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23. November 2022Dorothee Vögeli
Neue Zürcher Zeitung

Gas aus Steinkohle für alle Stadtzürcher Haushalte war das Ziel – der Gasometer in Schlieren erinnert an ein Kapitel der Schwerindustrie

In den 1940er Jahren wurden 90 Prozent aller Stadtzürcher Haushalte mit Gas aus Schlieren versorgt. Die Energieanlage mit ihrem imposanten Speicher steht noch.

In den 1940er Jahren wurden 90 Prozent aller Stadtzürcher Haushalte mit Gas aus Schlieren versorgt. Die Energieanlage mit ihrem imposanten Speicher steht noch.

Lange war der 35 Meter hohe Gasometer Schlierens Wahrzeichen. Er gehörte zur einst grössten Energieanlage der Schweiz. Täglich wurden hier 25 000 Kubikmeter Steinkohlegas produziert und vor der Verteilung in riesigen Speichern gelagert. Doch der letzte, von einem Stahlgerüst umfasste Gasbehälter hat Konkurrenz erhalten.

In der ehemaligen Industriegemeinde vor den Toren Zürichs sind Neubauten emporgeschossen. Auf dem Gelände der Leimfabrik Geistlich ist der letzte Hochkamin verschwunden. Um ein Haar hätte dem einzigen Teleskop-Gasometer der Schweiz das Gleiche geblüht.

«Rosthaufen» nannte der Volksmund das Relikt aus der Ära der Grossindustrie. Sogar die verantwortliche Stiftung erwog den Abbruch. Dass der Gasometer nun vorerst gerettet werden konnte, ist Jürg Conzett zu verdanken. Der Bündner ist eine Koryphäe auf dem Gebiet der Ingenieurskunst.

Für den Gasspeicher in Schlieren hat er eine pragmatische und zugleich elegante Lösung entwickelt: Wie ein Regenschirm spannt sich nun ein schwebendes Dach über die fragile Kuppel und bewahrt das undichte Monument vor weiteren Schäden. Kürzlich wurde der Rettungsschirm eingeweiht. Die Kosten von 2,2 Millionen Franken werden aus dem kantonalen Denkmalpflegefonds finanziert.

«Die Technik ist überholt, aber raffiniert»

Jürg Conzett ist Konstruktionsingenieur. Der Bündner schafft Tragwerke für Brücken, aber auch für Häuser. Besonders interessieren ihn alte Bautechniken, in die er sich gerne hineindenkt. Er wird deshalb auch im Kanton Zürich immer wieder zu Rate gezogen. Begleitet hat er zum Beispiel die Renovation des Kongresshauses und der Tonhalle.

Zum Gasometer Schlieren sagt Conzett: «Es ist ein aussergewöhnliches Projekt, weil es europaweit fast keine Teleskop-Gasometer mehr gibt. Ihre Technik ist überholt, aber raffiniert.» Er vergleicht das Bauwerk mit einer Dampflokomotive, die nicht mehr fährt.

Das Besondere an der Konstruktion ist, dass man durch das Stahlgerippe hindurch den Gasbehälter, auch Glocke genannt, sehen kann. Je nach Füllstand fuhr früher der Behälter auf Rollen und Führungsschienen in drei Stufen nach oben, eben wie ein Teleskop. Heute verharrt der Kessel auf der tiefsten Position.

Weil im Gasometer kein Gas mehr gelagert wird, lässt sich im Innern ein acht Meter tiefes, kreisrundes Becken erkunden. Früher war es mit Wasser gefüllt, um den Behälter nach unten abzudichten. Im Winter wurde das Wasser mit Dampf enteist. Auch das Heizhäuschen gibt es noch.

Roger Strub ist stellvertretender kantonaler Denkmalpfleger und Mitglied der Stiftung, die für den Erhalt und Betrieb des Gasometers verantwortlich ist. Er sagt: «Der Gasometer in Schlieren ist einzigartig geworden.» Mit Backsteinen ummauerte Gasspeicher wie in Wien, in die Wohnungen hineingebaut wurden, bezeichnet er als blosse Hüllen. Die ursprüngliche Mechanik sei nicht mehr erhalten.

Aus Steinkohle wurde Gas

Der Schlieremer Gasspeicher stammt aus einer Zeit, als Zürich von einem Tag auf den anderen eine Grossstadt wurde. Das geschah am 1. Januar 1893. Damals wurden elf Vororte eingemeindet. Nicht mehr 28 000, sondern 121 000 Menschen benötigten fortan Trinkwasser und Strom. Es brauchte neue Infrastrukturanlagen.

Für das geplante Gaswerk schien ein Standort etwas ausserhalb der Stadt geeignet. Denn die Umwandlung von Steinkohle zu Koks und Gas war eine ziemlich schmutzige Angelegenheit. Schlieren war auch ideal, weil es einen Eisenbahnanschluss gab, um die Kohle anzuliefern. 1896 entstand dort unter der Leitung des Stadtbaumeisters Arnold Geiser die damals gesamtschweizerisch grösste Energieanlage.

Anfänglich brauchte man das Gas hauptsächlich für die Beleuchtung der Stadt. Erst danach wurde es zunehmend für das Kochen und Heizen verwendet. In den 1940er Jahren waren etwa 90 Prozent aller Haushalte der Stadt der Gasversorgung angeschlossen. Damals strebte man die Vollversorgung aus Eigenproduktion an.

1974 stellte die Stadt Zürich auf Erdgas um. Das Gaswerk wurde stillgelegt. Sämtliche Bauten der Anlage blieben auch nach der Schliessung bestehen. Bis zur Jahrtausendwende nutzte die Erdgas Zürich AG die insgesamt vier Gasometer weiterhin als Speicher. Dann riss sie drei davon ab. Den verbleibenden Gasspeicher verkaufte sie dem Kanton zu einem symbolischen Betrag von einem Franken.

Fortan ging es um Sein oder Nichtsein des denkmalgeschützten Industriedenkmals. Zunächst hatte man hochfliegende Pläne. Kanton und Heimatschutz investierten sechs Millionen Franken in die Sanierung. Ziel war es, nicht nur die Rostschäden zu beheben, sondern auch die Mechanik der Maschine erlebbar zu machen.

Mit Luft- statt mit Gasdruck liess sich dann der Behälter tatsächlich wieder hinauf- und hinunterfahren. Doch die Freude währte kurz. Schon bald wurde klar, dass das Wasserbecken undicht war und die neuen Beschichtungen bereits wieder abzublättern begannen. Das mit Licht effektvoll inszenierte Schauspiel liess sich nur während zweier Jahre mitverfolgen. 2007 stellte die Stiftung Gasometer den Betrieb des in Kleingruppen begehbaren Museums ein.

Lange blieb die Zukunft des Gasometers ungewiss. Aus Kostengründen begruben die Verantwortlichen schliesslich den Traum, den Gasometer wieder als bewegliche Maschine instand zu stellen. Derweil nagte der Rost weiter. Das nötigte die Stiftung, verschiedene Szenarien ernsthaft zu prüfen. Auch die Option eines kontrollierten Verfalls.

Das ganze Gaswerk gibt es noch

Als Jürg Conzett vor acht Jahren nach Schlieren reiste, um den Patienten unter die Lupe zu nehmen, war er zunächst beeindruckt von der Gesamtanlage. Das ehemalige Gaswerk mit all seinen Bauten ist im Inventar der schützenswerten Ortsbilder der Schweiz. Dazu gehören eine Arbeitersiedlung, eine Direktorenvilla und zahlreiche Produktionsgebäude.

Erhalten sind ein Maschinenhaus mit einer funktionstüchtigen Sulzer-Dampfmaschine, ein Wasserturm und ein Apparatehaus. Darin wurde das aus der Steinkohle entwichene Gas von Fremdstoffen gereinigt, bevor es ins Netz abgegeben wurde. Und es gibt ein Uhren- und Reglerhaus. Darin mass man, wie viele Kubikmeter Gas erzeugt und in die Leitungen abgegeben wurden.

Verschwunden ist hingegen die Halle mit den Öfen, in denen die Steinkohle verbrannt wurde. Überlebt hat aber die riesige Halle, in der das Koks – ein weiteres Endprodukt des Verbrennungsprozesses – gelagert wurde. Und der Gasometer, das markante Sinnbild des historischen Ensembles. Für Conzett war dessen Rettung auch deshalb das Gebot der Stunde.

Seine Diagnose: Das eindringende Regenwasser ist die Ursache des Korrosionsproblems. Brennt die Sonne auf das Kesseldach, entwickelt sich im Innern Dampf, der die Metallkonstruktion beschädigt und Löcher ins dünne Blech der Glocke frisst. Regenwasser rinnt zudem durch den Ringspalt am unteren Rand der Glocke ins Innere.

Conzett konzipierte zunächst einen möglichst kleinen Schutzschirm über dem Dach der Kuppel. Als er den Vorschlag dem Denkmalpfleger Roger Strub präsentierte, fragte dieser: «Könnten Sie das Dach nicht so weit auskragen lassen, dass es die Übergangsstelle des Teleskops noch besser schützt?» Conzett staunte – sichtbare Eingriffe sind normalerweise bei Denkmalschützern verpönt.

Noch so gern nahm er den Ball auf und entwarf eine ausladende hölzerne Tragkonstruktion mit einem Durchmesser von 56,5 Metern. Darüber spannen sich Membrane aus Polyestergewebe. Trotz Schutzschirm ist das Bauwerk nicht vollständig gesichert. Laut Conzett könnten gewisse Korrosionsprozesse langsam weiterlaufen. Sie seien zu beobachten, um allenfalls darauf reagieren zu können. Der Ingenieur ist aber zuversichtlich, dass sich der Gasometer nun längerfristig erhalten lässt.

Die Zugänglichkeit wird ein Thema

Gibt es Pläne für ein Museum? Oder für eine Kulturstätte wie im Gasometer im deutschen Oberhausen? Der stellvertretende Denkmalpfleger winkt ab. Publikumsintensive Nutzungen seien undenkbar, sagt er. Derzeit sind nur an einzelnen Tagen pro Jahr Besichtigungen möglich. Im Rahmen von Open House Zürich oder am europäischen Tag des Denkmals. «Die Zugänglichkeit wird aber in der Stiftung ein Thema werden», sagt Strub.

In Zusammenarbeit mit dem Gasi-Museum, das sich im ehemaligen Maschinenhaus befindet, lasse sich die Öffnung bestimmt «etwas intensivieren». Aus sicherheitstechnischen Gründen seien aber auch künftig grosse Personengruppen keine Option. «Veranstaltungen mit 200 Leuten sind wegen fehlender Fluchtwege nicht möglich.» Gleichwohl schliesst Strub kulturelle Nutzungen nicht aus. «Künstlerische Interventionen wie etwa die Produktion von Videos, die sich reproduzieren lassen, sollen im Gaskessel wie früher weiterhin möglich sein.»

Trotz feuerpolizeilichen Auflagen sieht Conzett mehr Potenzial. «Aber die Zeit ist noch nicht reif», sagt er. Und selbst wenn nichts passiert, hat sich seines Erachtens der Aufwand gelohnt: «Auch ein leeres Bauwerk hat einen Sinn.»

Neue Zürcher Zeitung, Mi., 2022.11.23

30. September 2022Dorothee Vögeli
Neue Zürcher Zeitung

Die Limmat soll aus ihrem Korsett befreit werden – für die Lancierung eines grossen Renaturierungsprojekts reist der Baudirektor auf dem Wasserweg an

Zwischen der Zürcher Stadtgrenze und Schlieren bietet die Limmat ein monotones Bild. Nun soll der Fluss wieder mehr Raum erhalten und auch für Erholungsuchende attraktiver werden.

Zwischen der Zürcher Stadtgrenze und Schlieren bietet die Limmat ein monotones Bild. Nun soll der Fluss wieder mehr Raum erhalten und auch für Erholungsuchende attraktiver werden.

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24. Juni 2022Dorothee Vögeli
Neue Zürcher Zeitung

Stararchitekt Santiago Calatrava baut auf der ganzen Welt – und vielleicht bald auch in Eglisau

Von Argentinien bis in den Mittleren Osten hat Santiago Calatrava eindrückliche Brücken gebaut. Sein neuster Wurf soll den Rhein bei Eglisau überspannen.

Von Argentinien bis in den Mittleren Osten hat Santiago Calatrava eindrückliche Brücken gebaut. Sein neuster Wurf soll den Rhein bei Eglisau überspannen.

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17. September 2021Dorothee Vögeli
Neue Zürcher Zeitung

Die rote Bahn von Zürich rumpelt wieder zur Polyterrasse hinauf – neu auch sonntags

Das Polybähnli ist aus Zürichs Stadtbild nicht wegzudenken. Trotzdem wäre es einst fast für immer verschwunden. Mit der eben vollendeten Gesamtsanierung setzen die Verantwortlichen ein wichtiges Zeichen.

Das Polybähnli ist aus Zürichs Stadtbild nicht wegzudenken. Trotzdem wäre es einst fast für immer verschwunden. Mit der eben vollendeten Gesamtsanierung setzen die Verantwortlichen ein wichtiges Zeichen.

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31. August 2021Dorothee Vögeli
Neue Zürcher Zeitung

«Das heutige Publikum möchte im Museum filmen und posten» – die neue Betreiberin der Tonhalle Maag setzt auf eine Weltpremiere mit Frida Kahlo

Ein Beamer-Test in der ehemaligen Tonhalle Maag in Zürich zeigt, was es mit der immersiven Kunst auf sich hat. Ab 22. September sollen dort die Besucher in Frida Kahlos Bildwelten herumspazieren können.

Ein Beamer-Test in der ehemaligen Tonhalle Maag in Zürich zeigt, was es mit der immersiven Kunst auf sich hat. Ab 22. September sollen dort die Besucher in Frida Kahlos Bildwelten herumspazieren können.

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verknüpfte Bauwerke
Tonhalle Maag

17. Juni 2021Dorothee Vögeli
Neue Zürcher Zeitung

Die restaurierte Tonhalle ist besser, als sie jemals war

Nur schon die aufgefrischten Farben bringen die Tonhalle Zürich zum Klingen. Freude herrscht!

Nur schon die aufgefrischten Farben bringen die Tonhalle Zürich zum Klingen. Freude herrscht!

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29. September 2020Dorothee Vögeli
Neue Zürcher Zeitung

Höhere Hürden für den Seebahnpark – Kanton und Stadt Zürich erweitern Schutzinventar für SBB-Bauten

Insgesamt 53 SBB-Bauten auf Stadtzürcher Boden sind neu im Inventar schützenswerter Objekte aufgeführt. Der Seebahneinschnitt gehört dazu. Ist damit der Traum einer Überdeckung obsolet?

Insgesamt 53 SBB-Bauten auf Stadtzürcher Boden sind neu im Inventar schützenswerter Objekte aufgeführt. Der Seebahneinschnitt gehört dazu. Ist damit der Traum einer Überdeckung obsolet?

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18. August 2020Dorothee Vögeli
Neue Zürcher Zeitung

Leben auf engem Raum und ohne Auto – weshalb trotzdem so viele das Wohnexperiment im Zürcher Zollhaus wagen wollen

Im Zürcher Zollhaus erprobt die Genossenschaft Kalkbreite neue Wohnformen auch im Alter. Künftige Bewohnerinnen und Bewohner erzählen, was sie am Experiment reizt.

Im Zürcher Zollhaus erprobt die Genossenschaft Kalkbreite neue Wohnformen auch im Alter. Künftige Bewohnerinnen und Bewohner erzählen, was sie am Experiment reizt.

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Presseschau 12

23. November 2022Dorothee Vögeli
Neue Zürcher Zeitung

Gas aus Steinkohle für alle Stadtzürcher Haushalte war das Ziel – der Gasometer in Schlieren erinnert an ein Kapitel der Schwerindustrie

In den 1940er Jahren wurden 90 Prozent aller Stadtzürcher Haushalte mit Gas aus Schlieren versorgt. Die Energieanlage mit ihrem imposanten Speicher steht noch.

In den 1940er Jahren wurden 90 Prozent aller Stadtzürcher Haushalte mit Gas aus Schlieren versorgt. Die Energieanlage mit ihrem imposanten Speicher steht noch.

Lange war der 35 Meter hohe Gasometer Schlierens Wahrzeichen. Er gehörte zur einst grössten Energieanlage der Schweiz. Täglich wurden hier 25 000 Kubikmeter Steinkohlegas produziert und vor der Verteilung in riesigen Speichern gelagert. Doch der letzte, von einem Stahlgerüst umfasste Gasbehälter hat Konkurrenz erhalten.

In der ehemaligen Industriegemeinde vor den Toren Zürichs sind Neubauten emporgeschossen. Auf dem Gelände der Leimfabrik Geistlich ist der letzte Hochkamin verschwunden. Um ein Haar hätte dem einzigen Teleskop-Gasometer der Schweiz das Gleiche geblüht.

«Rosthaufen» nannte der Volksmund das Relikt aus der Ära der Grossindustrie. Sogar die verantwortliche Stiftung erwog den Abbruch. Dass der Gasometer nun vorerst gerettet werden konnte, ist Jürg Conzett zu verdanken. Der Bündner ist eine Koryphäe auf dem Gebiet der Ingenieurskunst.

Für den Gasspeicher in Schlieren hat er eine pragmatische und zugleich elegante Lösung entwickelt: Wie ein Regenschirm spannt sich nun ein schwebendes Dach über die fragile Kuppel und bewahrt das undichte Monument vor weiteren Schäden. Kürzlich wurde der Rettungsschirm eingeweiht. Die Kosten von 2,2 Millionen Franken werden aus dem kantonalen Denkmalpflegefonds finanziert.

«Die Technik ist überholt, aber raffiniert»

Jürg Conzett ist Konstruktionsingenieur. Der Bündner schafft Tragwerke für Brücken, aber auch für Häuser. Besonders interessieren ihn alte Bautechniken, in die er sich gerne hineindenkt. Er wird deshalb auch im Kanton Zürich immer wieder zu Rate gezogen. Begleitet hat er zum Beispiel die Renovation des Kongresshauses und der Tonhalle.

Zum Gasometer Schlieren sagt Conzett: «Es ist ein aussergewöhnliches Projekt, weil es europaweit fast keine Teleskop-Gasometer mehr gibt. Ihre Technik ist überholt, aber raffiniert.» Er vergleicht das Bauwerk mit einer Dampflokomotive, die nicht mehr fährt.

Das Besondere an der Konstruktion ist, dass man durch das Stahlgerippe hindurch den Gasbehälter, auch Glocke genannt, sehen kann. Je nach Füllstand fuhr früher der Behälter auf Rollen und Führungsschienen in drei Stufen nach oben, eben wie ein Teleskop. Heute verharrt der Kessel auf der tiefsten Position.

Weil im Gasometer kein Gas mehr gelagert wird, lässt sich im Innern ein acht Meter tiefes, kreisrundes Becken erkunden. Früher war es mit Wasser gefüllt, um den Behälter nach unten abzudichten. Im Winter wurde das Wasser mit Dampf enteist. Auch das Heizhäuschen gibt es noch.

Roger Strub ist stellvertretender kantonaler Denkmalpfleger und Mitglied der Stiftung, die für den Erhalt und Betrieb des Gasometers verantwortlich ist. Er sagt: «Der Gasometer in Schlieren ist einzigartig geworden.» Mit Backsteinen ummauerte Gasspeicher wie in Wien, in die Wohnungen hineingebaut wurden, bezeichnet er als blosse Hüllen. Die ursprüngliche Mechanik sei nicht mehr erhalten.

Aus Steinkohle wurde Gas

Der Schlieremer Gasspeicher stammt aus einer Zeit, als Zürich von einem Tag auf den anderen eine Grossstadt wurde. Das geschah am 1. Januar 1893. Damals wurden elf Vororte eingemeindet. Nicht mehr 28 000, sondern 121 000 Menschen benötigten fortan Trinkwasser und Strom. Es brauchte neue Infrastrukturanlagen.

Für das geplante Gaswerk schien ein Standort etwas ausserhalb der Stadt geeignet. Denn die Umwandlung von Steinkohle zu Koks und Gas war eine ziemlich schmutzige Angelegenheit. Schlieren war auch ideal, weil es einen Eisenbahnanschluss gab, um die Kohle anzuliefern. 1896 entstand dort unter der Leitung des Stadtbaumeisters Arnold Geiser die damals gesamtschweizerisch grösste Energieanlage.

Anfänglich brauchte man das Gas hauptsächlich für die Beleuchtung der Stadt. Erst danach wurde es zunehmend für das Kochen und Heizen verwendet. In den 1940er Jahren waren etwa 90 Prozent aller Haushalte der Stadt der Gasversorgung angeschlossen. Damals strebte man die Vollversorgung aus Eigenproduktion an.

1974 stellte die Stadt Zürich auf Erdgas um. Das Gaswerk wurde stillgelegt. Sämtliche Bauten der Anlage blieben auch nach der Schliessung bestehen. Bis zur Jahrtausendwende nutzte die Erdgas Zürich AG die insgesamt vier Gasometer weiterhin als Speicher. Dann riss sie drei davon ab. Den verbleibenden Gasspeicher verkaufte sie dem Kanton zu einem symbolischen Betrag von einem Franken.

Fortan ging es um Sein oder Nichtsein des denkmalgeschützten Industriedenkmals. Zunächst hatte man hochfliegende Pläne. Kanton und Heimatschutz investierten sechs Millionen Franken in die Sanierung. Ziel war es, nicht nur die Rostschäden zu beheben, sondern auch die Mechanik der Maschine erlebbar zu machen.

Mit Luft- statt mit Gasdruck liess sich dann der Behälter tatsächlich wieder hinauf- und hinunterfahren. Doch die Freude währte kurz. Schon bald wurde klar, dass das Wasserbecken undicht war und die neuen Beschichtungen bereits wieder abzublättern begannen. Das mit Licht effektvoll inszenierte Schauspiel liess sich nur während zweier Jahre mitverfolgen. 2007 stellte die Stiftung Gasometer den Betrieb des in Kleingruppen begehbaren Museums ein.

Lange blieb die Zukunft des Gasometers ungewiss. Aus Kostengründen begruben die Verantwortlichen schliesslich den Traum, den Gasometer wieder als bewegliche Maschine instand zu stellen. Derweil nagte der Rost weiter. Das nötigte die Stiftung, verschiedene Szenarien ernsthaft zu prüfen. Auch die Option eines kontrollierten Verfalls.

Das ganze Gaswerk gibt es noch

Als Jürg Conzett vor acht Jahren nach Schlieren reiste, um den Patienten unter die Lupe zu nehmen, war er zunächst beeindruckt von der Gesamtanlage. Das ehemalige Gaswerk mit all seinen Bauten ist im Inventar der schützenswerten Ortsbilder der Schweiz. Dazu gehören eine Arbeitersiedlung, eine Direktorenvilla und zahlreiche Produktionsgebäude.

Erhalten sind ein Maschinenhaus mit einer funktionstüchtigen Sulzer-Dampfmaschine, ein Wasserturm und ein Apparatehaus. Darin wurde das aus der Steinkohle entwichene Gas von Fremdstoffen gereinigt, bevor es ins Netz abgegeben wurde. Und es gibt ein Uhren- und Reglerhaus. Darin mass man, wie viele Kubikmeter Gas erzeugt und in die Leitungen abgegeben wurden.

Verschwunden ist hingegen die Halle mit den Öfen, in denen die Steinkohle verbrannt wurde. Überlebt hat aber die riesige Halle, in der das Koks – ein weiteres Endprodukt des Verbrennungsprozesses – gelagert wurde. Und der Gasometer, das markante Sinnbild des historischen Ensembles. Für Conzett war dessen Rettung auch deshalb das Gebot der Stunde.

Seine Diagnose: Das eindringende Regenwasser ist die Ursache des Korrosionsproblems. Brennt die Sonne auf das Kesseldach, entwickelt sich im Innern Dampf, der die Metallkonstruktion beschädigt und Löcher ins dünne Blech der Glocke frisst. Regenwasser rinnt zudem durch den Ringspalt am unteren Rand der Glocke ins Innere.

Conzett konzipierte zunächst einen möglichst kleinen Schutzschirm über dem Dach der Kuppel. Als er den Vorschlag dem Denkmalpfleger Roger Strub präsentierte, fragte dieser: «Könnten Sie das Dach nicht so weit auskragen lassen, dass es die Übergangsstelle des Teleskops noch besser schützt?» Conzett staunte – sichtbare Eingriffe sind normalerweise bei Denkmalschützern verpönt.

Noch so gern nahm er den Ball auf und entwarf eine ausladende hölzerne Tragkonstruktion mit einem Durchmesser von 56,5 Metern. Darüber spannen sich Membrane aus Polyestergewebe. Trotz Schutzschirm ist das Bauwerk nicht vollständig gesichert. Laut Conzett könnten gewisse Korrosionsprozesse langsam weiterlaufen. Sie seien zu beobachten, um allenfalls darauf reagieren zu können. Der Ingenieur ist aber zuversichtlich, dass sich der Gasometer nun längerfristig erhalten lässt.

Die Zugänglichkeit wird ein Thema

Gibt es Pläne für ein Museum? Oder für eine Kulturstätte wie im Gasometer im deutschen Oberhausen? Der stellvertretende Denkmalpfleger winkt ab. Publikumsintensive Nutzungen seien undenkbar, sagt er. Derzeit sind nur an einzelnen Tagen pro Jahr Besichtigungen möglich. Im Rahmen von Open House Zürich oder am europäischen Tag des Denkmals. «Die Zugänglichkeit wird aber in der Stiftung ein Thema werden», sagt Strub.

In Zusammenarbeit mit dem Gasi-Museum, das sich im ehemaligen Maschinenhaus befindet, lasse sich die Öffnung bestimmt «etwas intensivieren». Aus sicherheitstechnischen Gründen seien aber auch künftig grosse Personengruppen keine Option. «Veranstaltungen mit 200 Leuten sind wegen fehlender Fluchtwege nicht möglich.» Gleichwohl schliesst Strub kulturelle Nutzungen nicht aus. «Künstlerische Interventionen wie etwa die Produktion von Videos, die sich reproduzieren lassen, sollen im Gaskessel wie früher weiterhin möglich sein.»

Trotz feuerpolizeilichen Auflagen sieht Conzett mehr Potenzial. «Aber die Zeit ist noch nicht reif», sagt er. Und selbst wenn nichts passiert, hat sich seines Erachtens der Aufwand gelohnt: «Auch ein leeres Bauwerk hat einen Sinn.»

Neue Zürcher Zeitung, Mi., 2022.11.23

30. September 2022Dorothee Vögeli
Neue Zürcher Zeitung

Die Limmat soll aus ihrem Korsett befreit werden – für die Lancierung eines grossen Renaturierungsprojekts reist der Baudirektor auf dem Wasserweg an

Zwischen der Zürcher Stadtgrenze und Schlieren bietet die Limmat ein monotones Bild. Nun soll der Fluss wieder mehr Raum erhalten und auch für Erholungsuchende attraktiver werden.

Zwischen der Zürcher Stadtgrenze und Schlieren bietet die Limmat ein monotones Bild. Nun soll der Fluss wieder mehr Raum erhalten und auch für Erholungsuchende attraktiver werden.

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24. Juni 2022Dorothee Vögeli
Neue Zürcher Zeitung

Stararchitekt Santiago Calatrava baut auf der ganzen Welt – und vielleicht bald auch in Eglisau

Von Argentinien bis in den Mittleren Osten hat Santiago Calatrava eindrückliche Brücken gebaut. Sein neuster Wurf soll den Rhein bei Eglisau überspannen.

Von Argentinien bis in den Mittleren Osten hat Santiago Calatrava eindrückliche Brücken gebaut. Sein neuster Wurf soll den Rhein bei Eglisau überspannen.

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17. September 2021Dorothee Vögeli
Neue Zürcher Zeitung

Die rote Bahn von Zürich rumpelt wieder zur Polyterrasse hinauf – neu auch sonntags

Das Polybähnli ist aus Zürichs Stadtbild nicht wegzudenken. Trotzdem wäre es einst fast für immer verschwunden. Mit der eben vollendeten Gesamtsanierung setzen die Verantwortlichen ein wichtiges Zeichen.

Das Polybähnli ist aus Zürichs Stadtbild nicht wegzudenken. Trotzdem wäre es einst fast für immer verschwunden. Mit der eben vollendeten Gesamtsanierung setzen die Verantwortlichen ein wichtiges Zeichen.

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31. August 2021Dorothee Vögeli
Neue Zürcher Zeitung

«Das heutige Publikum möchte im Museum filmen und posten» – die neue Betreiberin der Tonhalle Maag setzt auf eine Weltpremiere mit Frida Kahlo

Ein Beamer-Test in der ehemaligen Tonhalle Maag in Zürich zeigt, was es mit der immersiven Kunst auf sich hat. Ab 22. September sollen dort die Besucher in Frida Kahlos Bildwelten herumspazieren können.

Ein Beamer-Test in der ehemaligen Tonhalle Maag in Zürich zeigt, was es mit der immersiven Kunst auf sich hat. Ab 22. September sollen dort die Besucher in Frida Kahlos Bildwelten herumspazieren können.

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verknüpfte Bauwerke
Tonhalle Maag

17. Juni 2021Dorothee Vögeli
Neue Zürcher Zeitung

Die restaurierte Tonhalle ist besser, als sie jemals war

Nur schon die aufgefrischten Farben bringen die Tonhalle Zürich zum Klingen. Freude herrscht!

Nur schon die aufgefrischten Farben bringen die Tonhalle Zürich zum Klingen. Freude herrscht!

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29. September 2020Dorothee Vögeli
Neue Zürcher Zeitung

Höhere Hürden für den Seebahnpark – Kanton und Stadt Zürich erweitern Schutzinventar für SBB-Bauten

Insgesamt 53 SBB-Bauten auf Stadtzürcher Boden sind neu im Inventar schützenswerter Objekte aufgeführt. Der Seebahneinschnitt gehört dazu. Ist damit der Traum einer Überdeckung obsolet?

Insgesamt 53 SBB-Bauten auf Stadtzürcher Boden sind neu im Inventar schützenswerter Objekte aufgeführt. Der Seebahneinschnitt gehört dazu. Ist damit der Traum einer Überdeckung obsolet?

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18. August 2020Dorothee Vögeli
Neue Zürcher Zeitung

Leben auf engem Raum und ohne Auto – weshalb trotzdem so viele das Wohnexperiment im Zürcher Zollhaus wagen wollen

Im Zürcher Zollhaus erprobt die Genossenschaft Kalkbreite neue Wohnformen auch im Alter. Künftige Bewohnerinnen und Bewohner erzählen, was sie am Experiment reizt.

Im Zürcher Zollhaus erprobt die Genossenschaft Kalkbreite neue Wohnformen auch im Alter. Künftige Bewohnerinnen und Bewohner erzählen, was sie am Experiment reizt.

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14. Januar 2020Dorothee Vögeli
Neue Zürcher Zeitung

Baden erhält den Wakker-Preis – aber nicht für seine namengebenden Bäder

Baden geht aus Sicht des Schweizer Heimatschutzes vorbildlich mit öffentlichen Freiräumen um. Er verleiht deshalb der Kleinstadt an der Limmat den Wakker-Preis 2020.

Baden geht aus Sicht des Schweizer Heimatschutzes vorbildlich mit öffentlichen Freiräumen um. Er verleiht deshalb der Kleinstadt an der Limmat den Wakker-Preis 2020.

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14. Januar 2020Dorothee Vögeli
Neue Zürcher Zeitung

Der Wakker-Preis nimmt Baden in die Pflicht

Es gibt gute Gründe, Badens Engagement für den öffentlichen Freiraum genau jetzt zu honorieren. Der Wakkerpreis stösst eine wichtige Debatte an.

Es gibt gute Gründe, Badens Engagement für den öffentlichen Freiraum genau jetzt zu honorieren. Der Wakkerpreis stösst eine wichtige Debatte an.

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30. Dezember 2019Dorothee Vögeli
Neue Zürcher Zeitung

Max Vogt hat mit Bahnbauten aus rohem Beton Architekturgeschichte geschrieben

Rund zweihundert SBB-Bauten hat der Zürcher Max Vogt in der Nordostschweiz entworfen. Nun ist der legendäre Hausarchitekt der Schweizerischen Bundesbahnen gestorben.

Rund zweihundert SBB-Bauten hat der Zürcher Max Vogt in der Nordostschweiz entworfen. Nun ist der legendäre Hausarchitekt der Schweizerischen Bundesbahnen gestorben.

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18. September 2019Dorothee Vögeli
Neue Zürcher Zeitung

Wofür könnte das Zürcher Schlachthof-Areal auch noch gut sein?

Die Zukunft des Zürcher Schlachthofs ist bis 2029 gesichert. Was danach mit dem Areal passieren soll, evaluiert nun die Stadt im Austausch mit Ankermietern und Interessenverbänden.

Die Zukunft des Zürcher Schlachthofs ist bis 2029 gesichert. Was danach mit dem Areal passieren soll, evaluiert nun die Stadt im Austausch mit Ankermietern und Interessenverbänden.

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28. August 2019Dorothee Vögeli
Neue Zürcher Zeitung

In Schlierens Mitte wartet jetzt ein Strassenstummel auf neues Leben

Marken wie der Schindler-Lift haben Schlieren gross gemacht. Doch dann versank der stolze Industriestandort in tiefe Depression. Schon länger hat sich das Blatt gewendet – nicht nur dank der Limmattalbahn, die am Freitag offiziell eröffnet wird.

Marken wie der Schindler-Lift haben Schlieren gross gemacht. Doch dann versank der stolze Industriestandort in tiefe Depression. Schon länger hat sich das Blatt gewendet – nicht nur dank der Limmattalbahn, die am Freitag offiziell eröffnet wird.

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09. August 2019Dorothee Vögeli
Neue Zürcher Zeitung

Ein Zürcher Wohnkoloss ist am Ende seiner Geschichte angelangt, nun hofft das einstige Arbeiterviertel auf eine «grüne» Zukunft

Zwei Wohnbaugenossenschaften planen an der Zürcher Seebahnstrasse Ersatzneubauten für 1000 Bewohner. Noch geniessen dort Studierende und Lehrlinge das Flair der 1930er Jahre – aber nicht mehr lange.

Zwei Wohnbaugenossenschaften planen an der Zürcher Seebahnstrasse Ersatzneubauten für 1000 Bewohner. Noch geniessen dort Studierende und Lehrlinge das Flair der 1930er Jahre – aber nicht mehr lange.

Eines ist sicher: Irgendwann wird Lena Conrad zurückkommen ins Quartier rund um den Zürcher Bullingerplatz. Nach dem Vorbild von Wien und Berlin sind hier in der Zwischenkriegszeit breite Alleen entstanden, die ein Ensemble von Wohnhöfen säumen. Die «Kolonien», wie die gemeinnützigen Wohnsiedlungen des roten Zürich genannt werden, zählen zu den grössten und besterhaltenen Europas. Eine davon ist die Blockrandbebauung der Baugenossenschaft des eidgenössischen Personals (BEP) an der Seebahnstrasse. Ihr Markenzeichen ist ein weitläufiger Innenhof, der an einen englischen Park erinnert. Weit weg ist der Lärm der Transitachse, die vor den Haustüren vorbeiführt. Im Gras zirpen Grillen, in den Baumkronen zwitschern Vögel. Manchmal hat sich Lena auf der Wiese niedergelassen und Texte gelernt.

Während ihrer Ausbildung zur Schauspielerin bewohnte sie in der Seebahn-Siedlung ein WG-Zimmer für monatlich 470 Franken. Nun hat sie die Zügelkisten gepackt; ein Theater in Brandenburg hat die 28-Jährige engagiert. Bevor sie geht, schmückt sie die Wäschestangen auf dem Dach für die Abschiedsparty. Mit Wehmut. Denn sie weiss, dass sie hier höchstens noch Besucherin, aber nie mehr Bewohnerin sein wird: Die BEP wird die Siedlung abbrechen und hat die 113 Wohnungen dem Jugendwohnnetz (Juwo) zur Zwischennutzung übergeben. Dieses hat klare Kriterien: Wer in seine Liegenschaften zieht, darf höchstens 28 Jahre alt sein und muss eine Ausbildung absolvieren.

Ein Kameramann geht durch den Hof – das Ambiente aus den 1930er Jahren spricht nicht nur Studierende an, auch das Schweizer Fernsehen hat den Ort als Drehkulisse entdeckt. Die Küchenloggien, Parkett- und Terrazzoböden, die Einbauschränke oder auch die Sprossenfenster in den Treppenhäusern stammen aus der Zeit, als hier noch Arbeiterfamilien lebten. Viele hatten zuvor in Mietskasernen ohne Bad, mit Holzherden und in zum Teil fensterlosen Räumen gehaust. Jetzt erlebten sie einen Quantensprung, nicht nur bezüglich Licht und Begrünung: Ausser einer zentralen Heizung und Warmwasserversorgung standen ihnen in der Wohnkolonie Seebahn erstmals elektrische Waschmaschinen zur Verfügung – moderne Einrichtungen, wie sie vorher nur im gehobenen Wohnungsbau zu finden waren.

Ohne «Knigge» geht es nicht

Vorbei waren also die Zeiten holzgefeuerter Kessel und Tröge, die Ära der Aufwertung der Waschküchen war angebrochen: Die vom BEP-Architekten Pietro Giumini konzipierten «Waschsalons» und Trockenräume befinden sich noch heute im Dachstock mit Sicht in den Hof. Verbunden sind sie über grosse Dachterrassen, die nicht nur dem Aufhängen der Wäsche, sondern bereits damals auch der Erholung dienten. Für die heutigen Bewohnerinnen und Bewohner sind die Terrassen vor allem ein Treffpunkt. Das hat auch schon zu Lärmklagen geführt. Inzwischen hat eine Gruppe junger Männer die Verantwortung für die allgemeinen Räume übernommen, an einschlägigen Orten prangt auf gelbem Papier ein gut sichtbarer «Knigge». In Anbetracht der hohen Dichte junger Menschen – 275 Bewohnerinnen und Bewohner leben in der Kolonie Seebahn – laufe es sehr gut, sagt Patrik Suter, CEO der gemeinnützigen Organisation Juwo.

Die Kolonie Seebahn ist 1930 entstanden, kurz nach der 1927 abgeschlossenen Tieferlegung der Bahnlinie vom Güterbahnhof zum Bahnhof Wiedikon. Der neu geschaffene Seebahngraben beseitigte die Warterei vor den Barrieren der vorher auf Strassenniveau geführten Zuggleise. Nun wurde das Kulturland Sihlfeld zum Bauland, auf dem die Stadt und diverse Genossenschaften Wohnraum für die rasch wachsende Arbeiterschaft schufen. 1927/28 baute die Stadt zwischen der neuen Stauffacherbrücke und der Hohlstrasse den Erismannhof mit 169 Wohnungen. 1929 erstellte die Allgemeine Baugenossenschaft Zürich (ABZ) nach Plänen von Otto Streicher (1887–1968) die wuchtige Kolonie Sihlfeld mit 147 Wohnungen. Dieses an den Bullingerplatz grenzende, rot verputzte Vorzeigestück der ABZ hat Wilhelm Hartung (1879–1957) mit Dutzenden von Wandbildern bemalt. An prominenter Stelle befindet sich heute das Café du Bonheur, ein beliebter Treffpunkt für Menschen aus dem ganzen Quartier.

1930 realisierte die ABZ – unmittelbar neben der BEP-Siedlung – die ebenfalls von Otto Streicher entworfene Kolonie Kanzleistrasse. Wiederum war Wilhelm Hartung für den Freskenschmuck zuständig. Erfolglos kämpfte der Heimatschutz gegen die Entlassung der beiden Wohnhöfe aus dem Schutzinventar. Vor zwei Jahren lehnte das Verwaltungsgericht die Beschwerden ab, weil im Bullingerquartier bereits mehrere typische Beispiele unter Denkmalschutz stehen. Inzwischen überarbeiten ABZ und BEP ihre Ersatzneubauprojekte. Als Nächstes folgt der gemeinsame Gestaltungsplan Seebahnhöfe, den das Gemeindeparlament bewilligen muss. Danach reichen die Genossenschaften die Baugesuche ein. Der Mediensprecher Mike Weibel rechnet frühstens 2023 mit dem Baubeginn.

Der Gärtner ist weiterhin im Einsatz

Das Fernsehteam packt seine Sachen, ein junger Mann hat sich auf einem Liegestuhl im Hof niedergelassen. Oben auf der Terrasse geniesst eine Studentin den weiten Blick zum Lochergut und zum Üetliberg, die Sonne versinkt zwischen den Hardtürmen in einer Wolkenwand. Die 23-Jährige ist eben erst eingezogen. Immerhin bleiben ihr noch mindestens dreieinhalb Jahre am «schönsten Ort, an dem ich je wohnte», wie sie sagt. Dass direkt unter ihrem Balkon die Lastwagen vorbeifahren, beeinflusst diese Gewissheit nicht. Auch der Verkehrslärm und das metallische Surren der Bahn gehören für sie zum urbanen Lebensgefühl. Den Charme einer Abbruchliegenschaft umschreibt sie so: «Wir haben das Glück, an einem Ort zu leben, wo während fast 100 Jahren unterschiedliche Menschen gewohnt haben. Wir beenden ihre Geschichten und die Geschichte dieser Siedlung.»

Obwohl das Ende naht, pflegt ein Gärtner nach wie vor die wuchernde Natur im Hof und die Vorgärten an der Seebahnstrasse. Die Verwalterin sorgt zudem dafür, dass die Siedlung sicher und funktionstüchtig bleibt, wie Weibel sagt. Die Zusammenarbeit mit dem Juwo funktioniere bestens, gegenüber der jungen Bewohnerschaft wolle man nicht pingelig sein. Diese nutzt die Seebahn-Facebook-Gruppe gerne auch zur Selbsthilfe: «Hat vielleicht noch jemand weisse Farbe für die Wände übrig?», heisst es zum Beispiel.

Die Frage, was in dreieinhalb Jahren sein wird, hängt manchmal wie eine dunkle Wolke über den jungen Bewohnern. Wie stehen sie dann im Leben? Was geschieht mit dem Innenhof? Lena Conrads Antwort ist nicht frei von Pathos: «Sollte der Park verschwinden, wäre ich bereit, mich an einen Baum zu ketten.» Der Umgang mit dem alten Baumbestand nehmen die Bauherren allerdings nicht auf die leichte Schulter: BEP wie ABZ planen wiederum geschlossene Blockrandbauten mit grosszügigen Innenhöfen. Die ABZ kann sogar ihre ursprüngliche Idee eines einzigen grossen freien Innenraums realisieren: 193o hatte die Stadt der Genossenschaft noch die Bewilligung von fünf Etagen verweigert. Die Reduktion des Blockrands auf vier Geschosse hatte einen Gebäuderiegel mitten im Hof zur Folge – anders liessen sich die Mieten nicht tief halten.

Das aus einem Wettbewerb hervorgegangene Siegerprojekt von Müller Sigrist Architekten und Westpol soll nun fünf- bis siebenstöckig werden. Dadurch lässt sich die Zahl der ABZ-Wohnungen von bisher 156 auf 205 erhöhen und eine zusammenhängende Freifläche im Innern schaffen. Diese werden einige besonders prächtige Bäume schmücken, die aus Schutzgründen nicht gefällt werden dürfen. Auch das von Harder Spreyermann Architekten konzipierte Siegerprojekt der BEP wird maximal siebengeschossig. Die Zahl der Wohnungen erhöht sich von 113 auf 146, die Balkone gruppieren sich ebenfalls um einen Innenhof. Laut Weibel wird dessen Fläche im Vergleich zu heute nur leicht schrumpfen. Weil darunter die gemeinsame Tiefgarage geplant ist, lässt sich der Baumbestand allerdings nicht erhalten. Die Aussenraumgestaltung sei noch in Arbeit, sagt Weibel. Der BEP sei aber viel Grün ein Anliegen, auch höhere Bäume sollen wachsen können. Bereits jetzt ist hingegen klar, dass sich die «Waschsalons» im Erdgeschoss befinden werden – mit Sichtverbindung in den Hof.

Eine Parkidee erhält neuen Schub

Auf der Hitzekarte der ETH ist der Kreis 4, zu dem das Bullingerquartier gehört, tiefrot eingefärbt. Thomas Brunner kommt deshalb mit der Neuauflage einer alten Idee, der Überdeckung des Seebahngrabens zwischen Bahnhof Wiedikon und Güterbahnhof, im richtigen Moment. Zusammen mit weiteren pensionierten Mitstreitern hat der Rechtsanwalt und Gründer des Hotel Greulich einen Verein ins Leben gerufen, um dem Konzept eines über vier Hektaren grossen Parks zum Durchbruch zu verhelfen.

Im neuen kommunalen Richtplan ist das auf gegen 400 Millionen Franken geschätzte Projekt eingetragen, im Herbst wird der Gemeinderat darüber diskutieren. Offen zeigen sich die Stadträte Richard Wolff, André Odermatt und Filippo Leutenegger. Im Hinblick auf die weitere Verdichtung im bereits heute mit Grünraum unterversorgten Kreis 4 begrüssen sie Freiraumkonzepte, denen kein Land geopfert werden müsste. Auch das Echo der SBB ist positiv: Erfahrungen zeigten, dass ein solcher Deckel technisch machbar sei, sagt ein Pressesprecher.

Wann sich die künftigen Bewohner der Seebahnhöfe im neuen Park tummeln können, steht in den Sternen. Vorerst lädt Lena Conrad auf der Dachterrasse zu einem Apéro ein. Sie feiert ihren Abschied. Ein rauschendes Fest wird es nicht. Aber ein Abend voller Geschichten, die sie nie vergessen wird.

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 2019.08.09

07. Mai 2019Dorothee Vögeli
Neue Zürcher Zeitung

Zürich will seine Senioren vor Hitze schützen – wenn möglich ohne Klimaanlagen

Es gibt bessere Lösungen als Kältemaschinen, um alte Menschen vor Hitze zu schützen. Auch in Altbauten. Die Stadt Zürich präsentiert ihre Strategie in einem Vorzeigebau, dem neuen Alterszentrum Trotte.

Es gibt bessere Lösungen als Kältemaschinen, um alte Menschen vor Hitze zu schützen. Auch in Altbauten. Die Stadt Zürich präsentiert ihre Strategie in einem Vorzeigebau, dem neuen Alterszentrum Trotte.

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06. April 2019Dorothee Vögeli
Neue Zürcher Zeitung

Auch ein Kontrollturm mit Tarnanstrich gehört zum Kulturerbe

Ein Haus der Saffa-Architektin Lux Guyer und der alte Kontrollturm des Militärflugplatzes Dübendorf zählen zu den beispielhaften Restaurierungsprojekten der Zürcher Denkmalpflege von 2013 und 2014.

Ein Haus der Saffa-Architektin Lux Guyer und der alte Kontrollturm des Militärflugplatzes Dübendorf zählen zu den beispielhaften Restaurierungsprojekten der Zürcher Denkmalpflege von 2013 und 2014.

Sie war eine Pionierin: Im Alter von 30 Jahren eröffnete Lux Guyer (1894–1955) an der Zürcher Bahnhofstrasse ein Architekturbüro, in dem sie später bis 30 Mitarbeitende beschäftigte. Berühmt geworden ist die erste selbständig tätige Architektin der Schweiz aber mit einem Fertighaus aus Holzelementen. Den Prototyp entwarf sie für die Saffa, die Schweizerische Ausstellung für Frauenarbeit im Jahr 1928.
Der Abbruch droht

Eine Variation des für den Mittelstand konzipierten Saffa-Hauses baute sie 1929 im Küsnachter Ortsteil Itschnach und bewohnte sie anschliessend selber. Die Aussenwände durften allerdings nicht aus Holz sein – die Gemeindebehörden hatten auf Massivbauweise gepocht. Vor zehn Jahren drohte dem Haus «Obere Schiedhalde» wegen Überbauungsplänen der Abbruch. Die Gemeinde verlangte die Abklärung der überkommunalen Schutzwürdigkeit, eine solche verfügte die Baudirektion 2010. Das nahezu unveränderte Gebäude mit seinen raffiniert ineinander übergehenden Innenräumen war in schlechtem Zustand, seine sorgfältige Restauration hat die kantonale Denkmalpflege 2013 und 2014 begleitet.

Dem Haus «Obere Schiedhalde» widmet die Denkmalpflege einen von 36 Schwerpunkten in ihrem eben erschienenen 22. Rechenschaftsbericht. In dem informativen und reich illustrierten Band sind Einzelbauten und Ensembles dokumentiert, die in einer Zeitspanne von rund 700 Jahren entstanden sind und zum Zürcher Kulturerbe gehören. Darunter sind Infrastrukturobjekte wie der Bahnhof Illnau samt Abortgebäude, Industriezeugen wie der Spinnerhochbau Blumer Söhne & Cie. AG in Freienstein-Teufen oder das 1896–1899 im Stil der französischen Neurenaissance errichtete Hauptpostgebäude in Winterthur.
Bunker mit Beobachtungsscharte

Auch Verluste sind ein Thema, das Wohnhaus «Ritter» in Erlenbach zum Beispiel. 2014 wurde das 1925 erbaute Erstlingswerk von Max Ernst Haefeli (1901–1976) abgebrochen – trotz dem entschiedenen Einsatz verschiedener Hochschulprofessoren. Das Schlusskapitel befasst sich mit einem der markantesten und architekturhistorisch bedeutendsten Bahngebäude der Stadt Zürich, dem 1896/97 erbauten Güterbahnhof. Durch Umwälzungen im Gütertransportwesen hatte der Baukomplex ab den 1980er Jahren an Bedeutung verloren. Die SBB verkauften das Areal dem Kanton Zürich. Momentan entsteht hier das neue Polizei- und Justizzentrum.

Ein schweizweites Unikat ist der alte Kontrollturm auf dem Militärflugplatz Dübendorf. 1939, kurz vor Kriegsausbruch, beauftragte die Schweizer Luftwaffe den Architekten Fritz Metzger (1898–1973) mit der Planung eines «Peil- und Startpavillons». Metzger hatte bereits das im Landistil konzipierte Eingangs- und Unterrichtsgebäude beim Haupteingang des Flugplatzgeländes errichtet. Wie der neue zylinderförmige Kontrollturm erhielt auch dieses kriegsbedingt einen anthrazitfarbenen Tarnanstrich. Zur besseren Überwachung des Flugbetriebs entstand 1948 auf dem Dach des Startpavillons eine sechseckige Kanzel für eine Person, im Gebäudesockel befand sich ein Bunker mit breiter Beobachtungsscharte. Wie eine herausgezogene Schublade ragte sie in Richtung Flugfeld.

1954 wurde der Tarnanstrich des Eingangsgebäudes wie des kleinen Rundbaus mit weisser Farbe übermalt, und 2003 wurden beide Gebäude als Schutzobjekte von nationaler Bedeutung ins Inventar der militärischen Hochbauten und ins überkommunale Inventar des Kantons Zürich aufgenommen. Nach jahrelanger Vernachlässigung konnte der alte Kontrollturm, dessen ausgewogene Proportionen und sorgfältige Detailgestaltung laut Denkmalpflege bis heute überzeugen, instand gestellt werden, und zwar auf der Grundlage der bauzeitlichen Gestaltungsideen. Deshalb hat das eigentliche Wahrzeichen des Flugplatzes Dübendorf wieder einen dunklen Farbanstrich erhalten.

Der Kampf um die Grossmünsterkapelle

Heute dient der Kontrollturm Veranstaltungen und repräsentativen Anlässen. Die Präsentation des neusten Bands der Denkmalpflege fand aber nicht in Dübendorf, sondern neben dem Zürcher Grossmünster statt. Dort befindet sich ein besonders geschichtsträchtiges Objekt: die Helferei, einst Wohnsitz des Reformators Huldrych Zwingli. Nach der Aufhebung des Grossmünsterstifts im Jahr 1832 ging das mehrfach umgebaute Gebäude zunächst an die Stadt Zürich über, diese verkaufte es rund 20 Jahre später der Kirchgemeinde Grossmünster mit der Auflage, einen heizbaren Raum für Gottesdienste zu schaffen.

Der Architekt Johann Jakob Breitinger (1814–1880) schuf eine Kapelle im Tudor-Stil und verschränkte sie mit der Helferei. 1960 musste die Kapelle wegen Baufälligkeit geschlossen werden, das Stimmvolk lehnte nach einem heftigen Abstimmungskampf den Abbruch aber ab. Der mit der Renovation des Gebäudekomplexes betraute Architekt Manuel Pauli (1930–2002) ging trotz einigen Interventionen respektvoll mit der Bausubstanz um. Während der erneuten Gesamtrestauration von 2012 bis 2014 wurde vieles rückgängig und Breitingers Handschrift wieder sichtbar gemacht.

[ Zürcher Denkmalpflege. 22. Bericht 2013/2014. Kommissionsverlag: FO-Fotorotar AG, Egg 2019. 352 S., Fr. 60.–. ]

Neue Zürcher Zeitung, Sa., 2019.04.06

03. April 2019Dorothee Vögeli
Neue Zürcher Zeitung

Städtebauliche Visionen zu Zürich: Was macht die Stadt zur Stadt?

Anhand von Zürichs visionären Konzepten und Taten seit 1882 schlägt die Ausstellung «Nach Zürich. Kontroversen zur Stadt» in der Villa Bellerive einen historischen Bogen zum Heute und lanciert eine breite Diskussion.

Anhand von Zürichs visionären Konzepten und Taten seit 1882 schlägt die Ausstellung «Nach Zürich. Kontroversen zur Stadt» in der Villa Bellerive einen historischen Bogen zum Heute und lanciert eine breite Diskussion.

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18. April 2018Dorothee Vögeli
Neue Zürcher Zeitung

Wo Bottas Bad entsteht, thronte das Grand Hotel

Mit dem neuen Thermalbad von Mario Botta soll das Bäderquartier in Baden zu neuem Leben erwachen. Vorerst wird gebaut – an ziemlich genau der Stelle, wo einst ein Grand Hotel stand.

Mit dem neuen Thermalbad von Mario Botta soll das Bäderquartier in Baden zu neuem Leben erwachen. Vorerst wird gebaut – an ziemlich genau der Stelle, wo einst ein Grand Hotel stand.

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11. April 2018Dorothee Vögeli
Neue Zürcher Zeitung

In Schlieren wird eine neue Haltestelle getestet – sie soll mehr als ein Ort zum Warten sein

Eine lange, mit Holz belegte Sitzbank vor einer Glaswand, darüber ein Betondach: Für die Haltestellen der Limmattalbahn ist ein schlichter Prototyp entwickelt worden.

Eine lange, mit Holz belegte Sitzbank vor einer Glaswand, darüber ein Betondach: Für die Haltestellen der Limmattalbahn ist ein schlichter Prototyp entwickelt worden.

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28. Februar 2018Dorothee Vögeli
Neue Zürcher Zeitung

Wohnen im Alter mitten in der Gartenstadt

Die Siedlung «Helen Keller» in Schwammendingen der Stiftung Alterswohnungen der Stadt Zürich ist nach zweijähriger Bauzeit eröffnet.

Die Siedlung «Helen Keller» in Schwammendingen der Stiftung Alterswohnungen der Stadt Zürich ist nach zweijähriger Bauzeit eröffnet.

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27. September 2017Christian Wildhagen
Antje Stahl
Dorothee Vögeli
Neue Zürcher Zeitung

Ein neuer Dreiklang für Zürich

Die «Tonhalle Maag» im Industriequartier ist eine Chance für das Kulturleben der Stadt.

Die «Tonhalle Maag» im Industriequartier ist eine Chance für das Kulturleben der Stadt.

Der Saal

wdh. Nun also auch Zürich. Endlich braucht die selbsternannte Kultur- und Musikstadt an der Limmat nicht mehr abseitszustehen, wenn es um das vielerorts heiss diskutierte Thema «neue Konzertsäle» geht. Wie hat man bisher neidvoll auf Hamburg geblickt, das sich mit der Elbphilharmonie einen weltweit ausstrahlenden Leuchtturm errichtet hat. Oder auch auf die eidgenössische Konkurrenz in Lugano, wo mit dem LAC ein deutlich kleineres, aber für das Musikleben im Kanton nicht minder wichtiges Konzertsaal-Projekt verwirklicht wurde.

Gar nicht zu reden von den vielen weiteren Städten in Europa, darunter Paris, Helsinki und Reykjavík, Stettin, Breslau und Bochum, die sich jüngst allesamt mit ausgesprochen prestigeträchtigen Konzerthäusern geschmückt haben. Doch von heute an kann Zürich mitreden: Auch hier hat man einen neuen Saal bekommen – zwar zunächst nur auf drei Jahre. Aber das wird man sehen. Die «Tonhalle Maag», wie die Tonhalle-Gesellschaft die neue Interimsspielstätte ihres Orchesters in sinniger Analogie nennt, erhebt sich mitten im Industriequartier an der Hardbrücke.

Sie ist in vieler Hinsicht ein origineller Gegenentwurf zur 1895 eröffneten Tonhalle am See, die bis 2020 umfassend saniert wird. Obwohl sich beide Säle in Aufbau und Grundriss ähneln, könnte der Kontrast kaum grösser sein: Keine Spur vom überbordenden, künftig sogar wieder vergoldeten Figurenschmuck im Altbau – der neue Saal setzt, passend zum postindustriellen Charme des umgebenden Quartiers, ganz auf Schlichtheit in hellem Holz.

Dagegen hat man in der offiziell für elf Millionen Franken umgebauten ehemaligen Industriehalle auf dem Maag-Areal keine Kosten und Mühen gescheut, was den wichtigsten Punkt eines jeden Konzertsaals betrifft: Für die Akustik hat man mit Karlheinz Müller den wichtigsten europäischen Konkurrenten zum Elbphilharmonie-Akustiker Yasuhisa Toyota engagiert. Müller und sein Team sorgen nun schon seit Wochen mit allerlei Tricks und kleinen baulichen Anpassungen dafür, dass der Klang der neuen Tonhalle bereits bei den vier Konzerten zur Eröffnung (27. bis 30. September) so rund und plastisch wird, wie es die architektonischen Gegebenheiten eben zulassen. Damit Brett Deans neues Bratschenkonzert und das Feierstück par excellence, Beethovens 9. Sinfonie mit der Ode «An die Freude», auf Anhieb angemessen festlich tönen.

Das Quartier

ant. Auf den Umzug der Orchester aus der Tonhalle am See in einen neuen Konzertsaal beim Prime Tower kann man eigentlich nur mit einem grossen Glas Champagner anstossen. Wir haben zwar versäumt, zu fragen, ob dieser an der Theke im Foyer unter den schönen, runden, alten Heizstrahlern ausgeschenkt wird. Aber in dieser Halle, in der bis in die neunziger Jahre Getriebe, Pumpen und Zahnräder hergestellt wurden und bis vor wenigen Jahren noch wild getanzt wurde, wäre es auch in Ordnung, ein Bier aus der Flasche zu trinken.

Nein, die Gegend rund um die Hardbrücke ist nicht mehr das, was sie einmal war. Die Schrebergärtner sind weg und die Künstler ebenso, und das Gewerbe darf hier keinen Lärm mehr machen, weil es jetzt Anwohner gibt, die sich darüber beschweren. Aber ein klein wenig von dem Grossstadt-Charme hat das Quartier trotzdem behalten.

Unweit des Eingangs der nun so genannten «Tonhalle Maag» steht manchmal eines dieser Lunch-Mobile, vor denen man sich immer ein bisschen fühlt wie in New York – in der Mittagspause quatscht man mit dem Hotdog-Verkäufer. Auch wird sich diese Strassenplauderstimmung im Foyer und bis vor die Türen des Konzertsaals fortsetzen.

Der Saal wurde von den Architekten Spillmann Echsle hinter die Foyerhalle perfekt in eine zweite Fabrikhalle hineingesetzt, so dass man vor einem «Raum im Raum» auf den Einlass wartet. Hier darf man den Musikern «guten Tag» sagen – wenn sie die Bühne erreichen wollen, nehmen sie denselben Weg wie das Publikum, das links zum Parkett möchte. Schön ist auch das Stahlgerüst der Wände, es begrüsst einen wie auf einer Baustelle, die für das Richtfest geputzt wurde. Es gibt kaum Anstrich und kein zusätzliches Dekor. Der Industrieort steht zu sich selbst. Und das ist genau richtig so.

Im Konzertsaal selbst fühlt man sich deshalb, jedenfalls wenn das Licht hell brennt, kurz wie in einer finnischen Sauna, weil alles mit Fichte verkleidet ist. Egal wohin das Auge blickt, es trifft auf helles Holz. Leider hängt auch die Galerie direkt über den Köpfen der auf dem Parkett am Rand Placierten, das könnte etwas bedrückend wirken. Dafür wird einen aber niemals, wie zuweilen auf den oberen Sitzreihen in der Sauna, die Hitze-Platzangst ereilen.

Der Konzertsaal, der Form nach eine «Schuhschachtel», wie die Architekten sagen, misst fast 1000 Quadratmeter und öffnet sich vom Parkett aus nach oben in die Länge, auf Balkon und Empore fühlt man sich deshalb besonders wohl. Insgesamt können 1224 Personen auf samtbezogenen Stühlen Platz nehmen, die alle Beinfreiheit garantieren.

Die Lüftungsanlage wurde in den Keller verwiesen und pustet leise frische Luft durch Tausende kleine Löcher im Fussboden, so dass niemand schwitzen (oder frieren) muss. Für eine Spielstätte auf Zeit sind alle diese Bausteine die besten Voraussetzungen, damit man sich auf alles einlassen kann, was temporäre Mietverträge so mit sich bringen: Man darf ein neues Leben beginnen. Wenn es einem gefällt, besetzt man das Haus, wenn man gehen muss, ist man bereits ein anderer.

Der Mensch

vö. An der Hand meiner Mutter steige ich die Treppe hinauf, meine Lackschuhe scheinen im weichen Treppenläufer förmlich zu versinken. Ich bin die Prinzessin an der Seite einer Hofdame in bodenlangem Kleid; auch das goldene Ohrgehänge und die hochhackigen Schuhe trägt meine Mutter nur in der Tonhalle. Sobald wir oben angekommen sind, umfängt uns der Parfumduft des eleganten Publikums, das vor den Flügeltüren des Konzertsaals plaudert.

Meine Mutter ist mit Abstand die Schönste, jahrelang halte ich an dieser Einschätzung fest. Sie grüsst da und dort, das Stammpublikum scheint eine einzige grosse Familie zu sein. Dann bimmelt ein Glöcklein, der grosse Moment ist gekommen: Wir tauchen ein in den glänzenden Prunk des Konzertsaals, von dessen bemaltem Gewölbe sich ein riesiger Kronleuchter ins Parkett hinunter senkt.

Das auf die Bühne strömende Orchester ist Teil eines Märchens, dessen Klang perfektioniert das Bild – doch irgendwann geht sein Glanz verloren. Natürlich hat dies auch mit einer Wahrnehmungsverschiebung zu tun: Je älter ich werde, desto zentraler wird die Musik. Dass unser Konzerttempel Patina ansetzt, ist deshalb nicht weiter dramatisch – zumal es stets heisst, er sei akustisch einer der besten der Welt. Mit zunehmendem Alter wird aber auch meine Mutter kritisch.

Eines Tages spricht sie Klartext: «Die Tonhalle ist muffig, die einmalige Akustik ein Mythos. Für die ganz grossen Orchesterbesetzungen ist dieser Saal komplett ungeeignet.» Ihre Ohren hat sie im Kultur- und Kongresszentrum Luzern (KKL) geschult. Im KKL entdeckt sie auch die befreiende Wirkung moderner Konzerthaus-Architektur. Inzwischen ist meine Mutter hochbetagt. Sie trägt gerne leichte Kleider, verzichtet auf Accessoires – ausser auf ihren Stock, ohne den sie sich nicht mehr auf die Strasse getraut. Dass vor der alten Tonhalle keine Strassenbahn und kein Bus hält, findet sie noch schlimmer als den heruntergekommenen Saal, dem sie seit seiner vorübergehenden Schliessung keine Träne nachweint.

Trotzdem hätte sie fast das Abonnement gekündigt: «Ich schaffe es nicht ins Industriequartier», sagte sie. Doch dann stützte sie sich auf meinen Arm – und liess sich die neue Spielstätte beim Prime Tower vorführen. Sie ist begeistert. Da ist zunächst die gute Erreichbarkeit: Ihre S-Bahn aus dem Knonauer Amt fährt direkt an den Bahnhof Hardbrücke. Gleich um die Ecke befindet sich die Tonhalle Maag, ebenfalls in Fussdistanz gibt es Parkhäuser, und Taxis dürfen direkt vor dem Eingang halten.

Dankbar ist sie, dass sie nicht mehr auf dem Balkon, sondern im Parkett sitzen wird – und so ihren Platz ohne Stufen erreichen kann. Vor allem aber gefällt ihr die radikale Schlichtheit des Konzertsaals ausnehmend gut. Nach all dem, was sie über die Arbeit des renommierten Konzertsaal-Akustikers Karlheinz Müller gelesen hat, erstaunt sie David Zinmans Einschätzung nicht: Die Akustik erinnere ihn eher an das KKL als an die alte Tonhalle, erklärte der Ehrendirigent des Tonhalle-Orchesters nach einem Testlauf.

Meine Mutter gehört zu den 80 Prozent Abonnentinnen und Abonnenten, die aufbrechen wollen. Bereits jetzt ist für sie klar: «Auch wenn ich in drei Jahren noch auf den Beinen bin, möchte ich nicht mehr in die alte Tonhalle zurückkehren.» Sie hofft schon heute auf ein Providurium für alte und neue Musik.

Neue Zürcher Zeitung, Mi., 2017.09.27



verknüpfte Bauwerke
Tonhalle Maag

18. Juli 2017Dorothee Vögeli
Neue Zürcher Zeitung

Der Sprung

Dass Erinnern über die Sinne funktioniert, hat Marcel Proust ans Licht gebracht. Wie das Gebäck Madeleine kann ein Gemälde eine Kaskade auslösen – zum Beispiel im Zürcher Letzibad.

Dass Erinnern über die Sinne funktioniert, hat Marcel Proust ans Licht gebracht. Wie das Gebäck Madeleine kann ein Gemälde eine Kaskade auslösen – zum Beispiel im Zürcher Letzibad.

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03. April 2017Dorothee Vögeli
Neue Zürcher Zeitung

Chipperfields Konzept konkretisiert sich

Erstmals hat die Bauherrschaft der Zürcher Kunsthaus-Erweiterung die Öffentlichkeit zu einem Baustellenbesuch eingeladen. Vorstellungskraft war gefragt.

Erstmals hat die Bauherrschaft der Zürcher Kunsthaus-Erweiterung die Öffentlichkeit zu einem Baustellenbesuch eingeladen. Vorstellungskraft war gefragt.

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verknüpfte Bauwerke
Kunsthaus Zürich - Erweiterungsbau

25. Januar 2017Dorothee Vögeli
Neue Zürcher Zeitung

Alles im Fluss

Die Bündner Berge erinnern Nahoko Hara an Japan, der im Vergleich zu Tokio langsame Puls von Zürich ist ganz nach ihrem Geschmack. Und ihr Architekturbüro ist in Hochform. Trotzdem geht sie.

Die Bündner Berge erinnern Nahoko Hara an Japan, der im Vergleich zu Tokio langsame Puls von Zürich ist ganz nach ihrem Geschmack. Und ihr Architekturbüro ist in Hochform. Trotzdem geht sie.

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05. April 2008Dorothee Vögeli
Neue Zürcher Zeitung

Annäherungen an die ideale Wohnform im Alter

Wer nach der passenden Wohnform im Alter sucht, kann sich im EWZ-Unterwerk Selnau einem Test unterziehen. Die Ausstellung «Ich wohne, bis ich 100 werde. Neues Wohnen 50+» setzt die Ergebnisse eines Forschungsprojektes des ETH-Wohnforums spielerisch in Szene.

Wer nach der passenden Wohnform im Alter sucht, kann sich im EWZ-Unterwerk Selnau einem Test unterziehen. Die Ausstellung «Ich wohne, bis ich 100 werde. Neues Wohnen 50+» setzt die Ergebnisse eines Forschungsprojektes des ETH-Wohnforums spielerisch in Szene.

Dereinst in einem Altersheim landen zu müssen, ist gerade auch für die jüngeren Generationen eine Schreckensvision. Das Interesse an neuen Wohnformen wie Nachbarschafts-, Haus- und Wohngemeinschaften oder Wohnen mit Service hat deshalb in letzter Zeit stark zugenommen. Trotzdem sind alternative Alterswohnmodelle noch wenig verbreitet. Andreas Huber vom ETH-Wohnforum ist allerdings überzeugt, dass dieses Thema künftig für die Architektur und die Stadtplanung zentral sein wird. In seinem Forschungsprojekt «Neue Wohnmodelle für die zweite Lebenshälfte» hat der 44-Jährige 13 bestehende Modelle in der Schweiz und in Deutschland unter die Lupe genommen (siehe Kasten). Die Forschungsresultate bilden die Grundlage für die gestern eröffnete Ausstellung «Ich wohne, bis ich 100 werde. Neues Wohnen 50+» im EWZ-Unterwerk Selnau in Zürich.

Welcher Wohn-Typ bin ich?

Bewusst wurde der Ausdruck «Alter» umgangen. Denn die Ausstellung soll ein breites Publikum über Alternativen zu den klassischen Wahlmöglichkeiten – Wohnen wie bisher oder Alters- und Pflegeheim – informieren. Sie soll dazu ermuntern, in der sich verlängernden aktiven Lebensphase neue Wohnformen ins Auge zu fassen. Die Szenografen Miriam Zehnder und Richard Fulton haben einen spielerischen Zugang zum Thema gewählt. Mitten in der Industriehalle haben sie einen «3-D-Psychotest» aufgebaut, dank dem sich herausfinden lässt, was für ein Wohn-Typ man ist. Der Test bildet das Herzstück der Ausstellung und hat die Form einer neutral gehaltenen Modell-Alterswohnung im Originalmassstab. Mit ihren zweieinhalb Zimmern entspricht sie der Durchschnittswohnung einer älteren Person in der Schweiz.

Die Ausstellungsbesucher sind aufgefordert, diese begehbare Alterswohnung einzurichten. Die Richtschnur bilden zehn Kriterien wie Hindernisfreiheit, soziale Kontakte, Finanzen, Dienstleistungsangebot oder Sicherheit. Sie sind an zehn Stationen visualisiert oder mit konkreten Einrichtungsgegenständen materialisiert. Die Besucher können hier jeweils zwischen verschiedenen Möglichkeiten wählen. Zum Beispiel stehen bei der Frage nach allfälligen Unterstützungsangeboten Nachbarschaftshilfe, individuell abrufbare Dienstleistungen oder ein umfangreiches Dienstleistungsangebot, wie zum Beispiel in Seniorenresidenzen inbegriffen, zur Auswahl. Beim Thema Sicherheit kennzeichnen ein Telefon, ein Armband oder Sensoren im Badezimmer die verschiedenen Bedürfnisse, und unter dem Titel «Wie gut sind Sie gepolstert?» symbolisieren ein Schemel, ein Stuhl und ein Fauteuil das Spektrum der finanziellen Möglichkeiten. Die Besucher kennzeichnen auf einem Blatt – oder auch im Internet – ihre jeweilige Wahl und können so ihr bevorzugtes Wohnmodell eruieren. Dieses entspricht einer von vier Varianten, die im Rahmen des ETH-Forschungsprojektes untersucht worden sind: Selbstorganisierte Alterswohn- und Hausgemeinschaften, generationenübergreifendes Wohnen, Alterswohnungen mit individuell abrufbaren Dienstleistungen und Seniorenresidenzen. Anhand von jeweils zwei konkreten Fallbeispielen werden diese Wohnformen näher charakterisiert.
Altern ist individuell

Die sehr rudimentären Zuordnungen seien mit Vorsicht zu geniessen, sagt Andreas Huber. Und er betont, dass sie bloss eine idealtypische Annäherung an die Realität seien. Tatsächlich produziert etwa die gleiche Gewichtung der finanziellen Ressourcen und anderer Faktoren ein geschöntes Bild des Alters. So hängt die Wahl des Dienstleistungsangebotes in der Realität eben sehr stark vom Geldbeutel ab. – Wohltuend ist, dass die Ausstellung die schematisierten Kriterien des Wohnens im Alter relativiert und weitere Dimensionen thematisiert. Zum Ausdruck kommen sie etwa in den Gratulationen von Radio DRS 1 an die über 97-Jährigen in der Schweiz. Die Biografien und Befindlichkeiten zeigen, wie individuell die Altersphase erlebt und gestaltet wird.

Studie in Buchform

vö. Um neue Erkenntnisse über die Bandbreite und die Erfolgsbedingungen neuer Wohnformen im Alter zu gewinnen, hat ein Forschungsteam des ETH-Wohnforums zwischen 2006 und 2007 13 Fallbeispiele mit Innovationscharakter untersucht. In der ersten Phase ging es um die baulichen Merkmale, das Dienstleistungs- und Betreuungsangebot sowie das soziale Milieu. In der zweiten Phase wurden Bewohnerinnen und Bewohner von sieben Siedlungen zu den räumlichen und sozialen Qualitäten befragt. Die vergleichende Analyse der Angebote gibt laut Projektleiter Andreas Huber Hinweise darauf, inwiefern die Modelle den demografischen Veränderungen, dem Rückgang der familiären Netzwerke oder dem steigenden Bedarf an Hilfeleistungen bei knappen öffentlichen Ressourcen Rechnung tragen. Die Erkenntnisse des vom Bund mitfinanzierten Forschungsprojektes sollen Investoren und Anbietern Anregungen bei der konkreten Umsetzung von Alterswohnprojekten geben. Die wichtigsten Forschungsergebnisse sind im Buch «Neues Wohnen in der zweiten Lebenshälfte» nachzulesen.

Neue Zürcher Zeitung, Sa., 2008.04.05

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