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02. Juni 2008Robert Jonathan Loher
Architekturarchiv Kroatien

Sozialistischer Funktionalismus, kapitalistische Realität

Um die aktuelle Architektur in Kroatien zu verstehen, ist es notwendig, auch die Entwicklung vor 1990 zu betrachten. Das „kroatische“ Bewusstsein in der...

Um die aktuelle Architektur in Kroatien zu verstehen, ist es notwendig, auch die Entwicklung vor 1990 zu betrachten. Das „kroatische“ Bewusstsein in der...

Um die aktuelle Architektur in Kroatien zu verstehen, ist es notwendig, auch die Entwicklung vor 1990 zu betrachten. Das „kroatische“ Bewusstsein in der Architektur beginnt mit Viktor Kovačić, einem Schüler Otto Wagners, Zeitgenossen und Intimus Adolf Loos’. Er prägte und verkörperte die Szene in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts. Ihm folgten starke Persönlichkeiten, wie etwa Drago Ibler, Ernest Weissman oder Mladen Kauzlarić.

Die Avantgarde in den 50er und 60er Jahren ist mit Namen wie Drago Galić, Neven Šegvić, Vladimir Turina, Ivo Vitić und Alfred Albini verbunden – um nur einige zu nennen. Diese Architekten waren Träger der „Zagreber Schule“, die heute eher als intellektuelle Einstellung denn als formales Vokabular von Stilen verstanden werden sollte. Diese Schule wirkte auch im Rahmen Ex-Jugoslawiens als Spezifikum, da andere regionale Zentren wie Belgrad, Sarajewo und Ljubljana unterschiedliche Schwerpunkte im Verständnis der Architektur setzten. Sie zu untersuchen, bedarf einer längeren Expertise. Dabei handelt es sich um die grundsätzliche Herangehensweise, Architektur nicht als dekorative Disziplin zu verstehen, sondern als Resultat der funktionellen Bedürfnisse des Benutzers. Das Dekorative liegt in der Ausführung der Details, des Fassadenputzes, der Art, wie die Schalung des Sichtbetons gefertigt wird u.ä. Das Entscheidende dabei ist die geistige Haltung gegenüber dem zeitgenössischen Kontext, geprägt durch den Sozialismus und das kollektive Verständnis des Handels. Der kapitalistische Gedanke kam in seiner ungezügelten Form erst Anfang der 90er Jahre zum Vorschein. Erst ab diesen Zeitpunkt kann man von einer eigenständigen neuen Architektur in Kroatien sprechen.

Die Selbständigkeit Kroatiens brachte einen blutigen Krieg mit sich. Dieser gab Spekulationen jeder Art heftigen Rückenwind, sodass es in den ersten Jahren weniger zur Nachfrage nach Architektur denn nach gebauten Quadratmetern kam. Das erste öffentliche Bauprogramm waren die sogenannten Radić-Häuser, nach dem damaligen Minister für Bauwesen benannt, das allerdings auch weiteren Bauspekulationen Platz machte. Dennoch konnte damit ein Grundstein für das progressive POS Programm unter dem Minister Čačić gelegt werden, wobei POS für den staatlich geförderter Wohnungsbau steht. Dieses Programm brachte eine ansehnliche Zahl von neuen Kräften auf die Architekturbühne, da alle Bauten aus öffentlichen Wettbewerben resultieren, die mit viel Enthusiasmus und frischem Geist von meist jungen Teams bestritten wurden.

Einen weiteren Beitrag zum aktuellen Architekturschaffen tragen jene Architekten bei, die ihre Postgraduate Kurse an anerkannten internationalen Schulen absolvieren, wie dem Berlage Institut, dessen Leiter Vedran Mimica aus Zagreb stammt. Andere besuchen Kurse an der Harvard University oder der ETH Zürich. Meistens kehren diese Architekten nach Kroatien zurück und sind hierzulande aktiv. Sie bringen neben den Einflüssen der Zagreber Schule neue Ideen ein, die mit der Bescheidenheit der sozialistischen Architektur wenig zu tun haben.

Doch die Realität bleibt bescheiden. Kroatien ist ein Land, das finanziell überfordert ist, die Möglichkeiten werden oft überschätzt. Somit sind die Gedanken der Zagreber Schule - mit einfachen Mitteln gute Architektur zu machen - weiterhin aktuell.

Architekturarchiv Kroatien, Mo., 2008.06.02

23. Mai 2008Robert Jonathan Loher
Architekturarchiv Kroatien

Die „Zagreber Schule“ auf dem Sprung nach Europa

Das aktuelle Architekturgeschehen in Zagreb war lange Zeit identitätstragend für ganz Kroatien. Ab den 90er Jahren profitierte die Architekturszene von...

Das aktuelle Architekturgeschehen in Zagreb war lange Zeit identitätstragend für ganz Kroatien. Ab den 90er Jahren profitierte die Architekturszene von...

Das aktuelle Architekturgeschehen in Zagreb war lange Zeit identitätstragend für ganz Kroatien. Ab den 90er Jahren profitierte die Architekturszene von der Kapitalkonzentration in der Hauptstadt, die sich jedoch wenig in qualitativ hochwertiger Architektur niederschlug. In letzter Zeit bringen Büros wie Randić & Turato in Rijeka oder Nikola Bašić in Zadar neuen Schwung auch in die Regionen. So formieren sich neue Zentren, es wird mehr im ganzen Land investiert - eine Entwicklung, die sichtbare Spuren hinterlässt.

In Zagreb allerdings wird vieles noch dem Zufall überlassen. Es fehlt immer noch an einem Gesamtkonzept und das Kapital hinterlässt oft Spuren einer ästhetischen Verwüstung. Das Bild der Stadt ist geprägt von einer Architekturepoche, auf die Kroatien stolz zurückblicken kann – die 50er und 60er Jahre mit ihren sozialistischen Wohnungsbauten und Prachtalleen, die ein Abbild der Ideen der Moderne par excellence darstellen. Besonders eindrucksvoll sind die Plattenbausiedlungen, die der zutiefst humanen Idee entsprangen, die Wohnbauten in einen grünen Teppich einzubetten. Beispiele dafür sind etwa die Siedlungen Zapruđe des Architekten Bogdan Budimirov oder die ‚Blumensiedlung’ des Architekten Vlado Antolić.

Seit dem jugoslawischen Bürgerkrieg ist durch die zunehmende Bauspekulation ein Vakuum an hochwertiger Architektur entstanden. Die Preise steigen. Was zählt, sind die Quadratmeter pro Parzelle, nicht Wohn- oder Lebensqualität. Wenn Wohnbau ein Kriterium der Baukultur einer Stadt wäre, liegt Zagreb weit hinten. Zwar entstehen weiterhin interessante Wohnbauten, jedoch müssen diese eher als Ausnahmen denn als Ergebnis eines Gesamterbauungskonzeptes betrachtet werden. Große Teile der Stadt, die früher industrielles und gewerbliches Brachland waren, werden nun durch Bürolandschaften ersetzt oder sind Gegenstand einer immer noch zu definierenden Wohnpolitik – somit wird immer noch viel Bauland für schlecht konzipierte Wohnsiedlungen verspekuliert.

Die Architektenzunft reagiert mit angemessenen Mitteln. Der im Jahr 2007 preisgekrönte Wohnungsbau in Gračani des Architekten Hrvoje Njirić befasst sich mit der Problematik des wuchernden Wohnbaus und referiert als Antwort auf den Typ der urbanen Villa, einem typischen Wohntypus mit jeweils drei bis sechs Wohnungen in den bevorzugten Wohnvierteln im Norden der Stadt. Hauptmaßstab für die Qualität solcher Architektur ist ‚max BRP’ – maximale Bruttonutzungsfläche pro Grundstück. Njiric’s Antwort darauf ist inteligent und einfach zugleich. Derselbe Architekt wurde zudem dieses Jahr mit seinem Kindergarten ‚Sunce’ in Retkovec mit dem Piranesi-Preis in Slowenien ausgezeichnet.

Die architektonische Gegenwart Zagrebs ist geprägt durch die Absicht der Stadtoberhäupter, aus der kroatischen Hauptstadt eine angesehene mitteleuropäische Metropole zu machen. Aber dazu muss Zagreb über sich selbst hinauswachsen. Als Regel gilt dasselbe wie für ganz Kroatien – gute Architektur mit bescheidenen Mitteln. Gebaute Vorbilder gibt es genug.

Architekturarchiv Kroatien, Fr., 2008.05.23

01. März 2008Robert Jonathan Loher
db

Veränderung als Prozess

Die neuere Architektur Kroatiens ist mindestens so vielfältig wie seine unterschiedlichen Landschaften zwischen karstiger Küste, Gebirge und Tiefebene im Landesinneren. Den lokalen Bezügen kommt dabei, trotz internationaler Einflüsse, stets große Bedeutung zu.

Die neuere Architektur Kroatiens ist mindestens so vielfältig wie seine unterschiedlichen Landschaften zwischen karstiger Küste, Gebirge und Tiefebene im Landesinneren. Den lokalen Bezügen kommt dabei, trotz internationaler Einflüsse, stets große Bedeutung zu.

Eine kürzlich vom Architekturverein Zagreb und der Harvard University vorgestellte Publikation zeigt einen Querschnitt durch die historischen Entwicklungsphasen der kroatischen Hauptstadt und trägt den Titel »Projekt Zagreb – Transition als Zustand – Strategie – Praxis«. Tatsächlich ist Transition nicht etwas, das in den Ostblockstaaten erst mit dem Fall der Berliner Mauer begann, sondern ein andauernder Prozess. So befand sich Kroatien auch nach dem Zweiten Weltkrieg in Transitionsstimmung. Es galt, sich vom alten Ballast zu befreien und Neues zu wagen. Architekten wie Ibler, Galic, Strizic, Turina, Albini waren die Zugpferde einer Bewegung, die die ganze Architekturszene des Landes mit sich riss.
Der Enthusiasmus der damaligen Zeit wollte allerdings nach dem Ende des letzten Krieges nicht aufkommen. Der Zerfall Jugoslawiens riss tiefe Gräben auf und hinterließ eine verwüstete Kulturlandschaft. Beim Aufbruch in -einen neuen Staat war Architektur nachrangig. Der Wiederaufbau erfolgte planlos und hektisch, den Flüchtlingsströmen aus den Kriegsgebieten war man schlicht nicht gewachsen. So schossen in kürzester Zeit ganze Siedlungen aus dem Nichts empor und wucherten in die Städte hinein.

Der Wiederaufbau

Direkt nach dem Ende des Krieges 1995 wurde das sogenannte Radic-Programm aufgestellt, benannt nach Jure Radic, dem Minister für Wiederaufbau. Es war der erste Versuch einer Regelung des Bauwesens im neuen Staat. Familien in Kriegsgebieten bekamen günstige Kredite, um ihre zerstörten Häuser wieder aufzubauen. Die standardisierten Haustypen – drei Zimmer, Flur, Küche, Bad – entsprachen, ohne architektonischen Anspruch, rein dem funktionellen Bedarf. Ganze Landstriche wurden damit zugebaut. Der Schaden am Landschaftsbild ist enorm. Der Wiederaufbau in dieser ersten Zeit wurde zwar von korrupten Lokalpolitikern und Bauspekulanten weidlich ausgenutzt – immerhin wurden dabei aber die ersten Grundsteine für ein späteres, programmatisch gut durchdachtes Sozialbauprogramm gelegt.

Die erste Generation

Abseits der Spekulation regten sich auch neue Geister in der damals jungen Architekturszene. Es reifte eine Generation heran, die nicht im Sumpf der Machenschaften versinken wollte, sondern mit frischem Elan eine bessere Welt erträumte. Die Arbeit jener Architekten wie etwa Njiric und Njiric, Randic und Turato, Radonjic und Rako, Zarnic und Oluic bildet den Grundstock für die gegenwärtige Architektur. Der Geist der damaligen Projekte, jetzt immerhin schon 15 Jahre alt, ist in den heutigen Arbeiten immer noch zu spüren.
Es war ein Lichtblick für Kroatien, als Hrvoje und Helena Njiric zwei erste Preise für Europan 3 in Schwerin und Den Bosch gewannen. Aufsehen erregte auch ihr Baumarkt in Maribor. Heute betreiben beide jeweils eigene Büros und setzen mit diesen immer noch bedeutende Akzente. Bojan -Radonjic und Goran Rako verblüfften die internationale Architekturszene, als sie, vor Arata Izosaki, den ersten Preis für ihren Entwurf eines Kulturzentrums im japanischen Nara gewannen. Radonjic war Berlage-Schüler und bildete mit dem immer zu Experimenten aufgelegten Rako ein viel beachtetes Team. Rako wurde vor Kurzem zum Vorsitzenden der kroatischen Architekturvereinigung gewählt, deren Vorsitz die letzten vier Jahre Saša Randic, ebenfalls ein Berlage-Schüler, innehatte.
Das Berlage Institute in Rotterdam spielt auch eine wichtige Rolle in der Ausbildung der neueren Generation. Nicht zuletzt wegen des dortigen Studienleiters Vedran Mimica zieht es viele junge kroatische Architekten dorthin. So verwundert es nicht, dass sich dieser kulturelle Austausch auch im Architekturverständnis der hiesigen Szene festsetzt. In neueren Arbeiten wird oft eine gewisse Leichtigkeit und Unbeschwertheit bemerkbar, obwohl die latente Gefahr besteht, dass dieser Einfluss nur als Form und nicht als Inhalt verstanden und übernommen wird.

Das POS-Programm

POS ist ein Programm des geförderten Wohnbaus, das 2001 unter der Regierung von Ivica Racan und als Fortsetzung des vorhergehenden Programms für Kriegsveteranen aufgelegt wurde. Bestimmten Personenkreisen – Hochschulabgängern, jungen Familien – wurden unter günstigen Bedingungen Wohnungen verkauft. POS zielte hauptsächlich auf kleinere Orte, deren Verwaltungen Grundstücke für die Wohngebäude sicherten; der Staat übernahm die Baukosten und leitete den Verkauf. Durch dieses Programm kamen viele junge Büros zum Zug, und es entstanden einige hervorragende Gebäude, die mit höchsten nationalen Preisen und internationalen Anerkennungen ausgezeichnet wurden. Die Stadtverwaltungen und das Ministerium ließen den Architekten weitgehend freie Hand; allein der vorgegebene Preisrahmen von etwa 600 Euro pro Quadratmeter musste eingehalten werden.
Die neue konservative Regierung veränderte das POS-Programm mehr in Richtung Bauspekulation, das breite architektonische Feedback fehlt jetzt.
Zagreb bildet in dieser Hinsicht ein Spezifikum. Hier werden immer wieder neue Modellversuche gestartet, aber nur halbherzig ausgeführt. Am meisten investieren private Bauherren, die es besonders auf die attraktiven Nordhänge abgesehen haben. Das Planungsrecht sieht hier Gebäude mit höchstens drei Wohnungen und maximaler Bruttonutzfläche von rund 600 Quadratmetern vor. Es entstand ein spezifischer, eklektischer Bautypus: die »urbane Villa«. Viele Einzelversuche wurden gestartet, um dieser Bauaufgabe eine eigene Form zu geben. Erst Hrvoje Njiric gelang 2006 eine preisgekrönte Redefinition.
Ab 2006 wurde ein neues Modell der Bauherrschaft für Großprojekte verabschiedet. Es geht um eine öffentlich-private Partnerschaft, in Kroatien JPP genannt, bei der die Stadtverwaltung als Investor, der private Partner oft als Bauunternehmer auftritt. Der Bau wird dann auf bestimmte Zeit dem Bauherrn überlassen, so zum Beispiel die Sportstätten für die kommende Handball-WM 2009. Große Aufträge werden durch ein besonderes Auslosungsverfahren an Firmen vergeben, die mit einem Architekturbüro assoziiert sind.
Das kroatische Architekturschaffen konzentriert sich mittlerweile nicht mehr nur auf Zagreb allein, sondern verteilt sich auch auf Städte wie Rijeka, Zadar, Split und Dubrovnik an der Küste sowie in Osijek im Landesinneren, was eine gesunde Konkurrenz unter den Architekten fördert.
Bei allem Wollen und Können muss man sich aber hierzulande der Möglichkeiten bewusst bleiben. Der Markt bietet noch nicht die nötige Vielfalt an Materialien, und die Investoren verlangen in aller Regel kostengünstiges Bauen. Man hat es eben mit Kroatien zu tun – das betrifft die Mentalität der Menschen sowie auch die finanzielle Tatkraft. Mit dem nötigen Sinn für die Situation und deren Umsetzung in Architektur lässt sich in den kommenden Jahren noch ein ungeheures Potenzial erschließen.

db, Sa., 2008.03.01



verknüpfte Akteure
3LHD
Njirić Hrvoje
Studio UP



verknüpfte Zeitschriften
db 2008|01 Slowenien und Kroatien

Bauwerke

Presseschau 12

02. Juni 2008Robert Jonathan Loher
Architekturarchiv Kroatien

Sozialistischer Funktionalismus, kapitalistische Realität

Um die aktuelle Architektur in Kroatien zu verstehen, ist es notwendig, auch die Entwicklung vor 1990 zu betrachten. Das „kroatische“ Bewusstsein in der...

Um die aktuelle Architektur in Kroatien zu verstehen, ist es notwendig, auch die Entwicklung vor 1990 zu betrachten. Das „kroatische“ Bewusstsein in der...

Um die aktuelle Architektur in Kroatien zu verstehen, ist es notwendig, auch die Entwicklung vor 1990 zu betrachten. Das „kroatische“ Bewusstsein in der Architektur beginnt mit Viktor Kovačić, einem Schüler Otto Wagners, Zeitgenossen und Intimus Adolf Loos’. Er prägte und verkörperte die Szene in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts. Ihm folgten starke Persönlichkeiten, wie etwa Drago Ibler, Ernest Weissman oder Mladen Kauzlarić.

Die Avantgarde in den 50er und 60er Jahren ist mit Namen wie Drago Galić, Neven Šegvić, Vladimir Turina, Ivo Vitić und Alfred Albini verbunden – um nur einige zu nennen. Diese Architekten waren Träger der „Zagreber Schule“, die heute eher als intellektuelle Einstellung denn als formales Vokabular von Stilen verstanden werden sollte. Diese Schule wirkte auch im Rahmen Ex-Jugoslawiens als Spezifikum, da andere regionale Zentren wie Belgrad, Sarajewo und Ljubljana unterschiedliche Schwerpunkte im Verständnis der Architektur setzten. Sie zu untersuchen, bedarf einer längeren Expertise. Dabei handelt es sich um die grundsätzliche Herangehensweise, Architektur nicht als dekorative Disziplin zu verstehen, sondern als Resultat der funktionellen Bedürfnisse des Benutzers. Das Dekorative liegt in der Ausführung der Details, des Fassadenputzes, der Art, wie die Schalung des Sichtbetons gefertigt wird u.ä. Das Entscheidende dabei ist die geistige Haltung gegenüber dem zeitgenössischen Kontext, geprägt durch den Sozialismus und das kollektive Verständnis des Handels. Der kapitalistische Gedanke kam in seiner ungezügelten Form erst Anfang der 90er Jahre zum Vorschein. Erst ab diesen Zeitpunkt kann man von einer eigenständigen neuen Architektur in Kroatien sprechen.

Die Selbständigkeit Kroatiens brachte einen blutigen Krieg mit sich. Dieser gab Spekulationen jeder Art heftigen Rückenwind, sodass es in den ersten Jahren weniger zur Nachfrage nach Architektur denn nach gebauten Quadratmetern kam. Das erste öffentliche Bauprogramm waren die sogenannten Radić-Häuser, nach dem damaligen Minister für Bauwesen benannt, das allerdings auch weiteren Bauspekulationen Platz machte. Dennoch konnte damit ein Grundstein für das progressive POS Programm unter dem Minister Čačić gelegt werden, wobei POS für den staatlich geförderter Wohnungsbau steht. Dieses Programm brachte eine ansehnliche Zahl von neuen Kräften auf die Architekturbühne, da alle Bauten aus öffentlichen Wettbewerben resultieren, die mit viel Enthusiasmus und frischem Geist von meist jungen Teams bestritten wurden.

Einen weiteren Beitrag zum aktuellen Architekturschaffen tragen jene Architekten bei, die ihre Postgraduate Kurse an anerkannten internationalen Schulen absolvieren, wie dem Berlage Institut, dessen Leiter Vedran Mimica aus Zagreb stammt. Andere besuchen Kurse an der Harvard University oder der ETH Zürich. Meistens kehren diese Architekten nach Kroatien zurück und sind hierzulande aktiv. Sie bringen neben den Einflüssen der Zagreber Schule neue Ideen ein, die mit der Bescheidenheit der sozialistischen Architektur wenig zu tun haben.

Doch die Realität bleibt bescheiden. Kroatien ist ein Land, das finanziell überfordert ist, die Möglichkeiten werden oft überschätzt. Somit sind die Gedanken der Zagreber Schule - mit einfachen Mitteln gute Architektur zu machen - weiterhin aktuell.

Architekturarchiv Kroatien, Mo., 2008.06.02

23. Mai 2008Robert Jonathan Loher
Architekturarchiv Kroatien

Die „Zagreber Schule“ auf dem Sprung nach Europa

Das aktuelle Architekturgeschehen in Zagreb war lange Zeit identitätstragend für ganz Kroatien. Ab den 90er Jahren profitierte die Architekturszene von...

Das aktuelle Architekturgeschehen in Zagreb war lange Zeit identitätstragend für ganz Kroatien. Ab den 90er Jahren profitierte die Architekturszene von...

Das aktuelle Architekturgeschehen in Zagreb war lange Zeit identitätstragend für ganz Kroatien. Ab den 90er Jahren profitierte die Architekturszene von der Kapitalkonzentration in der Hauptstadt, die sich jedoch wenig in qualitativ hochwertiger Architektur niederschlug. In letzter Zeit bringen Büros wie Randić & Turato in Rijeka oder Nikola Bašić in Zadar neuen Schwung auch in die Regionen. So formieren sich neue Zentren, es wird mehr im ganzen Land investiert - eine Entwicklung, die sichtbare Spuren hinterlässt.

In Zagreb allerdings wird vieles noch dem Zufall überlassen. Es fehlt immer noch an einem Gesamtkonzept und das Kapital hinterlässt oft Spuren einer ästhetischen Verwüstung. Das Bild der Stadt ist geprägt von einer Architekturepoche, auf die Kroatien stolz zurückblicken kann – die 50er und 60er Jahre mit ihren sozialistischen Wohnungsbauten und Prachtalleen, die ein Abbild der Ideen der Moderne par excellence darstellen. Besonders eindrucksvoll sind die Plattenbausiedlungen, die der zutiefst humanen Idee entsprangen, die Wohnbauten in einen grünen Teppich einzubetten. Beispiele dafür sind etwa die Siedlungen Zapruđe des Architekten Bogdan Budimirov oder die ‚Blumensiedlung’ des Architekten Vlado Antolić.

Seit dem jugoslawischen Bürgerkrieg ist durch die zunehmende Bauspekulation ein Vakuum an hochwertiger Architektur entstanden. Die Preise steigen. Was zählt, sind die Quadratmeter pro Parzelle, nicht Wohn- oder Lebensqualität. Wenn Wohnbau ein Kriterium der Baukultur einer Stadt wäre, liegt Zagreb weit hinten. Zwar entstehen weiterhin interessante Wohnbauten, jedoch müssen diese eher als Ausnahmen denn als Ergebnis eines Gesamterbauungskonzeptes betrachtet werden. Große Teile der Stadt, die früher industrielles und gewerbliches Brachland waren, werden nun durch Bürolandschaften ersetzt oder sind Gegenstand einer immer noch zu definierenden Wohnpolitik – somit wird immer noch viel Bauland für schlecht konzipierte Wohnsiedlungen verspekuliert.

Die Architektenzunft reagiert mit angemessenen Mitteln. Der im Jahr 2007 preisgekrönte Wohnungsbau in Gračani des Architekten Hrvoje Njirić befasst sich mit der Problematik des wuchernden Wohnbaus und referiert als Antwort auf den Typ der urbanen Villa, einem typischen Wohntypus mit jeweils drei bis sechs Wohnungen in den bevorzugten Wohnvierteln im Norden der Stadt. Hauptmaßstab für die Qualität solcher Architektur ist ‚max BRP’ – maximale Bruttonutzungsfläche pro Grundstück. Njiric’s Antwort darauf ist inteligent und einfach zugleich. Derselbe Architekt wurde zudem dieses Jahr mit seinem Kindergarten ‚Sunce’ in Retkovec mit dem Piranesi-Preis in Slowenien ausgezeichnet.

Die architektonische Gegenwart Zagrebs ist geprägt durch die Absicht der Stadtoberhäupter, aus der kroatischen Hauptstadt eine angesehene mitteleuropäische Metropole zu machen. Aber dazu muss Zagreb über sich selbst hinauswachsen. Als Regel gilt dasselbe wie für ganz Kroatien – gute Architektur mit bescheidenen Mitteln. Gebaute Vorbilder gibt es genug.

Architekturarchiv Kroatien, Fr., 2008.05.23

01. März 2008Robert Jonathan Loher
db

Veränderung als Prozess

Die neuere Architektur Kroatiens ist mindestens so vielfältig wie seine unterschiedlichen Landschaften zwischen karstiger Küste, Gebirge und Tiefebene im Landesinneren. Den lokalen Bezügen kommt dabei, trotz internationaler Einflüsse, stets große Bedeutung zu.

Die neuere Architektur Kroatiens ist mindestens so vielfältig wie seine unterschiedlichen Landschaften zwischen karstiger Küste, Gebirge und Tiefebene im Landesinneren. Den lokalen Bezügen kommt dabei, trotz internationaler Einflüsse, stets große Bedeutung zu.

Eine kürzlich vom Architekturverein Zagreb und der Harvard University vorgestellte Publikation zeigt einen Querschnitt durch die historischen Entwicklungsphasen der kroatischen Hauptstadt und trägt den Titel »Projekt Zagreb – Transition als Zustand – Strategie – Praxis«. Tatsächlich ist Transition nicht etwas, das in den Ostblockstaaten erst mit dem Fall der Berliner Mauer begann, sondern ein andauernder Prozess. So befand sich Kroatien auch nach dem Zweiten Weltkrieg in Transitionsstimmung. Es galt, sich vom alten Ballast zu befreien und Neues zu wagen. Architekten wie Ibler, Galic, Strizic, Turina, Albini waren die Zugpferde einer Bewegung, die die ganze Architekturszene des Landes mit sich riss.
Der Enthusiasmus der damaligen Zeit wollte allerdings nach dem Ende des letzten Krieges nicht aufkommen. Der Zerfall Jugoslawiens riss tiefe Gräben auf und hinterließ eine verwüstete Kulturlandschaft. Beim Aufbruch in -einen neuen Staat war Architektur nachrangig. Der Wiederaufbau erfolgte planlos und hektisch, den Flüchtlingsströmen aus den Kriegsgebieten war man schlicht nicht gewachsen. So schossen in kürzester Zeit ganze Siedlungen aus dem Nichts empor und wucherten in die Städte hinein.

Der Wiederaufbau

Direkt nach dem Ende des Krieges 1995 wurde das sogenannte Radic-Programm aufgestellt, benannt nach Jure Radic, dem Minister für Wiederaufbau. Es war der erste Versuch einer Regelung des Bauwesens im neuen Staat. Familien in Kriegsgebieten bekamen günstige Kredite, um ihre zerstörten Häuser wieder aufzubauen. Die standardisierten Haustypen – drei Zimmer, Flur, Küche, Bad – entsprachen, ohne architektonischen Anspruch, rein dem funktionellen Bedarf. Ganze Landstriche wurden damit zugebaut. Der Schaden am Landschaftsbild ist enorm. Der Wiederaufbau in dieser ersten Zeit wurde zwar von korrupten Lokalpolitikern und Bauspekulanten weidlich ausgenutzt – immerhin wurden dabei aber die ersten Grundsteine für ein späteres, programmatisch gut durchdachtes Sozialbauprogramm gelegt.

Die erste Generation

Abseits der Spekulation regten sich auch neue Geister in der damals jungen Architekturszene. Es reifte eine Generation heran, die nicht im Sumpf der Machenschaften versinken wollte, sondern mit frischem Elan eine bessere Welt erträumte. Die Arbeit jener Architekten wie etwa Njiric und Njiric, Randic und Turato, Radonjic und Rako, Zarnic und Oluic bildet den Grundstock für die gegenwärtige Architektur. Der Geist der damaligen Projekte, jetzt immerhin schon 15 Jahre alt, ist in den heutigen Arbeiten immer noch zu spüren.
Es war ein Lichtblick für Kroatien, als Hrvoje und Helena Njiric zwei erste Preise für Europan 3 in Schwerin und Den Bosch gewannen. Aufsehen erregte auch ihr Baumarkt in Maribor. Heute betreiben beide jeweils eigene Büros und setzen mit diesen immer noch bedeutende Akzente. Bojan -Radonjic und Goran Rako verblüfften die internationale Architekturszene, als sie, vor Arata Izosaki, den ersten Preis für ihren Entwurf eines Kulturzentrums im japanischen Nara gewannen. Radonjic war Berlage-Schüler und bildete mit dem immer zu Experimenten aufgelegten Rako ein viel beachtetes Team. Rako wurde vor Kurzem zum Vorsitzenden der kroatischen Architekturvereinigung gewählt, deren Vorsitz die letzten vier Jahre Saša Randic, ebenfalls ein Berlage-Schüler, innehatte.
Das Berlage Institute in Rotterdam spielt auch eine wichtige Rolle in der Ausbildung der neueren Generation. Nicht zuletzt wegen des dortigen Studienleiters Vedran Mimica zieht es viele junge kroatische Architekten dorthin. So verwundert es nicht, dass sich dieser kulturelle Austausch auch im Architekturverständnis der hiesigen Szene festsetzt. In neueren Arbeiten wird oft eine gewisse Leichtigkeit und Unbeschwertheit bemerkbar, obwohl die latente Gefahr besteht, dass dieser Einfluss nur als Form und nicht als Inhalt verstanden und übernommen wird.

Das POS-Programm

POS ist ein Programm des geförderten Wohnbaus, das 2001 unter der Regierung von Ivica Racan und als Fortsetzung des vorhergehenden Programms für Kriegsveteranen aufgelegt wurde. Bestimmten Personenkreisen – Hochschulabgängern, jungen Familien – wurden unter günstigen Bedingungen Wohnungen verkauft. POS zielte hauptsächlich auf kleinere Orte, deren Verwaltungen Grundstücke für die Wohngebäude sicherten; der Staat übernahm die Baukosten und leitete den Verkauf. Durch dieses Programm kamen viele junge Büros zum Zug, und es entstanden einige hervorragende Gebäude, die mit höchsten nationalen Preisen und internationalen Anerkennungen ausgezeichnet wurden. Die Stadtverwaltungen und das Ministerium ließen den Architekten weitgehend freie Hand; allein der vorgegebene Preisrahmen von etwa 600 Euro pro Quadratmeter musste eingehalten werden.
Die neue konservative Regierung veränderte das POS-Programm mehr in Richtung Bauspekulation, das breite architektonische Feedback fehlt jetzt.
Zagreb bildet in dieser Hinsicht ein Spezifikum. Hier werden immer wieder neue Modellversuche gestartet, aber nur halbherzig ausgeführt. Am meisten investieren private Bauherren, die es besonders auf die attraktiven Nordhänge abgesehen haben. Das Planungsrecht sieht hier Gebäude mit höchstens drei Wohnungen und maximaler Bruttonutzfläche von rund 600 Quadratmetern vor. Es entstand ein spezifischer, eklektischer Bautypus: die »urbane Villa«. Viele Einzelversuche wurden gestartet, um dieser Bauaufgabe eine eigene Form zu geben. Erst Hrvoje Njiric gelang 2006 eine preisgekrönte Redefinition.
Ab 2006 wurde ein neues Modell der Bauherrschaft für Großprojekte verabschiedet. Es geht um eine öffentlich-private Partnerschaft, in Kroatien JPP genannt, bei der die Stadtverwaltung als Investor, der private Partner oft als Bauunternehmer auftritt. Der Bau wird dann auf bestimmte Zeit dem Bauherrn überlassen, so zum Beispiel die Sportstätten für die kommende Handball-WM 2009. Große Aufträge werden durch ein besonderes Auslosungsverfahren an Firmen vergeben, die mit einem Architekturbüro assoziiert sind.
Das kroatische Architekturschaffen konzentriert sich mittlerweile nicht mehr nur auf Zagreb allein, sondern verteilt sich auch auf Städte wie Rijeka, Zadar, Split und Dubrovnik an der Küste sowie in Osijek im Landesinneren, was eine gesunde Konkurrenz unter den Architekten fördert.
Bei allem Wollen und Können muss man sich aber hierzulande der Möglichkeiten bewusst bleiben. Der Markt bietet noch nicht die nötige Vielfalt an Materialien, und die Investoren verlangen in aller Regel kostengünstiges Bauen. Man hat es eben mit Kroatien zu tun – das betrifft die Mentalität der Menschen sowie auch die finanzielle Tatkraft. Mit dem nötigen Sinn für die Situation und deren Umsetzung in Architektur lässt sich in den kommenden Jahren noch ein ungeheures Potenzial erschließen.

db, Sa., 2008.03.01



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3LHD
Njirić Hrvoje
Studio UP



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Profil

Architekturstudium in Zagreb
2001 eigenes Büro mit Branimir Rajčić und Petar Misković
2003 – 2004 Mitarbeit bei Bevk Perović, Ljubljana
2005 – 2006 Partner bei Trije arhitekti, Ljubljana, mit Andrej Mercina.
2006 Partner bei AG Planum, Zagreb, mit Marko Cvjetko
2007 Redakteur des Web-Portals des Architekturvereins Zagreb, DAZ

Lehrtätigkeit

2006 Honorarassistent an der Universität Zagreb

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