Übersicht

Texte

08. April 2019Anne Katrin Feßler
Der Standard

Trutzburg gegen die Schatten der Moderne

Es ist ein Höhepunkt im Bauhaus-Jahr: Zum 100. Gründungsjahr der Kunstschule wurde in Weimar das Provisorium durch ein stattliches Museum ersetzt. Über die Strahlkraft von Beton und die Problematik des Standorts.

Es ist ein Höhepunkt im Bauhaus-Jahr: Zum 100. Gründungsjahr der Kunstschule wurde in Weimar das Provisorium durch ein stattliches Museum ersetzt. Über die Strahlkraft von Beton und die Problematik des Standorts.

Nicht mehr allein Bewahrer der Klassik, sondern auch Ort der Moderne. Auf Pathosformeln muss man bei Jubiläen nicht lange warten. Auch in Weimar nicht, wo punktgenau 100 Jahre nach der Gründung des Bauhauses das ihm gewidmete Museum seine Pforten öffnet. Ein Haus, mit dem sich nun also „die intellektuelle Physiognomie der Stadt“ ändern soll.

Sich vom Bahnhof dem Zentrum nähernd, fällt es jedoch zunächst nicht so recht auf, dabei hat Architektin Heike Hanada einen massiven Monolithen aus hellem Beton dort platziert. Von der Ferne bleibt der Blick an der Weimarhalle, einem Nachwendebau, hängen. Erst unmittelbar dort, wo sich das Areal zum städtischen Park öffnet, wird man des zurückgesetzten Museumsbaus gewahr.

Und trotz dieses Achsensprungs – oder gerade dessentwegen – ist der neue Stolz der Weimarer ganz seinem unmittelbaren Standort verpflichtet. Denn das Museum ergänzt ein Ensemble. Aber. Es fügt sich nicht ein. Es setzt vielmehr einen widerständigen Akzent. Widerborstigkeit ist bei dieser Nachbarschaft angebracht: die Architektur des von den Nationalsozialisten errichteten Gauforums. Heute ist in den Gebäuden die Landesverwaltung untergebracht.

Die Lesart des Hauses legt auch die neue Adresse nahe: Der Platz heißt nicht mehr Minol-Platz nach der einstigen DDR-Tankstelle, sondern ist nach Widerstandskämpfer Stéphane Hessel benannt. So kann und muss man also das neue Haus lesen: als Auftrag, das Mahnmal der Naziherrschaft als Teil der „Topografie der Moderne“ zu sehen. In dieser gilt es, den Weimarer Eckpfeilern Humanismus und Aufklärung auch die unschönen Kapitel Ausgrenzung und Völkermord beizustellen.

Ob sich die Marke Bauhaus als symbolische Trutzburg eignet, steht auf einem anderen Blatt. Klar, die Kunstschule, die zur Gestaltungsrevolution aufrief und deren Bestehen von 1919 bis 1933 mit den „Lebensdaten“ der Weimarer Republik ident ist, scheint dafür prädestiniert zu sein. Wegen den Rechten verließ man 1925 Weimar gen Dessau. Die Machtergreifung der Nazis bescherte ihr das endgültige Ende. Aber jenseits der emanzipatorischen Bauhaus-Klischees vom radikal Neuen, von Fortschritt und funktionaler Rationalität war das Bauhaus auch Ort des totalitaristischen Anspruchs, der Technokratie und – mit Blick auf Reformpädagoge Johannes Itten – rassistischer Ideen.

Mehr Bunker als Festung

Das architektonische Ergebnis dieses Unterfangens ist isoliert betrachtet ein imposanter, minimalistisch-eleganter Bau, dessen Fassade durch horizontale Fugen aufgebrochen wird. Gegenüber der Monstrosität der NS-Anlage allerdings macht er sich schüchtern aus. Der Betonkörper scheint sich – obendrein wenig durchfenstert – abzuschotten: mehr Bunker, weniger Festung. Architektur muss eben auch jenseits des Reißbretts, also im Kontext der Stadt, seine Wirkung beweisen. Dass diese eher mau ist, hat wohl mit der Dimensionierung des Projekts und der Planungsgeschichte zu tun. Eine solche ideologische Setzung muss von Anfang an mitgedacht werden. Hanadas Siegerentwurf stammt jedoch von 2008. Erst drei Jahre später legte man sich auf den heutigen Standort auf dem ehemaligen Gauforum fest. Ursprünglich hatte man mit dem Theaterplatz geliebäugelt, wo das Museum als Visavis zum Nationaltheater womöglich andere Strahlkraft besäße.

Auch das Äußere hat sich gegenüber dem Plan massiv verändert: Vorgesehen war eigentlich eine Glasfassade. Von der kam man erst sehr viel später ab. Kosten mögen dabei keine unwesentliche Rolle gespielt haben (letztlich hat der Bau 27 statt ursprünglich kalkulierte 22,6 Millionen Euro gekostet). Entscheidend war eher, dass eine Glasverkleidung die Fassade der NS-Architektur gespiegelt hätte. Dieser visuelle Eindruck wäre fatal gewesen. Auf der Suche nach der passenden Formensprache für diesen Ort scheint man leicht ins Dilemma zu geraten.

Die mangelnde Durchfensterung lässt sich leichter verteidigen. Viele Museumsbauten verzichten aus konservatorischen Gründen auf allzu viele Fenster und Tageslicht – siehe Mumok und Leopold-Museum in Wien. Allerdings besitzt der ähnlich klotzige Weimarer Bau im Inneren wenig von deren Großzügigkeit.

Im Bauhaus-Museum regiert pragmatische Funktionalität: Das Resultat aus den versetzt angelegten Treppenhäusern sind Etage für Etage (insgesamt fünf) variierende Grundrisse. Zusammen mit wechselnden Raumhöhen entsteht der Eindruck eines flexiblen Baukastens, eines typisches Bauhaus-Prinzips. Ein wenig fühlt man sich an die wandelbaren Spielmöbel der Bauhäuslerin Alma Siehoff-Buscher erinnert. Hanadas Betonskelett lässt solche Verwandlungen freilich nur gedanklich zu.

Räumliche Enge

Man spürt hier die Begrenztheit von 2000 Quadratmetern Ausstellungsfläche. Und man ahnt, dass man hier den gestellten Aufgaben kaum gerecht werden kann. Zum einen ist da der Kern des Museums: die 13.000 Stücke umfassende, von Gropius 1925 der Stadt vermachte Bauhaussammlung. 1000 Arbeiten daraus (Papierenes als Faksimile) hat man dennoch untergebracht. Es bleibt insgesamt bei Anrissen: das auf den neuen Alltag gerichtete und das experimentelle Arbeiten zum Beispiel, oder die großen Protagonisten Walter Gropius, Hannes Meyer und Mies van der Rohe.

Die Ambivalenzen, die das Bauhaus als Teil einer brüchigen Moderne besitzt, bleiben ausgespart. Kein Hinweis auf die zweifelhafte „Rassenheilkunde“ Ittens. Kein Hinweis auf Ertl, der später für Auschwitz Baracken und Krematorien entwarf. Kein Versuch, den ausgeboteten Frauen des Bauhauses hier mehr Sichtbarkeit zu geben. Und: kein Versuch, die Ignoranz des Bauhauses zu DDR-Zeiten zu thematisieren. Die tragische Figur des Architekturwissenschafters Bernd Grönwald hätte sich angeboten. Der Parteifunktionär war auch Idealist und als solcher um das Bauhaus-Erbe bemüht. Er lebte einige Jahre im Musterhaus Haus am Horn. Er hat sich nach der Wende umgebracht – im Keller des Hauses. All das sollte ein Bauhaus-Museum im Jahr 2019 nicht ausblenden.

Der Standard, Mo., 2019.04.08

11. November 2017Anne Katrin Feßler
Der Standard

Kulissenstädte für den Krieg

Blendwerke, Planungsruinen oder Fake-Architekturen, die mit immensem Aufwand für militärische Zwecke errichtet werden, gibt es überall auf der Welt: Fotograf Gregor Sailer hat die surrealen Orte – Potemkinsche Dörfer unserer Zeit – ausfindig gemacht.

Blendwerke, Planungsruinen oder Fake-Architekturen, die mit immensem Aufwand für militärische Zwecke errichtet werden, gibt es überall auf der Welt: Fotograf Gregor Sailer hat die surrealen Orte – Potemkinsche Dörfer unserer Zeit – ausfindig gemacht.

Wände und Kuben aus Beton, die an modernistische Stadtutopien oder Wohnmaschinen Le Corbusiers denken lassen: Allerdings haben die minimalistischen Strukturen in Sissonne bei Reims weder künstlerischen Anspruch, noch werden sie jemals zur bewohnten Architektur. Es sind vielmehr bewusst geschaffene Ruinenlandschaften in einem militärischen Sperrgebiet, simulierte Räume, um Soldaten für den Häuserkampf zu trainieren. Solch surreale Orte gibt es überall auf der Welt. Fake-Towns, Orte des Scheins: Potemkinsche Dörfer. Viele davon hat der österreichische Künstler und Fotograf Gregor Sailer für sein Projekt The Potemkin Village ausfindig gemacht.

Urbane Strukturen und unzulängliche Orte prägen Sailers Arbeit. Aber es ist weniger die Ästhetik der Architektur, die ihn interessiert, als das, wofür sie in ihrer Zeichenhaftigkeit steht. Architektonische Strukturen erzählen für ihn vom ökonomischen, politischen und soziologischen Zeitenwandel, von den absurden Auswüchsen unserer Tage, vom Aufwand, der betrieben wird, um die Illusion eines Potemkinschen Dorfes zu schaffen. Zur oft beklemmenden Atmosphäre in Sailers Bildern trägt auch bei, dass sie menschenleer sind: „Persönlich finde ich es immer interessanter, mit den Zeichen und Spuren der Menschen zu arbeiten als mit ihrem Abbild selbst“, sagt er.

Eine Zeitkapsel heben

Der Weg zum Projekt führte ihn aber nicht direkt über die 2013 publizierte Serie Closed Cities, die von der Außenwelt abgeschottete Städte (Orte der Rohstoffförderung, Flüchtlingslager oder Gated Communities) zeigte, sondern über einen für Sailer naheliegenden und zugleich völlig entzogenen Ort: die Messerschmidthalle im Stollensystem des alten Bergwerks seiner Heimatstadt Schwaz.

Eine geheime Fabrik, in der die Nazis Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter Flugzeugteile bauen ließen, ist ein geschichtlich dunkler Ort, den Sailer für The Box im direkten Wortsinn ans Licht holte. Sailer, der sonst stets mit natürlichen Lichtbedingungen arbeitet, ja, der auf das richtige, diffuse, keine Schatten werfende Licht wartet, musste hunderte Meter Kabel legen, um diese sonst in völliger Dunkelheit liegenden riesigen Kavernen für die Aufnahmen auszuleuchten. Beim symbolischen Heben dieser mit albtraumhaften Grauen behafteten Zeitkapsel entstand etwas Bühnenhaftes: „Plötzlich wird das Ganze irreal, man verliert den Maßstab“, so Sailer. Es war diese Inszenierung und Künstlichkeit, die sein Interesse für das Kulissenhafte anstieß.

Bei seinen Recherchen stolperte er immer wieder über den Mythos des Potemkinschen Dorfes. Also jene Geschichte vom Feldmarschall Potjomkin, der angeblich, so behaupteten es seine Feinde, Kulissendörfer errichten ließ, um der Zarin auf der eroberten Krim die unschöne Wirklichkeit zu verbergen. In Russland sollte Sailer herausfinden, dass die Legende, die seinem Projekt den begrifflichen Rahmen gab, lebt.

In Susdal, drei Autostunden von Moskau entfernt, erwartete man 2013 einen Besuch Putins. Der Verfall des Städtchens erschien nicht präsidial, also versteckte man die Schäbigkeit hinter Planen. Als Sailer knapp drei Jahre später hinreiste, war es fraglich, ob sich noch visuelle Spuren der Maskerade finden lassen. „Obwohl wir bewusst danach gesucht haben, sind wir ein paar Mal daran vorbeigefahren. Bis wir irgendwann unsere Wahrnehmung sensibilisiert hatten.“

Billiger Fake, der funktioniert

Für Sailer, der oft in Sperrgebieten unterwegs und deswegen eher mit dem Beschaffen von Genehmigungen beschäftigt ist, war dieses Suchen neu. In der Millionenstadt Ufa im Ural war es noch komplizierter, mit Ausdrucken aus dem Netz fragte man sich durch. Für den Gipfel, zu dem Putin im Sommer 2015 befreundete Staatschefs geladen hatte, sollte die Stadt glänzen. „Eine billige Methode, deren Fake teils wirklich funktioniert, aber nicht mal ein halbes Jahr später ist es schon wieder abgefuckt, die Plane so heruntergerissen, dass der Blick auf das Dahinter frei wird“, erzählt Sailer.

Abgehängte Fassaden allein waren Sailer jedoch zu wenig; seine Interpretation des Potemkinschen Dorfs fiel viel weiter aus und führte über die Planungsruinen in China, originalgetreue Kopien europäischer Städte und Teststrecken für selbstfahrende Autos in Schweden bis zu den mit irrsinnigem Aufwand errichteten militärischen Übungsstädten in Sperrgebieten in Frankreich, Großbritannien und Deutschland; in Schnöggersburg bei Magdeburg entsteht derzeit die größte europäische Anlage für mehrere Hundert Millionen Euro mit Flughafenszenerie und U-Bahn-Attrappe. Militärs gehen davon aus, dass die nächsten Kriege in unseren Städten stattfinden. In den USA proben Soldaten in Junction City den Krieg für die Krisenregionen der Welt. Im Kontext der Mojave-Wüste wirken die detailgetreu nachgebauten Moscheen und Straßenzüge tatsächlich wie ein Dorf in Afghanistan. Sailer: „Wenn man sich durch diese riesigen urbanen Strukturen bewegt – manchmal fliegt ein Militärhubschrauber drüber oder fährt eine Panzerkolonne vorbei –, hat das eine sehr unheimliche Wirkung.“

Der Standard, Sa., 2017.11.11

28. August 2012Anne Katrin Feßler
Der Standard

Protest auf großer Fahrt

Sie dürfe ins Auge stechen, schrieb Laurids Ortner einmal über provisorische Architektur. „Alles, was sich zur überfallsartigen Irritation des Betrachters eignet, ist hier wesentlich. In der Wahrnehmung verbrennt solche Überformung mit faszinierender Erhellung.“

Sie dürfe ins Auge stechen, schrieb Laurids Ortner einmal über provisorische Architektur. „Alles, was sich zur überfallsartigen Irritation des Betrachters eignet, ist hier wesentlich. In der Wahrnehmung verbrennt solche Überformung mit faszinierender Erhellung.“

Um Erhellung städtischer Geister und Irritation starrer Gemüter ging es auch den Studenten der renommierten Berliner Ernst-Busch-Schauspielschule, als sie im April diesen Jahres nach dem Motto „Wir wollen das öffentliche Leben hacken“ die ganze Stadt zu ihrer Protestbühne machten: ein fahrendes Theater, das las und spielte oder die performative Strategie der lautstarken Störung medienwirksam in Günther Jauchs TV-Talk nutzte.

Grund der üblen studentischen Verstimmung: Auch der dritte Anlauf, Ersatz für das alte, asbestverseuchte, verschimmelte und überdies viel zu kleine Hauptgebäude der Hochschule zu schaffen, drohte an zu hohen Kosten zu scheitern. Inzwischen hat sich der Senat zwar für den Siegerentwurf vom Architekturbüro Ortner & Ortner (Berlin, Köln, Rostow, Wien) ausgesprochen, nur muss der Bau noch ins 33 Millionen Euro Budget gezwängt werden.

Das Verbindungsstück zwischen diesem Entwurf der Architekten und dem damit verbundenen studentischen Aufruhr zeigt sich aktuell im Berliner O & O Depot (einem nicht zuletzt der künstlerischen Identität der ehemaligen Haus-Rucker-Co Laurids und Manfred Ortner gewidmeten Ausstellungsraum) und in ihrer Installation On European Ground für die Architektur-Biennale in Venedig: Das im internationalen Pavillon geparkte Objekt mit der reizvollen, durch Textil und Farbe erzielten Struktur ist eine Art temporäres Protestmöbel, eine Wanderbühne mit Namen Thespis-Karren. Denn vom griechischen Tragödiendichter, Schauspieler und Theaterleiter aus dem 6. Jahrhundert ist überliefert, er sei mit einem Wagen herumgezogen.

Das praktische und noch dazu schicke Gefährt wollte man den Studenten in Berlin zur Verfügung stellen; und die zusammengeklappt kaum einen Meter tiefe Bühne hätte jeden Berliner Trottoir aufgeputzt. Doch zum Glück war das bald nicht mehr nötig.

Seiner Funktion gerecht und doch noch bespielt wird der Thespis-Karren nun während der Eröffnungstage in Venedig. Perfekt ins moralische Motto „Common Ground“ von Kurator David Chipperfield passend, erinnert er so an den Protest als politisch wirksame Maßnahme einer Demokratie.

Dieser öffentliche Charakter spielt auch im Entwurf für die Ernst-Busch-Schule eine Rolle: Ablesbar ist er in der offenen Struktur der Probebühnen. Untergebracht in einem Turm, den die beiden Österreicher mit einfachen Holzplanken verkleidet zu „einer Art Wiener Pawlatsche“ machen.

Und während der reale Thespis-Karren in Venedig weilt, mahnt in Berlin eine Zeichnung desselben und das Modell der Hochschule: Auch Schauspielschüler sind ewig gleiches Theater einmal leid!

Der Standard, Di., 2012.08.28



verknüpfte Beiträge
Architektur-Biennale Venedig

20. März 2012Anne Katrin Feßler
Der Standard

Museum der Bankbürger

Das nördliche Mainufer Frankfurts prägen die Hochhäuser der Banken, das südliche Museumsufer die Kultur. Architektonisch wirkt das Frankfurter Städel im Untergrund: mit lichtem Gegenpol unter grüner Wiese.

Das nördliche Mainufer Frankfurts prägen die Hochhäuser der Banken, das südliche Museumsufer die Kultur. Architektonisch wirkt das Frankfurter Städel im Untergrund: mit lichtem Gegenpol unter grüner Wiese.

„Unter dem Rasen der Strand“ titelte Die Welt in Anspielung an die Situationisten, die die Freiheiten des urbanen Menschen metaphorisch unter den Pflastersteinen wähnten. Ein hübsches Bild für die jüngste Erweiterung des Städels, das sich, gefüllt mit Gegenwartskunst, tatsächlich unterirdisch ausbreitet. Die sanft gewölbte Kuppel mit 195 Oberlichten der Architekten schneider + schumacher, die sich unter frisch ausgerollten Rasenstreifen verbirgt, erinnerte viele an ein gelandetes Ufo. Allerdings passt der adaptierte Slogan der antibürgerlichen, linken Situationisten aus dem Paris der 1960er-Jahre für das Städelmuseum, Deutschlands älteste Bürgerstiftung, so gar nicht. 500 Meter entfernt, im verkehrsreichen Bahnhofsviertel - wo Rotlichtmilieu und multikulturelle Szene zusammentreffen - liest man auf drei Pflanzkübeln wirklich: „Unter den Pflastersteinen wächst der Garten“. Hier stößt ein anderes Frankfurt auf seine bürgerlich-konservative, die Identität der Stadt maßgeblich prägende Schwester: das Bankenviertel, in dessen Herz die Europäische Zentralbank steht. Und auch dort prallen zwei Welten aufeinander: die bis zu 259 Meter hoch aufragenden Bürotürme der Banken und die kleinen Iglu-Zelte der Occupy-Bewegung. Die kleinen runden Pilze der Demonstranten und die nachts leuchtenden Bullaugen am grünen Hügel der Kunst: eine visuelle Analogie, die man nicht mehr aus dem Kopf bekommt. Zwar feiert man mit der nun vollendeten Städel-Erweiterung auch den Erfolg der gigantischen Bürgerkampagne Frankfurt baut das neue Städel. Mit ihr glückte Städel-Direktor Hans Hollein das unglaubliche Kunststück, 26 Millionen Euro, also die Hälfte des erforderlichen Gesamtbudgets, aufzutreiben. Trotz kleinster Spenden von 1,50 Euro, die im Städel per SMS eingingen, wären die zusätzlichen 3000 Quadratmeter Ausstellungsfläche und die Sammlungszuwächse von 1200 Werken ohne Initiative der Stiftungen, Unternehmen, Großmäzene - und zu guten Teilen der Banken - nicht realisierbar gewesen. Sie setzen das fort, was der Bankier und Mäzen Johann Friedrich Städel 1916 mit seiner Stiftung begann. Jedoch ist die Frankfurter Bürgergesellschaft eben noch mehrheitlich eine des klassischen Bürgertums im Gepräge des 19. Jahrhunderts; sie meint noch den elitären Bürger von Besitz und Bildung und eben nicht allein den modernen Citoyen bzw. das offizielle Mitglied einer Kommune. Was den Unterschied ausmacht, daran erinnern auch Gemälde von Johann Peter Hasenclever aus dem Vormärz, etwa Arbeiter vor dem Stadtrath (1848/49), das derzeit in der Ausstellung Demonstrationen. Vom Werden normativer Ordnungen im Frankfurter Kunstverein präsentiert wird. Und so sehr sich die Stadt mit der Stärkung kultureller Marken wie dem Museumsufer bemüht, von sich nicht nur als Finanzmetropole, sondern auch als internationale Kulturstadt reden zu machen - ohne die Spender aus der Welt der Banken vom nördlichen Mainufer, ginge es nicht. Überdies: Zur lebendigen Kulturstadt fehlen Frankfurt, dessen Zentrum an Wochenenden und abends wie ausgestorben ist, jedoch auch eine erkleckliche Zahl alternativer, junger Kunstschauplätze.

Dicke und dünne Börsen

Trotzdem ist das Engagement der Mäzene über die Maßen zu loben; es ist erfreulich, wenn es auch um den Erhalt von Kultur geht und nicht nur um jenen der Geldinstitute. Dicke und dünne Börsen haben letztendlich zusammen die neue Halle für Gegenwartskunst ermöglicht. Deutsche und DZ Bank allein sorgten für erhebliche Sammlungszuwächse.

In der lichten Halle öffnet sich von einer Piazza ein variables, aber bisweilen labyrinthisches Raumsystem (Kuehn Malvezzi), das dicht bespielt ist: Verständlich, will man doch zu Beginn viele der bislang im Depot verborgenen Schätze zeigen, die man nun in chronologisch aufgebrochenen Themenkapiteln präsentiert.

Architektonisch erhebend ist das Eintreten über die helle Stiege, die wie in den Stein geschnitten scheint. Über sie taucht man ein in eine strahlend helle Höhle der Kunst. Ernüchterung erfolgt am Treppenfuß: auf gesamter Breite in den Terrazzoboden eingelassen findet sich der Name jener Stiftung, die mit sieben Millionen den Bau anschob: „Hertie-Gartenhallen“. Ein Branding der Halle, so banal und aufdringlich wie die Orientierungshilfen einst im Kaufhaus Hertie selbst. Willkommen im Tiefgeschoß.

Der Standard, Di., 2012.03.20



verknüpfte Bauwerke
Städel Erweiterungsbau

17. September 2011Anne Katrin Feßler
Der Standard

Manöver des Miteinanders

Ein dualistisches Ausstellungsprinzip mit Ruedi Baur und Susanne Fritscher: Eine „Überschattung“ belagert derzeit das Innsbrucker aut

Ein dualistisches Ausstellungsprinzip mit Ruedi Baur und Susanne Fritscher: Eine „Überschattung“ belagert derzeit das Innsbrucker aut

Innsbruck - Zwei Texte liegen im Raum. Der eine nimmt in Form von Buchstaben Gestalt an, der andere als gesprochenes Wort. Sätze, die sich in Tempo und Lautstärke steigern, um plötzlich abzureißen. Leise, teils flüsternd setzt die Sprache wieder ein, um nach 15 Minuten vollständig zu verebben. Obwohl der Text auf die Architek-tur des Adam-Bräu Bezug nimmt, in dem das aut (Architektur und Tirol) untergebracht ist, ist Verständnis keine Intention. Vielmehr ist Überlagerung und Verschieben ein Motiv der gemeinsamen Ausstellung von Designer und Grafiker Ruedi Baur und Künstlerin Susanne Fritscher.

Überschattung titelt die Schau mit dem dualistischen 15-Minuten-Konzept: Jeweils eine Viertelstunde taucht ein Künstler aus dem Schatten des anderen, wird der jeweilige Eingriff präsenter als der andere. So reagiert Fritschers Vokalwerk etwa auf die Dominanz von Ruedi Baurs Raumeingriff: Neben einem typografischen Sonnenschutz hat er den Boden einer Ebene komplett mit einander überlagernden Buchstaben ausgelegt. Ihre Entzifferung bedarf Vorsicht und Geduld.

Je klarer ein typografisches Konzept für den öffentlichen Raum ist, umso eher wird es übersehen, sagt Baur, der zu den prägendsten Gestaltern von Leitsystemen zählt und diese auch beim neuen Terminal am Flughafen Schwechat verantwortet, wo auch Fritscher gestalterisch wirkt.

In Innsbruck macht Baur es uns schwer: In dem von Fritscher mit einer glänzenden Oberfläche überzogenen Raum, kann man seine Wortprojektionen, nur Buchstabe für Buchstabe und sich um die eigene Achse drehend entschlüsseln: So etwa „Kolossale Bewegungs-Manöver“ . Statt sich gegenseitig zu übertönen und die Schau zu stehlen, entsteht das Bild einer Symbiose.

Der Standard, Sa., 2011.09.17

05. Februar 2011Anne Katrin Feßler
Der Standard

Mit Gummistiefeln in die Gartenhalle

Hineingeschlüpft in die gelben Gummistiefel und mitgebaut am Neuen Städel: Ein Schlechtwetter-Friesentreter als gemeinschaftsstiftendes Symbol für ein...

Hineingeschlüpft in die gelben Gummistiefel und mitgebaut am Neuen Städel: Ein Schlechtwetter-Friesentreter als gemeinschaftsstiftendes Symbol für ein...

Hineingeschlüpft in die gelben Gummistiefel und mitgebaut am Neuen Städel: Ein Schlechtwetter-Friesentreter als gemeinschaftsstiftendes Symbol für ein Bauvorhaben - die Städel-Erweiterung -, das nicht allein die öffentliche Hand finanzieren kann?

Die originelle und tatsächlich funktionierende Idee stiftete die Frankfurter Agentur Ogilvy. Und zwar gratis. Denn die Kampagne ist ihr Beitrag zu einem bürgerschaftlichen Engagement für den Städel. Und der ist seit seiner Stiftung 1816 durch den Bankier Johann Friedrich Städel die erste bürgerliche Museumsstiftung Deutschlands und braucht einen breiten privaten Einsatz für die Sache der Kunst. Dieser darf durchaus symbolischen Wert haben.

Nicht jeder kann so spontan wie Ex-Deutsche-Bank-Boss Hilmar Kopper bei einem Benefizkonzert im Dom 250.000 Euro aus dem privaten Rententopf zaubern. Bereits mit zehn Euro für einen Gummistiefelanstecker ist man dabei.

Insgesamt kostet der aus einem geladenen Wettbewerb hervorgegangene unterirdische Bau des Architektenduos Schneider Schuhmacher 30 Millionen Euro, zehn weitere verschlingt die Sanierung des Altbaus: 18 Millionen davon tragen Kommune und Land, große Batzen die Hertie-Stiftung (7 Mio.) und der Bankier Metzler (3 Mio.). Aber auch Kleinvieh macht Mist: Eine Schulaktion (Schüler verkauften Selbstgemaltes) brachte 20.000 Euro ein. Dennoch fehlten im Jänner noch etwas mehr als vier Millionen.

Für Städel-Direktor Max Hollein kein Grund zum Haareraufen: „Wir haben immer wieder Spender verlautbaren dürfen“, ist er zuversichtlich. Beim Baustart 2008 waren sogar erst 50 Prozent finanziert. „Es sind nicht nur die alteingesessenen Patrizierfamilien, die sich engagieren“, sagt Hollein, den die kollektive Energie freut. Seit Beginn der Erweiterung mündete diese auch in Schenkungen für die Sammlung; zuletzt jubilierte man über drei Hauptwerke von Georg Baselitz. Immens sind die Dauerleihgaben von Deutsche Bank (600 Arbeiten) und DZ Bank (in eine gemeinsame Gesellschaft gingen 250 Werke ein).

Einstweilen geht der Bau am Museumsufer gut voran; derzeit wird der Durchbruch zum Altbau geschaffen. Auch die innovativen Oberlichten aus kalt gebogenem Sicherheitsglas wurden bereits gesetzt. Sie geben der leicht überkuppelten, 3000 m² großen Halle, die die Fläche zur Sammlungspräsentation verdoppelt, Leichtigkeit. Rein optisch scheint die Decke leicht wie ein Luftkissen. Im November wird wiedereröffnet.

Der Standard, Sa., 2011.02.05



verknüpfte Bauwerke
Städel Erweiterungsbau

06. Juli 2010Anne Katrin Feßler
Der Standard

Raumpoet entwarf Raummaschinen

Die Form nach Außen entspringt den Bedürfnissen im Innern. Vorn und zu beiden Seiten das Licht einfallend, mit den nötigen Räumen für die Requisiten, Garderoben und Heizung, ist das ganze Objekt eine einzige Maschine, die allen Anforderungen des Künstlers entspricht" , beschrieb Klaus Maria Olbrich 1900 ein Atelier für die Künstlerkolonie auf der Darmstädter Mathildenhöhe.

Die Form nach Außen entspringt den Bedürfnissen im Innern. Vorn und zu beiden Seiten das Licht einfallend, mit den nötigen Räumen für die Requisiten, Garderoben und Heizung, ist das ganze Objekt eine einzige Maschine, die allen Anforderungen des Künstlers entspricht" , beschrieb Klaus Maria Olbrich 1900 ein Atelier für die Künstlerkolonie auf der Darmstädter Mathildenhöhe.

Zwar wird dieser konkrete Entwurf nie realisiert, dafür verdeutlicht Olbrichs Ausspruch, der 1906 ins Credo „Das Haus wird zur Maschine!“ münden sollte, dass Funktionalität und Ornament einander nicht widersprechen. Das architektonische Maschinendenken ist also nicht allein Verdienst des zwanzig Jahre jüngeren Le Corbusiers, der den Begriff der „Wohnmaschine“ 1921 prägte.

Zurechtgerückt, das soll der Blick auf Joseph Maria Olbrich (1867-1908) in der Tat werden: Die Ausstellung, eine Kooperation des Leopold-Museums mit den Museen Mathildenhöhe (Kuratorin Regina Stephan), breitet das vielfältige Gesamtwerk des Universalkünstlers aus: Olbrich hat quasi alles - vom güldenen Tafeltuch bis zur Opel-Limousine - entworfen.

Insbesondere in Wien tut die Retrospektive wohl, denn allzu ausschließlich wird der Otto Wagner-Schüler hier mit seinem frühen und kühnen Geniestreich - dem Gebäude der Wiener Secession (1898) - assoziiert. Dem zum Trotz präsentiert man gleich zum Auftakt der mit rund 400 Exponaten informativen und sortierten Schau (bis 27. 9.) ein atmosphärisch mit Mahler unterlegtes Video, das mit dem Betrachter einen schwerelosen Flug durch die Secession unternimmt. Dem virtuellen Ausflug folgt hoffentlich ein realer im nur 800 Meter entfernten Original.

Chaos von Ideen

Mit dem Krauthappl begann Olbrichs steile Karriere, die allerdings nicht in Wien ihren Höhepunkt finden sollte, sondern in Darmstadt. Dorthin hatte ihn der schöngeistige Großherzog Ernst Ludwig von Hessen 1899 geholt. Ein „großer Unbekannter“ , wie die Ausstellung leise andeutet, ist Olbrich dennoch nicht.

Ernst Ludwig von Hessen machte ihn zum Leiter seiner Idee einer Kunst und Handwerk vereinenden Künstlerkolonie - die englische Arts-and-Crafts-Bewegung stand Pate. Ein Unterfangen, von dem er sich auch eine wirtschaftliche Belebung versprach: „Mein Hessenland blühe und in ihm die Kunst.“ Die Leichtigkeit der Entwürfe des „Raumpoeten“ (Ludwig Hevesi) brachten den Erzherzog ins Schwärmen: „Ich fühlte sofort, da ist etwas Frisches und ganz zu mir Passendes, etwas Sonniges ...“

Olbrichs recht experimentelle Vorstellungen für das Ensemble auf der Mathildenhöhe zeigen jedoch auch die Spuren eines anderen Lehrers: Camillo Sittes Prinzip einer organischen, nicht hierarchischen Stadtplanung. Mittelpunkt der Anlage und in Wien als Modell zu sehen ist das Ernst-Ludwig-Haus: Das im Ornament auf das zentrale Omegaportal konzentrierte Gebäude wusste - damals höchst ungewöhnlich - Atelier- und Ausstellungsgebäude elegant zu vereinen. Nach Wien sollte Olbrich, der 1908 erst 40-jährig an Leukämie starb, nie zurückkehren. 1904 hatte ihn Otto Wagner, dessen Chefzeichner Olbrich über Jahre war, noch erfolglos für eine Professur an der Akademie nominiert. Nach Olbrichs Tod schrieb Wagner der Witwe des „kaum zu fassenden Genies“: „Die Menge ist leider so blind, dass ihr nie klar werden wird, was sie von ihm noch hätte erwarten können.“

Der Standard, Di., 2010.07.06

30. Dezember 2008Anne Katrin Feßler
Der Standard

Laboratorien mit Donaublick

Beginn einer neuen Ära: Die Life-Sciences – Neurowissenschaften und Molekularbiologie – lösen Themen wie digitale Netze und Communitys im AEC ab

Beginn einer neuen Ära: Die Life-Sciences – Neurowissenschaften und Molekularbiologie – lösen Themen wie digitale Netze und Communitys im AEC ab

„Das neue Gebäude markiert in gewisser Weise auch den Eintritt in eine neue Epoche“, freut sich Gerfried Stocker, seit 1996 künstlerischer Leiter der Ars Electronica in Linz. Das mit 2. Jänner in Betrieb gehende umgebaute Ars Electronica Center, kurz AEC, sei Anlass und auch Chance „sich neu zu erfinden“ . Für eine inzwischen doch schon 30 Jahre alte Einrichtung sei das relativ wichtig, fügt Stocker schmunzelnd hinzu.

Die Turbulenzen der letzten Wochen um die kolportierten Schulden der Ars Electronica, die angebliche Pleite und den Abgang des Geschäftsführers, der inzwischen interimistisch neu besetzt wurde, hat Stocker die Vorfreude auf das neue Haus allerdings nicht vergällt. „Das Gute ist, wir sind so mit dem Aufbau unserer Ausstellungen beschäftigt, dass man gar nicht so viel zum Zeitungslesen kommt.“

Statt wie bisher 2000 stehen nun zwar insgesamt 6500 Quadratmeter zur Verfügung, am Grundkonzept des 1996 als Ergänzung zum Festival errichteten AEC ändert das jedoch nichts. „Kunst, Technologie und Gesellschaft“ lautet von jeher der Subtitel der Ars Electronica, woraus sich Aufgabe und Ziel, und zwar die kulturellen gesellschaftlichen Auswirkungen neuer Technologien und Wissenschaften zu reflektieren, ableitet. Seit der Gründung des AEC 1996 ging es stets darum, „im Gegensatz zum kunstorientierten und durchaus auch avantgardistischen experimentellen Festival, eine edukative didaktische Aufgabe zu übernehmen“ und die Diskussionen, die beim Festival im Kleinen stattfinden, auf eine breitere Basis zu stellen - „ein Auftrag, der nach wie vor volle Gültigkeit hat.“

Sich neu erfinden

Neu erfunden hat sich das AEC nicht bei Motiven und Motivationen, sondern bei den Themen. Wesentlich ist für Stocker dabei das „konsequente Weitergehen über den Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologie hinaus, in Bereiche wie Neurosciences und Molekularbiologie. Das sind die Themen im Bereich Wissenschaft und Technologie, bei denen die stärksten gesellschaftlichen und kulturellen Auswirkungen zu erwarten sind.“

Die Periode, in der primär Computer, Netze und digitale Communitys die Diskussionen dominierten, ist vorbei. Jetzt gilt es, den Bereich der modernen Life-Sciences ernst zu nehmen. Gesagt, getan: Humphrey, der beliebte Flugsimulator auf dem Cyberdeck, wurde ebenso eingemottet wie alle anderen Projektinstallationen. „So überraschend neu sind diese Themen für die Ars Electronica ja auch nicht“ , räumt Stocker ein. 1993 hieß es Genetische Kunst - Künstliches Leben, 1999 titelte man Life Science, 2000 thematisierte man mit Next Sex die Reproduktionsmedizin. „Bestimmte Entwicklungen zeichnen sich in den künstlerischen Experimentallabors von Festival und Prix Ars Electronica ab, und nach deren Verdauung schlägt sich das auch auf das nieder, was im AEC gemacht wird.“

Ganze 4000 Quadratmeter Platz widmet das neue AEC den Ausstellungen zu den Life-Sciences, den Wissenschaften vom Leben, die unter dem Titel „Neue Bilder vom Menschen“ gebündelt werden. Stocker: „Wir können unseren Körper, unser Gehirn, unser Inneres von der DNA bis zu unseren Gedanken sichtbar machen. Wir können neue Bilder vom Menschen herstellen und zeigen, sie über die neuen Medien millionenfach verbreiten.“ Mittlerweile sind Bilder, die bis vor wenigen Jahren noch ausschließlich den Wissenschaftern vorbehalten waren, populär geworden. Man sieht sie im Fernsehen, im Internet, in Magazinen.

Wissenschaft und Religion

In der Kombination aus der Wissenschaftlichkeit der Bilder vom Menschen und ihrer Popularität sieht Stocker den verändernden Effekt auf unser Weltbild: „Die Wissenschaft ist zum Leitmotiv unserer Zeit geworden. Mit Recht diskutiert man, dass die Wissenschaft in vielerlei Hinsicht die Religion abgelöst hat.“

Der Kern von Neue Bilder vom Menschen befindet sich in der Main Gallery, die im Rumpfteil der schiffsähnlich anmutenden AEC-Architektur untergebracht ist. Vier Laboratorien - BrainLab, BioLab, RoboLab und FabLab - laden zur aktiven und kreativen Auseinandersetzung ein. Beobachtend und interaktiv führt man dort in Denk- und Bildwelten der modernen Life-Sciences ein und lässt die Besucher eigene Erfahrungen machen - zum Beispiel jene des Klonens. Stocker: „Pflanzen zu klonen ist selbstverständlich und im Vergleich zum Klonen von Säugetieren ethisch harmlos und auch technisch relativ einfach. Trotzdem bringt es die Leute ganz nahe an die entscheidenenden ethischen Fragen, an die Umsetzung von Wertvorstellungen.“

Auch wenn im AEC nun etwa visualisiert wird, wie Wahrnehmung, Emotionen und Intelligenz funktionieren, ist das AEC kein Wissenschaftsmuseum geworden. „Wir erklären keine Wissenschaft“ , hält Stocker fest. „Wir haben auch früher nie erklärt, wie eine Harddisk oder wie eine Maus funktioniert, sondern es ging immer wieder darum: Wie verändert eine Entwicklung unser Leben?“

Die Schwierigkeit sei, diese Dualität von Kunst und Wissenschaft, das Dazwischen und ihre Verschmelzung zu beschreiben. Auf mehr Fläche werde das nun besser gelingen, ist Stocker überzeugt, dem die Erweiterung auch die Möglichkeit gibt, das Festival „eine Spur größer“ umsetzen zu können. Mit drei kleinen Konferenzsälen gebe es nun auch im Haus technisch adäquate Räume für die vielen kleineren themenspezifischen Meetings jenseits des großen Symposions, das weiterhin im Brucknerhaus stattfinden wird.

Besondere Freude bereiten Stocker die 1000 Quadratmeter für das Futurelab. Im bisher stets ausgelagerten Thinktank der Ars Electronica inspirieren sich künstlerische und technologische Innovation wechselseitig. Mit dem Umzug geht auch eine Öffnung der Labors einher: Über den ProjectSpace präsentiert sich das Futurelab inhaltlich, Fenster zur Donau sorgen für noch mehr Transparenz: „Die Räume gewähren direkten Blick auf die Donau. Dieser Sprung in der Arbeitsqualität hat sicher großen positiven Einfluss auf das kreative Arbeiten in diesen Labors.“

Der Standard, Di., 2008.12.30



verknüpfte Bauwerke
Ars Electronica Center

Alle 9 Texte ansehen

Presseschau 12

08. April 2019Anne Katrin Feßler
Der Standard

Trutzburg gegen die Schatten der Moderne

Es ist ein Höhepunkt im Bauhaus-Jahr: Zum 100. Gründungsjahr der Kunstschule wurde in Weimar das Provisorium durch ein stattliches Museum ersetzt. Über die Strahlkraft von Beton und die Problematik des Standorts.

Es ist ein Höhepunkt im Bauhaus-Jahr: Zum 100. Gründungsjahr der Kunstschule wurde in Weimar das Provisorium durch ein stattliches Museum ersetzt. Über die Strahlkraft von Beton und die Problematik des Standorts.

Nicht mehr allein Bewahrer der Klassik, sondern auch Ort der Moderne. Auf Pathosformeln muss man bei Jubiläen nicht lange warten. Auch in Weimar nicht, wo punktgenau 100 Jahre nach der Gründung des Bauhauses das ihm gewidmete Museum seine Pforten öffnet. Ein Haus, mit dem sich nun also „die intellektuelle Physiognomie der Stadt“ ändern soll.

Sich vom Bahnhof dem Zentrum nähernd, fällt es jedoch zunächst nicht so recht auf, dabei hat Architektin Heike Hanada einen massiven Monolithen aus hellem Beton dort platziert. Von der Ferne bleibt der Blick an der Weimarhalle, einem Nachwendebau, hängen. Erst unmittelbar dort, wo sich das Areal zum städtischen Park öffnet, wird man des zurückgesetzten Museumsbaus gewahr.

Und trotz dieses Achsensprungs – oder gerade dessentwegen – ist der neue Stolz der Weimarer ganz seinem unmittelbaren Standort verpflichtet. Denn das Museum ergänzt ein Ensemble. Aber. Es fügt sich nicht ein. Es setzt vielmehr einen widerständigen Akzent. Widerborstigkeit ist bei dieser Nachbarschaft angebracht: die Architektur des von den Nationalsozialisten errichteten Gauforums. Heute ist in den Gebäuden die Landesverwaltung untergebracht.

Die Lesart des Hauses legt auch die neue Adresse nahe: Der Platz heißt nicht mehr Minol-Platz nach der einstigen DDR-Tankstelle, sondern ist nach Widerstandskämpfer Stéphane Hessel benannt. So kann und muss man also das neue Haus lesen: als Auftrag, das Mahnmal der Naziherrschaft als Teil der „Topografie der Moderne“ zu sehen. In dieser gilt es, den Weimarer Eckpfeilern Humanismus und Aufklärung auch die unschönen Kapitel Ausgrenzung und Völkermord beizustellen.

Ob sich die Marke Bauhaus als symbolische Trutzburg eignet, steht auf einem anderen Blatt. Klar, die Kunstschule, die zur Gestaltungsrevolution aufrief und deren Bestehen von 1919 bis 1933 mit den „Lebensdaten“ der Weimarer Republik ident ist, scheint dafür prädestiniert zu sein. Wegen den Rechten verließ man 1925 Weimar gen Dessau. Die Machtergreifung der Nazis bescherte ihr das endgültige Ende. Aber jenseits der emanzipatorischen Bauhaus-Klischees vom radikal Neuen, von Fortschritt und funktionaler Rationalität war das Bauhaus auch Ort des totalitaristischen Anspruchs, der Technokratie und – mit Blick auf Reformpädagoge Johannes Itten – rassistischer Ideen.

Mehr Bunker als Festung

Das architektonische Ergebnis dieses Unterfangens ist isoliert betrachtet ein imposanter, minimalistisch-eleganter Bau, dessen Fassade durch horizontale Fugen aufgebrochen wird. Gegenüber der Monstrosität der NS-Anlage allerdings macht er sich schüchtern aus. Der Betonkörper scheint sich – obendrein wenig durchfenstert – abzuschotten: mehr Bunker, weniger Festung. Architektur muss eben auch jenseits des Reißbretts, also im Kontext der Stadt, seine Wirkung beweisen. Dass diese eher mau ist, hat wohl mit der Dimensionierung des Projekts und der Planungsgeschichte zu tun. Eine solche ideologische Setzung muss von Anfang an mitgedacht werden. Hanadas Siegerentwurf stammt jedoch von 2008. Erst drei Jahre später legte man sich auf den heutigen Standort auf dem ehemaligen Gauforum fest. Ursprünglich hatte man mit dem Theaterplatz geliebäugelt, wo das Museum als Visavis zum Nationaltheater womöglich andere Strahlkraft besäße.

Auch das Äußere hat sich gegenüber dem Plan massiv verändert: Vorgesehen war eigentlich eine Glasfassade. Von der kam man erst sehr viel später ab. Kosten mögen dabei keine unwesentliche Rolle gespielt haben (letztlich hat der Bau 27 statt ursprünglich kalkulierte 22,6 Millionen Euro gekostet). Entscheidend war eher, dass eine Glasverkleidung die Fassade der NS-Architektur gespiegelt hätte. Dieser visuelle Eindruck wäre fatal gewesen. Auf der Suche nach der passenden Formensprache für diesen Ort scheint man leicht ins Dilemma zu geraten.

Die mangelnde Durchfensterung lässt sich leichter verteidigen. Viele Museumsbauten verzichten aus konservatorischen Gründen auf allzu viele Fenster und Tageslicht – siehe Mumok und Leopold-Museum in Wien. Allerdings besitzt der ähnlich klotzige Weimarer Bau im Inneren wenig von deren Großzügigkeit.

Im Bauhaus-Museum regiert pragmatische Funktionalität: Das Resultat aus den versetzt angelegten Treppenhäusern sind Etage für Etage (insgesamt fünf) variierende Grundrisse. Zusammen mit wechselnden Raumhöhen entsteht der Eindruck eines flexiblen Baukastens, eines typisches Bauhaus-Prinzips. Ein wenig fühlt man sich an die wandelbaren Spielmöbel der Bauhäuslerin Alma Siehoff-Buscher erinnert. Hanadas Betonskelett lässt solche Verwandlungen freilich nur gedanklich zu.

Räumliche Enge

Man spürt hier die Begrenztheit von 2000 Quadratmetern Ausstellungsfläche. Und man ahnt, dass man hier den gestellten Aufgaben kaum gerecht werden kann. Zum einen ist da der Kern des Museums: die 13.000 Stücke umfassende, von Gropius 1925 der Stadt vermachte Bauhaussammlung. 1000 Arbeiten daraus (Papierenes als Faksimile) hat man dennoch untergebracht. Es bleibt insgesamt bei Anrissen: das auf den neuen Alltag gerichtete und das experimentelle Arbeiten zum Beispiel, oder die großen Protagonisten Walter Gropius, Hannes Meyer und Mies van der Rohe.

Die Ambivalenzen, die das Bauhaus als Teil einer brüchigen Moderne besitzt, bleiben ausgespart. Kein Hinweis auf die zweifelhafte „Rassenheilkunde“ Ittens. Kein Hinweis auf Ertl, der später für Auschwitz Baracken und Krematorien entwarf. Kein Versuch, den ausgeboteten Frauen des Bauhauses hier mehr Sichtbarkeit zu geben. Und: kein Versuch, die Ignoranz des Bauhauses zu DDR-Zeiten zu thematisieren. Die tragische Figur des Architekturwissenschafters Bernd Grönwald hätte sich angeboten. Der Parteifunktionär war auch Idealist und als solcher um das Bauhaus-Erbe bemüht. Er lebte einige Jahre im Musterhaus Haus am Horn. Er hat sich nach der Wende umgebracht – im Keller des Hauses. All das sollte ein Bauhaus-Museum im Jahr 2019 nicht ausblenden.

Der Standard, Mo., 2019.04.08

11. November 2017Anne Katrin Feßler
Der Standard

Kulissenstädte für den Krieg

Blendwerke, Planungsruinen oder Fake-Architekturen, die mit immensem Aufwand für militärische Zwecke errichtet werden, gibt es überall auf der Welt: Fotograf Gregor Sailer hat die surrealen Orte – Potemkinsche Dörfer unserer Zeit – ausfindig gemacht.

Blendwerke, Planungsruinen oder Fake-Architekturen, die mit immensem Aufwand für militärische Zwecke errichtet werden, gibt es überall auf der Welt: Fotograf Gregor Sailer hat die surrealen Orte – Potemkinsche Dörfer unserer Zeit – ausfindig gemacht.

Wände und Kuben aus Beton, die an modernistische Stadtutopien oder Wohnmaschinen Le Corbusiers denken lassen: Allerdings haben die minimalistischen Strukturen in Sissonne bei Reims weder künstlerischen Anspruch, noch werden sie jemals zur bewohnten Architektur. Es sind vielmehr bewusst geschaffene Ruinenlandschaften in einem militärischen Sperrgebiet, simulierte Räume, um Soldaten für den Häuserkampf zu trainieren. Solch surreale Orte gibt es überall auf der Welt. Fake-Towns, Orte des Scheins: Potemkinsche Dörfer. Viele davon hat der österreichische Künstler und Fotograf Gregor Sailer für sein Projekt The Potemkin Village ausfindig gemacht.

Urbane Strukturen und unzulängliche Orte prägen Sailers Arbeit. Aber es ist weniger die Ästhetik der Architektur, die ihn interessiert, als das, wofür sie in ihrer Zeichenhaftigkeit steht. Architektonische Strukturen erzählen für ihn vom ökonomischen, politischen und soziologischen Zeitenwandel, von den absurden Auswüchsen unserer Tage, vom Aufwand, der betrieben wird, um die Illusion eines Potemkinschen Dorfes zu schaffen. Zur oft beklemmenden Atmosphäre in Sailers Bildern trägt auch bei, dass sie menschenleer sind: „Persönlich finde ich es immer interessanter, mit den Zeichen und Spuren der Menschen zu arbeiten als mit ihrem Abbild selbst“, sagt er.

Eine Zeitkapsel heben

Der Weg zum Projekt führte ihn aber nicht direkt über die 2013 publizierte Serie Closed Cities, die von der Außenwelt abgeschottete Städte (Orte der Rohstoffförderung, Flüchtlingslager oder Gated Communities) zeigte, sondern über einen für Sailer naheliegenden und zugleich völlig entzogenen Ort: die Messerschmidthalle im Stollensystem des alten Bergwerks seiner Heimatstadt Schwaz.

Eine geheime Fabrik, in der die Nazis Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter Flugzeugteile bauen ließen, ist ein geschichtlich dunkler Ort, den Sailer für The Box im direkten Wortsinn ans Licht holte. Sailer, der sonst stets mit natürlichen Lichtbedingungen arbeitet, ja, der auf das richtige, diffuse, keine Schatten werfende Licht wartet, musste hunderte Meter Kabel legen, um diese sonst in völliger Dunkelheit liegenden riesigen Kavernen für die Aufnahmen auszuleuchten. Beim symbolischen Heben dieser mit albtraumhaften Grauen behafteten Zeitkapsel entstand etwas Bühnenhaftes: „Plötzlich wird das Ganze irreal, man verliert den Maßstab“, so Sailer. Es war diese Inszenierung und Künstlichkeit, die sein Interesse für das Kulissenhafte anstieß.

Bei seinen Recherchen stolperte er immer wieder über den Mythos des Potemkinschen Dorfes. Also jene Geschichte vom Feldmarschall Potjomkin, der angeblich, so behaupteten es seine Feinde, Kulissendörfer errichten ließ, um der Zarin auf der eroberten Krim die unschöne Wirklichkeit zu verbergen. In Russland sollte Sailer herausfinden, dass die Legende, die seinem Projekt den begrifflichen Rahmen gab, lebt.

In Susdal, drei Autostunden von Moskau entfernt, erwartete man 2013 einen Besuch Putins. Der Verfall des Städtchens erschien nicht präsidial, also versteckte man die Schäbigkeit hinter Planen. Als Sailer knapp drei Jahre später hinreiste, war es fraglich, ob sich noch visuelle Spuren der Maskerade finden lassen. „Obwohl wir bewusst danach gesucht haben, sind wir ein paar Mal daran vorbeigefahren. Bis wir irgendwann unsere Wahrnehmung sensibilisiert hatten.“

Billiger Fake, der funktioniert

Für Sailer, der oft in Sperrgebieten unterwegs und deswegen eher mit dem Beschaffen von Genehmigungen beschäftigt ist, war dieses Suchen neu. In der Millionenstadt Ufa im Ural war es noch komplizierter, mit Ausdrucken aus dem Netz fragte man sich durch. Für den Gipfel, zu dem Putin im Sommer 2015 befreundete Staatschefs geladen hatte, sollte die Stadt glänzen. „Eine billige Methode, deren Fake teils wirklich funktioniert, aber nicht mal ein halbes Jahr später ist es schon wieder abgefuckt, die Plane so heruntergerissen, dass der Blick auf das Dahinter frei wird“, erzählt Sailer.

Abgehängte Fassaden allein waren Sailer jedoch zu wenig; seine Interpretation des Potemkinschen Dorfs fiel viel weiter aus und führte über die Planungsruinen in China, originalgetreue Kopien europäischer Städte und Teststrecken für selbstfahrende Autos in Schweden bis zu den mit irrsinnigem Aufwand errichteten militärischen Übungsstädten in Sperrgebieten in Frankreich, Großbritannien und Deutschland; in Schnöggersburg bei Magdeburg entsteht derzeit die größte europäische Anlage für mehrere Hundert Millionen Euro mit Flughafenszenerie und U-Bahn-Attrappe. Militärs gehen davon aus, dass die nächsten Kriege in unseren Städten stattfinden. In den USA proben Soldaten in Junction City den Krieg für die Krisenregionen der Welt. Im Kontext der Mojave-Wüste wirken die detailgetreu nachgebauten Moscheen und Straßenzüge tatsächlich wie ein Dorf in Afghanistan. Sailer: „Wenn man sich durch diese riesigen urbanen Strukturen bewegt – manchmal fliegt ein Militärhubschrauber drüber oder fährt eine Panzerkolonne vorbei –, hat das eine sehr unheimliche Wirkung.“

Der Standard, Sa., 2017.11.11

28. August 2012Anne Katrin Feßler
Der Standard

Protest auf großer Fahrt

Sie dürfe ins Auge stechen, schrieb Laurids Ortner einmal über provisorische Architektur. „Alles, was sich zur überfallsartigen Irritation des Betrachters eignet, ist hier wesentlich. In der Wahrnehmung verbrennt solche Überformung mit faszinierender Erhellung.“

Sie dürfe ins Auge stechen, schrieb Laurids Ortner einmal über provisorische Architektur. „Alles, was sich zur überfallsartigen Irritation des Betrachters eignet, ist hier wesentlich. In der Wahrnehmung verbrennt solche Überformung mit faszinierender Erhellung.“

Um Erhellung städtischer Geister und Irritation starrer Gemüter ging es auch den Studenten der renommierten Berliner Ernst-Busch-Schauspielschule, als sie im April diesen Jahres nach dem Motto „Wir wollen das öffentliche Leben hacken“ die ganze Stadt zu ihrer Protestbühne machten: ein fahrendes Theater, das las und spielte oder die performative Strategie der lautstarken Störung medienwirksam in Günther Jauchs TV-Talk nutzte.

Grund der üblen studentischen Verstimmung: Auch der dritte Anlauf, Ersatz für das alte, asbestverseuchte, verschimmelte und überdies viel zu kleine Hauptgebäude der Hochschule zu schaffen, drohte an zu hohen Kosten zu scheitern. Inzwischen hat sich der Senat zwar für den Siegerentwurf vom Architekturbüro Ortner & Ortner (Berlin, Köln, Rostow, Wien) ausgesprochen, nur muss der Bau noch ins 33 Millionen Euro Budget gezwängt werden.

Das Verbindungsstück zwischen diesem Entwurf der Architekten und dem damit verbundenen studentischen Aufruhr zeigt sich aktuell im Berliner O & O Depot (einem nicht zuletzt der künstlerischen Identität der ehemaligen Haus-Rucker-Co Laurids und Manfred Ortner gewidmeten Ausstellungsraum) und in ihrer Installation On European Ground für die Architektur-Biennale in Venedig: Das im internationalen Pavillon geparkte Objekt mit der reizvollen, durch Textil und Farbe erzielten Struktur ist eine Art temporäres Protestmöbel, eine Wanderbühne mit Namen Thespis-Karren. Denn vom griechischen Tragödiendichter, Schauspieler und Theaterleiter aus dem 6. Jahrhundert ist überliefert, er sei mit einem Wagen herumgezogen.

Das praktische und noch dazu schicke Gefährt wollte man den Studenten in Berlin zur Verfügung stellen; und die zusammengeklappt kaum einen Meter tiefe Bühne hätte jeden Berliner Trottoir aufgeputzt. Doch zum Glück war das bald nicht mehr nötig.

Seiner Funktion gerecht und doch noch bespielt wird der Thespis-Karren nun während der Eröffnungstage in Venedig. Perfekt ins moralische Motto „Common Ground“ von Kurator David Chipperfield passend, erinnert er so an den Protest als politisch wirksame Maßnahme einer Demokratie.

Dieser öffentliche Charakter spielt auch im Entwurf für die Ernst-Busch-Schule eine Rolle: Ablesbar ist er in der offenen Struktur der Probebühnen. Untergebracht in einem Turm, den die beiden Österreicher mit einfachen Holzplanken verkleidet zu „einer Art Wiener Pawlatsche“ machen.

Und während der reale Thespis-Karren in Venedig weilt, mahnt in Berlin eine Zeichnung desselben und das Modell der Hochschule: Auch Schauspielschüler sind ewig gleiches Theater einmal leid!

Der Standard, Di., 2012.08.28



verknüpfte Beiträge
Architektur-Biennale Venedig

20. März 2012Anne Katrin Feßler
Der Standard

Museum der Bankbürger

Das nördliche Mainufer Frankfurts prägen die Hochhäuser der Banken, das südliche Museumsufer die Kultur. Architektonisch wirkt das Frankfurter Städel im Untergrund: mit lichtem Gegenpol unter grüner Wiese.

Das nördliche Mainufer Frankfurts prägen die Hochhäuser der Banken, das südliche Museumsufer die Kultur. Architektonisch wirkt das Frankfurter Städel im Untergrund: mit lichtem Gegenpol unter grüner Wiese.

„Unter dem Rasen der Strand“ titelte Die Welt in Anspielung an die Situationisten, die die Freiheiten des urbanen Menschen metaphorisch unter den Pflastersteinen wähnten. Ein hübsches Bild für die jüngste Erweiterung des Städels, das sich, gefüllt mit Gegenwartskunst, tatsächlich unterirdisch ausbreitet. Die sanft gewölbte Kuppel mit 195 Oberlichten der Architekten schneider + schumacher, die sich unter frisch ausgerollten Rasenstreifen verbirgt, erinnerte viele an ein gelandetes Ufo. Allerdings passt der adaptierte Slogan der antibürgerlichen, linken Situationisten aus dem Paris der 1960er-Jahre für das Städelmuseum, Deutschlands älteste Bürgerstiftung, so gar nicht. 500 Meter entfernt, im verkehrsreichen Bahnhofsviertel - wo Rotlichtmilieu und multikulturelle Szene zusammentreffen - liest man auf drei Pflanzkübeln wirklich: „Unter den Pflastersteinen wächst der Garten“. Hier stößt ein anderes Frankfurt auf seine bürgerlich-konservative, die Identität der Stadt maßgeblich prägende Schwester: das Bankenviertel, in dessen Herz die Europäische Zentralbank steht. Und auch dort prallen zwei Welten aufeinander: die bis zu 259 Meter hoch aufragenden Bürotürme der Banken und die kleinen Iglu-Zelte der Occupy-Bewegung. Die kleinen runden Pilze der Demonstranten und die nachts leuchtenden Bullaugen am grünen Hügel der Kunst: eine visuelle Analogie, die man nicht mehr aus dem Kopf bekommt. Zwar feiert man mit der nun vollendeten Städel-Erweiterung auch den Erfolg der gigantischen Bürgerkampagne Frankfurt baut das neue Städel. Mit ihr glückte Städel-Direktor Hans Hollein das unglaubliche Kunststück, 26 Millionen Euro, also die Hälfte des erforderlichen Gesamtbudgets, aufzutreiben. Trotz kleinster Spenden von 1,50 Euro, die im Städel per SMS eingingen, wären die zusätzlichen 3000 Quadratmeter Ausstellungsfläche und die Sammlungszuwächse von 1200 Werken ohne Initiative der Stiftungen, Unternehmen, Großmäzene - und zu guten Teilen der Banken - nicht realisierbar gewesen. Sie setzen das fort, was der Bankier und Mäzen Johann Friedrich Städel 1916 mit seiner Stiftung begann. Jedoch ist die Frankfurter Bürgergesellschaft eben noch mehrheitlich eine des klassischen Bürgertums im Gepräge des 19. Jahrhunderts; sie meint noch den elitären Bürger von Besitz und Bildung und eben nicht allein den modernen Citoyen bzw. das offizielle Mitglied einer Kommune. Was den Unterschied ausmacht, daran erinnern auch Gemälde von Johann Peter Hasenclever aus dem Vormärz, etwa Arbeiter vor dem Stadtrath (1848/49), das derzeit in der Ausstellung Demonstrationen. Vom Werden normativer Ordnungen im Frankfurter Kunstverein präsentiert wird. Und so sehr sich die Stadt mit der Stärkung kultureller Marken wie dem Museumsufer bemüht, von sich nicht nur als Finanzmetropole, sondern auch als internationale Kulturstadt reden zu machen - ohne die Spender aus der Welt der Banken vom nördlichen Mainufer, ginge es nicht. Überdies: Zur lebendigen Kulturstadt fehlen Frankfurt, dessen Zentrum an Wochenenden und abends wie ausgestorben ist, jedoch auch eine erkleckliche Zahl alternativer, junger Kunstschauplätze.

Dicke und dünne Börsen

Trotzdem ist das Engagement der Mäzene über die Maßen zu loben; es ist erfreulich, wenn es auch um den Erhalt von Kultur geht und nicht nur um jenen der Geldinstitute. Dicke und dünne Börsen haben letztendlich zusammen die neue Halle für Gegenwartskunst ermöglicht. Deutsche und DZ Bank allein sorgten für erhebliche Sammlungszuwächse.

In der lichten Halle öffnet sich von einer Piazza ein variables, aber bisweilen labyrinthisches Raumsystem (Kuehn Malvezzi), das dicht bespielt ist: Verständlich, will man doch zu Beginn viele der bislang im Depot verborgenen Schätze zeigen, die man nun in chronologisch aufgebrochenen Themenkapiteln präsentiert.

Architektonisch erhebend ist das Eintreten über die helle Stiege, die wie in den Stein geschnitten scheint. Über sie taucht man ein in eine strahlend helle Höhle der Kunst. Ernüchterung erfolgt am Treppenfuß: auf gesamter Breite in den Terrazzoboden eingelassen findet sich der Name jener Stiftung, die mit sieben Millionen den Bau anschob: „Hertie-Gartenhallen“. Ein Branding der Halle, so banal und aufdringlich wie die Orientierungshilfen einst im Kaufhaus Hertie selbst. Willkommen im Tiefgeschoß.

Der Standard, Di., 2012.03.20



verknüpfte Bauwerke
Städel Erweiterungsbau

17. September 2011Anne Katrin Feßler
Der Standard

Manöver des Miteinanders

Ein dualistisches Ausstellungsprinzip mit Ruedi Baur und Susanne Fritscher: Eine „Überschattung“ belagert derzeit das Innsbrucker aut

Ein dualistisches Ausstellungsprinzip mit Ruedi Baur und Susanne Fritscher: Eine „Überschattung“ belagert derzeit das Innsbrucker aut

Innsbruck - Zwei Texte liegen im Raum. Der eine nimmt in Form von Buchstaben Gestalt an, der andere als gesprochenes Wort. Sätze, die sich in Tempo und Lautstärke steigern, um plötzlich abzureißen. Leise, teils flüsternd setzt die Sprache wieder ein, um nach 15 Minuten vollständig zu verebben. Obwohl der Text auf die Architek-tur des Adam-Bräu Bezug nimmt, in dem das aut (Architektur und Tirol) untergebracht ist, ist Verständnis keine Intention. Vielmehr ist Überlagerung und Verschieben ein Motiv der gemeinsamen Ausstellung von Designer und Grafiker Ruedi Baur und Künstlerin Susanne Fritscher.

Überschattung titelt die Schau mit dem dualistischen 15-Minuten-Konzept: Jeweils eine Viertelstunde taucht ein Künstler aus dem Schatten des anderen, wird der jeweilige Eingriff präsenter als der andere. So reagiert Fritschers Vokalwerk etwa auf die Dominanz von Ruedi Baurs Raumeingriff: Neben einem typografischen Sonnenschutz hat er den Boden einer Ebene komplett mit einander überlagernden Buchstaben ausgelegt. Ihre Entzifferung bedarf Vorsicht und Geduld.

Je klarer ein typografisches Konzept für den öffentlichen Raum ist, umso eher wird es übersehen, sagt Baur, der zu den prägendsten Gestaltern von Leitsystemen zählt und diese auch beim neuen Terminal am Flughafen Schwechat verantwortet, wo auch Fritscher gestalterisch wirkt.

In Innsbruck macht Baur es uns schwer: In dem von Fritscher mit einer glänzenden Oberfläche überzogenen Raum, kann man seine Wortprojektionen, nur Buchstabe für Buchstabe und sich um die eigene Achse drehend entschlüsseln: So etwa „Kolossale Bewegungs-Manöver“ . Statt sich gegenseitig zu übertönen und die Schau zu stehlen, entsteht das Bild einer Symbiose.

Der Standard, Sa., 2011.09.17

05. Februar 2011Anne Katrin Feßler
Der Standard

Mit Gummistiefeln in die Gartenhalle

Hineingeschlüpft in die gelben Gummistiefel und mitgebaut am Neuen Städel: Ein Schlechtwetter-Friesentreter als gemeinschaftsstiftendes Symbol für ein...

Hineingeschlüpft in die gelben Gummistiefel und mitgebaut am Neuen Städel: Ein Schlechtwetter-Friesentreter als gemeinschaftsstiftendes Symbol für ein...

Hineingeschlüpft in die gelben Gummistiefel und mitgebaut am Neuen Städel: Ein Schlechtwetter-Friesentreter als gemeinschaftsstiftendes Symbol für ein Bauvorhaben - die Städel-Erweiterung -, das nicht allein die öffentliche Hand finanzieren kann?

Die originelle und tatsächlich funktionierende Idee stiftete die Frankfurter Agentur Ogilvy. Und zwar gratis. Denn die Kampagne ist ihr Beitrag zu einem bürgerschaftlichen Engagement für den Städel. Und der ist seit seiner Stiftung 1816 durch den Bankier Johann Friedrich Städel die erste bürgerliche Museumsstiftung Deutschlands und braucht einen breiten privaten Einsatz für die Sache der Kunst. Dieser darf durchaus symbolischen Wert haben.

Nicht jeder kann so spontan wie Ex-Deutsche-Bank-Boss Hilmar Kopper bei einem Benefizkonzert im Dom 250.000 Euro aus dem privaten Rententopf zaubern. Bereits mit zehn Euro für einen Gummistiefelanstecker ist man dabei.

Insgesamt kostet der aus einem geladenen Wettbewerb hervorgegangene unterirdische Bau des Architektenduos Schneider Schuhmacher 30 Millionen Euro, zehn weitere verschlingt die Sanierung des Altbaus: 18 Millionen davon tragen Kommune und Land, große Batzen die Hertie-Stiftung (7 Mio.) und der Bankier Metzler (3 Mio.). Aber auch Kleinvieh macht Mist: Eine Schulaktion (Schüler verkauften Selbstgemaltes) brachte 20.000 Euro ein. Dennoch fehlten im Jänner noch etwas mehr als vier Millionen.

Für Städel-Direktor Max Hollein kein Grund zum Haareraufen: „Wir haben immer wieder Spender verlautbaren dürfen“, ist er zuversichtlich. Beim Baustart 2008 waren sogar erst 50 Prozent finanziert. „Es sind nicht nur die alteingesessenen Patrizierfamilien, die sich engagieren“, sagt Hollein, den die kollektive Energie freut. Seit Beginn der Erweiterung mündete diese auch in Schenkungen für die Sammlung; zuletzt jubilierte man über drei Hauptwerke von Georg Baselitz. Immens sind die Dauerleihgaben von Deutsche Bank (600 Arbeiten) und DZ Bank (in eine gemeinsame Gesellschaft gingen 250 Werke ein).

Einstweilen geht der Bau am Museumsufer gut voran; derzeit wird der Durchbruch zum Altbau geschaffen. Auch die innovativen Oberlichten aus kalt gebogenem Sicherheitsglas wurden bereits gesetzt. Sie geben der leicht überkuppelten, 3000 m² großen Halle, die die Fläche zur Sammlungspräsentation verdoppelt, Leichtigkeit. Rein optisch scheint die Decke leicht wie ein Luftkissen. Im November wird wiedereröffnet.

Der Standard, Sa., 2011.02.05



verknüpfte Bauwerke
Städel Erweiterungsbau

06. Juli 2010Anne Katrin Feßler
Der Standard

Raumpoet entwarf Raummaschinen

Die Form nach Außen entspringt den Bedürfnissen im Innern. Vorn und zu beiden Seiten das Licht einfallend, mit den nötigen Räumen für die Requisiten, Garderoben und Heizung, ist das ganze Objekt eine einzige Maschine, die allen Anforderungen des Künstlers entspricht" , beschrieb Klaus Maria Olbrich 1900 ein Atelier für die Künstlerkolonie auf der Darmstädter Mathildenhöhe.

Die Form nach Außen entspringt den Bedürfnissen im Innern. Vorn und zu beiden Seiten das Licht einfallend, mit den nötigen Räumen für die Requisiten, Garderoben und Heizung, ist das ganze Objekt eine einzige Maschine, die allen Anforderungen des Künstlers entspricht" , beschrieb Klaus Maria Olbrich 1900 ein Atelier für die Künstlerkolonie auf der Darmstädter Mathildenhöhe.

Zwar wird dieser konkrete Entwurf nie realisiert, dafür verdeutlicht Olbrichs Ausspruch, der 1906 ins Credo „Das Haus wird zur Maschine!“ münden sollte, dass Funktionalität und Ornament einander nicht widersprechen. Das architektonische Maschinendenken ist also nicht allein Verdienst des zwanzig Jahre jüngeren Le Corbusiers, der den Begriff der „Wohnmaschine“ 1921 prägte.

Zurechtgerückt, das soll der Blick auf Joseph Maria Olbrich (1867-1908) in der Tat werden: Die Ausstellung, eine Kooperation des Leopold-Museums mit den Museen Mathildenhöhe (Kuratorin Regina Stephan), breitet das vielfältige Gesamtwerk des Universalkünstlers aus: Olbrich hat quasi alles - vom güldenen Tafeltuch bis zur Opel-Limousine - entworfen.

Insbesondere in Wien tut die Retrospektive wohl, denn allzu ausschließlich wird der Otto Wagner-Schüler hier mit seinem frühen und kühnen Geniestreich - dem Gebäude der Wiener Secession (1898) - assoziiert. Dem zum Trotz präsentiert man gleich zum Auftakt der mit rund 400 Exponaten informativen und sortierten Schau (bis 27. 9.) ein atmosphärisch mit Mahler unterlegtes Video, das mit dem Betrachter einen schwerelosen Flug durch die Secession unternimmt. Dem virtuellen Ausflug folgt hoffentlich ein realer im nur 800 Meter entfernten Original.

Chaos von Ideen

Mit dem Krauthappl begann Olbrichs steile Karriere, die allerdings nicht in Wien ihren Höhepunkt finden sollte, sondern in Darmstadt. Dorthin hatte ihn der schöngeistige Großherzog Ernst Ludwig von Hessen 1899 geholt. Ein „großer Unbekannter“ , wie die Ausstellung leise andeutet, ist Olbrich dennoch nicht.

Ernst Ludwig von Hessen machte ihn zum Leiter seiner Idee einer Kunst und Handwerk vereinenden Künstlerkolonie - die englische Arts-and-Crafts-Bewegung stand Pate. Ein Unterfangen, von dem er sich auch eine wirtschaftliche Belebung versprach: „Mein Hessenland blühe und in ihm die Kunst.“ Die Leichtigkeit der Entwürfe des „Raumpoeten“ (Ludwig Hevesi) brachten den Erzherzog ins Schwärmen: „Ich fühlte sofort, da ist etwas Frisches und ganz zu mir Passendes, etwas Sonniges ...“

Olbrichs recht experimentelle Vorstellungen für das Ensemble auf der Mathildenhöhe zeigen jedoch auch die Spuren eines anderen Lehrers: Camillo Sittes Prinzip einer organischen, nicht hierarchischen Stadtplanung. Mittelpunkt der Anlage und in Wien als Modell zu sehen ist das Ernst-Ludwig-Haus: Das im Ornament auf das zentrale Omegaportal konzentrierte Gebäude wusste - damals höchst ungewöhnlich - Atelier- und Ausstellungsgebäude elegant zu vereinen. Nach Wien sollte Olbrich, der 1908 erst 40-jährig an Leukämie starb, nie zurückkehren. 1904 hatte ihn Otto Wagner, dessen Chefzeichner Olbrich über Jahre war, noch erfolglos für eine Professur an der Akademie nominiert. Nach Olbrichs Tod schrieb Wagner der Witwe des „kaum zu fassenden Genies“: „Die Menge ist leider so blind, dass ihr nie klar werden wird, was sie von ihm noch hätte erwarten können.“

Der Standard, Di., 2010.07.06

30. Dezember 2008Anne Katrin Feßler
Der Standard

Laboratorien mit Donaublick

Beginn einer neuen Ära: Die Life-Sciences – Neurowissenschaften und Molekularbiologie – lösen Themen wie digitale Netze und Communitys im AEC ab

Beginn einer neuen Ära: Die Life-Sciences – Neurowissenschaften und Molekularbiologie – lösen Themen wie digitale Netze und Communitys im AEC ab

„Das neue Gebäude markiert in gewisser Weise auch den Eintritt in eine neue Epoche“, freut sich Gerfried Stocker, seit 1996 künstlerischer Leiter der Ars Electronica in Linz. Das mit 2. Jänner in Betrieb gehende umgebaute Ars Electronica Center, kurz AEC, sei Anlass und auch Chance „sich neu zu erfinden“ . Für eine inzwischen doch schon 30 Jahre alte Einrichtung sei das relativ wichtig, fügt Stocker schmunzelnd hinzu.

Die Turbulenzen der letzten Wochen um die kolportierten Schulden der Ars Electronica, die angebliche Pleite und den Abgang des Geschäftsführers, der inzwischen interimistisch neu besetzt wurde, hat Stocker die Vorfreude auf das neue Haus allerdings nicht vergällt. „Das Gute ist, wir sind so mit dem Aufbau unserer Ausstellungen beschäftigt, dass man gar nicht so viel zum Zeitungslesen kommt.“

Statt wie bisher 2000 stehen nun zwar insgesamt 6500 Quadratmeter zur Verfügung, am Grundkonzept des 1996 als Ergänzung zum Festival errichteten AEC ändert das jedoch nichts. „Kunst, Technologie und Gesellschaft“ lautet von jeher der Subtitel der Ars Electronica, woraus sich Aufgabe und Ziel, und zwar die kulturellen gesellschaftlichen Auswirkungen neuer Technologien und Wissenschaften zu reflektieren, ableitet. Seit der Gründung des AEC 1996 ging es stets darum, „im Gegensatz zum kunstorientierten und durchaus auch avantgardistischen experimentellen Festival, eine edukative didaktische Aufgabe zu übernehmen“ und die Diskussionen, die beim Festival im Kleinen stattfinden, auf eine breitere Basis zu stellen - „ein Auftrag, der nach wie vor volle Gültigkeit hat.“

Sich neu erfinden

Neu erfunden hat sich das AEC nicht bei Motiven und Motivationen, sondern bei den Themen. Wesentlich ist für Stocker dabei das „konsequente Weitergehen über den Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologie hinaus, in Bereiche wie Neurosciences und Molekularbiologie. Das sind die Themen im Bereich Wissenschaft und Technologie, bei denen die stärksten gesellschaftlichen und kulturellen Auswirkungen zu erwarten sind.“

Die Periode, in der primär Computer, Netze und digitale Communitys die Diskussionen dominierten, ist vorbei. Jetzt gilt es, den Bereich der modernen Life-Sciences ernst zu nehmen. Gesagt, getan: Humphrey, der beliebte Flugsimulator auf dem Cyberdeck, wurde ebenso eingemottet wie alle anderen Projektinstallationen. „So überraschend neu sind diese Themen für die Ars Electronica ja auch nicht“ , räumt Stocker ein. 1993 hieß es Genetische Kunst - Künstliches Leben, 1999 titelte man Life Science, 2000 thematisierte man mit Next Sex die Reproduktionsmedizin. „Bestimmte Entwicklungen zeichnen sich in den künstlerischen Experimentallabors von Festival und Prix Ars Electronica ab, und nach deren Verdauung schlägt sich das auch auf das nieder, was im AEC gemacht wird.“

Ganze 4000 Quadratmeter Platz widmet das neue AEC den Ausstellungen zu den Life-Sciences, den Wissenschaften vom Leben, die unter dem Titel „Neue Bilder vom Menschen“ gebündelt werden. Stocker: „Wir können unseren Körper, unser Gehirn, unser Inneres von der DNA bis zu unseren Gedanken sichtbar machen. Wir können neue Bilder vom Menschen herstellen und zeigen, sie über die neuen Medien millionenfach verbreiten.“ Mittlerweile sind Bilder, die bis vor wenigen Jahren noch ausschließlich den Wissenschaftern vorbehalten waren, populär geworden. Man sieht sie im Fernsehen, im Internet, in Magazinen.

Wissenschaft und Religion

In der Kombination aus der Wissenschaftlichkeit der Bilder vom Menschen und ihrer Popularität sieht Stocker den verändernden Effekt auf unser Weltbild: „Die Wissenschaft ist zum Leitmotiv unserer Zeit geworden. Mit Recht diskutiert man, dass die Wissenschaft in vielerlei Hinsicht die Religion abgelöst hat.“

Der Kern von Neue Bilder vom Menschen befindet sich in der Main Gallery, die im Rumpfteil der schiffsähnlich anmutenden AEC-Architektur untergebracht ist. Vier Laboratorien - BrainLab, BioLab, RoboLab und FabLab - laden zur aktiven und kreativen Auseinandersetzung ein. Beobachtend und interaktiv führt man dort in Denk- und Bildwelten der modernen Life-Sciences ein und lässt die Besucher eigene Erfahrungen machen - zum Beispiel jene des Klonens. Stocker: „Pflanzen zu klonen ist selbstverständlich und im Vergleich zum Klonen von Säugetieren ethisch harmlos und auch technisch relativ einfach. Trotzdem bringt es die Leute ganz nahe an die entscheidenenden ethischen Fragen, an die Umsetzung von Wertvorstellungen.“

Auch wenn im AEC nun etwa visualisiert wird, wie Wahrnehmung, Emotionen und Intelligenz funktionieren, ist das AEC kein Wissenschaftsmuseum geworden. „Wir erklären keine Wissenschaft“ , hält Stocker fest. „Wir haben auch früher nie erklärt, wie eine Harddisk oder wie eine Maus funktioniert, sondern es ging immer wieder darum: Wie verändert eine Entwicklung unser Leben?“

Die Schwierigkeit sei, diese Dualität von Kunst und Wissenschaft, das Dazwischen und ihre Verschmelzung zu beschreiben. Auf mehr Fläche werde das nun besser gelingen, ist Stocker überzeugt, dem die Erweiterung auch die Möglichkeit gibt, das Festival „eine Spur größer“ umsetzen zu können. Mit drei kleinen Konferenzsälen gebe es nun auch im Haus technisch adäquate Räume für die vielen kleineren themenspezifischen Meetings jenseits des großen Symposions, das weiterhin im Brucknerhaus stattfinden wird.

Besondere Freude bereiten Stocker die 1000 Quadratmeter für das Futurelab. Im bisher stets ausgelagerten Thinktank der Ars Electronica inspirieren sich künstlerische und technologische Innovation wechselseitig. Mit dem Umzug geht auch eine Öffnung der Labors einher: Über den ProjectSpace präsentiert sich das Futurelab inhaltlich, Fenster zur Donau sorgen für noch mehr Transparenz: „Die Räume gewähren direkten Blick auf die Donau. Dieser Sprung in der Arbeitsqualität hat sicher großen positiven Einfluss auf das kreative Arbeiten in diesen Labors.“

Der Standard, Di., 2008.12.30



verknüpfte Bauwerke
Ars Electronica Center

31. Juli 2008Anne Katrin Feßler
Der Standard

Eleganter Kunsttunnel mit Jugendschutzprogramm

5000 Quadratmeter Nutzfläche bietet das private Museum des Kärntner Industriellen Herbert Liaunig. Ende August öffnet das vom Architekturbüro Querkraft gebaute Haus in Neuhaus vorsichtig seine Türen.

5000 Quadratmeter Nutzfläche bietet das private Museum des Kärntner Industriellen Herbert Liaunig. Ende August öffnet das vom Architekturbüro Querkraft gebaute Haus in Neuhaus vorsichtig seine Türen.

Neuhaus - Die Koralpe mit 2100 Meter Höhe im Blick, unten schlängelt sich die Drau: Die Aussicht, die der Hausherr auf Schloss Neuhaus genießt, ist fein. Zuletzt wurde das Panorama für Herbert W. Liaunig, ein als Sanierer maroder Unternehmen bekanntgewordener Großindustrieller, immer erhebender. Über die Kirchturmspitze hinweg kann der Kunstsammler nun auf seinen direkt am Fluss gelegenen Museumsbau blicken. Der sichtbare Teil davon, gestaltet von den Wiener Architekten Querkraft (Jakob Dunkl, Gerd Erhartt, Peter Sapp), durchschneidet wie ein eleganter Tunnel das Gelände.

Es sei kein Museum nur für ihn und seine Freunde, stellt Liaunig, manche politische Wortmeldung richtig und lud, knapp einen Monat vor der Eröffnung am 29. August, die Presse zur ausführlichen Präsentation. Darüber hinaus würden sich die Medien zunehmend fragen, wieso sich das Land Kärnten aus dem Projekt zurückgezogen habe. Noch 2002 war man einig gewesen, dem Bau einen öffentlichen Teil für Wechselausstellungen anzuschließen. Das Land hätte sich dafür mit einem Viertel an den auf acht Millionen Euro kalkulierten Baukosten (inzwischen knapp 10 Millionen Gesamtkosten) und zu einem Drittel (200.000 Euro) an den Betriebskosten beteiligt. Landeskulturrat war Jörg Haider.

Nachdem das Projekt der Französin Odile Decq scheiterte, weil es den Kostenrahmen überstrapazierte, ging aus dem neuerlichen Bewerb, an dem sich u. a. Adolf Krischanitz, Jabornegg & Palffy und Caramel beteiligten, der Entwurf von Querkraft hervor, der nicht nur den Anspruch auf Wirtschaftlichkeit erfüllte und sich in ein schlichtes, Liaunig entgegenkommendendes industrielles Kleid warf, sondern sich auch modulartig gestaltete. So können Gebäudeteile unabhängig geplant, ganz weggelassen oder später angefügt werden. Eine weitsichtige Entscheidung. Drei Tage vor Beschluss zog man den Landeskulturreferenten Martin Strutz (BZÖ) ab. Fortan wollte sein Nachfolger - Haider - nichts mehr vom Projekt wissen.

Die Fragen zum Rückzug sollte also das Land Kärnten beantworten. Dort wird man sich nun gehörig in den Popo beißen, weil man den Imagegewinn durch Beteiligung am prestigeträchtigen Haus ausgeschlagen hat. Liaunigs umfassende Sammlung, die sich auf insgesamt 5000 Quadratmetern ausbreiten darf, umfasst nicht nur Hauptwerke von internationalen Kapazundern wie Tony Cragg, sondern auch von Hauptvertretern der österreichischen und vor allem Kärntner Kunst der Gegenwart: Arnulf Rainer, Hermann Nitsch, Bruno Gironcoli, Cornelius Kolig, Hans Bischoffshausen u. a. Die Kunstinstitutionen Kärntens wirken dagegen sehr bescheiden.

Kunstrisiko Kind

Mehrmals täglich wird es eine Führung geben, selbstständiges Flanieren ist nicht vorgesehen. Peter Baum, der den Sammlungsquerschnitt kuratiert hat, sieht darin eine Exklusivität. Ansichtssache. Flanieren dürfen im Kärntner Privatmuseum auch andere nicht. Kindern unter 14 Jahren ist der Zutritt nicht gestattet. Das ein bisschen andere Jugendschutzprogramm will nicht etwa den Nachwuchs vor möglicherweise dargestellter Frivolität bewahren, sondern die „sehr sensiblen Werke“ schützen. Das erscheint schon ein wenig eigen. Bei ohnehin beaufsichtigten Touren dürften sich Schäden, hervorgerufen durch ungezügelten jugendlichen Leichtsinn, wohl ohnehin gering halten.

Der Standard, Do., 2008.07.31



verknüpfte Bauwerke
Museum Liaunig

Profil

7 | 6 | 5 | 4 | 3 | 2 | 1