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14. Juli 2001Brigitte Voykowitsch
Der Standard

Britanniens neues Tor nach Europa

Die Zugsanbindung an den Channel Tunnel ist nicht nur das erste große Bahnprojekt in Britannien seit mehr als einem Jahrhundert.

Die Zugsanbindung an den Channel Tunnel ist nicht nur das erste große Bahnprojekt in Britannien seit mehr als einem Jahrhundert.

An der Europaskepsis der Briten hat sich wenig geändert. Einen Beitritt zum Euro lehnen nach den während des jüngsten Wahlkampfes veröffentlichten Umfragen weiterhin zwei Drittel der Inselbewohner ab. Und auch vom „Kontinent“ jenseits des Ärmelkanals sprechen viele Briten gerne weiterhin so, als gehörten sie nicht dazu. Sie tun es dennoch und werden, unabhängig aller Identitätsdebatten, zumindest verkehrsmäßig bald noch enger mit diesem Europa verbunden sein. Binnen zwei Stunden und zwanzig Minuten wird Paris, in nur zwei Stunden Brüssel zu erreichen sein, wenn in einigen Jahren die Eurostarzüge vom Londoner Bahnhof St. Pancras aus ihre Fahrt antreten können.

Die Zugsanbindung an den Channel Tunnel ist nicht nur das erste große Bahnprojekt in Britannien seit mehr als einem Jahrhundert. Im Zuge seiner lange umstrittenen und 1996 schließlich vom Parlament per Gesetz genehmigten Realisierung wird es im Umfeld von St. Pancras und des gleich nebenan gelegenen Bahnhofs von King's Cross zu einer der seit langem weitreichendsten städtebaulichen Veränderungen in der britischen Hauptstadt kommen. Insgesamt sind Kosten von fünf Milliarden Pfund während der nächsten vierzehn Jahre veranschlagt.

Masterpläne für die Neugestaltung des Viertels im Nordosten von Bloomsbury hat es schon eine ganze Reihe gegeben, der bekannteste stammte von Stararchitekt Sir Norman Foster aus den 80er-Jahren. Doch der zog sich angesichts der damals end- und auch aussichtslos scheinenden Debatten um das Für und Wider des Projekts schließlich zurück. Als im Vorjahr dann die Argent Group und St. George den definitiven Auftrag für das Stadtprojekt erhielten, hatten sich die Anforderungen gegenüber jenen für Foster and Partners radikal verändert. Sollten die Hochgeschwindigkeitszüge ursprünglich unterirdisch in King's Cross ankommen, so ist der Zielbahnhof laut dem endgültigen Plan nun St. Pancras, und die Trasse soll oberirdisch verlaufen.

Unverändert aber sind gewisse Grundbedingungen geblieben, wie Robert Gordon Clark von der zuständigen PR-Agentur London Communication Agency erklärt. „Da gibt es zum einen die Strukturen, die wir als gegeben nehmen müssen, wie den Regent's Canal oder das weitläufige und dichte U-Bahn-Netz bei King's Cross, das nun für eine bessere Anbindung an den Eurostar und auch aus Sicherheitsgründen nach dem Brand vor einigen Jahren erweitert wird. Zum anderen haben wir es hier mit einer Reihe von denkmalgeschützten Bauten wie den Gasometern und dem St.-Pancras-Bahnhofsgebäude zu tun.“

Der Startschuss für die Verwirklichung des städtebaulichen Projekts von Argent St. George soll dagegen erst im Jahr 2006 oder 2007 fallen, wenn der Eurostarbetrieb aufgenommen ist, im Jahr 2015 soll es dann abgeschlossen sein. Mehr als den Titel ihres gerade fertig gestellten Masterplan-Entwurfs will Evans daher auch nicht verraten. „Prinzipien einer Stadt für den Menschen“ nennt sich das Dokument, das man noch in diesem Sommer veröffentlichen will. Nur so viel sei vorerst dazu gesagt: Kommerz-, Büro und Wohnbauten sollen gemeinsam mit Freizeiteinrichtungen ein lebendiges, vibrierendes Viertel ergeben, das sich gut in die umliegenden Bezirke einfügt. Bürgermeister Ken Livingstone will, wie es heißt, auch sicherstellen, dass genügend Sozialbauten errichtet werden und ein Viertel nicht nur für die Elite entsteht.

Noch nicht geklärt ist die künftige Nutzung der Gasometer. Die älteren drei, die in die Denkmalschutzkategorie 2 fallen, werden nur für die Dauer der Bauarbeiten im Umfeld von St. Pancras und King's Cross abgetragen, sollen dann aber wieder an ihrem ursprünglichen Platz aufgestellt werden.

Sehr weit fortgeschritten sind dagegen die Pläne für den St.-Pancras-Bahnhof selbst, der ab Anfang kommenden Jahres umgestaltet wird, denn die jetzige Halle ist nicht groß genug für die Eurostarzüge und muss um mehr als das Doppelte verlängert werden. Zumindest für dieses Projekt ist, wenn schon der übrige Masterplan von Foster seine Gültigkeit verloren hat, dessen Design mit nur geringfügigen Änderungen von den heute zuständigen Architekten übernommen worden.

Das Gesamtdesign lässt sich seiner Ansicht nach am besten mit den Worten „eine Übung in Zurückhaltung“ beschreiben. Der Anbau soll das alte Gebäude weder übertrumpfen noch die Aufmerksamkeit von diesem ablenken. Klarheit und Funktionalität sind die obersten Gebote, denn „wie oft wird denn so ein Gebäude schon generalgereinigt? Viele Probleme kann man schon von vornherein mit dem Design eliminieren“, betont Lansley.

Der Architekt und sein Team arbeiten in einem eng vorgegebenen Rahmen. Der in den 60er-Jahren des 19. Jahrhunderts errichtete Bahnhof gilt als eines der Meisterwerke viktorianischer Gotik. Seine Halle zählt zu den großen Errungenschaften unter den damaligen Eisenkonstruktionen, wurde doch hier ein mehr als 200 Meter langer und 70 Meter breiter Innenraum in einem großen Bogen ohne jegliche Stützen überdacht. Als denkmalgeschütztes Gebäude der Kategorie 1 besitzt der Bahnhof den gleichen architektonischen Wert wie etwa die St.-Paul-Kathedrale und darf somit kaum angegriffen werden.

Da die Bahnsteige in St. Pancras wegen des nahen Regent's Canal aber sechs Meter über dem Boden angelegt wurden, können die darunter einst als Lagerhallen genutzten Räume nun in Kassenhallen sowie für die übrige Infrastruktur wie Cafés, Geschäfte und Wartesäle umgebaut werden. Das gesamte Projekt muss dabei verwirklicht werden, ohne dass der bisherige Betrieb in St. Pancras, von wo die Züge in die britischen Midlands starten, auch nur für einen einzigen Tag eingestellt wird.

Viele Skeptiker, die zumal die enormen Kosten der Bahnanbindung an den Channel Tunnel und des damit verbundenen Städtebauprojekts kritisieren, werden nicht von dessen Sinnhaftigkeit zu überzeugen sein. Doch Lansley und andere Befürworter schwärmen davon, dass man im nächsten Jahr bereits die ersten Veränderungen in St. Pancras bestaunen wird können, und sprechen von Britanniens neuem „Tor nach Europa“.

Der Standard, Sa., 2001.07.14



verknüpfte Bauwerke
Neugestaltung eines Stadtviertels

30. Dezember 2000Brigitte Voykowitsch
Der Standard

Der Jahrtausendhof und der General ohne Lärm

Vor wenigen Wochen wurde der von Norman Foster neu gestaltete Great Court im Britischen Museum eröffnet - der größte überdachte Platz Europas. In einem umfassenden städtebaulichen Konzept ist das erst der Anfang einer riesigen Londoner Kulturachse, die über den Trafalgar Square bis jenseits der Themse reichen soll.

Vor wenigen Wochen wurde der von Norman Foster neu gestaltete Great Court im Britischen Museum eröffnet - der größte überdachte Platz Europas. In einem umfassenden städtebaulichen Konzept ist das erst der Anfang einer riesigen Londoner Kulturachse, die über den Trafalgar Square bis jenseits der Themse reichen soll.

Bilder aus der Mitte des 19. Jahrhunderts zeigen einen weiten offenen Raum, in dem auf Rasenflächen und Wegen viktorianisch gekleidete Personen lustwandeln. Da zieht ein Gärtner eine Mähmaschine, dort wird offenbar gerade umgegraben. Es sind Momentaufnahmen von einer Zeit, die nicht lange währen sollte. Denn die Grünanlage - der Innenhof des Britischen Museums in London - blieb nur wenige Jahre lang der Freiraum, als der er gedacht war. 1857 wurde in der Mitte des Gartens der Lesesaal der British Library fertig gestellt, und was an Beständen drinnen keinen Platz fand, wurde außerhalb untergebracht. Regale voller Bücher nahmen den Hof ein, in den in Kürze nur mehr Bibliothekare vordringen durften, so wie zum Lesesaal nur die Auserwählten Zugang hatten. Die ursprüngliche Idee des Innenhofs als, wie es der britische Stararchitekt Norman Foster ausdrückte, „Herz des Museums“, geriet rasch in Vergessenheit, der so genannte Great Court wurde zu „einem der verlorenen Räume Londons.“

Der Gedanke an eine Wiederbelebung des Hofs konkretisierte sich erst gegen Ende des 20. Jahrhunderts. Der Auszug der British Library in ein eigenes neues Quartier in St. Pancras versprach Platz zu schaffen, die bevorstehende Millenniumswende gab Anlass zu neuen Großprojekten mit großzügiger Finanzierung. Foster selbst bekam die Chance, seine Vorstellung von einem zeitgemäßen Herzen für das ehrenwerte, aber in seiner Präsentation graue und verstaubte Museumsgebäude umzusetzen und den verlorenen Raum nicht nur für eine Elite, sondern für die allgemeine Öffentlichkeit zurückzugewinnen.

Der von Foster vorgelegte Entwurf sah die Überdachung des Great Court vor, womit dessen Nutzung unabhängig von der Witterung zu jeder Jahreszeit möglich werden sollte. Wo Besucher des Museums mehr als einhundert Jahre lang von verhältnismäßig kleinen Eingangsaulen nach links oder rechts in Richtung der Ausstellungsräume abbiegen mussten, sollten erneut Süd- und Nordportal zum Great Court offen stehen und von diesen aus neue Zugänge zu den diversen Galerien frei gemacht werden.

Was das an Aufräumarbeiten mit sich brachte, lässt sich heute, wenige Wochen nach der offiziellen Eröffnung des Great Court durch die Queen (DER STANDARD berichtete), noch anhand ausführlicher Foto- und Textdokumentationen nachvollziehen. Minutiös zeichnet Robert Anderson, der Direktor des Britischen Museums, in seinem knapp vor der Einweihung des Innenhofs erschienenen Buch den Werdegang des Bauvorhabens nach, an dem auch die österreichische Firma Waagner-Biró mitwirkte. 28.000 Kubikmeter Müll und Schutt mussten aus dem Innenhof entfernt werden, das entspricht der Füllung von 17 olympischen Swimmingpools. 16.000 Tonnen Beton gingen in die Fundamente und den neuen Boden. Das Herzstück des Baus selbst - Fosters Dach - umfasst 6000 Quadratmeter Glas, das in Form von 3312 dreieckigen Paneelen in einen leicht geschwungenen Stahlrahmen eingepasst wurde. Was all diese Zahlen nicht ausdrücken können, versuchten nach der Fertigstellung des Daches Kritiker und Kommentatoren mit verbalem Überschwang zu vermitteln. Wo in der von Fosters Architekturbüro erstellten Beschreibung schlicht von einer „behutsamen Verbindung eines bestehenden Gebäudes mit einer neuen Konstruktion“ die Rede ist, sprachen Experten umgehend von einem weiteren Meisterwerk des Architekten und einem Triumph des Minimalisten Foster.

Dank Foster ist der 96 Meter lange und 72 Meter breite Great Court nun zum größten überdachten Platz Europas geworden. Er steht mit Buchhandlung, Café und Restaurant noch bis in den späten Abend offen, wenn die Galerien des Museums längst geschlossen sind. Ebenfalls lange zugänglich ist an mehreren Wochentagen der restaurierte Lesesaal, wo ab kommendem Frühjahr über Computerterminals umfassende Informationen zu den Museumsbeständen abzufragen sein werden.

Noch sind - anders als Fosters Werk am Museum - die Umgestaltungs- und Renovierungsarbeiten noch nicht abgeschlossen. Im Hinblick auf das 250-Jahre-Jubiläum des Gebäudes im Jahre 2003 sind unter anderem noch die Neueinrichtung mehrerer Galerien sowie eine Ausstellung über das kulturelle und intellektuelle Klima geplant, in dem das Britische Museum geschaffen und seine Sammlungen angelegt wurden.

Wird hier der Blick auch in die Vergangenheit gerichtet, so schaut Foster selbst bereits weiter in die Zukunft. Wenn er vom Great Court als „einem bedeutenden neuen öffentlichen Raum für London“ spricht, der Bloomsbury und die Londoner Universität im Norden mit Soho und Covent Garden im Süden verbinden soll, dann hat er ein umfassenderes städtebauliches Konzept im Sinn. Dabei geht es über das Britische Museum hinaus um eine Verbindung wichtiger Orte entlang mehrerer Nord-Süd-Achsen von St. Pancras bis zum Kulturzentrum South Bank.

Der Weg dahin schließt auch den Trafalgar Square mit ein, der, ebenfalls unter der Leitung Fosters, in den kommenden Jahren neu gestaltet werden soll. Dieses Projekt resultiert aus einer von der Architekturstiftung Mitte der 90er-Jahre initiierten Debatte darüber, wie man der britischen Hauptstadt die ihr gebührenden öffentlichen Räume (zurück)geben könnte.

Noch liegen für den Trafalgar Square keine umfassenden Pläne vor. Die Rede ist auf jeden Fall aber davon, dass die Straße, die derzeit zwischen der National Gallery und dem Platz verläuft, für den Verkehr gesperrt wird. Von der Gallery selbst soll eine weite, flache Treppe zum Platz hin führen. Foster will eine der Lage und Bedeutung des Orts angemessene, begrünte Piazza mit einem besseren Zugang zu den umliegenden Gebäuden und Monumenten entstehen lassen. Trafalgar sollen die Menschen in Hinkunft mit mehr verbinden als einem General auf einer Säule und dem Füttern von Tauben inmitten eines ohrenbetäubenden Verkehrslärms. Foster spricht bereits von einem weiteren „Herzen“. So wie er den von ihm nun überdachten Great Court als das Herz des Britischen Museum versteht, soll der von ihm neu zu gestaltende Trafalgar Square „ein neues Herz für London“ werden.

Der Standard, Sa., 2000.12.30



verknüpfte Bauwerke
British Museum - Umbau

09. Dezember 2000Brigitte Voykowitsch
Der Standard

Triumph eines Minimalisten

Nach Querelen im Vorfeld wird Fosters Umbau des British Museum gefeiert

Nach Querelen im Vorfeld wird Fosters Umbau des British Museum gefeiert

London - Die britischen Millenniumsprojekte standen unter keinem guten Stern. Wenn auch kein zweites so viel Häme auf sich zog wie der Dome, gänzlich unumstritten blieb kein einziges. Selbst die Eröffnung des letzten Projekts, des Großen Innenhofes (Great Court) des Britischen Museums durch die Queen, ging diese Woche nicht ohne Verstimmung ab.

Rund 1500 Gäste waren geladen, 600 sollten zum Diner bleiben. Doch einer der Geladenen verweigerte die Teilnahme: Der griechische Botschafter in London erklärte seine Absage in einem Schreiben damit, dass das Abendessen ausgerechnet in jenen Museumsräumen geplant war, in dem von Athen seit langem zurückgeforderte Marmorskulpturen vom Parthenon ausgestellt sind.

Weder diese Unstimmigkeit noch der vorangegangene Streit um die Neuerrichtung des Südportals des Innenhofs aber sollten von der großartigen Leistung von Stararchitekt Sir Norman Foster ablenken.

Nie habe er „seine Beherrschung minimalistischer eleganter Strukturen so brillant demonstriert“ wie bei der Überdachung des Great Court mit ihrer raffinierten Glas-und Stahlkonstruktion, schwärmte die Verdana. Das Südportal, ergänzte sie, solle bleiben. Vorzutäuschen, dass es sich um das Original handle, sei doch Humbug, verteidigte eine Reihe von Experten nun dieses Portal, für das - wie DER STANDARD berichtete - anstelle des ursprünglich im gesamten Innenhof verwendeten Portlandsteins ein ähnlicher - qualitativ aber minderer und zudem hellerer - Stein genommen worden war. Noch bis vor kurzem gab es deshalb Rufe nach einem Köpferollen in der Museumsleitung.

Mit der Wiedereröffnung des 150 Jahre lang als Stauraum der British Library verwendeten Innenhofs erhält das Museum neben zusätzlichen Galerien, Shops, Veranstaltungsräumen, einem Café und Restaurant vor allem einen zeitgemäßeren Anstrich.


5,5 Millionen Besucher

Allzu häufig war die verstaubte Atmosphäre kritisiert worden. Dazu kam das Gedränge. Für etwa 100.000 Besucher im Jahr war das Museum bei seiner Errichtung in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts konzipiert worden. Heute kommen jährlich um die 5,5 Millionen. Das umgerechnet 2,3 Milliarden Schilling teure Projekt war mit dem Auszug der British Library nach St. Pancras 1998 möglich geworden. Nicht ausgezogen ist der Leseraum im Zentrum des Innenhofs. Wo einst Karl Marx am Kapital schrieb und lediglich privilegierte LeserInnen wie Virginia Woolf, Arthur Rimbaud oder Ho Chi Minh Zutritt hatten, soll in Hinkunft jeder Besucher willkommen sein.

Der Standard, Sa., 2000.12.09



verknüpfte Bauwerke
British Museum - Umbau

Presseschau 12

14. Juli 2001Brigitte Voykowitsch
Der Standard

Britanniens neues Tor nach Europa

Die Zugsanbindung an den Channel Tunnel ist nicht nur das erste große Bahnprojekt in Britannien seit mehr als einem Jahrhundert.

Die Zugsanbindung an den Channel Tunnel ist nicht nur das erste große Bahnprojekt in Britannien seit mehr als einem Jahrhundert.

An der Europaskepsis der Briten hat sich wenig geändert. Einen Beitritt zum Euro lehnen nach den während des jüngsten Wahlkampfes veröffentlichten Umfragen weiterhin zwei Drittel der Inselbewohner ab. Und auch vom „Kontinent“ jenseits des Ärmelkanals sprechen viele Briten gerne weiterhin so, als gehörten sie nicht dazu. Sie tun es dennoch und werden, unabhängig aller Identitätsdebatten, zumindest verkehrsmäßig bald noch enger mit diesem Europa verbunden sein. Binnen zwei Stunden und zwanzig Minuten wird Paris, in nur zwei Stunden Brüssel zu erreichen sein, wenn in einigen Jahren die Eurostarzüge vom Londoner Bahnhof St. Pancras aus ihre Fahrt antreten können.

Die Zugsanbindung an den Channel Tunnel ist nicht nur das erste große Bahnprojekt in Britannien seit mehr als einem Jahrhundert. Im Zuge seiner lange umstrittenen und 1996 schließlich vom Parlament per Gesetz genehmigten Realisierung wird es im Umfeld von St. Pancras und des gleich nebenan gelegenen Bahnhofs von King's Cross zu einer der seit langem weitreichendsten städtebaulichen Veränderungen in der britischen Hauptstadt kommen. Insgesamt sind Kosten von fünf Milliarden Pfund während der nächsten vierzehn Jahre veranschlagt.

Masterpläne für die Neugestaltung des Viertels im Nordosten von Bloomsbury hat es schon eine ganze Reihe gegeben, der bekannteste stammte von Stararchitekt Sir Norman Foster aus den 80er-Jahren. Doch der zog sich angesichts der damals end- und auch aussichtslos scheinenden Debatten um das Für und Wider des Projekts schließlich zurück. Als im Vorjahr dann die Argent Group und St. George den definitiven Auftrag für das Stadtprojekt erhielten, hatten sich die Anforderungen gegenüber jenen für Foster and Partners radikal verändert. Sollten die Hochgeschwindigkeitszüge ursprünglich unterirdisch in King's Cross ankommen, so ist der Zielbahnhof laut dem endgültigen Plan nun St. Pancras, und die Trasse soll oberirdisch verlaufen.

Unverändert aber sind gewisse Grundbedingungen geblieben, wie Robert Gordon Clark von der zuständigen PR-Agentur London Communication Agency erklärt. „Da gibt es zum einen die Strukturen, die wir als gegeben nehmen müssen, wie den Regent's Canal oder das weitläufige und dichte U-Bahn-Netz bei King's Cross, das nun für eine bessere Anbindung an den Eurostar und auch aus Sicherheitsgründen nach dem Brand vor einigen Jahren erweitert wird. Zum anderen haben wir es hier mit einer Reihe von denkmalgeschützten Bauten wie den Gasometern und dem St.-Pancras-Bahnhofsgebäude zu tun.“

Der Startschuss für die Verwirklichung des städtebaulichen Projekts von Argent St. George soll dagegen erst im Jahr 2006 oder 2007 fallen, wenn der Eurostarbetrieb aufgenommen ist, im Jahr 2015 soll es dann abgeschlossen sein. Mehr als den Titel ihres gerade fertig gestellten Masterplan-Entwurfs will Evans daher auch nicht verraten. „Prinzipien einer Stadt für den Menschen“ nennt sich das Dokument, das man noch in diesem Sommer veröffentlichen will. Nur so viel sei vorerst dazu gesagt: Kommerz-, Büro und Wohnbauten sollen gemeinsam mit Freizeiteinrichtungen ein lebendiges, vibrierendes Viertel ergeben, das sich gut in die umliegenden Bezirke einfügt. Bürgermeister Ken Livingstone will, wie es heißt, auch sicherstellen, dass genügend Sozialbauten errichtet werden und ein Viertel nicht nur für die Elite entsteht.

Noch nicht geklärt ist die künftige Nutzung der Gasometer. Die älteren drei, die in die Denkmalschutzkategorie 2 fallen, werden nur für die Dauer der Bauarbeiten im Umfeld von St. Pancras und King's Cross abgetragen, sollen dann aber wieder an ihrem ursprünglichen Platz aufgestellt werden.

Sehr weit fortgeschritten sind dagegen die Pläne für den St.-Pancras-Bahnhof selbst, der ab Anfang kommenden Jahres umgestaltet wird, denn die jetzige Halle ist nicht groß genug für die Eurostarzüge und muss um mehr als das Doppelte verlängert werden. Zumindest für dieses Projekt ist, wenn schon der übrige Masterplan von Foster seine Gültigkeit verloren hat, dessen Design mit nur geringfügigen Änderungen von den heute zuständigen Architekten übernommen worden.

Das Gesamtdesign lässt sich seiner Ansicht nach am besten mit den Worten „eine Übung in Zurückhaltung“ beschreiben. Der Anbau soll das alte Gebäude weder übertrumpfen noch die Aufmerksamkeit von diesem ablenken. Klarheit und Funktionalität sind die obersten Gebote, denn „wie oft wird denn so ein Gebäude schon generalgereinigt? Viele Probleme kann man schon von vornherein mit dem Design eliminieren“, betont Lansley.

Der Architekt und sein Team arbeiten in einem eng vorgegebenen Rahmen. Der in den 60er-Jahren des 19. Jahrhunderts errichtete Bahnhof gilt als eines der Meisterwerke viktorianischer Gotik. Seine Halle zählt zu den großen Errungenschaften unter den damaligen Eisenkonstruktionen, wurde doch hier ein mehr als 200 Meter langer und 70 Meter breiter Innenraum in einem großen Bogen ohne jegliche Stützen überdacht. Als denkmalgeschütztes Gebäude der Kategorie 1 besitzt der Bahnhof den gleichen architektonischen Wert wie etwa die St.-Paul-Kathedrale und darf somit kaum angegriffen werden.

Da die Bahnsteige in St. Pancras wegen des nahen Regent's Canal aber sechs Meter über dem Boden angelegt wurden, können die darunter einst als Lagerhallen genutzten Räume nun in Kassenhallen sowie für die übrige Infrastruktur wie Cafés, Geschäfte und Wartesäle umgebaut werden. Das gesamte Projekt muss dabei verwirklicht werden, ohne dass der bisherige Betrieb in St. Pancras, von wo die Züge in die britischen Midlands starten, auch nur für einen einzigen Tag eingestellt wird.

Viele Skeptiker, die zumal die enormen Kosten der Bahnanbindung an den Channel Tunnel und des damit verbundenen Städtebauprojekts kritisieren, werden nicht von dessen Sinnhaftigkeit zu überzeugen sein. Doch Lansley und andere Befürworter schwärmen davon, dass man im nächsten Jahr bereits die ersten Veränderungen in St. Pancras bestaunen wird können, und sprechen von Britanniens neuem „Tor nach Europa“.

Der Standard, Sa., 2001.07.14



verknüpfte Bauwerke
Neugestaltung eines Stadtviertels

30. Dezember 2000Brigitte Voykowitsch
Der Standard

Der Jahrtausendhof und der General ohne Lärm

Vor wenigen Wochen wurde der von Norman Foster neu gestaltete Great Court im Britischen Museum eröffnet - der größte überdachte Platz Europas. In einem umfassenden städtebaulichen Konzept ist das erst der Anfang einer riesigen Londoner Kulturachse, die über den Trafalgar Square bis jenseits der Themse reichen soll.

Vor wenigen Wochen wurde der von Norman Foster neu gestaltete Great Court im Britischen Museum eröffnet - der größte überdachte Platz Europas. In einem umfassenden städtebaulichen Konzept ist das erst der Anfang einer riesigen Londoner Kulturachse, die über den Trafalgar Square bis jenseits der Themse reichen soll.

Bilder aus der Mitte des 19. Jahrhunderts zeigen einen weiten offenen Raum, in dem auf Rasenflächen und Wegen viktorianisch gekleidete Personen lustwandeln. Da zieht ein Gärtner eine Mähmaschine, dort wird offenbar gerade umgegraben. Es sind Momentaufnahmen von einer Zeit, die nicht lange währen sollte. Denn die Grünanlage - der Innenhof des Britischen Museums in London - blieb nur wenige Jahre lang der Freiraum, als der er gedacht war. 1857 wurde in der Mitte des Gartens der Lesesaal der British Library fertig gestellt, und was an Beständen drinnen keinen Platz fand, wurde außerhalb untergebracht. Regale voller Bücher nahmen den Hof ein, in den in Kürze nur mehr Bibliothekare vordringen durften, so wie zum Lesesaal nur die Auserwählten Zugang hatten. Die ursprüngliche Idee des Innenhofs als, wie es der britische Stararchitekt Norman Foster ausdrückte, „Herz des Museums“, geriet rasch in Vergessenheit, der so genannte Great Court wurde zu „einem der verlorenen Räume Londons.“

Der Gedanke an eine Wiederbelebung des Hofs konkretisierte sich erst gegen Ende des 20. Jahrhunderts. Der Auszug der British Library in ein eigenes neues Quartier in St. Pancras versprach Platz zu schaffen, die bevorstehende Millenniumswende gab Anlass zu neuen Großprojekten mit großzügiger Finanzierung. Foster selbst bekam die Chance, seine Vorstellung von einem zeitgemäßen Herzen für das ehrenwerte, aber in seiner Präsentation graue und verstaubte Museumsgebäude umzusetzen und den verlorenen Raum nicht nur für eine Elite, sondern für die allgemeine Öffentlichkeit zurückzugewinnen.

Der von Foster vorgelegte Entwurf sah die Überdachung des Great Court vor, womit dessen Nutzung unabhängig von der Witterung zu jeder Jahreszeit möglich werden sollte. Wo Besucher des Museums mehr als einhundert Jahre lang von verhältnismäßig kleinen Eingangsaulen nach links oder rechts in Richtung der Ausstellungsräume abbiegen mussten, sollten erneut Süd- und Nordportal zum Great Court offen stehen und von diesen aus neue Zugänge zu den diversen Galerien frei gemacht werden.

Was das an Aufräumarbeiten mit sich brachte, lässt sich heute, wenige Wochen nach der offiziellen Eröffnung des Great Court durch die Queen (DER STANDARD berichtete), noch anhand ausführlicher Foto- und Textdokumentationen nachvollziehen. Minutiös zeichnet Robert Anderson, der Direktor des Britischen Museums, in seinem knapp vor der Einweihung des Innenhofs erschienenen Buch den Werdegang des Bauvorhabens nach, an dem auch die österreichische Firma Waagner-Biró mitwirkte. 28.000 Kubikmeter Müll und Schutt mussten aus dem Innenhof entfernt werden, das entspricht der Füllung von 17 olympischen Swimmingpools. 16.000 Tonnen Beton gingen in die Fundamente und den neuen Boden. Das Herzstück des Baus selbst - Fosters Dach - umfasst 6000 Quadratmeter Glas, das in Form von 3312 dreieckigen Paneelen in einen leicht geschwungenen Stahlrahmen eingepasst wurde. Was all diese Zahlen nicht ausdrücken können, versuchten nach der Fertigstellung des Daches Kritiker und Kommentatoren mit verbalem Überschwang zu vermitteln. Wo in der von Fosters Architekturbüro erstellten Beschreibung schlicht von einer „behutsamen Verbindung eines bestehenden Gebäudes mit einer neuen Konstruktion“ die Rede ist, sprachen Experten umgehend von einem weiteren Meisterwerk des Architekten und einem Triumph des Minimalisten Foster.

Dank Foster ist der 96 Meter lange und 72 Meter breite Great Court nun zum größten überdachten Platz Europas geworden. Er steht mit Buchhandlung, Café und Restaurant noch bis in den späten Abend offen, wenn die Galerien des Museums längst geschlossen sind. Ebenfalls lange zugänglich ist an mehreren Wochentagen der restaurierte Lesesaal, wo ab kommendem Frühjahr über Computerterminals umfassende Informationen zu den Museumsbeständen abzufragen sein werden.

Noch sind - anders als Fosters Werk am Museum - die Umgestaltungs- und Renovierungsarbeiten noch nicht abgeschlossen. Im Hinblick auf das 250-Jahre-Jubiläum des Gebäudes im Jahre 2003 sind unter anderem noch die Neueinrichtung mehrerer Galerien sowie eine Ausstellung über das kulturelle und intellektuelle Klima geplant, in dem das Britische Museum geschaffen und seine Sammlungen angelegt wurden.

Wird hier der Blick auch in die Vergangenheit gerichtet, so schaut Foster selbst bereits weiter in die Zukunft. Wenn er vom Great Court als „einem bedeutenden neuen öffentlichen Raum für London“ spricht, der Bloomsbury und die Londoner Universität im Norden mit Soho und Covent Garden im Süden verbinden soll, dann hat er ein umfassenderes städtebauliches Konzept im Sinn. Dabei geht es über das Britische Museum hinaus um eine Verbindung wichtiger Orte entlang mehrerer Nord-Süd-Achsen von St. Pancras bis zum Kulturzentrum South Bank.

Der Weg dahin schließt auch den Trafalgar Square mit ein, der, ebenfalls unter der Leitung Fosters, in den kommenden Jahren neu gestaltet werden soll. Dieses Projekt resultiert aus einer von der Architekturstiftung Mitte der 90er-Jahre initiierten Debatte darüber, wie man der britischen Hauptstadt die ihr gebührenden öffentlichen Räume (zurück)geben könnte.

Noch liegen für den Trafalgar Square keine umfassenden Pläne vor. Die Rede ist auf jeden Fall aber davon, dass die Straße, die derzeit zwischen der National Gallery und dem Platz verläuft, für den Verkehr gesperrt wird. Von der Gallery selbst soll eine weite, flache Treppe zum Platz hin führen. Foster will eine der Lage und Bedeutung des Orts angemessene, begrünte Piazza mit einem besseren Zugang zu den umliegenden Gebäuden und Monumenten entstehen lassen. Trafalgar sollen die Menschen in Hinkunft mit mehr verbinden als einem General auf einer Säule und dem Füttern von Tauben inmitten eines ohrenbetäubenden Verkehrslärms. Foster spricht bereits von einem weiteren „Herzen“. So wie er den von ihm nun überdachten Great Court als das Herz des Britischen Museum versteht, soll der von ihm neu zu gestaltende Trafalgar Square „ein neues Herz für London“ werden.

Der Standard, Sa., 2000.12.30



verknüpfte Bauwerke
British Museum - Umbau

09. Dezember 2000Brigitte Voykowitsch
Der Standard

Triumph eines Minimalisten

Nach Querelen im Vorfeld wird Fosters Umbau des British Museum gefeiert

Nach Querelen im Vorfeld wird Fosters Umbau des British Museum gefeiert

London - Die britischen Millenniumsprojekte standen unter keinem guten Stern. Wenn auch kein zweites so viel Häme auf sich zog wie der Dome, gänzlich unumstritten blieb kein einziges. Selbst die Eröffnung des letzten Projekts, des Großen Innenhofes (Great Court) des Britischen Museums durch die Queen, ging diese Woche nicht ohne Verstimmung ab.

Rund 1500 Gäste waren geladen, 600 sollten zum Diner bleiben. Doch einer der Geladenen verweigerte die Teilnahme: Der griechische Botschafter in London erklärte seine Absage in einem Schreiben damit, dass das Abendessen ausgerechnet in jenen Museumsräumen geplant war, in dem von Athen seit langem zurückgeforderte Marmorskulpturen vom Parthenon ausgestellt sind.

Weder diese Unstimmigkeit noch der vorangegangene Streit um die Neuerrichtung des Südportals des Innenhofs aber sollten von der großartigen Leistung von Stararchitekt Sir Norman Foster ablenken.

Nie habe er „seine Beherrschung minimalistischer eleganter Strukturen so brillant demonstriert“ wie bei der Überdachung des Great Court mit ihrer raffinierten Glas-und Stahlkonstruktion, schwärmte die Verdana. Das Südportal, ergänzte sie, solle bleiben. Vorzutäuschen, dass es sich um das Original handle, sei doch Humbug, verteidigte eine Reihe von Experten nun dieses Portal, für das - wie DER STANDARD berichtete - anstelle des ursprünglich im gesamten Innenhof verwendeten Portlandsteins ein ähnlicher - qualitativ aber minderer und zudem hellerer - Stein genommen worden war. Noch bis vor kurzem gab es deshalb Rufe nach einem Köpferollen in der Museumsleitung.

Mit der Wiedereröffnung des 150 Jahre lang als Stauraum der British Library verwendeten Innenhofs erhält das Museum neben zusätzlichen Galerien, Shops, Veranstaltungsräumen, einem Café und Restaurant vor allem einen zeitgemäßeren Anstrich.


5,5 Millionen Besucher

Allzu häufig war die verstaubte Atmosphäre kritisiert worden. Dazu kam das Gedränge. Für etwa 100.000 Besucher im Jahr war das Museum bei seiner Errichtung in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts konzipiert worden. Heute kommen jährlich um die 5,5 Millionen. Das umgerechnet 2,3 Milliarden Schilling teure Projekt war mit dem Auszug der British Library nach St. Pancras 1998 möglich geworden. Nicht ausgezogen ist der Leseraum im Zentrum des Innenhofs. Wo einst Karl Marx am Kapital schrieb und lediglich privilegierte LeserInnen wie Virginia Woolf, Arthur Rimbaud oder Ho Chi Minh Zutritt hatten, soll in Hinkunft jeder Besucher willkommen sein.

Der Standard, Sa., 2000.12.09



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British Museum - Umbau

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