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08. Mai 2008Irene Brickner
Der Standard

Fremde, moderne Nachbarstadt Bratislava

Wiens Twin-City zwischen umkämpftem Retro-Flair und neuer Investorenarchitektur

Wiens Twin-City zwischen umkämpftem Retro-Flair und neuer Investorenarchitektur

Bratislava/Wien - Politische Umbrüche beeinflussen die Art des Bauens. Wie sich das im Städtevergleich auswirkt, kann jeder wahrnehmen, der mit wachem Blick die Strecke von Wien nach Bratislava zurücklegt. Etwa im „Architektur-Linienbus“ im Rahmen der Architekturtage Niederösterreich 2008 am Samstag, dem 17. Mai.

Tatsächlich haben die sieben Jahrzehnte zwischen dem Zusammenbruch des habsburgischen und dem des kommunistischen Reichs im Stadtbild der slowakischen Metropole tiefe Spuren hinterlassen: Spuren von architektonischer Moderne, die Wien in dieser Form nicht kennt. Etwa die an Chicago-Filmkulissen der 1940er-Jahre erinnernden Zweckbauten eines Vladimír Karfík: In der damals aufstrebenden Tschechoslowakei errichtete er eine Filiale des Schuhkonzerns Bat'a nach der anderen.

Dann diverse Amtsgebäude aus den Fünfziger- und Sechzigerjahren, mit Fassaden, die wie in Stein gehauene proletarische Kraftlackel protzen. Oder das großzügige und doch kleinbürgerlich spannteppichbezogene Hotel Kyjev inmitten der Stadt: 1973 von Ivan Matusík erbaut, ist es derzeit noch als Hotel in Betrieb, doch bereits von einem Investor aufgekauft, der hier ein neues Fünfsternehaus mitsamt Shoppingcenter errichten will.

Vor diesem Gebäude, um dessen Erhalt man in der slowakischen Hauptstadt momentan ringt, wird der Bratislava-Teil der „grenzüberschreitenden Busreise“ starten. „In dieser Stadt gibt es für K.-u.-k-Architektur-Freaks, für Ostkitsch-Fanatiker und für Interessenten neuer Investorenarchitektur viel zu sehen“, sagt der Landschaftsarchitekt und Städtebauer Dominik Scheuch, der den Trip in die nahe, doch fremde Twin-City organisiert hat.

Doch das „Fremde“ beginnt zu erodieren, wie es die Besichtigung von Großbaustellen zeigen wird. Etwa beim Riverpark-Projekt am Donauufer, wo Erick van Egeraat einen Büro- und Luxusapartment-Komplex errichtet, aber auch bei bescheideneren Projekten wie der Wohnhausanlage Slanec. „In Bratislava“, sagt der Architekturkritiker Jan Tabor, „wird städtebaulich derzeit etwa gleich viel gepatzt und geleistet wie in Wien.“

Der Standard, Do., 2008.05.08

29. Juni 2002Irene Brickner
Der Standard

Geometrien einer alten und neuen Sachlichkeit

Zwischen Sozialismusästhetik und einfallsreicher Moderne: Architekturreise nach Bratislava Von Irene Brickner

Zwischen Sozialismusästhetik und einfallsreicher Moderne: Architekturreise nach Bratislava Von Irene Brickner

Im Inneren des verwitterten Baukolosses öffnet sich dem Blick ein Raum großzügiger Geometrie. Klare Linien und Winkel, viel Platz und Licht auf den drei versetzt übereinander angeordneten Etagen unter der massiven Dachschräge der „Kunstbrücke“ von Bratislava: ein idealer Ort für Ausstellungen, der jedoch schon seit Jahren keine Kunst mehr gesehen hat.

Vielen Stadtbewohnern, so erläutert Henrieta Moravcikova, Architekturtheoretikerin aus Bratislava, gelte der in den 70er-Jahren von Vladimir Dedecek errichtete Zubau zur Slovakischen Nationalgalerie als „Monument des Sozialismus“, das sie am liebsten aus den Augen haben wollten. Die von außen rauhe Ästhetik - braun verschindelt hängt der längliche Kasten zwischen zwei Barocktrakten der Galerie in der Luft - widerspreche den in der heutigen Slowakei lebhaft geäußerten Wünschen nach Gefälligem und Folkloristischem.

Zum Glück jedoch, so Moravcikova, hätten Kunstinteressierte und Stadtplaner den „Mehrwert“ des Objekts erkannt. Kommenden Herbst soll ein Architektenwettbewerb starten (Info: www.sng.sk). Zu hoffen sei, dass nicht das Bedürfnis nach optischer Verdrängung obsiegen werde, sondern „der Wille, Qualität zu erhalten“.

Die stilechte Sanierung des Trakts wäre nicht einfach, ergänzt der in Wien wohnhafte Architekturtheoretiker Jan Tabor. Die bei der Errichtung verwendeten einfachen Materialien seien „ermüdet und schwer zu ersetzen“. Überhaupt sei die Materialfrage ein Hauptproblem bei der Adaptierung von in die Jahre gekommenen Bauwerken der - mehr oder weniger - schlichten Moderne.

Im Unterschied etwa zum Jugendstil sei „die Architektur aus den 60er- und 70er-Jahren äußerlich schnell kaputtzumachen“ doziert er vor den Teilnehmern des vierten, von ORTE, dem architekturnetzwerk niederösterreich, organisierten „Symposiums unterwegs“ mitten in Bratislava gegen den Straßenlärm an. Ein neuer, falscher Verputz, dichte Plastik- statt zugiger Holzfenster - und schon, so Tabor, habe das Haus „sein Charakteristisches verloren“.

Mit stilistischen Details aus sämtlichen Jahrzehnten des vergangenen Jahrhunderts wartet Bratislava, die aufstrebende Hauptstadt der Slowakei, in großer Fülle auf. Ein Spaziergang durch das Zentrum führt an imperialem k.u.k-sowie nationalistisch gefärbtem ungarischen Jugendstil vorbei, an stillgelegten Passagen.

Gleich daneben sachlich konzipierte Hochhäusern eines Emil Bellous mit US-amerikanischen Anklängen aus der wirtschaftlichen Aufschwungzeit der tschechoslowakischen Ersten Republik. Nicht zu vergessen die sozialen Wohnbauten aus den 30er-Jahren eines Bedrich Weinwurm, Gebäude im Stil des sozialistischer Realismus samt Kolonnaden und steinernen Proletariern aus der Zeit nach 1948, Kasten gewordene Umbauutopien aus den 70er-Jahren à la Hotel Kyjev sowie - schließlich - die Postmoderne aus der Zeit nach der „samtenen Revolution“ 1989: Besuchern aus Österreich ist die Stadt, die von Wien nur 50 Kilometer entfernt liegt, optisch vertraut und dann wieder ganz fremd.

Ähnlich und dennoch ganz anders als in Österreich mutet auch der expansive Städtebau der 80er-Jahre an. Ein Drittel aller - samt Pendlern - 600.000 Einwohner Bratislavas wohnt in den Plattenbauten des Vororts Petrzalka, wo auch die Direktzüge aus Wien enden. Mit bemerkenswerter Konsequenz, aber ohne jede Infrastruktur und überdies anders als ursprünglich geplant wurden die dichten Hochhaus-Siedlungen damals ins Donauauengebiet platziert.

Geschäfte, Spiel-, Sportplätze und Verkehrsmittel seien den Pertrzalkas Bewohnern den letzten Jahren zum Glück nachgeliefert worden, erläutert der Vorsitzende der slowakischen Architektenkammer, Peter Denuska. „Dort leben ist heute kein Nachteil mehr“. Noch offen jedoch sei, ob sich die Siedlung in Zeiten stärkeren Auseinanderdriftens von Arm und Reich zu einem sozialen Randgebiet entwickeln werde.

Die zeitgenössische slowakische Architektur hingegen hat sich noch an keinem vergleichbaren Großprojekt beweisen müssen. Von der Badehütte über das Einfamilienhaus bis zum Bankgebäude erstreckt sich das Spektrum international beachteter Objekte.

Die Badehütte ist ein Eigenbau des für die Biennale 2002 nominierten slowakischen Archiotekten Jan Studeny. Ganz aus Holzplatten errichtet und aus der Wand klappbaren Holzmöblierung, steht sie am Ufer eines Badeteichs in Senecke Jazera. Ein Wochenendhaus also für Heimwerker mit Sinn für die architektonische Moderne und spielerische ästhetische Details.

Die Lichtschalter nämlich stammen sämtlich von Maschinen aus der Schwerindustrie, ein kreuz und quer gespanntes Seil ersetzt die Balkonbrüstung im ersten Stock: Eine Umfunktionierung einfacher Materialien, wie sie auch bei einem weiteren, aufwendigeren Hausprojekt Studenys in Zusammenarbeit mit dem Architekten David Kopetzky stattfinden.

An einer der Längsseiten dieses in Stupava, einem Vorort von Bratislava, errichteten zweistöckigen Hauses mit Wänden aus grünem Prophelytglas spielt ein weißes Netz die Rolle eines Stiegengeländers. Auch dieses Projekt, so Jan Tabor, sei im Vergleich zu Hausbauten hierzulande preiswert gewesen. Rund 200.000 Euro habe die Erbauung gekostet.

Der Standard, Sa., 2002.06.29

08. Januar 2000Irene Brickner
Der Standard

Der Kremser Sitzbankerl-Streit

Schlicht und statisch stehen sie da, die neuen Kremser Bankerln des Leo Zogmayer. Doch so manchem missfällt das Moderne an den „Stadtmöbeln“. Irene Brickner machte einen Stadtrundgang.

Schlicht und statisch stehen sie da, die neuen Kremser Bankerln des Leo Zogmayer. Doch so manchem missfällt das Moderne an den „Stadtmöbeln“. Irene Brickner machte einen Stadtrundgang.

Helles Holz und ein bisschen Edel- stahl, fast zu übersehen zwischen Biedermeierfassaden und Schaufenstern, Maronibratereien, Abfallkörben und Bäumchen in Lattenrost-Kübeln. Doch: „Das ist kein Parkbankerl, sondern ein Stadtmöbel“, erläutert Architekt Leo Zogmayer und setzt sich für's Foto auf eine der modernen Sitzgelegenheiten. Das Mädchen neben ihm hört zum Tratschen auf und betrachtet interessiert das Holz neben ihren Hosenbeinen.

Stadtmöbel - so der Kremser Stadtbaudirektor Wolfgang Krejs - sind „Objekte der Kleinarchitektur im öffentlichen Raum“. Im spanischen Barcelona wurde ein solches einheitliches Design-Konzept von der U-Bahn bis zur Telefonzelle durchgehalten. In der Donauuniversitätsstadt konzentriert man sich auf Mistkübel, Informationsstelen und Bänke, von denen 16 Stück schon aufgestellt worden sind: Neue kommunale Rastplätze von - wie Architekt Zogmayer betont - „wirklich städtischem Vokabular“.

Leider beherrschen in Krems diese Sprache nicht alle: So etwa Adolf Thurner, Sprecher der „Bürgerinitiative gegen die geplante Stadtmöblierung“. 826 Unterschriften in nur zwei Wochen haben er und seine Mitstreiter gesammelt und eine Protestversammlung durchgeführt. Die Unterschriften, sagt der Kommerzialrat, stammen von Menschen, die „Komfort mehr schätzen als eine schräge Sitzfläche“. Die „keine Steuergelder für diese Art subventionierter Kunst“ ausgeben wollen. Und überhaupt: „Die Bänke harmonieren nicht mit unseren liebenswerten, alten Kremser Fassaden.“


Verharrungstendenzen

Das war auch nicht die Absicht, entgegnet Architekt Zogmayer, der mit seinem Konzept den „Stadtmöblierungs“-Wettbewerb 1997 gewonnen hat. In Krems geboren, beschäftigt er sich schon lang mit der Baugeschichte seiner Stadt. Und stellt „eine Tendenz fest, in alten Formen zu verharren: Was später als im 19. Jahrhundert erbaut wurde, gefällt nicht“.

In Verbindung mit einer „braunen Vergangenheit“ habe dies schon zu ernsthaften Bausünden geführt. Etwa in den 70er-Jahren, als die alte Kremser Synagoge abgerissen wurde. Oder, als der in den 30er-Jahren erbaute Brauhof der Spitzhacke zum Opfer fiel - statt dessen steht jetzt ein gesichtsloses Einkaufszentrum an dem Platz.

Trotzdem sind Zogmayer und Krejs „etwas erstaunt“, dass sich jetzt wegen schlichter Holzbänke Protest regt. Doch: „Wir stellen uns dem Konflikt“, sagen beide mutig - und blicken der ersten Sitzung einer zu Vermittlungszwecken ins Leben gerufenen „Bürgerplattform“ mit Zuversicht entgegen. Der Streit um die „Stadtmöbel“, so meinen beide, beweise nämlich vor allem eins: „Im Grunde muss Krems eine glückliche Stadt sein.“

Der Standard, Sa., 2000.01.08



verknüpfte Bauwerke
Stadtmöblierung Krems

Presseschau 12

08. Mai 2008Irene Brickner
Der Standard

Fremde, moderne Nachbarstadt Bratislava

Wiens Twin-City zwischen umkämpftem Retro-Flair und neuer Investorenarchitektur

Wiens Twin-City zwischen umkämpftem Retro-Flair und neuer Investorenarchitektur

Bratislava/Wien - Politische Umbrüche beeinflussen die Art des Bauens. Wie sich das im Städtevergleich auswirkt, kann jeder wahrnehmen, der mit wachem Blick die Strecke von Wien nach Bratislava zurücklegt. Etwa im „Architektur-Linienbus“ im Rahmen der Architekturtage Niederösterreich 2008 am Samstag, dem 17. Mai.

Tatsächlich haben die sieben Jahrzehnte zwischen dem Zusammenbruch des habsburgischen und dem des kommunistischen Reichs im Stadtbild der slowakischen Metropole tiefe Spuren hinterlassen: Spuren von architektonischer Moderne, die Wien in dieser Form nicht kennt. Etwa die an Chicago-Filmkulissen der 1940er-Jahre erinnernden Zweckbauten eines Vladimír Karfík: In der damals aufstrebenden Tschechoslowakei errichtete er eine Filiale des Schuhkonzerns Bat'a nach der anderen.

Dann diverse Amtsgebäude aus den Fünfziger- und Sechzigerjahren, mit Fassaden, die wie in Stein gehauene proletarische Kraftlackel protzen. Oder das großzügige und doch kleinbürgerlich spannteppichbezogene Hotel Kyjev inmitten der Stadt: 1973 von Ivan Matusík erbaut, ist es derzeit noch als Hotel in Betrieb, doch bereits von einem Investor aufgekauft, der hier ein neues Fünfsternehaus mitsamt Shoppingcenter errichten will.

Vor diesem Gebäude, um dessen Erhalt man in der slowakischen Hauptstadt momentan ringt, wird der Bratislava-Teil der „grenzüberschreitenden Busreise“ starten. „In dieser Stadt gibt es für K.-u.-k-Architektur-Freaks, für Ostkitsch-Fanatiker und für Interessenten neuer Investorenarchitektur viel zu sehen“, sagt der Landschaftsarchitekt und Städtebauer Dominik Scheuch, der den Trip in die nahe, doch fremde Twin-City organisiert hat.

Doch das „Fremde“ beginnt zu erodieren, wie es die Besichtigung von Großbaustellen zeigen wird. Etwa beim Riverpark-Projekt am Donauufer, wo Erick van Egeraat einen Büro- und Luxusapartment-Komplex errichtet, aber auch bei bescheideneren Projekten wie der Wohnhausanlage Slanec. „In Bratislava“, sagt der Architekturkritiker Jan Tabor, „wird städtebaulich derzeit etwa gleich viel gepatzt und geleistet wie in Wien.“

Der Standard, Do., 2008.05.08

29. Juni 2002Irene Brickner
Der Standard

Geometrien einer alten und neuen Sachlichkeit

Zwischen Sozialismusästhetik und einfallsreicher Moderne: Architekturreise nach Bratislava Von Irene Brickner

Zwischen Sozialismusästhetik und einfallsreicher Moderne: Architekturreise nach Bratislava Von Irene Brickner

Im Inneren des verwitterten Baukolosses öffnet sich dem Blick ein Raum großzügiger Geometrie. Klare Linien und Winkel, viel Platz und Licht auf den drei versetzt übereinander angeordneten Etagen unter der massiven Dachschräge der „Kunstbrücke“ von Bratislava: ein idealer Ort für Ausstellungen, der jedoch schon seit Jahren keine Kunst mehr gesehen hat.

Vielen Stadtbewohnern, so erläutert Henrieta Moravcikova, Architekturtheoretikerin aus Bratislava, gelte der in den 70er-Jahren von Vladimir Dedecek errichtete Zubau zur Slovakischen Nationalgalerie als „Monument des Sozialismus“, das sie am liebsten aus den Augen haben wollten. Die von außen rauhe Ästhetik - braun verschindelt hängt der längliche Kasten zwischen zwei Barocktrakten der Galerie in der Luft - widerspreche den in der heutigen Slowakei lebhaft geäußerten Wünschen nach Gefälligem und Folkloristischem.

Zum Glück jedoch, so Moravcikova, hätten Kunstinteressierte und Stadtplaner den „Mehrwert“ des Objekts erkannt. Kommenden Herbst soll ein Architektenwettbewerb starten (Info: www.sng.sk). Zu hoffen sei, dass nicht das Bedürfnis nach optischer Verdrängung obsiegen werde, sondern „der Wille, Qualität zu erhalten“.

Die stilechte Sanierung des Trakts wäre nicht einfach, ergänzt der in Wien wohnhafte Architekturtheoretiker Jan Tabor. Die bei der Errichtung verwendeten einfachen Materialien seien „ermüdet und schwer zu ersetzen“. Überhaupt sei die Materialfrage ein Hauptproblem bei der Adaptierung von in die Jahre gekommenen Bauwerken der - mehr oder weniger - schlichten Moderne.

Im Unterschied etwa zum Jugendstil sei „die Architektur aus den 60er- und 70er-Jahren äußerlich schnell kaputtzumachen“ doziert er vor den Teilnehmern des vierten, von ORTE, dem architekturnetzwerk niederösterreich, organisierten „Symposiums unterwegs“ mitten in Bratislava gegen den Straßenlärm an. Ein neuer, falscher Verputz, dichte Plastik- statt zugiger Holzfenster - und schon, so Tabor, habe das Haus „sein Charakteristisches verloren“.

Mit stilistischen Details aus sämtlichen Jahrzehnten des vergangenen Jahrhunderts wartet Bratislava, die aufstrebende Hauptstadt der Slowakei, in großer Fülle auf. Ein Spaziergang durch das Zentrum führt an imperialem k.u.k-sowie nationalistisch gefärbtem ungarischen Jugendstil vorbei, an stillgelegten Passagen.

Gleich daneben sachlich konzipierte Hochhäusern eines Emil Bellous mit US-amerikanischen Anklängen aus der wirtschaftlichen Aufschwungzeit der tschechoslowakischen Ersten Republik. Nicht zu vergessen die sozialen Wohnbauten aus den 30er-Jahren eines Bedrich Weinwurm, Gebäude im Stil des sozialistischer Realismus samt Kolonnaden und steinernen Proletariern aus der Zeit nach 1948, Kasten gewordene Umbauutopien aus den 70er-Jahren à la Hotel Kyjev sowie - schließlich - die Postmoderne aus der Zeit nach der „samtenen Revolution“ 1989: Besuchern aus Österreich ist die Stadt, die von Wien nur 50 Kilometer entfernt liegt, optisch vertraut und dann wieder ganz fremd.

Ähnlich und dennoch ganz anders als in Österreich mutet auch der expansive Städtebau der 80er-Jahre an. Ein Drittel aller - samt Pendlern - 600.000 Einwohner Bratislavas wohnt in den Plattenbauten des Vororts Petrzalka, wo auch die Direktzüge aus Wien enden. Mit bemerkenswerter Konsequenz, aber ohne jede Infrastruktur und überdies anders als ursprünglich geplant wurden die dichten Hochhaus-Siedlungen damals ins Donauauengebiet platziert.

Geschäfte, Spiel-, Sportplätze und Verkehrsmittel seien den Pertrzalkas Bewohnern den letzten Jahren zum Glück nachgeliefert worden, erläutert der Vorsitzende der slowakischen Architektenkammer, Peter Denuska. „Dort leben ist heute kein Nachteil mehr“. Noch offen jedoch sei, ob sich die Siedlung in Zeiten stärkeren Auseinanderdriftens von Arm und Reich zu einem sozialen Randgebiet entwickeln werde.

Die zeitgenössische slowakische Architektur hingegen hat sich noch an keinem vergleichbaren Großprojekt beweisen müssen. Von der Badehütte über das Einfamilienhaus bis zum Bankgebäude erstreckt sich das Spektrum international beachteter Objekte.

Die Badehütte ist ein Eigenbau des für die Biennale 2002 nominierten slowakischen Archiotekten Jan Studeny. Ganz aus Holzplatten errichtet und aus der Wand klappbaren Holzmöblierung, steht sie am Ufer eines Badeteichs in Senecke Jazera. Ein Wochenendhaus also für Heimwerker mit Sinn für die architektonische Moderne und spielerische ästhetische Details.

Die Lichtschalter nämlich stammen sämtlich von Maschinen aus der Schwerindustrie, ein kreuz und quer gespanntes Seil ersetzt die Balkonbrüstung im ersten Stock: Eine Umfunktionierung einfacher Materialien, wie sie auch bei einem weiteren, aufwendigeren Hausprojekt Studenys in Zusammenarbeit mit dem Architekten David Kopetzky stattfinden.

An einer der Längsseiten dieses in Stupava, einem Vorort von Bratislava, errichteten zweistöckigen Hauses mit Wänden aus grünem Prophelytglas spielt ein weißes Netz die Rolle eines Stiegengeländers. Auch dieses Projekt, so Jan Tabor, sei im Vergleich zu Hausbauten hierzulande preiswert gewesen. Rund 200.000 Euro habe die Erbauung gekostet.

Der Standard, Sa., 2002.06.29

08. Januar 2000Irene Brickner
Der Standard

Der Kremser Sitzbankerl-Streit

Schlicht und statisch stehen sie da, die neuen Kremser Bankerln des Leo Zogmayer. Doch so manchem missfällt das Moderne an den „Stadtmöbeln“. Irene Brickner machte einen Stadtrundgang.

Schlicht und statisch stehen sie da, die neuen Kremser Bankerln des Leo Zogmayer. Doch so manchem missfällt das Moderne an den „Stadtmöbeln“. Irene Brickner machte einen Stadtrundgang.

Helles Holz und ein bisschen Edel- stahl, fast zu übersehen zwischen Biedermeierfassaden und Schaufenstern, Maronibratereien, Abfallkörben und Bäumchen in Lattenrost-Kübeln. Doch: „Das ist kein Parkbankerl, sondern ein Stadtmöbel“, erläutert Architekt Leo Zogmayer und setzt sich für's Foto auf eine der modernen Sitzgelegenheiten. Das Mädchen neben ihm hört zum Tratschen auf und betrachtet interessiert das Holz neben ihren Hosenbeinen.

Stadtmöbel - so der Kremser Stadtbaudirektor Wolfgang Krejs - sind „Objekte der Kleinarchitektur im öffentlichen Raum“. Im spanischen Barcelona wurde ein solches einheitliches Design-Konzept von der U-Bahn bis zur Telefonzelle durchgehalten. In der Donauuniversitätsstadt konzentriert man sich auf Mistkübel, Informationsstelen und Bänke, von denen 16 Stück schon aufgestellt worden sind: Neue kommunale Rastplätze von - wie Architekt Zogmayer betont - „wirklich städtischem Vokabular“.

Leider beherrschen in Krems diese Sprache nicht alle: So etwa Adolf Thurner, Sprecher der „Bürgerinitiative gegen die geplante Stadtmöblierung“. 826 Unterschriften in nur zwei Wochen haben er und seine Mitstreiter gesammelt und eine Protestversammlung durchgeführt. Die Unterschriften, sagt der Kommerzialrat, stammen von Menschen, die „Komfort mehr schätzen als eine schräge Sitzfläche“. Die „keine Steuergelder für diese Art subventionierter Kunst“ ausgeben wollen. Und überhaupt: „Die Bänke harmonieren nicht mit unseren liebenswerten, alten Kremser Fassaden.“


Verharrungstendenzen

Das war auch nicht die Absicht, entgegnet Architekt Zogmayer, der mit seinem Konzept den „Stadtmöblierungs“-Wettbewerb 1997 gewonnen hat. In Krems geboren, beschäftigt er sich schon lang mit der Baugeschichte seiner Stadt. Und stellt „eine Tendenz fest, in alten Formen zu verharren: Was später als im 19. Jahrhundert erbaut wurde, gefällt nicht“.

In Verbindung mit einer „braunen Vergangenheit“ habe dies schon zu ernsthaften Bausünden geführt. Etwa in den 70er-Jahren, als die alte Kremser Synagoge abgerissen wurde. Oder, als der in den 30er-Jahren erbaute Brauhof der Spitzhacke zum Opfer fiel - statt dessen steht jetzt ein gesichtsloses Einkaufszentrum an dem Platz.

Trotzdem sind Zogmayer und Krejs „etwas erstaunt“, dass sich jetzt wegen schlichter Holzbänke Protest regt. Doch: „Wir stellen uns dem Konflikt“, sagen beide mutig - und blicken der ersten Sitzung einer zu Vermittlungszwecken ins Leben gerufenen „Bürgerplattform“ mit Zuversicht entgegen. Der Streit um die „Stadtmöbel“, so meinen beide, beweise nämlich vor allem eins: „Im Grunde muss Krems eine glückliche Stadt sein.“

Der Standard, Sa., 2000.01.08



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