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27. Juli 2008Michael Hensel
Achim Menges
ARCH+

Am Anfang einer neuen Architektur des Performativen

Nie zuvor standen Architekten im Zeitraum weniger Jahre so umfassende, neue technologische Möglichkeiten zur Verfügung, die alle Teilbereiche des Entwerfens, Planens und Bauens betreffen. Nie zuvor sahen sich Architekten einer Situation gegenüber, die – nicht nur aufgrund des Klimawandels – ihren Aufgabenbereich so grundsätzlich in Frage stellt.

Nie zuvor standen Architekten im Zeitraum weniger Jahre so umfassende, neue technologische Möglichkeiten zur Verfügung, die alle Teilbereiche des Entwerfens, Planens und Bauens betreffen. Nie zuvor sahen sich Architekten einer Situation gegenüber, die – nicht nur aufgrund des Klimawandels – ihren Aufgabenbereich so grundsätzlich in Frage stellt.

In der derzeitigen Architekturdiskussion und -produktion äußert sich dies durch zwei Phänomene, die sich im gegenseitigen Aufschaukeln gleichsam neutralisieren: Die Überforderung mit den Möglichkeiten neuer, digitaler Formfindungsmethoden und computergestützter Herstellungsverfahren auch in der Architektur kulminiert in einem gestalterischen Befreiungsschlag von materialspezifischen, konstruktiven und herstellungsbedingten Zwängen, der reflexartig die Auseinandersetzung mit einem neuen Formenkanon zur Priorität erhoben hat. Die grundlegenden Eigenschaften herkömmlicher Entwurfsmethoden und -ziele werden im wörtlichen Sinne nur oberflächlich in Frage stellt. Dies gilt auch für die hilflosen Versuche, der zeitgenössischen, objekt-fetischisierenden Architektur den Deckmantel des Ökologischen überzustülpen, der zwar alle technischen Möglichkeiten zur Effizienzsteigerung des Objekts ausreizt, aber die entscheidende Frage der Relation zwischen architektonischem Objekt, menschlichem Subjekt und gebauter Umwelt weitgehend außer Acht lässt. Während das technologische Potenzial die Grenzen des Machbaren stets aufs Neue sprengt, stagniert die intellektuelle Auseinandersetzung mit dem Zweck und Ziel dieser Entwicklungen. Hinter der doppelt gekrümmten Fassade zeitgenössischer Architektur hat sich wenig Grundsätzliches verändert.

Nie zuvor war eine kritische Betrachtung und grundlegende Revision unserer tradierten Vorstellungen und festgefahrenen Definitionen von Architektur und Bauen so notwendig wie heute. Nie zuvor waren die Chancen einer solchen Infragestellung aufgrund eben jenes technologischen Fortschritts so günstig wie heute.

Wenn wir die Potenziale des Rechners nicht im Abstreifen aller formalen und konstruktiven Constraints sehen, sondern das computerbasierte Arbeiten als die Möglichkeit begreifen, eine enge Schnittstelle zwischen dem virtuellen und dem realen Raum zu schaffen, wenn wir die Beschaffenheit der materiellen Welt nicht als zu überwindend betrachten, sondern in ihren Logiken und Zwängen neue Wege erschließen, dann bedarf es einer Entwurfsmethodik, welche die tradierte Hierarchie von Form und Konstruktion durch einen Prozess integraler Formgenerierung und Materialisierung ersetzt. Wenn wir den Rechner nicht nur als besseres Zeichenwerkzeug benutzen, sondern die Herstellungs- und Fügungslogiken direkt an der Schnittstelle von CAD/CAM-Technologien einbetten, können wir jene Konstruktionsmethoden hinter uns lassen, die sich auf das Auswählen und Verteilen von Norm- und Gleichteilen im Raum beschränken. Wenn wir die Anpassung an Umweltbedingungen nicht als nachgeordnetes Optimierungsverfahren begreifen, sondern durch kontinuierliche Rückkopplung und analytische Verfahren in einen generativen Entwurfsprozess einbetten, wird die Modulierung von Raumklima, Licht, Schall zum integralen Bestandteil der Umweltgestaltung. Performance ist keine Frage der Anwendung von Lehrbuchprinzipien, sondern der räumlichen Differenzierung.

Nie zuvor hatten wir eine so große Chance, Architektur jenseits des Irrglaubens an eine totale räumliche und klimatische Kontrolle in der performativen Wechselwirkung von Material, Struktur und Umwelt zu entfalten. Nie zuvor hatten wir so gute Voraussetzungen, Architektur jenseits des repräsentativen Selbstzwecks tektonischer Objekte als differenzierte und reichhaltige Lebensräume zu konzipieren.

Nie zuvor hatten wir das technologische Potenzial, den Menschen und seine Umwelt in den Mittelpunkt einer alternativen Vorstellung von Nachhaltigkeit zu stellen. Woran es fehlt, ist ein intellektuelles Verständnis dieser ungeahnten Möglichkeiten und entsprechende, alternative Entwurfsansätze. Dies ist Ziel und Zweck dieser Ausgabe.

Nie zuvor war die Erforschung und Entwicklung solcher Entwurfsansätze so relevant wie heute, denn nie zuvor wurde auf unserem Planeten mehr gebaut.

ARCH+, So., 2008.07.27



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ARCH+ 188 Form follows Performance

27. Juli 2008Achim Menges
Michael Hensel
ARCH+

Honigwabenstrukturen

Das Projekt von Andrew Kudless beruht auf der Hypothese, dass sich durch eine algorithmische Formgenerierung, die aus den Logiken und Einschränkungen der...

Das Projekt von Andrew Kudless beruht auf der Hypothese, dass sich durch eine algorithmische Formgenerierung, die aus den Logiken und Einschränkungen der...

Das Projekt von Andrew Kudless beruht auf der Hypothese, dass sich durch eine algorithmische Formgenerierung, die aus den Logiken und Einschränkungen der Materialisierung abgeleitet ist, die morphologische Vielfältigkeit und performative Kapazität eines industriell gefertigten Systems erheblich steigern lässt. Ein Beispiel für solche regelmäßigen, industriell hergestellten Systeme sind die variantenreich erhältlichen Honigwabenstrukturen, die vielfach Verwendung finden. Aufgrund der produktionsbedingten Einschränkungen und der einheitlichen Zellgröße sind jedoch nur planare, einfach gekrümmte oder gleichmäßig doppelt gekrümmte Oberflächen umsetzbar. Ziel dieses Projekts ist es, eine Herstellungsstrategie, ein daraus hergeleitetes Entwurfswerkzeug zusammen mit dem entsprechenden Materialsystem zu entwickeln, das im Gegensatz zu den bereits existierenden Honigwabenstrukturen verschiedene Zellformen, -größen, -tiefen und -ausrichtungen zulässt und durch verschiedene Dichte und Durchlässigkeitsgrade eine anpassungsfähige, performative Kapazität erzielt.
Als zweites will das Projekt demonstrieren, dass mit einer integralen Methodik der Form- und Materialwerdung die Differenzierung der lokalen Zellgeometrie und des Gesamtsystems mit einfachen Herstellungsverfahren und herkömmlichen Materialen möglich ist, und nicht von exotischen Fertigungsverfahren und Hightech-Materialen abhängt. Die zusätzliche Leistungsfähigkeit solch komplexerer Produktionsmittel könnte dann in weiteren Entwicklungsschritten einem ursprünglich einfachen Systems graduell eingebettet werden.

Entsprechend wurde als Ausgangspunkt des Projekts ein denkbar einfaches, sechs- eckiges Element aus zwei jeweils viermal gefalteten Pappstreifen gewählt. Die hexagonale Honigwabenzelle besteht dabei nicht aus einem sie beschreibenden Element, sondern ergibt sich aus zwei streifenartigen Bauteilen, die sich aus Plattenmaterial mit einem zweidimensionalen Schneideverfahren fertigen lassen. Um die maßgeblichen Charakteristika dieser Form der Herstellung und das Differenzierungspotenzial des daraus entstehenden Systems für einen rechnergestützten Generierungsprozess erfassen zu können, wurde zunächst eine Vielzahl von Experimenten durchgeführt. Diese sich reziprok beeinflussenden, analogen und digitalen Tests wurden in mehreren Schritten fortentwickelt: durch den laufenden Transfer der digital erzeugten, dreidimensionalen Systemgeometrie in zweidimensionale Schnittmuster, den Zuschnitt der Materialstreifen und der Konstruktion dreidimensionaler Modelle sowie dem Einbetten der dabei gewonnenen Erkenntnisse in das Rechnermodell.

Das Hauptaugenmerk der Untersuchungen lag auf der wechselseitigen Beziehung zwischen der Gesamtform und der Zellstruktur, auf den spezifischen Materialeigenschaften, wie z.B. dem maximalen Faltwinkel der Pappe, und darauf, die Einschränkungen eines zweidimensionalen Schneideverfahrens parametrisch zu erfassen. Daraufhin wurden diese wechselseitigen Beziehungen in einem algorithmischen Verfahren zusammengefasst, das eine Honigwabenstruktur in mehreren Schritten erzeugt. Hierbei kann die Formgenerierung durch material- oder herstellungsbedingte Kennwerte variiert und durch geometrische Parameter differenziert werden.

Dieser generative Prozess zur Definition und Herstellung einer Zellstruktur wurde an einem vollmaßstäblichen Prototyp getestet, der durch die Raumgegebenheiten, das erforderlichen Tragverhalten, das zu verwendende Material und das in der Fertigung eingesetzte Laserschneidgerät definiert ist. Die eigentliche Zellstruktur der acht Meter langen Konstruktion definiert dabei der Algorithmus als geknickte, sich überlappende Streifenelemente, deren Schnittmuster automatisch abgewickelt, gekennzeichnet und auf dem virtuellen Schneidefeld des Lasers angeordnet werden. Die Größe des zu verwendenden Laserschneidgerätes und die damit einhergehende Längeneinschränkung der Streifenelemente wird bereits in der Formgenerierung des Systems berücksichtigt. Dies führt dazu, dass die Gesamtstruktur aus mehreren Segmenten besteht, die vorgefertigt und vor Ort zusammengesetzt werden.

Der fertige Prototyp besteht aus recycelter Pappe, ist jedoch aufgrund der genauen geometrischen Definition und zweier Zellschichten mit gegenläufiger Zellausrichtung, welche die typische Scherung unterbinden, ausgesprochen tragfähig und kostengünstig. Darüber hinaus belegt der Prototyp, dass durch das aus einem integrierenden Formgenerierungs- und Materialisierungsansatz hervorgehende algorithmische Entwurfswerkzeug es tatsächlich ermöglicht, ein neuartiges Wabensystem zu generieren und zu produzieren. Mit diesem Wabensystem können sowohl die lokale Morphologie wie Größe, Tiefe und Ausrichtung der Zellen als auch die Gesamtform differenziert werden. Es entstehen je unterschiedliche Stabilitäts-, Dichte- und Durchlässigkeitsgrade des Systems, die mit unterschiedlichen räumlichen und performativen Anforderungen korrespondieren.

Der Prototyp demonstriert auch, dass die Fortentwicklung und Differenzierung bestehender Systeme nicht notwendigerweise einen hochtechnologischen Ansatz mit neuartigen Produktionsmethoden und Materialien erfordert. Sowohl das hier zur Verwendung gekommene Material, nämlich einfache Pappe, als auch das Herstellungsverfahren, das ja lediglich aus Schneiden und Falten besteht, sind relativ herkömmlich. Die Neuartigkeit ergibt sich nicht aus diesen singulären Aspekten, sondern aus der Entwurfsmethodik, die die Formwerdung und Materialisierung zusammenführt.

[Projekt von: Andrew Kudless
Projektbetreuung und Text: Michael Hensel, Achim Menges mit Michael Weinstock]

ARCH+, So., 2008.07.27



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Presseschau 12

27. Juli 2008Michael Hensel
Achim Menges
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Am Anfang einer neuen Architektur des Performativen

Nie zuvor standen Architekten im Zeitraum weniger Jahre so umfassende, neue technologische Möglichkeiten zur Verfügung, die alle Teilbereiche des Entwerfens, Planens und Bauens betreffen. Nie zuvor sahen sich Architekten einer Situation gegenüber, die – nicht nur aufgrund des Klimawandels – ihren Aufgabenbereich so grundsätzlich in Frage stellt.

Nie zuvor standen Architekten im Zeitraum weniger Jahre so umfassende, neue technologische Möglichkeiten zur Verfügung, die alle Teilbereiche des Entwerfens, Planens und Bauens betreffen. Nie zuvor sahen sich Architekten einer Situation gegenüber, die – nicht nur aufgrund des Klimawandels – ihren Aufgabenbereich so grundsätzlich in Frage stellt.

In der derzeitigen Architekturdiskussion und -produktion äußert sich dies durch zwei Phänomene, die sich im gegenseitigen Aufschaukeln gleichsam neutralisieren: Die Überforderung mit den Möglichkeiten neuer, digitaler Formfindungsmethoden und computergestützter Herstellungsverfahren auch in der Architektur kulminiert in einem gestalterischen Befreiungsschlag von materialspezifischen, konstruktiven und herstellungsbedingten Zwängen, der reflexartig die Auseinandersetzung mit einem neuen Formenkanon zur Priorität erhoben hat. Die grundlegenden Eigenschaften herkömmlicher Entwurfsmethoden und -ziele werden im wörtlichen Sinne nur oberflächlich in Frage stellt. Dies gilt auch für die hilflosen Versuche, der zeitgenössischen, objekt-fetischisierenden Architektur den Deckmantel des Ökologischen überzustülpen, der zwar alle technischen Möglichkeiten zur Effizienzsteigerung des Objekts ausreizt, aber die entscheidende Frage der Relation zwischen architektonischem Objekt, menschlichem Subjekt und gebauter Umwelt weitgehend außer Acht lässt. Während das technologische Potenzial die Grenzen des Machbaren stets aufs Neue sprengt, stagniert die intellektuelle Auseinandersetzung mit dem Zweck und Ziel dieser Entwicklungen. Hinter der doppelt gekrümmten Fassade zeitgenössischer Architektur hat sich wenig Grundsätzliches verändert.

Nie zuvor war eine kritische Betrachtung und grundlegende Revision unserer tradierten Vorstellungen und festgefahrenen Definitionen von Architektur und Bauen so notwendig wie heute. Nie zuvor waren die Chancen einer solchen Infragestellung aufgrund eben jenes technologischen Fortschritts so günstig wie heute.

Wenn wir die Potenziale des Rechners nicht im Abstreifen aller formalen und konstruktiven Constraints sehen, sondern das computerbasierte Arbeiten als die Möglichkeit begreifen, eine enge Schnittstelle zwischen dem virtuellen und dem realen Raum zu schaffen, wenn wir die Beschaffenheit der materiellen Welt nicht als zu überwindend betrachten, sondern in ihren Logiken und Zwängen neue Wege erschließen, dann bedarf es einer Entwurfsmethodik, welche die tradierte Hierarchie von Form und Konstruktion durch einen Prozess integraler Formgenerierung und Materialisierung ersetzt. Wenn wir den Rechner nicht nur als besseres Zeichenwerkzeug benutzen, sondern die Herstellungs- und Fügungslogiken direkt an der Schnittstelle von CAD/CAM-Technologien einbetten, können wir jene Konstruktionsmethoden hinter uns lassen, die sich auf das Auswählen und Verteilen von Norm- und Gleichteilen im Raum beschränken. Wenn wir die Anpassung an Umweltbedingungen nicht als nachgeordnetes Optimierungsverfahren begreifen, sondern durch kontinuierliche Rückkopplung und analytische Verfahren in einen generativen Entwurfsprozess einbetten, wird die Modulierung von Raumklima, Licht, Schall zum integralen Bestandteil der Umweltgestaltung. Performance ist keine Frage der Anwendung von Lehrbuchprinzipien, sondern der räumlichen Differenzierung.

Nie zuvor hatten wir eine so große Chance, Architektur jenseits des Irrglaubens an eine totale räumliche und klimatische Kontrolle in der performativen Wechselwirkung von Material, Struktur und Umwelt zu entfalten. Nie zuvor hatten wir so gute Voraussetzungen, Architektur jenseits des repräsentativen Selbstzwecks tektonischer Objekte als differenzierte und reichhaltige Lebensräume zu konzipieren.

Nie zuvor hatten wir das technologische Potenzial, den Menschen und seine Umwelt in den Mittelpunkt einer alternativen Vorstellung von Nachhaltigkeit zu stellen. Woran es fehlt, ist ein intellektuelles Verständnis dieser ungeahnten Möglichkeiten und entsprechende, alternative Entwurfsansätze. Dies ist Ziel und Zweck dieser Ausgabe.

Nie zuvor war die Erforschung und Entwicklung solcher Entwurfsansätze so relevant wie heute, denn nie zuvor wurde auf unserem Planeten mehr gebaut.

ARCH+, So., 2008.07.27



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ARCH+ 188 Form follows Performance

27. Juli 2008Achim Menges
Michael Hensel
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Honigwabenstrukturen

Das Projekt von Andrew Kudless beruht auf der Hypothese, dass sich durch eine algorithmische Formgenerierung, die aus den Logiken und Einschränkungen der...

Das Projekt von Andrew Kudless beruht auf der Hypothese, dass sich durch eine algorithmische Formgenerierung, die aus den Logiken und Einschränkungen der...

Das Projekt von Andrew Kudless beruht auf der Hypothese, dass sich durch eine algorithmische Formgenerierung, die aus den Logiken und Einschränkungen der Materialisierung abgeleitet ist, die morphologische Vielfältigkeit und performative Kapazität eines industriell gefertigten Systems erheblich steigern lässt. Ein Beispiel für solche regelmäßigen, industriell hergestellten Systeme sind die variantenreich erhältlichen Honigwabenstrukturen, die vielfach Verwendung finden. Aufgrund der produktionsbedingten Einschränkungen und der einheitlichen Zellgröße sind jedoch nur planare, einfach gekrümmte oder gleichmäßig doppelt gekrümmte Oberflächen umsetzbar. Ziel dieses Projekts ist es, eine Herstellungsstrategie, ein daraus hergeleitetes Entwurfswerkzeug zusammen mit dem entsprechenden Materialsystem zu entwickeln, das im Gegensatz zu den bereits existierenden Honigwabenstrukturen verschiedene Zellformen, -größen, -tiefen und -ausrichtungen zulässt und durch verschiedene Dichte und Durchlässigkeitsgrade eine anpassungsfähige, performative Kapazität erzielt.
Als zweites will das Projekt demonstrieren, dass mit einer integralen Methodik der Form- und Materialwerdung die Differenzierung der lokalen Zellgeometrie und des Gesamtsystems mit einfachen Herstellungsverfahren und herkömmlichen Materialen möglich ist, und nicht von exotischen Fertigungsverfahren und Hightech-Materialen abhängt. Die zusätzliche Leistungsfähigkeit solch komplexerer Produktionsmittel könnte dann in weiteren Entwicklungsschritten einem ursprünglich einfachen Systems graduell eingebettet werden.

Entsprechend wurde als Ausgangspunkt des Projekts ein denkbar einfaches, sechs- eckiges Element aus zwei jeweils viermal gefalteten Pappstreifen gewählt. Die hexagonale Honigwabenzelle besteht dabei nicht aus einem sie beschreibenden Element, sondern ergibt sich aus zwei streifenartigen Bauteilen, die sich aus Plattenmaterial mit einem zweidimensionalen Schneideverfahren fertigen lassen. Um die maßgeblichen Charakteristika dieser Form der Herstellung und das Differenzierungspotenzial des daraus entstehenden Systems für einen rechnergestützten Generierungsprozess erfassen zu können, wurde zunächst eine Vielzahl von Experimenten durchgeführt. Diese sich reziprok beeinflussenden, analogen und digitalen Tests wurden in mehreren Schritten fortentwickelt: durch den laufenden Transfer der digital erzeugten, dreidimensionalen Systemgeometrie in zweidimensionale Schnittmuster, den Zuschnitt der Materialstreifen und der Konstruktion dreidimensionaler Modelle sowie dem Einbetten der dabei gewonnenen Erkenntnisse in das Rechnermodell.

Das Hauptaugenmerk der Untersuchungen lag auf der wechselseitigen Beziehung zwischen der Gesamtform und der Zellstruktur, auf den spezifischen Materialeigenschaften, wie z.B. dem maximalen Faltwinkel der Pappe, und darauf, die Einschränkungen eines zweidimensionalen Schneideverfahrens parametrisch zu erfassen. Daraufhin wurden diese wechselseitigen Beziehungen in einem algorithmischen Verfahren zusammengefasst, das eine Honigwabenstruktur in mehreren Schritten erzeugt. Hierbei kann die Formgenerierung durch material- oder herstellungsbedingte Kennwerte variiert und durch geometrische Parameter differenziert werden.

Dieser generative Prozess zur Definition und Herstellung einer Zellstruktur wurde an einem vollmaßstäblichen Prototyp getestet, der durch die Raumgegebenheiten, das erforderlichen Tragverhalten, das zu verwendende Material und das in der Fertigung eingesetzte Laserschneidgerät definiert ist. Die eigentliche Zellstruktur der acht Meter langen Konstruktion definiert dabei der Algorithmus als geknickte, sich überlappende Streifenelemente, deren Schnittmuster automatisch abgewickelt, gekennzeichnet und auf dem virtuellen Schneidefeld des Lasers angeordnet werden. Die Größe des zu verwendenden Laserschneidgerätes und die damit einhergehende Längeneinschränkung der Streifenelemente wird bereits in der Formgenerierung des Systems berücksichtigt. Dies führt dazu, dass die Gesamtstruktur aus mehreren Segmenten besteht, die vorgefertigt und vor Ort zusammengesetzt werden.

Der fertige Prototyp besteht aus recycelter Pappe, ist jedoch aufgrund der genauen geometrischen Definition und zweier Zellschichten mit gegenläufiger Zellausrichtung, welche die typische Scherung unterbinden, ausgesprochen tragfähig und kostengünstig. Darüber hinaus belegt der Prototyp, dass durch das aus einem integrierenden Formgenerierungs- und Materialisierungsansatz hervorgehende algorithmische Entwurfswerkzeug es tatsächlich ermöglicht, ein neuartiges Wabensystem zu generieren und zu produzieren. Mit diesem Wabensystem können sowohl die lokale Morphologie wie Größe, Tiefe und Ausrichtung der Zellen als auch die Gesamtform differenziert werden. Es entstehen je unterschiedliche Stabilitäts-, Dichte- und Durchlässigkeitsgrade des Systems, die mit unterschiedlichen räumlichen und performativen Anforderungen korrespondieren.

Der Prototyp demonstriert auch, dass die Fortentwicklung und Differenzierung bestehender Systeme nicht notwendigerweise einen hochtechnologischen Ansatz mit neuartigen Produktionsmethoden und Materialien erfordert. Sowohl das hier zur Verwendung gekommene Material, nämlich einfache Pappe, als auch das Herstellungsverfahren, das ja lediglich aus Schneiden und Falten besteht, sind relativ herkömmlich. Die Neuartigkeit ergibt sich nicht aus diesen singulären Aspekten, sondern aus der Entwurfsmethodik, die die Formwerdung und Materialisierung zusammenführt.

[Projekt von: Andrew Kudless
Projektbetreuung und Text: Michael Hensel, Achim Menges mit Michael Weinstock]

ARCH+, So., 2008.07.27



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