mehr an einen Vogelkopf erinnert.

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 2001.05.04



verknüpfte Bauwerke
Sondica-Flughafenterminal

05. Januar 2001Patrick Barton
Neue Zürcher Zeitung

Ein neuer Höhenrausch an der Themse

Obwohl seit den sechziger Jahren in der Londoner City und später auch rund um die Canary Wharf Hochhäuser entstanden, beschäftigte man sich in Grossbritannien bisher nicht ernsthaft mit dem Thema Wolkenkratzer. Nun sollen im Zuge der neu aufgeflackerten Hochhausdebatte auch an der Themse attraktive Türme entstehen.

Obwohl seit den sechziger Jahren in der Londoner City und später auch rund um die Canary Wharf Hochhäuser entstanden, beschäftigte man sich in Grossbritannien bisher nicht ernsthaft mit dem Thema Wolkenkratzer. Nun sollen im Zuge der neu aufgeflackerten Hochhausdebatte auch an der Themse attraktive Türme entstehen.

Es ist das Gemisch aus viktorianischem Zierwerk, nüchternem Nachkriegsgrau und edler Avantgarde, das London architektonisch unverwechselbar macht. Ganz im Sinn britischen Understatements widerstand man in der Metropole - sieht man einmal von der City und den Docklands ab - bisher der Verlockung, mit Hochhäusern oder gar Wolkenkratzern das Stadtbild neu zu definieren. Angesichts horrender Büromieten verheissen Wolkenkratzer heute aber den Investoren verlockende Gewinne. Zudem entspricht die neu aufgeflackerte Londoner Hochhausdebatte einer auf dem Kontinent längst in Mode gekommenen Entwicklung.


Hochhausdebatte

Der neue Londoner Hochhauskult wird Prinz Charles kaum gefallen. Das ist aus fachlicher Sicht zwar unmassgeblich, gesellschaftspolitisch aber dennoch relevant. Nach seinen in Architektenkreisen nicht eben geschätzten Tiraden gegen die Verschandelung der City rund um St. Paul's Cathedral mit Bürotürmen hat er seinen Kampf gegen «schlechte» Architektur und sein Nachdenken über Baukunst mit einer nach ihm benannten Architekturstiftung institutionalisiert. Nun hat er erneut Grund zu einem Wehgeschrei: Träumen doch Investoren und Architekten davon, mit Wolkenkratzern Akzente ins Stadtbild von London zu setzen, die sich vom Einerlei der bisherigen Hochhäuser unterscheiden. Da Bauland immer rarer wird und Firmen an prestigeträchtigen Adressen derzeit monatlich an die 1000 Franken pro Quadratmeter Bürofläche zahlen, sollen die neusten Türme nicht mehr nur in der City, sondern auch im boomenden Southwark und bei der Paddington Station entstehen.

Diese städtebauliche Debatte, auf die man in London eingeschwenkt ist, kennt man auf dem Kontinent bereits aus Städten wie Frankfurt, Barcelona, Berlin, Wien oder gar Zürich. Nun ist London mit all diesen Städten nicht wirklich zu vergleichen. Weder ist es wurzellos wie Frankfurt, noch hegt es einen Metropolentraum wie Zürich, der sich gegenwärtig nicht nur in Stadionprojekten, sondern auch im bisher unerfüllt gebliebenen Wunsch nach Wolkenkratzern spiegelt. Aber auch London möchte trendy sein. Deshalb strebt man nun buchstäblich an allen Ecken und Enden der Stadt in die Höhe - zumindest auf dem Papier. Pläne für insgesamt zehn Projekte sind schon an die Öffentlichkeit gelangt.

Dabei steht eines ausser Frage: Besondere Hochhäuser sollen es werden. Das will nicht zuletzt Norman Foster beweisen, dessen spektakulärste Bauten bisher bezeichnenderweise ausserhalb Londons entstanden sind - sieht man von der längst fertig gestellten, aber wegen zu starker Schwankungen immer noch nicht benutzbaren Millennium Bridge oder von der eben eingeweihten Hofüberdachung des British Museum ab. Für seinen Wurf hat sich Foster, inzwischen vom Sir zum Lord aufgestiegen, einen prominenten Ort in der City ausgesucht, ganz in der Nähe des von seinem einstigen Partner Richard Rogers für Lloyd's errichteten Bürobaus, der immer noch als das eigenwilligste Hochhaus der Stadt bezeichnet werden darf. Da, wo im 19. Jahrhundert am Baltic Exchange der Börsenhandel florierte, will Foster der Schweizerischen Rückversicherungsgesellschaft ein vom Volksmund bereits «gherkin» (Essiggurke) genanntes Gebäude hinpflanzen.

Das phallische Leitmotiv der Wolkenkratzerarchitektur nimmt diese Gurke gerne auf. Die Fassade des Gebäudes spannt sich - in der Mitte leicht angeschwollen - von der kreisrunden Grundfläche zur schmalen Spitze. Die gläserne Aussenhaut wird von diagonalen Stahlstreben eingefasst. Als selbsternannter Wunderheiler hofft Foster, die kurvige Form seines Baus werde mit der strengen Vertikalität der umliegenden Türme kontrastieren und deren Erscheinungsbild konsolidieren. Insgesamt 40 Etagen mit 40 000 Quadratmetern Nutzfläche werden um einen Kern gedreht, wobei jedes Stockwerk von aussen leicht versetzt erscheint. Mehrere Segmente auf jeder Etage sind Teil von stockwerkübergreifenden «Sky Gardens», die gleichsam als Lungen des Gebäudes fungieren sollen. Sie erfüllen dieselbe mikroklimatische Funktion wie die Gärten in Fosters Frankfurter Commerzbank, dem derzeit höchsten Haus Europas.

Es sei «das erste ökologische Hochhaus» Londons, preist der Architekt sein organisch geformtes Turmhaus. Für das grüne Innenleben verweist er auf Buckminster Fuller, der mit seinem «Climatroffice» die Natur ins Büro holen wollte. Diese Reverenz an den grossen Baumeister gestattet sich Foster gerade noch; ein Hinweis darauf, dass die Architektengruppe «Future Systems» 1996 mit ihrem «Green Bird»-Projekt ein dem Foster-Turm nicht unähnliches Gebäude entworfen hat, wäre dann aber doch ein zu grosses Eingeständnis gewesen. Zu jener Zeit, als Future Systems ihren Riesenpenis entwarfen, war Foster mit dem «Millennium Tower» gescheitert. Dieser hätte mit seinen 92 Stockwerken und einer Höhe von 385 Metern selbst die Frankfurter Commerzbank überragen sollen und hätte so einen neuen Europarekord aufgestellt.


Pianos Höhenrekord

Nach diesem Höhenrekord strebt nun Renzo Piano auf der anderen Seite der Themse. In Southwark, nahe der London Bridge, will der Genuese für einen britischen Investor das höchste Haus Europas bauen. Es soll ein spitz zulaufender Turm werden, dessen Ende sich dereinst im Londoner Nebel verlieren wird wie der Mast eines Schiffs. Die Höhe sei dabei kein Selbstzweck, versichert der Investor. Vielmehr entspringe sie dem wirtschaftlich Notwendigen. Denn sie bietet vor allem Platz, und zwar genug für eine vertikale Stadt mit 10 000 Menschen in Büros, Geschäften und Wohnungen. Selbst an ein Museum wurde gedacht. Der auf annähernd zwei Milliarden Franken veranschlagte Bau soll mit seinen 80 Stockwerken 390 Meter hoch werden. Bezüglich Technik will Piano mit seinem Konkurrenten Foster gleichziehen: Auch sein Turm soll auf jeder Etage einen Wintergarten haben mit Fenstern, die für die Frischluftzufuhr geöffnet werden können. Der Baugrund liegt am Ostrand jenes Quartiers von Southwark, das im Sog der von Herzog & de Meuron geschaffenen Tate Modern gegenwärtig prosperiert. Etwas weiter im Süden von Southwark, in Elephant and Castle, strebt man ebenfalls nach Höherem: Ein Hochhaus von Foster sowie ein Gebäude mit 50 Stockwerken von Ken Yeang, dem malaiischen Verfechter eines Öko-Hightech, sollen hier entstehen. Das Gebiet ist verkehrstechnisch gut erschlossen: Zwei der wichtigsten Bahnhöfe der Stadt, Waterloo und London Bridge, befinden sich relativ nahe. Die U-Bahn-Erweiterung der Jubilee Line nach Greenwich hat Southwark zudem drei neue Stationen beschert, die den Borough näher ans Stadtzentrum rücken.

Für Piano ist Southwark vertrautes Terrain, beteiligte er sich doch am Wettbewerb für den Umbau von Scotts Bankside Power Station in die Tate Modern, bei dem sein Entwurf hinter Herzog & de Meuron den zweiten Platz errang. Nun scheint ihn aber ein Höhenrausch erfasst zu haben, den er an ausgewählten Orten auslebt: So schuf er in Sydney jüngst ein 240 Meter hohes Bürohaus (NZZ 1. 9. 00), und in New York wird er einen Turmbau für die «New York Times» errichten. Für London ist derweil noch nichts entschieden. Ernsthafter Widerstand gegen seinen spitzen Wolkenkratzer deutet sich an. Das höchste Haus des Landes, höher gar als alles auf dem Kontinent, von einem Italiener? - so lautet die Kritik. Foster ist da schon weiter: Seine «Gurke» muss nur noch von John Prescott, dem Stellvertreter Tony Blairs, abgesegnet werden. Und einem Lord sagt man wohl nur ungern Nein.


Technisch angehauchte Türme

Eine solche Zusage könnte es dem anderen Lord, Richard Rogers, erlauben, sein 40-stöckiges Hochhaus in der Nähe des Bahnhofs Paddington im Norden der Stadt weiterzuplanen. Auch diese Gegend ist aufstrebend, besonders seit der Installierung einer Schnellzugverbindung, mit der man in einer Viertelstunde zum Flughafen Heathrow gelangen kann: Gerade international tätige Branchen erwärmen sich in London, dessen Privatverkehr des Öfteren zum Erliegen kommt, immer mehr für diesen Standortvorteil. Ein paar hohe Häuser stehen dort schon, aber Rogers möchte mit seinem Turm noch höher hinaus. Es ist ein typisches Rogers-Stück, technisch angehaucht, gläsern, stahlschwer - und doch mit grünen Gärten im Innern und einem Atrium, wie es sein Landsmann Foster in eine Reihe von Hochhäusern integriert hat. Die formale Eigenwilligkeit des Lloyd's Building lässt das Modell nicht erkennen, wohl aber Rogers' Hang zur Zelebration des baulichen Urzustands, der den Betrachter zweifeln lässt, ob der Bau schon fertig ist. Wieder lassen sich die eigenständigen Entwicklungen erkennen, die er und Renzo Piano genommen haben, seit sie mit dem Centre Pompidou das Paris der siebziger Jahre aufschreckten.

Wohl nicht ohne auf das Treiben seiner Konkurrenten zu schielen, hat für Paddington auch Nicholas Grimshaw einen 47-stöckigen Tower aus Stahl und Glas entworfen. Er soll Teil einer gross angelegten Imagekampagne sein: Als Bauherrschaft zeichnet das Eisenbahnunternehmen Railtrack. Es hat nach einer Reihe von Entgleisungen jeder Art wohl ein Bedürfnis, modern und rostfrei zu erscheinen.

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 2001.01.05

Presseschau 12

07. Dezember 2001Patrick Barton
Neue Zürcher Zeitung

Die Arroganz der Gebäude

Renzo Piano und die Zukunft der Wolkenkratzer

Renzo Piano und die Zukunft der Wolkenkratzer

Seit dem 11. September stellen Laien und Fachleute das architektonische Höhenwachstum in Frage. Renzo Piano, der ein Hochhaus für die «New York Times» realisieren soll, hat sich jüngst über die Konsequenzen des Angriffs auf das World Trade Center geäussert. Mit dem Architekten sprach Patrik Barton.

Wie wird sich das Leben in den Metropolen nach dem 11. September verändern?

Das geschieht auf vielen Ebenen. Es dürfte aber klar sein, dass die Menschen in den nächsten Jahren lieber nicht in Wolkenkratzern arbeiten wollen - wegen prekärer Fluchtwege, vor allem aber, weil diese Gebäude offenbar Terroristen anziehen. Natürlich muss etwas gegen Terrorismus getan werden. Anschlägen dieser Dimension wird kein Gebäude standhalten können. Aber man kann daraus lernen: vor allem bezüglich Feuerschutz, Stabilität und Evakuierungsstrategien.

Aus der Katastrophe lernen
Ist das alles eine Frage der Technik?

Nein, aber wir werden lernen. Die Frage lautet: Was müssen wir tun, um das Erreichte zu retten, ohne dabei unsere Häuser und unsere Lebensweisen grundlegend zu ändern?

Auf städtebaulicher Ebene stellt sich die Frage, ob der 11. September nicht auch ein Ende der Verdichtungsspirale bedeutet.

Das glaube ich nicht unbedingt. Vor allem sollte man Wolkenkratzer nicht mit städtischer Verdichtung gleichsetzen, das ist nämlich keine logische Gleichung. Nehmen Sie zum Beispiel London: Die Innenstadt ist sehr dicht bebaut, aber die meisten Gebäude haben nur drei oder vier Geschosse. Man kann eine Stadt also auch ohne Wolkenkratzer verdichten.

Sie kennen New York. Zurzeit planen Sie den neuen Sitz der «New York Times». Ausserdem arbeiten Sie an einem Masterplan für die Umgestaltung der Morgan Library. Wie hat sich das Bewusstsein für das Bauen dieser Stadt verändert?

Ich war am 11. September in New York. Das war ein unbeschreiblicher Tag - alle waren in einer Art Schockzustand. Am Tag darauf traf ich mich mit meinen Auftraggebern von der «New York Times». Niemand sagte: Lasst uns aufhören, oder lasst uns eine Pause machen. Vielmehr hiess es: Wir müssen den Terroristen dieStirn bieten. Die Amerikaner haben eine unglaubliche Energie.

Aber jetzt, in der posttraumatischen Phase, ändert sich doch etwas im Denken. Wird sich auch im Geist des Bauens etwas ändern?

Ja. Es wird sich auch in New York einiges ändern. Zuallererst werden sich die Stadtplaner über die urbane Verdichtung Gedanken machen. Ich glaube, es wird eine Begrenzung der zulässigen Nutzfläche eines Gebäudes geben. Und dannglaube und hoffe ich, dass man mit Extravaganzen etwas zurückhaltender sein wird. Die Arroganz der Gebäude wird abnehmen. Aber das hat nicht erst jetzt angefangen. Als ich den Auftrag für die «New York Times» bekam, fragte ich: Warum nehmen Sie einen Europäer und nicht einen Amerikaner? Die Antwort lautete: Weil Sie vielleicht besser wissen als wir, wie man Urbanität schafft, wie man einen humanistischeren Zugang zum Bauen findet. In diesem Sinn wird sich jetzt wahrscheinlich noch mehr verändern.

An einem Ort wird man das in besonderer Weise berücksichtigen: Dort, wo das World Trade Center stand, muss neu gebaut werden. Was ist dabei die grösste Herausforderung?

In gewisser Weise war ich in einer ähnlichen Situation, als ich an der Neugestaltung des Potsdamer Platzes arbeitete. Hier wie dort gab odergibt es eine Wüste, die von einem Krieg verursacht wurde. Man muss also etwas Neues bauen und gleichzeitig an das Geschehene erinnern.

Soll man also die Zwillingstürme wieder aufbauen?

Nein. Ich hatte nie etwas gegen diese Gebäude, aber sie sind immer aus dem Rahmen gefallen. Die Twin Towers sind vor 30 Jahren gebaut worden, aber tatsächlich war ihr Konzept auf dem Stand der Mitte des vorigen Jahrhunderts.

Was würden Sie stattdessen machen?

Man muss schon etwas bewahren. Dabei denke ich nicht unbedingt an die Ruine. Die Herausforderung wird sein, eine Balance zwischen Nostalgie und Erinnern zu finden.

Haben Sie Ihre Pläne für das Hauptquartier der «New York Times» jetzt überarbeitet?

Das Grundkonzept ist unverändert. Verglichen mit dem Prunk, dem Massstab und der Mächtigkeit anderer Wolkenkratzer ist das Gebäude für die «New York Times» klein und feinsinnig. Es soll gute Arbeitsbedingungen in einer transparenten Umgebung bieten. Der Entwurf war von Anfang an eine Antwort auf dieses Denkmuster, nach dem ein Turm arrogant und mysteriös sein muss. Wir haben jetzt nur wenig verändert und zum Beispiel zusätzliche Treppen vorgesehen.

Worin liegt das Innovative Ihres Turmprojekts?

Das Schönste am Turm wird das Atmosphärische sein. Er ist Teil seiner Umgebung, er verwandelt sich ständig. Seine Farbe ändert sich mit dem Wetter. Wir haben uns für eine beinahe weisse Fassade entschieden. Dieses Weiss, eine Nichtfarbe, wird das Wetter spiegeln. Nach einem Wolkenbruch wird das Gebäude bläulich, kalt aussehen. Abends wird es erröten. Es ist eine Metamorphose: ein Wandel mit dem Wind, mit dem Wetter und mit der Tageszeit.

New York als Herausforderung
Sie bauen zum ersten Mal in New York. War Ihnen bange davor?

Ich fühle mich von dieser Aufgabe keineswegs eingeschüchtert. Aber ich fragte mich natürlich, wie man es am besten anstellt. Der Kontext ist von fundamentaler Bedeutung. Das Schwierigste ist nicht das Gebäude selbst, sondern wie man es in die Logik seiner Umgebung einpasst.

Die USA sind derzeit Ihr Haupttätigkeitsfeld: Sie erweitern das Chicago Art Institute, bauen das Harvard Art Museum in Boston, einen Kunstcampus in Atlanta, eine Galerie in Dallas . . .

. . . es ist mehr ein Skulpturengarten als eine Galerie. Wir haben auch ein neues Projekt in San Francisco, wo wir im Golden Gate Park die California Academy of Science bauen werden. Und dazu arbeiten wir noch an der Renovierung der Morgan Library in New York. Wir haben also einige Sachen in den USA.

Auch in Europa bleiben Sie aktiv. Das höchste Gebäude des Kontinents sollen Sie direkt an der London Bridge bauen. Wie wird es ausschauen?

Es wird ein 306 Meter hohes Gebäude sein, dessen Spitze sich im Himmel verliert. Ich finde die Idee faszinierend, dass sich ein Gebäude im Nichts verliert.

Dem Nichts ist das Projekt vielleicht in seiner Gesamtheit schon sehr nahe, denn die Unterstützung war von Anfang an schwach. Der Terrorangriff von New York hat alles jetzt noch stärker ins Wanken gebracht.

Ja, denn dieses Projekt war und ist mit einem starken Symbolwert versehen. Die zuständigen Behörden wollen jetzt darüber befinden, und ich würde mich nicht wundern, wenn am Ende eine emotionale Entscheidung steht.

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 2001.12.07



verknüpfte Bauwerke
New York Times Building

04. Mai 2001Patrick Barton
Neue Zürcher Zeitung

Brückenschlag zwischen Norm und Freiheit

Santiago Calatravas Sondica-Flughafen in Bilbao

Santiago Calatravas Sondica-Flughafen in Bilbao

Für gewöhnlich gelten Flughäfen nicht gerade als lyrische Orte. Menschen lassen sich dort abfertigen, um von einer Welt in eine andere katapultiert zu werden. Wohin die Reise auch geht: Hallen, Rollbänder, Schalterbarrieren gleichen sich allüberall. Als ob er dies nicht mehr ertragen könnte, hat der von Zürich aus tätige Spanier Santiago Calatrava mit seinem Sondica-Flughafenterminal in Bilbao den erfolgreichen Versuch unternommen, atypisch zu bauen. Von aussen gleicht das Gebäude einem weissen Vogel. Eine Glasfront erstreckt sich über die ganze Spannweite des Gebäudes, an dem grazil die Fingerdocks hängen. Für den Reisenden wird der Ortswechsel hier zum bleibenden Erlebnis.


Bilbao strebt auf

Mit diesem Bauwerk hat Bilbao einen neuen Weg eingeschlagen. Ein Spanier baut einen spanischen Flughafen am zukunftsorientiertesten Ort des Landes - so lautet die Botschaft, mit der sich die Stadt selbst feiert. Mit einer Neuerfindung seiner selbst hat sich Bilbao den zeitgenössischen Bedürfnissen einer auf Freizeit fixierten Gesellschaft gestellt (NZZ 31. 12. 99). Die Stars der Architektenzunft arbeiten am neuen Bilbao: Norman Foster gestaltete die Stationen des U-Bahn-Netzes; Frank O. Gehrys Guggenheim-Museum bedarf kaum noch einer Hervorhebung, so sehr hat es zum Ruhm der Stadt beigetragen. Das alles passt gut zur einst serbelnden Industriestadt, in der sich nun Hochtechnologiefirmen ausbreiten.

Nun besitzt die Metropole des Baskenlandes also auch einen neuen Flughafen - am alten Ort zwar, mit alten Rollbahnen, aber im Gewand eines hochmodernen Terminals. Dass man den Bauauftrag einem Spanier, einem Nichtbasken zumal, anvertraute, zeugt von einem neuen Selbstbewusstsein. Die Wahl traf den Richtigen, denn Calatrava versteht sich auf das Bauen im Dienste der Mobilität. Architekturgeschichte schrieb er mit dem Zürcher Bahnhof Stadelhofen, dessen nackter Walfischbauch einen Höhepunkt der Betonarchitektur des 20. Jahrhunderts markiert. Für Barajas, das Luftkreuz von Madrid (wo er letztlich nicht zum Zuge kam), entwarf Calatrava eine Ansammlung von gewölbten Formen, die an einen Rochen erinnern. In Lyon realisierte er einen Flughafenbahnhof, der beide Verkehrsträger geschmeidig zusammenführt. Die Reihe der Verkehrsbauten in Calatravas Œuvre ist noch länger: Hervorgehoben sei der Oriente-Bahnhof in Lissabon, bei dem die Gleise von eleganten Baldachinen aus Glas und Stahl überspannt werden.

All diese Bauten haben direkt oder indirekt auch mit der Brückenbaukunst zu tun. Mit ihr fing alles an, und sie ist noch immer sein Markenzeichen: Den Vorgang des Brückenschlags lässt Calatrava in abstrakter Weise figürlich werden. Zupass kommt ihm dabei das Ingenieurspatent, das der Architekt an der Eidgenössisch Technischen Hochschule in Zürich erworben hat. Seither blieb Zürich Calatravas Arbeits- und Lebensmittelpunkt, ohne dass er die spanischen Wurzeln abgeschnitten hätte. So zeugen in Valencia, wo er vor 49 Jahren geboren wurde, spektakuläre Kulturbauten von seinem Können. Die Stadt ist so stolz auf ihren Sohn, dass sie nach ihm bereits eine Brücke benannte (die natürlich Calatrava entworfen hat). Ausgangspunkt seiner Projekte sind die Strukturen der Natur, die Anatomie von Mensch und Tier. Die von diesen Naturzitaten ausgehende Gefahr, ins Kitschige abzurutschen, sieht er wohl, zumal sich die Kritik bisweilen zu Äusserungen bemüssigt fühlt wie, Calatrava sei ein Baumeister für «genmanipulierte Gotik».


Ein Flughafen als Kathedrale

Der so zum «Neugoten» abgestempelte Architekt hat sich beim Sondica»-Flughafen teilweise auf das für Madrid-Barajas entwickelte Rochenzitat bezogen, wobei in Bilbao der Fisch ganz offensichtlich mit einer weissen Taube gekreuzt wurde. Eingebettet ist dieses Zwitterwesen in ein Motiv von Halbbogen, das in allen Teilen des Gebäudes aufgenommen wird. Den stärksten Eindruck hinterlässt die zentrale Halle, die sich kathedralenhaft wölbt. Das Dach hätte Calatrava gern verglast. Doch nun hat nur die weite Front Fenster. Wer durch den Eingang in das Innere schreitet, wähnt sich der Sonne dennoch nah: Es strahlen oben die Rippen des Daches und unten die Fächer einer die Schalter überwölbenden Grundstruktur. Dazwischen lässt die weite Glasfront Licht ins Innere. Die Flucht der Innenfront wird leider durchbrochen von einer Empore für die Vorfeldkontrolle, die den Blick des Besuchers beeinträchtigt. So verliert sich das Grandiose etwas. Damit passt sich das Innere aber auch der Intimität dieses eher kleinen Flughafengebäudes an, das eine Fläche von 29 000 Quadratmetern auf vier Ebenen umfasst. - Die an- und abfliegenden Flugzeuge werden von einem Kontrollturm aus dirigiert, der dem Terminal jenseits der Pisten gegenüberliegt. Es ist ein Solitär, der die Architektur des Terminals nicht aufnimmt - ausser in seinem oberen Abschluss, der einmal mehr an einen Vogelkopf erinnert.

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 2001.05.04



verknüpfte Bauwerke
Sondica-Flughafenterminal

05. Januar 2001Patrick Barton
Neue Zürcher Zeitung

Ein neuer Höhenrausch an der Themse

Obwohl seit den sechziger Jahren in der Londoner City und später auch rund um die Canary Wharf Hochhäuser entstanden, beschäftigte man sich in Grossbritannien bisher nicht ernsthaft mit dem Thema Wolkenkratzer. Nun sollen im Zuge der neu aufgeflackerten Hochhausdebatte auch an der Themse attraktive Türme entstehen.

Obwohl seit den sechziger Jahren in der Londoner City und später auch rund um die Canary Wharf Hochhäuser entstanden, beschäftigte man sich in Grossbritannien bisher nicht ernsthaft mit dem Thema Wolkenkratzer. Nun sollen im Zuge der neu aufgeflackerten Hochhausdebatte auch an der Themse attraktive Türme entstehen.

Es ist das Gemisch aus viktorianischem Zierwerk, nüchternem Nachkriegsgrau und edler Avantgarde, das London architektonisch unverwechselbar macht. Ganz im Sinn britischen Understatements widerstand man in der Metropole - sieht man einmal von der City und den Docklands ab - bisher der Verlockung, mit Hochhäusern oder gar Wolkenkratzern das Stadtbild neu zu definieren. Angesichts horrender Büromieten verheissen Wolkenkratzer heute aber den Investoren verlockende Gewinne. Zudem entspricht die neu aufgeflackerte Londoner Hochhausdebatte einer auf dem Kontinent längst in Mode gekommenen Entwicklung.


Hochhausdebatte

Der neue Londoner Hochhauskult wird Prinz Charles kaum gefallen. Das ist aus fachlicher Sicht zwar unmassgeblich, gesellschaftspolitisch aber dennoch relevant. Nach seinen in Architektenkreisen nicht eben geschätzten Tiraden gegen die Verschandelung der City rund um St. Paul's Cathedral mit Bürotürmen hat er seinen Kampf gegen «schlechte» Architektur und sein Nachdenken über Baukunst mit einer nach ihm benannten Architekturstiftung institutionalisiert. Nun hat er erneut Grund zu einem Wehgeschrei: Träumen doch Investoren und Architekten davon, mit Wolkenkratzern Akzente ins Stadtbild von London zu setzen, die sich vom Einerlei der bisherigen Hochhäuser unterscheiden. Da Bauland immer rarer wird und Firmen an prestigeträchtigen Adressen derzeit monatlich an die 1000 Franken pro Quadratmeter Bürofläche zahlen, sollen die neusten Türme nicht mehr nur in der City, sondern auch im boomenden Southwark und bei der Paddington Station entstehen.

Diese städtebauliche Debatte, auf die man in London eingeschwenkt ist, kennt man auf dem Kontinent bereits aus Städten wie Frankfurt, Barcelona, Berlin, Wien oder gar Zürich. Nun ist London mit all diesen Städten nicht wirklich zu vergleichen. Weder ist es wurzellos wie Frankfurt, noch hegt es einen Metropolentraum wie Zürich, der sich gegenwärtig nicht nur in Stadionprojekten, sondern auch im bisher unerfüllt gebliebenen Wunsch nach Wolkenkratzern spiegelt. Aber auch London möchte trendy sein. Deshalb strebt man nun buchstäblich an allen Ecken und Enden der Stadt in die Höhe - zumindest auf dem Papier. Pläne für insgesamt zehn Projekte sind schon an die Öffentlichkeit gelangt.

Dabei steht eines ausser Frage: Besondere Hochhäuser sollen es werden. Das will nicht zuletzt Norman Foster beweisen, dessen spektakulärste Bauten bisher bezeichnenderweise ausserhalb Londons entstanden sind - sieht man von der längst fertig gestellten, aber wegen zu starker Schwankungen immer noch nicht benutzbaren Millennium Bridge oder von der eben eingeweihten Hofüberdachung des British Museum ab. Für seinen Wurf hat sich Foster, inzwischen vom Sir zum Lord aufgestiegen, einen prominenten Ort in der City ausgesucht, ganz in der Nähe des von seinem einstigen Partner Richard Rogers für Lloyd's errichteten Bürobaus, der immer noch als das eigenwilligste Hochhaus der Stadt bezeichnet werden darf. Da, wo im 19. Jahrhundert am Baltic Exchange der Börsenhandel florierte, will Foster der Schweizerischen Rückversicherungsgesellschaft ein vom Volksmund bereits «gherkin» (Essiggurke) genanntes Gebäude hinpflanzen.

Das phallische Leitmotiv der Wolkenkratzerarchitektur nimmt diese Gurke gerne auf. Die Fassade des Gebäudes spannt sich - in der Mitte leicht angeschwollen - von der kreisrunden Grundfläche zur schmalen Spitze. Die gläserne Aussenhaut wird von diagonalen Stahlstreben eingefasst. Als selbsternannter Wunderheiler hofft Foster, die kurvige Form seines Baus werde mit der strengen Vertikalität der umliegenden Türme kontrastieren und deren Erscheinungsbild konsolidieren. Insgesamt 40 Etagen mit 40 000 Quadratmetern Nutzfläche werden um einen Kern gedreht, wobei jedes Stockwerk von aussen leicht versetzt erscheint. Mehrere Segmente auf jeder Etage sind Teil von stockwerkübergreifenden «Sky Gardens», die gleichsam als Lungen des Gebäudes fungieren sollen. Sie erfüllen dieselbe mikroklimatische Funktion wie die Gärten in Fosters Frankfurter Commerzbank, dem derzeit höchsten Haus Europas.

Es sei «das erste ökologische Hochhaus» Londons, preist der Architekt sein organisch geformtes Turmhaus. Für das grüne Innenleben verweist er auf Buckminster Fuller, der mit seinem «Climatroffice» die Natur ins Büro holen wollte. Diese Reverenz an den grossen Baumeister gestattet sich Foster gerade noch; ein Hinweis darauf, dass die Architektengruppe «Future Systems» 1996 mit ihrem «Green Bird»-Projekt ein dem Foster-Turm nicht unähnliches Gebäude entworfen hat, wäre dann aber doch ein zu grosses Eingeständnis gewesen. Zu jener Zeit, als Future Systems ihren Riesenpenis entwarfen, war Foster mit dem «Millennium Tower» gescheitert. Dieser hätte mit seinen 92 Stockwerken und einer Höhe von 385 Metern selbst die Frankfurter Commerzbank überragen sollen und hätte so einen neuen Europarekord aufgestellt.


Pianos Höhenrekord

Nach diesem Höhenrekord strebt nun Renzo Piano auf der anderen Seite der Themse. In Southwark, nahe der London Bridge, will der Genuese für einen britischen Investor das höchste Haus Europas bauen. Es soll ein spitz zulaufender Turm werden, dessen Ende sich dereinst im Londoner Nebel verlieren wird wie der Mast eines Schiffs. Die Höhe sei dabei kein Selbstzweck, versichert der Investor. Vielmehr entspringe sie dem wirtschaftlich Notwendigen. Denn sie bietet vor allem Platz, und zwar genug für eine vertikale Stadt mit 10 000 Menschen in Büros, Geschäften und Wohnungen. Selbst an ein Museum wurde gedacht. Der auf annähernd zwei Milliarden Franken veranschlagte Bau soll mit seinen 80 Stockwerken 390 Meter hoch werden. Bezüglich Technik will Piano mit seinem Konkurrenten Foster gleichziehen: Auch sein Turm soll auf jeder Etage einen Wintergarten haben mit Fenstern, die für die Frischluftzufuhr geöffnet werden können. Der Baugrund liegt am Ostrand jenes Quartiers von Southwark, das im Sog der von Herzog & de Meuron geschaffenen Tate Modern gegenwärtig prosperiert. Etwas weiter im Süden von Southwark, in Elephant and Castle, strebt man ebenfalls nach Höherem: Ein Hochhaus von Foster sowie ein Gebäude mit 50 Stockwerken von Ken Yeang, dem malaiischen Verfechter eines Öko-Hightech, sollen hier entstehen. Das Gebiet ist verkehrstechnisch gut erschlossen: Zwei der wichtigsten Bahnhöfe der Stadt, Waterloo und London Bridge, befinden sich relativ nahe. Die U-Bahn-Erweiterung der Jubilee Line nach Greenwich hat Southwark zudem drei neue Stationen beschert, die den Borough näher ans Stadtzentrum rücken.

Für Piano ist Southwark vertrautes Terrain, beteiligte er sich doch am Wettbewerb für den Umbau von Scotts Bankside Power Station in die Tate Modern, bei dem sein Entwurf hinter Herzog & de Meuron den zweiten Platz errang. Nun scheint ihn aber ein Höhenrausch erfasst zu haben, den er an ausgewählten Orten auslebt: So schuf er in Sydney jüngst ein 240 Meter hohes Bürohaus (NZZ 1. 9. 00), und in New York wird er einen Turmbau für die «New York Times» errichten. Für London ist derweil noch nichts entschieden. Ernsthafter Widerstand gegen seinen spitzen Wolkenkratzer deutet sich an. Das höchste Haus des Landes, höher gar als alles auf dem Kontinent, von einem Italiener? - so lautet die Kritik. Foster ist da schon weiter: Seine «Gurke» muss nur noch von John Prescott, dem Stellvertreter Tony Blairs, abgesegnet werden. Und einem Lord sagt man wohl nur ungern Nein.


Technisch angehauchte Türme

Eine solche Zusage könnte es dem anderen Lord, Richard Rogers, erlauben, sein 40-stöckiges Hochhaus in der Nähe des Bahnhofs Paddington im Norden der Stadt weiterzuplanen. Auch diese Gegend ist aufstrebend, besonders seit der Installierung einer Schnellzugverbindung, mit der man in einer Viertelstunde zum Flughafen Heathrow gelangen kann: Gerade international tätige Branchen erwärmen sich in London, dessen Privatverkehr des Öfteren zum Erliegen kommt, immer mehr für diesen Standortvorteil. Ein paar hohe Häuser stehen dort schon, aber Rogers möchte mit seinem Turm noch höher hinaus. Es ist ein typisches Rogers-Stück, technisch angehaucht, gläsern, stahlschwer - und doch mit grünen Gärten im Innern und einem Atrium, wie es sein Landsmann Foster in eine Reihe von Hochhäusern integriert hat. Die formale Eigenwilligkeit des Lloyd's Building lässt das Modell nicht erkennen, wohl aber Rogers' Hang zur Zelebration des baulichen Urzustands, der den Betrachter zweifeln lässt, ob der Bau schon fertig ist. Wieder lassen sich die eigenständigen Entwicklungen erkennen, die er und Renzo Piano genommen haben, seit sie mit dem Centre Pompidou das Paris der siebziger Jahre aufschreckten.

Wohl nicht ohne auf das Treiben seiner Konkurrenten zu schielen, hat für Paddington auch Nicholas Grimshaw einen 47-stöckigen Tower aus Stahl und Glas entworfen. Er soll Teil einer gross angelegten Imagekampagne sein: Als Bauherrschaft zeichnet das Eisenbahnunternehmen Railtrack. Es hat nach einer Reihe von Entgleisungen jeder Art wohl ein Bedürfnis, modern und rostfrei zu erscheinen.

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 2001.01.05

Profil

7 | 6 | 5 | 4 | 3 | 2 | 1