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25. März 2009Anke Hagemann
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Drehkreuz

Das Drehkreuz (englisch turnstile) hat seinen Vorläufer in Durchgängen von Weidezäunen: Der Begriff Stile bezeichnet eine Stiege, mit der Menschen die...

Das Drehkreuz (englisch turnstile) hat seinen Vorläufer in Durchgängen von Weidezäunen: Der Begriff Stile bezeichnet eine Stiege, mit der Menschen die...

Das Drehkreuz (englisch turnstile) hat seinen Vorläufer in Durchgängen von Weidezäunen: Der Begriff Stile bezeichnet eine Stiege, mit der Menschen die Zäune oder Mauern von Viehweiden übersteigen können.

Drehkreuze bestehen in der Regel aus einem Metallgestänge mit vier Flügeln, die um eine senkrechte Achse kreisen. Die platzsparende Variante, bei der sich drei Arme um einen schräg gestellten Drehpunkt bewegen, wird auch als Drehsperre bezeichnet. Drehkreuze werden in Eingangs- und Durchgangsräumen als Mittel der Zutrittskontrolle verwendet und erfüllen dabei unterschiedliche Funktionen: Bei Massenandrängen regulieren sie den Fußgängerfluss durch eine Vereinzelung der Personen, die nur nacheinander ein Drehkreuz passieren können. Wie ein Ventil können Drehkreuze mit Hilfe eines Sperrmechanismus die Durchgangsrichtung festlegen.

Darüber hinaus können eingebaute Zähler die Anzahl der Durchgänge festhalten. Ihre Passierbarkeit kann von einem/r PförtnerIn sowie automatisch – durch Münzeinwurf, Ticketscanner oder maschinelle Identifizierung – gesteuert werden. Der Mechanismus des Drehkreuzes automatisiert also den Übertritt räumlicher Grenzen; er ist der physische Erfüllungsgehilfe für die Disziplinierung, Kontrolle und Selektion der Personen, die diese Grenzen überschreiten. Die wichtigsten Anwendungsbereiche des Drehkreuzes sind stark frequentierte oder regulierte Räume wie Sportstadien, Bahnhöfe, öffentliche Verkehrsmittel und Supermärkte oder Büro- und Gewerbebauten mit eingeschränkter Zugänglichkeit.

Im 19. Jahrhundert verbreitet sich das Drehkreuz zunächst in Parks, Zoos, an Piers und Sportstätten. Mit dem Aufkommen des Massensports erlebt es dann gegen Ende des Jahrhunderts einen starken Aufschwung, da es die Besucherströme reguliert und die effiziente Einnahme von Eintritt gewährleistet. 1895 meldet der Engländer Samuel Alfred Nelson Deluce ein Patent über das „Rush Preventive Turnstile“ an, das die Firma WT Ellison aus Salford, Manchester, in den folgenden Jahrzehnten in hoher Stückzahl produzieren wird. Ellison’s Drehkreuz verfügt über ein Fußpedal, mit dem die KassiererInnen das Drehkreuz steuern können, um nur zahlenden BesucherInnen den Durchgang zu gewähren. Ein verplombter Zähler kontrolliert wiederum den/die KassiererIn und verhindert, dass dieser Gäste umsonst auf das Gelände lässt.

Im Lauf des 20. Jahrhunderts wird die Funktionsweise des Drehkreuzes durch zahlreiche technische Entwicklungen verbessert, ergänzt und an unterschiedliche Anwendungsbereiche angepasst. So spielt das Drehkreuz beim Siegeszug des Supermarkts eine wichtige Rolle: Am Eingang bestimmt es die Bewegungsrichtung der Kunden und gewährleistet, dass der Verkaufsraum nur durch die Kassenschleuse verlassen werden kann. Schon im ersten Supermarkt, dem Piggly Wiggly Store, der 1916 in Memphis eröffnet, sind Drehkreuze am Eingang installiert. In öffentlichen Verkehrsmitteln wird durch Drehkreuze die Zahlung und Kontrolle der Fahrscheine automatisiert. Bereits 1911 sollen verbesserte Drehkreuzmechanismen in amerikanischen Personenzügen eine „Pay-as-you-enter“-Funktion ermöglichen und damit nachlässige KondukteurInnen ersetzen. Die U-Bahnen von New York, London oder Paris werden durch die Installation von Drehkreuzen an Ein- und Ausgängen zu geschlossenen Systemen gemacht. So kommen in New York ab 1920 automatisierte Drehkreuze zum Einsatz, in die die Fahrgäste Fünf-Cent-Münzen, später durch tokens abgelöst, einwerfen müssen. Seit den 1990er Jahren werden viele der Einwurf- und Ticketsysteme durch wiederaufladbare oder zeitbasierte smart cards ersetzt, die auf der Basis von Magnetstreifen (Metrocard, New York) oder RFID (Oyster Card, London) funktionieren und am Ende einer Fahrt den jeweiligen Fahrpreis automatisch abbuchen.

Einer der wichtigsten Einsatzbereiche für Drehkreuze sind nach wie vor Sportstadien. Viele der großen Fußballarenen sind in den letzten 10 bis 15 Jahren auf Drehkreuze mit elektronischen Zugangskontrollsystemen umgerüstet worden. Zur Speicherung und Weitergabe der Informationen auf den Tickets kommen dabei Techniken wie Magnetstreifen, Strichcodes oder RFID zur Anwendung, die von Scannern oder Lesegeräten am Drehkreuz ausgelesen werden. Die automatisierte Ticketkontrolle reduziert nicht nur den Personalbedarf, sondern ermöglicht es auch, zusätzliche Funktionen an den Einlassprozess zu knüpfen. Zum Beispiel können Anzahl, Ort und Zeitpunkt der Durchgänge zentral registriert und ausgewertet werden, was das Crowd Management im Stadion erleichtert. Häufig dient die Eintrittskarte gleichzeitig als bargeldloses Zahlungssystem für Parkscheine, Speisen, Getränke oder Fanartikel. So wirbt das Berner Stade de Suisse mit einer Swatch-Armbanduhr als wiederaufladbarem „tickenden Ticket“ für „Zier, Zeit, Zutritt, Zahlen“. Dies optimiert zwar die Abläufe im Stadion, macht aber gleichzeitig das Konsumverhalten der BesucherInnen für den Betreiber transparent.

Um potenzielle UnruhestifterInnen aussondern zu können, wird es darüber hinaus zunehmend zum Ziel der Sicherheitsverantwortlichen, die StadionbesucherInnen zu personalisieren. So waren etwa die Tickets der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 mit individuellen RFID-Tags versehen, mit denen die persönlichen Kundendaten der TickethalterInnen aufgerufen werden konnten. Die RFID-Funktechnik zur berührungslosen Auslesung der Tickets wurde von dem österreichischen Drehkreuzhersteller SkiData zunächst für Skilifte eingesetzt, um das lästige Hervorkramen der Skipässe zu vermeiden. Diese Technik ermöglicht aber auch eine unbemerkte Auslesung des Tickets jenseits der Drehkreuze: Mit entsprechend verteilten Lesegeräten ist es technisch möglich, Aufenthaltsorte und Bewegungsprofile der TickethalterInnen zu ermitteln. Zur tatsächlichen Identifizierung der BesucherInnen werden in Stadien sogar bereits biometrische Systeme getestet.

Während sich die mechanische Funktionsweise des Drehkreuzes über mehr als hundert Jahre hinweg kaum verändert hat, werden die Steuerungssysteme des Drehkreuzes technisch immer ausgefeilter. Der Prozess der Zugangskontrolle und Identifizierung wird zunehmend automatisiert und durch Funktionen ergänzt, die einen immer größeren Wirkungsradius haben. Trotz einer Etablierung flächendeckender Überwachungstechnologien wird also die Bedeutung von physischen Grenzen und Kontrollpunkten nicht aufgehoben: das Drehkreuz spielt als regulierbarer Filtermechanismus weiterhin eine wichtige, wenn nicht sogar wachsende Rolle.


[Anke Hagemann, „Filter, Ventile und Schleusen. Die Architektur der Zugangsregulierung“, in: Volker Eick/Jens Sambale/Eric Töpfer (Hg.), Kontrollierte Urbanität. Zur Neoliberalisierung städtischer Sicherheitspolitik, Bielefeld 2007, S. 301-328.
Simon Inglis, „Turnstiles“, in: ders., Played in Manchester, London 2004, S. 64-69.
Stefan Nixdorf, „Die Komposition von Stadien. Zwischen Multifunktion und Rückbau“, in: Detail 9 (2005).]

ARCH+, Mi., 2009.03.25



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07. Januar 2008Anke Hagemann
dérive

Faszination an der Faszination

Nicht nur in Las Vegas, Dubai oder Shang­hai, sondern längst auch in Hamburg, im Ruhrgebiet und in der „Zwischenstadt“ wird die postmoderne Stadtlandschaft...

Nicht nur in Las Vegas, Dubai oder Shang­hai, sondern längst auch in Hamburg, im Ruhrgebiet und in der „Zwischenstadt“ wird die postmoderne Stadtlandschaft...

Nicht nur in Las Vegas, Dubai oder Shang­hai, sondern längst auch in Hamburg, im Ruhrgebiet und in der „Zwischenstadt“ wird die postmoderne Stadtlandschaft zunehmend beherrscht durch Landmarks, Leuchtturmprojekte und Signature Architecture, durch Unterhaltungsindustrie, gethemete Konsumwelten und festivalisierte Kulturproduktion, durch Simulation, Exzess und Größenwahn, mit denen die Standorte international um Aufmerksamkeit konkurrieren. Dies war These und Ausgangspunkt des Symposiums Economy of Fascination. Themed Urban Landscapes of Postmodernity am Geographischen Institut der Uni Heidelberg, das seinerseits um Aufmerksamkeit warb, indem es mit Michael Sorkin, Neil Smith oder Michael Dear große Namen der US-amerikanischen kritischen Stadtforschung versammelte.

Mit welcher Theorie und welchem Vokabular können die inszenierten Urbanitäten beschrieben werden? Welche politischen oder ökonomischen Strategien stehen hinter dem „urbanen Zirkus“? In welchem Verhältnis stehen Erscheinungsform und „Realität“? Und kann die neue Stadtlandschaft eigentlich noch als postmodern aufgefasst werden? Über zwei Tage wurden diese und viele weitere Fragen diskutiert, wobei sich der erste Tag den Grundlagen und Lesarten von Faszination und Spektakel widmete, während der zweite Tag vorwiegend Fallstudien zusammentrug.

Als mögliche theoretische Basis für die Ökonomie der Faszination wurden zunächst die Auffassungen und Bedingungen von postmoderner Urbanität verhandelt. Zur Einführung lieferte Michael Dear einen synoptischen Blick auf die weitgehend „pathologischen“ und wenig progressiven Erscheinungsformen postmoderner Stadtentwicklung, wie Zersiedelung, soziale Fragmentierung und fortschreitende Privatisierung, während Jacques Levy dazu aufrief, die Komplexität, Heterogenität und Faszinationen des Urbanen als produktive und selbstheilende Kraft zu erkennen. Für Ludger Basten (der zwischen Postmodernism als Ideologie und Postmodernity als Epoche unterscheidet) ist die sich verselbständigende Peripherie, die Zwischenstadt, zum Inbegriff einer widersprüchlich-pluralistischen postmodernen Stadtlandschaft geworden, während Mark Gottdiener (der den Postmoderne-Begriff eng an die fundierten Theorien von Jameson, Soja und Harvey geknüpft wissen möchte) noch immer Las Vegas mit seinen freigesetzten Zeichensystemen als ultimatives Beispiel für Postmodernität begreift. Implizit und auch explizit wurde durch dieses diffuse Spektrum das Bedürfnis nach präziseren Termini und einer differenzierenden Betrachtung aktueller Phänomene deutlich.

Ähnlich heterogen waren die Auffassungen von Faszination und Spektakel sowie die Theorien und Methoden ihrer Beschreibung: Für Dear sind die urbanen Spektakel, wie Theme Parks oder Signature Architectures, „irresistable narcotics“ und ein ästhetisches Werkzeug, um in den gleichförmigen Landschaften des Sprawl neue Identitäten zu kreieren. Entsprechend schaffen sie laut Basten Distinktion und Vermarktungsgrundlage in der „Zwischenstadt“. Beide riefen zu einer verstärkten Einbeziehung der Alltagsperspektive und der Ebene persönlicher Erfahrung auf, blieben aber genauere Ausführungen schuldig. Neil Smith ging in seinem Beitrag den Strategien von Kosmetik, Imitation und Fetischisierung nach, mit denen die raumproduzierenden Machtstrukturen überdeckt werden. Nachdem bereits Michael Sorkin in seinem Einführungsvortrag darauf hingewiesen hatte, dass auch urbane Katastrophen wie 9/11 einen Bestandteil der Faszinationsökonomie bilden, beschrieb Neil Smith, wie die offensichtliche Faszination an den neuen Militär- und Sicherheitstechnologien in der jüngeren kritischen Stadttheorie zur reinen Skandalisierung der urbanen Kriegsführung führe und damit eine genaue Analyse der Hintergründe deutlich erschwere. Auch Michael Dear hatte davor gewarnt, dass selbst die Stadtforscher der Aufmerksamkeitsökonomie erliegen und sich von dem „Bling“ blenden lassen. Mark Gottdiener näherte sich dem Phänomen des Theming dagegen aus der Perspektive der Semiotik und entlang der Begriffe der Entfremdung (Marx/Lefebvre), Entäußerung (Hegel) und Simulation (Baudrillard). Die vielfältigen Zeichensysteme von Las Vegas stellte er der Eindimensionalität von Dubai („do-buy“) gegenüber, das mit den sich immer wiederholenden Chiffren nur eins zum Ausdruck bringen möchte: Konsum, Luxus, Exzess.
Die zahlreichen Fallstudien lieferten weitere Auslegungen der Economy of Fascination, so z.B. Paradebeispiele für die Festivalisierung und Kulturalisierung der Stadtpolitik – sei es zum Imagewandel nordenglischer Industriestädte (Gerald Wood) oder zum Branding des Ruhrgebiets als neuem Stadtkonstrukt (Achim Prossek). Die seit Bilbao ungebrochene Begeisterung am Einsatz von Flagship Museums als „magischem“, doch häufig scheiterndem Instrument zur Revitalisierung von Stadtzentren illustrierte Noam Shoval, und die geschickte mediale Selbstdarstellung Hamburgs in Imagefilmen und TV-Produktionen wurde von Anke Strüver und Sybille Bauriedl untersucht.

Als unerreichte Referenzen in Sachen Simulation und Größenwahn standen aber immer wieder Dubai und China im Zentrum des Interesses. Dieter Hassenpflug schilderte das Scheitern deutscher Architekten, die versucht hatten, in den New Towns von Shanghai ihr europäisch geprägtes Ideal einer funktionsdurchmischten Stadt gegen die herrschende Dualität von gated community und gethemetem Kommerzraum durchzusetzen. Tim Simpson zeigte eine detailreiche Innensicht aus Macau, der ehemaligen portugiesischen Kolonie und Casino-Insel, die einige Triadenkriege hinter sich hat und heute als boomendes Glücksspielparadies den ChinesIn­nen zur kontrollierten Einübung von Tourismus und Konsum dient. Dagegen blieb die Darstellung von Dubai sehr schematisch: Weder eine genaue Analyse der Zeichen- und Referenzwelten, noch der oft beschworene kritische Blick hinter die Kulissen wurde geleistet; die Aufzählung der totalitären Politik, der repressiven Arbeitsbedingungen und des exzessiven Ressourcenverbrauchs lieferte keine neuen Einsichten.

An Methoden wurde dagegen einiges aufgeboten: Semiotik und Linguistik, Diskurs­analyse und Performanz, kulturwissenschaftliche und anthropologische Zugänge. Oft schien es weniger darum zu gehen, für die beobachteten Zustände konstruktive Erklärungsmuster zu finden, als vielmehr darum, komplexe Theoriegebäude an der noch komplexeren städtischen Realität zu verifizieren. Für eine Architektin wirkt es befremdlich, dass vor der konkret-räumlichen Analyse von Architektur und Stadt halt gemacht wird und dass der Raumbegriff der Geographie damit abstrakt bleibt. So fehlten nicht nur die Brücken zwischen Theorie und Empirie, sondern auch zwischen den räumlichen Disziplinen – zwischen akademischem Diskurs und praktischem Handeln in Politik und Planung.

www.geog.uni-heidelberg.de/fascination/fascination.htm
Eine Publikation ist geplant.

dérive, Mo., 2008.01.07



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dérive 30 Cinematic Cities - Stadt im Film

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Presseschau 12

25. März 2009Anke Hagemann
ARCH+

Drehkreuz

Das Drehkreuz (englisch turnstile) hat seinen Vorläufer in Durchgängen von Weidezäunen: Der Begriff Stile bezeichnet eine Stiege, mit der Menschen die...

Das Drehkreuz (englisch turnstile) hat seinen Vorläufer in Durchgängen von Weidezäunen: Der Begriff Stile bezeichnet eine Stiege, mit der Menschen die...

Das Drehkreuz (englisch turnstile) hat seinen Vorläufer in Durchgängen von Weidezäunen: Der Begriff Stile bezeichnet eine Stiege, mit der Menschen die Zäune oder Mauern von Viehweiden übersteigen können.

Drehkreuze bestehen in der Regel aus einem Metallgestänge mit vier Flügeln, die um eine senkrechte Achse kreisen. Die platzsparende Variante, bei der sich drei Arme um einen schräg gestellten Drehpunkt bewegen, wird auch als Drehsperre bezeichnet. Drehkreuze werden in Eingangs- und Durchgangsräumen als Mittel der Zutrittskontrolle verwendet und erfüllen dabei unterschiedliche Funktionen: Bei Massenandrängen regulieren sie den Fußgängerfluss durch eine Vereinzelung der Personen, die nur nacheinander ein Drehkreuz passieren können. Wie ein Ventil können Drehkreuze mit Hilfe eines Sperrmechanismus die Durchgangsrichtung festlegen.

Darüber hinaus können eingebaute Zähler die Anzahl der Durchgänge festhalten. Ihre Passierbarkeit kann von einem/r PförtnerIn sowie automatisch – durch Münzeinwurf, Ticketscanner oder maschinelle Identifizierung – gesteuert werden. Der Mechanismus des Drehkreuzes automatisiert also den Übertritt räumlicher Grenzen; er ist der physische Erfüllungsgehilfe für die Disziplinierung, Kontrolle und Selektion der Personen, die diese Grenzen überschreiten. Die wichtigsten Anwendungsbereiche des Drehkreuzes sind stark frequentierte oder regulierte Räume wie Sportstadien, Bahnhöfe, öffentliche Verkehrsmittel und Supermärkte oder Büro- und Gewerbebauten mit eingeschränkter Zugänglichkeit.

Im 19. Jahrhundert verbreitet sich das Drehkreuz zunächst in Parks, Zoos, an Piers und Sportstätten. Mit dem Aufkommen des Massensports erlebt es dann gegen Ende des Jahrhunderts einen starken Aufschwung, da es die Besucherströme reguliert und die effiziente Einnahme von Eintritt gewährleistet. 1895 meldet der Engländer Samuel Alfred Nelson Deluce ein Patent über das „Rush Preventive Turnstile“ an, das die Firma WT Ellison aus Salford, Manchester, in den folgenden Jahrzehnten in hoher Stückzahl produzieren wird. Ellison’s Drehkreuz verfügt über ein Fußpedal, mit dem die KassiererInnen das Drehkreuz steuern können, um nur zahlenden BesucherInnen den Durchgang zu gewähren. Ein verplombter Zähler kontrolliert wiederum den/die KassiererIn und verhindert, dass dieser Gäste umsonst auf das Gelände lässt.

Im Lauf des 20. Jahrhunderts wird die Funktionsweise des Drehkreuzes durch zahlreiche technische Entwicklungen verbessert, ergänzt und an unterschiedliche Anwendungsbereiche angepasst. So spielt das Drehkreuz beim Siegeszug des Supermarkts eine wichtige Rolle: Am Eingang bestimmt es die Bewegungsrichtung der Kunden und gewährleistet, dass der Verkaufsraum nur durch die Kassenschleuse verlassen werden kann. Schon im ersten Supermarkt, dem Piggly Wiggly Store, der 1916 in Memphis eröffnet, sind Drehkreuze am Eingang installiert. In öffentlichen Verkehrsmitteln wird durch Drehkreuze die Zahlung und Kontrolle der Fahrscheine automatisiert. Bereits 1911 sollen verbesserte Drehkreuzmechanismen in amerikanischen Personenzügen eine „Pay-as-you-enter“-Funktion ermöglichen und damit nachlässige KondukteurInnen ersetzen. Die U-Bahnen von New York, London oder Paris werden durch die Installation von Drehkreuzen an Ein- und Ausgängen zu geschlossenen Systemen gemacht. So kommen in New York ab 1920 automatisierte Drehkreuze zum Einsatz, in die die Fahrgäste Fünf-Cent-Münzen, später durch tokens abgelöst, einwerfen müssen. Seit den 1990er Jahren werden viele der Einwurf- und Ticketsysteme durch wiederaufladbare oder zeitbasierte smart cards ersetzt, die auf der Basis von Magnetstreifen (Metrocard, New York) oder RFID (Oyster Card, London) funktionieren und am Ende einer Fahrt den jeweiligen Fahrpreis automatisch abbuchen.

Einer der wichtigsten Einsatzbereiche für Drehkreuze sind nach wie vor Sportstadien. Viele der großen Fußballarenen sind in den letzten 10 bis 15 Jahren auf Drehkreuze mit elektronischen Zugangskontrollsystemen umgerüstet worden. Zur Speicherung und Weitergabe der Informationen auf den Tickets kommen dabei Techniken wie Magnetstreifen, Strichcodes oder RFID zur Anwendung, die von Scannern oder Lesegeräten am Drehkreuz ausgelesen werden. Die automatisierte Ticketkontrolle reduziert nicht nur den Personalbedarf, sondern ermöglicht es auch, zusätzliche Funktionen an den Einlassprozess zu knüpfen. Zum Beispiel können Anzahl, Ort und Zeitpunkt der Durchgänge zentral registriert und ausgewertet werden, was das Crowd Management im Stadion erleichtert. Häufig dient die Eintrittskarte gleichzeitig als bargeldloses Zahlungssystem für Parkscheine, Speisen, Getränke oder Fanartikel. So wirbt das Berner Stade de Suisse mit einer Swatch-Armbanduhr als wiederaufladbarem „tickenden Ticket“ für „Zier, Zeit, Zutritt, Zahlen“. Dies optimiert zwar die Abläufe im Stadion, macht aber gleichzeitig das Konsumverhalten der BesucherInnen für den Betreiber transparent.

Um potenzielle UnruhestifterInnen aussondern zu können, wird es darüber hinaus zunehmend zum Ziel der Sicherheitsverantwortlichen, die StadionbesucherInnen zu personalisieren. So waren etwa die Tickets der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 mit individuellen RFID-Tags versehen, mit denen die persönlichen Kundendaten der TickethalterInnen aufgerufen werden konnten. Die RFID-Funktechnik zur berührungslosen Auslesung der Tickets wurde von dem österreichischen Drehkreuzhersteller SkiData zunächst für Skilifte eingesetzt, um das lästige Hervorkramen der Skipässe zu vermeiden. Diese Technik ermöglicht aber auch eine unbemerkte Auslesung des Tickets jenseits der Drehkreuze: Mit entsprechend verteilten Lesegeräten ist es technisch möglich, Aufenthaltsorte und Bewegungsprofile der TickethalterInnen zu ermitteln. Zur tatsächlichen Identifizierung der BesucherInnen werden in Stadien sogar bereits biometrische Systeme getestet.

Während sich die mechanische Funktionsweise des Drehkreuzes über mehr als hundert Jahre hinweg kaum verändert hat, werden die Steuerungssysteme des Drehkreuzes technisch immer ausgefeilter. Der Prozess der Zugangskontrolle und Identifizierung wird zunehmend automatisiert und durch Funktionen ergänzt, die einen immer größeren Wirkungsradius haben. Trotz einer Etablierung flächendeckender Überwachungstechnologien wird also die Bedeutung von physischen Grenzen und Kontrollpunkten nicht aufgehoben: das Drehkreuz spielt als regulierbarer Filtermechanismus weiterhin eine wichtige, wenn nicht sogar wachsende Rolle.


[Anke Hagemann, „Filter, Ventile und Schleusen. Die Architektur der Zugangsregulierung“, in: Volker Eick/Jens Sambale/Eric Töpfer (Hg.), Kontrollierte Urbanität. Zur Neoliberalisierung städtischer Sicherheitspolitik, Bielefeld 2007, S. 301-328.
Simon Inglis, „Turnstiles“, in: ders., Played in Manchester, London 2004, S. 64-69.
Stefan Nixdorf, „Die Komposition von Stadien. Zwischen Multifunktion und Rückbau“, in: Detail 9 (2005).]

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07. Januar 2008Anke Hagemann
dérive

Faszination an der Faszination

Nicht nur in Las Vegas, Dubai oder Shang­hai, sondern längst auch in Hamburg, im Ruhrgebiet und in der „Zwischenstadt“ wird die postmoderne Stadtlandschaft...

Nicht nur in Las Vegas, Dubai oder Shang­hai, sondern längst auch in Hamburg, im Ruhrgebiet und in der „Zwischenstadt“ wird die postmoderne Stadtlandschaft...

Nicht nur in Las Vegas, Dubai oder Shang­hai, sondern längst auch in Hamburg, im Ruhrgebiet und in der „Zwischenstadt“ wird die postmoderne Stadtlandschaft zunehmend beherrscht durch Landmarks, Leuchtturmprojekte und Signature Architecture, durch Unterhaltungsindustrie, gethemete Konsumwelten und festivalisierte Kulturproduktion, durch Simulation, Exzess und Größenwahn, mit denen die Standorte international um Aufmerksamkeit konkurrieren. Dies war These und Ausgangspunkt des Symposiums Economy of Fascination. Themed Urban Landscapes of Postmodernity am Geographischen Institut der Uni Heidelberg, das seinerseits um Aufmerksamkeit warb, indem es mit Michael Sorkin, Neil Smith oder Michael Dear große Namen der US-amerikanischen kritischen Stadtforschung versammelte.

Mit welcher Theorie und welchem Vokabular können die inszenierten Urbanitäten beschrieben werden? Welche politischen oder ökonomischen Strategien stehen hinter dem „urbanen Zirkus“? In welchem Verhältnis stehen Erscheinungsform und „Realität“? Und kann die neue Stadtlandschaft eigentlich noch als postmodern aufgefasst werden? Über zwei Tage wurden diese und viele weitere Fragen diskutiert, wobei sich der erste Tag den Grundlagen und Lesarten von Faszination und Spektakel widmete, während der zweite Tag vorwiegend Fallstudien zusammentrug.

Als mögliche theoretische Basis für die Ökonomie der Faszination wurden zunächst die Auffassungen und Bedingungen von postmoderner Urbanität verhandelt. Zur Einführung lieferte Michael Dear einen synoptischen Blick auf die weitgehend „pathologischen“ und wenig progressiven Erscheinungsformen postmoderner Stadtentwicklung, wie Zersiedelung, soziale Fragmentierung und fortschreitende Privatisierung, während Jacques Levy dazu aufrief, die Komplexität, Heterogenität und Faszinationen des Urbanen als produktive und selbstheilende Kraft zu erkennen. Für Ludger Basten (der zwischen Postmodernism als Ideologie und Postmodernity als Epoche unterscheidet) ist die sich verselbständigende Peripherie, die Zwischenstadt, zum Inbegriff einer widersprüchlich-pluralistischen postmodernen Stadtlandschaft geworden, während Mark Gottdiener (der den Postmoderne-Begriff eng an die fundierten Theorien von Jameson, Soja und Harvey geknüpft wissen möchte) noch immer Las Vegas mit seinen freigesetzten Zeichensystemen als ultimatives Beispiel für Postmodernität begreift. Implizit und auch explizit wurde durch dieses diffuse Spektrum das Bedürfnis nach präziseren Termini und einer differenzierenden Betrachtung aktueller Phänomene deutlich.

Ähnlich heterogen waren die Auffassungen von Faszination und Spektakel sowie die Theorien und Methoden ihrer Beschreibung: Für Dear sind die urbanen Spektakel, wie Theme Parks oder Signature Architectures, „irresistable narcotics“ und ein ästhetisches Werkzeug, um in den gleichförmigen Landschaften des Sprawl neue Identitäten zu kreieren. Entsprechend schaffen sie laut Basten Distinktion und Vermarktungsgrundlage in der „Zwischenstadt“. Beide riefen zu einer verstärkten Einbeziehung der Alltagsperspektive und der Ebene persönlicher Erfahrung auf, blieben aber genauere Ausführungen schuldig. Neil Smith ging in seinem Beitrag den Strategien von Kosmetik, Imitation und Fetischisierung nach, mit denen die raumproduzierenden Machtstrukturen überdeckt werden. Nachdem bereits Michael Sorkin in seinem Einführungsvortrag darauf hingewiesen hatte, dass auch urbane Katastrophen wie 9/11 einen Bestandteil der Faszinationsökonomie bilden, beschrieb Neil Smith, wie die offensichtliche Faszination an den neuen Militär- und Sicherheitstechnologien in der jüngeren kritischen Stadttheorie zur reinen Skandalisierung der urbanen Kriegsführung führe und damit eine genaue Analyse der Hintergründe deutlich erschwere. Auch Michael Dear hatte davor gewarnt, dass selbst die Stadtforscher der Aufmerksamkeitsökonomie erliegen und sich von dem „Bling“ blenden lassen. Mark Gottdiener näherte sich dem Phänomen des Theming dagegen aus der Perspektive der Semiotik und entlang der Begriffe der Entfremdung (Marx/Lefebvre), Entäußerung (Hegel) und Simulation (Baudrillard). Die vielfältigen Zeichensysteme von Las Vegas stellte er der Eindimensionalität von Dubai („do-buy“) gegenüber, das mit den sich immer wiederholenden Chiffren nur eins zum Ausdruck bringen möchte: Konsum, Luxus, Exzess.
Die zahlreichen Fallstudien lieferten weitere Auslegungen der Economy of Fascination, so z.B. Paradebeispiele für die Festivalisierung und Kulturalisierung der Stadtpolitik – sei es zum Imagewandel nordenglischer Industriestädte (Gerald Wood) oder zum Branding des Ruhrgebiets als neuem Stadtkonstrukt (Achim Prossek). Die seit Bilbao ungebrochene Begeisterung am Einsatz von Flagship Museums als „magischem“, doch häufig scheiterndem Instrument zur Revitalisierung von Stadtzentren illustrierte Noam Shoval, und die geschickte mediale Selbstdarstellung Hamburgs in Imagefilmen und TV-Produktionen wurde von Anke Strüver und Sybille Bauriedl untersucht.

Als unerreichte Referenzen in Sachen Simulation und Größenwahn standen aber immer wieder Dubai und China im Zentrum des Interesses. Dieter Hassenpflug schilderte das Scheitern deutscher Architekten, die versucht hatten, in den New Towns von Shanghai ihr europäisch geprägtes Ideal einer funktionsdurchmischten Stadt gegen die herrschende Dualität von gated community und gethemetem Kommerzraum durchzusetzen. Tim Simpson zeigte eine detailreiche Innensicht aus Macau, der ehemaligen portugiesischen Kolonie und Casino-Insel, die einige Triadenkriege hinter sich hat und heute als boomendes Glücksspielparadies den ChinesIn­nen zur kontrollierten Einübung von Tourismus und Konsum dient. Dagegen blieb die Darstellung von Dubai sehr schematisch: Weder eine genaue Analyse der Zeichen- und Referenzwelten, noch der oft beschworene kritische Blick hinter die Kulissen wurde geleistet; die Aufzählung der totalitären Politik, der repressiven Arbeitsbedingungen und des exzessiven Ressourcenverbrauchs lieferte keine neuen Einsichten.

An Methoden wurde dagegen einiges aufgeboten: Semiotik und Linguistik, Diskurs­analyse und Performanz, kulturwissenschaftliche und anthropologische Zugänge. Oft schien es weniger darum zu gehen, für die beobachteten Zustände konstruktive Erklärungsmuster zu finden, als vielmehr darum, komplexe Theoriegebäude an der noch komplexeren städtischen Realität zu verifizieren. Für eine Architektin wirkt es befremdlich, dass vor der konkret-räumlichen Analyse von Architektur und Stadt halt gemacht wird und dass der Raumbegriff der Geographie damit abstrakt bleibt. So fehlten nicht nur die Brücken zwischen Theorie und Empirie, sondern auch zwischen den räumlichen Disziplinen – zwischen akademischem Diskurs und praktischem Handeln in Politik und Planung.

www.geog.uni-heidelberg.de/fascination/fascination.htm
Eine Publikation ist geplant.

dérive, Mo., 2008.01.07



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