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28. Juli 2012Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Acht Jahre Arbeit

Die Evangelische Schule von Theophil Hansen am Wiener Karlsplatz: Nach langen Jahren des Umbaus nimmt eine zukunftsweisende Schultypologie Form an. Nur der neue Turnsaal, der bleibt ein frommer Wunsch des Architekten.

Die Evangelische Schule von Theophil Hansen am Wiener Karlsplatz: Nach langen Jahren des Umbaus nimmt eine zukunftsweisende Schultypologie Form an. Nur der neue Turnsaal, der bleibt ein frommer Wunsch des Architekten.

Vermutlich ist es der Alptraum eines jeden Architekten, wenn er in ein Projekt acht Jahre Arbeit investiert und dann so relativ wenig davon sichtbar wird. So muss es aber Martin Treberspurg und seinen Projektleitern – den Architekten Christian Wolfert, Partner im Büro, und Manuel Schweizer sowie Annemarie Mladek, Architektin und seit Langem der evangelischen Gemeinde Wiens verbunden – ergangen sein: Planen Schritt für Schritt, je nach der finanziellen Lage, Bauen hauptsächlich in den Schulferien. So viele Jahre. Und kaum einer nimmt den Generalsanierungsfall Evangelische Schule am Wiener Karlsplatz wahr. Dabei geht es um einen Theophil-Hansen-Bau von 1861 und um eine großartige, zukunftsweisende Schultypologie.

Hansen hat das Gebäude im Stil der italienischen Renaissance entworfen; ein „gnädiges“ Grundstücksgeschenk des Kaisers machte es möglich. Bis heute steht im Grundbuch, es muss eine Schule sein, und wahrscheinlich steht sie deswegen noch und nicht irgendein Hotel. Unter den Nazis zur Volkssturmkaserne umgewidmet, wurde sie beim Einmarsch von den eigenen Leuten angezündet. Zwei Tage und zwei Nächte hat sie gebrannt, den gelagerten Sprengstoff haben Bewohner hinausgetragen. Der Wiederaufbau (1954–1961) erfolgte durch Freiwillige, Kriegsdienstverweigerer und Pazifisten aus religiöser Überzeugung, übrigens ganz unterschiedlicher Nationalität.

Die Folge waren viele, viele Mangelerscheinungen, die auch an die Substanz des Konzepts von Hansen gingen: Der zentrale, glasüberdachte Innenhof, um den die Klassen – 1861! – organisiert waren, wurde nicht mehr überdacht. Die schönen Arkadenumgänge wurden mit Türen und Fenstern geschlossen. Von Energieeffizienz keine Rede, dafür fehlte es an Bewusstsein und den entsprechenden Baustoffen. Platznot herrschte von Anfang an, obwohl Hansens Entscheidung, an der verkehrsreichen Wiedner Hauptstraße keine Unterrichtsräume, sondern Geschäfte und Wohnungen anzuordnen, Klassenzimmern gewichen war.

Treberspurg & Partner Architekten haben gewissermaßen bei der Eingangstür begonnen: Sie wurde „umgedreht“, weil sie tatsächlich noch nach innen aufgegangen ist. Ein gläserner Windfang definiert diesen Eingangsbereich. Und dann kommt man auch schon in den wiederhergestellten Innenhof. Dort wurden alle Einbauten entfernt, wurde die Bausubstanz saniert, die Glasüberdachung macht im Verein mit einer Fußbodenheizung wieder einen echten Innenraum daraus. Und der ist technisch so ausgerüstet, dass man ihn für Veranstaltungen, etwa Konzerte, nutzen kann. Akustisch sind die Voraussetzungen dafür bestens. Und das ist wichtig, weil hier neben einer Volksschule, einer „Wiener Mittelschule“ und einem Hort mit Vorschulklasse auch die JSB (Johann Sebastian Bach) Musikschule untergebracht ist. Was Generalsanierung bedeutet, kann man sich vorstellen: Alles neu, was nicht unmittelbare Gebäudesubstanz ist; in diesem Fall aber auch eine neue Dachkonstruktion, natürlich in Stahl und auf Stützen, die den heutigen Brandschutzbestimmungen entspricht; Wärmedämmung; und eine Dachverblechung aus Aluminium, die sich mit ihrem Grünton auf die oxidierten Kupferdächer der Gründerzeit bezieht. Die wichtigsten architektonischen Maßnahmen bestehen in der Überbauung der beiden Lichthöfe, die zuvor Nebenräume belüftet haben, und im Ausbau des Dachgeschoßes. Jetzt sind in den überbauten Lichthöfen Garderoben untergebracht, sodass die gut belichteten Räume, wo sie zuvor waren, den Klassen zwischengeschaltet werden konnten und die Unterrichtsmöglichkeiten erweitern. Treberspurg hat übrigens Hansens Überlegungen bezüglich der Hausseite zur Wiedner Hauptstraße beachtet, dort wurde eine kontrollierte Komfortlüftung installiert, die Fenster können geschlossen bleiben.

So richtig zeitgenössisch geht es vor allem im ausgebauten Dachgeschoß zu, wo der Direktions- und Lehrerbereich eine neue, durchaus großzügige Unterkunft gefunden hat: Belichtet durch hier gestattete Dachflächenfenster (an der Schauseite des Hauses strikt untersagt) und über die Glaswände zum Gang hin auch mit dem Ausblick auf eine kleine Terrasse. Davon gibt es jetzt zwei, jeweils über den überbauten Lichthöfen, und dazu noch eine sehr große Terrasse über dem Mitteltrakt. Auch die Bibliothek fand hier Platz, wiewohl sie Lesesaal heißt (Bauvorschriften).

Die Bauvorschriften, die Brandschutzbestimmungen, das Geld: Um diese Parameter dreht sich hier alles. Dem Hansen-Bau sollte kein Schaden zugefügt werden, aber es bedurfte komplexer Überlegungen und einer Tüftelei um Zentimeter. Der Brandschutz etwa hätte ein zweites Stiegenhaus erfordert, dafür war im Haus selbst aber kein Platz, man hätte es außen dran stellen müssen. Jetzt ist jede Klasse ein eigener Brandabschnitt mit Fluchtmöglichkeit über die Haupttreppe, der zweite Fluchtweg sind die Fenster – das Haus steht frei und ist für die Feuerwehr rundum zugänglich.

Die Sicherheitsbestimmungen hätten Schlimmes anrichten können, verstärkt durch die Ängste der Lehrer. Denen wäre am liebsten gewesen, die Brüstungen in den Arkaden zu erhöhen und zusätzlich vollflächig mit Netzen zu sichern. Das wurde abgewendet, eine dezent zurückgesetzte Verglasung auf den Brüstungen des Bestands erfüllt alle Anforderungen und tritt visuell kaum in Erscheinung. Dass man sich beim Innenausbau aus finanziellen Gründen sehr zurücknehmen musste, empfinde ich nicht als Mangel. Das hat eher für eine gewisse Selbstverständlichkeit gesorgt, die in aller Schlichtheit mehr überzeugt, als es kostspielige Kapriolen je könnten.

Martin Treberspurg hätte gern im Zwischenraum zwischen Technik und Evangelischer Schule unterirdisch einen ordentlichen Turnsaal für die Schule gebaut, der jetzige ist zu klein. Aber dafür gibt es kein Geld. In den Bundesländern ist eine Drittelfinanzierung – ein Drittel Betreiber, ein Drittel Land, ein Drittel Bund – gang und gäbe. Die Bundeshauptstadt hält sich jedoch bedeckt, weil die Evangelische Schule eine Privatschule ist. Wie heißt dieser werbewirksame Slogan doch so schön? Wien ist anders.

Spectrum, Sa., 2012.07.28

16. Juni 2012Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Ein Haus der Lebenden

Das neue Gebäude für die Zentralverwaltung der Wiener Friedhöfe zeigt Haltung. Über ein untypisches Werk von Delugan-Meissl.

Das neue Gebäude für die Zentralverwaltung der Wiener Friedhöfe zeigt Haltung. Über ein untypisches Werk von Delugan-Meissl.

Delugan-Meissl – oder korrekt: DMAA, Delugan Meissl Associated Architects –, die Zweite. Nach dem Filminstitut in Amsterdam, von dem erst kürzlich die Rede war, ist nun das Gebäude für die Zentralverwaltung der Wiener Friedhöfe fertig. Es steht exakt gegenüber von Tor zwei des Zentralfriedhofs, auf einem Gelände, wo vorher fast nichts war, und es zeigt Haltung. Haltung in Bezug auf den urbanen Kontext, die Simmeringer Hauptstraße ist nicht gerade ein Highlight unserer Stadt, Haltung in Bezug auf das historische Gegenüber von Tor zwei des Wiener Zentralfriedhofs, das zweifellos Respekt verdient, vor allem aber Haltung in Bezug auf die Nutzer, ob es nun Mitarbeiter oder Kunden sind. Hier kommt man nicht zum Spaß her, hierher kommt man, wenn man einen Todesfall in der Familie hatte.

It's not like Delugan-Meissl. So streng hat man dieses Architekturbüro noch nie erlebt, so ganz unorganisch, so unheimlich rigide. Von außen ist das Haus fast quadratisch, von innen hat es den Zuschnitt eines U. Aber das sieht man von außen nicht, weil die Fassade aus vertikal gereihten, formal vollkommen unsystematisch entwickelten, weißen Aluminium-Sandwichpaneelen eine Gebäudehaut bildet, die dem großen Volumen architektonisch eine Fassung gibt. Allerdings löst sich diese weiße, sehr strenge und in keinerlei Regelmäßigkeit nachvollziehbare Haut aus den plastischen Paneelen – sie haben Körper, das Material lässt sich biegen und knicken – manchmal von den dahinter liegenden Bürogeschoßen ab. Die sind nämlich in schwarzem Putz, mit schwarzen, bündig sitzenden Fensterbändern und getöntem Glas. Der Kontrast zur weißen, glatten Fassadenhaut könnte nicht besser funktionieren.

Das ist schon deswegen bemerkenswert, weil es in Wahrheit um einen ganz gewöhnlichen Verwaltungsbau geht. Und Bürohäuser basieren nun einmal auf einem ziemlich primitiven Raster. Diesen Raster durch eine vollkommen unsystematische Fassadenstruktur zu verunklären, nicht mehr lesbar zu machen, obwohl trotzdem alles hinsichtlich der Nutzung hervorragend gelöst ist, das kann man als kleines Kunststück ansehen. Die Entscheidung für eine solche Lösung war aber nicht bloß eine formalistische Laune der Architekten. Da stecken viele Überlegungen dahinter. Städtebauliche sowieso, denn als verantwortungsbewusster Architekt kann man an die Simmeringer Hauptstraße, noch dazu gegenüber von Tor zwei, nicht irgendein Bürohaus hinstellen. Und den Menschen, die als Kunden hierherkommen, muss man einfach einen räumlich seriös und ernsthaft wirkenden Rahmen bieten, der ihrer momentanen, durch einen Todesfall überschatteten Situation gerecht wird. Das Haus, deutlich abgerückt vom Straßenverlauf selbst, hat eine rundum verglaste (getöntes Glas) Sockelzone, über die die beiden Obergeschoße mit der weißen Fassade hinausragen. Man betritt es von der Simmeringer Hauptstraße, und dieser Zugang ist ausgesprochen gut gelöst. Ganz draußen alte Bäume, dann eine neue Grüngestaltung mit Rasen und Birken, die das Weiß der Fassade zitieren, unter dem auskragenden Obergeschoß hindurch der Haupteingang. Diese Differenzierung im Übergang von außen nach innen, diese Art einer architektonischen Schleuse, die ist wirklich gelungen. Und dann kommt man hinein – und der Raumeindruck ist überwältigend.

Es ist eine sehr große Halle, in der der Kundenverkehr abgewickelt wird. Wie gesagt, man kommt hinein über diesen Zwischenbereich eines überdachten Außenraums, wo man schon einen ersten Blick auf schauerliche Grabsteine werfen kann, betritt den räumlich niedrigeren, unmittelbaren Empfangsraum, aber visuell ist man gleichzeitig mit dieser großartigen Halle konfrontiert. Hier findet die umfassende Kundenberatung statt. Gleich dahinter angelagert ist ein Ausstellungsraum für Urnen und Särge – die wiederum als designerischer Alptraum gelten dürfen, den aber auch die Gestaltungsangebote der Architekten nicht relativieren konnten –, ebenfalls angelagert liegen seitlich spezielle, unterschiedlich dimensionierte Besprechungsräume.

Diese Halle mit Oberlicht und Sheds, die eine Höhe von über 1,20 Metern haben und durchaus plastisch ausgebildet sind, wobei auch eine Rolle spielt, wie sie im Winkel zur oberbelichteten Decke aus einem speziell gerasterten Glas stehen, die entfaltet eine erstaunlich intensive Raumwirkung. In dem Fall konnten die Architekten auch das Mobiliar entwerfen – im weiteren Haus haben sie nur Empfehlungen ausgesprochen –, dieses Mobiliar ist flach, sehr flach, gegliedert, um nicht zu sagen: zerschnitten durch die nutzungsbedingten Vorgaben, jedenfalls bringt es den Raum zum Leuchten.

DMAA haben sich auf keinerlei Klischee eingelassen, das hierzulande immer noch in Bezug auf Trauerfälle gilt. Es ist ein Haus für die Lebenden, ob sie nun Kunden oder Mitarbeiter sind: sehr hell, sehr freundlich, sehr großzügig. Es kommen nur wenige Materialien vor – weiße Wände und viel Glas, bedruckt mit gepixelten Bäumen, was man allerdings kaum nachvollziehen kann, in den halböffentlichen Bereichen auch viel Holz, etwa als Eichenparkett, weiß gekalkt und geölt, auf dem Boden, oder in einer etwas kräftigeren Färbung an den Wänden; in den beiden Obergeschoßen, im reinen Bürobereich liegen dann Teppichböden; die weißen Gipskartonwände stoßen nicht direkt an die Fassade, ein breiter Glasstreifen bewältigt diesen Übergang; die Glastüren zu den Büros haben in Kopfhöhe eine mattierte Fläche, sodass man den Blicken der Vorübergehenden nicht ausgeliefert ist. Natürlich haben alle Büros räumlich einen Zuschnitt, der sie für die Mitarbeiter angenehm macht. Und die Architekten waren bei der Entwicklung der Grundrisse geschickt genug, um die Gänge – sie laufen immer aufs Tageslicht zu – so zu verschwenken, dass an den Knotenpunkten räumlich aufgeweitete Kommunikationszonen entstehen. Eine Hervorhebung verdient die sogenannte Kantine, ein sehr eleganter Raum, den man für Veranstaltungen auch buchen kann; und sicher müssen die Terrassen erwähnt werden, also jene Schnittstellen, wo sich die weiße Gebäudehaut von den schwarzen Putzfassaden der Bürotrakte ablöst. Ein Gebäude häutet sich, neue (Frei)Räume entstehen. Und man versteht, dass die Menschen diese Arbeitssituation lieben.

Spectrum, Sa., 2012.06.16



verknüpfte Bauwerke
Unternehmenszentrale Bestattung und Friedhöfe Wien

05. Mai 2012Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Berliner Einkaufszentrum: So etwas baut man nicht alle Tage

Wenn Ortner & Ortner in Berlin gestalten: ein denkmalgeschützter Komplex aus den 1950er-Jahren, eine glasüberdachte Straße, ein funktionell gestaltetes Parkdeck – und doch nur Kommerzarchitektur?

Wenn Ortner & Ortner in Berlin gestalten: ein denkmalgeschützter Komplex aus den 1950er-Jahren, eine glasüberdachte Straße, ein funktionell gestaltetes Parkdeck – und doch nur Kommerzarchitektur?

Es ist schon ein riesiger Architektur-Tatbestand, dieses Einkaufszentrum „Boulevard Berlin“. 76.000 Quadratmeter Nutzfläche baut man einfach nicht alle Tage. Das Büro Ortner & Ortner Baukunst – das sind Laurids und Manfred Ortner, die seinerzeitige Kerntruppe von Haus-Rucker-Co –, hat mit Großbaustellen allerdings einige Erfahrung, da muss man gar nicht an das Wiener Museumsquartier denken. Auch in Deutschland ist einiges entstanden – und nicht nur Kulturbauten wie die Sächsische Landesbibliothek (1996–2002), sondern ebenfalls Bauaufgaben, die in den Sektor „Kommerz“ fallen, das Forum Duisburg Shopping Center (2005–2008), mehrfach ausgezeichnet übrigens, oder das Berliner Alexa (2003–2007), das allen Unkenrufen zum Trotz – Gänge zu breit, Geschäfte zu wenig tief, man sieht schon von außen alles, man braucht gar nicht hineinzugehen – ein richtiger Publikumshit geworden ist.

Und jetzt also Boulevard Berlin. Ein holländischer Investor – offenbar schon eine Art Stammkunde von O&O – hat das gesamte Areal gekauft, auch den denkmalgeschützten Wertheim-Komplex aus den späten Fünfzigerjahren, erstaunlicherweise aber auch eine Straße, die Treitschke Straße, die jetzt als gut hundert Meter lange, glasüberdachte Passage – natürlich nur Fußgängern – zur Verfügung steht. Sie ist integraler Bestandteil des Einkaufszentrums, aber auch außerhalb der Öffnungszeiten zugänglich, ein gewohnter Weg für die Anrainer und die kürzeste Verbindung von der Schloßstraße zu einem kleinen Park, der unter den Bauarbeiten natürlich gelitten hat, aber durchaus liebevoll wieder aufgepflanzt wurde.

Wir sind in Berlin-Steglitz und an einem Ort, der Schlossstraße, wo es durchaus um die Konkurrenz zu den großen, berühmten Einkaufsstraßen Berlins geht, die Konkurrenz zur Friedrichstraße, zum Kurfürstendamm. Städtebaulich hat man es hier mit sehr, sehr großen und tiefen Gebäudeblöcken zu tun. Und jeder, der in den Fünfziger-, Sechziger-, Siebzigerjahren hier gebaut hat – man denke nur an den „Titania“-Filmpalast –, setzte sich auf diese „Footprints“ einfach drauf. Berlin hat tatsächlich einen so völlig anderen städtebaulichen Maßstab als Wien, es ist immer wieder überraschend.

Die Ortners, seit vielen Jahren dort ansässig und neuerdings auch Betreiber eines eigenen kleinen Ausstellungsraums, des sogenannten Depots, das einen Besuch durchaus lohnt, die Ortners haben etwas sehr Intelligentes gemacht: Sie haben die gewaltigen Volumina, die sie da zu bauen hatten, sozusagen durchgeschnitten. Sie haben Bauabschnitte konzipiert, die jeweils einen eigenen Charakter, ihre eigene Identität haben. Es reihen sich also formal differenzierte Bauten aneinander. Das ist für ein so großes Bauvorhaben sehr wichtig, denn die Einöde, die aus der Uniformität einer großflächigen, undifferenzierten Architektursprache entstehen kann, die darf man keinesfalls unterschätzen.

Es geht um vier Geschoße, deren Haupterschließung die erwähnte Glaspassage – 15 Meter breit, 15 Meter hoch, 100 Meter lang – darstellt. Besonders reizvoll erscheint mir daran, dass die Autos zum Parken über verglaste Brückenverbindungen hinauf auf die beiden Parkdecks auf dem Dach fahren müssen, was man von unten, von der Glaspassage aus, natürlich sieht. Das ist ein sehr netter und auch sinnvoller Gag, denn es ist ganz gewiss ein Fehler, wenn Architekten den Weg zum Parken und die Parksituation insgesamt nicht ernst nehmen. Dort spielt sich doch alles ab, vom Ausladen der Kleinkinder bis zum Einladen der Einkäufe. Wieso wird das eigentlich immer so geringgeschätzt?

Überhaupt: Sind Einkaufszentren die Kulturpaläste unserer Zeit? Jedenfalls sind sie Orte, an denen sehr viele Menschen zusammenkommen, und sie geben Geld aus. Und dem muss die Architektur Rechnung tragen. Am Boulevard Berlin tut sie das mit einem erstaunlichen Angebot an großen und kleineren nutzungsneutralen Bereichen, wo man sich einfach einmal hinsetzen und entspannen kann, wo sich eventuell auch etwas konsumieren lässt. Sie tut es mit einer Abfolge von sehr verschieden gelösten Innenräumen, von sehr niedrig bis zu ganz hoch – die höchste Stütze, in Sichtbeton, misst immerhin 18 Meter und hat, wie ich mir sagen ließ, so viel gekostet wie ein ganzes Einfamilienhaus. Sie tut es aber auch mit Fassadenlösungen, die definitiv vermitteln, dass man von einem Abschnitt in den anderen tritt, dass man womöglich einen Wechsel in der konsumierbaren Weltanschauung vollzieht. Sicher bleibt einem dabei etwas nicht erspart, die Einsicht nämlich, dass das alles eine Art von Betrug ist. Ob Muschelkalk oder Jura-Marmor, ob Putz oder getöntes oder helles Glas, ob noch so viel Holz – nein, diese Wunder vermögen Architekten nicht zu vollbringen, dass die Kernfrage, das Einkaufszentrum an sich, diese fokussierte, dabei sinnentleerte Konsumhölle, irgendwie verdaulicher würde.

O&O haben wirklich alles durchgespielt, was es an architektonischen Möglichkeiten bei einer solchen Bauaufgabe überhaupt gibt – vom Terrassenhaus bis zum pyramidalen Innenraum, vom feinen Bezug zum Außenraum/Park bis zur großstädtischen Blockfassade. Die Herrschaften wissen genau, worum es geht, und sie spielen auf der Klaviatur ihres Handwerkszeugs unheimlich gekonnt.

Mehr ist eigentlich nicht zu sagen, wäre da nicht diese Vergangenheit von Haus-Rucker-Co. Wo ist sie geblieben? Wo? Wo? Wo? Mein Gott, was haben wir doch alle gelächelt über die Anstrengungen der Coop Himmelb(l)au, die den Haus-Ruckern damals nicht einmal das Wasser reichen konnte. Und wo sind wir jetzt? Die Coop Himmelb(l)au hat sich durchgebissen bis zum Kultstatus, was allerdings nicht wirklich eine Aussage über die Qualität ihrer Architektur darstellt, vielleicht eher eine über den Grad des gespannten Interesses daran. Auch das wäre aber schon etwas, finde ich. Dagegen die altgedienten Haus-Rucker? O&O? Man kann sich natürlich vornehmen, man steigt jetzt ins kommerzielle Architekturgeschäft ein und macht das, und zwar gut. Man ist gescheit genug, um genau zu wissen, wo es langgeht. Aber hat das funktioniert? Ich bezweifle es ernsthaft. So komisch es klingen mag, wenn man Kommerzarchitektur baut, dann kommt immer nur Kommerzarchitektur dabei heraus. Und da kann man auch O&O heißen. Es macht keinen Unterschied.

Übrigens, das Depot: Dieser kleine Ausstellungsraum von O&O, da muss man hin. Es schnürt einem förmlich das Herz ab, wenn man diese Arbeiten sieht. Auch wenn es neuere sind. Da sieht man einfach, was sie wirklich können. Und es hat ja nie jemand daran gezweifelt, dass sie zu den Besonderen gehören.

Spectrum, Sa., 2012.05.05

31. März 2012Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Mehr als Popcorn und Cola

Amsterdam: Im Filminstitut Eye ist Kino endlich wieder ein kommunikatives und gesellschaftliches Erlebnis. Kosenamen erhält das neue Gebäude am Ufer des Flusses IJ von der Bevölkerung bereits jetzt.

Amsterdam: Im Filminstitut Eye ist Kino endlich wieder ein kommunikatives und gesellschaftliches Erlebnis. Kosenamen erhält das neue Gebäude am Ufer des Flusses IJ von der Bevölkerung bereits jetzt.

Die Amsterdamer lieben es schon jetzt, das neue Filminstitut Eye, das am Nordufer des Flusses IJ – man könnte von einer Doppelcodierung reden, denn auf Holländisch spricht sich der Fluss genauso aus wie das englische Auge – als neue Landmark die Aufmerksamkeit auf sich zieht. Das zeigen schon die liebevollen Kosenamen – Auster, Perle, Auster mit Perle und weißer Schwan –, mit denen das Haus wechselweise bedacht wird. Und es setzt ja auch wirklich einen Akzent, den dieses erst noch zu entwickelnde Stadtgebiet Amsterdams durchaus braucht. Früher war dort auf einem sehr weitläufigen Areal ein rigoros abgeschottetes Forschungszentrum des Shell-Konzerns, wovon heute noch ein Hochhaus, der sogenannte Overhoeks Tower, zeugt. Es steht ziemlich nah neben dem neuen Filmhaus, eingepackt in eine Werbefläche für Letzteres, und das ist gar nicht ungut. Irgendwie betont dieses vermeintlich brutalistische, in Wahrheit nichts als kommerzielle bauliche Rufzeichen die Qualitäten des Hauses von DMAA – Delugan Meissl Associated Architects – erst so richtig.

Wir befinden uns gegenüber des riesigen Zentralbahnhofs von Amsterdam (hier verkehren täglich 100.000 Menschen). Ununterbrochen transportieren Fähren – übrigens kostenlos – Passagiere über den Fluss, der Weg zum Gebäude ist ein Katzensprung. Zuvor hat man das Bild dieses weißen, flachen, kühn auskragenden Objekts schon einmal in sich aufgenommen. Und die Spitznamen der Amsterdamer haben sich ein erstes Mal bewahrheitet.

Die Architekten haben sich einen recht langen Weg ausgedacht, der ins Gebäude hineinführt. Man betritt es genau genommen in der ersten Etage, im Basement sind die Büros, auch Restaurierungswerkstätten etc. Aber wenn man diese lange Freitreppe erst einmal überwunden hat, dann kommt man schon einmal auf eine großartige Terrasse. Großartig und sehr groß, ein fantastischer Blick auf den Fluss und das Gegenüber bietet sich einem. Und groß geht es auch drinnen weiter. Eine solche räumliche „Verschwendung“ sieht man selten. Man kommt in eine Art riesiges Atrium mit sehr viel dunkel geöltem Eichenholz, das künftig Café, Bar, Restaurant enthalten wird, das Aufenthaltsraum ist – und auch geeignet für jedes und alles an temporären Events. Natürlich sind die Decken höhenmäßig verschnitten, das steigert sich von niedrig bis ganz hoch, da wächst auch einmal organisch aus einer ansteigenden Arenatreppe eine Bar heraus; man könnte sagen: Es wuchert, aber nach Regeln. Und das Ganze wird dann durch die wunderbaren Leuchtkörper von Olafur Eliasson – einem Serienprodukt von Zumtobel – atmosphärisch sehr effektvoll gesteigert.

Der Gedanke war, darüber hat Roman Delugan bei der Pressekonferenz ausführlich geredet, einen Raum zu schaffen, der so einladend ist, dass wir unsere schlechten Kinogewohnheiten wieder ablegen. Nicht einfach hineingehen mit Popcorn und Cola, herausgehen, und das war es. Nein, diese Räume schaffen den Rahmen für Kino als kommunikatives Erlebnis, auch als gesellschaftliches Event. Wieder anders mit Film umgehen, nicht wie Fernsehen in der Menge, das steckt hinter dem räumlichen Konzept. Es gibt vier Kinosäle, von denen einer relativ groß und auch als Premierenkino geeignet ist – 315 Plätze –, die anderen fassen 130 und der kleinste 67 Besucher. Da ist eine Sache, die mich nicht sonderlich überzeugt. Im alten Filminstitut, das in einer Villa im Vondelpark untergebracht war, gab es einen historisch dekorierten Vorführraum. Und den wollte man ins neue Gebäude übertragen. Das ging nicht, der Zustand der Substanz hat es nicht erlaubt. Herausgekommen ist eine zeitgenössische Interpretation, auf die man durchaus hätte verzichten können.

Im Übrigen sind die Kinos ganz normale Boxen. Gott sei Dank. Denn da geht es immer noch um die Filme, die gezeigt werden. Würde sich die Architektur zu viel Eigenwert anmaßen, es wäre definitiv falsch. Kubelka hat schon gewusst, wovon er redet, als er seine Blackbox propagierte. Und das haben die Architekten bei allen möglichen Ambitionen, die ihnen wichtig gewesen sein mögen, auch begriffen.

Das Haus fließt. Delugan will es nicht als Skulptur eingestuft wissen. Es ist ein Organismus, sagt er. Das ist natürlich Koketterie, es hat aber auch seine Richtigkeit. Man schlendert so durch, man wechselt die Ebenen, immer auch begleitet durch wechselnde Raumhöhen, die unheimlich schnittig zu sehr diversen Raumerlebnissen führen. Und in zwei Fällen, seitlich vom großen Saal, steht man sogar vor sehr schmalen, steilen Treppen, die scheinbar ins Nichts führen – aber nein, sie sind kein Gag für räumliche Zwickelrestflächen, dort geht es zur Vorführkabine. Das Bild eines Organismus hat jedenfalls eher seiner Richtigkeit als das einer – statischen – Skulptur.

Man sollte vielleicht noch erwähnen, was Eye, das absolut führende Filminstitut der Niederlande, leistet – und jetzt leisten kann. Sie haben immerhin 1.200 Quadratmeter Ausstellungsfläche, die sie anlässlich der Eröffnung am 5. April auch entsprechend nutzen werden. Sie haben ein sehr intelligentes Konzept der Vermittlung. „Panorama“ nennt sich ein Bereich, wo man unter acht Themen anklicken kann, was einen interessiert, kurz hineinschauen, aber auch in einem weiteren Raum und eigens entwickelten, sehr nett designten gelben Boxen den Film auf Abruf ansehen kann. Es gibt sogar die entsprechende akustische Installation, um Stummfilme adäquat zu begleiten. Und natürlich ist alles da, um auch Kindern das Medium Film nahezubringen.

DMAA mussten sehr lange durchhalten, um ihr siegreiches Wettbewerbsprojekt realisieren zu können; nahezu acht Jahre, den Planungsauftrag haben sie 2005 erhalten. In dieser Zeit gab es einen Direktorenwechsel, was eine solche Projektentwicklung nie vereinfacht. Aber gut Ding braucht eben manchmal Weile. Und er ist wirklich gut geworden, dieser fast prototypische zeitgenössische Filmpalast – aus Amsterdamer Sicht vielleicht sogar eine späte Wiedergutmachung für die viel weniger glückliche, ebenfalls österreichische „Stopera“ des Wilhelm Holzbauer.

Spectrum, Sa., 2012.03.31



verknüpfte Bauwerke
EYE Film Instituut Nederland

11. Februar 2012Liesbeth Waechter-Böhm
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Göttlicher Zufall

Sie ist nicht zu übersehen: die Martin-Luther-Kirche in Hainburg. Wolf D. Prix bietet mit Coop Himmelb(l)au nicht nur formal Neues, sondern nutzt aktuelle konstruktive und technische Möglichkeiten für seine Ideen. Ein Winterbesuch.

Sie ist nicht zu übersehen: die Martin-Luther-Kirche in Hainburg. Wolf D. Prix bietet mit Coop Himmelb(l)au nicht nur formal Neues, sondern nutzt aktuelle konstruktive und technische Möglichkeiten für seine Ideen. Ein Winterbesuch.

Es war sicher nicht der ideale Zeitpunkt für diesen Architektur-Sightseeing-Trip nach Hainburg. Weniger der eisigen Temperaturen wegen als vielmehr aufgrund des mangelnden Sonnenlichts. Hätte es das gegeben, das innenräumliche Erlebnis der Martin-Luther-Kirche von Coop Himmelb(l)au hätte sich noch gesteigert.

Die Anfahrt war nicht ganz problemfrei. Auf dem Parkplatz eines Discounters fand sich erst nach einiger Suche jemand, der mir in ausgezeichnetem Deutsch gesagt hat: Sie fahren immer gerade aus, die Kirche ist links. Nicht zu übersehen, es ist eine sehr schöne Kirche.

So war es auch. Sie war nicht zu übersehen, und schon auf den ersten Blick hat sie irgendwie gepasst. Maßstäblich auf jeden Fall. Wir sind immerhin mitten in der Altstadt Hainburgs, was sich in den Gassenbreiten und den Gebäudehöhen nach wie vor ausdrückt, weniger allerdings in der unmittelbaren Bebauung. Die ist zum Teil neueren Datums und eher uninteressant. Hier jedenfalls steht die Martin-Luther-Kirche, entworfen von Wolf D. Prix. Prix hat seine ersten 13 Lebensjahre in Hainburg verbracht und nun seinen Entwurf der evangelischen Gemeinde geschenkt.

Es ist ein kleiner Bauplatz – 420 Quadratmeter –, aber es ist auch eine kleine evangelische Gemeinde. In Hainburg umfasst sie etwa 280 Menschen, mitgerechnet das Einzugsgebiet 490. Da kommt man, wenn die Architektur etwas leistet, räumlich schon zurecht. Prix hat in Bezug auf den Grundriss überhaupt keine Salti geschlagen. Das Gebäude hat drei Teile, erschlossen durch einen Gang. Dieser Gang ist oben verglast, die Verglasung hat ein Schneeflocken-Muster, Letzteres dient der Beschattung.

Linker Hand sind die Nebenräume angeordnet – also Sakristei, Toiletten, Küche und das Büro des Pfarrers. Rechts hingegen geht es um die Hauptsache: vorne, zur Straße, der Kirchenraum, dahinter, zur kleinen Gartenfläche, der Versammlungsraum für die Gemeinde, dazwischen ein konisch verlaufender Bereich für die Kinder – Prix hatte ursprünglich dort das Taufbecken (Granit) aufgestellt. Aus womöglich liturgisch-zeremoniellen Gründen steht es jetzt aber neben dem Altar. Beide Bereiche, Gottesdienstraum und Gemeinderaum, sind über Falttüren miteinander zu verbinden. Dann gibt es für annähernd 140 Menschen Platz.

Zwischendurch ein kurzer Blick auf die Materialien. Auf dem Boden: ein gespachtelter Kunststoff, grau, dessen Haptik durchaus an Naturstein erinnert, ohne ihn nachzumachen. An den Wänden, ebenfalls grau, 3-D-gefrästes Eternit, ebenfalls von überaus angenehmer, geradezu warmer Haptik. Das hat seine Bedeutung, gerade bei einem derart einfach ausgestatteten Innenraum.

Halten wir fest: Sowohl der Kirchenraum als auch der Versammlungsraum umfassen jeweils nicht mehr als 64 Quadratmeter. Und die entsprechen der Grundfläche eines bauhistorischen Denkmals ganz in der Nähe, des Karners oder Beinhauses, auf den sich Prix bezieht. Dieser Karner hat nämlich – man könnte sagen: ein zeltartiges Dach. Seine Krümmung lieferte den Ausgangspunkt für die entwerferischen Überlegungen zur Formulierung jener drei Oberlichten über dem Kirchenraum, die nun – neben dem 20 Meter hohen Glockenturm – das entscheidende Charakteristikum dieser Kirche darstellen. Denn eines ist klar: Von der Coop Himmelb(l)au ist immer nur eine Architektur zu erwarten, die nicht nur formal Ungewohntes, womöglich Neues bietet, sondern die heutige konstruktive und technische Möglichkeiten sehr gut ausnutzt. Beim Kirchendach war das einmal mehr der Fall: Es wurde in einer Schiffswerft an der Ostsee gebaut, zusammengesetzt aus 210 Einzelteilen, und dann, zerschnitten in drei Teilen angeliefert (anders wäre man durch das Stadttor nicht gekommen), im katholischen Pfarrhof gegenüber zusammengeschweißt und in einer spektakulären Kranaktion auf den Kirchenbau aufgesetzt. Prix schwebte ein Tisch vor – tatsächlich tragen vier Stahlsäulen das 28 Tonnen schwere „Dachobjekt“.

Dass es noch einen zweiten Bezugspunkt für den Entwurf gegeben hat, mag Fachleuten auffallen: Corbusiers „La Tourette“ mit seinen aufgesetzten, plastischen Oberlichtelementen. Aber Prix zieht sie durch, bis hinunter in den Kirchenraum, dessen Decke dadurch fast organisch moduliert ist. Man kommt nicht umhin anzuerkennen, dass dieser Kirchenraum atmosphärisch sehr dicht, sehr eindrucksvoll wirkt. Das ist in einem evangelischen Andachtsraum besonders wichtig, weil er ohne katholisches Dekor der Marien- und Heiligenverehrung auskommen muss. Nur weiße Wände, Sitzreihen – gewählt wurde ein Sessel von geradezu klassischer Modernität –, der markant geformte Altar und die schon vielfach besprochene, gefaltete Glasfront zur Straße. Prix hätte sie gern unverstellt gelassen, dann hätte jeder Passant von außen Zeuge der Messe sein können. Aber das war eine zu weitgehende Forderung. Ein massiver, unregelmäßig gelochter Schirm aus Seekiefer, geteilt in vier Elemente, sodass sich dazwischen die Kreuzform ergibt, relativiert die Offenheit des Kirchenraums.

Der „Kanzelaltar“, organisch geformt, hat drei kleinere „Löcher“ oben und ein großes, flaches „Loch“ unten, er wurde aus Kunststoff gegossen und perfekt verkleidet mit Aluminiumblech. Natürlich war er in Aluguss gedacht, das konnte sich die evangelische Gemeinde aber nicht leisten. Sie ist mit den 1,4 Millionen Euro Baukosten ohnehin an die Grenzen ihrer Möglichkeiten gegangen.

Mich hat ein engagierter Vertreter vom Verein „Freunde der evangelischen Kirche in Hainburg/Donau“ geführt, Herr Adolf Reichel. Prix sagt: Ohne ihn gäbe es diese Kirche gar nicht. Reichel hat mir nicht nur die überaus schwierige Vorgeschichte dieses Kirchenbaues erzählt, sondern auch, wie die Gemeinde mit der Formensprache der Coop Himmelb(l)au umgeht. Sie fasst die drei Oberlichten im Andachtsraum als Zeichen der göttlichen Trinität auf, ebenso die drei Öffnungen im Altar, und die große, flache Öffnung unten als das leere Grab Christi. Alles Zufall, sagt Wolf D. Prix. Das mag/wird so sein. Aber ist es nicht eine wunderbare Art der Aneignung zeitgenössischer Architektur?

Spectrum, Sa., 2012.02.11

31. Dezember 2011Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Hotel der anderen Art

Das Hotel Daniel am Landstraßer Gürtel in Wien birgt einige Erstaunlichkeiten: außen groß, innen im Minimalstil gehalten mit Flohmarkt-Chic. Allein, es fragt sich, welche Klientel es ansprechen soll.

Das Hotel Daniel am Landstraßer Gürtel in Wien birgt einige Erstaunlichkeiten: außen groß, innen im Minimalstil gehalten mit Flohmarkt-Chic. Allein, es fragt sich, welche Klientel es ansprechen soll.

Die Überraschung ist gewaltig, wenn man das neue Hotel Daniel am Landstraßer Gürtel betritt. Denn man kommt zwar in einen sehr großzügigen, offenen Raum mit einer Art Empfangszone sowie Bar und/oder Restaurant („Bakery“), aber möbliert ist das Ganze äußerst eigentümlich, auf eine Art gehobenes Flohmarktniveau. Da mischen sich die Nachkriegsjahrzehnte beliebig durcheinander, durchaus konzentriert auf Massendesign, dazwischen niedrige Tische, die sogar Euro-Paletten nutzen, wie sie jeder Hubstapler im Baumarkt bewegt. Viele Topfpflanzen, meistens der kleineren, wenig repräsentativen Art. Spiegel? Eine alte Psyche, so stand sie auch im Schlafzimmer meiner Eltern. Eine wunderschöne, hölzerne Werkbank, wozu ist die da? – Was man zunächst aber keineswegs findet, das ist die Rezeption.

Die gibt es natürlich schon, aber man muss sie erst einmal identifizieren. Vom Outfit her hat sie jedenfalls mehr von einem Shop. Mir sind Hemden in Erinnerung, die gleich daneben zum Verkauf ausliegen. Das Personal ist jedenfalls sehr freundlich. Ein etwas ratloser Rundgang wurde gleich, aber nur kurz unterbrochen mit der Frage, ob man vielleicht irgendwie helfen könne. Verneinung, Rückzug, freie Bewegungsmöglichkeit, keine einengende Begleitung.

Das Hotel stellt den neuen Inhalt, die neue Nutzung des Hoffmann-LaRoche-Gebäudes von Georg Lippert und Roland Rohn dar, eine Architekturikone von 1960–1962, und je nach Quellen eines der ersten, wenn nicht das erste Gebäude mit einer Curtain Wall in Wien. Es ist ein Monolith am Gürtel, unweit vom ehemaligen Südbahnhof, und es sendet seine Grüße hinüber zum (Einund)Zwanziger-Haus-Komplex von Karl Schwanzer. Christian Heiss vom Büro Heiss Architekten sagt, erst in der Einreichphase wurden die Fassade und das Stiegenhaus unter Denkmalschutz gestellt, aber das habe die Planung nicht weiter tangiert, weil man mit den originalen Restbeständen dieser „Ikone“ sowieso äußerst respektvoll umgegangen sei. Abgesehen davon, dass diese Fassade eigentlich in tadellosem Zustand war: Die Aluprofile haben die Zeitläufe perfekt überstanden, nur hier und da musste eine gebrochene Scheibe ersetzt werden. Und die Hinterleuchtung des Gesimses, des oberen Abschlusses des Hauses, wird bald wieder perfekt erstrahlen.

Vom Originalen war im Inneren aber nicht mehr viel da. Außerdem gab es einen ziemlich schlimmen Anbau, den man abgerissen hat, um die ursprüngliche Wirkung des Solitärs wiederherzustellen. Dass man dadurch die Möglichkeit geschaffen hat, gleich daneben, einen Wohnbau zu schaffen (noch im Bau, ebenfalls Atelier Heiss), dessen viergeschoßige Tiefgarage gemeinsam mit dem Hotel genutzt werden soll, muss man unter den Vorzeichen der ökonomischen Verwertung von Grundstücken in einer solchen Lage zur Kenntnis nehmen. Erwähnenswert immerhin, dass ein Sonderparagraf zur Anwendung kam, damit die Vorgabe der geschlossenen Bauweise durchbrochen werden konnte.

Architektonisch gab es zwei Hauptschwierigkeiten: in einer Bürohausstruktur mit ihrem speziellen Raster Hotelzimmer unterzubringen war die eine; das zweite Stiegenhaus, ein Fluchtstiegenhaus, das heute zwingend vorgeschrieben ist, war die andere. Letzteres führt jetzt ins Freie, es ist also nicht für die tägliche Benutzung gedacht; Heiss hätte sich die Möglichkeit eines Rundumgangs mittels der zwei Stiegenhäuser gewünscht, aber das hätte im Erdgeschoß zu Problemen geführt; die kleine Küche wäre dadurch noch kleiner geworden.

Reißverschlusssystem im Zimmer

Die (Doppel)Zimmer sind ein Kapitel für sich. Sie bewegen sich in der Größenordnung von 16 (Standard) bis 26 Quadratmetern (Eckzimmer, eine Suite) und sind so knapp bemessen, dass der Architekt kleine Nischen einführen musste, um das Doppelbett unterzubringen und am Fußende doch noch vorbeigehen zu können. Das Ganze funktioniert wie ein Reißverschluss. Die Nischen sind verschränkt: Im einen Zimmer ist dieses Doppelbett nahe am Fenster, im anschließenden nahe an der Tür. Mit den Duschkabinen verhält es sich umgekehrt: Einmal sind sie ganz nah am Fenster (geschützt durch ein Rolleau), im anderen Fall nahe dem Eingang. In jedem Fall sind sie aber, im Verhältnis zum Minimalismus der Zimmer, sehr angenehm dimensioniert.

Der Minimalismus dieser Zimmer: Er ist wirklich auf das absolut Notwendige reduziert. Sanitäre Einrichtungen, ein Doppelbett, ein Flachbildfernseher an der Wand. Kein Schrank, keine Ablageflächen, kein Sessel. Das kommt mir sehr heavy vor. Denn die Betten sind wohl zu niedrig, um einen Koffer drunterzuschieben. Dafür bleibt eine kleine Raumnische. Was macht man mit seiner Kleidung? Mehr als vier Bügel an einer Garderobe habe ich nicht gezählt. Und wo legt man die Wäsche, die Kosmetikartikel ab? Die Zimmer sind also klein, aber vom Architekten definitiv – unter diesen Vorgaben des Betreibers – optimal gelöst. Die Bettnischen sind durch Nussholz irgendwie in den Adelsstand erhoben, der Teppichboden erfüllt akustische Funktionen, weil es im Lippert-Bau zeitbedingt keine Doppelböden gibt, man würde also jeden Stöckelschuhschritt durch die Geschoße hören. Immerhin: Die Gesamtwirkung der Zimmer ist durchaus elegant, vielleicht gerade weil sie so reduziert in der Möblierung sind.

Problematisch war auch die Glasfassade, wenn man sie von innen betrachtet. Das Glas hat einfach nicht die Werte, die man erwartet – weder akustisch noch thermisch noch sicherheitstechnisch. Doch würde man Gläser verwenden, die heutigen Standards entsprechen, dann würden sich auch die Profile (natürlich nicht thermisch getrennt) ändern. Es wäre eine völlig andere Fassade. Aber die ist gerade das, was das Spezifikum dieses Sechzigerjahre-Solitärs ausmacht. Heiss musste Brandschutzmaßnahmen einführen, kleine, niedrige Mauern vor der Curtain Wall, die den Brandüberschlag verhindern und eine Sicherheitsmaßnahme darstellen, sodass niemand hinausfallen kann. Am äußeren Erscheinungsbild ändert das glücklicherweise nichts.

Nur da, wo der spätere, ziemlich uninteressante und störende Anbau war, da musste Christian Heiss ästhetische Entscheidungen treffen, die den Gesamtauftritt des Lippert-Hauses tangieren. Das ist recht diskret geschehen. Heiss zeigt die Verwundung am Gebäude, aber mit feinen Mitteln – große Glasflächen, auch geschlossene Wandelemente –, nur wo es notwendig war; weil Zimmer dahinter liegen, hat er Fassadenelemente „rekonstruiert“. Diese Maßnahmen sind insgesamt sehr verträglich.

Es ist übrigens ein junger Grazer Hotelier, der sich das ungewöhnliche, sternenlose Konzept für das Haus ausgedacht hat. Die Auslastung ist offenbar gut, die Preise sind in Ordnung. Von den oberen Etagen ist der Blick sensationell, sogar den „visuellen“ Sicherheitsabstand zum künftigen Wohnhaus hat der Architekt gewahrt. Als Nicht-Fachmann fragt man sich aber, wer hier die eigentliche Zielgruppe ist. Für Rucksacktouristen ist es viel zu anspruchsvoll. Und die anderen? Na ja, sagte der junge Hotelier nicht ohne Schmunzeln zu mir, bei unseren Preisen können Sie sich ja auch ein zweites Zimmer mieten – für Ihre Garderobe.

Spectrum, Sa., 2011.12.31



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Hotel Daniel Vienna

20. November 2011Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Das Haus an der Bahn

Bei der Konzipierung eines Pflege- oder Altenheims stehen die Bedürfnisse der zukünftigen Bewohner im Vordergrund. Doch was ist, wenn das Angebot nicht angenommen wird? Zu Hubert Hermanns Pflegewohnhaus in Wien-Meidling.

Bei der Konzipierung eines Pflege- oder Altenheims stehen die Bedürfnisse der zukünftigen Bewohner im Vordergrund. Doch was ist, wenn das Angebot nicht angenommen wird? Zu Hubert Hermanns Pflegewohnhaus in Wien-Meidling.

Das Nestroy-Zitat auf der Fassade des Pflegewohnhaus Meidling auf den Kabelwerk-Gründen trifft ins Herz der Thematik: Alt werden ist die einzige Möglichkeit länger zu leben. Und für diejenigen, die sich dazu entschlossen haben, wurde hier, direkt an der Vorortelinie und gleich neben dem Friedhof, ein ziemlich großes Haus gebaut. Friedhof? Der Architekt: Ich glaube, das Wiener Herz hat sich mit einem solchen Ausblick bestens arrangiert. Vorortelinie? Keines der Zimmer wurde zur Bahn orientiert, diese Lärmbelästigung ist eine vernachlässigbare Größe.

Hubert Hermann, vom Büro Hermann & Valentiny und Partner (Wien-Luxemburg), ein engagierter Verfechter des Städtebaus der Kabelwerk-Gründe der ersten Stunde, hat gewissermaßen den „krönenden“ Abschluss der Anlage gebaut. Für diese Größe auf einem sehr knappen Bauplatz, eben deswegen auch ziemlich kompakt und an der Seite zur Bahn mit einer 15-Meter-Auskragung, die dem Baukörper überraschende Plastizität und Dynamik verleiht. Ansonsten steht das Haus fest auf der Erde, ziemlich hoch, ziemlich massiv, obwohl es sich mit sanftem Schwung entlang der Grundstücksgrenze „wickelt“, gebremst nur an der Rückseite, wo es (fast) nahtlos ans Nachbargebäude anschließt. Die Bebauung hat hier eine gewaltige Dichte, die man mit dem Attribut „städtisch“ nicht mehr relativieren kann. Eine bescheidene Grünpflanzung an dieser Seite hilft auch nicht viel.

Das Haus entwickelt sich über einem zweigeschoßigen Sockel, in dem Verwaltung und Therapieräume untergebracht sind. Auf fünf Geschoßen sind die Stationen des Geriatriezentrums – fünf Doppelstationen, pro Station jeweils 24 Bewohner – organisiert, zumeist Einzelzimmer. Oben drauf, sogar mit eigenem Eingang und Dachgarten, wurde das „Betreute Wohnen“ auf drei Geschoßen platziert.

Hubert Hermann ist auf dem Gebiet der Alten- und Pflegeheime kein Neuling. Er hat schon in Wien-Atzgersdorf ein solches Haus errichtet und weiß daher genau, worauf es ankommt. Es geht bei einer solchen Aufgabe nicht darum, mit dem eigenen, individuellen Gestaltungswillen nach vorne zu drängen. Hier haben die Nutzer eindeutig den Vorrang. Und das bedeutet, dass man sich als Architekt genau überlegen muss, was man anbietet. Menschen mit einer Pflegestufe haben, man kann das durchaus sagen, eingeschränkte Bedürfnisse.

Das ist mir beim Rundgang durch das Haus besonders aufgefallen. Die Gänge sind natürlich breit, damit man auch mit Betten den nötigen Wenderadius hat, sie sind teilweise geschwungen, weil sie der Baukörper-Konfiguration folgen, und sie bieten immer wieder die Möglichkeit, nach draußen zu sehen. Der Architekt hat sich wirklich Mühe gegeben, die Gangerschließung in der großteils zweihüftigen Anlage aufzuweichen. Es gibt immer wieder sehr reizvolle räumliche Nischen, in denen man bequem sitzen und vor allem hinausschauen kann, und größer zugeschnittene, gemeinschaftlichen Aufenthaltsräume. Es war ein Sonntagnachmittag, an dem ich das Haus besichtigt habe. Man sollte meinen, da gibt es Besucher, da tut sich etwas. Aber nein, es herrschte bedrückende Stille. Und Hubert Hermann sagt, am ehesten werden noch die Räume genutzt, in denen ein Fernseher steht.

Dabei ist architektonisch, räumlich alles da, was man sich für ein solches Haus nur wünschen kann. Zu ebener Erde gibt es ein Kaffeehaus, auch ein Restaurant (Letzteres für Mitarbeiter), sehr angenehm in Bezug auf die Ausstattung, nur saß dort niemand. Da fragt man sich natürlich schon, warum Architekten so viele Gedanken investieren, wenn dann niemand von ihrem Angebot Gebrauch macht. Andererseits kann man dieses Angebot auch nicht einfach wegstreichen – es wird zwar offenbar nicht genutzt, aber wenn es nicht da wäre, dann blieben Kasernen übrig, in denen wir unsere alten Angehörigen einsperren. Und das kann und darf ganz bestimmt nicht sein. Das Haus hat eine Putzfassade – teilweise Kratzputz, teilweise normaler Putz –, und an der Schaufassade weist es eine horizontale Gliederung durch Fertigbetonelemente auf, die recht attraktiv sind, weil ihre Oberfläche mittels Strukturmatritze eine spezifische Qualität erhalten hat. Jedem Zimmer ist eine Loggia zugeordnet, immerhin mit 2,20 Meter Tiefe und über die Zimmerbreite, die sich mittels gelochten Blechfaltelementen auch schließen lässt. Die Bewohner haben also auch unmittelbaren Zugang ins Freie. Wenn es im Hochsommer heiß wird, ist es möglich sich abzuschotten und wie durch einen Schleier hinauszuschauen.

Der Innenhof ist als Therapiegarten für Demenz-Patienten gestaltet. Sie können hier ihre Kreise ziehen, in direkter Nähe zu den Therapieräumen. Die Vegetation wird sich allerdings noch entwickeln müssen. Gleiches gilt für den Dachgarten – der zwischen dem eigentlichen Geriatriezentrum und dem „Betreuten Wohnen“ liegt. Da laufen übrigens auch viele Installationen durch, und die hat der Architekt eingepackt, in einen Holzlattenrost, der eine sehr reizvolle – und überdachte – Liegewiese ergibt.

Das Entrée zu diesem Haus ist bescheiden. Aber man betritt schließlich kein Hotel. Drinnen hängt ein so gewaltiger, bunter Murano-Glasluster von der Decke, dass man zumindest für einen Moment verblüfft innehält. Hier kommt man auch gleich zu einem der beiden Erschließungskerne, das Fluchtstiegenhaus ist nach außen verlagert und setzt an der Kabelwerk-Seite einen ausgesprochen reizvollen Akzent. Wie gesagt, Freiflächen bieten der Hof und der Dachgarten über dem fünften Geriatriegeschoß. Die Zimmer haben einen durchaus passablen Zuschnitt, dagegen lässt sich nichts sagen. Der Architekt hat übrigens weiße, blumige Vorhänge dafür ausgesucht, irgendwie stickereimäßig, die bei den Bewohnern wohl durchaus heimelige Assoziationen auslösen. In diesem Fall durfte Hubert Hermann außerdem gewisse Einbaumöbel entwerfen, ausgeführt in Nussholz, was auch der Wohnlichkeit dient. Die Bemühungen sind also enorm. Aber weder das Personal noch die Bewohner spielen wirklich mit. Das ist keinesfalls als Vorwurf an irgendeine Seite zu verstehen, es entspricht lediglich den unwiderruflich tristen Tatsachen.

Spectrum, So., 2011.11.20

22. Oktober 2011Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Italien in Kagran

Nennen wir es „Kagraner Mischung“: eine Wohnanlage, die den Donaustädter Stadtteil neu interpretiert, aber auch zeigt, dass überzogene Wohnvorstellungen passé sind.

Nennen wir es „Kagraner Mischung“: eine Wohnanlage, die den Donaustädter Stadtteil neu interpretiert, aber auch zeigt, dass überzogene Wohnvorstellungen passé sind.

Neue Stadtquartiere, man weiß es aus jahrzehntelanger Erfahrung, sind immer mit Skepsis zu betrachten. Denn die Verwertungsinteressen und die potenziellen städtebaulichen-architektonischen Ambitionen lassen sich selten zur Deckung bringen. Doch: Wenn man schon einen so privilegierten Standort zur Verfügung hat, wie das zwischen Wagramer Straße und Doningasse in Kagran der Fall ist, dann wissen heute selbst die Bauträger, dass man nicht einfach mit 08/15-Lösungen daherkommen kann. Also hat man in die Bebauung der ehemaligen LGV-Frischgemüse-Gründe, neben der U-Bahn-Station Kagraner Platz, qualitative Ansprüche investiert.

Das Bauträger-Verfahren fand 2008 statt, die Anlage ist noch nicht ganz fertig. Der Bauabschnitt, den Christian Knechtl und Josef Knötzl bearbeiten – rund 110 Wohneinheiten – ist noch im Rohbau. Die sogenannte „Kagraner Spange“ von Sne Veselinovic, ein ziemlich mächtiger Bau entlang der Wagramer Straße – mit einer interessanten Auskragung Richtung U-Bahn-Station – definiert die großstädtische Grenze des neuen Quartiers. Die Mächtigkeit dieser Wand hätte auch tödlich sein können, aber Sne Veselinovic folgt dem Straßenverlauf geschickt: Ein Knick im langen Riegel schafft Raum für vorgeschobene, niedrigere Bauten, man könnte sagen: ein paar „Zähne“, die aus dem Kiefer herausschauen. Das macht die Sache ausgesprochen verträglich.

Dahinter ein Wohnquartier, das Rüdiger Lainer städtebaulich entwickelt hat. Es umfasst vier Wohnzeilen, von denen eine p.good architekten (das sind Praschl-Goodarzi) bebauten und die anderen drei Rüdiger Lainer selbst. Beachtung verdient dieser Teil der Anlage, weil er kontextuelles Bauen auf einen Nenner bringt, der verträglich ist, nicht rückwärts gewandt, schon gar nicht provokant, einfach eine selbstverständlich bewohnbare Angelegenheit.

„Un poco“ – nur ein bisschen Italianità hat sich Rüdiger Lainer dabei vorgenommen. Mehr ging schon deshalb nicht, weil vom Bauträger eine gewisse Dichte gefordert war. Nun besteht das Umfeld aber aus – architektonisch durchaus fragwürdigen – Einfamilienhäusern, die alle ihren Grünanteil haben. Dazwischen ragen nur wenige, sehr grausliche Wohnblöcke auf, die das Bild empfindlich stören. Man könnte sagen, diese Störfaktoren hat Rüdiger Lainer einfach ignoriert. Er hat die Maßstäblichkeit der ursprünglichen, authentischen Bebauung in dieser Gegend aufgenommen und seine Wohnbebauung entsprechend gestaffelt. Sie ist an den Rändern, die zum Bestand der Umgebung in Sichtbeziehung stehen, niedrig. Erst dahinter staffelt sie sich zu städtischen Häusern in die Höhe (vier Obergeschoß). Was an den niedrigeren Häusern auffällt, das ist ihr etwas zerklüfteter Außenauftritt. Sie wirken jeweils wie ein Baukörper, aus dem man willkürlich Teile herausgeschnitten hat, und übrig blieb, wie gesagt, ein zerklüftetes, auch gestaffeltes Volumen. Lainer hat diese Häuser, es sind Patio-Häuser, von innen nach außen entwickelt. Was da steht, das ist das Resultat aus der Überlegung, wie man drei Patio-Häuser übereinanderstapelt. Jede dieser Wohnungen hat einen individuellen Zugang, den obersten ist außerdem eine kleine Einliegerwohnung zugeordnet, die Freibereiche sind durch Mauern und – baukünstlerisch geradezu mutig – zusätzlich aufgesetzte Kunststoff-Sichtschirme geschützt. Also: Auch bei relativ großer Dichte bleibt die Intimität gewahrt. Und das gilt selbst für die „hohen“ Häuser, denen Lainer „Wimpern“ verpasst hat. Gemeint sind damit bretterähnliche, horizontale Elemente unter den Fenstern, die verhindern, dass man dem Nachbarn hineinschauen kann.

Die „hohen Häuser“ haben verglaste Loggien, die man sicher ganzjährig nutzen kann. In der warmen Jahreszeit lassen sie sich ganz öffnen, in kälteren Zeiten erfüllen sie eine Art Glashausfunktion. Das ist alles durchdacht. Genauso wie die Grundrisse. Die gebaute Struktur dieser Häuser ist selbstverständlich ökonomisch, also einfach. Jedenfalls erlaubt sie eine Vielfalt an Detaillösungen, die der Architekt auch formuliert und den Wohnungswerbern vorgelegt hat. Keine direkte Mitbestimmung in diesem Fall, trotzdem konnte jeder wählen.

Die Vielfalt des Angebots ist in der Tat erstaunlich – von der durchgesteckten großräumlichen Lösung bis zur kleinteiligen Mehrzimmerabfolge. Lainer hat auch daran gedacht, die Freiräume wirklich benutzbar zu machen, sie stehen nicht nur auf dem Papier. Zwanzig Quadratmeter, das ist durchaus in Ordnung. Umso mehr, als die Wohnungsgrößen in letzter Zeit schrumpfen. Früher hatte eine Dreizimmerwohnung 85 Quadratmeter, jetzt hat sie nur 75 Quadratmeter. Für junge Leute sind die Kosten unseres Wohnbaus nicht mehr leistbar, die Überlegung war, wie man trotz geschrumpfter Möglichkeiten noch Qualität bietet.

„Un poco“ – Rüdiger Lainer hat ein städtebauliches Konzept entwickelt, das Charme hat. Es ist bezaubernd, durch diese leicht gekrümmten Gässchen zu gehen, hie und da die Andeutung eines Platzes, mehr ist nicht, mehr braucht es auch nicht. O-Ton Architekt: Zumindest können die Kinder hier kicken und stören niemanden dabei.

Das ist eine Ansage – der man aber hinzufügen muss, dass auch an die Grünraumplanung gedacht wurde. Sie ist noch nicht perfekt, doch die Mauern rund um die Patio-Häuser haben Pflanztröge und werden eines Tages begrünt sein. Und rund um die Wohnbebauung wird sich ein Grünstreifen, eine Art minimierter Park, erstrecken. Insofern geht dieser Teil der neuen „Kagraner Mischung“ auf die Umgebung ein.

Übrigens: Das Label „Kagraner Mischung“ gefällt mir von allen anderen Varianten am besten. „Kagraner Spange“, „Kagraner Idylle“, das ist alles ziemlich furchtbar. „Kagraner Mischung“ – Rüdiger Lainer hat einen recht bemerkenswerten Beitrag zum Thema geleistet. So kann man wirklich wohnen. So lässt sich eine reduzierte Wohnmöglichkeit immer noch optimieren.

„Un poco.“ Eine Wohnanlage, die Kagran neu interpretiert, die uns aber vor allem vorführt, dass wir von den überzogenen Vorstellungen heutiger Tage Abschied nehmen müssen. Es geht um kleinere Wohnungen, die sich auch junge Leute leisten können, es geht aber immer noch um den alltäglichen Wohnkomfort.

Spectrum, Sa., 2011.10.22



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Wohnhausanlage „Kagraner Idylle“

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Presseschau 12

28. Juli 2012Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Acht Jahre Arbeit

Die Evangelische Schule von Theophil Hansen am Wiener Karlsplatz: Nach langen Jahren des Umbaus nimmt eine zukunftsweisende Schultypologie Form an. Nur der neue Turnsaal, der bleibt ein frommer Wunsch des Architekten.

Die Evangelische Schule von Theophil Hansen am Wiener Karlsplatz: Nach langen Jahren des Umbaus nimmt eine zukunftsweisende Schultypologie Form an. Nur der neue Turnsaal, der bleibt ein frommer Wunsch des Architekten.

Vermutlich ist es der Alptraum eines jeden Architekten, wenn er in ein Projekt acht Jahre Arbeit investiert und dann so relativ wenig davon sichtbar wird. So muss es aber Martin Treberspurg und seinen Projektleitern – den Architekten Christian Wolfert, Partner im Büro, und Manuel Schweizer sowie Annemarie Mladek, Architektin und seit Langem der evangelischen Gemeinde Wiens verbunden – ergangen sein: Planen Schritt für Schritt, je nach der finanziellen Lage, Bauen hauptsächlich in den Schulferien. So viele Jahre. Und kaum einer nimmt den Generalsanierungsfall Evangelische Schule am Wiener Karlsplatz wahr. Dabei geht es um einen Theophil-Hansen-Bau von 1861 und um eine großartige, zukunftsweisende Schultypologie.

Hansen hat das Gebäude im Stil der italienischen Renaissance entworfen; ein „gnädiges“ Grundstücksgeschenk des Kaisers machte es möglich. Bis heute steht im Grundbuch, es muss eine Schule sein, und wahrscheinlich steht sie deswegen noch und nicht irgendein Hotel. Unter den Nazis zur Volkssturmkaserne umgewidmet, wurde sie beim Einmarsch von den eigenen Leuten angezündet. Zwei Tage und zwei Nächte hat sie gebrannt, den gelagerten Sprengstoff haben Bewohner hinausgetragen. Der Wiederaufbau (1954–1961) erfolgte durch Freiwillige, Kriegsdienstverweigerer und Pazifisten aus religiöser Überzeugung, übrigens ganz unterschiedlicher Nationalität.

Die Folge waren viele, viele Mangelerscheinungen, die auch an die Substanz des Konzepts von Hansen gingen: Der zentrale, glasüberdachte Innenhof, um den die Klassen – 1861! – organisiert waren, wurde nicht mehr überdacht. Die schönen Arkadenumgänge wurden mit Türen und Fenstern geschlossen. Von Energieeffizienz keine Rede, dafür fehlte es an Bewusstsein und den entsprechenden Baustoffen. Platznot herrschte von Anfang an, obwohl Hansens Entscheidung, an der verkehrsreichen Wiedner Hauptstraße keine Unterrichtsräume, sondern Geschäfte und Wohnungen anzuordnen, Klassenzimmern gewichen war.

Treberspurg & Partner Architekten haben gewissermaßen bei der Eingangstür begonnen: Sie wurde „umgedreht“, weil sie tatsächlich noch nach innen aufgegangen ist. Ein gläserner Windfang definiert diesen Eingangsbereich. Und dann kommt man auch schon in den wiederhergestellten Innenhof. Dort wurden alle Einbauten entfernt, wurde die Bausubstanz saniert, die Glasüberdachung macht im Verein mit einer Fußbodenheizung wieder einen echten Innenraum daraus. Und der ist technisch so ausgerüstet, dass man ihn für Veranstaltungen, etwa Konzerte, nutzen kann. Akustisch sind die Voraussetzungen dafür bestens. Und das ist wichtig, weil hier neben einer Volksschule, einer „Wiener Mittelschule“ und einem Hort mit Vorschulklasse auch die JSB (Johann Sebastian Bach) Musikschule untergebracht ist. Was Generalsanierung bedeutet, kann man sich vorstellen: Alles neu, was nicht unmittelbare Gebäudesubstanz ist; in diesem Fall aber auch eine neue Dachkonstruktion, natürlich in Stahl und auf Stützen, die den heutigen Brandschutzbestimmungen entspricht; Wärmedämmung; und eine Dachverblechung aus Aluminium, die sich mit ihrem Grünton auf die oxidierten Kupferdächer der Gründerzeit bezieht. Die wichtigsten architektonischen Maßnahmen bestehen in der Überbauung der beiden Lichthöfe, die zuvor Nebenräume belüftet haben, und im Ausbau des Dachgeschoßes. Jetzt sind in den überbauten Lichthöfen Garderoben untergebracht, sodass die gut belichteten Räume, wo sie zuvor waren, den Klassen zwischengeschaltet werden konnten und die Unterrichtsmöglichkeiten erweitern. Treberspurg hat übrigens Hansens Überlegungen bezüglich der Hausseite zur Wiedner Hauptstraße beachtet, dort wurde eine kontrollierte Komfortlüftung installiert, die Fenster können geschlossen bleiben.

So richtig zeitgenössisch geht es vor allem im ausgebauten Dachgeschoß zu, wo der Direktions- und Lehrerbereich eine neue, durchaus großzügige Unterkunft gefunden hat: Belichtet durch hier gestattete Dachflächenfenster (an der Schauseite des Hauses strikt untersagt) und über die Glaswände zum Gang hin auch mit dem Ausblick auf eine kleine Terrasse. Davon gibt es jetzt zwei, jeweils über den überbauten Lichthöfen, und dazu noch eine sehr große Terrasse über dem Mitteltrakt. Auch die Bibliothek fand hier Platz, wiewohl sie Lesesaal heißt (Bauvorschriften).

Die Bauvorschriften, die Brandschutzbestimmungen, das Geld: Um diese Parameter dreht sich hier alles. Dem Hansen-Bau sollte kein Schaden zugefügt werden, aber es bedurfte komplexer Überlegungen und einer Tüftelei um Zentimeter. Der Brandschutz etwa hätte ein zweites Stiegenhaus erfordert, dafür war im Haus selbst aber kein Platz, man hätte es außen dran stellen müssen. Jetzt ist jede Klasse ein eigener Brandabschnitt mit Fluchtmöglichkeit über die Haupttreppe, der zweite Fluchtweg sind die Fenster – das Haus steht frei und ist für die Feuerwehr rundum zugänglich.

Die Sicherheitsbestimmungen hätten Schlimmes anrichten können, verstärkt durch die Ängste der Lehrer. Denen wäre am liebsten gewesen, die Brüstungen in den Arkaden zu erhöhen und zusätzlich vollflächig mit Netzen zu sichern. Das wurde abgewendet, eine dezent zurückgesetzte Verglasung auf den Brüstungen des Bestands erfüllt alle Anforderungen und tritt visuell kaum in Erscheinung. Dass man sich beim Innenausbau aus finanziellen Gründen sehr zurücknehmen musste, empfinde ich nicht als Mangel. Das hat eher für eine gewisse Selbstverständlichkeit gesorgt, die in aller Schlichtheit mehr überzeugt, als es kostspielige Kapriolen je könnten.

Martin Treberspurg hätte gern im Zwischenraum zwischen Technik und Evangelischer Schule unterirdisch einen ordentlichen Turnsaal für die Schule gebaut, der jetzige ist zu klein. Aber dafür gibt es kein Geld. In den Bundesländern ist eine Drittelfinanzierung – ein Drittel Betreiber, ein Drittel Land, ein Drittel Bund – gang und gäbe. Die Bundeshauptstadt hält sich jedoch bedeckt, weil die Evangelische Schule eine Privatschule ist. Wie heißt dieser werbewirksame Slogan doch so schön? Wien ist anders.

Spectrum, Sa., 2012.07.28

16. Juni 2012Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Ein Haus der Lebenden

Das neue Gebäude für die Zentralverwaltung der Wiener Friedhöfe zeigt Haltung. Über ein untypisches Werk von Delugan-Meissl.

Das neue Gebäude für die Zentralverwaltung der Wiener Friedhöfe zeigt Haltung. Über ein untypisches Werk von Delugan-Meissl.

Delugan-Meissl – oder korrekt: DMAA, Delugan Meissl Associated Architects –, die Zweite. Nach dem Filminstitut in Amsterdam, von dem erst kürzlich die Rede war, ist nun das Gebäude für die Zentralverwaltung der Wiener Friedhöfe fertig. Es steht exakt gegenüber von Tor zwei des Zentralfriedhofs, auf einem Gelände, wo vorher fast nichts war, und es zeigt Haltung. Haltung in Bezug auf den urbanen Kontext, die Simmeringer Hauptstraße ist nicht gerade ein Highlight unserer Stadt, Haltung in Bezug auf das historische Gegenüber von Tor zwei des Wiener Zentralfriedhofs, das zweifellos Respekt verdient, vor allem aber Haltung in Bezug auf die Nutzer, ob es nun Mitarbeiter oder Kunden sind. Hier kommt man nicht zum Spaß her, hierher kommt man, wenn man einen Todesfall in der Familie hatte.

It's not like Delugan-Meissl. So streng hat man dieses Architekturbüro noch nie erlebt, so ganz unorganisch, so unheimlich rigide. Von außen ist das Haus fast quadratisch, von innen hat es den Zuschnitt eines U. Aber das sieht man von außen nicht, weil die Fassade aus vertikal gereihten, formal vollkommen unsystematisch entwickelten, weißen Aluminium-Sandwichpaneelen eine Gebäudehaut bildet, die dem großen Volumen architektonisch eine Fassung gibt. Allerdings löst sich diese weiße, sehr strenge und in keinerlei Regelmäßigkeit nachvollziehbare Haut aus den plastischen Paneelen – sie haben Körper, das Material lässt sich biegen und knicken – manchmal von den dahinter liegenden Bürogeschoßen ab. Die sind nämlich in schwarzem Putz, mit schwarzen, bündig sitzenden Fensterbändern und getöntem Glas. Der Kontrast zur weißen, glatten Fassadenhaut könnte nicht besser funktionieren.

Das ist schon deswegen bemerkenswert, weil es in Wahrheit um einen ganz gewöhnlichen Verwaltungsbau geht. Und Bürohäuser basieren nun einmal auf einem ziemlich primitiven Raster. Diesen Raster durch eine vollkommen unsystematische Fassadenstruktur zu verunklären, nicht mehr lesbar zu machen, obwohl trotzdem alles hinsichtlich der Nutzung hervorragend gelöst ist, das kann man als kleines Kunststück ansehen. Die Entscheidung für eine solche Lösung war aber nicht bloß eine formalistische Laune der Architekten. Da stecken viele Überlegungen dahinter. Städtebauliche sowieso, denn als verantwortungsbewusster Architekt kann man an die Simmeringer Hauptstraße, noch dazu gegenüber von Tor zwei, nicht irgendein Bürohaus hinstellen. Und den Menschen, die als Kunden hierherkommen, muss man einfach einen räumlich seriös und ernsthaft wirkenden Rahmen bieten, der ihrer momentanen, durch einen Todesfall überschatteten Situation gerecht wird. Das Haus, deutlich abgerückt vom Straßenverlauf selbst, hat eine rundum verglaste (getöntes Glas) Sockelzone, über die die beiden Obergeschoße mit der weißen Fassade hinausragen. Man betritt es von der Simmeringer Hauptstraße, und dieser Zugang ist ausgesprochen gut gelöst. Ganz draußen alte Bäume, dann eine neue Grüngestaltung mit Rasen und Birken, die das Weiß der Fassade zitieren, unter dem auskragenden Obergeschoß hindurch der Haupteingang. Diese Differenzierung im Übergang von außen nach innen, diese Art einer architektonischen Schleuse, die ist wirklich gelungen. Und dann kommt man hinein – und der Raumeindruck ist überwältigend.

Es ist eine sehr große Halle, in der der Kundenverkehr abgewickelt wird. Wie gesagt, man kommt hinein über diesen Zwischenbereich eines überdachten Außenraums, wo man schon einen ersten Blick auf schauerliche Grabsteine werfen kann, betritt den räumlich niedrigeren, unmittelbaren Empfangsraum, aber visuell ist man gleichzeitig mit dieser großartigen Halle konfrontiert. Hier findet die umfassende Kundenberatung statt. Gleich dahinter angelagert ist ein Ausstellungsraum für Urnen und Särge – die wiederum als designerischer Alptraum gelten dürfen, den aber auch die Gestaltungsangebote der Architekten nicht relativieren konnten –, ebenfalls angelagert liegen seitlich spezielle, unterschiedlich dimensionierte Besprechungsräume.

Diese Halle mit Oberlicht und Sheds, die eine Höhe von über 1,20 Metern haben und durchaus plastisch ausgebildet sind, wobei auch eine Rolle spielt, wie sie im Winkel zur oberbelichteten Decke aus einem speziell gerasterten Glas stehen, die entfaltet eine erstaunlich intensive Raumwirkung. In dem Fall konnten die Architekten auch das Mobiliar entwerfen – im weiteren Haus haben sie nur Empfehlungen ausgesprochen –, dieses Mobiliar ist flach, sehr flach, gegliedert, um nicht zu sagen: zerschnitten durch die nutzungsbedingten Vorgaben, jedenfalls bringt es den Raum zum Leuchten.

DMAA haben sich auf keinerlei Klischee eingelassen, das hierzulande immer noch in Bezug auf Trauerfälle gilt. Es ist ein Haus für die Lebenden, ob sie nun Kunden oder Mitarbeiter sind: sehr hell, sehr freundlich, sehr großzügig. Es kommen nur wenige Materialien vor – weiße Wände und viel Glas, bedruckt mit gepixelten Bäumen, was man allerdings kaum nachvollziehen kann, in den halböffentlichen Bereichen auch viel Holz, etwa als Eichenparkett, weiß gekalkt und geölt, auf dem Boden, oder in einer etwas kräftigeren Färbung an den Wänden; in den beiden Obergeschoßen, im reinen Bürobereich liegen dann Teppichböden; die weißen Gipskartonwände stoßen nicht direkt an die Fassade, ein breiter Glasstreifen bewältigt diesen Übergang; die Glastüren zu den Büros haben in Kopfhöhe eine mattierte Fläche, sodass man den Blicken der Vorübergehenden nicht ausgeliefert ist. Natürlich haben alle Büros räumlich einen Zuschnitt, der sie für die Mitarbeiter angenehm macht. Und die Architekten waren bei der Entwicklung der Grundrisse geschickt genug, um die Gänge – sie laufen immer aufs Tageslicht zu – so zu verschwenken, dass an den Knotenpunkten räumlich aufgeweitete Kommunikationszonen entstehen. Eine Hervorhebung verdient die sogenannte Kantine, ein sehr eleganter Raum, den man für Veranstaltungen auch buchen kann; und sicher müssen die Terrassen erwähnt werden, also jene Schnittstellen, wo sich die weiße Gebäudehaut von den schwarzen Putzfassaden der Bürotrakte ablöst. Ein Gebäude häutet sich, neue (Frei)Räume entstehen. Und man versteht, dass die Menschen diese Arbeitssituation lieben.

Spectrum, Sa., 2012.06.16



verknüpfte Bauwerke
Unternehmenszentrale Bestattung und Friedhöfe Wien

05. Mai 2012Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Berliner Einkaufszentrum: So etwas baut man nicht alle Tage

Wenn Ortner & Ortner in Berlin gestalten: ein denkmalgeschützter Komplex aus den 1950er-Jahren, eine glasüberdachte Straße, ein funktionell gestaltetes Parkdeck – und doch nur Kommerzarchitektur?

Wenn Ortner & Ortner in Berlin gestalten: ein denkmalgeschützter Komplex aus den 1950er-Jahren, eine glasüberdachte Straße, ein funktionell gestaltetes Parkdeck – und doch nur Kommerzarchitektur?

Es ist schon ein riesiger Architektur-Tatbestand, dieses Einkaufszentrum „Boulevard Berlin“. 76.000 Quadratmeter Nutzfläche baut man einfach nicht alle Tage. Das Büro Ortner & Ortner Baukunst – das sind Laurids und Manfred Ortner, die seinerzeitige Kerntruppe von Haus-Rucker-Co –, hat mit Großbaustellen allerdings einige Erfahrung, da muss man gar nicht an das Wiener Museumsquartier denken. Auch in Deutschland ist einiges entstanden – und nicht nur Kulturbauten wie die Sächsische Landesbibliothek (1996–2002), sondern ebenfalls Bauaufgaben, die in den Sektor „Kommerz“ fallen, das Forum Duisburg Shopping Center (2005–2008), mehrfach ausgezeichnet übrigens, oder das Berliner Alexa (2003–2007), das allen Unkenrufen zum Trotz – Gänge zu breit, Geschäfte zu wenig tief, man sieht schon von außen alles, man braucht gar nicht hineinzugehen – ein richtiger Publikumshit geworden ist.

Und jetzt also Boulevard Berlin. Ein holländischer Investor – offenbar schon eine Art Stammkunde von O&O – hat das gesamte Areal gekauft, auch den denkmalgeschützten Wertheim-Komplex aus den späten Fünfzigerjahren, erstaunlicherweise aber auch eine Straße, die Treitschke Straße, die jetzt als gut hundert Meter lange, glasüberdachte Passage – natürlich nur Fußgängern – zur Verfügung steht. Sie ist integraler Bestandteil des Einkaufszentrums, aber auch außerhalb der Öffnungszeiten zugänglich, ein gewohnter Weg für die Anrainer und die kürzeste Verbindung von der Schloßstraße zu einem kleinen Park, der unter den Bauarbeiten natürlich gelitten hat, aber durchaus liebevoll wieder aufgepflanzt wurde.

Wir sind in Berlin-Steglitz und an einem Ort, der Schlossstraße, wo es durchaus um die Konkurrenz zu den großen, berühmten Einkaufsstraßen Berlins geht, die Konkurrenz zur Friedrichstraße, zum Kurfürstendamm. Städtebaulich hat man es hier mit sehr, sehr großen und tiefen Gebäudeblöcken zu tun. Und jeder, der in den Fünfziger-, Sechziger-, Siebzigerjahren hier gebaut hat – man denke nur an den „Titania“-Filmpalast –, setzte sich auf diese „Footprints“ einfach drauf. Berlin hat tatsächlich einen so völlig anderen städtebaulichen Maßstab als Wien, es ist immer wieder überraschend.

Die Ortners, seit vielen Jahren dort ansässig und neuerdings auch Betreiber eines eigenen kleinen Ausstellungsraums, des sogenannten Depots, das einen Besuch durchaus lohnt, die Ortners haben etwas sehr Intelligentes gemacht: Sie haben die gewaltigen Volumina, die sie da zu bauen hatten, sozusagen durchgeschnitten. Sie haben Bauabschnitte konzipiert, die jeweils einen eigenen Charakter, ihre eigene Identität haben. Es reihen sich also formal differenzierte Bauten aneinander. Das ist für ein so großes Bauvorhaben sehr wichtig, denn die Einöde, die aus der Uniformität einer großflächigen, undifferenzierten Architektursprache entstehen kann, die darf man keinesfalls unterschätzen.

Es geht um vier Geschoße, deren Haupterschließung die erwähnte Glaspassage – 15 Meter breit, 15 Meter hoch, 100 Meter lang – darstellt. Besonders reizvoll erscheint mir daran, dass die Autos zum Parken über verglaste Brückenverbindungen hinauf auf die beiden Parkdecks auf dem Dach fahren müssen, was man von unten, von der Glaspassage aus, natürlich sieht. Das ist ein sehr netter und auch sinnvoller Gag, denn es ist ganz gewiss ein Fehler, wenn Architekten den Weg zum Parken und die Parksituation insgesamt nicht ernst nehmen. Dort spielt sich doch alles ab, vom Ausladen der Kleinkinder bis zum Einladen der Einkäufe. Wieso wird das eigentlich immer so geringgeschätzt?

Überhaupt: Sind Einkaufszentren die Kulturpaläste unserer Zeit? Jedenfalls sind sie Orte, an denen sehr viele Menschen zusammenkommen, und sie geben Geld aus. Und dem muss die Architektur Rechnung tragen. Am Boulevard Berlin tut sie das mit einem erstaunlichen Angebot an großen und kleineren nutzungsneutralen Bereichen, wo man sich einfach einmal hinsetzen und entspannen kann, wo sich eventuell auch etwas konsumieren lässt. Sie tut es mit einer Abfolge von sehr verschieden gelösten Innenräumen, von sehr niedrig bis zu ganz hoch – die höchste Stütze, in Sichtbeton, misst immerhin 18 Meter und hat, wie ich mir sagen ließ, so viel gekostet wie ein ganzes Einfamilienhaus. Sie tut es aber auch mit Fassadenlösungen, die definitiv vermitteln, dass man von einem Abschnitt in den anderen tritt, dass man womöglich einen Wechsel in der konsumierbaren Weltanschauung vollzieht. Sicher bleibt einem dabei etwas nicht erspart, die Einsicht nämlich, dass das alles eine Art von Betrug ist. Ob Muschelkalk oder Jura-Marmor, ob Putz oder getöntes oder helles Glas, ob noch so viel Holz – nein, diese Wunder vermögen Architekten nicht zu vollbringen, dass die Kernfrage, das Einkaufszentrum an sich, diese fokussierte, dabei sinnentleerte Konsumhölle, irgendwie verdaulicher würde.

O&O haben wirklich alles durchgespielt, was es an architektonischen Möglichkeiten bei einer solchen Bauaufgabe überhaupt gibt – vom Terrassenhaus bis zum pyramidalen Innenraum, vom feinen Bezug zum Außenraum/Park bis zur großstädtischen Blockfassade. Die Herrschaften wissen genau, worum es geht, und sie spielen auf der Klaviatur ihres Handwerkszeugs unheimlich gekonnt.

Mehr ist eigentlich nicht zu sagen, wäre da nicht diese Vergangenheit von Haus-Rucker-Co. Wo ist sie geblieben? Wo? Wo? Wo? Mein Gott, was haben wir doch alle gelächelt über die Anstrengungen der Coop Himmelb(l)au, die den Haus-Ruckern damals nicht einmal das Wasser reichen konnte. Und wo sind wir jetzt? Die Coop Himmelb(l)au hat sich durchgebissen bis zum Kultstatus, was allerdings nicht wirklich eine Aussage über die Qualität ihrer Architektur darstellt, vielleicht eher eine über den Grad des gespannten Interesses daran. Auch das wäre aber schon etwas, finde ich. Dagegen die altgedienten Haus-Rucker? O&O? Man kann sich natürlich vornehmen, man steigt jetzt ins kommerzielle Architekturgeschäft ein und macht das, und zwar gut. Man ist gescheit genug, um genau zu wissen, wo es langgeht. Aber hat das funktioniert? Ich bezweifle es ernsthaft. So komisch es klingen mag, wenn man Kommerzarchitektur baut, dann kommt immer nur Kommerzarchitektur dabei heraus. Und da kann man auch O&O heißen. Es macht keinen Unterschied.

Übrigens, das Depot: Dieser kleine Ausstellungsraum von O&O, da muss man hin. Es schnürt einem förmlich das Herz ab, wenn man diese Arbeiten sieht. Auch wenn es neuere sind. Da sieht man einfach, was sie wirklich können. Und es hat ja nie jemand daran gezweifelt, dass sie zu den Besonderen gehören.

Spectrum, Sa., 2012.05.05

31. März 2012Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Mehr als Popcorn und Cola

Amsterdam: Im Filminstitut Eye ist Kino endlich wieder ein kommunikatives und gesellschaftliches Erlebnis. Kosenamen erhält das neue Gebäude am Ufer des Flusses IJ von der Bevölkerung bereits jetzt.

Amsterdam: Im Filminstitut Eye ist Kino endlich wieder ein kommunikatives und gesellschaftliches Erlebnis. Kosenamen erhält das neue Gebäude am Ufer des Flusses IJ von der Bevölkerung bereits jetzt.

Die Amsterdamer lieben es schon jetzt, das neue Filminstitut Eye, das am Nordufer des Flusses IJ – man könnte von einer Doppelcodierung reden, denn auf Holländisch spricht sich der Fluss genauso aus wie das englische Auge – als neue Landmark die Aufmerksamkeit auf sich zieht. Das zeigen schon die liebevollen Kosenamen – Auster, Perle, Auster mit Perle und weißer Schwan –, mit denen das Haus wechselweise bedacht wird. Und es setzt ja auch wirklich einen Akzent, den dieses erst noch zu entwickelnde Stadtgebiet Amsterdams durchaus braucht. Früher war dort auf einem sehr weitläufigen Areal ein rigoros abgeschottetes Forschungszentrum des Shell-Konzerns, wovon heute noch ein Hochhaus, der sogenannte Overhoeks Tower, zeugt. Es steht ziemlich nah neben dem neuen Filmhaus, eingepackt in eine Werbefläche für Letzteres, und das ist gar nicht ungut. Irgendwie betont dieses vermeintlich brutalistische, in Wahrheit nichts als kommerzielle bauliche Rufzeichen die Qualitäten des Hauses von DMAA – Delugan Meissl Associated Architects – erst so richtig.

Wir befinden uns gegenüber des riesigen Zentralbahnhofs von Amsterdam (hier verkehren täglich 100.000 Menschen). Ununterbrochen transportieren Fähren – übrigens kostenlos – Passagiere über den Fluss, der Weg zum Gebäude ist ein Katzensprung. Zuvor hat man das Bild dieses weißen, flachen, kühn auskragenden Objekts schon einmal in sich aufgenommen. Und die Spitznamen der Amsterdamer haben sich ein erstes Mal bewahrheitet.

Die Architekten haben sich einen recht langen Weg ausgedacht, der ins Gebäude hineinführt. Man betritt es genau genommen in der ersten Etage, im Basement sind die Büros, auch Restaurierungswerkstätten etc. Aber wenn man diese lange Freitreppe erst einmal überwunden hat, dann kommt man schon einmal auf eine großartige Terrasse. Großartig und sehr groß, ein fantastischer Blick auf den Fluss und das Gegenüber bietet sich einem. Und groß geht es auch drinnen weiter. Eine solche räumliche „Verschwendung“ sieht man selten. Man kommt in eine Art riesiges Atrium mit sehr viel dunkel geöltem Eichenholz, das künftig Café, Bar, Restaurant enthalten wird, das Aufenthaltsraum ist – und auch geeignet für jedes und alles an temporären Events. Natürlich sind die Decken höhenmäßig verschnitten, das steigert sich von niedrig bis ganz hoch, da wächst auch einmal organisch aus einer ansteigenden Arenatreppe eine Bar heraus; man könnte sagen: Es wuchert, aber nach Regeln. Und das Ganze wird dann durch die wunderbaren Leuchtkörper von Olafur Eliasson – einem Serienprodukt von Zumtobel – atmosphärisch sehr effektvoll gesteigert.

Der Gedanke war, darüber hat Roman Delugan bei der Pressekonferenz ausführlich geredet, einen Raum zu schaffen, der so einladend ist, dass wir unsere schlechten Kinogewohnheiten wieder ablegen. Nicht einfach hineingehen mit Popcorn und Cola, herausgehen, und das war es. Nein, diese Räume schaffen den Rahmen für Kino als kommunikatives Erlebnis, auch als gesellschaftliches Event. Wieder anders mit Film umgehen, nicht wie Fernsehen in der Menge, das steckt hinter dem räumlichen Konzept. Es gibt vier Kinosäle, von denen einer relativ groß und auch als Premierenkino geeignet ist – 315 Plätze –, die anderen fassen 130 und der kleinste 67 Besucher. Da ist eine Sache, die mich nicht sonderlich überzeugt. Im alten Filminstitut, das in einer Villa im Vondelpark untergebracht war, gab es einen historisch dekorierten Vorführraum. Und den wollte man ins neue Gebäude übertragen. Das ging nicht, der Zustand der Substanz hat es nicht erlaubt. Herausgekommen ist eine zeitgenössische Interpretation, auf die man durchaus hätte verzichten können.

Im Übrigen sind die Kinos ganz normale Boxen. Gott sei Dank. Denn da geht es immer noch um die Filme, die gezeigt werden. Würde sich die Architektur zu viel Eigenwert anmaßen, es wäre definitiv falsch. Kubelka hat schon gewusst, wovon er redet, als er seine Blackbox propagierte. Und das haben die Architekten bei allen möglichen Ambitionen, die ihnen wichtig gewesen sein mögen, auch begriffen.

Das Haus fließt. Delugan will es nicht als Skulptur eingestuft wissen. Es ist ein Organismus, sagt er. Das ist natürlich Koketterie, es hat aber auch seine Richtigkeit. Man schlendert so durch, man wechselt die Ebenen, immer auch begleitet durch wechselnde Raumhöhen, die unheimlich schnittig zu sehr diversen Raumerlebnissen führen. Und in zwei Fällen, seitlich vom großen Saal, steht man sogar vor sehr schmalen, steilen Treppen, die scheinbar ins Nichts führen – aber nein, sie sind kein Gag für räumliche Zwickelrestflächen, dort geht es zur Vorführkabine. Das Bild eines Organismus hat jedenfalls eher seiner Richtigkeit als das einer – statischen – Skulptur.

Man sollte vielleicht noch erwähnen, was Eye, das absolut führende Filminstitut der Niederlande, leistet – und jetzt leisten kann. Sie haben immerhin 1.200 Quadratmeter Ausstellungsfläche, die sie anlässlich der Eröffnung am 5. April auch entsprechend nutzen werden. Sie haben ein sehr intelligentes Konzept der Vermittlung. „Panorama“ nennt sich ein Bereich, wo man unter acht Themen anklicken kann, was einen interessiert, kurz hineinschauen, aber auch in einem weiteren Raum und eigens entwickelten, sehr nett designten gelben Boxen den Film auf Abruf ansehen kann. Es gibt sogar die entsprechende akustische Installation, um Stummfilme adäquat zu begleiten. Und natürlich ist alles da, um auch Kindern das Medium Film nahezubringen.

DMAA mussten sehr lange durchhalten, um ihr siegreiches Wettbewerbsprojekt realisieren zu können; nahezu acht Jahre, den Planungsauftrag haben sie 2005 erhalten. In dieser Zeit gab es einen Direktorenwechsel, was eine solche Projektentwicklung nie vereinfacht. Aber gut Ding braucht eben manchmal Weile. Und er ist wirklich gut geworden, dieser fast prototypische zeitgenössische Filmpalast – aus Amsterdamer Sicht vielleicht sogar eine späte Wiedergutmachung für die viel weniger glückliche, ebenfalls österreichische „Stopera“ des Wilhelm Holzbauer.

Spectrum, Sa., 2012.03.31



verknüpfte Bauwerke
EYE Film Instituut Nederland

11. Februar 2012Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Göttlicher Zufall

Sie ist nicht zu übersehen: die Martin-Luther-Kirche in Hainburg. Wolf D. Prix bietet mit Coop Himmelb(l)au nicht nur formal Neues, sondern nutzt aktuelle konstruktive und technische Möglichkeiten für seine Ideen. Ein Winterbesuch.

Sie ist nicht zu übersehen: die Martin-Luther-Kirche in Hainburg. Wolf D. Prix bietet mit Coop Himmelb(l)au nicht nur formal Neues, sondern nutzt aktuelle konstruktive und technische Möglichkeiten für seine Ideen. Ein Winterbesuch.

Es war sicher nicht der ideale Zeitpunkt für diesen Architektur-Sightseeing-Trip nach Hainburg. Weniger der eisigen Temperaturen wegen als vielmehr aufgrund des mangelnden Sonnenlichts. Hätte es das gegeben, das innenräumliche Erlebnis der Martin-Luther-Kirche von Coop Himmelb(l)au hätte sich noch gesteigert.

Die Anfahrt war nicht ganz problemfrei. Auf dem Parkplatz eines Discounters fand sich erst nach einiger Suche jemand, der mir in ausgezeichnetem Deutsch gesagt hat: Sie fahren immer gerade aus, die Kirche ist links. Nicht zu übersehen, es ist eine sehr schöne Kirche.

So war es auch. Sie war nicht zu übersehen, und schon auf den ersten Blick hat sie irgendwie gepasst. Maßstäblich auf jeden Fall. Wir sind immerhin mitten in der Altstadt Hainburgs, was sich in den Gassenbreiten und den Gebäudehöhen nach wie vor ausdrückt, weniger allerdings in der unmittelbaren Bebauung. Die ist zum Teil neueren Datums und eher uninteressant. Hier jedenfalls steht die Martin-Luther-Kirche, entworfen von Wolf D. Prix. Prix hat seine ersten 13 Lebensjahre in Hainburg verbracht und nun seinen Entwurf der evangelischen Gemeinde geschenkt.

Es ist ein kleiner Bauplatz – 420 Quadratmeter –, aber es ist auch eine kleine evangelische Gemeinde. In Hainburg umfasst sie etwa 280 Menschen, mitgerechnet das Einzugsgebiet 490. Da kommt man, wenn die Architektur etwas leistet, räumlich schon zurecht. Prix hat in Bezug auf den Grundriss überhaupt keine Salti geschlagen. Das Gebäude hat drei Teile, erschlossen durch einen Gang. Dieser Gang ist oben verglast, die Verglasung hat ein Schneeflocken-Muster, Letzteres dient der Beschattung.

Linker Hand sind die Nebenräume angeordnet – also Sakristei, Toiletten, Küche und das Büro des Pfarrers. Rechts hingegen geht es um die Hauptsache: vorne, zur Straße, der Kirchenraum, dahinter, zur kleinen Gartenfläche, der Versammlungsraum für die Gemeinde, dazwischen ein konisch verlaufender Bereich für die Kinder – Prix hatte ursprünglich dort das Taufbecken (Granit) aufgestellt. Aus womöglich liturgisch-zeremoniellen Gründen steht es jetzt aber neben dem Altar. Beide Bereiche, Gottesdienstraum und Gemeinderaum, sind über Falttüren miteinander zu verbinden. Dann gibt es für annähernd 140 Menschen Platz.

Zwischendurch ein kurzer Blick auf die Materialien. Auf dem Boden: ein gespachtelter Kunststoff, grau, dessen Haptik durchaus an Naturstein erinnert, ohne ihn nachzumachen. An den Wänden, ebenfalls grau, 3-D-gefrästes Eternit, ebenfalls von überaus angenehmer, geradezu warmer Haptik. Das hat seine Bedeutung, gerade bei einem derart einfach ausgestatteten Innenraum.

Halten wir fest: Sowohl der Kirchenraum als auch der Versammlungsraum umfassen jeweils nicht mehr als 64 Quadratmeter. Und die entsprechen der Grundfläche eines bauhistorischen Denkmals ganz in der Nähe, des Karners oder Beinhauses, auf den sich Prix bezieht. Dieser Karner hat nämlich – man könnte sagen: ein zeltartiges Dach. Seine Krümmung lieferte den Ausgangspunkt für die entwerferischen Überlegungen zur Formulierung jener drei Oberlichten über dem Kirchenraum, die nun – neben dem 20 Meter hohen Glockenturm – das entscheidende Charakteristikum dieser Kirche darstellen. Denn eines ist klar: Von der Coop Himmelb(l)au ist immer nur eine Architektur zu erwarten, die nicht nur formal Ungewohntes, womöglich Neues bietet, sondern die heutige konstruktive und technische Möglichkeiten sehr gut ausnutzt. Beim Kirchendach war das einmal mehr der Fall: Es wurde in einer Schiffswerft an der Ostsee gebaut, zusammengesetzt aus 210 Einzelteilen, und dann, zerschnitten in drei Teilen angeliefert (anders wäre man durch das Stadttor nicht gekommen), im katholischen Pfarrhof gegenüber zusammengeschweißt und in einer spektakulären Kranaktion auf den Kirchenbau aufgesetzt. Prix schwebte ein Tisch vor – tatsächlich tragen vier Stahlsäulen das 28 Tonnen schwere „Dachobjekt“.

Dass es noch einen zweiten Bezugspunkt für den Entwurf gegeben hat, mag Fachleuten auffallen: Corbusiers „La Tourette“ mit seinen aufgesetzten, plastischen Oberlichtelementen. Aber Prix zieht sie durch, bis hinunter in den Kirchenraum, dessen Decke dadurch fast organisch moduliert ist. Man kommt nicht umhin anzuerkennen, dass dieser Kirchenraum atmosphärisch sehr dicht, sehr eindrucksvoll wirkt. Das ist in einem evangelischen Andachtsraum besonders wichtig, weil er ohne katholisches Dekor der Marien- und Heiligenverehrung auskommen muss. Nur weiße Wände, Sitzreihen – gewählt wurde ein Sessel von geradezu klassischer Modernität –, der markant geformte Altar und die schon vielfach besprochene, gefaltete Glasfront zur Straße. Prix hätte sie gern unverstellt gelassen, dann hätte jeder Passant von außen Zeuge der Messe sein können. Aber das war eine zu weitgehende Forderung. Ein massiver, unregelmäßig gelochter Schirm aus Seekiefer, geteilt in vier Elemente, sodass sich dazwischen die Kreuzform ergibt, relativiert die Offenheit des Kirchenraums.

Der „Kanzelaltar“, organisch geformt, hat drei kleinere „Löcher“ oben und ein großes, flaches „Loch“ unten, er wurde aus Kunststoff gegossen und perfekt verkleidet mit Aluminiumblech. Natürlich war er in Aluguss gedacht, das konnte sich die evangelische Gemeinde aber nicht leisten. Sie ist mit den 1,4 Millionen Euro Baukosten ohnehin an die Grenzen ihrer Möglichkeiten gegangen.

Mich hat ein engagierter Vertreter vom Verein „Freunde der evangelischen Kirche in Hainburg/Donau“ geführt, Herr Adolf Reichel. Prix sagt: Ohne ihn gäbe es diese Kirche gar nicht. Reichel hat mir nicht nur die überaus schwierige Vorgeschichte dieses Kirchenbaues erzählt, sondern auch, wie die Gemeinde mit der Formensprache der Coop Himmelb(l)au umgeht. Sie fasst die drei Oberlichten im Andachtsraum als Zeichen der göttlichen Trinität auf, ebenso die drei Öffnungen im Altar, und die große, flache Öffnung unten als das leere Grab Christi. Alles Zufall, sagt Wolf D. Prix. Das mag/wird so sein. Aber ist es nicht eine wunderbare Art der Aneignung zeitgenössischer Architektur?

Spectrum, Sa., 2012.02.11

31. Dezember 2011Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Hotel der anderen Art

Das Hotel Daniel am Landstraßer Gürtel in Wien birgt einige Erstaunlichkeiten: außen groß, innen im Minimalstil gehalten mit Flohmarkt-Chic. Allein, es fragt sich, welche Klientel es ansprechen soll.

Das Hotel Daniel am Landstraßer Gürtel in Wien birgt einige Erstaunlichkeiten: außen groß, innen im Minimalstil gehalten mit Flohmarkt-Chic. Allein, es fragt sich, welche Klientel es ansprechen soll.

Die Überraschung ist gewaltig, wenn man das neue Hotel Daniel am Landstraßer Gürtel betritt. Denn man kommt zwar in einen sehr großzügigen, offenen Raum mit einer Art Empfangszone sowie Bar und/oder Restaurant („Bakery“), aber möbliert ist das Ganze äußerst eigentümlich, auf eine Art gehobenes Flohmarktniveau. Da mischen sich die Nachkriegsjahrzehnte beliebig durcheinander, durchaus konzentriert auf Massendesign, dazwischen niedrige Tische, die sogar Euro-Paletten nutzen, wie sie jeder Hubstapler im Baumarkt bewegt. Viele Topfpflanzen, meistens der kleineren, wenig repräsentativen Art. Spiegel? Eine alte Psyche, so stand sie auch im Schlafzimmer meiner Eltern. Eine wunderschöne, hölzerne Werkbank, wozu ist die da? – Was man zunächst aber keineswegs findet, das ist die Rezeption.

Die gibt es natürlich schon, aber man muss sie erst einmal identifizieren. Vom Outfit her hat sie jedenfalls mehr von einem Shop. Mir sind Hemden in Erinnerung, die gleich daneben zum Verkauf ausliegen. Das Personal ist jedenfalls sehr freundlich. Ein etwas ratloser Rundgang wurde gleich, aber nur kurz unterbrochen mit der Frage, ob man vielleicht irgendwie helfen könne. Verneinung, Rückzug, freie Bewegungsmöglichkeit, keine einengende Begleitung.

Das Hotel stellt den neuen Inhalt, die neue Nutzung des Hoffmann-LaRoche-Gebäudes von Georg Lippert und Roland Rohn dar, eine Architekturikone von 1960–1962, und je nach Quellen eines der ersten, wenn nicht das erste Gebäude mit einer Curtain Wall in Wien. Es ist ein Monolith am Gürtel, unweit vom ehemaligen Südbahnhof, und es sendet seine Grüße hinüber zum (Einund)Zwanziger-Haus-Komplex von Karl Schwanzer. Christian Heiss vom Büro Heiss Architekten sagt, erst in der Einreichphase wurden die Fassade und das Stiegenhaus unter Denkmalschutz gestellt, aber das habe die Planung nicht weiter tangiert, weil man mit den originalen Restbeständen dieser „Ikone“ sowieso äußerst respektvoll umgegangen sei. Abgesehen davon, dass diese Fassade eigentlich in tadellosem Zustand war: Die Aluprofile haben die Zeitläufe perfekt überstanden, nur hier und da musste eine gebrochene Scheibe ersetzt werden. Und die Hinterleuchtung des Gesimses, des oberen Abschlusses des Hauses, wird bald wieder perfekt erstrahlen.

Vom Originalen war im Inneren aber nicht mehr viel da. Außerdem gab es einen ziemlich schlimmen Anbau, den man abgerissen hat, um die ursprüngliche Wirkung des Solitärs wiederherzustellen. Dass man dadurch die Möglichkeit geschaffen hat, gleich daneben, einen Wohnbau zu schaffen (noch im Bau, ebenfalls Atelier Heiss), dessen viergeschoßige Tiefgarage gemeinsam mit dem Hotel genutzt werden soll, muss man unter den Vorzeichen der ökonomischen Verwertung von Grundstücken in einer solchen Lage zur Kenntnis nehmen. Erwähnenswert immerhin, dass ein Sonderparagraf zur Anwendung kam, damit die Vorgabe der geschlossenen Bauweise durchbrochen werden konnte.

Architektonisch gab es zwei Hauptschwierigkeiten: in einer Bürohausstruktur mit ihrem speziellen Raster Hotelzimmer unterzubringen war die eine; das zweite Stiegenhaus, ein Fluchtstiegenhaus, das heute zwingend vorgeschrieben ist, war die andere. Letzteres führt jetzt ins Freie, es ist also nicht für die tägliche Benutzung gedacht; Heiss hätte sich die Möglichkeit eines Rundumgangs mittels der zwei Stiegenhäuser gewünscht, aber das hätte im Erdgeschoß zu Problemen geführt; die kleine Küche wäre dadurch noch kleiner geworden.

Reißverschlusssystem im Zimmer

Die (Doppel)Zimmer sind ein Kapitel für sich. Sie bewegen sich in der Größenordnung von 16 (Standard) bis 26 Quadratmetern (Eckzimmer, eine Suite) und sind so knapp bemessen, dass der Architekt kleine Nischen einführen musste, um das Doppelbett unterzubringen und am Fußende doch noch vorbeigehen zu können. Das Ganze funktioniert wie ein Reißverschluss. Die Nischen sind verschränkt: Im einen Zimmer ist dieses Doppelbett nahe am Fenster, im anschließenden nahe an der Tür. Mit den Duschkabinen verhält es sich umgekehrt: Einmal sind sie ganz nah am Fenster (geschützt durch ein Rolleau), im anderen Fall nahe dem Eingang. In jedem Fall sind sie aber, im Verhältnis zum Minimalismus der Zimmer, sehr angenehm dimensioniert.

Der Minimalismus dieser Zimmer: Er ist wirklich auf das absolut Notwendige reduziert. Sanitäre Einrichtungen, ein Doppelbett, ein Flachbildfernseher an der Wand. Kein Schrank, keine Ablageflächen, kein Sessel. Das kommt mir sehr heavy vor. Denn die Betten sind wohl zu niedrig, um einen Koffer drunterzuschieben. Dafür bleibt eine kleine Raumnische. Was macht man mit seiner Kleidung? Mehr als vier Bügel an einer Garderobe habe ich nicht gezählt. Und wo legt man die Wäsche, die Kosmetikartikel ab? Die Zimmer sind also klein, aber vom Architekten definitiv – unter diesen Vorgaben des Betreibers – optimal gelöst. Die Bettnischen sind durch Nussholz irgendwie in den Adelsstand erhoben, der Teppichboden erfüllt akustische Funktionen, weil es im Lippert-Bau zeitbedingt keine Doppelböden gibt, man würde also jeden Stöckelschuhschritt durch die Geschoße hören. Immerhin: Die Gesamtwirkung der Zimmer ist durchaus elegant, vielleicht gerade weil sie so reduziert in der Möblierung sind.

Problematisch war auch die Glasfassade, wenn man sie von innen betrachtet. Das Glas hat einfach nicht die Werte, die man erwartet – weder akustisch noch thermisch noch sicherheitstechnisch. Doch würde man Gläser verwenden, die heutigen Standards entsprechen, dann würden sich auch die Profile (natürlich nicht thermisch getrennt) ändern. Es wäre eine völlig andere Fassade. Aber die ist gerade das, was das Spezifikum dieses Sechzigerjahre-Solitärs ausmacht. Heiss musste Brandschutzmaßnahmen einführen, kleine, niedrige Mauern vor der Curtain Wall, die den Brandüberschlag verhindern und eine Sicherheitsmaßnahme darstellen, sodass niemand hinausfallen kann. Am äußeren Erscheinungsbild ändert das glücklicherweise nichts.

Nur da, wo der spätere, ziemlich uninteressante und störende Anbau war, da musste Christian Heiss ästhetische Entscheidungen treffen, die den Gesamtauftritt des Lippert-Hauses tangieren. Das ist recht diskret geschehen. Heiss zeigt die Verwundung am Gebäude, aber mit feinen Mitteln – große Glasflächen, auch geschlossene Wandelemente –, nur wo es notwendig war; weil Zimmer dahinter liegen, hat er Fassadenelemente „rekonstruiert“. Diese Maßnahmen sind insgesamt sehr verträglich.

Es ist übrigens ein junger Grazer Hotelier, der sich das ungewöhnliche, sternenlose Konzept für das Haus ausgedacht hat. Die Auslastung ist offenbar gut, die Preise sind in Ordnung. Von den oberen Etagen ist der Blick sensationell, sogar den „visuellen“ Sicherheitsabstand zum künftigen Wohnhaus hat der Architekt gewahrt. Als Nicht-Fachmann fragt man sich aber, wer hier die eigentliche Zielgruppe ist. Für Rucksacktouristen ist es viel zu anspruchsvoll. Und die anderen? Na ja, sagte der junge Hotelier nicht ohne Schmunzeln zu mir, bei unseren Preisen können Sie sich ja auch ein zweites Zimmer mieten – für Ihre Garderobe.

Spectrum, Sa., 2011.12.31



verknüpfte Bauwerke
Hotel Daniel Vienna

20. November 2011Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Das Haus an der Bahn

Bei der Konzipierung eines Pflege- oder Altenheims stehen die Bedürfnisse der zukünftigen Bewohner im Vordergrund. Doch was ist, wenn das Angebot nicht angenommen wird? Zu Hubert Hermanns Pflegewohnhaus in Wien-Meidling.

Bei der Konzipierung eines Pflege- oder Altenheims stehen die Bedürfnisse der zukünftigen Bewohner im Vordergrund. Doch was ist, wenn das Angebot nicht angenommen wird? Zu Hubert Hermanns Pflegewohnhaus in Wien-Meidling.

Das Nestroy-Zitat auf der Fassade des Pflegewohnhaus Meidling auf den Kabelwerk-Gründen trifft ins Herz der Thematik: Alt werden ist die einzige Möglichkeit länger zu leben. Und für diejenigen, die sich dazu entschlossen haben, wurde hier, direkt an der Vorortelinie und gleich neben dem Friedhof, ein ziemlich großes Haus gebaut. Friedhof? Der Architekt: Ich glaube, das Wiener Herz hat sich mit einem solchen Ausblick bestens arrangiert. Vorortelinie? Keines der Zimmer wurde zur Bahn orientiert, diese Lärmbelästigung ist eine vernachlässigbare Größe.

Hubert Hermann, vom Büro Hermann & Valentiny und Partner (Wien-Luxemburg), ein engagierter Verfechter des Städtebaus der Kabelwerk-Gründe der ersten Stunde, hat gewissermaßen den „krönenden“ Abschluss der Anlage gebaut. Für diese Größe auf einem sehr knappen Bauplatz, eben deswegen auch ziemlich kompakt und an der Seite zur Bahn mit einer 15-Meter-Auskragung, die dem Baukörper überraschende Plastizität und Dynamik verleiht. Ansonsten steht das Haus fest auf der Erde, ziemlich hoch, ziemlich massiv, obwohl es sich mit sanftem Schwung entlang der Grundstücksgrenze „wickelt“, gebremst nur an der Rückseite, wo es (fast) nahtlos ans Nachbargebäude anschließt. Die Bebauung hat hier eine gewaltige Dichte, die man mit dem Attribut „städtisch“ nicht mehr relativieren kann. Eine bescheidene Grünpflanzung an dieser Seite hilft auch nicht viel.

Das Haus entwickelt sich über einem zweigeschoßigen Sockel, in dem Verwaltung und Therapieräume untergebracht sind. Auf fünf Geschoßen sind die Stationen des Geriatriezentrums – fünf Doppelstationen, pro Station jeweils 24 Bewohner – organisiert, zumeist Einzelzimmer. Oben drauf, sogar mit eigenem Eingang und Dachgarten, wurde das „Betreute Wohnen“ auf drei Geschoßen platziert.

Hubert Hermann ist auf dem Gebiet der Alten- und Pflegeheime kein Neuling. Er hat schon in Wien-Atzgersdorf ein solches Haus errichtet und weiß daher genau, worauf es ankommt. Es geht bei einer solchen Aufgabe nicht darum, mit dem eigenen, individuellen Gestaltungswillen nach vorne zu drängen. Hier haben die Nutzer eindeutig den Vorrang. Und das bedeutet, dass man sich als Architekt genau überlegen muss, was man anbietet. Menschen mit einer Pflegestufe haben, man kann das durchaus sagen, eingeschränkte Bedürfnisse.

Das ist mir beim Rundgang durch das Haus besonders aufgefallen. Die Gänge sind natürlich breit, damit man auch mit Betten den nötigen Wenderadius hat, sie sind teilweise geschwungen, weil sie der Baukörper-Konfiguration folgen, und sie bieten immer wieder die Möglichkeit, nach draußen zu sehen. Der Architekt hat sich wirklich Mühe gegeben, die Gangerschließung in der großteils zweihüftigen Anlage aufzuweichen. Es gibt immer wieder sehr reizvolle räumliche Nischen, in denen man bequem sitzen und vor allem hinausschauen kann, und größer zugeschnittene, gemeinschaftlichen Aufenthaltsräume. Es war ein Sonntagnachmittag, an dem ich das Haus besichtigt habe. Man sollte meinen, da gibt es Besucher, da tut sich etwas. Aber nein, es herrschte bedrückende Stille. Und Hubert Hermann sagt, am ehesten werden noch die Räume genutzt, in denen ein Fernseher steht.

Dabei ist architektonisch, räumlich alles da, was man sich für ein solches Haus nur wünschen kann. Zu ebener Erde gibt es ein Kaffeehaus, auch ein Restaurant (Letzteres für Mitarbeiter), sehr angenehm in Bezug auf die Ausstattung, nur saß dort niemand. Da fragt man sich natürlich schon, warum Architekten so viele Gedanken investieren, wenn dann niemand von ihrem Angebot Gebrauch macht. Andererseits kann man dieses Angebot auch nicht einfach wegstreichen – es wird zwar offenbar nicht genutzt, aber wenn es nicht da wäre, dann blieben Kasernen übrig, in denen wir unsere alten Angehörigen einsperren. Und das kann und darf ganz bestimmt nicht sein. Das Haus hat eine Putzfassade – teilweise Kratzputz, teilweise normaler Putz –, und an der Schaufassade weist es eine horizontale Gliederung durch Fertigbetonelemente auf, die recht attraktiv sind, weil ihre Oberfläche mittels Strukturmatritze eine spezifische Qualität erhalten hat. Jedem Zimmer ist eine Loggia zugeordnet, immerhin mit 2,20 Meter Tiefe und über die Zimmerbreite, die sich mittels gelochten Blechfaltelementen auch schließen lässt. Die Bewohner haben also auch unmittelbaren Zugang ins Freie. Wenn es im Hochsommer heiß wird, ist es möglich sich abzuschotten und wie durch einen Schleier hinauszuschauen.

Der Innenhof ist als Therapiegarten für Demenz-Patienten gestaltet. Sie können hier ihre Kreise ziehen, in direkter Nähe zu den Therapieräumen. Die Vegetation wird sich allerdings noch entwickeln müssen. Gleiches gilt für den Dachgarten – der zwischen dem eigentlichen Geriatriezentrum und dem „Betreuten Wohnen“ liegt. Da laufen übrigens auch viele Installationen durch, und die hat der Architekt eingepackt, in einen Holzlattenrost, der eine sehr reizvolle – und überdachte – Liegewiese ergibt.

Das Entrée zu diesem Haus ist bescheiden. Aber man betritt schließlich kein Hotel. Drinnen hängt ein so gewaltiger, bunter Murano-Glasluster von der Decke, dass man zumindest für einen Moment verblüfft innehält. Hier kommt man auch gleich zu einem der beiden Erschließungskerne, das Fluchtstiegenhaus ist nach außen verlagert und setzt an der Kabelwerk-Seite einen ausgesprochen reizvollen Akzent. Wie gesagt, Freiflächen bieten der Hof und der Dachgarten über dem fünften Geriatriegeschoß. Die Zimmer haben einen durchaus passablen Zuschnitt, dagegen lässt sich nichts sagen. Der Architekt hat übrigens weiße, blumige Vorhänge dafür ausgesucht, irgendwie stickereimäßig, die bei den Bewohnern wohl durchaus heimelige Assoziationen auslösen. In diesem Fall durfte Hubert Hermann außerdem gewisse Einbaumöbel entwerfen, ausgeführt in Nussholz, was auch der Wohnlichkeit dient. Die Bemühungen sind also enorm. Aber weder das Personal noch die Bewohner spielen wirklich mit. Das ist keinesfalls als Vorwurf an irgendeine Seite zu verstehen, es entspricht lediglich den unwiderruflich tristen Tatsachen.

Spectrum, So., 2011.11.20

22. Oktober 2011Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Italien in Kagran

Nennen wir es „Kagraner Mischung“: eine Wohnanlage, die den Donaustädter Stadtteil neu interpretiert, aber auch zeigt, dass überzogene Wohnvorstellungen passé sind.

Nennen wir es „Kagraner Mischung“: eine Wohnanlage, die den Donaustädter Stadtteil neu interpretiert, aber auch zeigt, dass überzogene Wohnvorstellungen passé sind.

Neue Stadtquartiere, man weiß es aus jahrzehntelanger Erfahrung, sind immer mit Skepsis zu betrachten. Denn die Verwertungsinteressen und die potenziellen städtebaulichen-architektonischen Ambitionen lassen sich selten zur Deckung bringen. Doch: Wenn man schon einen so privilegierten Standort zur Verfügung hat, wie das zwischen Wagramer Straße und Doningasse in Kagran der Fall ist, dann wissen heute selbst die Bauträger, dass man nicht einfach mit 08/15-Lösungen daherkommen kann. Also hat man in die Bebauung der ehemaligen LGV-Frischgemüse-Gründe, neben der U-Bahn-Station Kagraner Platz, qualitative Ansprüche investiert.

Das Bauträger-Verfahren fand 2008 statt, die Anlage ist noch nicht ganz fertig. Der Bauabschnitt, den Christian Knechtl und Josef Knötzl bearbeiten – rund 110 Wohneinheiten – ist noch im Rohbau. Die sogenannte „Kagraner Spange“ von Sne Veselinovic, ein ziemlich mächtiger Bau entlang der Wagramer Straße – mit einer interessanten Auskragung Richtung U-Bahn-Station – definiert die großstädtische Grenze des neuen Quartiers. Die Mächtigkeit dieser Wand hätte auch tödlich sein können, aber Sne Veselinovic folgt dem Straßenverlauf geschickt: Ein Knick im langen Riegel schafft Raum für vorgeschobene, niedrigere Bauten, man könnte sagen: ein paar „Zähne“, die aus dem Kiefer herausschauen. Das macht die Sache ausgesprochen verträglich.

Dahinter ein Wohnquartier, das Rüdiger Lainer städtebaulich entwickelt hat. Es umfasst vier Wohnzeilen, von denen eine p.good architekten (das sind Praschl-Goodarzi) bebauten und die anderen drei Rüdiger Lainer selbst. Beachtung verdient dieser Teil der Anlage, weil er kontextuelles Bauen auf einen Nenner bringt, der verträglich ist, nicht rückwärts gewandt, schon gar nicht provokant, einfach eine selbstverständlich bewohnbare Angelegenheit.

„Un poco“ – nur ein bisschen Italianità hat sich Rüdiger Lainer dabei vorgenommen. Mehr ging schon deshalb nicht, weil vom Bauträger eine gewisse Dichte gefordert war. Nun besteht das Umfeld aber aus – architektonisch durchaus fragwürdigen – Einfamilienhäusern, die alle ihren Grünanteil haben. Dazwischen ragen nur wenige, sehr grausliche Wohnblöcke auf, die das Bild empfindlich stören. Man könnte sagen, diese Störfaktoren hat Rüdiger Lainer einfach ignoriert. Er hat die Maßstäblichkeit der ursprünglichen, authentischen Bebauung in dieser Gegend aufgenommen und seine Wohnbebauung entsprechend gestaffelt. Sie ist an den Rändern, die zum Bestand der Umgebung in Sichtbeziehung stehen, niedrig. Erst dahinter staffelt sie sich zu städtischen Häusern in die Höhe (vier Obergeschoß). Was an den niedrigeren Häusern auffällt, das ist ihr etwas zerklüfteter Außenauftritt. Sie wirken jeweils wie ein Baukörper, aus dem man willkürlich Teile herausgeschnitten hat, und übrig blieb, wie gesagt, ein zerklüftetes, auch gestaffeltes Volumen. Lainer hat diese Häuser, es sind Patio-Häuser, von innen nach außen entwickelt. Was da steht, das ist das Resultat aus der Überlegung, wie man drei Patio-Häuser übereinanderstapelt. Jede dieser Wohnungen hat einen individuellen Zugang, den obersten ist außerdem eine kleine Einliegerwohnung zugeordnet, die Freibereiche sind durch Mauern und – baukünstlerisch geradezu mutig – zusätzlich aufgesetzte Kunststoff-Sichtschirme geschützt. Also: Auch bei relativ großer Dichte bleibt die Intimität gewahrt. Und das gilt selbst für die „hohen“ Häuser, denen Lainer „Wimpern“ verpasst hat. Gemeint sind damit bretterähnliche, horizontale Elemente unter den Fenstern, die verhindern, dass man dem Nachbarn hineinschauen kann.

Die „hohen Häuser“ haben verglaste Loggien, die man sicher ganzjährig nutzen kann. In der warmen Jahreszeit lassen sie sich ganz öffnen, in kälteren Zeiten erfüllen sie eine Art Glashausfunktion. Das ist alles durchdacht. Genauso wie die Grundrisse. Die gebaute Struktur dieser Häuser ist selbstverständlich ökonomisch, also einfach. Jedenfalls erlaubt sie eine Vielfalt an Detaillösungen, die der Architekt auch formuliert und den Wohnungswerbern vorgelegt hat. Keine direkte Mitbestimmung in diesem Fall, trotzdem konnte jeder wählen.

Die Vielfalt des Angebots ist in der Tat erstaunlich – von der durchgesteckten großräumlichen Lösung bis zur kleinteiligen Mehrzimmerabfolge. Lainer hat auch daran gedacht, die Freiräume wirklich benutzbar zu machen, sie stehen nicht nur auf dem Papier. Zwanzig Quadratmeter, das ist durchaus in Ordnung. Umso mehr, als die Wohnungsgrößen in letzter Zeit schrumpfen. Früher hatte eine Dreizimmerwohnung 85 Quadratmeter, jetzt hat sie nur 75 Quadratmeter. Für junge Leute sind die Kosten unseres Wohnbaus nicht mehr leistbar, die Überlegung war, wie man trotz geschrumpfter Möglichkeiten noch Qualität bietet.

„Un poco“ – Rüdiger Lainer hat ein städtebauliches Konzept entwickelt, das Charme hat. Es ist bezaubernd, durch diese leicht gekrümmten Gässchen zu gehen, hie und da die Andeutung eines Platzes, mehr ist nicht, mehr braucht es auch nicht. O-Ton Architekt: Zumindest können die Kinder hier kicken und stören niemanden dabei.

Das ist eine Ansage – der man aber hinzufügen muss, dass auch an die Grünraumplanung gedacht wurde. Sie ist noch nicht perfekt, doch die Mauern rund um die Patio-Häuser haben Pflanztröge und werden eines Tages begrünt sein. Und rund um die Wohnbebauung wird sich ein Grünstreifen, eine Art minimierter Park, erstrecken. Insofern geht dieser Teil der neuen „Kagraner Mischung“ auf die Umgebung ein.

Übrigens: Das Label „Kagraner Mischung“ gefällt mir von allen anderen Varianten am besten. „Kagraner Spange“, „Kagraner Idylle“, das ist alles ziemlich furchtbar. „Kagraner Mischung“ – Rüdiger Lainer hat einen recht bemerkenswerten Beitrag zum Thema geleistet. So kann man wirklich wohnen. So lässt sich eine reduzierte Wohnmöglichkeit immer noch optimieren.

„Un poco.“ Eine Wohnanlage, die Kagran neu interpretiert, die uns aber vor allem vorführt, dass wir von den überzogenen Vorstellungen heutiger Tage Abschied nehmen müssen. Es geht um kleinere Wohnungen, die sich auch junge Leute leisten können, es geht aber immer noch um den alltäglichen Wohnkomfort.

Spectrum, Sa., 2011.10.22



verknüpfte Bauwerke
Wohnhausanlage „Kagraner Idylle“

17. September 2011Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Fuchs und Hase vorm Fenster

Perfekter Rasen, kein einziger rechter Winkel, erbaut von Handwerkern aus der Umgebung: ein Haus, mehr als ein Wochenendhaus, mitten in weitläufiger Landschaft. Besuch im Südburgenland.

Perfekter Rasen, kein einziger rechter Winkel, erbaut von Handwerkern aus der Umgebung: ein Haus, mehr als ein Wochenendhaus, mitten in weitläufiger Landschaft. Besuch im Südburgenland.

Es war im Verlauf einer kleinen Besichtigungstour durch das Südburgenland, als die entscheidenden Worte fielen: von der Natur zur Architektur. Gesprochen hat sie Architekt Traupmann, von Pichler & Traupmann, der in dieser Gegend zu Hause ist. Und sie treffen haarscharf auf zwei größenmäßig relativ bescheidene Projekte des Büros zu, die allerdings an so privilegierten Standorten realisiert wurden, dass man darüber nur ins Schwärmen geraten kann: das eine das Traumhaus schlechthin, das zweite eine Art Mini-Hotelanlage inmitten von Weingärten, man glaubt es eigentlich nicht.

Letzteres heißt „Wohnothek am Ratschen“ – Ratschen ist der Name eines Rieds – und besteht aus zehn versetzt angeordneten Einheiten mit sägerauer Holzfassade, die wunderbaren Wohnkomfort und herrliche Ausblicke bieten. Diese Häuschen oder Kistchen stehen dort wie gewachsen, rundum aus Holz in verschiedener Oberflächenqualität. Man möchte manchen Umwidmungsgegnern ins Stammbuch schreiben: Es ist nicht immer falsch, wenn an Orten gebaut wird, die noch den Charakter des Unberührten, Unberührbaren haben. Es kommt eben darauf an, wie man es macht.

Diese Anlage wurde in keiner explizit touristischen Gegend realisiert. Sie steht aber in Verbindung mit einem Haubenlokal in Deutsch-Schützen, in das sich die architektonische Handschrift von Pichler & Traupmann schon vor Jahren eingetragen hat – Wachter-Wieslers Ratschen –, und auch für Weinreisende ist dieser Standort ideal: Sie können verkosten und auch übernachten, einfacher geht's nicht.

Und dann das Haus. An einem Standort, wo früher ein Weizenfeld war. Auf einem Hügel, ganz allein, fast in der Mittelachse der Blick auf die ferne Burg Güssing. Wiesen, ziemlich weit weg einige Streugehöfte, und dann auch Wald. Ein begnadeter Ort, sozusagen: heilig. Es ist ein weißes Haus, Bio-Swimmingpool vor der Südterrasse, Außenräume in jeder Richtung und äußerst differenziert interpretiert und nutzbar. Es ist mehr als ein Wochenendhaus, auch wenn es nicht der Hauptwohnsitz ist.

Traupmann sagt, bei allen ersten Skizzen ging es immer nur um die Linien, die Konturen des natürlichen Umfelds. Dieses ist in schmalen Streifen terrassiert, eine Folge der Besitzverhältnisse, und das nimmt der Baukörper auch wirklich auf. Es gibt zwar diesen deutlichen Einschnitt zum Haus hin, die Eingangssituation ist Architektur pur, eine künstliche Intervention. Aber auch hier lassen sich schon Korrespondenzen mit der Umgebung ausmachen. Denn wie sich das Haus mit seinen einzelnen räumlichen Elementen staffelt, das nimmt eben doch die Linien, die Konturen der Umgebung auf. Und es führt dazu, dass sich das Gebäude wie auf einer geöffneten Handfläche präsentiert. Man tritt im Unterstock ein, der ins Gelände eingegraben ist und großzügig bemessene Nutzräume bietet. An der Garderobe vorbei kommt man zur Treppe – die erste Besonderheit. Sie ist konisch, sie verengt sich nach oben, um dort das Erlebnis eines offenen Raums umso deutlicher in Szene zu setzen.

Und offen ist diese Wohnsituation wirklich, nicht nur durch viel Glas, es gibt auch kaum Türen. Wohnbereich, Essbereich, Küche – das fließt. Man spürt gewisse Zonierungen, aber muss schon sehr aufmerksam sein, um dahinterzukommen, woher dieser Eindruck rührt. Es sind die Verlegelinien der Eichenbretter auf dem Boden, eine einzige artikulierte Fuge genügt, um doch dieses Feeling zu transportieren, dass ein anderer Raumabschnitt beginnt.
Es gibt übrigens nur zwei Holzarten im Haus – Eiche auf dem Boden, Nuss beim Mobiliar. Und beide Hölzer sind im Wortsinn lokal verwurzelt. Das ist ja überhaupt das Schöne, dass hier Bauherren am Werk waren, die mit größter Ehrfurcht vor der bestehenden Landschaft agiert haben. Mich hat zwar der englische Rasenteppich rund ums Haus unheimlich beeindruckt, so etwas Perfektes sieht man selten (er wurde auch nicht eingesät, es ist Rollrasen, der im Frühsommer verlegt wurde ), aber dieser Rasenteppich definiert nur einen begrenzten, dem Haus unmittelbar zugeordneten Raum. Danach gibt es Naturwiese, die nach den Schäden, die durch so einen Bau unvermeidlich sind, liebevoll wiederhergestellt worden ist und im heurigen Sommer zum ersten Mal ihre volle Blütenpracht entwickelt hat.

Der Architekt hat sich nicht an den rechten Winkel gehalten. Alles im Haus ist zumindest leicht schräg, fast wie verzogen. Man merkt es kaum, man muss ziemlich genau hinschauen. Und es steckt natürlich nicht der Wille zur Schräge als Selbstzweck dahinter, auch da geht es durchaus um die Auseinandersetzung mit dem Umfeld und eine Art „gebaute Konsequenz“ daraus.

Zweitere spürt man im Haus auch noch in anderer Form: Es gibt einen Niveausprung, der den Geländeverlauf draußen im Inneren nachvollzieht und zum privaten Bereich der Bauherren weiterführt, vorbei am Schrankraum, zum Schlafzimmer und zum Bad. Letzteres ist räumlich fast luxuriös ausgefallen, mit integrierter Sauna, und man kann direkt ins Freie und in den Pool.

Das Haus ist kein spezielles Öko- oder Niedrigenergiehaus. Aber auf gewisse Dinge wurde doch geachtet. Etwa wird das Regenwasser in eine Zisterne geleitet und zum Gießen und für die WC-Spülung genutzt. Und es gibt Erdwärme, mit der die Fußbodenheizung und die teilweise vorhandene Wandheizung gespeist wird. Nicht zu vergessen auf den Bio-Pool ohne Chlorwasser.

Das Haus wurde von Handwerkern aus der Umgebung gebaut. Man kann sich vorstellen, dass denen allerhand abverlangt wurde, vor allem ungewöhnliche Präzision. Da verläuft eine Schattenfuge zwischen Decke und Wand, wie mit dem Lineal gezogen. Und natürlich wurde auf Sesselleisten verzichtet, der Anschluss könnte aber nicht perfekter sein. Obendrein hat die Entscheidung für Handwerker aus der Umgebung noch einen Vorteil, den man nicht gering veranschlagen sollte: Wenn es wirklich ein Problem gibt, sind sie gleich da.

Es ist ein sehr, sehr offenes Haus. Mit großen Glasflächen, die sich aufschieben lassen, man wohnt ins Freie hinaus. Und kommt dabei ganz ohne Vorhänge aus: Außer Fuchs und Hase schaut einem hier auch niemand zu.

Spectrum, Sa., 2011.09.17

13. August 2011Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Bauliche Zeitreise

Historisches, gelungen ins Heute geholt. Bestes Bauwerk bei der Weltausstellung 1958 in Brüssel, seit 2008 im Umbau: Das „20er Haus“ im Schweizergarten in Wien wurde zum „21er Haus“, mitsamt neuem Turm als Bürogebäude.

Historisches, gelungen ins Heute geholt. Bestes Bauwerk bei der Weltausstellung 1958 in Brüssel, seit 2008 im Umbau: Das „20er Haus“ im Schweizergarten in Wien wurde zum „21er Haus“, mitsamt neuem Turm als Bürogebäude.

Er heißt jetzt „21er Haus“ und soll, einer optimistischen Presseinformation zufolge, am 20. September fertiggestellt sein, der denkmalgeschützte ehemalige Weltausstellungspavillon des Karl Schwanzer, den Adolf Krischanitz seit 2008 nicht nur generalsaniert, sondern flächenmäßig deutlich erweitert hat. Noch kann man sich diese Fertigstellung innerhalb einer Monatsfrist zwar schwer vorstellen, und in allen Teilen der neuen Anlage wird das auch nicht der Fall sein, aber Baustellen haben das so an sich, dass sie bis fast ganz zum Schluss unfertig und chaotisch wirken, um dann in letzter Sekunde doch noch zu mutieren.

Schwanzers auf der Weltausstellung in Belgien 1958 als bestes Bauwerk preisgekrönter Pavillon hat lange Jahre ein ziemlich trauriges Dasein gefristet. Die Zeiten, da jeder Wiener Kunstinteressierte ins „20er Haus“ pilgerte, um zeitgenössische Kunst sehen zu können, waren vorbei. Werner Hofmann und Alfred Schmeller hatten diese spannende Aufgabe in den Sechziger- und Siebzigerjahren noch erfüllt, als Ausstellungshaus des Museums Moderner Kunst im Palais Liechtenstein rückte es jedoch zunehmend an die Peripherie der Kunstrezeption. Und nach der Eröffnung des MUMOK im Museumsquartier schien seine Lebensfrist endgültig abgelaufen.

Diese düstere Perspektive wird sich schon bald, das darf man guten Gewissens prophezeien, in Wohlgefallen auflösen. Auch die Österreichische Galerie im Belvedere ist schließlich unter der Direktion Agnes Husslein-Arco in den Fokus des Interesses von Einheimischen und Touristen gerückt, das sollte für die österreichische Kunst seit 1945 ebenfalls gelingen. Und schließlich ist da noch die Wotruba-Stiftung – immerhin 500 Skulpturen aus Stein, Bronze und Gips, 2.500 Zeichnungen, 1.500 druckgrafische Blätter und 14 Ölbilder sowie die Artothek, die Kunstsammlung des Bundes, untergebracht in einem Schaudepot, das rund 33.000 Werken Raum bietet.

Damit ist der Schlüsselbegriff gefallen: Raum. Adolf Krischanitz, übrigens Schwanzer-Schüler, verfügt nicht nur über einen reichen Erfahrungsschatz im Umgang mit historischer, moderner Bausubstanz (Werkbundsiedlung, Secession), er ist vor allem ein Architekt der räumlichen Konzepte. Die heute immer so abgefeierte Handschriftlichkeit in der Architektur ist ihm gar kein Anliegen. Er denkt kontextuell und in räumlichen Kategorien, die Bedeutungen schaffen.

Für den Schwanzer-Pavillon hat das zur Folge, dass er zwar als Solitär besser dasteht denn je, dass er aber in ein visuell völlig sekundäres, räumliches Netzwerk eingebunden ist. Dieses Netzwerk schafft allerdings erst die Möglichkeit für einen zeitgemäßen Ausstellungsbetrieb.

Die Eingangssituation ist neu. Krischanitz hat das Untergeschoß ausgegraben, also sichtbar gemacht, man geht über eine Brücke ins Haus hinein. Der breite Graben, auf den man hinunterblickt, ist einerseits Erweiterung der dort situierten Wotruba-Stiftung, andererseits Terrasse für das Café/Restaurant. Letzteres wird Hermann Czech realisieren, und das kann man durchaus als eine späte Wiedergutmachung für den Sündenfall des MAK betrachten.

Krischanitz hat das Flächenpotenzial des Hauses praktisch vervierfacht, indem er zwei Untergeschoße ganz beziehungsweise teilweise nutzbar macht. Aber es ist keine Kellersituation, die er schafft, sehr intelligent gesetzte räumliche Einschnitte holen Licht in diese Bereiche. Das bedeutet, dass die beiden Skulpturengärten, die immer schon eine Qualität des Hauses waren, unten ausgehöhlt sind. Es bedeutet aber auch eine räumliche Komposition, die nicht gegen, sondern mit dem Geländeverlauf des Schweizergartens arbeitet.

Neben dem Schwanzer-Bau steht jetzt ein Turm. Er hat sechs Ebenen und genau die Proportion des neuen Tiefhofes, nur in die Höhe geklappt. Formal zitiert Krischanitz die Schwanzer-Fassade, bringt sich also nicht mit seiner individuellen Sprache ein. Trotzdem schafft er damit ein Signal, das öffentlich wirksam ist, das sich auch gegen die künftige Verbauung der Arsenalstraße – Zentralbahnhof und was die Stadtentwicklung in seinem Gefolge mit sich bringen wird – behaupten muss. Außerdem: Um einen zeitgemäßen Ausstellungsbetrieb abzuwickeln, dafür braucht man heutzutage auch Büros (und Mitarbeiter). Dafür war im alten „20er Haus“ nie Platz.

Es gibt also das Signal des Turms und die viel spannender inszenierte Eingangssituation in den Schwanzer-Bau. Damit rückt das Haus vor, es rückt ein Stück Richtung Öffentlichkeit, es kann von vornherein einen Bedeutungsbonus verbuchen. Und das ist vielleicht das größte Verdienst des Krischanitz-Konzepts.

Der Schwanzer-Bau selbst hat dem Architekten eine Fülle von Detailproblemen beschert. Es muss ein österreichisches Spezifikum sein, dass wir Gebäude immer so weit verfallen lassen, bis es zu einer Affäre wird, sie wieder instand zu setzen. Das beginnt bei den tragenden vier Stützen im Hauptraum, die den heutigen Erdbebensicherheitsbestimmungen nicht mehr entsprechen und (unsichtbar) verstärkt werden mussten. Es setzt sich bei den Gipsplatten für die Decke fort, die ein sehr kleinteiliges Rastermuster haben, das heute kein Mensch mehr macht. Sie wurden nachgegossen. Die Drahtverglasung des zentralen Raums gibt es ebenfalls nicht mehr, sie wäre gar nicht erlaubt; das Problem wurde mit einer Bedruckung gelöst. Die Fassadenverglasung, die für diesen wunderbar japanisch anmutenden Lichtfluss sorgt, konnte wärmetechnisch gar nichts. Sie besteht jetzt aus zwei Schichten Rohglas mit einer vier Zentimeter starken Dämmung aus Glasfaser dazwischen. Der Eindruck drinnen ist unverändert, die isolierende Wirkung ein Vielfaches. Der ursprüngliche Quarzitboden wird nun wiederhergestellt, er musste in China gekauft werden. So könnte man weiter fortfahren.

Und dazu kommen die Brandschutzbestimmungen. Der wesentlichste Eingriff von Krischanitz in den ursprünglichen Schwanzer-Entwurf bezieht sich daher auf die Treppen. Sie waren frei, offen, jetzt sind sie eingehaust. Aber das war die Voraussetzung, um das Einraumkonzept dieses Hauses erhalten zu können, noch ergänzt durch eine Brandschutzmaßnahme, bei der brandsichere Vorhänge aus der Decke fallen. Das ist eine relativ neue Entwicklung und war in diesem Fall gewissermaßen die Rettung. Es wäre sonst nicht möglich gewesen, das charakteristische räumliche Kontinuum des Schwanzer-Pavillons mit all seiner Offenheit in unsere Zeit herüberzuretten.

Wie gesagt, Krischanitz hat auf diesem Gebiet nach Werkbundsiedlung und Secession reichlich Erfahrung. Trotzdem dürfte es nicht allzu viele Architekten geben, die sich auf der Höhe ihrer eigenen Arbeit auf eine solche Zeitreise einlassen.

Spectrum, Sa., 2011.08.13



verknüpfte Bauwerke
21er Haus

16. Juli 2011Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Unter dem Tuch der Kamera

Der Umbau der Felsenreitschule in Salzburg – das bedeutet: Preisvorgaben, Sorge um historische Substanz. Das Ziel: Vorstellungen bei jeder Witterung. Ein Beispiel für gute Zusammenarbeit – Diskussionswürdiges inbegriffen.

Der Umbau der Felsenreitschule in Salzburg – das bedeutet: Preisvorgaben, Sorge um historische Substanz. Das Ziel: Vorstellungen bei jeder Witterung. Ein Beispiel für gute Zusammenarbeit – Diskussionswürdiges inbegriffen.

Die Felsenreitschule in Salzburg hat nicht nur ein neues mobiles Dach, sie wurde auch sonst technisch, akustisch und im Erscheinungsbild insgesamt auf einen heutigen Ansprüchen deutlich besser genügenden Stand gebracht. Das war überfällig, denn die alte Planenüberdachung hatte ausgedient, ebenso der hölzerne Innenausbau mit seiner „Badehütten“-Anmutung. Es war aber auch fällig, weil die Felsenreitschule akustische Verbesserungen durchaus notwendig hatte – und weil sie, bei Erhaltung aller Qualitäten einer Freilichtbühne, einfach winterfest gemacht werden musste.

An Begründungen für die Erneuerungsmaßnahmen fehlt es also nicht. Was vielleicht fehlte, war ein angemessenes Budget. Von der öffentlichen Hand kamen fünf Millionen Euro und kein Cent mehr. Und unter dieser Vorgabe wurde auch das zweistufige Bieterverfahren abgewickelt, das die ARGE G. Hinteregger & Söhne, Oberhofer Stahlbau, IPC Project Consulting, das Statikbüro Herbrich Consult und das Salzburger Architekturbüro „Halle 1“ für sich entschieden haben. „Halle 1“ – das sind die Architekten Heinz Lang und Gerhard Sailer – waren für die Umsetzung des Projekts vermutlich ein Glücksfall. Schon seit vielen Jahren schreiben sie sich nachhaltig ins Stadtbild von Salzburg ein. Es ist nicht nur das interessanteste, es wurde mit viel Durchhaltevermögen auch zum erfolgreichsten Büro vor Ort.

Das hauptsächliche Problem war: Die ARGE musste einen Fixpreis garantieren. Dabei hatte sie eine Checkliste an Anforderungen zu erfüllen, die zwar den Charakter der Freilichtbühne uneingeschränkt bewahren, aber gleichzeitig eine neue, bei allen Witterungsverhältnissen nutzbare Opernbühne zum Ergebnis haben sollte. „Die Architekten“, so der Zuständige für das Gebäude- und Veranstaltungsmanagement, Marcus Piso, „haben nicht ihre Vorstellungen verwirklicht, sondern unsere – das ist ungewöhnlich.“ Und Gerhard Sailer von „Halle 1“: „Es war ein abenteuerliches und untypisches Prozedere, wir haben sehr viel zugelassen und uns oft auf eine Moderatorenfunktion zwischen allen Beteiligten beschränkt, wir waren an der Grenze des Möglichen.“ Schließlich ein anonymer Baupolizist: „Reich geworden ist hier keiner.“

Sie war also allen Beteiligten ein wirkliches Anliegen, die neue Felsenreitschule. Mit vielen (finanziellen) Nachlässen und Kompromissen sollte dieser qualitative Beitrag zum Festspielbezirk von Salzburg Wirklichkeit werden. Das bedeutet: ein neues mobiles Dach, Seitenwand- und Deckenuntersichtverkleidung neu, überdies zwei neue Geschoße über dem Saal, das obere noch nicht ausgebaut. Konstruktiv war die Sache dabei gar nicht so problematisch, wiewohl die grundsätzliche Vorgabe hieß: Die historische Substanz darf keinen Schaden nehmen. Den hat sie auch nicht. Es gibt zwei Fachwerkträger, die parallel zur Bühne bzw. zum Mönchsberg verlaufen, und die konnten auf den Betonpfeilern des Bestandes einfach aufgelagert werden. Es waren keinerlei neuen Fundierungen notwendig. Auf diesen zweigeschoßigen Fachwerkträgern liegen nun orthogonal zum Berg die Hauptträger, und in diesen werden die fünf Ausschubträger geführt. Das klingt sehr technisch, in Wahrheit ist es extrem einfach. An jedem dieser Ausschubträger hängt ein Stirnradgetriebe-Motor, das Zahnrad sitzt am Träger, der Ausschubträger hat eine Zahnstange. Einfacher geht es wirklich nicht, und man hat den Vorteil, dass die Wartung kein Problem ist, weil sich jeder qualifizierte Mechaniker damit auskennt. Überdies: Jeder Ausschubträger ist einzeln ansteuerbar. Man kann so einen Träger also auch für Bühneneffekte nutzen, dann fahren nur die übrigen weg.

Es dauert sechs Minuten, bis das Dach zugefahren ist, theoretisch ginge es auch schneller. Allerdings würde man diesen Vorgang dann auch deutlicher hören: Wenn sich 200 Tonnen bewegen, dann erzeugt das unweigerlich ein Geräusch. Letzteres ist jetzt vernachlässigbar. Und Außeneinflüsse, etwa prasselnden Regen, hört man gar nicht. Das Dach ist wie eine alte Holztramdecke konstruiert, es besteht aus zwei voneinander getrennten Schichten, die in drei Bahnen den Bühnenraum überdecken. Da hört man nichts.

Der Saal selbst wurde im Jahr 2006, im Zuge der Errichtung des „Hauses für Mozart“, schon einmal umgebaut. Damals hat man den Rang entfernt und eine arenaartige Lösung für den Zuschauerraum entwickelt. Akustisch hat das eine Verbesserung gebracht. Mit dem Mobiliar – den Sitzreihen – ist das weniger gelungen, die wurden damals zwar auch erneuert, aber sie sind recht banal. Und das fällt jetzt, nach der Rundumerneuerung des Saals, umso mehr auf. Der Innenraum der Felsenreitschule ist nun nämlich schwarz, das braune Gestühl mit seinen gemusterten Stoffauflagen kommt aus einem sehr anderen Universum. Sei's drum, der Innenraum ist schwarz. Die Decke – ein punktuell ausgeleuchteter „Sternenhimmel“ – besteht aus schuppenartig überlagerten Elementen, jede Neigung natürlich gesondert berechnet, ganz im Dienst der Akustik, von einem der profiliertesten Akustiker überhaupt, Prof. Karlheinz Müller. Und bei den Pfingstfestspielen hat Ricardo Muti dem Saal auch seinen Sanctus erteilt. Es war die Feuerprobe.

Man kann über die „Schwärze“ des Raums diskutieren. Gerhard Sailer sagt, es sei ein bisschen wie bei einer alten Kamera, bei der man sich noch das schwarze Tuch übergestülpt hat. So schaut man jetzt auf die Bühne, sie rückt in den Fokus. Ich finde, dass dieses Schwarz Details verschwinden lässt, man nimmt nicht einmal die Schuppen an der Akustikdecke des Saals so richtig wahr. Auch nicht die Beleuchterbrücken. Und wozu auch? Sind sie nicht die dienenden Elemente in Relation zum Bühnengeschehen?

Eine Kleinigkeit: Podpoddesign haben zum Lichtdesign beigetragen. Der Sternenhimmel allein brachte es nicht, der hat zwar die erforderlichen Luxzahlen bis zu den Zuschauern transportiert, aber kein Stimmungslicht. Podpoddesign haben sich etwas Bezauberndes einfallen lassen: Auf den Auskragungen der Seitenwände, die akustisch begründet sind, leuchten jetzt reihenweise Kerzen: das emotionale Element in einer überaus sachlichen Rauminterpretation.

„Halle 1“ haben sich bei der Felsenreitschule sehr engagiert eingebracht. Es ging schließlich um Salzburg, um den Festspielbezirk, nicht zuletzt um das Einfügungsgebot in die Salzburger Dachlandschaft, das zweifellos einen besonders hohen Wertigkeitsgrad hat. Klaus Kada hat beim Bieterverfahren einen viel kühneren Vorschlag eingebracht: Er wollte das Dach der Felsenreitschule als Deckel ausbilden, der sich senkrecht aufrichtet – und dann natürlich in voller Größe vor dem Berg steht. Als Projekt sicher interessant – nur nicht umsetzbar, nicht in Salzburg.

Spectrum, Sa., 2011.07.16

28. Mai 2011Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Glatter als Glas

Urban, zeitgemäß, großzügig: das neue Bürohaus der ÖBB am Wiener Praterstern. Mit einer Empfangshalle, die den Namen Erlebnisraum ausnahmsweise wirklich verdient.

Urban, zeitgemäß, großzügig: das neue Bürohaus der ÖBB am Wiener Praterstern. Mit einer Empfangshalle, die den Namen Erlebnisraum ausnahmsweise wirklich verdient.

Eines ist jedenfalls gewiss: Das neue ÖBB-Bürohaus der Architekten Silja Tillner und Alfred Willinger bedeutet für den Wiener Praterstern einen Gewinn. Denn es definiert und beruhigt eine (bahntrassennahe) Seite dieses gewaltigen städtischen Verkehrsknotenpunktes, die früher schlichtweg Ungegend war. Hier stand ein Supermarkt städtebaulich völlig willkürlich in der Gegend herum, eingekreist von Parkplätzen, ein Magnet auch für die Obdachlosen (sie wurden übrigens nicht vertrieben, sie werden lediglich an einem weniger „prominenten“ Ort vom sogenannten Suppenbus bedient).

Es ist ein sehr großes Haus, das die ÖBB da errichtet haben. Ausgelegt für etwa 800 bis 1000 Mitarbeiter, in der Sockelzone zum Praterstern hin auch mit zwei Fremdvermietungen – einem Fitness-Center und demnächst wahrscheinlich einem Handy-Shop. Auf jeden Fall macht dieser Standort Sinn. Denn gleich dahinter, an der Nordbahnstraße, ist das nächste ÖBB-Haus, und schräg gegenüber, Nordbahnstraße 50, ein weiteres, besonders repräsentatives. Mir erscheint das als eine gute Konstellation, denn auch in Zeiten der totalen Vernetzung ist die Möglichkeit zur raschen persönlichen Kommunikation nicht hoch genug einzuschätzen.

Das Haus hat eine lange Geschichte – der Wettbewerb fand 2004 statt, Helmut Richter hat damals konzeptuell noch maßgeblich mitgewirkt –, und es hat einige Mutationen erfahren. Die für mich wichtigste: Der Haupteingang sollte ursprünglich gar nicht am Praterstern liegen, sondern den beiden anderen ÖBB-Gebäuden zugewandt sein. Das wäre allerdings Wahnsinn gewesen.

Da haben nicht nur die Architekten Überzeugungsarbeit geleistet, es wird sich wohl auch bei den ÖBB die Einsicht durchgesetzt haben, dass man dieses Haus nur vom Praterstern aus erschließen kann. Tatsächlich ist es ein Erlebnis, die Freitreppe hinauf- und durch die Drehtür hindurchzugehen. Da ist man mit einer Hofsituation konfrontiert – angenehm möbliert –, die Eindruck macht. Sie ist sehr großzügig und überdacht – nicht mit Glas, sondern mit einem ETFE-Folienkissendach. das ist jenes Material, das „mikroskopisch glatter“ (Willinger) als Glas ist, sich also selbst reinigt und kaum Gewicht hat, wodurch stark minimierte Konstruktionen möglich sind. Dieses Material wurde, wenn man so will, von Herzog & de Meuron in die architektonische Planungswelt eingeführt. Die kürzlich an dieser Stelle besprochenen Seilbahnstationen von Johann Obermoser sind ebenfalls damit gedeckt.

Entscheidend für das Gesamtkonzept war, eine sehr große Baumasse so zu gliedern, dass man sie versteht, dass man sich zurechtfindet. Daher gibt es zwei lange Bürotrakte – entlang der Bahn und der Nordbahnstraße –, deutlich artikulierte Erschließungskerne, die etwas zurückversetzt sind, und Verbindungstrakte, die Allgemeinfunktionen enthalten (Besprechungsräume et cetera). Über die Freitreppe bewältigt man quasi das Sockelgeschoß, um auf der Ebene des ersten Obergeschoßes – insgesamt gibt es sieben – den wunderbaren Innenhof, die großzügige Empfangshalle zu erreichen. Dort steht ein kleines, solitäres Gebäude – die Portiersloge, gleichzeitig 24-Stunden-Unterkunft mit Empfang und Ruheraum. Dieser Hofbereich, oder besser: diese Empfangshalle ist ohne Übertreibung ein Erlebnisraum.

Der gesamte Komplex wurde von den Architekten in relativ einheitliche Materialien gehüllt: selbstverständlich viel Glas, das einen leicht grünlichen Touch hat, Fassadenplatten in Grau, denen man mit gutem Willen auch einen leichten Unterton in Grün attestieren kann, silbrig eloxierte Aluminiumprofile bei den Verglasungen, die deutlich hervortreten, aber auch sehr filigran wirken. Und dann drinnen das, was in einer gelblich-braunen Verschalung ins Auge fällt, irgendwie überraschend im Kontext eines sonst so technoiden Gebäudes: Lattenroste aus zementgebundenen Hartfaserplatten, beschichtet. Man schaut sie an, denkt sich: Na, Holz kann das jedenfalls nicht sein, aber es bringt Wärme in ein sehr zeitgemäßes Gebäude. Tatsächlich war noch im Wettbewerb an eine „metallische“ Lösung gedacht, später sollte es Eiche sein, bei dieser Gebäudeklasse dürfen die Fassaden aber nicht brennbar sein – da ging nicht einmal Eiche. Die Lösung, etwas zu nehmen, das atmosphärisch die Wärme von Holz erzeugt, aber nicht so tut, als wäre es Holz, war sicher richtig.

Die Typologie Bürohaus ist an und für sich nicht sehr interessant. Büros werden aneinandergereiht, Mittelzonen gemeinschaftlich genutzt. Jeder gute Architekt wird sich bemühen, Arbeitssituationen zu schaffen, die zwar natürlich belichtet, aber auch mit Sonnenschutz ausgestattet sind, die klimatisch einfach stimmen. Die Klagen mancher Mitarbeiter über die Transparenz solcher Gebäude darf man getrost vernachlässigen. Diese Angst, bei irgendetwas beobachtet zu werden, das niemand sehen soll, wird durch Vorteil der natürlichen Belichtung bis tief ins Gebäude hinein wettgemacht.

Die Architekten hatten sich mit allerhand Vorgaben auseinanderzusetzen. Einmal war da eine Fernheizleitung, die das Grundstück quert und entsprechende statische Maßnahmen nach sich gezogen hat. Und dann gab es die Auflage eines öffentlichen Durchgangs – der nachts allerdings geschlossen wird – in Fortsetzung einer vorhandenen Passage unter der Bahntrasse. Dieser Durchgang hat immerhin ein Gesicht bekommen, dem man nicht nachsagen kann, dass es einen Restraum artikuliert.

Das Haus – es gibt auch noch ein erdgeschoßig eingeschnittenes Atrium, ein ÖBB-internes großzügiges Restaurant et cetera – hat einen Außenauftritt, der urban, zeitgemäß und großzügig ist. Es wurde allerdings gespart. Die Architekten haben das Budget sogar unterschritten, wenn auch teilweise mit einem weinenden Auge. Dass die gläsernen Lifte im hinteren Gebäudeteil gestrichen wurden, hat letztlich aber nichts mit den definitiven Kosten zu tun (das haben die Architekten rechnerisch überprüft). Es war eine Image-Frage. Den finanziell angeschlagenen ÖBB tut es derzeit gar nicht gut, allzu prominent oder repräsentativ aufzutreten. Und das hatte auf die Architektur Auswirkungen.

Immerhin: Das wundervolle Foliendach über dem Hof – sehr gut querdurchlüftbar, aber im Winter vermutlich niemals Minusgrade –, das ist allein schon seine Realisierung wert. Wäre schade, wenn wir so etwas nicht auch in Wien hätten.

Spectrum, Sa., 2011.05.28



verknüpfte Bauwerke
Bürogebäude am Praterstern

23. April 2011Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Eleganz statt Gestik

Bildung und Nahversorgung – passt das zusammen? Im Innsbrucker „Q-West“ durchaus. Unten gibt's Shopping, darüber eine Schule. Und das alles auch noch übersichtlich und klar organisiert.

Bildung und Nahversorgung – passt das zusammen? Im Innsbrucker „Q-West“ durchaus. Unten gibt's Shopping, darüber eine Schule. Und das alles auch noch übersichtlich und klar organisiert.

Um es vorsichtig zu formulieren: Die Kombination ist einigermaßen überraschend. Der Innsbrucker Architekt Helmut Reitter – in Arbeitsgemeinschaft mit Eck & Reiter – hat mit dem „Q-West“ ein Bildungs- und Nahversorgungszentrum realisiert, bei dem auf einem Einkaufszentrum eine Schule platziert wurde. Auf Anhieb möchte man eigentlich sagen: Furchtbar, lauter kleine Konsumenten! Werden sie nicht früh genug dazu – muss das jetzt schon in der Schule sein? Wenn man aber vor Ort ist, versteht man sehr schnell, dass diese Verdächtigung nicht greift.

Es ist ein sehr großes Objekt, das Helmut Reitter und Eck & Reiter da realisieren konnten. Etwa 100 Meter im Quadrat – bebaut bis zum letzten Zentimeter. Und es steht in einem Viertel von Innsbruck, das hauptsächlich Gegend ist, ohne Zentrum. Verkehrsreiche Straßen, Gewerbe, Einkaufshäuser, eine Bahnlinie, diesseits und jenseits dieser Bahn sollen in Zukunft noch Wohnungen gebaut werden. Mit dem „Q-West“ hat dieser ziemlich unattraktive Ort immerhin ein Frequenz-Zentrum erhalten. Man merkt jetzt schon, hier tut sich etwas.

Die Architekten haben es jedenfalls perfekt verstanden, Schule und Einkaufszentrum vollkommen zu trennen, wiewohl beide räumlich verschränkt sind. Oberste Prämisse war: Die Kinder müssen von der Straße – und damit vom Haupteingang zum Einkaufszentrum – weg, sie brauchen ihre eigene Empfangs- oder Ankunftssituation, die ganz vom Einkaufszentrum abgeschottet ist.

Und das ist wunderbar gelungen. Man ist hier wirklich mit zwei völlig getrennten Welten konfrontiert. Das Einkaufszentrum erstreckt sich über drei Ebenen, sehr übersichtlich, mit einer großzügigen Mall. Und beleuchtet durch einen höchst angenehmen „Sternenhimmel“ aus LED-Lampen, einer Entwicklung aus dem Studio Bartenbach, die hier und auch in der Schule zum ersten Mal in großem Umfang eingesetzt wurde.

Über Einkaufszentren ist im Grund wenig zu sagen. Sie sind immer gleich, sie kämpfen immer mit den lauten Logos der Firmenketten, sie wollen übersichtlich sein. Es geht hier nicht anders zu als im Kaufhaus Tyrol, dem vornehmeren Konkurrenten, nur das Preisniveau ist etwas niedriger. Und der Investor – wieder einmal Herr Benko, wie beim Tyrol – hat es verstanden, aus der Tatsache, dass das zweite Parkgeschoß schon sehr weit im Grundwasser liegt, ein Mehr an Nutzungsfläche als Ausgleich für erschwerte Baubedingungen herauszuholen. Man muss offenbar sehr schnell rechnen können als Investor. Das Nutzflächenverhältnis beträgt jetzt 14.000 Quadratmeter Einkaufszentrum zu gut 12.000 Quadratmeter Schule.

Dafür ist diese Schule zweifellos ein Vorzeigeobjekt. Etwas so Großzügiges, auf angenehmste Weise Durchorganisiertes habe ich kaum je gesehen. Die Auskragung des Gebäudes signalisiert nach außen, wo die Schule anfängt. Sie erstreckt sich über zwei Vollgeschoße oben und ist auf der untersten Ankunftsebene teilweise, aber unmerklich mit dem Einkaufszentrum verschränkt. Man kommt auf einem großen gedeckten Vorplatz an – dazu muss man allerdings entweder über eine Rampe oder über eine Treppe zehn Höhenmeter überwinden –, geht in eine mehrgeschoßige Eingangshalle und über eine besonders breite Treppe hinauf auf das eigentliche Schulniveau. Dabei sieht man links hinein in den Dreifachturnsaal (hinter dem, unsichtbar, das Einkaufszentrum weitergeht) und verteilt sich dort zu den Klassen.

Die Schule umfasst – auf zwei Ebenen – immerhin 32 Stammklassen, ergänzt durch eine Vielzahl an Sonderklassen und räumlichen Angeboten aller Art. Wobei die Stammklassen in drei als Finger ausgebildeten Baukörpern angeordnet sind, die jeweils drei Atrien umschließen. Dorthin sind diese Stammklassen durchwegs orientiert. Vom Straßenlärm bekommt man hier nichts mit – Schallschutz war überhaupt eine Prämisse –,außerdem ist der Ausblick auf diese teilweise begrünten Höfe ausgesprochen attraktiv. Zum Thema Freiflächen: Sie fehlen hier nicht, im Gegenteil. Das Angebot an großzügigen, teilweise gedeckten Terrassen (4000 Quadratmeter), dazu ein riesiger Sportplatz auf dem Dach der Dreifachturnhalle, könnte nicht vielfältiger sein.

Aber die auffälligste Besonderheit liegt im Prinzip der Klassencluster, einem Schweizer Modell, das zusätzliche Unterrichtsmöglichkeiten in klassenübergreifender Form anbietet. Man könnte von überbreiten Gängen sprechen, die in der Mitte möbliert sind – links und rechts davon bleibt die vorgeschriebene Gangbreite selbstverständlich frei, und dort können Lehrer und Schüler in sehr lockerer Form zusammenkommen. Jeweils vier Klassen sind zwei solcher Cluster zugeordnet, und wenn man der Schuldirektorin glauben darf, dann tragen sie wesentlich zum Aggressionsabbau zwischen den Klassen bei.

Natürlich wurde das Thema Sicherheit großgeschrieben. Und da hat die Schule vom Einkaufszentrum unten profitiert: Sie verfügt über eine – normalerweise viel zu teure – Sprinkleranlage. Im Einkaufszentrum war die sowieso vorgeschrieben, man musste nur die Leitungen bis hinauf legen – die kostspielige Basisinvestition fiel also weg. Im Kaufhaus kann es zwei Stunden brennen, bevor man in der Schule etwas merkt. Und die Schule kann in sechs bis sieben Minuten geleert sein – nicht zuletzt, weil man von jeder Klasse auf zwei Wegen ins Freie kommt.

Tatsächlich konnten die Architekten fast alles, was sie im Wettbewerbsprojekt vorgeschlagen haben, umsetzen. Energetisch erfüllt es den Passivhausstandard. Bei der Einrichtung wurde erfolgreich für eine Qualität jenseits des Üblichen gekämpft. Nur bei den Bodenbelägen musste das gewünschte Holz mehrheitlich einem angeblich pflegeleichteren Naturkautschuk weichen. Außerdem gibt es keine Zentralgarderobe, damit wäre das Flächenlimit für eine solche Schule überschritten worden, und auch hier – kein Holz für die Spinde, sondern nur Blech.

Formal kann man diesem sehr großen Objekt jedenfalls attestieren, dass es mit Sachlichkeit und Ruhe auftritt. Es bildet die unterschiedlichen Funktionen nach außen ab, aber ohne große Gestik, dafür mit Eleganz. Damit trägt es zur Aufwertung der gesamten Umgebung bei, und die verträgt es hier.

Spectrum, Sa., 2011.04.23



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BRG in der Au / Einkaufszentrum West

12. März 2011Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Wo die Gondeln schlafen gehen

Eine filigrane Konstruktion mit hauchdünner Haut, die mit dem Berg verschmilzt: die Gaislachkoglbahn im Tiroler Sölden. Besser kann man eine Bergstation nicht in Szene setzen.

Eine filigrane Konstruktion mit hauchdünner Haut, die mit dem Berg verschmilzt: die Gaislachkoglbahn im Tiroler Sölden. Besser kann man eine Bergstation nicht in Szene setzen.

Das Glück eines klaren, sonnigen Tages, das hatte ich leider nicht. In einem solchen Fall blickt man von der Bergstation der neuen Gaislachkoglbahn auf ein gewaltiges Alpenpanorama, zur Wildspitze, dem höchsten Berg Tirols, auf die Stubaier Alpen und sogar bis zu den Dolomiten. Aber es war auch so unglaublich eindrucksvoll.

Mit der Gaislachkoglbahn – Architektur: Johann Obermoser, Seilbahntechnik: Doppelmayr – hat die Tiroler Tourismusbranche jedenfalls einen wichtigen Schritt vollzogen: Sie hat sich von den gängigen Schemata verabschiedet und auf das Besondere gesetzt. Das ändert an der Systematik der Seilbahntechnik selbst – sie ist übrigens das eigentlich Teure an einer solchen Bahn – nichts, aber eine Art integrative Strategie bei der Arbeit der Techniker von Doppelmayr ins architektonische Konzept von Obermoser wird notwendig gewesen sein...

Was allen drei Stationen gemeinsam ist: Obermoser hat sie als offene, sehr transparente Räume angelegt, relativ roh, aber dem jeweiligen Standort durch dezente Maßnahmen eingepasst. Ihre Hülle ist wirklich nur Haut, ein Schutz für Leute, die sehr winterfest gekleidet sind und die Wärme eines geschlossenen Stationsgebäudes gar nicht brauchen. Das heißt, diese Stationen bestehen, von den notwendigen Nebenräumen und Zusatzeinrichtungen wie Restaurants abgesehen, aus Bahnsteig und sonst nichts. Auf die Akustik wurde sicher wert gelegt, auf den Einstiegskomfort (eben) natürlich auch.

Das Fantastische ist das Material, das Obermoser für die Eindeckung seiner Stationen gewählt hat. Es ist eine Folie, die vollkommen durchsichtig und so dünn (0,25 Millimeter), dabei brandsicher und belastbar (Schnee) ist, dass sie eine sehr minimierte Konstruktion ermöglicht hat. Herzog & de Meuron haben dieses Material als Pölster bei der Allianz-Arena verwendet, Obermoser setzt es flächig ein. Wie Glas, aber doch ganz anders, denn das ist nie farblos und immer körperbildend. Es wäre ohnehin viel zu teuer gewesen und auch zu schwer, die Stahlkonstruktion hätte massiver sein müssen. So hat man sich Tonnen von Material erspart. Überdies: Glas muss immer vollgepickt werden, sonst kommen die Vögel zu Tode. Diese Folie gibt nach. Also ist sie auch für die Naturschützer ein höchst interessantes Experiment. Und: Der Sonneneintrag ist ungewöhnlich gering.

Stadträumlich war die Talstation ein Problem. Sie liegt mitten im verbauten Gebiet von Sölden, und das Erdgeschoß musste unbedingt erhalten werden (Büros, auch Shops et cetera). Obermoser hat einen Betonsockel darübergestülpt und das Stationsgebäude daraufgesetzt. Vorgabe war, dass hier 3600 Passagiere in der Stunde abgefertigt werden können. Und das ist mitten im Ort schwierig, weil es einen sehr langen Bahnsteig (54 Meter) erforderlich macht.

Durch die filigrane Konstruktion und die unglaublich durchsichtige Haut stellt die Station für den Ort jetzt eine Attraktion dar. Man will sich gar nicht vorstellen, was ein massiveres Gebäude seinem Umfeld angetan hätte. Obendrein: Abends stehen die (über 100) Gondeln natürlich still, was bedeutet, sie müssen geparkt werden. Und das tun sie oben, oberhalb des Bahnsteigs, als eine Art Plafond, und der ist beleuchtet. Eine höchst effektvolle Inszenierung.

In der Mittelstation ändert sich das Bild, weil hier eine erste Verteilung der Passagiere stattfindet. Nicht alle, die von unten kommen, fahren ganz nach oben, dafür steigen hier manche ein, die schon eine Abfahrt von der Bergstation hinter sich haben. Wichtig ist, dass man sich jetzt einer Höhe nähert, wo der Permafrost eine Rolle spielt. Daher gibt es weniger Gondeln an der Zahl, aber sie sind bedeutend größer, und man findet mit nur drei Stützen das Auslangen. Man baut hier auf unsicherem Grund, was bei der Bergstation besonders augenfällig wirkt. Das bestehende Restaurant etwa hat sich im Lauf der letzten 20 Jahre über einen Meter gesenkt. Das kann beim Durchgehen ganz schön irritieren.

Der Permafrost: Wenn man auf einem solchen Gelände mehr oder weniger konventionelle Fundamente errichtet und darauf baut, dann schrumpft er, der Boden wird weich, das Gebäude senkt sich. Obermoser hat ein ziemlich intelligentes Konzept entwickelt, eigentlich ein Kammersystem, wo unten der Wind durchpfeift und oben die Station ruht. Obendrein wurden 17 Kontrollpunkte installiert, wo ständig gemessen wird, ob das Gebäude noch in der Waage ist – und je nach Erfordernis bis zu einem Meter austariert werden kann. Die eigentliche Hoffnung liegt aber darin, dass sich die Bodenverhältnisse auf diese Weise stabilisieren.

Bemerkenswert an der Bergstation ist architektonisch-formal, wie sie sich ans Gelände anschmiegt, wie sie mit dem Berg regelrecht verschmilzt. Man hat den Durchblick hinauf zum zehn Meter entfernten Gipfelkreuz, hinunter auf das fantastische Skigebiet, rundum zum dramatischen Bergpanorama. Das ist ein großes Erlebnis.

Die Wirkung von Obermosers Konzept besteht aber vor allem darin, dass er die technischen Installationen – und die haben ja wirklich eine umwerfende Ästhetik, da kann kein Designer mit – und das Leben drumherum zum Inhalt seiner Architektur macht. Das kann man kaum besser in Szene setzen. Aber es lässt sich entwickeln. Die Altbestände sind architektonisch ziemlich grauslich und auch schäbig. Klar, so privilegierte Bedingungen, wie sie Zaha Hadid in Innsbruck zu Füßen gelegt wurden, die gibt es in der landläufigen Tourismusbranche nicht. Da müssen sich die Dinge rechnen. Aber ich glaube, das werden sie auch. Der Ansturm ist jetzt schon sehr groß, und wenn sich das Erlebnis dieser neuen Seilbahn erst einmal weitläufig herumgesprochen hat, dann kann es nur weitergehen. Es könnte ein Gesamt(kunst)werk daraus werden.

Spectrum, Sa., 2011.03.12



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Gaislachkoglbahn

05. Februar 2011Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Und dann: Stopp, Funkstille

Seltsame Wettbewerbe, sündteure Gutachten und ein Architekt, der um sein Urheberrecht fürchtet. Der Verdacht auf Klüngelei und Scheintransparenz liegt in der Luft. Anmerkungen zum geplanten Umbau des Parlaments.

Seltsame Wettbewerbe, sündteure Gutachten und ein Architekt, der um sein Urheberrecht fürchtet. Der Verdacht auf Klüngelei und Scheintransparenz liegt in der Luft. Anmerkungen zum geplanten Umbau des Parlaments.

Eine Gefahr für Leib und Leben besteht nicht, aber das „Gebäuderöntgen“ hat dennoch ergeben, dass unser „Hohes Haus“ ein Sanierungsfall ist. Die Dachkonstruktion, das Mauerwerk, die Installationen – allesamt haben sie ihre Lebenszeit (seit 1883) überschritten. Die Informationen darüber tröpfeln stetig und – wie man jetzt sagen muss: verharmlosend – auf den Chronikseiten der Medien. Denn ein Schock war es schon, als plötzlich von vielen hundert Millionen Euro die Rede war.

Lassen wir die Kostenfrage beiseite. Sie ist für den Außenstehenden nicht durchschaubar. Zwar finden sich im Gesamtsanierungskonzept konkrete Beträge, aber die sind in der Summe nicht deckungsgleich mit dem publizierten Endbetrag. Unter der Hand heißt es, wenn man mit 700 Millionen durchkommt, können alle Beteiligten froh sein. Andererseits: Was soll uns eigentlich etwas wert sein – wenn nicht der Theophil- Hansen-Bau?

Was hingegen maßlos irritiert, das ist die Vorgangsweise. Man muss sich nur die „Chronologien“ – man beachte den Plural – des Prozesses zur Lösungsfindung im Internet anschauen. Die erste („unzensiert.at“) beginnt mit dem Jahr 2005 und der Präsentation eines Raum- und Funktionsprogramms, erstreckt sich über den Architektenwettbewerb zur Neugestaltung des Nationalratssitzungssaales 2008 – Sieger: der Linzer Andreas Heidl – und die Aussetzung dieses Umbaus 2009, es kommt der Gutachter Matthias Rant ins Spiel, 2010 schließlich ein neues Gutachten (zwei Millionen Euro). Die zweite Chronologie findet sich auf der Homepage des Parlaments. Und siehe da, sie setzt mit Herbst 2009 ein – der Wettbewerb zum Nationalratssitzungssaal kommt also gar nicht mehr vor –, erwähnt die Beauftragung der Generalkonsulenten Frank & Partner und Werner Consult und endet mit Februar 2011 und der beabsichtigten Entscheidungsfindung über die künftige Vorgangsweise (am 16. Februar).

Nationalratspräsidentin Prammer hat durchaus glaubwürdig ihre besten Absichten bei der Durchführung dieses Riesenbauvorhabens bekundet. Wieso fühlt man sich als interessierter Beobachter dennoch als Opfer von Rosstäuscherei oder Scheintransparenz? Wo bleibt jetzt eigentlich der Wettbewerbssieger Heidl? Wo kommen die Herren Frank und Werner her? Hat irgendjemand, wenigstens in der Fachöffentlichkeit, gewusst, dass es da ein Verhandlungsverfahren gegeben hat? Hat irgendjemand gewusst, dass es ein gesondertes Verfahren für den historischen Bundesratssaal – übrigens mit zwei (!) Beiträgern – gegeben hat?

Dabei wurde alles korrekt in der „Wiener Zeitung“ ausgeschrieben. Aber wer liest andauernd die „Wiener Zeitung“? Vor allem, wenn er gar nicht weiß, dass solche Ausschreibungen anstehen. Nicht einmal Andreas Heidl – und der war damals schon lang genug mit der Arbeit am Nationalratssitzungssaal beschäftigt – hatte die geringste Ahnung. Absolute Funkstille aus dem Parlament – bis ein Kollege auf einer deutschen Internet-Plattform auf dieses Verfahren gestoßen ist, aber da war die Einreichfrist schon vorbei.

Man kann allen formalen, juristischen, demokratischen Ansprüchen Genüge tun, aber so in der Stille, dass genau diese Ansprüche gleichzeitig pervertiert werden. Und da darf sich dann eine Parlamentsdirektion oder die Nationalratspräsidentin nicht wundern, wenn der Verdacht auf Absprachen, auf hinter- und abgründige Klüngeleien entsteht, bei denen die Millionen für Gutachter und Juristen nur so fließen, obwohl sie der Sache letztlich in geringem Maß dienen. Es ist so, als hätte man neue, womöglich überraschende Ansätze zur Problemlösung absichtsvoll verhindert.

In Wirklichkeit war es ja schon haarsträubend, dass beim Architektenwettbewerb zum Nationalratssitzungssaal nur 21 Beiträge (davon drei deutsche Büros) eingereicht wurden. Wir schreiben einen kleinen Kindergarten im Stadtpark aus – ebenfalls EUweit offen – und haben über hundert Einsendungen. Wie falsch muss man es anlegen, damit man zu so einem mageren Ergebnis kommt? Immerhin: Es gab eine erstklassige Jury (Vorsitz: Podrecca, Vize: Schreieck) und eine einstimmige Entscheidung.

Also Andreas Heidl. Sein Projekt ist nicht das spektakuläre zeitgenössische Implantat schlechthin – und davon haben viele geträumt, obwohl der Saal von Fellerer/ Wörndle (1956) explizit unter Denkmalschutz steht –, vielmehr respektiert es diesen Saal als Gesamtkunstwerk. Es geht überaus vorsichtig damit um, macht ihn mit raffinierten Mitteln freundlicher, heller, komfortabler (und behindertengerecht). Heidl hat endlos lang geplant. Zuerst hat es im Parlament geheißen, der Verhandlungspartner ist die Bundesimmobiliengesellschaft, dann war die BIG plötzlich draußen, und seine Verhandlungspartner waren genau die, die vorher gesagt haben, sie sind nicht zuständig. Bei den Verhandlungen hat sich gezeigt, dass man es gar nicht eilig hatte, zu einem Ergebnis zu kommen. Eineinhalb Jahre, insgesamt 42 Mitarbeiter – und dann ein Vergleich: das halbe Vorentwurfshonorar zu einem Zeitpunkt, als das Büro schon mitten im Entwurf war. Aber der Hinweis: Es geht ohnehin gleich los. Und dann Stopp. Funkstille.

An die Adresse der Nationalratspräsidentin gesprochen: Fair ist das nicht. Das Büro ist daran finanziell fast zugrunde gegangen. Aber was kam danach? Die Sache mit dem Gesamtsanierungskonzept. Und da hieß es plötzlich, na ja, das Konzept kann einfließen. Heidl sah sich genötigt, ein Rechtsgutachten einzuholen, das ihm sein Urheberrecht bestätigt. Nur bedeutet das nichts. Wo ein Jurist ist, da sind noch viel mehr (Parlaments-)Juristen, und wen würde es wundern, wenn die jederzeit und in beliebiger Anzahl gegenteilige Rechtsgutachten lieferten. Soll Heidl das Parlament klagen? Es ist so gut wie undenkbar, dass keine Absprachen am Werk sind. Die Nationalratspräsidentin wird davon am wenigsten wissen. Aber sie muss sich auch eines sagen lassen: Im Parlament selbst versteht kein Mensch etwas von einer so komplexen Bauaufgabe. Alle sind Laien, eingeschlossen die Juristen. Alle machen das zum ersten Mal, alle kennen sich nicht aus, alle werden scheitern. Skylink lässt grüßen.

Spectrum, Sa., 2011.02.05

03. Januar 2011Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Schallhart mit Glashaut

Raffinesse durch Beschränkung sowie ein klares und präzises Konzept. Heidl Architekten haben einen Friedhof in Linz gestaltet. Ein Mittel der Milieubildung statt L'art pour l'art.

Raffinesse durch Beschränkung sowie ein klares und präzises Konzept. Heidl Architekten haben einen Friedhof in Linz gestaltet. Ein Mittel der Milieubildung statt L'art pour l'art.

Als im Jahr 2008 das Verfahren zur Neugestaltung des Nationalratssitzungssaals entschieden wurde, war die Überraschung groß. Denn der Gewinner war ein Linzer Architekturbüro – Heidl Architekten –, von dem man, speziell in Wien, noch kaum gehört hatte. Tatsächlich gibt Andreas Heidl auch freimütig zu, dass er sich um mediale Präsenz so gut wie gar nicht gekümmert hat. Nun tritt das Nationalratssitzungssaal-Projekt schon seit Langem auf der Stelle. Nicht aus der Perspektive des Architekten, der hat in die Ausarbeitung geradezu selbstmörderisch viele Arbeitsstunden investiert. Andererseits steht aber im Februar eine neue Gesprächsrunde in punkto Nationalratssitzungssaal bevor. Aus diesem Anlass sollte man sich das überarbeitete Projekt wahrscheinlich rechtzeitig genau anschauen, rechtzeitig, bevor auf der parteipolitisch dominierten Ebene möglicherweise Entscheidungen fallen, die nicht auf fachlichen Kriterien allein basieren.

Man wird diesen Februar-Termin nicht aus den Augen verlieren. Aber zuvor ist es wahrscheinlich angebracht, die Arbeiten von Heidl Architekten ein wenig genauer in Augenschein zu nehmen. Ich habe mir eine Arbeit des Büros in Linz angesehen, sicher eine etwas ungewöhnliche Arbeit, denn es geht um einen Friedhof und die architektonischen Maßnahmen, die in Zusammenhang mit den heutigen Anforderungen (nicht zuletzt die Möglichkeit, muslimische Begräbnisse adäquat durchzuführen) verbunden sind. Natürlich ging es auch um ganz herkömmliche architektonische Aufgaben. Wie definiert man einen Eingang, wenn drumherum schon allerlei steht? Wie geht man damit um, dass man einen Bestand aus den Neunzigerjahren (Verabschiedungshalle von Architekt Goldner) in das eigene Konzept einbinden muss?

Heidl hat ein einfaches, klares, ziemlich präzises Konzept entwickelt. Und zwar sowohl in Bezug auf die städtebauliche Lösung und räumliche Abwicklung als auch die rigorose Materialkonsequenz. Der Eingang selbst ist durch schlichte Mauern und einen breiten Dachbalken definiert, mehr nicht. Und dann der Friedhof: ein viele Hektar umfassender Waldfriedhof, eigentlich eine fantastische Anlage mit altem Baubestand, die heute bei Weitem nicht voll genutzt wird, sondern auch reichlich Frei- und Naherholungsraum für die Bewohner der umliegenden Ortschaften bietet.

Städtebaulich bestand eine Schwierigkeit darin, dass die Haupterschließungsachse des Geländes und die Erschließung der bestehenden Verabschiedungshalle parallel verliefen. Für die neue Anlage wurde eine Umlenkung um 90 Grad notwendig. Diese Gelenkfunktion übernimmt jetzt der neue Glockenturm. Der Weg zur Verabschiedungshalle mündet zunächst in einen sehr großzügigen, offenen, hohen Versammlungsbereich. Bei winterlichen Temperaturen wird der natürlich kaum genutzt, in der warmen Jahreszeit bietet er aber eine schöne Möglichkeit. In der Halle selbst sind die Raumzellen für die Aufbahrung der Särge schlicht aneinandergereiht, an der Rückwand jeweils mit Licht von oben, was einen sehr stimmungsvollen Effekt ergibt.

Diese Halle ist überhaupt gut gelungen. Sie hat an der höchsten Stelle immerhin acht Meter Raumhöhe und ist zu einem Hof hin verglast, dessen Mauern nur eine gekieste Fläche mit einem einzigen Lebensbaum umschließen. Im Schnee ist das alles nur schwer nachvollziehbar, aber es ist offenkundig eine ziemlich mediterrane, vor allem meditative Maßnahme. Bei der Verglasung zu diesem Hof hin hat sich der Architekt einen gewissen Luxus geleistet: Die Scheiben messen beachtliche sechs mal drei Meter. Aber manchmal lohnt es sich einfach, zu solchen Sondermaßnahmen zu greifen – die Wirkung dieser Glashaut ist unvergleichlich.

Auch bei der Materialwahl ist da etwas gelungen. In der Beschränkung liegt die Raffinesse. Heidl hat sich für einen hellen, sehr ruhigen bulgarischen Kalksandstein entschieden, den er in besonders großen Platten verarbeitet hat. Wand, Boden, Decke bilden eine Einheit, mit der Ausnahme der Verabschiedungseinheiten an der einen Längswand. Die sind ganz in eine hölzerne Lamellenhaut gekleidet – hinter der sich ein Maximum an Haustechnik verbirgt –, Esche, weiß lasiert, und sie lassen sich nahtlos verschließen. Offen ist immer nur jene Raumeinheit, die gerade in Gebrauch steht.

Eine schöne Besonderheit verdient noch erwähnt zu werden: Heidl hat auf die Türen besonderen Wert gelegt. Sie sind sehr hoch und öffnen und schließen sich automatisch. Und sie sind sozusagen „Kunst am Bau“ – nur dass die Künstler hier Handwerker waren, die auf der Basis der Vorgaben des Architekten (Material: Messing, brüniert) freie Entwürfe einreichen konnten. Heidl: „Wir haben hier noch sehr gute Handwerksbetriebe, und wenn wir sie behalten wollen, dann müssen wir ihnen einfach die entsprechenden Aufgaben stellen.“ Diese Tore sind tatsächlich etwas Besonderes.

Die Anlage umfasst noch eine ganze Reihe dienender Räume, die entlang eines oberlichtverglasten Serviceganges angeordnet sind. Und vor allem den Bereich für die muslimischen Verabschiedungen, bei denen die rituelle Leichenwaschung durch die engste Familie eine wesentliche Rolle spielt. Das wurde räumlich/atmosphärisch bestmöglich gelöst. Aber es gab ein kurioses Detail: Wie geht man akustisch mit diesen Räumen um? Schallweich oder schallhart? Der Architekt entschied: schallhart, damit man die Klagefrauen gut hört. Bei der ersten Besichtigung durch den muslimischen Fachmann hieß es dann aber: „Wir haben keine Klagefrauen.“

Die Anlage ist ausgesprochen sensibel ins Gelände eingebettet – eine erste Böschung endet abrupt an einem Ha-Ha-Graben, dann geht es noch weiter steil hinauf. Leider hat sich dort ein Sicherheitsgitter festgesetzt, das der Architekt keineswegs goutiert. Er hat bei der Besichtigung auf Anhieb eine andere Lösung entwickelt.

Wichtig ist, dass hier Architektur offenbar als Mittel der Milieubildung eingesetzt ist. Der designerische Faktor bleibt ganz im Hintergrund. Es gibt nicht die Gestaltung um der Gestaltung willen, sondern eine Strategie der Schlichtheit – auf höchstem Niveau. Und das darf einen durchaus neugierig machen, wie das Nationalrats-Projekt im Endeffekt ausschauen wird. Aber das erfahren wir im Februar.

Spectrum, Mo., 2011.01.03

04. Dezember 2010Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Die gläserne Mitte

Eine Schule in Hirschstetten: mit überlegter räumlicher Organisation, freundlichen Gängen und einer Empfangshalle, die Aus- und Einblicke erlaubt. Einziges, den Planungsvorgaben anzulastendes Problem: zu eng bemessene Arbeitsräume für die Lehrer.

Eine Schule in Hirschstetten: mit überlegter räumlicher Organisation, freundlichen Gängen und einer Empfangshalle, die Aus- und Einblicke erlaubt. Einziges, den Planungsvorgaben anzulastendes Problem: zu eng bemessene Arbeitsräume für die Lehrer.

Im Schulbau herrschen – ungewöhnlich – klare Verhältnisse. Denn das Programm, das ein Architekt zu erfüllen hat, ist in der Regel recht genau definiert. So kann sich der Planer ganz auf das konzentrieren, was aus einer geforderten Anzahl von Räumen mehr macht als die bloß additive Aneinanderreihung, man denkt über Synergien nach, über abwechslungsreiche Raumfolgen, über die qualitative Überformung der geforderten Funktion.

Beim Schulneubau an der Ecke Contiweg/Aspernstraße in Hirschstetten (Donaustadt) lässt sich das sehr gut überprüfen. Dort hat das Atelier Heiss Architekten – das sind Christian Heiss, Michael Thomas und Thomas Mayer – einen Gebäudekomplex „auf die grüne Wiese“ gestellt, der immerhin 36 Stammklassen umfasst. Das ist eine gewaltige Dimension – eine Seitenfassade ist fast 100 Meter lang. Die Schule ist in diesem Herbst in Betrieb gegangen – es handelt sich um einen nicht ganz neuen, aber neu betitelten Schulversuch namens „Wiener MittelSchule“ –, das heißt sie ist noch nicht voll. Belegt sind 17 Klassen, lauter erste und zweite, nur eine dritte Klasse. Über Schülermangel wird man hier künftig also nicht zu klagen haben, wenn die jetzigen Schüler aufsteigen und neue nachkommen.

Städtebaulich war die Situation eindeutig. Der Haupteingang ist an der Ecke zur Aspernstraße situiert, allerdings wurde das Gebäude sehr weit zurückgesetzt, sodass ein großer öffentlicher Vorplatz entstand. Das war schon aus Sicherheitsgründen (Verkehr) wichtig. Es steigert aber auch die Wirkung der markanten Front mit ihrer gläsernen Mitte, die durch eine Art „Vordachplastik“ bekrönt ist, und den beiden Seitentrakten, in die linsenförmige Öffnungen geschnitten sind. Diese Linsenformen sind das dekorative Leitmotiv, auf das man im ganzen Haus trifft: Oft sind sie verglast und setzen in den langen Erschließungsgängen einen wichtigen Akzent, weil sie Licht hereinholen und Ausblicke ermöglichen; oft sind sie aber auch reine „Dekoration“, gezielt platzierte Elemente, die zeigen, was unter der weißen Oberfläche der ziemlich massiven konstruktiven Wände (60 Zentimeter) ist – Ortbeton. Und in einem Fall, im Festsaal, sind diese Linsen „blind“, also weiß wie die Wand. Übrigens zeigen die Architekten den rohen Beton auch in den Klassen und etwa im Festsaal jeweils als viereckige Ausnehmung an der Decke.

Der Komplex ist um einen großen Innenhof komponiert und nach hinten, zu den Sportanlagen durchlässig. Da ist einer der drei Turnsäle eingegraben, das Gelände steigt an, was die Architekten sehr geschickt für Sitzstufen genutzt haben, die zu einer Bühne orientiert sind. Eine verglaste Brückenverbindung im zweiten Obergeschoß schließt das Viereck des Hofes optisch ab, die Verbindung auf der Ebene des ersten Obergeschoßes blieb offen, da ist man nur regengeschützt. Atmosphärisch profitiert der Schulhof von dieser Durchlässigkeit, er weist gewissermaßen über sich hinaus, wird auch zum Weg.

Sehr gelungen sind die Fassaden zum Schulhof. Inhaltlich gibt es hier kaum einen Anlass für besondere gestalterische Maßnahmen, man würde ruhige Fensterbänder erwarten. Und doch treten einzelne Elemente plastisch und farblich hervor. Es sind die Sammelgarderoben, die über das Haus verteilt wurden und jeweils mehrere Klassen bedienen. Tatsächlich sind Zentralgarderoben üblicherweise große „Nicht“-Räume, daher im Keller und nicht gerade angenehm. Andererseits: Wenn man eine saubere Schule haben will? Die Schuldirektorin fand eine Lösung. Geputzt wird zwischen acht und neun, zur ersten Pause ist der Straßenschmutz also weg.

Alle Stammklassen sind nach außen orientiert, alle Sonderräume zum Hof. In den fast überbreiten Gängen finden sich immer wieder Sitznischen, auf dem Boden liegt ein gelber Kunststoffbelag, die Grundstimmung ist – auch durch das Spielerische der Linsenelemente und der Fensterlinsen an den Gangenden – ausgesprochen freundlich.

Generell wurde die räumliche Organisation gut überlegt. Der Festsaal zu ebener Erde etwa lässt sich bei warmem Wetter in den Hof hinein verlängern. Der Direktions- und Lehrerbereich, auch der Schularzt sind so platziert, dass sie vom Schulbetrieb nicht tangiert werden. Was einem allerdings schonjetzt, wo das Haus nur halb voll ist, ins Auge sticht: Die Arbeitsräume für die Lehrer – durchaus gut möbliert, aber eben doch Großraum-„Büros“ – sind rigoros bemessen. Das sind Vorgaben, an denen der Architekt nicht rütteln kann. Aber wie man hier konzentriert arbeiten soll, wenn man derartig dicht an dicht sitzt, das stelle ich mir stressig vor.

Für echte räumliche Besonderheiten gibt es bei Schulbauten in der Regel nur einen Anlass: und das ist die Eingangshalle, die Empfangsgeste für alle, die das Haus benutzen. Diese Möglichkeit haben Heiss Architekten mit ihrer gläsernen, dreigeschoßigen Empfangshalle bestens genutzt – sie ist lichtdurchflutet und erlaubt nicht nur Ausblicke, sondern auch Einblicke – von draußen nimmt man das Leben drinnen immerhin als bewegte Schemen wahr. Die Architekten haben der Attraktion dieser Eingangshalle aber noch etwas „draufgesetzt“. Nur über der Eingangshalle gibt es ein drittes Obergeschoß, das man von draußen gar nicht so richtig wahrnimmt. Es ist die Bibliothek, die durch eine Art umgedrehtes Dach wie in eine Wanne gebettet scheint. Und diese Wanne ist begrünt, wieder mit linsenförmigen Ausschnitten, Ausblicke auf den Vorplatz und in den Schulhof sind also möglich, der Reiz dürfte aber in dieser völlig unerwarteten Grünmaßnahme liegen. Ich sage „dürfte“, weil bei den jetzigen Witterungsverhältnissen viel Vorstellungskraft gefordert ist, um die Situation nachzuvollziehen. Die Architekten hatten das Bild eines Baumhauses vor Augen, als sie diese Bibliothek konzipierten. Die Schuldirektorin sagt, für sie ist es der schönste Raum im Haus.

Spectrum, Sa., 2010.12.04



verknüpfte Bauwerke
AHS Contiweg

25. September 2010Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Fast nichts für fünf Sterne

Auf diskrete Weise großstädtisch und elegant: der neue Hotel-Tower samt Nobel-Einkaufszentrum am Wiener Donaukanal, entworfen von Jean Nouvel. Allerdings: Ein paar Fragen zu Funktionalität und Verhältnismäßigkeit bleiben.

Auf diskrete Weise großstädtisch und elegant: der neue Hotel-Tower samt Nobel-Einkaufszentrum am Wiener Donaukanal, entworfen von Jean Nouvel. Allerdings: Ein paar Fragen zu Funktionalität und Verhältnismäßigkeit bleiben.

Presque rien“ – fast nichts – hat sich der französische Architekt Jean Nouvel als Gestaltungsprinzip für seine „Praterstraße 1“ vorgenommen, jenen 75 Meter hohen Hotel-Tower samt Nobel-Einkaufszentrum am Wiener Donaukanal, der sich mit grauer Eleganz und ganz symmetrisch seinem Gegenüber von Hans Hollein entgegenneigt. Diese Verbeugung in den Straßenraum hinein ist aber auch schon alles, was die beidens Häuser verbindet. Hollein hat eine ganze Stadtsilhouette in ein einzelnes Gebäude gepackt, Nouvel errichtet ein Sockelgebäudes – durchwegt von einer öffentlichen Passage – und einen Turm, und er verbindet beides räumlich auf durchaus spektakuläre Weise. Die gewölbte Glasdecke aus rhombenförmigen Einzelelementen ist schon jetzt der urbane Bedeutungsträger schlechthin.
Ein paar Fakten: Nouvel hat mit seinem Entwurf ein zweistufiges internationales Verfahren (13 Teilnehmer) gewonnen. Auslober war die Uniqa, die 2004 ihr eigenes Stammhaus, gar nicht weit vom Nouvel-Standort, bezogen hat. Planender Architekt dort: Heinz Neumann, der dann als lokales Partnerbüro für Nouvel fungiert hat. Ursprünglich sah das Nutzungskonzept vier Untergeschoße vor, ein Hotel, ein Konferenzszentrum, ein Einkaufszentrum und Büros. Daraus sind fünf Untergeschoße geworden, die Büronutzung wurde gestrichen, geblieben sind ein Fünf-Sterne-Hotel mit Konferenzzentrum und das Einkaufszentrum. Letzteres ist inhaltlich sehr speziell: Es wird der Schauplatz für die Plattform „Stilwerk“ sein, die auf – wie es so schön heißt – „hochspreisigem“ Niveau Möbel, Design, Kunst, Ausstattung anbietet. So etwas haben wir in Wien noch nicht, es ist auch nicht wirklich sympathisch. Ein Einkaufszentrum für die Reichen? Stufen wir es als Metropolen-Phänomen ein, dann geht es vielleicht.
Die Baukosten haben das geschätzte Maß weit überschritten: Aus 80 bis 100 Millionen sind über 130 Millionen Euro geworden. Das muss einen Bauherrn schmerzen. Aber: Die Uniqa hat sich offenbar vorgenommen, den Vorstellungen einer internationalen Autorität wie Nouvel so wenig wie möglich entgegenzusetzen. Sie hat sich mit äußerster Konsequenz auf seine Vorstellungen eingelassen – ein ziemlich komplexes Unterfangen, denken wir nur an die Aktion mit der 160 Tonnen schweren Brückenkonstruktion, die in einem einzigen Gewaltakt hochgehievt wurde. Es war also teuer, und das nicht zuletzt deswegen, weil sich ein Jean Nouvel um bauphysikalische, statische Logik und Effizienz ziemlich wenig schert.

Immerhin: Das Haus ist auf eine ausgesprochen diskrete Weise großstädtisch, es ist elegant. Wenn man unter Eleganz einen sehr zurückgenommenen Außenauftritt versteht, der wohl mit Volumina hantiert, aber nicht mit den landläufigen Vorstellungen von exquisiter Gestaltung. Tatsächlich sticht zunächst nur die erwähnte gewölbte Rhomben-Glashaut ins Auge, die hauptsächlich einen sogenannten Wintergarten umschließt, svon dem einem niemand sagen kann, wozu er dient – das ist offenbar nur Raum, großartiger, völlig nutzungsneutraler, gedeckter Außenraum. Nachts setzen die „farbigen“ Lichtdecken der Schweizer Künstlerin Pipilotti Rist einen Akzent. Prinzipien wie die Verspiegelung beziehungsweise das dunkle Weiß an der Ostseite, das Grau der Südseite, das Schwarz der Westseite, die klare Transparenz der Nordseite nimmt man auf den ersten Blick gar nicht wahr.
Aber es wäre natürlich nicht ein Nouvel, wenn da nicht mehr dahinterstecken würde. Sein „presque rien“ bedeutet, dass er sich nicht nur außen, sondern bis in die letzte Ecke auf die Nicht-Farben schwarz, weiß, graus und „transparent“ beschränkt hat, es bedeutet, dass – jenseits vom Glasdach – keine runden architektonischen Formen im Haus vorkommen, kurz: dass er sich ein formales/sästhetisches Korsett angelegt hat. Das hat sicher niemand von ihm verlangt, es ist eine subjektive künstlerische Entscheidung, eine – pragmatisch betrachtet – unnotwendige Einschränkung. Aber die spielt er durch. Was dem Haus, auch jetzt schon, wo noch auf Hochtouren gebaut wird – das Hotel eröffnet Mitte November, der Konsumt
empel im Dezember –, Charakter verleiht.
Es stellen sich natürlich Fragen, und sie haben einerseits mit funktionellen Lösungen zu tun, andererseits mit dem Verhältnis zwischen Aufwand und Leistung. Es gibt da zum Beispiel eine grüne Wand vom französischen Landschaftsplaner Patrick Blanc, mit dem Nouvel auch schon früher zusammengearbeitet hat. Blanc hat eine sehr aufwendige Methode entwickelt, wie eine Vielzahl von Pflanzen auch senkrecht wachsen können. Vorweg: Diese Grünwände sind einfach unglaublich schön. In Wien schirmt so eine Wand auf 600 Quadratmetern die langweilige Umgebung ab – mit 20.000 Pflanzen. Nur ist diese Wand definitiv der Hintergrundprospekt für die Anlieferung, als Besucher, Kunde, Gast sieht man gegebenenfalls Bruchteile davon. Preis–Leistung?

Oder im „Einkaufstempel“: Es ist eine Binsenweisheit, dass die Lage im Erdgeschoß privilegiert ist und es immer darum geht, den Besucherstrom nach oben zu lenken. Aber dazu muss man sehen, dass es oben weitergeht, man braucht eine Ahnung, was oben ist. Dem hat Nouvel mit seinen undurchsichtigen Brüstungen einen Riegel vorgeschoben.
Im Hotel fallen auch einige architektonische Tatbestände auf, die zu denken geben. Die Hotelgänge sind so schmal. Wenn da einer vom Personal mit einem Wagerl fährt, kommt der Gast kaum daran vorbei. „Aber wir haben ja zwei Gänge“, sagt Ernst Morgenbesser, Vertreter der Bauherrschaft, „wenn Sie die zusammenlegen, dann geht es sich wieder aus.“ Die Zimmer und Suiten sind nach dem „Designer“-Hotel-Anspruch ausgestattet, mal grau, mal weiß, von den rein schwarzen Suiten sind aber nur drei übrig geblieben, dem Hotelbetreiber Accor war das Risiko dann doch zu groß.

Eine Frage ist auch, wie der Top-Restaurant-Betrieb ganz oben wirklich funktionieren wird. Die Gäste kommen in einer Liftlobby an, die aber auch vom Service-Personal des Restaurants durchquert wird. Also kreuzen sich die ankommenden Gäste und das Personal mit den Speisentabletts.

Wenn man genau hinschaut, dann gibt es eine Menge funktioneller Einwände zu diesem Haus. Und es gibt die Frage, welchen Wert nun ein Konzept hat, das sich nicht am – kommerziell begründeten – Pragmatismus unserer Tage orientiert. Ich vertrete die Ansicht, dass es auch Sonderbauten geben muss und soll, die etwas verwirklichen, das die Grenzen der kommerziellen Logik sprengt. Es ist ganz toll, wenn sich ein Bauherr auf so etwas einlässt. Natürlich kann man sagen, na, die haben es ja; und sie nehmen es von ihren Kunden. Sie hätten es aber auch ganz anders machen können – die Phalanx architektonischer Banalitäten am Donaukanal singt geradezu das Hohelied davon. Die Uniqa hat sich den Luxus geleistet, etwas zu finanzieren, das den gängigen Kriterien zuwiderläuft. Egal, was dabei herausgekommen ist – an die Hauptwerke von Nouvel, das waren wohl doch seine Kulturbauten –, reicht das Haus am Donaukanal nicht heran. Es ist jedenfalls ein Segen, dass auch wir in Wien solche Bauherren haben.

Spectrum, Sa., 2010.09.25

28. August 2010Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Der Sinn des langen Atems

Transparenz, Tageslicht und angenehme Aufenthaltsräume. Und das alles trotz engen Kostenrahmens. Die Sanierung samt Um- und Zubau des Engelsbades in Baden bei Wien.

Transparenz, Tageslicht und angenehme Aufenthaltsräume. Und das alles trotz engen Kostenrahmens. Die Sanierung samt Um- und Zubau des Engelsbades in Baden bei Wien.

Architekten brauchen einen langen Atem. Das zeigt einmal mehr die Sanierung samt Um- und Zubau des Engelsbades in Baden bei Wien. Dabei handelt es sich um ein Sonderkrankenhaus mit 124 Einzelzimmern (nach der Erweiterung), also eine Einrichtung, die hauptsächlich der Rehabilitation dient. Man würde meinen, eine solche Aufgabe bewegt sich innerhalb einer überschaubaren Größenordnung und könnte in wenigen Jahren bewältigt werden. Weit gefehlt, das Architekturbüro Veselinovic-Resetarits war seit 2001 mit diesem Projekt beschäftigt.

Damals, im Jahr 2001, fand ein geladener Wettbewerb mit drei Teilnehmern statt, den das Büro gewonnen hat. Mit gutem Grund, muss man nachträglich sagen, denn die ursprüngliche Substanz des Engelsbades umschloss einen großen Innenhof; und genau in den haben die beiden anderen Projektanten den geforderten neuen Bettentrakt hineingestellt. Veselinovic-Resetarits schlugen hingegen vor, diesen Bettentrakt als Brückenbauwerk über dem niedrigen Bestand – er enthält ein Therapiebad und ein großes Schwimmbad – zu errichten. So blieb der wunderbare Innenhof frei und erhalten, jetzt ist er von den Landschaftsplanern Cordula Loidl-Reisch und Anna Detzlhofer sogar besonders reizvoll bepflanzt.

Es war jedenfalls ein sehr langer Weg, und er verlief in zwei Etappen. Die erste um 2004/05, die zweite seit 2007. Der Bestand vom Ende der Siebziger-, Anfang der Achtzigerjahre war architektonisch zweifellos uninteressant, auch so schlecht belichtet, wie es Bauten ohne spezifische Ambition eines Architekten (Baukünstlers?) damals eben waren. Leider hat sich im Zuge der Um- und Zubauten auch herausgestellt, dass dieser Bestand so manche statische Negativüberraschung bereithielt. Es gab allerdings auch eine kleine, recht kuriose Besonderheit im Bestand: einen Pavillon von Joseph Georg Kornhäusel, der schon einmal abgerissen, aber dann originalgetreu wiederaufgebaut worden ist. Den haben die Architekten natürlich erhalten, durch eine transparente Spange mit dem Hauptgebäude verbunden, innen allerdings total entkernt. Denn drinnen gab esin bester Siebzigerjahre-Manier Raumhöhenvon etwa 2,20 Metern. Jetzt ist das Raumvolumen wieder erlebbar und durch Dachflächenfenster auch in wunderbares Tageslicht getaucht. Genutzt wird der Pavillon für therapeutische Fitnessprogramme, aber es gibt auch zwei Schwefelwasser-Wannen, abgeschirmt durch eine Schleuse, damit sich der Geruch nicht im gesamten Haus breitmacht.Immerhin: Das Engelsbad verfügt über eine eigene Schwefelwasserquelle.

An dieser Stelle müsste man fast einen historischen Exkurs einfügen, denn das Engelsbad ist geschichtsträchtiger Boden. Kornhäusel hat seinen Pavillon 1820 bis 1822 als antikisierenden Tempel gestaltet, drinnen war ein Bassin für 20 Personen mit geräumigen Ruheräumen. Die Liste der prominenten Gäste ist lang – sie wohnten meistens im benachbarten Sauerhof, zum Schwefelbaden kamen sie in den Kornhäusel-Pavillon. Die Rede ist von Carl Maria von Webern, Ludwig van Beethoven, Friedrich von Schlegel, Franz Grillparzer – und noch einigen mehr.

Veselinovic-Resetaric standen in der ersten Umbauphase vor der Aufgabe, den viergeschoßigen Bettentrakt der Substanz zu sanieren. Der hatte eine Eternitfassade in Beige – der gesamte Bestand war irgendwie in eine Tunke aus Beige und Braun getaucht –,er ist jetzt weiß. Nach außen sichtbar wurde zunächst nicht viel mehr gemacht, nur das Innenleben wurde saniert. Die großen Glasbaustein-Elemente, die der Fassade einen eigenen Rhythmus geben, sind glücklicherweise geblieben. Sie sind einfach eine wunderbare Reminiszenz.

In der zweiten Phase, also ab 2007, als es dann wirklich um ein Gesamtkonzept ging, hat man auch diesen Baukörper noch einmal überarbeitet. Und da wurden diesen – gemessen an heutigen Standards – etwas kleineren Zimmern Balkone vorgeschaltet. Ein Gewinn in jeder Hinsicht – vom Nutzerstandpunkt und optisch.

Der Bauherr, die BVA, die Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter, bezeichnet das Engelsbad, so wie es jetzt ist, als eines von vier Flaggschiffen, die es betreibt. Medizinisch ist man hier offenbar auf dem allerletzten Stand. Architektonisch lohnt es sich, einen genaueren Blick zu riskieren.

Die Architekten haben zunächst einmal das Notwendige gemacht. Und das betraf denBestand. Das Eingangsgebäude vorne zur Straße – mit einem von den Landschaftsplanern streifenförmig bepflanzten Vorplatz – ist jetzt ganz transparent. Glas hilft immer, da kann man sagen, was man will. Und drinnen ist die räumliche Lösung ein einziger Fluss. Sehr angenehme Aufenthaltsbereiche, mit Durchblick zum Restaurant. ZumInnenhof außerdem eine überdachte Terrassenlösung mit Rauchereck (sehr frequentiert), drinnen gibt es das nicht, in Zeiten der Raucherhatz möchte man natürlich konsequent sein. Auf diesem Eingangsgebäude, das zuvor nur einen Oberstock hatte, lastet jetzt der Aufbau eines Multifunktionssaals – der geteilt, aber auch zu einer großen Raumeinheit verbunden werden kann – mit angeschlossener Dachterrasse. Die gibt es übrigens auch beim neuen Bettentrakt über dem Schwimmbadkomplex des Bestands. Da haben die Architekten nicht nur eine Gemeinschaftsterrasse installiert, da sind im obersten Stock auch den Zimmern Freiräume zugeordnet.

Der Kostenrahmen war eindeutig sehr eng. Man konnte sich keine gestalterischen Maßnahmen leisten, die über das Notwendige hinausgingen. Terrazzofliesen auf dem Boden – Gussterrazzo wäre schon zu teuer gewesen – , Kautschukböden in den Therapiebereichen. Glas, wo immer möglich, alle Gebäudekomplexe sind jetzt wirklich von Tageslicht durchflutet, auch die Stiegenhäuser sind hell. Das Mobiliar stammt gewissermaßen von der Stange, obwohl ganz differenziert ausgesucht nach den Erfordernissen eines behindertengerechten Wohnens. Letzteres ist übrigens unheimlich aufwendig, wenn man genau hinschaut.

Die Architekten hatten zweifellos nur wenig Möglichkeiten, ihre eigene Formensprache einzubringen. Die Funktionen, die bewältigt werden wollten – und wurden –, standen eindeutig im Vordergrund. Der Hauch von Apfelgrün, den die neuen Bauteile jetzt in den öffentlichen Raum signalisieren – schon Kornhäusel hat Apfelgrün verwendet! –, das ist im Bundesdenkmalamt-geschützten Baden bei Wien vermutlich viel. Dort hätte man nach wie vor alles am liebsten in Schönbrunner Gelb gefärbelt.

Spectrum, Sa., 2010.08.28



verknüpfte Bauwerke
Rehabilitationszentrum Engelsbad

24. Juli 2010Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Licht, Licht, Licht

Eine einladende Empfangsgeste, viel Tageslicht im ganzen Haus und schöne Ausblicke in alle Richtungen: ein geglückter Kindergarten in Purkersdorf bei Wien.

Eine einladende Empfangsgeste, viel Tageslicht im ganzen Haus und schöne Ausblicke in alle Richtungen: ein geglückter Kindergarten in Purkersdorf bei Wien.

Eines muss einfach vorweg gesagt werden: Unseren Kindern geht es extrem gut. Nie zuvor hat man sich derartig um das gebaute und freiräumliche Ambiente und die damit verbundenen Möglichkeiten gesorgt, in denen der Nachwuchs groß wird. Das gilt für den Schulbau, es gilt aber genauso – und das ist vielleicht noch wichtiger – für Kindergärten.

Ich habe diese Überlegungen angestellt, während ich einen neuen Kindergarten von Hubert Hermann – Büro Hermann & Valentiny & Partner – besichtigt habe. Er ist in Purkersdorf, und wenn man es genau nimmt: an einer eher problematischen Stelle, nämlich in einer Senke gleich neben der Westbahn, auf einem ehemaligen ÖBB-Lagergelände. Übergehen wir die Details der Grundbeschaffenheit, es handelt sich jedenfalls um ein angeschüttetes Gelände, das mit einer weiteren Erdschicht überdeckt werden musste, was einen erheblichen – nicht vorhersehbaren – Kostenfaktor dargestellte. Fundierungen auf Schüttgrund sind nun einmal teuer.

Hubert Hermann waren diese Voraussetzungen nicht bekannt, als er sein Projekt entwickelte. Er ist zwar von einem Bauplatz ausgegangen, der in einer Senke liegt. Und gerade diese örtliche Gegebenheit hat er in seinem Entwurf auch thematisiert, er hat sie genützt, indem er seine um eine Art „Dorfplatz“ gruppierte, sehr zergliederte Anlage nicht nur niedrig hielt, sondern außen herum sogar einschütten, in der Erde verschwinden lassen wollte. Dadurch war sein Projekt im Wettbewerbsverfahren sicher eines der aufwendigsten, und man muss es schätzen, dass sich weder Jury noch Gemeinde davon abschrecken ließen. Nur ist davon am Ende doch nur eine gemilderte Variante geblieben, weil die Anlage jetzt deutlich aus dem aufgeschütteten Gelände herausschaut und die geplante – sicher reizvolle – „Einschüttung“ von außen zu aufwendig geworden wäre. Sie fiel dem Rechenstift zum Opfer.

In Wirklichkeit tut das der Qualität des Projekts aber keinen Abbruch. Denn die Struktur der Anlage blieb ja erhalten. Sie besteht aus einem elliptischen Eingangsgebäude, das fast wie ein Türmchen formuliert ist – mit Oberlicht, Lift für die Behindertengerechtheit und einer breiten Treppe; dies alles in leuchtendes Melonengelb getaucht, überaus freundlich und hell, eine ausgesprochen einladende Empfangsgeste. Von diesem Eingangsgebäude geht es über einen gekrümmten, sehr breiten und gegliederten Gang zu den im Oval um den Freibereich angeordneten Gruppenräumen. Es sind sechs an der Zahl, die durch drei unterschiedlich dimensionierte und ausgestattete Bewegungsräume ergänzt werden.

Wunderbar gelungen ist vor allem die Lichtregie des Architekten. Ein durchgehendes Oberlichtband sorgt in Verbindung mit Lichtkuppeln in den aufgeweiteten Erschließungszonen für Tageslicht überall im Haus – ich konnte nur eine einzige kleine Nische auf dem Weg zum dritten Bewegungsraum entdecken, die nicht natürlich belichtet ist. Aber sogar dort hat sich der Architekt etwas einfallen lassen – einen bezaubernden künstlichen Sternenhimmel, der den Kindern sicher gefällt.

Jeder Gruppenraum ist in einer anderen Farbe gehalten, räumlich vorgelagert sind großzügige, offene Garderobenbereiche. Die Gruppenräume selbst sind ein bisschen wie Tortenecken zugeschnitten, man könnte auch sagen: T-förmig; also relativ breit an der Erschließungsseite, wobei die Spitze der Tortenecke jeweils gekappt ist und als kleines Häuschen in den Freiraum hinaussteht. Diese Gliederung verleiht der gesamten Innenansicht der Anlage einen gewissen Schwung, sie macht aber auch inhaltlich Sinn: Zu jedem Gruppenraum kommt dadurch – zwischen den einzelnen Häuschen – noch ein befestigter Freibereich hinzu, eine willkommene Ergänzung zum großzügigen Grünraum.

Schön sind auch die vielen Ausblicke, die der Architekt anbietet: Große Verglasungen sind zum „Dorfplatz“ orientiert, schmälere zum Erschließungsgang. Die Kinder sind also nicht abgekapselt, sie sehen, was sich im Gangbereich tut, und sie sehen nach draußen. Hier geht man offensichtlich von einem pädagogischen Konzept aus, das die Ablenkung nicht fürchtet, das auch spielerische Neugier erlaubt.

Neben den drei Bewegungsräumen offeriert der Architekt zusätzlich einen sehr großen, gedeckten, befestigten Freiraum, der viele Nutzungsmöglichkeiten, auch für Abendveranstaltungen, bietet. Ein langes und breites geschwungenes Element aus Holz, das als Sonnenliege interpretiert werden könnte – und tatsächlich so genutzt wird – verdeckt ein bauliches „Hoppala“ (Zitat Hubert Hermann), da schauen die Fundamente angeblich zu weit aus der Erde heraus. So komfortable Kaschierungen würde man sich bei anderen Bauvorhaben auch gelegentlich wünschen.

Die Anlage ist in der Materialisierung schlicht. Natürlich kommt Holz vor – Douglasie, Kiefer (lasiert), Birke. Ein pfefferminzgrüner, leicht gepunkteter Industrieboden zieht sich durchs gesamte Haus. Man sollte meinen, dass es damit keine Schwierigkeiten geben kann. Andererseits weiß man, dasses im Osten Österreichs um die Ausführungsqualität bei Weitem nicht so bestellt ist wie etwa in Vorarlberg. Die Pfosten-Riegel-Konstruktion mit innen liegender Verglasung an der Gartenseite – der Regelfall ist, dass die Verglasung außen liegt – war nur mit Druck von der ausführenden Firma zu erreichen. Und sogar die Verlegung des Industriebodens ist mit Problemen verbunden.Wo eine Fuge notwendig wäre, sind plötzlich zwei, außerdem tauchen immer wieder rätselhafte Flecken im Boden auf, die sich auch die Firma nicht erklären kann. Hierzulande muss man tatsächlich froh sein, wenn ein Gewerk reibungslos funktioniert. Engagement, die Bereitschaft auch einmal etwas Ungewohntes umzusetzen – das ist sowieso die ganz rare Ausnahme.

Das architektonische Konzept dieses Kindergartens ist für den Standort absolut maßgeschneidert. Irgendein kompakter Baukörper wäre hier ganz falsch gewesen, weil die Umgebung – eine fragwürdige Wohnanlage, die Bahn, viele geparkte Autos et cetera – dafür zu unattraktiv ist. So wird ein ausgesprochen qualitätsvoller Außenraum definiert, der sich mit den gebauten Räumen gewinnbringend austauscht.

Was halt immer wieder ein Problem ist und sich offenkundig nicht ausmerzen lässt, das ist die Möblierung – und teilweise auch Übermöblierung. Sie steht mit ihrer manchmal barocken, manchmal auch nur plumpen Formgebung in krassem Gegensatz zur schlichten Eleganz der Architektur. Warum kindgerechtes Mobiliar immer so aussehen muss, das ist nicht nachvollziehbar. Genauso wie es nicht nachvollziehbar ist, warum die Spielgeräte – jede Menge orange Plastikrutschen etwa – immer so hässlich sind. Dagegen kommt auch die beste Gartengestaltung nicht an. Wobei die sich auf Grund der extremen Witterungsverhältnisse und eines fehlenden Gärtners ohnehin in der Krise befindet.

Spectrum, Sa., 2010.07.24

29. Mai 2010Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Wäre da nicht dieser Knick...

Es ist nicht nur ökonomisch ein Erfolg, es genießt auch allgemeine Anerkennung – sogar von Architekten: das Kaufhaus Tyrol in Innsbruck.

Es ist nicht nur ökonomisch ein Erfolg, es genießt auch allgemeine Anerkennung – sogar von Architekten: das Kaufhaus Tyrol in Innsbruck.

Selten hat es so viel Wirbel um ein Gebäude gegeben wie um das Kaufhaus Tyrol. Sicher, es ist ein Haus mit langer Tradition und liegt in der ensemblegeschützten Innsbrucker Prachtstraße, der Maria-Theresien-Straße. Dass die Diskussionen darüber bis in die Neunzigerjahre des vergangenen Jahrhunderts zurückreichen, ist dennoch ungewöhnlich. Schließlich geht es hier ja nicht um ein Museum oder sonst einen öffentlichen Repräsentationsbau.

Die Ausgangssituation war sehr verzwickt, schon aufgrund der unterschiedlichen Eigentümerverhältnisse und der historischen Häuserfassaden an der Maria-Theresien-Straße – darf man sie abreißen oder nicht? Sie war es aber auch, weil Einkaufszentren heutzutage längst eine eigene architektonische Typologie sind, die ziemlich genau definierte Eigenschaften erfüllen muss, wenn sie funktionieren soll. Allen voran: Sie braucht sehr viel Nutzfläche, die unter den ursprünglichen Verhältnissen nicht zu erreichen gewesen wäre, und sie braucht eine großzügige öffentliche Erschließung – also das, was wir heute Mall nennen. Ohne den räumlichen Erlebniswert eines solchen – gewaltigen – Raumes kommen Einkaufszentren nicht aus.

Um es vorwegzunehmen: Es kam zum guten Ende, das Haus ist nicht nur ökonomisch ein Erfolg, es hat auch allgemeine Anerkennung – selbst bei den Architekten – gefunden. Und das ist wohl David Chipperfield zu verdanken, dem letzten in der Reihe der mit dem Projekt befassten Architekten, sowie seinem kongenialen Innsbrucker Partnerbüro, Dieter Mathoi Architekten.

Rekapitulieren wir: Es gab Studien in den Neunzigerjahren und dann ein ausgearbeitetes Projekt von Johann Obermoser, das mit seiner signifikanten Betonblase einen starken zeitgenössischen Akzent in den historischen Straßenzug eingeführt hätte. Diese Blase, so sagt man, wäre allerdings in bautechnologischer Hinsicht ein Problem und sehr kostspielig gewesen. Trotzdem wurde nach der Planung von Obermoser mit den Bauarbeiten begonnen, obwohl immer noch Unklarheit über die Fassadenlösung herrschte.

Aus einem diesbezüglichen Wettbewerb ging das Wiener Büro BEHF als eindeutiger Sieger hervor, die „Schweizer-Käse-Fassade“ (runde Verglasungen, unregelmäßig über die Gebäudehaut verteilt) fand bei den Innsbruckern aber keine Gegenliebe. Nächster Versuch: ein Fassadenvorschlag des Wiener Büros Heinz Neumann. Und der wurde zwar vom damaligen Bundeskanzler Gusenbauer favorisiert, die Innsbrucker Architektenschaft stand aber in ungewöhnlicher Geschlossenheit dagegen auf. Diese Art der kommerziellen, banalen Allerweltsarchitektur wollte hier einfach niemand haben. Und dann wandte sich René Benko, der allseits akklamierte Jungstar unter den heimischen Investoren, an David Chipperfield.

Nun rangiert Chipperfield an der architektonischen „Star“-Front – was für ein abstoßendes Phänomen der heutigen Architekturberichterstattung, dieses ewige Gerede von den „Stars“ – ganz vorne. Sein Friedhof in Venedig, sein Museum in Berlin, das sind schon Höhepunkte im zeitgenössischen Bauen. Aber siehe da: Er kann auch etwas so Alltägliches wie ein Einkaufszentrum. Innsbruck hat es, Wien sieht ihm mit Spannung entgegen (Peek & Cloppenburg in der Kärntner Straße).

Das vielleicht Wesentlichste an Chipperfields Leistung ist, dass er eine Architekturauffassung vertritt, die nicht auf einer prononcierten individuellen Handschriftlichkeit basiert, sondern aus der Situation (und Funktion) heraus entwickelt wird.

Die Fassade des Kaufhaus Tyrol ist so einfach, einfacher geht es schon nicht mehr. Wäre da nicht dieser Knick, der sehr folgerichtig aus dem Straßenverlauf heraus entwickelt wurde, den Eingang ausgesprochen diskret, aber doch betont und – wenn man drinnen ist, in den Geschäften – Ausblicksmöglichkeiten in alle Richtungen eröffnet. Architektonisch ist das ein brillantes Konzept, weil der Knick eine Erinnerung an die ursprüngliche Maßstäblichkeit der Häuser bewahrt und auch den Nutzern (Besuchern, Kunden) die klaustrophobische Situation anderer Kaufhäuser erspart.

Dieses Potenzial wird übrigens von den wenigsten Geschäften erkannt und genutzt. Wie man damit umgeht, weiß ich eigentlich nicht. Ich glaube, da würden nicht einmal Ausbildungsseminare für Filialbetreiber nutzen, denn die sind in ihren Vorgaben so festgeschrieben, enger geht es nicht.

Dieter Mathoi hat ganz nebenbei erwähnt, dass er den Bau zwar von vorne bis hinten als Generalplaner bearbeitet, organisiert und bis ins Detail überwacht hat, aber keiner ist je auf die Idee gekommen, ihn zur Einrichtung eines der Geschäfte einzuladen. Das machen die großen Ketten immer selbst, nach ihrem eigenen Schema, und die kleinen Mieter, die machen es halt nach ihrem Geschmack. Der ist sicher nicht immer der beste. Vor allem hängen und bauen sie alle die an sich wunderbaren Glasöffnungen zur Maria-Theresien-Straße zu. Da haben Leute Wesentliches nicht verstanden.

Das Haus hat eine überraschend einfache Fassade. Einen Fassadenraster, wie gesagt: mit einem Knick – ausgeführt in Fertigteile-Elementen, Beton, mit einem Weißzement-und einem Marmor-Zusatz, außen sandgestrahlt, in den leicht konischen Laibungen poliert. Der Gussterrazzo in der Mall gleicht sich im Farbton an, ebenso die Brüstungen. Nebenfassaden sind aus Aluminium, das in einem Bronzeton eluxiert wurde – diesem Material begegnet man auch im Gebäudeinneren. Der Materialminimalismus wurde konsequent durchgezogen. Es braucht ja auch nicht mehr. Der Besucherstrom ist so bunt, das genügt.

Die Mall, die Erschließung, ist im weitesten Sinn als glasüberdachter öffentlicher Raum aufgefasst. Alle Wegführungen – die Rolltreppen, die Brücken und Stiegen – folgen einer Logik des Rundgangs, der den Kunden wie selbstverständlich leitet. Mir ist das nicht sympathisch, ich sage es ganz ehrlich. Mir ist eine Architektur, die Menschen zum Konsum verleitet, nicht angenehm.

Es gäbe viel anzumerken zu diesem Bau. Immerhin, er hat ja mitten in der Stadt stattgefunden. Die Betonfertigteile für die Fassade wurden morgens um sechs angeliefert und – verbaut. Die wurden nicht gelagert. Dafür war gar kein Platz. Das heißt, es war eine absolut minutiös geplante und von Mathoi Architekten perfekt umgesetzte Aktion. Das muss man können. Man muss es wirklich können.

Spectrum, Sa., 2010.05.29



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Kaufhaus Tyrol

30. April 2010Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Ein Architekt und Gentleman

Er war Humanist, ein Lehrer für mehrere Generationen von Architekten. Ein Allrounder mit einem umfassenden Gesellschafts- und Kulturbewusstsein. Und laut Wikipedia Mitglied der NSDAP. Roland Rainer zum 100. Geburtstag.

Er war Humanist, ein Lehrer für mehrere Generationen von Architekten. Ein Allrounder mit einem umfassenden Gesellschafts- und Kulturbewusstsein. Und laut Wikipedia Mitglied der NSDAP. Roland Rainer zum 100. Geburtstag.

Meine Lieblingsanekdote zur Person Roland Rainers ist parasitärer Natur. Ich habe sie nicht selbst erlebt, sie wurde mir erzählt. Einer seiner Studenten legt Roland Rainer eine Projektskizze vor. Der betrachtet sie kritisch und sagt: „Also, Herr Kollege, das müssen Sie noch einmal zeichnen. Dieses Schwarzweiß . . . Wieso machen Sie es nicht bunt? Machen Sie es doch grau!“

Er war ein Architekt und Gentleman, einer der Letzten dieser inzwischen ausgestorbenen Spezies. Im persönlichen (gesellschaftlichen) Kontakt stets perfekte, ungemein kultivierte Umgangsformen, die nicht nur Oberfläche waren. Sie waren Ausdruck eines umfassenden Gesellschafts- und Kulturbewusstseins, dem eine völlig andere Vorstellung des „Künstlerseins“ zugrunde liegt, als wir sie heute haben. Er war ein Allrounder, einer jener wenigen, die von der Stadtentwicklung bis zum Städtebau und der Verkehrsplanung, vom öffentlichen Bau über die Wohnsiedlung bis zum einzelnen Haus, vom Denkmal- und Landschaftsschutz über Grünraum- und Gartenplanung bis zu Möbelentwürfen und künstlerischen Designs alles beherrschte; er schrieb, er fotografierte und vor allem: Er konnte noch zeichnen, was in Zeiten der Computerarbeit eine längst vernachlässigte Fähigkeit ist. Und all das war eingebettet in ein komplexes Welt-, Gesellschafts-, Kulturbild, das keinesfalls nur funktionalistisch begründet war – wie man ihm gelegentlich unterstellt hat –, sondern durchaus historische Wurzeln hatte, vor allem auch im außereuropäischen Kontext. Schließlich hat er als bedeutender Lehrer mehrere Generationen von Architekten geprägt – von den Vorarlberger Baukünstlern bis zu Henke∣Schreieck.

Geboren vor 100 Jahren. Das bedeutet, er hat den Krieg als erwachsener Mensch erlebt. Bei Wikipedia kann man nachlesen, dass er ab 1936 illegales Mitglied der in Österreich verbotenen NSDAP gewesen ist – und später an diese Zeit nicht erinnert werden wollte. Er zählte aber auch zu den Ersten, die sich gleich nach dem Zweiten Weltkrieg grundlegend mit der Frage und den Folgen der Zerstörung der europäischen Städte auseinandersetzten. Er erhob seine Stimme gegen die Zerstörungen des Wiederaufbaus und erkannte die Dringlichkeit der „Behausungsfrage“ in all ihrer Komplexität. (Sein Buch „Städtebauliche Prosa“ von 1947 wurde zum Standardwerk.)

Gewiss, Rainer hatte die Chance und das Glück (natürlich auch die Fähigkeit), sowohl in Österreich als auch in Deutschland große öffentliche Bauten zu realisieren, die bis heute beispielhaft dastehen. Aber sein Beitrag zur Wohnbaudiskussion ist sicher der bedeutendste Teilbereich in seinem Werk. Da hat sich der große Humanist in Rainer zu Wort gemeldet, der die Frage, was es zu einemmenschengerechten Wohnen braucht, auf den Punkt brachte. Sein verdichteter Flachbau, wie er in der Siedlung Puchenau in mehreren Etappen (1965–1967 Puchenau 1, 1973 Puchenau Ost, 1975–1976 Kirche Puchenau, 1978–1992 Puchenau 2) und daher in großem Stil, als wirkliche „Gartenstadt“ realisiert wurde, ist bis heute einzigartig in Österreich. Kein anderer Architekt hatte die Möglichkeit, eine Wohnvision in diesem Maßstab und mit dieser Konsequenz und Klarheit umzusetzen – wenn wir von Harry Glücks Wohntürmen in Alt Erlaa absehen, die ungefähr das Gegenteil von dem verkörpern, wofür Rainer stand.

Puchenau wurde anfangs als „Rainer-KZ“ verunglimpft, davon ist längst nicht mehr die Rede. Dem Konzept der sehr dichten Hofhaussiedlung waren Versuche vorangegangen, bei denen Rainer seine Vorstellungen eines maßstäblich menschengerechten Wohnens, ökologische Überlegungen, aber auch Versuche industriellen Bauens umsetzte – etwa bei der kleinen Werksiedlung Mannersdorf (1951) oder bei der Fertighaussiedlung in der Wiener Veitingergasse (mit Carl Auböck, 1953), gewissermaßen einem Prototyp, der von der Bauwirtschaft allerdings nicht einmal ignoriert wurde; schließlich bei der Siedlung in der Wiener Mauerberggasse (1962–1963), wo Rainer mit passiver Sonnenenergie-Nutzung und einer Kombination aus Luft- und Zentralheizung experimentiert.

Trotzdem muss man sagen, dass Rainer gerade den Wiener Wohnbau nicht geprägt hat, in der Bundeshauptstadt hatte man längst auf andere Typologien gesetzt, die viel weniger Boden verbrauchen und viel mehr in die Höhe wachsen.

Rainer hat wunderschöne Einfamilienhäuser gebaut. Das letzte – für Franz Morak – hat er nicht akzeptiert, weil Morak zu viel an Rainers Konzept verändert hat. Dafür ist ihm sein eigenes Haus im Burgenland, in St. Margarethen, zur Ikone geraten. Er hat es 1958 gebaut und dabei mit beeindruckender Konsequenz demonstriert, wie man – auch ganz „ohne Dach“ – in der Landschaft baut, ohne jemanden „zu stören und selbst gestört zu werden“ (Rainer).

Die Größe eines Architekten wird in der Regel, allen anders lautenden Gerüchten zum Trotz, auch an seinen Großbauten gemessen. Rainer mag schon zu einer frühen Zeit wegweisende Gedanken zur Umwelt, zur Entwicklung der Städte, zur Landschaft, zum Bauen, zur Architektur formuliert haben. Er mag in Schulen, Kirchen und anderen öffentlich genutzten Einrichtungen der grundlegenden Humanität seiner Architekturauffassung Geltung verschafft haben. Aber was wäre sein Werk ohne die Großbauten. Ohne die großen Hallen.

Allen voran die Wiener Stadthalle, als Siegerprojekt hervorgegangen aus einem nicht unumstrittenen internationalen Wettbewerb, denn es gab zwei erste Preise – neben Roland Rainer immerhin Alvar Aalto. Schließlich hat Rainer sein Projekt realisiert (1952–1958) und daraus den „Schlüsselbau“ (Friedrich Achleitner) der Wiener Nachkriegszeit gemacht. Die Wiener Stadthalle entstand in einer Zeit, als flexibel nutzbare Mehrzweckhallen überall gefragt, aber dennoch ein relativ neues Thema waren. Tatsächlich wurde an Nutzung dafür angedacht, was überhaupt nur vorstellbar ist – von Sportveranstaltungen jeglicher Art über kulturelle Events in aller Bandbreite bis hin zu Messen und was sonst noch Menschenmassen bis zu einer Größenordnung von 15.000 mobilisieren konnte.

Rainer hat das enorme Programm in eine Haupthalle mit einer Abmessung von 100 mal 100 Metern und kleinere Hallenbauten (Eislaufhalle, Ballspielhalle, Gymnastikhalle), teils in Verbindung mit Verwaltungseinrichtungen, Terrassencafé und Restaurant, gegliedert. Das Hallenbad kam dann 1962–1974dazu und war gerade kürzlich Gegenstand öffentlicher Kontroversen. Glücklicherweise wurde unter Mitwirkung des Denkmalschutzes ein Verfahren ausgelobt, aus dem ein Rainer-Schüler, Georg Driendl, siegreich hervorging. Man darf also erwarten, dass diesensible Reparatur des Bestands den Vorrang vor massiven Neuerungen haben wird.

Das Ensemble steht heute leider nicht mehr unverändert da. Das liegt weniger an der architektonisch nicht anfechtbaren Intervention der Vorarlberger Architekten Dietrich∣Untertrifaller, es liegt an den schleichenden Eingriffen, die sich eine Betriebsgesellschaft mit wenig Sinn für Authentizität und Atmosphäre erlaubt hat. Auch das kann man im Internet nachlesen: Das achtlos ausrangierte Stadthallen-Inventar wird heute zu Spitzenpreisen gehandelt.

Konstruktiv könnte man der Wiener Stadthalle eine gewisse Konventionalität nachsagen. Bei seinen deutschen Hallenbauten, etwa in Bremen (mit Säume und Hafemann, 1961–1964) wählte er eine interessantere Konstruktion. Er sagt selbst, er habe das Haus als „Zelt unter Zelten“ aufgefasst, weil es auf einem Ausstellungs- und Volksfestgelände steht. Die Tribünenkonstruktion ist hier durch Stahlbeton-Zugglieder so miteinander verbunden, „dass das Gewicht der Tribünen die Zugglieder spannt“ (Rainer) – was sich nach außen in Form spitz auskragender Konstruktionselemente ausdrückt.

Rainers Häusern war nicht immer ein glückliches Schicksal beschieden. Legendär ist sein Franz-Domes-Lehrlingsheim auf denWiener Arbeiterkammergründen. Er hat es 1952–1953 gebaut und als eine Art Gegenstatement zum benachbarten Theresianum, dieser Eliteschule par excellence, konzipiert. Es war das Statement schlechthin, das einer neuen sozialen Gesinnung sichtbaren Ausdruck verlieh. Aber diese sozialdemokratischeGesinnung hat nicht einmal 30 Jahre überdauert. 1983 wurde es abgerissen und wich einem Kulturbau, den die einen als „Schönbrunner-Stil“ (Dietmar Steiner), Rainer selbst als „Funktionärsbarock“ bezeichnen.

Es gibt in der Biografie Rainers einen Abschnitt, über den es nicht leicht ist, sich zu äußern. Von 1958–1963 war er Stadtplaner von Wien. Manches hat er früh erkannt: Dass man den Donauraum entwickeln muss – was mit der Donauinsel tatsächlich und zum Gewinn aller Bürger von Wien geschehen ist. Seine Entwicklungsvorschläge für die Wiener Peripherie wurden hingegen nicht angenommen. Und vor allem war seine radikale Ablehnung des U-Bahn-Baus eine krasse Fehleinschätzung der Verkehrsentwicklung in einer Großstadt.

Ein Waterloo, dem in diesen Tagen das nächste folgt: das ORF-Zentrum auf dem Küniglberg. Es war immer irgendwie ungeliebt, niemand hat es als einen großen architektonischen Wurf empfunden. Vielleicht kam es zu spät? Es ist in einer Architektursprache formuliert, die sich gerade bei solchen „Sonderbauten“ überholt hat. Heute verlangt der Sonderbau nach der architektonisch „designten“ Besonderheit, für Rainer ein Gräuel.

Ich mag aber nicht daran glauben, dass ein so flexibel konzipiertes Bauwerk wie das ORF-Zentrum den rasanten Entwicklungen im medial-technologischen Bereich nicht standhält. Natürlich ist der Technologiebedarf, auch der Raumbedarf ins schier Unendliche angewachsen. Aber wenn mir jemand kommt und mit „bautechnologischen Mängeln“ argumentiert – dann versagt mein Verständnis. Ja, wo waren Sie denn, die Herren von der Küniglberg-Leitung? Haben Sie nicht gewusst, dass man auch Gebäude warten, pflegen, laufend sanieren muss? Man kann alles verfallen lassen und dann sagen, jetzt geht es nicht mehr. Man kann es aber auch liebevoll pflegen – und das Potenzial an Flexibilität nutzen, das der Architekt einmal angedacht hat. Dann sieht die Sache ganz anders aus.

Spectrum, Fr., 2010.04.30



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Rainer Roland

27. Februar 2010Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Wie wir wohnen wollen

Ökonomisch scharf kalkuliert, ökologisch sinnvoll: Mit einem hochkompakten Wohnbaukonzept stellt Carl Pruscha unsere Wohnvorstellungen auf den Kopf.

Ökonomisch scharf kalkuliert, ökologisch sinnvoll: Mit einem hochkompakten Wohnbaukonzept stellt Carl Pruscha unsere Wohnvorstellungen auf den Kopf.

Die Vorarlberger Wohnbau-Spezialisten Baumschlager & Eberle haben vor Jahren ein Buch veröffentlicht, aus dem sich eine wesentliche Einsicht destillieren lässt: Im Wohnbau kann man nichts erfinden, da muss man froh sein, wenn man das Zahnrad der konzeptuellen Umsetzung minimal weiterzudrehen vermag. Daran ist viel Wahres, und zwar nicht nur weil es die Bauvorschriften und die Förderungsbestimmungen so wollen. Wir alle wollen es. Wir haben sehr langfristig gewachsene, tradierte Vorstellungen vom Wohnen.

Unser Ideal ist das Einfamilienhaus. Die frei stehende „Villa“ mit dem Gärtchen drumherum, fein säuberlich eingezäunt und womöglich mit nicht einsehbaren, privaten Bereichen. Da kommen dann die Thujenhecken zum Einsatz. Die Konsequenzen aus dieser Haltung sind seit Jahrzehnten Gegenstand wissenschaftlicher Analyse. Bodenverbrauch und eine unendlich aufwendige, kostspielige Infrastruktur sind nur die Spitze des Eisberges. Denn was vielleicht am meisten schmerzt, ist einmal diese unsägliche Belästigung durch private Wohnfantasien, die sich aber im öffentlichen Raum abbilden, und es ist, zweitens, dieser entsetzliche Mangel an – im städtebaulichen Sinn – Raum bildenden Maßnahmen.

Genau bei dieser Problematik setzt ein Projekt von Carl Pruscha an. Gemeinsam mit einer jungen Arbeitsgruppe, dem Team Habitat – das sind Franz Loranzi, Julia Nuler und Andreas Pfusterer –, hat Pruscha ein Siedlungskonzept entwickelt, das sicher nicht für den urbanen Raum geeignet ist, aber ideal für jene Orte, an denen wir heute Wohnanlagen bauen: für die städtische Peripherie und für jene Baulandflächen, die heute so gern an Dorf- und Kleinstadträndern gewidmet werden und oft unsäglich in intakte Naturräume ausufern. Sein mit S+B Plan & Bau bis zur Baureife ausgearbeitetes Konzept stellt für genau jene Orte eine ernst zu nehmende Alternative dar.

Pruschas Arbeit ist eine Weiterentwicklung, eine modifizierte Variante seiner Traviatagassen-Bebauung. Es ging dort um sogenannte „Hofhäuser“, die auf geringstem Raum in die Höhe wachsen. Die Dichte dieser Bebauung ist für unsere eingefahrenen Wohnvorstellungen schier unglaublich – sie bedurfte einer gewissen Überzeugungsarbeit, damit sich dafür Nutzer fanden. Die haben teilweise inzwischen auch schon gewechselt. Eine aktuelle Untersuchung der Wohnzufriedenheit zeigt jedoch, dass die Identifikation der heutigen Bewohner mit ihrer Anlage überraschend hoch ist.

Sicher ist es ein „Minimal-Hauskonzept“, das Pruscha vorschlägt. Es ist ja auch für eine Klientel gedacht, die finanziell nicht aus dem Vollen schöpfen kann und sich oft langfristig verschulden muss, um sich den Traum vom Eigenheim zu erfüllen. Beim so genannten „Quadrangle Housing“ hingegen findet man mit Quadratmeterpreisen das Auslangen, wie sie ansonsten nur im Geschoßwohnungsbau üblich sind. Das hat mit dem geringen Bodenverbrauch und einer sehr ökonomischen Technologie zu tun. Schon Adolf Loos hat ja seinerzeit mit seinem „Haus mit einer Mauer“ den Versuch unternommen, eine Typologie zu entwickeln, die Ökonomie und Individualität im Wohnen verbindet. Was man heute daran vielleicht als Nachteil empfindet, ist die simple Aneinanderreihung einer solchen Bebauung. Sie lässt nur Zeilen zu, raumbildend im städtebaulichen, urbanen Sinn wirkt sie nie.

Dagegen lassen sich mit Pruschas „Haus mit einer Winkelmauer“ Quartiere, Cluster bilden, die zwar sehr dicht beisammen stehen, die sozusagen Wand an Wand aneinander gelehnt sind, die aber zwischen den einzelnen Quartieren Flächen zur Verfügung stellen, die öffentlichen Stellenwert haben, sodass zur individuellen Wohnlandschaft immer auch allgemein nutzbare Flächen hinzukommen.

Natürlich muss man sich mit dem Hofhauskonzept erst einmal anfreunden. Was in außereuropäischen Gegenden – in China etwa oder im islamischen Raum – historisch gewachsen ist, das hat bei uns den Charakter eines Imports. Allerdings sollte das in Zeiten der Globalisierung kein echtes Problem sein – wir wohnen heute doch auch in Hochhäusern, und die sind auf europäischem Boden genauso wenig tradiert. – Pruscha hat einiges an Erkenntnissen aus der Untersuchung zur Traviatagasse in sein neues Projekt einfließen lassen. Vor allem sind die Höfe – bei trotzdem geringem Bodenverbrauch von zwölf mal zwölf Metern pro Haus – etwas größer: je nach Typ sieben oder sechs Meter im Quadrat. Und er hat den Wünschen nach größeren Küchen und Badezimmern Rechnung getragen, ebenso dem Bedürfnis nach mehr Licht.

Das lässt sich heute ökonomisch realisieren. Wie ja überhaupt die ökonomische Komponente bei diesen Häusern ein wesentlicher Faktor ist. Nur die Winkelwand ist aus massivem Stahlbeton (Speichermasse), der weitere Ausbau erfolgt in Leichtbauweise, einer Holzständerkonstruktion, kombiniert mit Holztafelelementen und einer großflächigen Verglasung. Vorfertigung spieltbei diesem Konstruktionsprinzip eine entscheidende Rolle und wirkt sich entsprechend auf die Kosten aus. Auch der ökologischen Frage, dem Energiehaushalt wurde Rechnung getragen. Ein Photovoltaik-Segel auf jedem Haus präsentiert sich als optisch durchaus reizvolles Element, in Kombination mit einer Wärmepumpe trägt es zur Stromversorgung bei. Im Übrigen schlägt Pruscha eine Wand- und Fußbodenheizung vor, die bei winterlichen Temperaturen eine Art Kachelofen-Atmosphäre im Haus schafft. Die Techniker von S+B Plan & Bau haben allerdings errechnet, dass eine solche Technologie auch heute noch relativ kostenintensiv in der Anschaffung ist. Bis sich so etwas amortisiert, das dauert seine Zeit. Kostengünstiger wäre ein dezentrales kleines Blockheizkraftwerk.

Pruscha hat, wie auch schon in der Traviatagasse, die Möglichkeiten der Wohnbauförderung bis an ihre Grenzen genutzt. Zu den rund 140 Quadratmetern reiner Wohnfläche kommt daher ebenerdig praktisch ein ganzes Geschoß dazu, das zwar als „Keller“ ausgewiesen ist, in Wirklichkeit aber einen vielfältig nutzbaren, großzügigen zusätzlichen Raum zur Verfügung stellt.

In Pruschas Hofhäusern sind unsere lokalen Wohnvorstellungen sozusagen auf den Kopf gestellt. Der neutrale, nicht weiter definierte Raum befindet sich unten, die Schlafebene in der Mitte, und das Wohnen im engen Sinn – natürlich in Verbindung mit einer Terrasse – findet ganz oben statt. Das mag gewöhnungsbedürftig erscheinen, ist aber eine logische Konsequenz aus der Kompaktheit dieses Hauskonzepts. Die Freiheit des Ausblicks hat man oben; die abgezirkelte, exakt definierte Intimität des begrünten Innenhofes gibt es unten.

Es wäre interessant, dieses Konzept tatsächlich umgesetzt zu sehen. Aber das geht sicher nicht im Kleinen. Mit fünf Häusern ist nichts getan. Man müsste schon ein paar solcher Cluster in einer Größenordnung von sagen wir: jeweils 27 Häusern realisieren. Erst dann kommen die städtebaulichen Qualitäten eines solchen Projekts zum Tragen. Die Frage ist, ob es hierzulande überhaupt einen Wohnbauträger gibt, der sich auf ein so innovatives Konzept einlässt.

Spectrum, Sa., 2010.02.27

16. Januar 2010Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Eine edle Schachtel

Eine Mehrzweckhalle, so ein diffuses Ding, das alles können soll. In St. Veit an der Glan ist ein edles Exemplar zu besichtigen – hoch funktional und von selbstverständlicher Eleganz.

Eine Mehrzweckhalle, so ein diffuses Ding, das alles können soll. In St. Veit an der Glan ist ein edles Exemplar zu besichtigen – hoch funktional und von selbstverständlicher Eleganz.

Eine Blumenhalle für „Funder-City“.„Funder-City“, das ist St. Veit an der Glan in Kärnten, wo schon 1939 das erste Faserplattenwerk Österreichs entstand, wo die Coop Himmel- b(l)au 1988/89 einen dekonstruktiven baulichen Akzent setzte und wo seit dem vergangenen Jahr auch ein neues angewandtes Beispiel der Produktpalette aus dem Haus Fundermax – in Szene gesetzt von Frediani + Gasser Architettura – zu besichtigen ist.

Das Städtchen hat einen bezaubernden Altstadtkern, aber der ist natürlich längst zugebautes Terrain. Stadtentwicklung kann also nur peripher stattfinden. Dort stehen sie dann auch, die Wohnbauten und was sonst noch zur Nutzung solcher vormals brachliegenden Flächen gehört. Allerdings hat der womöglich visionäre Bürgermeister von St. Veit, Gerhard Mock, dafür gesorgt, dass sich selbst hier, an der Peripherie, die nur 500 Meter von der Altstadt entfernt liegt,spezifischere Nutzungen ansiedeln. Es geht ihm offensichtlich darum, dem Areal ein gewisses Image zu verschaffen.

Eine erste Maßnahme bestand im Bau des Blumenhotels, das spado architects gemeinsam mit ogris.wanek architects 2008 fertig gestellt haben. Es ist als Konferenz- und Seminarhotel konzipiert, was einen zweiten Schritt notwendig machte: Es wurde ein Veranstaltungsort gebraucht, der die räumlichen Ressourcen für größere Events auch dem Hotelbereich zur Verfügung stellt, der aber gleichzeitig kulturelle und gesellschaftliche Schnittstelle für die Bewohner von St. Veit sein sollte. Eine Mehrzweckhalle war gefragt, so ein diffuses, unscharfes architektonisches Ding, das alles können soll und nie wirklich stringent definiert ist. Gianluca Frediani und Barbara Frediani-Gasser haben eine Schachtel gebaut.

Allerdings ist diese ziemlich edel ausgefallen, sie kann viel, und inzwischen weiß man, dass sie auch sehr gut funktioniert – vielleicht mit Ausnahme hochsommerlicher Bedingungen, da wird es trotz Querdurchlüftung manchmal recht heiß. Was aber nicht den Architekten zur Last gelegt werden kann, die haben vorausschauend alle Vorkehrungen für die Installierung einer Klimaanlage getroffen, es liegt an den budgetären Möglichkeiten. Dieses Defizit wird sich über kurz oder lang sicher lösen lassen.

Das Haus ist als Landmark inszeniert. Ein Quadrat mit 40 Metern Seitenlänge, relativ flach. Die Sockelzone ist weitgehend transparent, die Fassade eine freie Improvisation in Max-Platten. Farblich dominiert von einem Bordeauxrot, das sich auch bei der Bepflanzung der asymmetrisch angelegten, sehr streng geometrisierten Beete im befestigten und recht großzügigen Vorplatz findet. Denn dort wächst neben Lavendel und Taglilien auch roter Fächerahorn.

Man kommt, wie gesagt, über einen sehr attraktiven Vorplatz zum Gebäude. Es gibt ganz schlichte Sitzbänke, abends von unten effektvoll beleuchtet. Das Open-Air-Forum für gesellschaftliche Auftritte wurde also gekonnt bewältigt. Wenn man eintritt, ist es nicht viel anders. Links und rechts vom Windfang setzen zwei variabel – etwa als Empfangspult und als Bar – nutzbare Implantate in Schneckenform einen Akzent, 13 kreisrunde, unterschiedlich dimensionierte Lichtkuppeln ermöglichen bei Tag und Nacht attraktive Lichteffekte. Hier, im Foyer, ist die Decke abgehängt, die Raumhöhe beträgt nur sechs Meter. Aber das ist genau die Differenzierung, die es braucht, um die räumliche Steigerung zum neun Meter hohen Saal erlebbar zu machen.

So ein Foyer ist – neben der Bühnenfläche für gesellschaftliche Auftritte – vor allem eine Schleuse zwischen draußen und dem eigentlichen Innenraum. Hier hat dieser Übergang eigene räumliche Qualitäten, wodurch er theoretisch auch gesondert nutzbar wäre. Und die Architekten haben durch ihre Materialentscheidung für gerostetes Eisen – etwa beim Windfang und den implantierten „Schneckenhäusern“ – für eine ausgesprochen delikate Überraschung gesorgt. Diese Oberflächen bilden einen krassen Gegensatz zur ruhigen Flächigkeit der weißen Wände, aber auch des – im Fächerahorn-Rot gehaltenen – Mobiliars.

Der Saal ist mit seinen neun Metern Höhe, 18 Metern Breite und 30 Metern Länge so dimensioniert, dass sitzend 600 und stehend maximal 1000 Personen Platz finden. Es gibt eine präzise gesetzte Verglasung in der Sockelzone, die auch abgedunkelt werden kann. Eine Verkleidung mit Akustikpaneelen im Sockelbereich (2,50 Meter hoch) und die wundervolle Faltung der Akustikdecke aus weißem Gipskarton – Origami-Kunst im besten Wortsinn, jede Faltung berechnet vom Akustiker Karl Bernd Quiring – liefern beste schalltechnische Voraussetzungen. Auch das große, den Raum dominierende, von den Architekten zusammen mit dem Grafikdesigner Dieter Wolf entwickelte Bild – es zeigt kreisrunde Farbfelder, die man als abstrahierte Blumen interpretieren könnte – hat mit der Raumakustik zu tun. Dahinter verbergen sich schallschluckende Kastenelemente. Und natürlich sind die Längswände des Saals nicht einfach senkrecht, sondern ganz leicht – nur um drei Grad – nach außen gekippt.

Die Akustikmaßnahmen tangieren die räumliche Wirkung des Saals nicht, sie befördern sie eher. Die Decke ist ausgesprochen reizvoll und die weißen Paneele im Sockelbereich wirken auch als „Distanzhalter“ zum Sichtbeton darüber. Letzterer musste übrigens nachbehandelt werden, weil er nicht so perfekt gelungen ist, wie sich das Architekten wünschen.

In funktioneller Hinsicht kann der Saal sicher alles, was man von einer solchen Einrichtung erwartet. Der schwarze Bühnenbereich lässt sich vollständig abbauen, dann fährt der Vorhang an die Rückwand, und der Saal kann zum Beispiel für eine Ballveranstaltung genutzt werden. Auch die Anlieferungs- und Lagermöglichkeiten sind wohl durchdacht. Eine nicht öffentliche Raumschicht enthält Hinterbühne, Probenräume und Künstlergarderoben.

Das Haus wirkt wie aus einem Guss. Was sicher damit zu tun hat, dass die Architekten beim Farbkonzept und der Einrichtungsplanung völlig freie Hand hatten. Dadurch kommt im Foyer – bordeauxrote Sitzmöbel, Tischplatten hochglänzend und weiß (Max) – eine Atmosphäre selbstverständlicher Eleganz zustande, dadurch erhält aber auch der Saal eine eigene, ungewöhnliche Note. Denn dort sind die Sitzreihen – ein italienisches Serienprodukt – weiß, was im Theater eigentlich nicht üblich ist. Dafür korrespondieren sie mit dem Weiß der Faltdecke und der Sockelzone und kontrastieren zum warmen Braun des Nussbodens.

Spectrum, Sa., 2010.01.16



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Blumenhalle St. Veit / Glan

12. Dezember 2009Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Eine tote Ecke lebt auf

Im Tiroler St. Anton jodelt's offenbar nicht mehr an jeder Ecke. Über die neue Talstation der Rendlbahn, ein Stück sehenswert moderner Architektur.

Im Tiroler St. Anton jodelt's offenbar nicht mehr an jeder Ecke. Über die neue Talstation der Rendlbahn, ein Stück sehenswert moderner Architektur.

Wenn an Churchill etwas wirklich sympathisch war, dann dieser Spruch: „No Sports“. Als Nicht-Skifahrer, den es um diese Jahreszeit nach St. Anton verschlägt, kann man dem Briten nur beipflichten. So eine grandiose Landschaftskulisse! Aber alles dreht sich nur um den Schnee: ob genug davon vom Himmel fällt und ob es wenigstens Minusgrade hat, damit die Schneekanonen erfolgreich arbeiten können. Die Saison beginnt gerade erst, die Hoteliers zittern, die Seilbahnen laufen (noch) mit reduziertem Tempo. Aber das wird sich innerhalb von Tagen ändern, und dann muss die neue Rendlbahn-Talstation ihre „Schneeprobe“ bestehen. Geplant wurde sie von Georg Driendl, einem gebürtigen Tiroler, dessen Büro Driendl*Architects in Wien ansässig ist. Und der sich schonmit dem Bau des Hotel Lux Alpinae und der Galzigbahn-Talstation unübersehbar ins Ortsbild eingeschrieben hat.

Man muss allerdings anmerken, dass in St. Anton im Vorfeld der Weltmeisterschaft 2001 einiges an zeitgenössischer Architektur passiert ist. Denken wir nur an den Bahnhof und das Zielstadion von Manzl.Ritsch.Sandner, an die Mehrzweckhalle samt Wellnessbad von Dietrich.Untertrifaller, an das beispielhafte „Hotel Anton“ von Pöschl.Comploj. Damit entstanden Bauten, die dem „Haufendorf“, von dem noch ein Friedrich Achleitner in seinem Tirol-Führer reden konnte, urbanere Züge verliehen.

Und genau dieser Entwicklung trägt Georg Driendl mit seinen Arbeiten Rechnung. Die neue Talstation der Rendlbahn agiert weniger als bauplastischer Solitär – dieses Statement hat Driendl schon mit seiner vielfach ausgezeichneten Galzigbahn abgeliefert –, sondern als architektonische Intervention, die dem Ort auch unmittelbar zugute kommt, indemsie mehrere Aufgaben gleichzeitig bewältigt. Sie liegt zwar mitten im Ort, ist aber doch ein relativ niedriges Gebäude. Die markante Gebäudeform – an der Zentrumsseite gerundet, Richtung Hang ausgestreckt – ist aus der Luft, also von der Seilbahn aus, besser nachvollziehbar als zu ebener Erde. Denn das Haus nimmt auf seiner unteren Ebene den gesamten Busverkehr auf. Es ist Terminal für die öffentlichen Busse, liefert Parkmöglichkeiten für die Hotelbusse und stellt für Taxis und Busse eine Durchfahrt zur Verfügung. Obendrein auch noch einen überdachten Platz, an dem eventuell Tourismus-Informationskioske angesiedelt werden können.

Damit wird der Ortskern, der natürlich in der Hochsaison vom Verkehr überflutet ist, nachhaltig entlastet. Diverse Repräsentanten der Nachbargemeinden reisen schon an, um diese Lösung in Augenschein zu nehmen. Die Bahn selbst ist technisch als eher konventionelle Einseilbahn gelöst, die Materialien sind natürlich vor allem Beton, Stahl und Glas, die in diesem Fall extrem viel leisten müssen, weil das Gebäude in der „gelben Zone“ liegt, also lawinengefährdet ist. Und sie sind durchwegs sehr roh belassen. Denn: Die tatsächliche Bauzeit für ein solches Objekt ist extrem kurz. Nur wenige Monate stehen zur Verfügung. Im konkreten Fall: Juni bis jetzt. Da kann man es sich nicht leisten, etwa eine Ausblühung im Beton nachzubessern, es gibt andere Prioritäten. Zu Recht: So ein Verkehrsbauwerk ist keine Kathedrale.

Wichtig erscheint aber die Einbindung dieser Talstation einer Seilbahn ins Gelände. Driendl musste eine Fußgängerbrücke planen, die sich in einem langen Schwung von der Ortsmitte bis hinüber erstreckt, wo die Skifahrer von der Piste herunterkommen. So gelangen sie ohne Probleme und Barrieren wieder zum Ausgangspunkt zurück. Allein die Fahrt hinauf auf den Rendl, auf den Galzig ist ein Erlebnis, das man als Architekt vom Start weg, also der Talstation, entsprechend zu inszenieren hat. Interessant übrigens, nur so als Zwischenruf, dass diese Berge alle männlich sind. Das Einbinden der Talstationen in den Ortskern bedarf möglicherweise einer genaueren Betrachtung. Denn eigentlich möchte man meinen, je weiter weg, aus dem Ort hinaus, desto besser. Aber genau das stimmt nicht, weil man damit unendlich viel Verkehr produzieren würde. Kein Skifahrer schultert heute seine Ski und marschiert stundenlang zu Fuß, er lässt sich – egal ob mit öffentlichem Bus aus einem Nachbarort, mit einem Hotelbus oder dem Taxi – direkt zur Seilbahn bringen. Und viele, die direkt in
St. Anton wohnen, können jetzt tatsächlich in wenigen Fußminuten an den Talstationen sein.

Außerdem tragen beide Gebäude zu einer sinnvollen Zentrumsbildung bei: die Rendlbahn, weil sie im Bereich einer aufgelassenen Bahntrasse errichtet wurde, einer Art städtischer Brache, mit der man sowieso etwas machen musste (eine ungenutzte „Restfläche“ gibt es dort immer noch). Und die Galzigbahn, weil sie eine so spektakuläre architektonische Geste darstellt, dass sich um sie herum und ihr zugewandt Geschäfte und Lokale angesiedelt haben, so dass ein vernachlässigter Ort, eine tote Ecke, zum belebten Mittelpunkt geworden ist.

Darauf hat Driendl ganz bewusst spekuliert: Sein gläsernes Implantat – immerhin 20 Meter hoch und 85 Meter lang – macht die aufregende und innovative technische Lösung dieser Zweiseilbahn weithin sichtbar. Da dreht sich ein Riesenrad (fast zehn Meter Durchmesser) und hebt die Gondeln zur Seilbahn hinauf, so dass die Skifahrer ebenerdig einsteigen können. Das ist wirklich sehenswert und hat sich nicht von ungefähr erst kürzlich, bei den IOC/IAKS Awards des Internationalen Olympischen Komitees und beim ISR Award für herausragende Architektur am Berg, neben Sportbauten der allerersten internationalen Architekturprominenz durchsetzen können.

Von St. Anton, wo immerhin auch ein Clemens Holzmeister seine Spuren hinterlassen hat, kann man heute jedenfalls nicht mehr sagen, dass es an jeder Gebäudeecke jodelt. Die architektonischen Tirolerhüte sind natürlich nach wie vor da, aber sie treten ein wenig in den Hintergrund. Und die neuen Bauten, das zeigen gerade Hotels wie das Anton von Pöschl.Comploj und das Lux Alpinae von Driendl selbst, finden ihre Klientel. In Zeiten des Internets schauen sich die Leute einfach genau an, wie ihr mögliches Feriendomizil beschaffen ist. Und entgegen der landläufigen Meinung ziehen viele den zeitgenössischen Ausdruck eines Ambientes der vorgegaukelten, hölzernen Bodenständigkeit vor.

Spectrum, Sa., 2009.12.12

07. November 2009Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Hier ist das Paradies

Städtebaulich richtig und räumlich abwechslungsreich unter einer überaus eleganten, glatten Haut. Gäbe es ein Ranking der Wiener Hochhäuser: Hinter dem Messegelände stünde die neue Nummer eins.

Städtebaulich richtig und räumlich abwechslungsreich unter einer überaus eleganten, glatten Haut. Gäbe es ein Ranking der Wiener Hochhäuser: Hinter dem Messegelände stünde die neue Nummer eins.

Bauherrenpreis für ein Hochhaus: Die neue Landmark, die Dieter Henke und Marta Schreieck am Eingang zum Quartier „Viertel zwei“ an der U-Bahn-Station Trabrennplatz hinter dem Wiener Messegelände errichtet haben, verdient solche Beachtung. Denn sie steht städtebaulich „richtig“ da, und in einemgedachten Ranking der Wiener Hochhäuser besetzt sie sicher die Spitzenposition. Wobei die Auszeichnung, genau genommen, nur indirekt der Architektur gilt. Die muss zwar besondere Qualitäten haben, aber geehrt wird der Bauherr, weil er fähig und willens war, ein Projekt umzusetzen, das über die gängigen Standards hinausweist.

Der Bauherr ist in diesem Fall ein Investor: die „IC Projektentwicklung GmbH“. Das heißt, dass die kommerzielle Verwertbarkeit des Gebauten Priorität hat. Schaut man sich das Quartier „Viertel zwei“ genauer an, dannist man allerdings von der intelligenten Strategie überrascht, mit der hier geplant wurde.Intelligent im Hinblick auf den Städtebau, auch auf die beschränkte Anzahl von Architekten, die zum Zug gekommen sind – so wurde diese Unruheallzu vieler Architektursprachen vermieden, unter denen so viele Neubaugebiete leiden –, schließlich auf die gestalterische Bewältigung des Außenraums,die wohl zum Besten gehört, das es in Wien derzeit gibt. Man wird sich dieses Quartier – hauptsächlich Bürohäuser, ein Hotel, ein Wohnbau, ein sanierter Altbestandsbau – genau anschauen müssen, wenn es fertig ist. Das Wohnhaus steht noch nicht, und die Landschaftsplanung ist nicht abgeschlossen. Aber das Architekten-Triumvirat aus Henke und Schreieck, Martin Kohlbauer und Zechner & Zechner stellt eine Option für die Zukunft dar, ebenso die profilierten deutschen Landschaftsplaner Wes & Partner.

Eines vorweg: Es ist keine schlanke, hohe Nadel, die Henke und Schreieck geplant haben. Das Haus steht fest auf der Erde und ist mit seinen 80 Metern Höhe möglicherweise sogar zu niedrig. Aber die diversen Kubaturen der Gebäude wurden natürlich im Vorfeld des komplexen Wettbewerbsverfahrens festgelegt, daran war nicht zu rütteln. Andererseits sagen die Architekten, dass ihr Haus nicht Raum besetzt, sondern Raum bildet. Das ist zumindest teilweise richtig. Denn es besteht aus einem konkav/konvex gebogenen Baukörper, der einen großzügigen Vorplatz definiert (übrigens möbliert mit einer wunderbaren, amorphen, grünen Plastik von Lois und Franziska Weinberger). Es nimmt viel Grundfläche ein, wenn man es mit herkömmlichen Hochhäusern vergleicht. Dafür kann es umso mehr.

In Hochhäusern braucht die Erschließung sehr viel Platz, und es gibt in der Mitte eine Dunkelzone, sodass für die natürlich belichteten Räume mit Aussicht entlang der Fassade nur relativ wenig Laufmeter bleiben. Diese Problematik wurde mit großem Geschick umschifft. Künstliches Licht auch tagsüber braucht es hier eigentlich nur im Bereich der Lifte und Zugänge zu den Treppenhäusern. Da das Haus sehr breit auf dem Boden steht, bietet es viel hervorragend nutzbare Bürofläche, die nicht nur Licht, sondern zum Teil auch spektakuläre Aussicht hat. Klar, richtig umwerfend ist der Ausblick nur von ganz oben. Aber das ist bei allen Wolkenkratzern so. Viele Hochhäuser verfügen über ein attraktives Entrée – hier: zweigeschoßig – und über irgendeine räumliche Besonderheit ganz oben, die in der Regel nur privilegierten Nutzern zugänglich ist. Dazwischen: die Regelgeschoße. Was die können, das entscheidet über die Nutzungsqualität insgesamt. Irgendein Sonderraum für ein Sonderpublikum lässt sich ganzleicht hinstellen, wenn es nur jemand zahlt. Aber durchgängige Qualität über alle Geschoße und für die Masse der Beschäftigten – das ist etwas ganz anderes.

Dieser Thematik haben die Planer (und der Investor) viel Aufmerksamkeit gewidmet. Es war ein trister, bewölkter Tag, als ich das Haus besichtigt habe. In den Erschließungsgängen zu den Büros (Glaswände, teilweise sichtgeschützt) war es trotzdem hell. Sie sind auch räumlich abwechslungsreich, weil sie nicht einfach linear verlaufen, sie erweitern sich stellenweise (Gemeinschaftsbereiche, Teeküchen), manchmal ist der Übergang zu einer offenen Empfangs- oder Sekretariatszone fließend, das macht atmosphärisch etwas aus. Außerdem ist die Größe der Büroeinheiten (kein ausgesprochenes Großbüro) ziemlich differenziert. Wer sich je die Arbeitssituationen im Eldorado der Hochhäuser angeschaut hat, in New York, der weiß: Hier ist das Paradies.

Die Form des Hauses hat eine Vorgeschichte. Es gab einen städtebaulichen Wettbewerb, den Henke und Schreieck mit einem Konzept gewonnen haben, das eine durchgängige Bebauung mit konvex/konkav geformten Baukörpern vorgesehen hätte. Lauter Bumerange – oder wie es Margherita Spillutini formuliert: „Kipferl“. Solche Baukörper ermöglichen trotz hoher Dichte Durchlässigkeit – auch in Bezug auf den Ausblick – und die Formulierung spannender Außenräume. Die sind wichtig, und sie kommen bei uns regelmäßig zu kurz. Trotzdem wurde das Konzept zugunsten einer anderen, nicht zuletzt durch die Landschaftsplaner mitbestimmten Lösung aufgegeben. Der OMV-Bumerang ist daher durch eine Brücke mit dem durchaus rechtwinkligen Nachbarn von Martin Kohlbauer verbunden, nur vier verhältnismäßig niedrige – bumerangförmige – Baukörper von Henke und Schreieck schräg gegenüber gehen noch auf das ursprüngliche Städtebau-Projekt zurück.

Die Form des Hauses: Es ist sicher so, dass auch heute, bei all den technischen Möglichkeiten, die uns zur Verfügung stehen, ein solches Projekt nicht ohne Weiteres zu realisieren ist. Unten schiebt sich völlig asymmetrisch eine Sockelzone heraus, darüber kurvt sich ein Baukörper in die Höhe, der auskragt, der nach oben breiter wird. Aber die Glasfassade überzieht das alles mit einer unheimlich eleganten, glatten Haut. Das war technisch äußerst komplex – ganz davon abgesehen, dass es an den Schmalseiten des Hauses speziell berechnete, gekrümmte Gläser gebraucht hat, damit genau dieser Effekt der homogenen, glatten Haut nicht gestört wird.

Ich denke, es ist etwas Besonderes, wenn sich ein Bauherr auf so etwas einlässt. Und ich denke, dass es nicht so wahnsinnig viele „Investoren“ dieser Güteklasse gibt.

Spectrum, Sa., 2009.11.07



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Bürohochhaus Hoch Zwei

26. September 2009Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Umbau in vollem Galopp

Ein schwieriger Job für den Architekten: der Umbau der Zentralfeuerwache Am Hof in Wien. Eher gelungene funktionelle Entflechtung denn Selbstverwirklichung. Einige Sünden hätte der Denkmalschutz uns ersparen können.

Ein schwieriger Job für den Architekten: der Umbau der Zentralfeuerwache Am Hof in Wien. Eher gelungene funktionelle Entflechtung denn Selbstverwirklichung. Einige Sünden hätte der Denkmalschutz uns ersparen können.

Es kann nur ein Zwischenbericht sein, wenn von der Zentralfeuerwache Am Hof in Wien die Rede ist. Zwar arbeitet das Architekturbüro Andreas Treusch schon seit Jänner 2004 an der Sanierung, dem Um- und Ausbau der drei Objekte, die an diesem zentralen, auch historisch bedeutsamen Platz von der Feuerwehr genutzt werden, ein Ende ist aber nichtvor 2012 abzusehen. „Fertig“ im architektonisch/baulichen Sinn ist definitiv erst ein Objekt – das Haus von Johann Lukas von Hildebrandt von 1727–1730, und auch da ist etwa das kleine Museum noch nicht eingerichtet, also noch nicht öffentlich zugänglich.

Tatsächlich geht es hier um eine extrem komplexe Situation: strengster Denkmalschutz sowieso, Bauen im zentralen innerstädtischen Bereich auf historisch „getränktem“ Boden (Archäologen!) – und dazu noch Umbau bei vollem Betrieb. Denn es kann natürlich nicht sein, dass auch nur eine einzige der Funktionen der Zentralfeuerwache kurzfristig ausfällt.

Steht man jetzt vor dem Hildebrandt-Haus und hat das Glück, dass einem nicht irgendwelche provisorisch abgestellten Feuerwehren oder Baufahrzeuge der anschließenden Baustellen die Sicht nehmen, dann versteht man, was hier Sache ist. Und das ist sicher nicht der Außenauftritt des Architekten. Der macht sich hier überhaupt nur durch einen bescheidenen, schwarz-gläsernen Monolithen bemerkbar, der in eine bestimmte Richtung weist. Nämlich auf den Eingang links von den Ausfahrttoren der Feuerwehren, wo es zum Museum geht.

Treusch hat an dieser Fassade nichts verändert, auch nicht die Tore, obwohl sie erst aus den Dreißigerjahren stammen. Die ursprüngliche, mittige Eingangssituation mit Aufgang zur Beletage wäre nicht wieder herstellbar gewesen. Denn auch aus dem Hildebrandt-Haus ist, man muss es betonen, ein Nutzbau geworden, der bestimmte Funktionen zu erfüllen hat, und zwar nach heutigen Kriterien. Und das bedeutet, dass dieses historische Haus in Wirklichkeit vollgepackt ist mit Technik. Schächte überall, alle voller Leitungen und, wo möglich, unsichtbar. Es ist tatsächlich sehr gut gelungen, diesen Sprung in die Technologien des 21. Jahrhunderts im Verborgenen zu halten.

Anders ist es im kleinen Hof, der glasüberdacht wurde. Dort gab es hölzerne Pawlatschen, die in einem ganz schlechten Zustand waren und durch eine Stahl-Glas-Konstruktion ersetzt wurden. Atmosphärisch bedeutet das sicher einen Verlust, umso mehr als die jetzige Lösung ziemlich nüchtern daherkommt. Andererseits geht es hier um den Brandschutz, was bestimmte Profilstärken der Stahlkonstruktion zur Folge hat und eine feingliedrige künstlerische Lösung gar nicht erlaubt hätte. Nicht zu reden vom Kostenfaktor, aber da bewegt man sich – im ganzen Haus – auf dem Niveau des Notwendigen.

Es hört sich vielleicht fragwürdig an, aber eine solche Aufgabe unter solchen Umständen lässt dem Architekten kaum einen Spielraum zur Selbstverwirklichung. Von den Römern bis herauf ins 20. Jahrhundert haben sich an diesem Ort Epochen sichtbar eingeschrieben. Nur wir sind jetzt der Meinung, dass jegliche sichtbare zeitgenössische Überformung nicht vertretbar ist.

Unter solchen Voraussetzungen kann der Architekt nur noch strukturell denken, nicht in Gestaltungsdetails. Wichtige Elemente der historischen Substanz – etwa der Barocksaal in der Beletage – wurden dabei mit aller Sorgfalt behandelt. Die heutigen Anforderungen schlagen sich vor allem in einem Multimedia-Saal, teilbar, einfach, funktionell, nieder. Und die Möglichkeit eines Rundumgangs wurde geschaffen.

Die Baustelle für das „Haus 7“, also das Hildebrandt-Haus, war lange Zeit eine der aufregendsten der Stadt. Hier hat man wirklich in offener Bauweise hinuntergegraben, um dann unter dem Haus eine bis zum Tiefen Graben – dort ebenerdig – durchgehende neue Fahrzeughalle und einen Verbindungsgang zum „Haus 9“ zu schaffen. Das war und ist ein Eldorado für die Stadtarchäologen. Denn seinerzeit, als man in den Sechzigerjahren diese unsägliche Tiefgarage Am Hof gebaut hat, deren Abfahrt diesen Platz wirklich stört, sind die Stadtarchäologen nicht zum Zug gekommen. Es hat einfach das Bewusstsein für solche Fragen gefehlt.

Man muss sich die Gesamtsituation vor Augen führen: Es gibt das Hildebrandt-Haus, dann das kleine sogenannte Kattus-Haus, das noch heute in Privatbesitz ist, dann einen historisierenden Wiederaufbau aus der Nachkriegszeit (das Haus war ein Bombentreffer), und um die Ecke das alte Zeughaus aus dem 16. Jahrhundert, mit seiner markanten Fassade zum Platz und einem sehr tiefen Innenhof. Insgesamt arbeiten hier 1400 Menschen, in 24-Stunden-Schichten, ständig „in Bereitschaft“.

Als Erstes war für die Architekten eine Art „funktionelle Entflechtung“ angesagt. Man musste Ordnung in eine Sache bringen, die einen endlosen, teilweise recht improvisatorischen Entwicklungsprozess hinter sich hat. Dafür musste man herausfinden, welche räumlichen Potenziale in der Substanz versteckt waren. Und die gab es, denn hier geht es ja teilweise zwei, drei, wenn nicht vier Stockwerke in die Tiefe. Dieser dynamische Prozess – gemeinsam mit dem Nutzer und der in diesem Fall sehr bewährten MA 34 als Bauherr bewältigt – hat viel Zeit in Anspruch genommen.

Dann gibt es aber Vorbehalte. So hat der Architekt vorgeschlagen, diese unsägliche Dachlandschaft auf dem „Haus 9“, dem historisierend wieder aufgebauten, zu eliminieren und durch einen zeitgenössischen Dachaufbau zu ersetzen. Es gibt ein formal sehr überzeugendes Projekt. Abgelehnt. Man wende den Blick um höchstens 90 Grad, dann sieht man ein architektonisches Wimmerl von einem Privaten, der durfte das. Da hört sich eigentlich alles auf.

Genauso im Zeughaus-Komplex. Da gibt es eine unheimlich „schiache“ Eisenkonstruktion, die eine Art Terrasse für die Feuerwehrmänner liefert. Natürlich nur im Sommer nutzbar. Treusch wollte dieses Unding durch einen filigranen Glaspavillon ersetzen. Er wäre das ganze Jahr über nutzbar. Und er ist so konzipiert, dass er die historische Substanz nicht antastet. Sogar demontierbar. Was hat der Denkmalschutz zu diesem Vorschlag gesagt? Njet, unwiderrufbar.

Spectrum, Sa., 2009.09.26



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Zentralfeuerwache Am Hof

17. Juli 2009Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Die glatte Haut rauen Betons

(Fast) unsichtbare Architektur aus dem Geiste der Nicht-Gestaltung: ein Innsbrucker Ein-Raum-Büro als unterirdisches Bauwerk. Über einen Versuch in Purismus, der kaum zu übertreffen ist.

(Fast) unsichtbare Architektur aus dem Geiste der Nicht-Gestaltung: ein Innsbrucker Ein-Raum-Büro als unterirdisches Bauwerk. Über einen Versuch in Purismus, der kaum zu übertreffen ist.

In der Architektur gibt es manchmal Lösungen, die würde der Planer keinem anderen Bauherrn zumuten – nur sich selbst. Um einen solchen Fall handelt es sich bei dem kleinen Objekt, das der Innsbrucker Architekt Daniel Fügenschuh für sein eigenes Büro errichtet hat. Es geht um (fast) unsichtbare Architektur, um ein „Büro unter dem Garten“, wie es in Claudia Wedekinds Baubeschreibung auf der Architekturplattform Nextroom heißt.

Tatsächlich ist der Purismus dieser architektonischen Miniatur kaum zu übertreffen. Der Architekt hat sich einfach alles versagt, was nach Gestaltung aussehen könnte, was die Präzision seines Statements irgendwie beeinträchtigen würde. Keine Frage, dass ein solches Ergebnis nur zu erzielen ist, wenn man die Mittel, die Maßnahmen umso genauer kalkuliert.

Daniel Fügenschuhs Ein-Raum-Büro mit Galerie ist ein unterirdisches Bauwerk. Er hat es in die Hangkante an der Höttinger Auffahrt in Innsbruck eingegraben, in ein Terrain, das sich von Osten nach Westen, entlang der Nordkette zieht. Die Bebauung, die es dort auf dem Plateau gibt, besteht im Wesentlichen aus Stadtvillen, die alle von grünen Gärten umgeben sind. Ein Luxus, der schon seit Langem gefährdet ist, weil die Grundstückseigentümer natürlich alle Möglichkeiten der Verwertung ihrer Immobilien ausnützen wollen. Auf diesen Umstand – oder Missstand – hat der Architekt reagiert. Der tradierte Charakter des Umfelds sollte durch seine Intervention nicht beeinträchtigt werden. Daher ging er unter die Erde.

Auf dem Grundstück, also oben, auf dem Plateau, gibt es eine Stadtvilla, die der Innsbrucker Baumeister Wilhelmi 1914 auf einer Grundfläche von zwölf mal zwölf Metern für sich selbst errichtet hat. 2003 hat Daniel Fügenschuh die Hälfte dieses Objekts zusammen mit einer Kollegin gekauft und durch sehr geschickte, sensible Maßnahmen umgebaut und saniert. Im Grunde hat er die Nutzfläche im Haus verdoppelt, zu den zwei bestehenden Wohnungen kamen noch zwei hinzu, die im ersten Obergeschoß und dem nunmehr ausgebauten Dachboden untergebracht sind. Das Besondere dabei ist, dass diese zusätzlichen Einheiten nicht geschoßweise getrennt sind. Beide wurden so miteinander verschränkt, dass sie sich in die Höhe schrauben; und sie wurden so versetzt, dass jeder der beiden Nutzer die vollen Ausblicksmöglichkeiten zur Verfügung hat. Das hat schon fast raumplanmäßige Eigenschaften und zeigt, wie man mit intelligenten Strategien auch unter engen Bedingungen Raumqualitäten maximieren kann.

Daniel Fügenschuh hatte dort seine Wohnung und sein Büro. Es war allerdings absehbar, dass die Bürosituation langfristig, mit besserer Auftragslage, nicht ausreichen würde. So kam es zum „Büro unter dem Garten“. Denn zur Wohneinheit gehörte auch ein Gartenanteil, und den hat Fügenschuh nun ausgehöhlt. Die Stadtvilla selbst ist ja von oben, vom Sonnenweg her erschlossen. Sein Büro hingegen von der Höttinger Auffahrt, die unten, an der Hangkante, entlang führt. Es gibt dort eine Stützmauer aus Bruchstein, in die er die Glasfassade nahtlos eingefügt hat. Ein Glück ist, dass es hier nach Süden geht – in der Tiefe des Büros sorgt nur ein schmales, nordseitiges Lichtband, das bündig ins Gartenniveau integriert ist, für natürliche Belichtung. Unter dem Büro fand übrigens sogar noch eine Garage Platz.

Was soll man sagen, wenn es so gar nichts an subjektiver, individueller Gestaltung gibt? Wenn der Architekt die Nicht-Gestaltung zum Verwirklichungsprinzip erhebt?

Am Anfang der Baustelle war ein Bagger, und der hat ein gewaltiges Loch gegraben. Immerhin ist die Fassade 10,25 Meter lang und 4,20 Meter hoch – und es geht gute zehn Meter in die Tiefe. Die Decke ist schräg – größte Raumhöhe zirka sechs Meter –, dem Hangverlauf folgend und, wie gesagt, auch in der Tiefe über ein Glasband belichtet, jedenfalls war für eine Galerie Platz.

Fügenschuh hat voll auf das Lieblingsmaterial unserer Architekten (nicht unbedingt von Fremdnutzern) gesetzt. Es ist alles in Sichtbeton. Er hat Fertigteile, Beton-Hohldielen, verwendet, in die werkseits, in den nassen Beton, schon alle Leitungen eingelegt wurden. Das hat eine recht glatte Haut zur Folge, auch wenn Beton naturgemäß eine raue Angelegenheit ist.

Es gibt aber auch Holz, genauer gesagt Lärche, dann gibt es Rohmetall und natürlich auch Glas – vor allem die dreifach verglaste Bürohöhlenfront. Fügenschuh hat Passivhaus-Standard angestrebt und erreicht. Er muss im Winter nicht heizen. Mittels Wärmetauscher ist da heute viel möglich, und in einem Architekturbüro, das ja mehr oder weniger aus Computerarbeitsplätzen mit viel Abwärme besteht (und noch dazu südseitig orientiert ist), sind solche Ansprüche kein großes Problem mehr.

Es gibt immerhin vier Lüftungskreise – Frischluft, Fortluft, Zuluft, Abluft –, die in die Beton-Hohldielen eingelegt sind. Ansonsten hält sich der Aufwand aber in Grenzen. Die Dreifachverglasung der Fassade hat jedenfalls vor allem schallschutztechnische Gründe, es gibt hier ziemlich viel Verkehr.

Trotzdem ist die Akustik in einem solchen Raum ein Thema. Da sitzen jede Menge Mitarbeiter, die womöglich alle gleichzeitig telefonieren. Da können die harten Oberflächen des Sichtbetons zum Problem werden. Deswegen das Holz, sägeraue Lärchenbretter an der Decke. Die Treppe zur Galerie aus massiven Lärchenbohlen – toll! – hat zwar nichts mit akustischen Maßnahmen zu tun, gehört aber zur Strategie der Minimalisierung des Materialkonzepts. Dann gibt es noch einen Teppichboden, der schluckt Schall. Er ist etwas, das so „out“ ist in der heutigen Architektur, dass man schon stutzig wird. Von diesen Rasenflächen für den Innenraum haben wir uns doch alle spätestens in den Siebzigerjahren verabschiedet. Dass einem Architekten, der so etwas Puristisches baut, ausgerechnet ein Spannteppich einfällt, darüber darf man sinnieren. Man sollte wissen, dass er längere Zeit in England war. Dort haben sie es bekanntlich mit dem Rasen, draußen und drinnen.

Es ist pure Architektur, es ist arme Architektur. Dann kommen aber doch Elemente ins Spiel, die mehr sind. Vor allem die Beleuchtung im Büro wurde schon minutiös geplant, sie sitzt bündig in der Decke und veredelt den Raum gewissermaßen. Sie trägt natürlich auch zum guten Arbeitsklima bei – ein Punkt, den Fügenschuh nicht vernachlässigt hat.

Noch eine Kleinigkeit: Es gibt eine Schiebetür in diesem abgemagerten Bau, die wiegt 600 Kilo. Sie können halt nicht anders, unsere Architekten. Es geht irgendwie mit ihnen durch.

Spectrum, Fr., 2009.07.17



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Büro Daniel Fügenschuh

06. Juni 2009Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Nur das Fleisch, nicht das Skelett

Nirgends ein tragender Schacht, alles ist modular, nichts festgeschrieben: „Wohnen am Lohbach“, Innsbrucks größte, ambitionierteste Wohnanlage.

Nirgends ein tragender Schacht, alles ist modular, nichts festgeschrieben: „Wohnen am Lohbach“, Innsbrucks größte, ambitionierteste Wohnanlage.

Wohnen am Lohbach“ ist wohl das Vorzeigeprojekt des Tiroler Bauträgers „Neue Heimat“ und der Stadt Innsbruck. Es ist die größte und sicher auch ambitionierteste neue Wohnanlage im Westen der Stadt, hier wurden tatsächlich ausgezeichnete Architekten bemüht. Das beginnt beim Städtebau von Baumschlager/Eberle, das gilt für verschiedene Sonderbauten, bei denen etwa Marte.Marte aus Vorarlberg oder Tiroler Architekten wie Helmut Reitter und die Noldins tätig waren. Und das betrifft ganz besonders die Wohnbauten, die in der ersten Bauetappe von Baumschlager/Eberle stammten, bei Lohbach II aber auch von Georg Driendl. Er konnte hier immerhin drei große Wohnhäuser realisieren, zwei mit sieben Etagen und jeweils 54 Wohnungen, eines mit sechs Etagen und 46 Wohnungen.

Ein Blick auf diese Häuser lohnt sich, weil sie eine Modifizierung der ansonsten recht unflexiblen Typologie der „Punkthäuser“ darstellen, die hier den Städtebau dominiert. Was sind Punkthäuser? Es sind annähernd würfelförmige (richtiger: quaderförmige) Gebäude, in der Regel mit einem innen liegenden Treppenhaus und rundum laufenden Gängen, von denen aus die Wohnungen erschlossen sind. Solche Häuser sind sehr kompakt organisiert, der Anteil der Außenfassaden ist minimiert, dadurch sind sie energetisch besonders interessant.

Die Ersten, die relativ konsequent vorgeführt haben, was sich mit dieser Typologie anfangen lässt, waren Baumschlager/Eberle.Bei Lohbach I konnten sie das in unglaublicher Dichte zeigen. Davon ist man bei Lohbach II wieder abgekommen. Ein bisschen größere Distanz hat Not getan, umso mehr, als sich mit Punkthäusern ja keine tradierten städtebaulichen Situationen formulierenlassen. Es geht immer nur um Abstände zwischen den Häusern, und wie die gestaltet sind,das hängt vom Einsehen des Bauträgers und der Qualität des Landschaftsplaners ab.

Driendl hat etwas Interessantes mit seinen drei „Punkthäusern“ gemacht: Er hat sie durchgeschnitten. Das heißt, in der Mitte liegt ein gewaltiger Luftraum – von oben und von den Seiten her natürlich belichtet –, in dem sich die Erschließung befindet. Und diese Erschließung ist – sagen wir es mit den Worten des Architekten: „unverblümt“. Theoretisch kann man über geradläufige Treppen hinaufspazieren und über einzelne Brücken zu den Wohnungstüren gelangen. Das heißt, jeder hat seinen eigenen, definierten Zugang zur Wohnung, der auch entsprechend individuell genutzt wird: Da steht von den schmutzigen Schuhen über die Topfpflanze bis zur Bierkiste allerlei herum. Das macht die Situation aber sympathisch lebendig. Und es relativiert die Härte der Materialien – Glas, Beton, Terrazzo. Für die räumliche Wirkung dieser gewaltigen Halle ist aber vor allem wichtig, dass sie in der Mitte fast um zwei Meter breiter ist als an den Fassaden. Sie hat also die Form eines flachen Ovals. Das spielt nicht nur für den atmosphärischen Raumeindruck eine Rolle, es ist ganz pragmatisch bedingt. Der Lift ist in der Mitte, an der breitesten Stelle positioniert – die Bewohner kommen dadurch nicht in irgendeiner schmalen Gangsituation an.

Es ist überhaupt ein höchst rationales Konzept, das Driendl bei seinen Wohnhäusern umsetzt. Gebaut sind sie im Grund wie Industriebauten – also in Skelettbauweise, mit Stützen, ganz modular. In den Wohnungen selbst ist fast nichts festgeschrieben, es gibt keinen tragenden Schacht. Das lässt jede Lösung zu. Da kann ohne Weiteres ein Zimmer der nächsten Wohnung zugeschlagen werden, es kann mit geringem Aufwand umgebaut werden, es können Wände einfach eingezogen oder auch weggelassen werden. Von dieser letzten Möglichkeit machen die Bewohner allerdings in den seltensten Fällen Gebrauch.

Dafür gibt es einen Punkt, der der Reflexion bedarf: die leidige Frage der Energie. Wir sind heutzutage unheimlich energiebewusst. Und auch diese Häuser entsprechen mit ihren 40 Kilowattstunden dem Niedrigenergiestatus. Sie verfügen über Sonnenkollektoren für die Warmwasserbereitung, es wurde auch sonst nichts vernachlässigt. Nur:Inzwischen haben die Ansprüche an den Energiehaushalt ein Maß erreicht, das unter 20 Kilowattstunden liegt. Aber das lässt sich natürlich nur mit sehr aufwendigen Technologien erreichen, die serviceanfällig sind und Betriebskosten verursachen.

Die Frage ist, ob das im Wohnbau wirklich Sinn hat. Ist der Wohnbau im globalen Energieverbrauch nicht jener Faktor, der am wenigsten bedeutet? Und: Möchten Sie gern in einer Wohnung leben, deren Energiekonzept nur funktioniert, wenn alle Fenster geschlossen sind (und bleiben)? Es ist schwierig. Niemand möchte als „Umweltsünder“ dastehen. Trotzdem sollten wir uns fragen, ob wir nicht am falschen Ende der Energiekette investieren. Ein einziger, klitzekleiner Fehler in irgendeiner Industrieanlage kostet vermutlich so viel Energie, wie selbst mit anspruchsvollsten Mitteln und über Jahre hinweg im Wohnbau nicht eingespart werden kann.

Abgesehen davon ist Driendl dennoch etwas gelungen, das man als kleinen innovativen Schub bezeichnen könnte. Er hat alle Installationen in die Erschließungshalle verlegt, das heißt, alle Kabelschächte, und was es da sonst noch braucht, sind von außen zugänglich. Das ist wirklich ein Gewinn, weil die Bewohner im Fall von Servicearbeiten unbelästigt bleiben.

Im Übrigen hat Driendl alles gemacht, was man einem guten Wohnbauer abverlangen muss. Seine Balkonzone ist 2,20 Meter tief, also bestens nutzbar. Dass die Anzahl der einfachen, verschiebbaren Sonnenschutzelemente – ein Rahmen mit einer textilen Bespannung – aus Kostengründen reduziert wurde, ist ein Jammer. Jetzt lässt sich die Intimität der vorgelagerten Freiräume zu den Wohnungen nur partiell herstellen. Eines hat der Architekt allerdings schon durchgezogen: Die gläsernen Balkonbrüstungen sind nicht transparent, sondern transluzent. Einen gewissen Sichtschutz gibtes also überall.

Bilanzierend muss man sich wahrscheinlich eines klar machen: Im Wohnbau ist kein architektonischer Blumentopf zu gewinnen. Er kann immer nur das Fleisch sein, das Skelett heutiger Baukunst besteht aus anderen Aufgaben. Anders ausgedrückt: Im Wohnbau lässt sich so leicht nichts erfinden, man muss froh sein, wenn man das Zahnrad der Mühle zwischen allen Beteiligten millimeterweit vorwärtsbringt.

Spectrum, Sa., 2009.06.06

10. Mai 2009Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Verzinkt, verhunzt, verbockt

Ein differenziertes Konzept, eine furchtbar schlampige Ausführung und am Ende ein frustrierter Architekt: die neue Gärtner-Unterkunft im Wiener Stadtpark. Anatomie eines Debakels.

Ein differenziertes Konzept, eine furchtbar schlampige Ausführung und am Ende ein frustrierter Architekt: die neue Gärtner-Unterkunft im Wiener Stadtpark. Anatomie eines Debakels.

Man sollte meinen, dass ein kleiner Nutzbau kein Anlass für viele Worte ist. Im Fall der Gärtner-(innen)-Unterkunft im Wiener Stadtpark ist das mitnichten so. Denn die hat nicht nur eine schillernde Vorgeschichte, die wurde im Resultat auch zu einem Debakel. Und das im Stadtpark. Einer der bedeutendsten Parkanlagen Wiens.

Christoph Mayrhofer, der Architekt, machtaus seinem Frust kein Hehl. Er hat eine tadellose Planung vorgelegt, ein ausgesprochen differenziertes Konzept. Ihm ging es vor allem darum, seine architektonische Intervention mit dem Park-Kontext zu verschmelzen, nicht den Auftritt eines Gebäudes zu inszenieren, sondern eine transparente Anlage, die sich mit der grünen Umgebung austauscht. Tatsächlich entdeckt man die Gartenpflegestation gar nicht so leicht, wenn man von der Ringseite her durch den Park schlendert. Es durfte nämlich kein Baum gefällt werden, die Anlage ist in die bestehende Bepflanzung hineinkomponiert.Umso schlimmer ist es dafür an der Wientalseite und an der Eingangsseite bei der Ungarbrücke. Wenn man vor dem Eingang steht, ist der erste Eindruck der einer Mülldeponie. Mitten im Stadtpark.

Nun kann man argumentieren, dass eine solche Anlage eine Arbeitsstätte ist, an der es um die weniger präsentablen Aspekte dieses Grünraums geht: Hier stehen die Fahrzeuge, die man braucht; Erde und Saatgut werden gelagert und natürlich auch der grüne Abfall; im speziellen Fall wird sogar wirklich der Müll aus dem Stadtpark zwischenzeitlich deponiert. Und es gibt das, was das Personal braucht: Duschen und Umkleiden, eine Küche und eine Kantine, den Objektleiter-Stützpunkt, Büros, eine Besprechungseinheit.

Christoph Mayrhofer hat das alles in zwei Gebäuden untergebracht, die zueinander versetzt sind und annähernd den Zuschnitt von Tortenstücken haben. Dadurch ergeben sich, neben dem großen Hof vor der Fahrzeughalle, auch kleiner dimensionierte Außenräume. Eingefasst sollte die freie, der Bepflanzung folgende Form der Anlage von einem unterschiedlich hohen Lamellenzaun aus Lärchenholz werden. Die Betonung liegt auf „sollte“. Denn ausgeführt wurde nicht einmal die Hälfte dieser entscheidenden architektonischen Maßnahme. Der Rest wurde durch einen unglaublich scheußlichen, verzinkten Stabilgitterzaun ersetzt, der an der Innenseite mit einem grünen Plastiknetz, wie man es von Tennisplätzen kennt, bespannt ist. Es ist einfach nicht zu glauben, dass so etwas im Wiener Stadtpark erlaubt wurde. Aber auch der Zaunteil mit den Holzlamellen spottet jeder Beschreibung – und der Planung des Architekten. Da ist die Stahlkonstruktion viel zu massiv, die Abstände zwischen den Lamellen sind zu groß, die Lamellen selbst ganz anders dimensioniert, als vom Architekten vorgegeben. Der hat natürlich am 1:1-Modell ausprobiert, damit der Zaun einerseits Sichtschutz und andererseits doch noch transparent ist.

Jetzt begreift kein Mensch, was dieses Rudiment eines Lamellenzauns überhaupt soll.Er ist furchtbar schlampig ausgeführt – viele Lamellen sind nicht einmal richtig senkrecht –, die Holzqualität ist so miserabel, dassman gar nicht glauben mag, dass es sich wirklich um Lärche handelt; und obendrein wurden die Lamellen nicht einmal sachgerecht befestigt – es wurden nämlich verzinkte Schrauben verwendet, nicht solche aus Edelstahl. Die würde es aber brauchen, weil Lärche sehr aggressive Säuren enthält. Man muss sich die Absurdität der Situation vor Augen führen: Das Wiener Stadtgartenamt hatte im Stadtpark zwei räumlich getrennte Einrichtungen. Eine, die sogenannte „Unterkunft“, steht jetzt noch; die zweite, Glashäuser und Baracken, auf dem jetzigen Standort. Das machte ein ständiges Hin und Her notwendig. Im Zuge der ersten Planung für ein Entlastungsgerinne des Wienflusses entstand auch die Idee für einen neuen Pflegestützpunkt an der Stelle der alten Glashäuser. Nun hätte die ursprüngliche Planungdes Entlastungsgerinnes einen gravierenden Kahlschlag des historischen Grünbestands im Stadtpark bedeutet, was zum Rücktritt der Umweltstadträtin geführt hat. Es gab damals ein Vergabeverfahren unter Landschaftsplanern, die sich jeweils einen Architekten als Spartenplaner wählen mussten und ein Projekt zur Neugestaltung dieses Stadtparkbereichs entwickeln sollten. Cordula Loidl-Reisch hat sich Christoph Mayrhofer ausgesucht, der auf diesem Gebiet schon Erfahrung besitzt. Er hat immerhin zwei solche Stationen – im 21. und im 11. Bezirk – errichtet und damit eine sehr positive mediale Resonanz gefunden.

Die Ausgangslage wurde schlagartig anders, als der Verlauf des Entlastungsgerinnes geändert wurde. Aber immer ging es darum, sowohl den Denkmalschutz als auch den Gestaltungsbeirat zu überzeugen.

Mayrhofer hat alle Bedenken mit seinem Projekt ausgeräumt, das Wiener Stadtgartenamt konnte genau dort bauen, wo es wollte. Erste Kuriosität: Die alte Unterkunft, die angeblich abgerissen werden sollte, steht weiter – laut Objektsleiter noch mindestens zwei Jahre. Denn man braucht ja auch anderswo neue Unterkünfte, da muss das Personal vorübergehend irgendwo untergebracht werden. Wo diese Unterkünfte entstehen sollen? Im Draschepark im 10. Bezirk, also weit weg, und im gar nicht so nahen Rathauspark. Werden sich die Gärtner wirklich im Stadtpark in ihre Arbeitskluft werfen, halb Wien durchqueren und nach getaner Arbeit dreckig zu ihren Duschen und Umkleiden im Stadtpark fahren?

Das wirklich Ärgerliche an der Angelegenheit ist: Da hat ein Architekt mit äußerst sauberen Mitteln geplant. Er hat den Standort in jeder Hinsicht gewürdigt, angemessen auf die bescheidene Nutzung reagiert – mit einfachen Sandwichpaneelen und Acrylstegplatten. Die Delikatesse liegt in der räumlichen Lösung und den Durchblicken. Aber sogar das haben sie ihm verhunzt, eine Glaswand wurde einfach durch Gipskarton ersetzt. Von seiner Einrichtungsplanung gar nicht zu reden. Die Herrschaften vom Wiener Stadtgartenamt betrachten ihre „Unterkunft“ als eine Art Privatwohnung – finanziert aus öffentlichen Geldern.

Und nun kommen wir zum ganz Ärgerlichen: Christoph Mayrhofer hat schon zwei solche Einrichtungen geplant – nicht nur als Architekt, er hat sie als Generalplaner schlüsselfertig übergeben. Dabei ist er immer auf einen Preis von unter 700 Euro pro Quadratmeter Nutzfläche gekommen. Im Stadtpark hatte die Baudurchführung die MA 34. Und da beträgt der Quadratmeterpreis ungefähr 2100 Euro, also das Dreifache. Klar ist, dass der Aufwand bei einem Bau im Stadtpark größer ist als auf der Simmeringer Haide. Aber das Dreifache?

Spectrum, So., 2009.05.10

03. April 2009Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Gut sehen, gut sitzen

Ein Objekt, das sich selbst genügt? Keineswegs, gerade weil es so viele Reflexionen über das Umfeld einschließt, schaut es so aus, wie es ausschaut: das neue Sportzentrum von Wattens.

Ein Objekt, das sich selbst genügt? Keineswegs, gerade weil es so viele Reflexionen über das Umfeld einschließt, schaut es so aus, wie es ausschaut: das neue Sportzentrum von Wattens.

Wattens ist Swarovski-Land mit allem, was dafür und dagegen spricht. Es ist der Schauplatz ei- nes – durchaus bemerkenswerten – MPreis-Supermarktes von Dominique Perrault. Und neuerdings ist es auch der Standort eines Sportzentrums von recht eindrucksvollen Ausmaßen. Johann Obermoser und Thomas Schnizer haben es geplant und dabei mustergültig vorgeführt, wie sich ein ziemlich gewaltiger Baukörper in einen Kontext integrieren lässt, der einerseits von einer kunterbunten Einfamilienhausbebauung (auf der gegenüberliegenden Straßenseite) und andererseits einem auch nicht gerade monumentalen Volksschulgebäude (dahinter) charakterisiert ist. Nicht zu vergessen – in Tirol ist das wirklich von Belang –, dass der Ausblick auf die Berge zur architektonischen Pflicht gehört. In diesem Fall ist es der „Walderkamm“.

Es ist immer so eine Sache. Ein Sportzentrum ist ein Sonderbau, und Sonderbauten dürfen sich schon manchmal aufbäumen; dieser tut es auch – aber auf eine subtilere Art. Er fällt nicht nur durch sein Volumen aus der Alltagsrolle, sondern vor allem durch seine Architektursprache und seine Materialität. Die Architekten haben konzeptuell das – im Nachhinein – einzig Mögliche, Denkbare gemacht, sie haben den Großteil des Volumens in die Erde versenkt. Dadurch liegt die Halle höhenmäßig maßstäblich im Gelände, sie erschlägt weder den architektonisch uninteressanten Volksschulbau noch die Einfamilienhäuser vis-à-vis. Allein schon diese Überlegung muss im Wettbewerb ein gewichtiges Argument gewesen sein.

Der große Dreifachturnsaal ist tief in die Erde versenkt und verfügt foyerseitig über Sitztribünen für immerhin 300 Zuschauer. Ebenfalls abgesenkt: der Aufstieg zu einer zehn Meter hohen Kletterwand, was heute offenkundig zu den Highlights unter den sportlichen Obsessionen zählt. Rührend: eine rote Linie, die augenscheinlich markieren soll, bis wohin die Schüler der angrenzenden Volksschule klettern dürfen; na, ich nehme an, sie werden sich biblisch daran halten.

Das Objekt hat sein eigenes Flair. Der lang gestreckte Baukörper wirkt zunächst flach und niedrig und trotz weit aufgerissener Belichtungsflächen irgendwie monolithisch. Aber nicht fad. Die Längsfassaden sind geneigt – dadurch entsteht der Eindruck einer gewissen Dynamik, es vermittelt fast so etwas wie Geschwindigkeit. Und es hat ein denkwürdiges Dach, dessen zweifach geknickte Ausbildung die Raumhöhen drinnen abbildet. Es hat also eine freie, keine typologisch fest geschriebene Form, bewahrt aber irgendwie, wenn auch sehr abstrahiert, die Erinnerung an ein Satteldach. Das ist ausgesprochen reizvoll.

Wenn man über den klar und deutlich artikulierten, etwas angehobenen Haupteingang, der seitlich der Hauptstraße gelegen ist, hineingeht, betritt man eine sehr große Halle, die auch etwas von einer hölzernen Schatulle an sich hat. So konsequent und rundum wurde mit dem Material umgegangen – Boden, Wand, Decke bilden eine einheitliche Haut, die nur durch die Lochung der Akustikpaneele eine leichte Akzentuierung erfährt. Dieser Hautcharakter der Eschenoberflächen hat viel mit der Verlegungsweise des Holzes zu tun. Sie reiht Riemen für Riemen aneinander, glatt, sodass niemals dieser gewisse Parkettbodencharakter entsteht.

Wie gesagt, diese Halle ist groß und daher für vielerlei Veranstaltungen geeignet. Außer zwei Sichtbetonelementen mit Lift und Nebenräumen enthält sie nichts als ein lang gestrecktes, ausgesprochen minimalisiertes Möbel, in dem all jene Gerätschaften bündig installiert sind, die man im Fall eines Empfangs oder Buffets eben braucht. Sonst ist nichts da. Nur das Licht, das sowohl von den Schmalseiten als auch den langen, schräg gestellten, großzügig aufgeschnittenen und verglasten Längsfassaden einfällt. Dieses natürliche Licht ist ein wichtiger Faktor der räumlichen Inszenierung, weil es die ohnehin komplex verschränkten Ein-, Durch- und Ausblicksmöglichkeiten im Gebäude auf der Foyerebene wunderbar dramatisiert.

Schlichtheit als architektonischer Anspruch wurde bei dieser Halle bis zum gestalterischen Abmagern ernst genommen und durchgehalten. Schwere Kost für die Bevölkerung der Umgebung? Offenbar nicht. Ich musste mir sagen lassen, dass der Bau rundum angenommen ist. Nicht nur von den kleinen Kletterern, denen die Architekten mit der roten Linie einen Schuss Freiheit zum Ungehorsam zur Verfügung stellen. Die Turnhalle selbst hat die üblichen Ausmaße einer Dreifachturnhalle, erhält Licht von seitlich-oben und ist von den foyerseitigen Tribünen hervorragend zu überblicken. In Wirklichkeit braucht es für das Funktionieren einer solchen räumlichen Verschränkung ja nicht viel, da gibt es ausreichende Erfahrungswerte. Nur: Bequem sitzen möchte man schon. Hier sitzt man auf sehr schlichten Bänken (Esche), die versetzt angeordnet sind, so dass man wirklich gut sieht – und eben auch gut sitzt.

Unterirdisch ist die Anlage mit der Volksschule dahinter verbunden. Für die stellt sie natürlich ein Angebot der Sonderklasse dar. Die Halle wird aber auch von vielen Sportvereinen intensiv genutzt. Und – wieder einmal – die Kletterwand stellt dabei mit ihren zehn Metern ein Highlight dar. Schon in Wien sind solche Einrichtungen der ultimative Erfolg, man kann sich gut vorstellen, wie es erst in Tirol, dem Land nicht nur der Skifahrer, sondern auch der Bergsteiger – zugeht, nicht selten ausgesprochen dicht.

Das Haus ist eine perfekt laufende Maschine. Die Architekten kommen ganz ohne Anbiederung an die Umgebung aus. Ergebnis: ein Objekt, das sich scheinbar selbst genügt. In Wirklichkeit aber in dieser speziellen Ausprägung zustande gekommen ist, gerade weil es so viele Reflexionen über das Umfeld einschließt und in einer verarbeiteten Übersetzung materialisiert.

Konstruktiv sollte man vielleicht anmerken, dass das Dach im Wesentlichen von 14 Stahlsäulen in Verbindung mit der Stahlbetonscheibe der Kletterwand getragen wird. Diese Säulen sind schlank, leicht schräg gestellt, durchaus elegant. Man sieht die Konstruktion also, auch ihre Aussteifung. Ich würde sagen, das gehört alles unter den Überbegriff „Wahrhaftigkeit“ einer architektonischen Lösung. Für einen Außenstehenden ist und bleibt es aber interessant, dass gerade in einem Ort wie Wattens, der einerseits durch ein zwar ambitioniertes, aber doch auch gschnasartiges Ambiente charakterisiert ist, der andererseits Bauten von Perrault vorzuweisen hat, die angestammte, ureigene Tiroler Architektur vielleicht sogar das beste Highlight geliefert hat. Man sollte im Auge behalten, dass es hier eine Fülle kreativer Kräfte gibt, die für das eigene Land sehr viel tun. Noch stehen die Zeichen nicht auf Internationalismus, obwohl – behaupte ich jetzt einmal hypothetisch – jede Menge Potenzial dafür da ist. Aber vielleicht sind die Tiroler ja gescheiter. Und wissen, dass es darauf nicht wirklich ankommt.

Spectrum, Fr., 2009.04.03



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Sporthalle Wattens

15. März 2009Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Rainers rigoroser Raster

Eine Ikone der Spätmoderne: Roland Rainers Universitäts-bau in Klagenfurt. Jetzt wurde er saniert und rückgebaut, sensibel und einfallsreich. Und kräftig entrümpelt.

Eine Ikone der Spätmoderne: Roland Rainers Universitäts-bau in Klagenfurt. Jetzt wurde er saniert und rückgebaut, sensibel und einfallsreich. Und kräftig entrümpelt.

Das Vorstufengebäude der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt ist nicht das erste und sicher nicht das letzte Haus einer inzwischen schon klassisch gewordenen Nachkriegsmoderne in Österreich, das zum Sanierungsfall wurde. Es stammt aus den Jahren 1970/71 und ist ein wunderbares Beispiel für das industrielle, auf einem strengen Rastersystem basierende Bauen jener Jahre. Die Logik der Konstruktion und Organisation beeindrucken auch heute noch. Und die Art, wie Roland Rainer sein eingeschoßiges, flaches Haus ins Gelände und um das Herzstück eines großen Innenhofes komponierte – ein Motiv, das sich durch viele Arbeiten Rainers zieht, auch als wesentliches Element seiner Wohnanlagen –, machen den Austausch zwischen Innen- und Außenraum zu einem wirklichen Erlebnis.

Aber wie so oft in der scheinbar immer kürzer werdenden Geschichte solcher Häuser hat es ein wechselvolles Schicksal hinter sich. Das Klagenfurter Büro frediani + gasserarchitettura, das die Sanierung, den Rückbau und die teilweise Neuorganisation dieser – vor allem für Kärnten sehr wichtigen, weil fast einzigartigen – Ikone der Spätmoderne übernommen hat, stand vor keiner leichten Aufgabe. Wobei die Hauptschwierigkeiten vielleicht gar nicht darin lagen, etwa ein unsägliches Satteldach über dem Eingangsgebäude oder einen noch unsäglicheren Porphyrboden wieder zu entfernen, die die Material- und Formensprache Rainers pervertierten. Oder die Eichenholzzargen, die inzwischen Rainers einfache Stahlzargen ersetzt hatten, zu beseitigen.

Die grundlegende Schwierigkeit liegt in der Sanierung solcher Konstruktionen. Wie soll man heutige thermische Ansprüche erfüllen, wenn der Dachaufbau so dünn ist, dass man kaum weiß, wohin mit der Wärmedämmung? Oder wenn der Bodenaufbau einen Spielraum von acht bis zehn Zentimetern bietet? Auch war die statische Konstruktion so minimalisiert, dass sie den heutigen Vorgaben bei Weitem nicht entsprochen hat. Denn in einer Krisensituation – etwa einem leichten Erdbeben – hätte es bei so gering dimensionierten Auflageflächen zu ernsthaften statischen Problemen kommen können. Da mussten die Architekten schon mit großem Einfallsreichtum und viel Sensibilität vorgehen. – Es gibt eine aufschlussreiche Fotodokumentation, teilweise mit Originalfotos von Roland Rainer, die den ursprünglichen Zustand des Hauses von 2004 zeigt, als Frediani und Gasser die Aufgabe übernommen haben – und das jetzige Resultat. Von außen am auffallendsten: Der Baukörper schien über dem Gelände zu schweben. Diesen Effekt hat Rainer erzielt, weil er das Kellergeschoß, in dem eine Tiefgarage war, zwar natürlich belichtet hat, das schmale, dunkle Fensterband aber wie eine Schattenfuge gewirkt hat. Nun hat sich die Funktion dieses Kellergeschoßes aber geändert – heute ist dort ein Bücherspeicher. Also wurden auch die Fenster geändert – und damit stand das Haus plötzlich fest auf der Erde. Das konnte natürlich nicht mehr rückgebaut werden – heute ist das Gelände geringfügig angeböscht und in einigem Abstand durch eine niedrige Stützmauer gesichert, die Fenster sind mit dunkler Folie beklebt. Dadurch ist der ursprüngliche Effekt zumindest von Weitem wieder hergestellt.

Im Inneren haben die Architekten alles rigoros ausgeräumt, was den Rainerschen Materialpurismus vernichtet hat. Beim Marmorboden angefangen, bis zu den abgehängten Decken, die in den Gängen sehr störend gewesen sein müssen. Außerdem haben sie den Licht- und Leitungskanal an die Seite verlegt. Dadurch wird nicht nur die alte Konstruktion – samt ihrer feinfühlig umgesetzten „Verstärkung“ – sichtbar, sondern die Raumhöhe ist größer. Und das spielt bei den Verkehrsflächen eine erhebliche Rolle.

Bestimmte Materialwahrheiten konnten natürlich nicht rekonstruiert werden. Sichtbeton, der einmal zugekleistert wurde, ist nicht wieder herstellbar. Aber das Hellgelb des zwischenzeitlichen Anstrichs ist wenigstens verschwunden, ersetzt durch ein dezentes Grau, das die Poren des Betons spürbar macht. Und das wunderbare Ziegelmauerwerk aus Sichtbetonsteinen wirkt wie neu. Leider scheinen in diesem Haus unzählige Anschlagstafeln notwendig zu sein. Aber da haben sich die Architekten die schlichteste – und eleganteste – Lösung einfallen lassen, die ich seit Langem gesehen habe: rahmenlose Glastafeln, mit vier Schrauben befestigt, fast unsichtbar. Da pickt dann zwar irgendetwas darauf, aber das Ziegelmauerwerk ist eindeutig stärker, es zieht sich und setzt sich als Fläche glücklicherweise durch.

Rainer hat sein Haus unheimlich rigoros konzipiert. Es gibt den Acht-Meter-Raster miteingehängten Betonfertigteilen und einem raffinierten, fein gegliederten Fensterband – oben offen für die Aussicht, unten Schiebefenster, die sich im Hinblick auf die heutigenComputer-Arbeitsplätze verschatten lassen. Diesem Raster hat er auch alle Bürogrößen untergeordnet. Acht Meter breite Büros! Da sind wir in einer Zeit, als man sich über die Qualität von Arbeitsräumen und Arbeitsbedingungen noch Gedanken gemacht hat. Man muss sich vor Augen halten, dass Rainers Haus das erste Gebäude des inzwischen angewachsenen Universitätskomplexes von Klagenfurt gewesen ist. Als Hochschul-Institution ist diese Kärntner Ausbildungsstätte nach wie vor von nachrangiger Bedeutung. Und alles, was nach Rainer gebaut wurde, scheint das geradezu beweisen zu wollen. Da reiht sich eine architektonische Banalität an die nächste. Was einmal freies Feld war, auch in der weiteren Umgebung, ist und wird zugebaut. Und zwar mit schandbaren architektonischen Tatbeständen.

In diesem Umfeld ist Rainers Haus ein Hochkaräter. Und fabiani + gasser architettura haben diesem Edelstein wieder zum Glänzen verholfen. Wer das inmitten der Trivialität der Umgebung nicht sieht, den kann man eigentlich nur bedauern.

Spectrum, So., 2009.03.15

11. Januar 2009Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Alt an Neu, dicht an dicht

Innsbruck ist, wieder einmal, eine Architektur-Reise wert: Das Landhaus wurde erweitert, die Hypo-Bank-Zentrale neu gebaut. Ein großartiges Ensemble – mit dem schönsten Glas-Trennwand-System der Welt.

Innsbruck ist, wieder einmal, eine Architektur-Reise wert: Das Landhaus wurde erweitert, die Hypo-Bank-Zentrale neu gebaut. Ein großartiges Ensemble – mit dem schönsten Glas-Trennwand-System der Welt.

Innsbruck, man muss es wirklich sagen, ist eine Architekturreise wert. Schon länger, aber immer mehr. Und die internationalen Namen – Perrault, Hadid, bald auch Chipperfield – fungieren bestenfalls als Schaumkrönchen im konstanten Rhythmus der Wellen, die die eigenen, einheimischen Architekten produzieren.

So lohnt sich neuerdings etwa ein Blick darauf, was im Landhauskomplex entstanden ist. Der war bisher vor allem durch den denkmalgeschützten Altbestand geprägt, das hat sich mit dem Neubau der Hypo-Bank-Zentrale und einer Erweiterung des Landhauses an der Hofseite wirkungsvoll geändert. Diese sehr urbanen und signifikanten Interventionen von Schlögl & Süß Architekten, beim Landhaus in Zusammenarbeit mit Johann Obermoser, stellen in mehrfacher Hinsicht einen Gewinn dar. Für die Nutzer sowieso, weil sie eine funktionelle Verbesserung der Arbeitssituation und des Kundenverkehrs bedeuten. Vor allem tragen sie aber zur städtebaulichen Klärung und Aufwertung im öffentlichen Raum bei.

Das wirkt sich einerseits auf den Bozener Platz aus, dessen (gerundete) Ecke jetzt sehr markant definiert ist. Man möchte hoffen, dass dieser Neubau vielleicht auch zur Initialzündung für eine gestalterische Bearbeitung des gesamten Platzes wird, der ein wichtiger Raum in der Innsbrucker Innenstadt, aber nicht sehr attraktiv ist. Und es wirkt sich andererseits auf den öffentlich zugänglichen Innenhofbereich hinter Hypo undLandhaus aus. Der war vorher nämlich nichtsehenswert, sondern durch ein Stöckelgebäude verstellt, dessen Substanz so schlecht war, dass man es nur abreißen konnte.

Hanno Schlögl und Daniel Süß haben zusammen mit Johann Obermoser unter diesen – stark vom Denkmalschutz bestimmten – Rahmenbedingungen ein ausgesprochen spannendes Konzept für das Landhaus entwickelt. Da kommt es zwischen Alt und Neu zu Momenten, wo es dicht an dicht zugeht, als Kontrapunkt zur ungemein großzügigen Hoffläche stellt das aber einen ganz eigenen Reiz dar. Natürlich tritt die Hypo-Zentrale, da sie die Ecke eines prominenten Innsbrucker Platzes definiert, mit größerer öffentlicher Wirksamkeit auf, als es die betont geometrisch gerasterte Stahl-Glas-Fassade des Landhaus-Neubaus im Hof tut. Man könnte auch sagen, das „Gefieder“ der Beschattungslamellen plustert sich ein wenig auf, aber das ist hier keineswegs von Nachteil.

Und aus Wien kommend, fällt einem auf Anhieb etwas Zweites auf: Das Gebäude ist ein naher Verwandter von „K 47“, dem Haus, das Henke/Schreieck am Donaukanal gebaut haben. Damit soll keinerlei Unterstellung angedeutet werden, Schlögl & Süß Architekten sind viel zu profiliert, um Anleihen zu nehmen. Aber es ist nicht uninteressant, dass ähnliche architektonische Lösungen zustande kommen können, wenn die Randbedingungen im Vorfeld der Konzeptentwicklung annähernd gleich sind.

In Innsbruck stand an dieser Ecke die alte Hypo-Zentrale. Ein Gründerzeitbau, der infolge eines Bombenschadens mehrfach umgebaut wurde – zuletzt von Horst Parsson. Es war keineswegs ein schlechtes Haus. Es hatte nur einen Nachteil: Es war nicht behindertengerecht. Und dieser Nachteil konnte nicht korrigiert werden, weil der sehr massive Tresorraum, auf dem das Haus teilweise stand, über das Erdgeschoßniveau hinausragte. Um einzutreten, musste man mehrere Stufen überwinden.

Also Abbruch und Neubau. Und Neubau unter den heutigen Voraussetzungen, das heißt dem enormen Wert des Grundstücks musste durch eine maximale Ausnutzung Rechnung getragen werden. Und das führte zur jetzigen Figur des Gebäudes: mit einer transparenten Sockelzone, vier Regelgeschoßen und einer Dachlandschaft, die auf Grund der Bauvorschriften zurückrücken musste, aber immerhin noch einen penthouseartigen Aufbau gestattete.

Diese Dachfigur ist nicht nur ein formales Plus. Es beherbergt ein richtiges Restaurant für die Mitarbeiter, mit ausladender Terrasse. Das Penthouse darüber mit Konferenzraum und drei Büros für die Vorstände kragt vier Meter aus und überdacht damit einen (beheizbaren) Teil der Terrasse. Ein Reservat für Raucher. Den Architekten sei es gedankt.

Unten haben die Architekten einen geradezu luftigen Bereich geschaffen, der für den täglichen Kundenstrom einen qualitativen Mehrwert bedeutet. Da sind nicht nur die Nachtautomaten räumlich so positioniert, dass man nicht alle Zustände bekommt, weil es so muffig und grausig zugeht wie in vielen Bankfilialen in Wien; da gibt es eine Art Marktplatz, wo im zweigeschoßigen Raum auch etwas stattfinden kann, das nichts mit der Bank zu tun hat. Und vor allem gibt es ein Café, sehr elegant und zu jeder Zeit öffentlich zugänglich.

Auf einer theoretischen Ebene ist es noch gar nicht aufgearbeitet, trotzdem ist es eine Tatsache, dass sich Banken typologisch in den letzten zehn oder 15 Jahren entscheidend verändert haben. Das gibt es alles nur noch im „Altbestand“, die Kassen, die Theken, an denen besprochen oder beraten wird. Ich war in einer architektonisch sehr gelungenen, kleinen Filiale der Hypo-Bank, die von Mario Ramoni im Namen von Riccione Architekten ganz und gar umgebaut wurde. Da geht es nur noch um den Automatenbereich – und um diskrete Beratungsräume. Das ist heute eine Bank.

Nicht anders bei der Hypo-Zentrale. Die Regelgeschoße beinhalten ausschließlich jeweils einen kleinen Empfangsbereich, Beratungszellen und kleinere Großraumbüros, in denen die Mitarbeiter auch einmal zusammenkommen können. Den Architekten ist beim Innenausbau allerdings etwas Grandioses gelungen: Sie haben ein völlig flexibles Glas-Trennwand-System verwendet, bei dem alles bündig in einer Fläche sitzt, auch die Türen – rahmenlos –, es gibt auf der ganzen Welt kein schöneres, eleganteres System. Ein Prototyp, speziell für dieses Haus entwickelt. Aber das Drama folgt auf dem Fuß: Genau die Bank, die dieses System eingesetzt hat, hat den Entwickler in den Bankrott geführt. Er kann nicht mehr weitermachen.

Es ist ein großartiges Ensemble, das Hanno Schlögl, Daniel Süß und Johann Obermoser im Landhauskomplex realisiert haben. Der Altbestand wurde mit enormem Aufwand – er war in sehr schlechter Verfassung – instand gesetzt. Sicher lag der Gedanke nahe, das alles einfach abzureißen. Es wäre ein Fehler gewesen. Die jetzige Intervention bringt unheimlich viel. Genauso muss es sein, wenn Architekten heute in die historische Substanz eingreifen. Etwas Besseres kann man nicht sagen.

Spectrum, So., 2009.01.11



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Hypo Tirol Bank – Zentrale
Landhaus 1

29. November 2008Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Der Müll und die Sonne

Außen: Drive und Dynamik in Orange. Innen: wohltuend schlichte Noblesse – und reine, pure Technik. Die neue Müllverbrennungsanlage in Wien-Simmering.

Außen: Drive und Dynamik in Orange. Innen: wohltuend schlichte Noblesse – und reine, pure Technik. Die neue Müllverbrennungsanlage in Wien-Simmering.

Es wollen einem keine überzeugenden Metaphern einfallen, wenn man die neue – dritte – Wiener Müllverbrennungsanlage in der Pfaffenau betrachtet. Nicht einmal das Bild eines riesigen gestrandeten Roboterwals, den seine Konstrukteure allen widrigen Umständen zum Trotz in fröhliches Orange getaucht haben, trifft wirklich zu. Denn diese Großform lastet zwar mächtig auf dem Boden und krallt sich mit zwei weit (80 Meter) ausgreifenden Fühlern im Gelände fest. Aber sie hat auch eine unleugbare Dynamik.

Das Objekt ist das Ergebnis eines EU-weit ausgeschriebenen Wettbewerbs von 2003. Aus den 33 Beiträgen ging damals das Projekt der Architekten Veselinovic und Resetarits, in der zweiten Stufe in Zusammenarbeit mit dem renommierten Statikerbüro Gmeiner-Haferl, als Sieger hervor. Die Jury hat sich damit eindeutig gegen die alternative Lösung einer Zergliederung der Anlage in einzelne, deutlich ablesbare, funktionell definierte Baukörper entschieden. Der Vorzug wurde einer visuell beruhigten Großform gegeben.

Und das war eine durchaus weise Entscheidung. Denn wir befinden uns an einem der peripheren „Unorte“ von Wien, am Rand von Simmering. Zwar ist der Donaukanal in Sichtweite und die angrenzende, wunderbare Au. Aber stadtseitig besteht die unmittelbare Umgebung aus einem ziemlich unwirtlichen Konglomerat aus Industrieanlagen sowie der großen Kläranlage Wiens und einer gewaltigen Verbrennungsanlage für Sondermüll, gleich gegenüber. Und diese Einrichtungen, die alle beeindruckend groß sind, geben natürlich einen bestimmten Maßstab vor. Dem entspricht die durchaus gegliederte, aber doch auch vereinheitlichte Großform mit Sicherheit am besten.

Ein paar statistische Angaben, um der Vorstellung auf die Sprünge zu helfen: Die Anlage hat eine Länge von 285 Metern, eine Breite von 100 Metern und eine maximale Höhe von 52 Metern – damit fällt sie schon unter die Wiener Definition von Hochhaus. Sie besteht aus zwei unterschiedlichen Einrichtungen – der Restmüllverwertung zu Fernwärme und Strom und einer Biogasanlage, in der organische Abfälle verwertet werden.

Klar ist, dass der Architektur bei einer solchen Einrichtung nur eine nachrangige Rolle zukommt. Das Sagen haben die Anlagenbauer, die von vornherein festlegen, in welcher Dimension und Abfolge die unterschiedlichen Funktionen organisiert sein müssen. Daran ist einfach nicht zu rütteln. Veselinovic und Resetarits hatten aber trotzdem Möglichkeiten, eigene Vorstellungen zu entwickeln und zu realisieren. Und die gehen über die – allerdings wirklich signifikante – orangefarbene Streckmetall-Gitterhaut, mit der weite Teile dieses Anlagenbaus überzogen sind, entschieden hinaus. Vergessen wir nicht: Trotz aller Industrialisierung arbeiten hier immer noch Menschen – und die brauchen Räume, nicht nur Anlagentechnologie. Außerdem ist überraschenderweise auch die Frage der Besucher ein eigener – architektonischer – Punkt. Schulklassen kommen sowieso. Sie können hier sehr anschaulich erleben, was Großstadtmüll eigentlich bedeutet und auf welchem Stand wir bei seiner Verwertung sind. Es kommen aber auch andere Gäste, sogar ausländische Delegationen, die womöglich selbst eine solche Anlage planen.

Da war dann nicht nur die großzügige Geste der Ummantelung, da war schon architektonische Feinarbeit vonnöten: eine angemessene Empfangsgeste für die Besucher von außen, ein „interessanter“ Weg hinüber ins Betriebszentrum. Es ging um räumliche Qualitäten, um Transparenz, Atmosphäre. Das ist hervorragend gelungen. In diesem Gebäudeteil herrscht sowohl räumlich als auch in der Materialqualität eine wohltuend schlichte Noblesse. Drinnen.

Nach außen ist dieses personenbezogene Szenario schon recht sichtbar in Szene gesetzt: etwa durch stromlinienförmige Fensterbänder, denen ein spezifischer Drive nicht abzusprechen ist. Auch durch die – ebenfalls orangefarben getönte – Glasfassade im straßenseitigen Besucher- und Personalbereich. Übrigens wird drinnen dadurch ein ausgesprochen freundlicher Effekt erzielt – irgendwie scheint hier ständig die Sonne aufzugehen. Trotzdem gibt es klare Sichtschneisen nach draußen. Wer ständig hier arbeitet, den würde es vermutlich arg nerven, wenn er seine Umgebung nur mehr orange wahrnehmen könnte.

Wie gesagt, die Anlage ist mit einer orangefarbenen Streckmetall-Haut überzogen. Stadtseitig ganz konsequent, Richtung Au etwas modifizierter – und teilweise begrünt. Das war vermutlich die Königsidee, auch im Wettbewerb, mit der Corporate-Identity-Farbe der Wiener Müllbetriebe zu arbeiten. In Paris ist die CI-Farbe der Müllentsorgung grün. Dort hat jeder (grün gekleidete) Straßenkehrer sogar ein Beserl, bei dem selbst die Borsten grün eingefärbt sind.

Wenn es nicht so banal wäre, dann müsste man – in Bezug auf die architektonischen Qualitäten – die neue Müllverbrennung von Veselinovic und Resetarits als das ultimative Gegenstatement zum Hundertwasser-Fernheizwerk betrachten. Hier ein verkitschter Neobarock, dort ein ernsthafter, ein seriöser und vor allem zeitgemäßer Ansatz.

Wenige, industrielle Materialien, alles andere wäre völlig fehl am Platz: Streckmetall, Glas, Alucobond-Paneele, Eternit. Bemerkenswert ist die Rautengröße des Streckmetalls – 24 Zentimeter. Das ist völlig unüblich und musste erst auf seine Eigenschaften – etwa die Steifigkeit – getestet werden. Und das Merkwürdige daran: Man nimmt diese Rautengröße überhaupt nicht wahr. Durch die Größe der Flächen verkleinert sich das Rautenmuster optisch von selbst. Wäre es noch kleiner, wäre es mit Sicherheit zu dicht.

Auf mich üben technische Anlagen in einergewissen Größenordnung immer eine starkeFaszination aus. Denn sie haben ihre eigenen Ordnungsprinzipien, ihre eigene Ästhetik. Beim Rundgang trifft man auf Standorte, da blickt man einfach 40 oder mehr Meter in die Tiefe und sieht Etage für Etage reine, pure Technik. Das ist sehr beeindruckend.

Aber das allerstärkste Bild vermittelt der Müllbunker, die erste Station im komplexen Procedere der Verarbeitung unseres Abfalls. Er ist so groß wie das Hauptschiff des Stephansdoms. Hier kippen die Müllfahrzeuge Tag für Tag durch zwölf Schleusen unseren Restmüll hinein. Der wird dann über zwei Kranbahnen sorgfältig, geradezu liebevoll durchmischt, bevor er zur nächsten Station weitertransportiert wird. Ein unvergesslicher Eindruck, diese tägliche Müllmenge zu sehen. Ein Tatort. Und die ideale Filmkulisse für einen solchen.

Spectrum, Sa., 2008.11.29



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MVA Pfaffenau

19. Oktober 2008Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Drei Finger im Grünraum

Rundum Offenheit, Aufgeschlossenheit, Freundlichkeit: Die erneuerte Wiener Arbeiterkammer wird eröffnet. Ein sympathisch unhierarchischer Bau.

Rundum Offenheit, Aufgeschlossenheit, Freundlichkeit: Die erneuerte Wiener Arbeiterkammer wird eröffnet. Ein sympathisch unhierarchischer Bau.

In ein paar Tagen ist es so weit: Die rundum sanierte, erneuerte, erweiterte Arbeiterkammer Wien in der Prinz-Eugen-Straße wird eröffnet. NMPB Architekten – das sind Manfred Nehrer, Herbert Pohl und Sasa Bradic – haben die sehr komplexe und umfangreiche Aufgabe nach einem Wettbewerb 2003/04 nicht nur in erstaunlich kurzer Zeit, sondern auch bravourös bewältigt. Wenn man das Haus jetzt betritt, taucht man in eine Atmosphäre ein, die wirklich so etwas wie Offenheit, Aufgeschlossenheit, Freundlichkeit suggeriert.

Dabei muss man dem alten Haus von Franz Mörth allen Respekt zollen. Es ist ein Zeugnis der Fünfzigerjahre, keine „große“ Architektur, aber sehr anständig und ambitioniert. Andererseits: Für die Arbeiterkammer selbst war es sicher ein Problem. Für einen Mitarbeiterstab von heute 430 Menschen war es viel zu klein, und vor allem war es für den Kundenstrom, der hier Beratung sucht, nicht mehr geeignet.

In einer Kürzestversion könnte man die Aufgabenstellung folgendermaßen beschreiben: Der Altbau musste dringend saniert und auf einen Standard gebracht werden, der heutigen bauphysikalischen (Wärmedämmung!) Kriterien entspricht; es ging – auch aus sicherheitstechnischen Gründen – um eine Entflechtung von Kundenverkehr und hausinternen Wegen; es ging um kundenfreundliche Beratungszonen, viel mehr Büros, einen ziemlich großen Konferenzsaal, der für alle Vertreter der Arbeiterkammern bundesweit Platz bietet, kleinere Konferenzsäle. Die Bibliothek – immerhin die größte sozialrechtswissenschaftliche des Landes – brauchte eine adäquate Bleibe (einschließlich einem Bücherspeicher auf fünf Ebenen in der Tiefe); und infrastrukturell musste man auch etwas tun – 430 Menschen brauchen eine entsprechend dimensionierte Kantine, auch eine Cafeteria.

NMPB Architekten haben den Altbau saniert, das heißt unter anderem: außen Wärmedämmung aufgebracht – unter größtmöglicher Rücksichtnahme auf die alten, filigranen Fensterprofile –, und innen umgebaut. Die denkmalgeschützten Lifte wurden erhalten, auch zwei Reliefs, die es gab, blieben zitathaft bestehen (und an einer Stelle sogar die alten Fenster). Sie haben Richtung Park, hinter dem Haus, einen Neubau, das sogenannte „Regal“, in drei Meter Entfernung darangestellt und greifen zu ebener Erde mit drei rundum verglasten „Fingern“ in den Grünraum hinaus. Diese drei Pavillons dienen der Kundenberatung. Ein Seitentrakt des Bestandes wurde zusätzlich – sehr schlicht, aber nicht banal – aufgestockt.

Man kommt also hinein, hat rechterhand ein erstes Empfangspult mit Portier, aber das braucht man in Wahrheit gar nicht. Etwas weiter in der Tiefe sticht einem schon die Aufschrift „Information“ ins Auge. Und die Sicherheitsschranken, die den internen Verkehr, den Weg zu den Liften abschotten, nimmt man kaum wahr. Diese Empfangs- und Wartehalle ist großartig. Acht V-Stützen aus dem perfektesten Sichtbeton, den ich seit Langem gesehen habe, prägen den Raumeindruck.

Von dieser Halle geht es in die drei Beratungspavillons an der Parkseite, aber auch in die Bibliothek. Speziell bei den Pavillons ist den Architekten wirklich etwas gelungen: Sie haben die gläserne Transparenz dieser Baukörper – die ja, genau genommen, der Diskretion einer solchen Beratungssituation zuwiderläuft – in den Griff bekommen. Die Verglasung ist farbig bedruckt. Und den Entwurf hat die Künstlerin Ayse Erkmen geliefert. Das ist sehr reizvoll. Man hat den Ausblick, aber man sieht sich nicht gegenseitig hinein.

Diese drei Pavillons, die übrigens auch ein „gestaltetes“ und extern begrüntes Flachdach (Anna Detzlhofer) haben, waren fast so etwas wie die Königsidee im Wettbewerb. Fast – denn der im Abstand von drei Metern vorgesetzte Zubau war einfach das beste Konzept, um den wunderschönen Park so wenig wie möglich zu beeinträchtigen. Außerdem schafft die über alle Geschoße durchgehende, schmale Halle zwischen den Baukörpern eine spannende räumliche Situation.

Etwas Besonderes ist die Glashaut der zweischaligen Fassade des „Regals“ Richtung Park. Sie ist im obersten Bereich plastisch ausgebildet – sie wuchtet leicht nach vorn und hat einen Knick –, aber nicht aus formaler Willkür. Da bildet sich einfach der große Sitzungssaal ab, der den genormten Rahmen der darunter liegenden Bürogeschoße sprengt. Was für ein Glück, dass sich diese funktionelle Gegebenheit sichtbar ausdrückt. So kommt Dynamik in die Außenhaut.

Im Wettbewerb hatten NMPB Architekten Großraumbüros vorgeschlagen. Die Mitarbeiter wollten jedoch Einzelbüros – und jedes mit Aussicht. Darauf haben die Architekten mit maßvollen Arbeitszellen reagiert und mit sehr breiten Gängen, in denen sich die verschiedenen gemeinschaftlich genutzten Einrichtungen befinden. Dieses Prinzip wurde sogar im Bestand durchgezogen: Auch dort sind die Gänge jetzt breiter und bestimmte Funktionen in die Mittelzone ausgelagert. Diese Lösung ist nicht nur praktikabel, sie ist außerdem auch kommunikativ. Sie lässt einen vergessen, dass es sich letztlich um einen Erschließungsgang handelt.

Zu diesem wohltuenden Raumgefühl trägt allerdings auch die Materialisierung entscheidend bei. Für manche Mitarbeiter mag der großzügige Einsatz von Glas gewöhnungsbedürftig sein – man sieht in die Büros hinein. Aber dadurch entsteht natürlich eine völlig andere, sehr offene, aufgeschlossene Atmosphäre.

Früher konnte man der Arbeit von Nehrer & Medek attestieren, dass sie im Bereich der funktionellen Konzepte ausgezeichnete Arbeit leisten, während die formalen Lösungen manchmal ein wenig brav waren. Jetzt, im Zeichen von NMPB Architekten, hat man den Eindruck, dass die Bauten auch in formaler Hinsicht immer interessanter werden. Es gibt eine Stringenz im Materialkonzept, in der Möblierung, die man so nicht oft antrifft. Kein unnötiges Detail, wenige Materialien, eine moderne, aber klassische Möblierung und Beleuchtung, es ist eine Wohltat.

Das muss ein Bauherr aber wollen, und er muss auch bereit sein, einen so hohen Standard zu finanzieren. Aber wer soll denn Maßstäbe in Bezug auf die Qualität von Arbeitsplätzen setzen – wenn nicht die Arbeiterkammer? Und eines muss man ausdrücklich festhalten: Es ist ein sympathisch unhierarchisches Haus. In der Direktionsetage geht es hinsichtlich des Ausstattungslevels nicht viel anders zu als in den übrigen Büros.

Auch bei kritischer Besichtigung muss man der Arbeiterkammer rundum gratulieren. Sie präsentiert sich durch diese Architektur einfach ganz anders. Architektur ist eben doch ein imageprägender Faktor. Und hier kommt noch dazu, dass es ein explizites Engagement für Kunst, auch für die „angewandte“ Kunst gegeben hat.

Walter Bohatsch hat beim Leitsystem großartige Arbeit geleistet. Ich kenne nichts Besseres. Auch andere Beiträge – etwa von Ingeborg Kumpfmüller oder die „Tapete“ im Beratungszentrum von Thomas Bayrle – bewegen sich auf höchstem Niveau.

Doch es gibt eine bittere Pille. Und die ist eine langfristige Katastrophe. Sie betrifft den neuen Vorplatz der Arbeiterkammer von „feld72“. Ich dachte immer, die Platzgestaltung am Ende der Wollzeile in Wien sei an Scheußlichkeit durch nichts zu übertreffen. Da habe ich mich aber ordentlich getäuscht. Eine solche Stufenwüste auf kleinstem Raum – bergauf, bergab bis hinunter ins Loch – habe ich noch nie gesehen. Das war einmal ein schlichter Vorplatz! Hatten denn die Juroren keine Augen im Kopf?

Spectrum, So., 2008.10.19



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Arbeiterkammer Wien - Umbau und Erweiterung

20. September 2008Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Telegenes Geflimmer

Die Euphoriewellen der Eröffnungstage sind abgeebbt. Und was bleibt von der diesjährigen Architekturbiennale in Venedig? Eine Ernüchterung.

Die Euphoriewellen der Eröffnungstage sind abgeebbt. Und was bleibt von der diesjährigen Architekturbiennale in Venedig? Eine Ernüchterung.

Venedig bei schlechtem Wetter: kalt,windig, Blitz und Donner, und Regen, Regen, Regen. Der Wettergott war wohl nicht einverstanden mit Aaron Betskys Biennale-Motto: „Out there. Architecture beyond Building“. Man kann es ihm auch nicht verübeln, dem Wettergott, denn so eine Kirmes an Pseudo-Kunst, Pseudo-Wissenschaft, Pseudo-Konzepten und Pseudo-Architektur hat es selten auf einem Fleck gegeben. Ist denn an Architektur nur interessant und wichtig, was weit vor dem Bauen abläuft? Das Denken, das Ausdenken, das Konzipieren? Und ist es irrelevant, dass, ob, wie und in welchem Kontext etwas tatsächlich gebaut wird? Wird die Präzision des architektonischen Konzepts durch das Bauen aufgeweicht, wird es belanglos?

And the Winner is: Greg Lynn, der Plastikspielzeug zu irgendwelchen Gebilden verdichtet, die dann als Primitivmöbel recycelt sind. Einfach schauerlich. Ist das Architektur? Was soll man von einer solchen Banalität halten? Witzig ist sie nicht. Ist sie zynisch? Dann wird sie allerdings zum Schwanengesang auf etwas, das wir einmal Kultur genannt haben.

And the Winner is: Hotel Polonia. Das war wenigstens eine Jury-Entscheidung, die eine intelligente Pointe honoriert. Riesengebäude, etwa ein Flughafen, ein Konsumtempel, eine Bibliothek, die es tatsächlich gibt, und dann die Vision, was möglicherweise in 40 oder 50 Jahren damit geschehen sein könnte. Tierherden weiden drinnen, Müllhalden türmen sich zu Gebirgslandschaften auf. Es wuchert – wie in den Szenarien mancher Science-Fiction-Filme à la „Blade Runner“.

Neu ist dieses Szenario also nicht. Aber im polnischen Pavillon wurde es wenigstens auf den Punkt gebracht – eine gekonnte Bewältigung der Aufgabe „Ausstellung“. Andeutungsweise eine Hotel-Inszenierung, brillante Fotos und Fotomontagen. Zwei Doppelbetten im Ausstellungsraum. Brecht hat schon gewusst, wovon er redet: Denn wie man sich bettet, so liegt man... Wenn es nach dieser Architektur-Biennale geht, dann liegen wir ganz schlecht. Dann sind der Saft, die Kraft einfach draußen aus der Architektur. Dann ist zwar alles möglich, aber alles austauschbar, beliebig, unverbindlich.

Ein kurzer Exkurs zur Struktur dieses Mega-Architektur-Events: Es gibt, wie immer, die nationalen Beiträge in den Pavillons auf den Giardini und eine recht verwinkelte Ausstellung im zentralen italienischen Pavillon. Da haben die „Experimentellen“ einen besonderen Stellenwert. Und dann gibt es im Arsenale einen gewaltigen Architektur-Auftritt der „Masters“ und solcher, die es noch werden wollen oder sollen. Daneben, über die Stadt verstreut, zusätzliche Präsentationen – Luxemburg und Irland zum Beispiel, die alle keinen Länderpavillon auf den Giardini haben; Ausstellungen – etwa über den Wiener Wohnbau der letzten Jahre oder die steirische Architektur, aber die sind etwas abgelegen, und man braucht Zeit, um sie alle anschauen zu können.

Womit wir beim österreichischen Auftritt sind: Bettina Götz hat Josef Lackner und das Team Pauhof ausgewählt, ein drittes Element besteht aus Interviews österreichischer Architekten zum Thema Wohnbau.

Der Beitrag ist so schlecht nicht. Immerhin ist Lackner konzeptuell an seine Aufgaben herangegangen; was auch für Pauhof gilt, die meistens sogar die Aufgabe selbst in Frage stellen. Andererseits: Wer Lackner nicht kennt – und das trifft sicher auf die Mehrzahl der Biennale-Besucher zu –, der wird sich schwer tun, seine Arbeit in der aktuellen Situation zu verorten. Außerdem war Lackner nie so elegant, so glatt, wie er hier gezeigt wird. Irgendwie bleibt die Authentizität auf der Strecke. Und Pauhof sind Randfiguren der österreichischen Szene, sie haben keine besondere Strahlkraft entwickelt und in der hiesigen Szene nichts bewirkt. In der Hauptsache sind es relativ alte Projekte, die präsentiert werden; aber so, dass kein Mensch, der die Arbeiten nicht ohnehin kennt, wissen kann, was er da sieht.

Die Wohnbau-Interviews mit sieben österreichischen Architekten sind ebenfalls „gegen den Strich“ angelegt, da kommen zum Teil Leute zu Wort, die nie Wohnbau gemacht haben. Als könnte man diejenigen, die sich ernsthaft und typologisch mit Wohnbau befasst haben, einfach ignorieren, weil ihre Arbeit bedeutungslos ist. Dass sie es nicht ist, dass wir die besten Wohnbauer weit und breit haben, lässt sich auf den Giardini aber ganz unmittelbar überprüfen. Auch die Briten zeigen Wohnbau – fünf Architekten, die sowohl in England als auch im Ausland als Wohnbauer tätig sind. Denen müsste man eigentlich eine Exkursion durch Österreich empfehlen.

Im Übrigen spielt sich der erfreulichere Teil der Ausstellungsbeiträge diesmal in den Länderpavillons ab. Die Spanier zum Beispiel präsentieren wirklich die Architektur ihres Landes in einer überzeugenden Auswahl. Was für eine Wohltat! Von den Franzosen kann man das nicht im gleichen Maß sagen. Auch hier gibt es zwar einen Massenauftritt mit unzähligen Projekten sehr unterschiedlicher Qualität, dabei wahnsinnig kostspielig präsentiert. Mir kommt aber vor, dass sie krampfhaft versuchen, den Erfolg, den sie vor Jahren mit ihrem Beitrag „40 Architekten unter 40“ hatten (damals beste nationale Show), wiederholen wollen. So etwas geht nie auf. Berührend ist der japanische Beitrag – Pflanzungen in Glashäusern und bester Ikebana-Manier und ein Pavillon, der hauchzart das Thema in handgestrichelten, sehr blassen, ästhetischen Bildern weiterführt.

Ein harter Schnitt: Die Russen. Da fühlt man sich als „Westler“ gar nicht gut. Denn das Schachspiel zwischen russischer und importierter, protziger, internationaler Architektur ist geradezu peinlich. Da werden wir als das hingestellt, was wir wahrscheinlich auch sind: die neuen Eroberer, die ökonomischen Usurpatoren von einem Terrain, das uns ganz sicher nicht gehört.

In den nationalen Pavillons gab es diesmal etwas zu entdecken: ganz unterschiedliche Ansätze – von sozialen über ökologische bis zu regelrecht didaktischen Aspekten oder schlichtweg Architektur –, das brachte Vielfalt, Lebendigkeit, Authentizität. Hingegen lassen die zentralen Ausstellungen, im Arsenale und im italienischen Pavillon, ein unangenehmes Gefühl zurück. Es ist eine Architektur-Mafia, die sich hier manifestiert. Im Arsenale erlebt man das vielleicht am besten. Da hat unser Prix den großen Auftritt, mit der ich-weiß-nicht-wievielten Replik von „Brain“, einer Arbeit aus der Frühzeit der Coop. Gleich danach ein unsägliches Objekt von Zaha Hadid, das jeder Beschreibung spottet. Und dann Gehry, der den Ehrenpreis für sein Lebenswerk bekommen hat. Das ist allerdings wirklich etwas, ein Objekt aus Holz und Lehm, um die Eröffnungstage noch im Zustand des Entstehens, aber voller Kraft. Und um Klassen besser als alle anderen Objekte dieser spezifischen Seilschaft.

Aaron Betsky hat der heutigen Architektur einen Bärendienst erwiesen. Mit seinem theoretischen Ansatz und dessen Umsetzung hat er sie zum Gschnas degradiert. Wer soll das ernst nehmen? Ein bisschen formaler Firlefanz hier, ein bisschen scheinbare wissenschaftliche Zettelwirtschaft dort – natürlich von Leuten, die nie gebaut haben. Überall telegenes Geflimmere, das soll Architektur sein?

Spectrum, Sa., 2008.09.20

24. August 2008Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Kunst in der Röhre

Minimaler Aufwand, maximale Wirkung: das Liaunig-Museum in Neuhaus, Kärnten. Ein bezwingend einfaches Stück Architektur, perfekt geeignet für die Präsentation von Kunst.

Minimaler Aufwand, maximale Wirkung: das Liaunig-Museum in Neuhaus, Kärnten. Ein bezwingend einfaches Stück Architektur, perfekt geeignet für die Präsentation von Kunst.

Eine Landmark am Rand von Kärnten, nicht weit von der Grenze zu Slowenien, das ist das Museum des Industriellen Herbert W. Liaunig in Neuhaus/Suha geworden. Es spielt diskret mit der Landschaft, inszeniert seinen Auftritt aber doch. Odile Decq, sogenannte französische Stararchitektin und Siegerin des ersten internationalen Wettbewerbes, den Liaunig ausgeschrieben hatte, präsentierte ihr Projekt mit annähernd diesen Worten.

Seither ist viel Wasser die Drau hinuntergeflossen. Das Projekt musste nicht zuletzt, aber nicht nur aus Kostengründen abgesagt werden. 2006 folgte ein zweiter Wettbewerb, diesmal nicht international, sondern österreichisch. Und die Jury wählte aus den sechs geladenen Büros (Artec, Jabornegg/Palffy, Caramel, Krischanitz, Domenig/Wallner) die Wiener Architektengruppe Querkraft aus. Querkraft, das sind drei Architekten: Jakob Dunkl, Gerd Erhartt, der das Liaunig-Museum im Wesentlichen verantwortet, und Peter Sapp.

Was die Architekten von Querkraft immer schon auszeichnet: Sie sind allesamt streitbare Geister für innovative Konzepte, aber auch für Preis-Leistungs-orientierte Architektur, ihnen ist die Form wohl ein Anliegen, aber nicht das einzige.

Damit können wir den Kreis zur geknickten, gefalteten Baukörper-Landschaft der Odile Decq schließen. Was sie damals, nach ihrem Wettbewerbssieg, zur Presse sagte, gilt für den Bau von Querkraft mindestens genauso. Und doch schaut er so völlig anders aus. Das Gebäude ist schon bei der Anfahrt ein Erlebnis. Von Lavamünd führt eine Bundesstraße direkt vorbei. Irgendwann kommt man um eine Kurve – und schaut. Denn da kragt völlig unvermutet eine Art Röhre mit viereckigem Querschnitt immerhin 40 Meter über einen Steilhang hinaus und sendet ihre Signale.

Wenn schon, dann ein Zeichen

Natürlich haben sich die Architekten bei diesem Entwurf von vornherein gesagt: Wenn einer schon ein Privatmuseum errichtet, dann sollte man mit diesem Bau auch ein Zeichen setzen. Und das ist ihnen zweifellos gelungen. Dabei wurde aber die vorgegebene Situation – ein Hochplateau mit sehr steil abfallenden, teilweise dicht bewaldeten Hängen – kaum verändert, modelliert. Gerd Erhartt betont, dass der Erdaushub auf dem Plateau so sorgsam verteilt wurde, dass man keine Veränderung merkt.

In der Ausschreibung zum Wettbewerb ging es im ersten Abschnitt ausschließlich um die Kosten. Noch bevor überhaupt von der Nutzung des Gebäudes die Rede war. Das ist eine klare Ansage – eine verständliche noch dazu, wenn einer sein eigenes Geld in ein Gebäude investiert, das seine private Sammlung zumindest teilweise der Öffentlichkeit zugänglich macht. Natürlich hat Liaunig ursprünglich zum Land Kärnten Kontakt aufgenommen. Es gab eine Zusage, dass das Land einen Wechselausstellungsbereich samt Infrastruktur errichtet und die anteiligen Betriebskosten übernimmt. In diesem Fall wäre das Museum uneingeschränkt öffentlich zugänglich gewesen. Aber wir sind in Haider-Land. Und da schmolz nach einem Personalwechsel an entscheidender Stelle das Interesse an einem so speziellen Ort für Kunst ganz schnell dahin.

Nun ist Liaunig ein gewiefter Geschäftsmann mit der Fähigkeit zum Vorausblick. In der Wettbewerbsausschreibung war ein wichtiger Punkt, dass die beiden Bauabschnitte, das Privatmuseum und der Wechselausstellungs- beziehungsweise Veranstaltungsbereich des Landes, auch getrennt errichtet werden können. Im Projekt von Querkraft war das problemlos der Fall. Die „Bruchstelle“ bemerkt man überhaupt nicht.

Der Eingang sitzt diskret im Hang, nicht sonderlich inszeniert. Man kommt in ein sehr angenehm dimensioniertes Foyer. Und dann sieht man schon: diesen wunderbaren Weg hinauf zur Ausstellungshalle. Der ist leicht perspektivisch angelegt und saugt den Besucher unmerklich weiter, vorbei an dem, was Liaunig vorläufig „deponiert“ hat: Hier hängt auf Ausziehwänden all das, was nicht ausgestellt werden kann. Bei über 2000 Sammlungsobjekten kommt da einiges zusammen. Davon erhascht man zumindest einen punktuellen Eindruck. Und der kann wechseln, weil es so einfach ist, immer wieder eine andere Wand herauszuziehen, immer wieder ein anderes Werk ins Licht eines Spots zu rücken.

Die Sammlung ist großartig. Sie vermittelt einen überzeugenden Überblick über die österreichische Kunst seit 1950, enthält aber auch statementhafte Beiträge internationaler Provenienz. Man weiß nicht, wo man das in so konzentrierter Form sonst noch sehen könnte. In der Österreichischen Galerie im Belvedere sicher nicht. Und Essl hat aus seinem Museum ja doch eher eine Ausstellungshalle gemacht.

Ein Schlüsselgedanke der Architekten war jedenfalls, dass sie das Depot – sie nennen es einen „Weinkeller der Kunst“ – als spannende und lebendige Zugangsinszenierung gelöst haben. Man geht vorbei, im bewusst spärlichen Kunstlicht, und landet in der lichtdurchfluteten Ausstellungshalle. Da gibt es Tageslicht. Da geht es auch auf Terrassen, die einen wunderbaren Ausblick bieten, nicht zuletzt auf das Drautal.

Der Bau – und das spricht sehr für Querkraft – holt aus einem Minimum an Aufwand ein Maximum an Wirkung heraus. Die eigentliche Ausstellungsröhre ist 160 Meter lang, sieben Meter hoch und 13 Meter tief. Genau genommen besteht sie aus einem betonierten U, über das eine Haut aus Paraschalen – pulverbeschichtetes Stahlblech mit Glasstreifen, die in der Decke eingelassen sind – gestülpt ist. Die Lösung ist simpel und industriell: Lagerhallen werden auf diese Weise errichtet. Aber hier erscheint sie geadelt. Sie ist richtig schön.

Nabelschnur mit Lichtdecke

Und sie ermöglicht natürlich, dass das Haus im beheizten Bereich heutigen Anforderungen entsprechend gedämmt ist. Man darf sich keine Illusionen machen: Liaunig stehen seine Kunstwerke näher als die Besucher. Im Winter werden sie schon mal eine dicke Jacke überziehen müssen, wenn sie dieSammlung besichtigen wollen. Das Museumwird in diesem Fall nicht überheizt. Der Bauherr trägt ja auch die Betriebskosten selbst.

Übrigens präsentiert Liaunig nicht nur seine Kunstsammlung, sondern in einem eigenen, durch eine Art „Nabelschnur“ – einen schmalen Gang mit einer wunderbaren Lichtdecke von Brigitte Kowanz – angedockten Raum auch seine Goldsammlung der afrikanischen Akan. Ein höchst sehenswertes Kontrastprogramm zum übrigen Museumsinhalt. Die Möglichkeit solcher unterirdischen Annexe, die mittels Nabelschnur ans Hauptgebäude angedockt werden, stellt für die Zukunft ein wichtiges Entwicklungspotenzial dar. So ließe sich immer noch eine Wechselausstellungshalle unterbringen, aber auch kleinere Bereiche, etwa für weitere spezielle Sammlungsteile.

Es ist das erste Museum, das Querkraft gebaut haben. Sein Konzept ist bezwingend einfach. Und doch artikuliert das Haus eine sehr starke architektonisches Aussage. Und was es nahezu perfekt macht: Für die Präsentation von Kunst in all ihren unterschiedlichen Erscheinungsformen scheint es wirklich bestens geeignet.

Spectrum, So., 2008.08.24



verknüpfte Bauwerke
Museum Liaunig

13. Juli 2008Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Eine magere Krone

Das Wiener Ronacher wurde „funktionssaniert“. Will heißen: Auf Highlights wurde verzichtet. Schade – vor allem wenn die Architekten Domenig und Wallner heißen. Gute Arbeit, und doch: ein klarer Fall von Überbesetzung.

Das Wiener Ronacher wurde „funktionssaniert“. Will heißen: Auf Highlights wurde verzichtet. Schade – vor allem wenn die Architekten Domenig und Wallner heißen. Gute Arbeit, und doch: ein klarer Fall von Überbesetzung.

Der Schlüsselbegriff heißt Funktionssanierung. Er besagt, dass funktionelle Missstände beseitigt wurden. Er suggeriert, dass architektonische Highlights gar nicht erst vorgesehen waren. Und das ist natürlich eine herbe Enttäuschung. Denn ein bisschen „handschriftlicher“ Domenig, der zwischen oder über der etwas bombastischen Theaterarchitektur des Ronacher von Helmer und Fellner sichtbar geworden wäre, hätte bestimmt nicht geschadet.

Was man jetzt sieht, je nachdem, wo man sich hinstellt – am besten in die Himmelpfortgasse –, sind Bruchstücke einer zweifellos eleganten Glaskiste, die das Wiener Ronacher neuerdings bekrönt. Wie es sich bei den üblichen Dachbodenausbauten gehört, ist sie zurückgesetzt, die rundum laufende, potenzielle Terrassenfläche bleibt jedoch ungenutzt. So schön sie sein könnte, an Anrainereinsprüchen ist es gescheitert: Die militanten Anwohner wollten sich aber selbst vor dieser Nicht-Nutzung noch schützen und haben eine gläserne Schallschutzwand durchgesetzt.

Das „Penthouse“ auf dem Ronacher enthält alles Mögliche, darunter einen Probenraum, einen Ballettsaal und vor allem die Mitarbeiterkantine – Letztere übrigens an privilegiertester Position. Gönnen wir diese Aussicht den Mitarbeitern. Dass aber das öffenbare Glasdach über dem Probenraum gestrichen wurde, ist ärgerlich. Denn der Probenraum ist so ausgelegt, dass dort auch kleine Veranstaltungen stattfinden können (für unter 100 Besucher). Und sicher wäre dieses gläserne Dach ein kristallines Highlight geworden, denn wie Domenig so etwas löst, weiß man ja. Gescheitert ist das nicht in erster Linie an den Finanzen, wie kolportiert wird – sondern gleichfalls an den Anrainern. Beim Gedanken, dass in der warmen Jahreszeit bei offenem Dach die Schallfetzen einer kleinen Veranstaltung über die Dächer dringen – war offenbar Widerstand angesagt. So scheitern auch noch die bescheidenen architektonischen Interventionen.

Natürlich ist auch Positives zu vermelden. Schließlich wurde aus einem nur bedingt bespielbaren Haus ein moderner Theaterbetrieb, der einer gar nicht so einfachen Sparte, dem Musical, gewidmet ist. Dafür wurde die gesamte Theatermaschinerie erneuert, bis hin zu Seiten-, Hinter- und Unterbühnen, einem elektronisch gesteuerten Schnürboden, einem variablen Orchestergraben, einem Probenraum für das Orchester – Letzterer ganz unten, man hat immerhin drei Geschoße in die Tiefe gebaut.

Wichtigste Maßnahme für das Publikum: die Absenkung der Bühne um zwei Meter, die es ermöglicht hat, die Steigung der Sitztribünen im Saal anzuheben und damit die Sichtverhältnisse zu verbessern. Außerdem kann man jetzt vom Foyer eben in den Saal hineingehen, was nicht nur für Rollstuhlfahrer angenehmer ist. Da ist überhaupt allerhand möglich. Gewissermaßen auf Knopfdruck lässt sich im Zuschauerraum bis hin zur Bühne auch eine ebene Fläche herstellen, die Bestuhlung, die übrigens noch aus der „sanften Sanierung“ durch Luigi Blau herrührt, verschwindet – theoretisch kann man sogar Tische und Stühle aufstellen, wie es früher gang und gäbe war.

Es gab auch konstruktive Herausforderungen. Immerhin durfte der Theatersaal in seiner Substanz ja nicht angegriffen werden. Nun hing aber die Decke über dem Saal an ungefähr 40 Punkten am alten Dachstuhl, der durch den Aufbau entfernt werden musste. Das heißt, es musste eine Zwischenkonstruktion errichtet werden, an der die historische Decke aufgehängt wurde, bevor der alte Dachstuhl eliminiert und die neue Konstruktion errichtet werden konnte.

Viele Maßnahmen dieser Funktionssanierung werden nie öffentlich sichtbar. Wo die neuen internen Stiegenhäuser sitzen, die Fluchtwege, die ganze Haustechnik, aufwendige Brandschutzmaßnahmen eingeschlossen, das nimmt sicher niemand wahr. Es war zweifellos wichtig und notwendig, aber an der Tatsache, dass das Haus im internationalen Vergleich für eine Musicalbühne einfach zu klein ist – es gibt kaum 1.200 Sitzplätze, 2.000 sind der Standard –, an der lässt sich nicht rütteln.

Aber – was wären unsere Theater ohne ihre Subventionen! Und das ist das Ärgerliche dabei. Für alles gibt es öffentliches Geld, auch langfristig für einen vorhersehbar unökonomischen Theaterbetrieb. Da schwirren Summen durch die Gegend, weit über 40 Millionen Euro für diese Funktionssanierung, aber wenn man genau nachfragt, dann war für die Architektur selbst immer nur ein Bruchteil vorhanden.

Domenig und sein Partner und Projektleiter Wallner mussten sich nicht nur der Tyrannei des Denkmalschutzes und der Anrainer fügen, allen anderslautenden Gerüchten zum Trotz war auch das ökonomische Korsett ganz schön eng. Da ist man schon stolz, wenn ein etwas spezielles gläsernes Eck doch noch realisiert werden konnte, im Gegensatz zu einem gläsernen Schlitz, der Licht in die internen Umgänge gebracht und bis hinunter zu einer Terrasse auf dem Rondeau geführt hätte.

Es wundert nicht, dass angesichts einer so abgemagerten Architektur – man fragt sich, wieso dafür das Büro Domenig bemüht werden musste – schon wieder das seinerzeit geplante und nicht realisierte Coop-Himmelb(l)au-Projekt beschworen wird. Es gibt Hochrechnungen, denen zufolge die Kosten der „sanften Sanierung“ des Luigi Blau zusammen mit den jetzigen Kosten die des Coop-Projekts nicht überstiegen hätten. Aber gut möglich, dass das Projekt der Coop alle Schätzungen übertroffen hätte.

Eines steht fest: In Wien fehlt es an langfristigen Perspektiven, die Bestandteil eines Gesamtkonzeptes wären, es gibt keinen kulturellen Vorausblick, keinen Willen zur mutigen Innovation. Domenig und Wallner haben ihre Sache gut gemacht. Aber wenn man sich anschaut, was herausgekommen ist, muss man zugeben: Dieses Projekt war eindeutig überbesetzt.

Spectrum, So., 2008.07.13

08. Juni 2008Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Freiraum, Natur. Aber die Möbel...

Es ist immer das Gleiche: Zuerst wird ein Wettbewerb bemüht. Dann wird – im besten Fall – gemeinschaftlich geplant. Und am Ende schafft plötzlich der an, der zahlt. Anmerkungen zu einem Altersheim in Wien-Atzgersdorf.

Es ist immer das Gleiche: Zuerst wird ein Wettbewerb bemüht. Dann wird – im besten Fall – gemeinschaftlich geplant. Und am Ende schafft plötzlich der an, der zahlt. Anmerkungen zu einem Altersheim in Wien-Atzgersdorf.

Altersheime sind eine doppelbödige Angelegenheit. Denn sie fungieren gleichzeitig als Ersatz für die eigene Wohnung, aber auch als eine Art Kurhotel. Vom Kurhotel haben sie die Infrastruktur, die eine allumfassende Versorgung der Bewohner garantiert, einschließlich medizinischer Betreuung, auch ein Angebot an kommunikativen Gemeinschaftsbereichen mit möglichst hoher Aufenthaltsqualität. Dagegen wird der Verlust der eigenen Wohnung nur durch Zimmer wettgemacht, die zwar alle Grundbedürfnisse durchaus komfortabel befriedigen, darüber hinaus aber limitierten Spielraum bieten.

In Vorarlberg gab es vor Jahren den viel beachteten Versuch, eine Reihe recht luxuriöser Alten- und Pflegeheime zu realisieren. Entstanden sind dabei architektonisch bemerkenswerte Lösungen – etwa von Rainer Köberl oder den Noldins –, bei denen speziell darauf geachtet wurde, die Ausgrenzung der Bewohner zu relativieren. Das ist zum Teil durch die Standortwahl, aber vor allem durch die Integration öffentlicher Funktionen geschehen, die so etwas wie die Normalität des Alltagslebens ins Haus bringen. Natürlich hatten diese Versuche ihren Preis.

In Wien haben wir solche Vorzeigeprojekte – immer aus der architektonischen Perspektive betrachtet – vorläufig nicht. Da überformt der „soziale“ Gedanke den konzeptuellen, gestalterischen und finanziellen Einsatz nach wie vor. Das ist, vom Nutzerstandpunkt aus betrachtet, aber nicht unbedingt Versäumnis. Die gute, preiswerte, zwangsläufig weniger spektakuläre Lösung kann bei einer solchen Bauaufgabe durchaus akzeptabel sein.

Ein konkretes Anschauungsbeispiel dafür hat erst jüngst das Wiener Büro von Hermann & Valentiny & Partner realisiert. Es steht in Atzgersdorf, beinahe im Zentrum, an einem illustren Ort. Denn gleich daneben befinden sich aufgelassene Gewerbeanlagen und eine grüne Brache, die ausgesprochen malerisch wirken. Von daher dürfte sich auch der Wunsch des Bauherrn erklären, ein – übertrieben formuliert – „Schlösschen“ für Senioren zu errichten.

Das ist es zwar sicher nicht geworden, aber es ist ein sehr anständiges und in einem engen finanziellen Korsett realisiertes Haus. Anders ausgedrückt: Die Waage des Preis-Leistungs-Verhältnisses schlägt hier deutlich zugunsten eines qualitativen Bonus aus.

Städtebaulich definiert Hubert Hermann mit seinem Gebäude eine Ecke im vorstädtischen Gewebe. Kuriosum eines Teils der Straßenfront mit dem Haupteingang: ein Putz, den man als elegante Variante herkömmlicher Pizzeria-Putze bezeichnen könnte. Er ist nicht glatt, sondern reliefartig gemustert – händisch, geradezu „handschriftlich“ aufgetragen von einem, der so etwas noch kann. Der Kontrast zu den anderen Fassadenteilen – industrielle Metallpaneele aus geprägtem Kupfer, Holzlatten – ist durchaus reizvoll.

Zur grünen Hof- oder Gartenseite hin reagiert Hermann mit Gebäudetrakten, die der Höhe des gängigen Vorstadthauses entsprechen. Dadurch schafft er den Übergang zum Umfeld. Der Neubau hat doch eine gewisse Größe, gemessen am Kontext. Aber er steht jetzt selbstverständlich da, wie gewachsen.

Der Haupteingang ist architektonisch deutlich inszeniert: Ein Einschnitt im Gebäude sagt genau, wo es hineingeht. Wie eine große Klammer sorgen in Fortsetzung der Metallfassade die Kupferpaneele im Attikageschoß für den Zusammenhalt der Straßenfront, an der Ecke wird aber auch schon das Motiv der Holzlatten-Roste vor der Balkonzone sichtbar. Das ist ein durchaus spannender, auch urbaner Beitrag zum Einerlei des heterogenen, sehr vorstädtischen Erscheinungsbildes von Atzgersdorf.

Die hölzerne Balkonschicht an der Gartenseite – übrigens mit Wein bepflanzt, sodass sie sich bald in eine richtige „Laube“ verwandeln wird – drückt dagegen die Privatheit individuellen Wohnens aus. Sie liefertden Bewohnern den Komfort des eigenen Freibereichs, also eine wesentliche Qualität, und sie verleiht dem Haus an der straßenabgewandten Seite ein „privates“ Gesicht.

Und dieses Gesicht ist einer großzügig bemessenen, dabei auch sehr schön bepflanzten Gartenanlage zugekehrt, die durch die niedrigeren Hoftrakte in zwei Bereiche gegliedert wird: einer vorrangig bepflanzt mit Clematis, der andere mit Glyzinien. Da gibt es wirklich Wege, auf denen sich „lustwandeln“ lässt, und einfach auch Situationen des Innehaltens, wo man sich entspannt niederlassen kann. Diese Fähigkeit, nicht nur ein Gebäude und sein Verhältnis zum Umfeld planerisch zu bewältigen, sondern die Außenräume, die Freibereiche selbst mit dem gleichen hohen Anspruch zu bewältigen, zeichnet die Arbeit von Hermann & Valentiny & Partner immer schon aus. Es gibt nicht sehr viele Architekten, die ein dermaßen intensives, aber differenziertes Verhältnis zur Natur, zu den Freiräumen haben. Und die Wert darauf legen, diesen Bezug definitiv zu artikulieren.

Innenräumlich lässt sich zur Lösung von Hubert Hermann nicht ganz so viel sagen. Nicht zuletzt durch das Preislimit gab es nur die Möglichkeit einer relativ konventionellenräumlichen Organisation. Denn billig kann man nur sein, wenn sich gewisse Elemente in großer Zahl wiederholen. Daher sind die Zimmer ordentlich, aber alle gleich und ohne eigenwillige Raffinessen. Und sie sind durch – angenehm breite – Gänge erschlossen. An den Schnittstellen dieser Gänge gibt es räumliche Erweiterungen, die als gemeinschaftliche Aufenthaltsbereiche interpretiert wurden. Natürlich ist da mit großzügigen Verglasungen auch für den notwendigen Außenbezug gesorgt, Aufenthaltsqualität haben diese Räume – bei schlechtem Wetter oder in der kalten Jahreszeit – allemal.

Auch mit den verwendeten Materialien und Farben wurde ein entscheidender atmosphärischer Beitrag zur innenräumlichen Qualität geleistet. Es gibt viel Holz – und es gibt sehr viel gelbe Farbe. Das erzeugt irgendwie die Atmosphäre eines permanenten Sonnenaufgangs. Ich glaube nicht, dass das die schlechtesten Voraussetzungen für das letzte Domizil alter Menschen sind.

Leider hat der Bauherr dem Architekten nicht die Möglichkeit eingeräumt, auch für die Innenausstattung des Hauses zu sorgen. Das ist ein ziemlich großer Verlust, weil man mit einem Mobiliar, das Leiner-Assoziationen auslöst, sehr viel ruinieren kann. Auch die nachträglich geforderten Vorhänge sorgen für eine Verunklärung, eine Banalisierung der an sich räumlich klaren Situation.

Es ist immer wieder das Gleiche. Zuerst wird ein Wettbewerb bemüht. Dann wird – im besten Fall – ein Planungsprozess gemeinschaftlich durchgezogen. Aber irgendwann am Ende, auch dazwischen, schafft plötzlich der an, der auch zahlt. Und das hat der Architektur noch nie gut getan.

Spectrum, So., 2008.06.08

27. April 2008Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Prater, Schimt & Kliele

Was passiert, wenn die Stadt Wien einen Fachbeirat für unzuständig erklärt? Die größte architektonische Entgleisung der vergangenen 50 Jahre. Das neue Entree des Wurstelpraters: Besichtigung eines Alptraums.

Was passiert, wenn die Stadt Wien einen Fachbeirat für unzuständig erklärt? Die größte architektonische Entgleisung der vergangenen 50 Jahre. Das neue Entree des Wurstelpraters: Besichtigung eines Alptraums.

Humor ist, wenn man trotzdem lacht. Angesichts der Baustelle auf dem Riesenradplatz – ein Teil wurde jüngst eröffnet – bleibt einem das Lachen aber im Hals stecken. Was dort entsteht, spottet einfach jeder Beschreibung. Die Neubauten beim Riesenrad sind nicht nur grausig, sie sind regelrecht obszön. Und unheimlich dumm.

Die Idee, eine neue Eingangssituation für den Prater zu schaffen, war dabei gar nicht falsch. Die alte hatte eine Überarbeitung bitter nötig – wie übrigens der ganze 240 Jahre alte Prater (weltweit der zweitälteste Vergnügungspark, der noch in Betrieb ist). Aber so ein Unterfangen ist eine äußerst diffizile Angelegenheit. Die immer spärlicher werdenden alten Einrichtungen dürften in ihrer Substanz nicht angetastet werden. Zur Rummelplatzästhetik gehört nun einmal auch das etwas Abgenutzte, Improvisierte, sogar das Schmuddelige. Aber wer kann mit so etwas schon umgehen?

Der Ideenfindungsprozess des Jahres 2003 war aus heutiger Sicht eindeutig eine Farce. Aus den insgesamt 75 Konzepten hat man damals den Vorschlag des französischen Themenpark-Experten Emmanuel Mongon (Imageinvest) ausgewählt. Von seinem Masterplan blieben allerdings nur das Thema „Wien um 1900“ und 1,35 Millionen Euro Honorar plus Spesen (siehe Christian Kühn im „Spectrum“ vom 9. Juli 2007). Wirklich zu verantworten hat das, was sich jetzt auf dem Riesenradplatz abspielt, in vorletzter Instanz – zur letzten kommen wir noch – die Firma Explore 5D. Offenbar arbeitet die gern mit einem Architekten aus Osttirol zusammen, einem Herrn Martin Valtiner, der auf seiner Homepage neben kuriosen Villen etwa auch das Projekt für einen Dracula-Park in Rumänien präsentiert, ebenfalls mit Explore.

Üblicherweise lässt sich ein Architekturkritiker von den Architekten zunächst einmal durch das Projekt führen, um die Überlegungen, die ihm zugrunde liegen, authentisch zu erfahren. Das war bei „Prater neu“ nicht möglich. Niemand war bereit zu einer informativen Führung. Es wurde auch niemals ein Architektenname genannt, die Frage danach wurde einfach übergangen. Abwimmeln ist noch ein harmloser Ausdruck. Es war eine Mauer – aus Stahlbeton.

Aus Stahlbeton sind auch die Bauten, die jetzt den Riesenradplatz säumen – mit historisierenden Fassaden, in denen offenbar Schönbrunn anklingen soll, die aber gleichzeitig mit Pseudo-Jugendstil-Ornamenten vollgepickt sind. Ich meine wörtlich: gepickt. Das ist eine so billige Kulisse, dass einem schier die Sprache weg bleibt. Aber es kostet – mindestens – 32 Millionen Euro.

Nun wäre eine solche Entgleisung noch irgendwie erklärlich, würde ein privater Investor dahinterstecken. Nur – in dem Fall wäre unter Garantie der Fachbeirat eingeschritten. Doch der wurde für unzuständig erklärt. Und zwar von der Stadt selbst, namentlich von Vizebürgermeisterin Grete Laska. Aus unerfindlichen Gründen fällt das gesamte Projekt nämlich in ihre Kompetenz.

Nun kann man Frau Laska alles Mögliche nachsagen – Verständnis für Architektur, gar architektonisches Wissen sicher nicht. Schonvor Jahren hat sie mit der grandiosen Idee, eine Art Schul-Prototyp zu entwickeln und den dann für die verschiedenen Standorte einfach zu multiplizieren, Schiffbruch erlitten. Ich frage mich daher ernsthaft, wer auf die Idee gekommen ist, ausgerechnet ihr ein Projekt wie den Prater anzuvertrauen. Auch wenn man nichts für Rummelplätze übrig hat, eine gewisse Wahrzeichen-Funktion für Wien hat er.

Der wirkliche Skandal bei dieser Angelegenheit: dass dieses architektonische Grauen von der Stadt Wien nicht nur befördert, sondern zur Hälfte auch finanziert worden ist. Immerhin sitzen dort profilierte Leute, denen die Stadt und ihre Architektur ein Anliegen ist. Aber die waren nicht befasst. Und sie haben es auch nicht verhindert. Für die ist der Prater „exterritoriales Gebiet“.

Man weiß gar nicht, wo man anfangen soll, um den Alptraum zu beschreiben. Etwas so Grausiges hat es in der Stadt zumindest in den letzten 50 Jahren nicht gegeben. Der neue Platz – laut Rathauskorrespondenz vergleichbar dem Michaelerplatz (!), weil er auch 60 Meter Durchmesser hat – wird von einer Kulissenarchitektur gesäumt, die einfach vollkommen jenseitig ist. In eineraktuellen Aussendung des Praterverbands heißt es: „Sogar die Befürworter der ,Pseudonostalgie‘ haben teilweise nun ihre Zweifel in Anbetracht der Umsetzung.“

Es geht um immerhin 16.000 Quadratmeter Nutzfläche. Sie werden zwischen Stahlbetonmauern, aber hinter angepinselten, vollgeklebten, läppisch dekorierten Fassaden (etwa gemalte Fenster, in die echte eingeschnitten sind, oder eine gemalte Straßenbahn hinter einer gemalten Otto-Wagner-Geländer-Adaption), Serviceeinrichtungen à la Schließfächer, Information und Sanitäreinrichtungen enthalten, diverse Shops,„anspruchsvolle“ Gastronomie mit „Wiener Touch“, angeblich auch allerlei Attraktionen (irgendwo ist von einem Liliput-Zimmer die Rede). In einer zweiten Etappe im Herbst wird auch eine Art Mammut-Disco (Wien um 1900?) eröffnet. Nett, was die Rathauskorrespondenz dazu sagt: „Der Zutritt wird ausschließlich gepflegt erscheinenden Personen über 18 Jahren gewährt werden.“

Es kommt der Tag, an dem der Riesenradplatz samt seiner Bebauung umgetauft werden wird: in „Grete-Laska-Memorial“ – mit einem Schild über dem Opferstock zur Finanzierung des Abrisses. Darauf steht: „Schimt Kliele Schokoschka“.

Spectrum, So., 2008.04.27

08. März 2008Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Luxus Raum

Hoch komplex und dennoch übersichtlich: der neue Bahnhof Wien Praterstern. Ein luxuriöses Raumkonzept von Albert Wimmer. Mit befreiender Wirkung.

Hoch komplex und dennoch übersichtlich: der neue Bahnhof Wien Praterstern. Ein luxuriöses Raumkonzept von Albert Wimmer. Mit befreiender Wirkung.

Als Kathedralen einer mobilen Gesellschaft fasst heutzutage Bahnhöfe niemand mehr auf. Diese Rolle haben die Flughäfen übernommen. Sie stellen Inseln für sich dar, sie schaffen sich ihre eigenen (städtebaulichen) Gesetze. Das ist bei Bahnhöfen nicht so. Die liegen mitten im – womöglich großstädtischen – Verband, daher bedürfen sie auch einer sehr viel diffizileren Behandlung.

Das Prinzip „Bahnhofsvision“ ist jedenfalls in Vergessenheit geraten. Über Bahnhöfe denkt man nicht nach, man benutzt sie. Das muss eine der Einsichten gewesen sein, die Albert Wimmer bei seinem Bahnhof am Praterstern konzeptuell, verfolgt hat. Immerhin geht es um einen Bahnhof von beachtlicher Größe. Dabei ist er gar nicht „international“ angelegt. Hier geht es um den Nahverkehr, hier treffen die Wiener Linien (Straßenbahn, U1 und verlängerte U2) auf das S-Bahn-Netz der ÖBB, hier hasten Pendler zu den Zügen.

Nun ging es aber um Umbau, nicht um Neubau. Das merkt man dem Gebäude allerdings nur an, wenn man genau hinschaut.Vor allem konstruktiv wäre man bei einem kompletten Neubau sicher anders vorgegangen. So blieben Teile der alten Betonkonstruktion aus den Sechzigerjahren stehen. Nur das, was zwingend neu gemacht werdenmusste – etwa die Fassaden, die Einhausung der Bahnsteige im Obergeschoß –, ist jetzt „leicht“, das heißt aus Stahl und Glas.

Die Planung von Albert Wimmer lässt sich aber keinesfalls auf einen so simplen Nenner reduzieren. Konzeptuell war sie überaus komplex. Das hat vor allem mit den städtebaulichen, auch durch den Gleis- und Straßenverlauf bedingten Vorgaben zu tun – und mit der Funktion des Gebäudes als Hauptbestandteil eines der wichtigsten Verkehrsknoten Wiens. Die Alltagsfrequenz von 70.000 Personen ist enorm. Und bis 2010, so lauten die Prognosen, wird sie womöglich die 100.000er-Grenze überschreiten.

Wir werden uns bald nicht mehr daran erinnern, aber der Bahnhof Praterstern war tatsächlich schon seit Jahrzehnten einer der besonders verkommenen Orte von Wien. Sicher kann man sagen, dass Bahnhöfe grundsätzlich einen Anziehungspunkt für soziale Randgruppen darstellen. Doch mit architektonischen Mitteln lässt sich wirkungsvoll gegensteuern. Im Fall des Praterstern-Bahnhofes wurde das auf verschiedenen Ebenen versucht. Vor allem ist er jetzt sehr viel übersichtlicher organisiert. Die Wegführung kann jeder so ziemlich auf Anhieb lesen, Haupt- und Nebenzugänge sind klar definiert, es gibt keine räumlichen Nebensituationen oder toten Winkel mehr. Die sind aber in der Regel eine Voraussetzung für die Verslummung solcher Orte.

Dazu sollte es allein schon durch das Erschließungs- und Raumkonzept nicht mehr kommen. Es trägt aber auch die Materialisierung wesentlich dazu bei. Wimmer hat durchwegs auf Oberflächen gesetzt, die ziemlich nobel wirken und sehr resistent sind (und übrigens relativ gut und einfach gereinigt werden können).

Zu ebener Erde, in der Passage, wo es zahlreiche Geschäfte gibt, wo nicht nur Rolltreppen zu den Bahnsteigen hinaufführen, sondern auch die Lifte sehr gut sichtbar platziert sind, da liegt fast schwarzer, nur wenig gemaserter Tauerngranit auf dem Boden. Die Geschäfte haben natürlich eine Glasfront, die Deckenpaneele, hinter denen sich eine Unmenge an technischen Notwendigkeiten verbirgt – bis hin zu den Lautsprechern –, sind in schlichten Aluminium-Lochplatten ausgeführt, die eine wichtige zusätzliche Funktion erfüllen. Sie tragen zur akustischen Bewältigung des Raums bei. Und das ist bei einem so frequentierten Bahnhof von enormer Bedeutung.

Generell könnte man sagen, der neue Bahnhof präsentiert sich unbunt. Auch Glas hat zwar eine Farbe, und in diesem Fall schillert und glitzert es noch dazu im Sonnenlicht, weil die Gebäudehaut aus einer Zwei-Scheiben-Verglasung mit einer Streckmetall-Schicht dazwischen besteht (Sonnenschutz!). Und er ist unbunt, weil zum Glas und dem fast schwarzen Boden nur noch die Farben von Aluminium und Edelstahl beziehungsweise vor den massiven Bauteilen die anthrazitfarbene Rieder-Platten-Verkleidung kommen. Aber um die Buntheit braucht man sich hier wohl keine Sorgen zu machen. Die ist durch die individuellen Gestaltungsbedürfnisse der einzelnen Läden und gastronomischen Einrichtungen ohnehin nicht zu vermeiden, und im Übrigen bringt sie „das Leben“ in Form der bunten Menschenströme.

Wimmer hat die Fußgängerwege, auch die Ausblicke oben, auf den Bahnsteigen, nach den vorhandenen städtebaulichen Achsen ausgerichtet. Seine semitransparente Gebäudehaut hat daher auch mal ein Loch, das merkt man kaum, aber dadurch sieht man den Stephansdom.

Der wahre Luxus dieses Bahnhofs besteht aber in seinen räumlichen Qualitäten. Alles ist groß, breit, hoch. Vor allem oben auf den Bahnsteigen entfaltet dieses Konzept seine befreiende Wirkung. Bahnsteige mit 22 Meter Breite – wo gibt's denn das! Und die Raumhöhe der Einhausung – über neun Meter! Davon kann man als Architekt normalerweise nur träumen. Das hat teilweise mit den Vorgaben des Umbaus zu tun: Früher gab es viel mehr Gleise und viel schmälere Bahnsteige, das wurde durch die organisatorische Umrüstung der ÖBB reduziert; übrig blieb der Raum, der ja schon da war.

Das ist ziemlich großartig – die zeitgenössische Variante eines Bahnhofskonzepts aus dem 19. Jahrhundert. Damals hat man sich solche Räume geleistet. Heute funktioniert das in der Regel – das heißt im Neubau-Fall – nicht mehr. Dafür stehen die kommerziellen Interessen viel zu stark im Vordergrund. Beim Praterstern gab es ein gewisses Korsett, das durch den Bestand vorgegeben war. Und dieses Potenzial hat Wimmer ausgenutzt. Er konnte eine für heutige Verhältnisse völlig unübliche, sehr großzügige Raumsituation schaffen.

Wenn man sich das Gebäude sorgfältig anschaut, gibt es ein paar architektonische Finessen zu entdecken. Die wichtigste besteht wohl in der Verbindung von Bahnhofstrakt mit neuer U-Bahnstation. Die ist zwar schlicht angedockt, durch den Trassenverlauf konnte Wimmer aber den Zwischenraum zu einer schwungvoll verschwenkten Raumlösung mit Oberlicht uminterpretieren. Sicher wird man abwarten müssen, was die künftige Platzgestaltung dieses riesigen Areals bringt. Die stadtzugewandte Seite liegt in den Händen von Boris Podrecca, dahinter, Richtung Prater, schlägt die ARGE U-Bahn zu. Das wirklich unsägliche Polizeigebäude bleibt jedenfalls erhalten. Wunder finden eben selten statt.

Ein Letztes, das man Albert Wimmer zugute halten muss: Er hat nicht nur das nächtliche Erscheinungsbild seines Bahnhofs ins rechte (weiße) Licht gerückt, er hat auch das Motiv der Bahnhofsuhr in die zeitgenössische Architektur wieder eingeführt. Da prangt sie: rund, völlig normal, nicht digital, und zeigt die Zeit an. Was will man mehr.

Spectrum, Sa., 2008.03.08

27. Januar 2008Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Doch, wir sind in Österreich

Eines der aufwendigsten Verfahren, die in Sachen Wohnbau je durchgeführt wurden: über das Quartier auf den Kabelwerkgründen in Wien-Meidling.

Eines der aufwendigsten Verfahren, die in Sachen Wohnbau je durchgeführt wurden: über das Quartier auf den Kabelwerkgründen in Wien-Meidling.

Es war sicher eines der aufwendigsten Verfahren, das in Sachen Wohnbau jemals durchgeführt wurde. Nicht nur in Wien, sondern wahrscheinlich europaweit. Für die Kabelwerkgründe in Meidling hat sich die Stadt Zeitund eine ganze Reihe „Fachpersonal“ genommen, schließlich sollte ein beispielhafter neuer Stadtteil entstehen. Ganz fertig gebaut ist das Quartier noch nicht, die Architektur-Exkursionen strömen trotzdem schon. Tatsächlich lässt sich bei einem Spaziergang durch das Areal sehr gut ablesen, wie es sein wird, wenn es rundum bewohnt und belebt ist.

Begonnen hat alles damit, dass die Kabel- und Drahtwerke AG – 100 Jahre lang der wichtigste Betrieb und damit Arbeitgeber des Bezirks – Ende 1997 ihre Pforten schließen musste. Im Jahr davor wurde das zum Anlass für einen Workshop genommen, zu dem auch die Bewohner aus der Umgebung eingeladen waren. Diese Praxis der Bürgerbeteiligung wurde über Jahre konsequent durchgezogen und hat wohl entscheidend dazu beigetragen, dass es zu keinerlei Anrainer-Einsprüchen gekommen ist.

Der städtebauliche Wettbewerb liegt inzwischen zehn Jahre zurück – er wurde von Rainer Pirker und Florian Haydn gewonnen –, bis 2001 wurde vor allem in die theoretische Arbeit investiert. Es wurden Parameter entwickelt, die für die gesamte Anlage verbindlich sein sollten – und es wurde ein Jahr an „Testprojekten“ gearbeitet. Dabei ging es auch darum nachzuweisen, dass die Finanzierbarkeit des Projekts für die Bauträger gewährleistet sein würde. Denn hier wurde eine Strategie verfolgt, die sonst nicht gang und gäbe ist. Man könnte sagen, dass in diesem neuen Quartier das Freiraumkonzept, das Wege- und Platzsystem den Ansatz für die endgültige städtebauliche Figur geliefert hat. Auch die Entscheidung, bei allen Geschoßwohnungsbauten eine unbewohnte Sockelzone einzuführen, war wichtig. Aber vor allem haben die „Bonuskubaturen“ dazubeigetragen, dass hier eine typologische Vielfalt entstehen konnte, die nicht nur wohnungs- sondern auch hausbezogen ist.

Einen Hallenhaustyp, wie ihn Hubert Hermann hier realisiert hat, wird man anderswoim geförderten Wiener Wohnbau vergeblich suchen. Denn eine so gewaltige, großzügig bemessene Empfangs- und Erschließungshalle, die über alle Geschoße durchgeht, ist im doppelten Sinn leere Kubatur. Sie ist definitiv „leerer“ Raum, sie ist aber auch leer, weil sie nicht kommerziell verwertbar ist. Und das muss man sich im geförderten Wohnbau erst einmal leisten.

Man kann es sich leisten, wenn man sehr dicht baut. Und urbane Dichte wird natürlich angefeindet. Wenn in einem Altstadtkern die Gassen eng und die Wohnungen finster sind, nimmt man das in Kauf. Wenn in einem Neubaugebiet die Häuser (bei Weitem nicht so) dicht an dicht stehen, bricht der Aufstand aus. Auf den Kabelwerkgründen gibt es dichte Situationen. Sie sind eindrucksvoll und dabei so intelligent umgesetzt, dass die Bewohner über einen Mangel an Wohnqualität sicher nicht zu klagen haben, auch in den Geschoßwohnungsbauten. Ganz zu schweigen von der „griechischen Gasse“, die Schwalm-Theiss & Gressenbauermit ihren Reihenhäusern geliefert haben.

Darin liegt der Reiz des Areals: Entlang der öffentlichen Räume und Erschließung – durch die sogenannte Diagonale, Hauptplatz, Nebengassen sowie kleinere Plätze und Grünflächen – wurden Baufelder festgelegt. Wie die bebaut werden, war die zweite viel diskutierte Frage. Aber es ist natürlich etwas anderes, ob eine Behörde vorschreibt, wie Dichte und Bauhöhe zu sein haben, oder ob alle Beteiligten (Behörden, Bauträger und Architekt) gemeinsam und in einem offenen Prozess klären, wie sie vorgehen wollen.

Bei allen großen Neubauquartieren gibt es immer zwei Probleme. Das eine betrifft den Nutzungsmix. Wenn es wirklich nur Wohnbauten gibt, dann wird die Sache atmosphärisch einfach öd. Das ist auf den Kabelwerkgründen nicht ganz so. Sie liegen an der Bahn, haben eine U-Bahn-Station vor der Tür, daher gibt es auch die Implantate anderer Nutzungen. Vom Hotel bis zum Geriatriezentrum, das demnächst errichtet werden soll. Die Debatte um die Nutzung des – ziemlich spärlichen – Altbestandes (Werkstatt Wien) hält offenbar immer noch an. Ob die ursprünglich vorgesehene kulturelle Nutzung stattfindet, scheint offen.

Das zweite Problem hat mit der Architekturqualität zu tun. Städtebaulich kann man viel tun, aber was nutzt es, wenn die einzelnen Bauten fragwürdig sind. Das ist hier besser als etwa auf dem Wienerberg oder in Süßenbrunn. Die Architekten, die hier gebaut haben, stehen für ein gewisses Niveau. Pool zum Beispiel, die im städtebaulichen Wettbewerb den zweiten Preis gemacht haben; auch Mascha & Seethaler, die mit ihrer Architektur dem großen Platz ein markantes Gesicht geben; oder Wurnig-Kljajic, die im Anschluss an Hubert Hermann die Geländekante definieren. Und, wie gesagt, Schwalm-Theiss & Gressenbauer.

Das ist wieder einmal eine der Unschärfen, für die man Wien, besser: Österreich lieben muss. So viel Aufwand und theoretische Arbeit für ein Neubauquartier, so eine Anstrengung, um in einem nachprüfbaren, demokratischen Verfahren zu einem Ergebnis zu kommen. Und was ist dann? Die ursprünglichen Sieger des Wettbewerbes kommen überhaupt nicht mehr vor; man sollte aber gerechterweise erwähnen, dass die ARGE Kabelwerk in der Folge den renommierten Otto-Wagner-Städtebaupreis bekommen hat. Trotzdem: Schwalm-Theiss & Gressenbauer haben nicht am Wettbewerb teilgenommen, ebenso wenig die Werkstatt Wien; Mascha & Seethaler waren in der Jury.

Wenn man sich das vor Augen führt, fühlt man sich – trotz aller aufgeklärten, sachlichen Diskussionen – wieder ganz zuhause. Wir sind in Österreich, Gott sei Dank.

Spectrum, So., 2008.01.27



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Kabelwerk Wien

23. Dezember 2007Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Beton? Beton!

Ein Volksschulanbau im Tiroler Amras. In Form eines Würfels, mit einer Fassade aus Beton. Sichtbarem Beton! Moderne Architektur halt. Honoratioren protestieren, Lehrer und Schüler sind begeistert.

Ein Volksschulanbau im Tiroler Amras. In Form eines Würfels, mit einer Fassade aus Beton. Sichtbarem Beton! Moderne Architektur halt. Honoratioren protestieren, Lehrer und Schüler sind begeistert.

Mitte der Sechzigerjahre, als Thomas Bernhards Text „Amras“ erschien, dürfte es dort noch anders ausgesehen haben. Denn Amras war einmal ein Dorf. Heute ist es „eingemeindet“ und gehört zur Peripherie von Innsbruck, die Autobahn liegt in Sicht- und Hörweite – es heißt, sie soll eingehaust werden. Trotzdem, Rudimente einer dörflichen Struktur sind noch vorhanden. Mit einem schönen Kirchlein, aber komischerweise ohne Dorfplatz. Der Schock tritt ein, wenn man die Restbestände dieser einstigen ländlichen Idylle auf der Hauptstraße umrundet: Ein monströses Einkaufszentrum reiht sich an das andere. Das ist schlimmste großstädtische Peripherie in Reinkultur.

Angeblich wurden die Amraser dadurch reich. Sie haben ihre Gründe um teures Geld verkauft oder verpachtet. Der Gewinn sei ihnen gegönnt, die Folgen sind fürchterlich. Es ist aber nicht erst heute illusorisch, sich gegen solche Entwicklungen querzulegen. Sie bilden nur ab, was auch in größeren Zusammenhängen Tatsache ist.

Nun ging es abseits davon, eigentlich im Dorfkern, um eine Volksschulerweiterung. Daran ist zunächst einmal interessant, dass es eine „integrierte Volksschule“ ist, in der sowohl geistig als auch körperlich Behinderte zusammen mit Gesunden unterrichtet werden. Das geschah bisher in einer Schule aus den Sechzigerjahren. Aber im Gegensatz zu anderen Volksschulen, die eher zurückgebaut werden, benötigte man für diese hier eine Erweiterung. Dabei ging es nicht ohne Diskussionen zu. In der Wettbewerbsphase wurden verschiedene Lösungen angedacht, wobei die sogenannte „Amtsplanung“ – im engen Sinn hat es so etwas natürlich nie gegeben, es wurde nur ein Vorschlag formuliert – einen Bau auf dem leeren Platz neben dem Bestand vorsah, während die Mehrzahl der Architekten beim Hearing eher in Richtung Aufstockung des Bestandes tendierte.

Riccione Architekten, das sind Mario Ramoni, Clemens Bortolotti und Tilwin Cede, die sich auch schon bei der Musikschule in Kufstein profiliert haben, konnten das Verfahren schließlich klar für sich entscheiden. Sie waren die Einzigen, die nach wie vor für einen Anbau eingetreten sind. Wenn man sich die Situation jetzt anschaut, fällt es schwer nachvollziehen, wie eine Aufstockung überhaupt ernsthaft in Erwägung gezogen werden konnte. Das unmittelbare Umfeld hat nach wie vor einen etwas dörflichen Charakter, aus der Schule wäre also ein völlig unmaßstäblich hohes Haus geworden, das noch dazu die nahe Kirche konkurrenziert hätte. Vom städtebaulichen Maßstab her erscheint die gewählte Lösung als die einzig angemessene.

Riccione Architekten haben im Grund einen kleinen Würfel gebaut. Er steht neben dem Bestand, deckt die Rückseite der angrenzenden Bebauung ab (es sind wirklich nur Rückseiten), und er definiert eine Platzsituation, also genau das, was in Amras fehlte. Dieser Platz ist einfach eine leere Fläche, die man auf dem Weg zum alten, durch Riccione Architekten etwas modifizierten Schuleingang überquert. Einen etwas edleren Belag hätte er zwar durchaus vertragen. Das wollte man sich aber offenbar nicht leisten. Immerhin: Ihren Weihnachtsmarkt oder Ähnliches können die Amraser hier auf jeden Fall abhalten.

Das Problem war: Der Würfel ist halt zeitgenössische Architektur, er besteht weitgehend aus Beton. Und der hatte im Rohbau noch dazu riesige Löcher, die erst später mit Holz und Glas gefüllt wurden. Als dann auch noch das Gerücht umging, dieser Beton würde womöglich sichtbar bleiben, kam es zu Gegenreaktionen. Es wurde verlangt, den Beton zumindest anzustreichen; der Pfarrer predigte von der Kanzel dagegen. Inzwischen scheinen sich die Wogen wieder zu glätten, in erster Linie, weil die Nutzer, die dort täglich arbeiten, ausgesprochen glücklich mit der architektonischen Lösung sind. Der Schuldirektor bekundet es mit Überzeugung, die Lehrerinnen – es ist übrigens eine Montessori-Schule – sind begeistert, die Kinder haben ihr Haus geradezu überschwänglich in Besitz genommen.

Ein Würfel. Er ist aus Sichtbeton, hat eine Schaufassade mit viel Lärchenholz, großzügige Fixverglasungen und Türen, die man öffnen kann, zur Lüftung. Diese Hauptfassade ist zum Platz und nach Norden orientiert, also von der Autobahn abgewandt, und besteht im Wesentlichen aus einer Pfosten-Riegel-Konstruktion, die mit Lärchenpaneelen beziehungsweise Glas geschlossen ist. Hierher sind die Klassen orientiert – sie haben also ständig das aufregende Panorama der Nordkette vor sich. Und wer den Weg von der Kirche her kommt, sieht schon von Weitem, was drinnen in der Schule passiert.

Die Gruppenräume sind nach Osten, zur kleinen Holzfassade orientiert, also auf den Weg von der Kirche her. Da tritt der Sichtbeton schon viel massiver in Erscheinung.

Die Südfassade ist ganz anders gelöst. Der Sichtbeton dominiert hier das Bild, aber unterbrochen durch großflächige Verglasungen aus Sonnenschutzglas im Aluminiumrahmen. Von außen kann man hinunterschauen, in einen zweigeschoßigen Raum im Untergeschoß, der offenbar intensiv genutzt wird. Er ist für jede Art Spiel bestens geeignet, für Veranstaltungen, aber auch – wie bei meinem Besuch – für kleine Feste.

Das Raumprogramm war relativ bescheiden: Drei Klassenräume, drei Gruppenräume, drei Garderoben, jeweils auf einer Ebene organisiert – also Erdgeschoß und zwei Obergeschoße –, unten der abgesenkte Mehrzwecksaal und eine gläsern abgetrennte Bibliothek. Die innere Organisation ist also sehr einfach, der Innenausbau hat aber seine edlen Komponenten. Denn dadurch dass bei einem Sichtbetonbau die Wärmedämmung logischerweise innen liegen muss, konnte man innen „verkleiden“ – mit Lärchenholz, das hier in einer überraschend guten Qualität verarbeitet wurde.

Kleinigkeiten fallen auf: etwa raumhoch verglaste, erkerartige Elemente in den Gruppenräumen, die nach Osten schauen. Da hat es geheißen, die Kinder würden sich fürchten. Jetzt liegen Kissen dort, und sie scheinen gerne genutzt. Die Wände zur inneren Erschließung haben ein Glasband – so gehen die wunderschönen Holzdecken ohne Unterbrechung durch. Insgesamt erscheint die räumliche Lösung sehr großzügig.

Das Haus ist im Westen durch eine verglaste Schleuse an den Altbau angekoppelt. Der alte Schuleingang wurde beibehalten. Auf dem Weg zum Neubau wird einem dann bewusst, wie sehr der Zahn der Zeit inzwischen am Bestand genagt hat. Privilegiert sind eindeutig die, die im Neubau untergebracht sind. Daran wird man in nächster Zukunft wohl auch etwas ändern müssen.

Spectrum, So., 2007.12.23



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Volksschulerweiterung Amras

21. Oktober 2007Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Körper mit Knick und Kurve

Frisch, fröhlich, farbig. Beinahe aufregend: die Fachhochschule in St. Pölten. Ein Architekturbüro hat sein Konzept belebt. Eine Besichtigung.

Frisch, fröhlich, farbig. Beinahe aufregend: die Fachhochschule in St. Pölten. Ein Architekturbüro hat sein Konzept belebt. Eine Besichtigung.

Genau genommen, ist es ein riesiges Gebäude, die Fachhochschule in St. Pölten: 70 mal 70 Meter im Quadrat. Und es enthält schulische Einrichtungen zu den Themen Mensch/Wirtschaft/Technologie. Ausgerichtet war es in der Planungsphase auf 800 Studenten, dann auf 1.200 Studenten, jetzt sind 1.400 da. Es ist aus verschiedenen Gründen ein interessantes Projekt. Städtebaulich setzt es einen Akzent in einer heterogenen, überhaupt nicht attraktiven Umgebung. Längerfristig betrachtet, soll es aber der Auftakt für eine Bildungsachse sein, die sich bis zum Regierungsviertel hin fortsetzt.

Außerdem ist es ein interessantes Errichtungsmodell. Es geht nicht auf einen Wettbewerb zurück. In diesem Fall hat sich der Bauherr einen Errichter und Investor gesucht, der sich verpflichtet hat, das Gebäude nicht nur zu erbauen, sondern auch 25 Jahre lang zu betreiben. Und in dieser Zeit wird sozusagen abgezahlt – dann gehört es wirklich dem Nutzerkonsortium.

Das ist eine ziemlich bemerkenswerte Strategie, man nennt sie PPP – Private Public Partnership. Es lässt sich damit sehr zielgerichtet und effektiv, also auch rasch agieren. Im Jänner 2005 wurde mit der Planung begonnen, im August 2005 lagen Baugenehmigung und Ausschreibung vor, im November 2005 ist die EU-weite Ausschreibung erfolgt, am 15. Dezember hat das Bestbieterkonsortium den Bauauftrag erhalten, aufgrund der Wettersituation wurde „erst“ im Jänner mit dem Bau begonnen, im Juni 2007 wurde der Bau fertig übergeben.

In der Regel träumen Architekturbüros davon, dass etwas so zügig vonstatten geht. Denn je länger ein Projekt dauert, desto unökonomischer wird es auch. Man darf Manfred Nehrer aber glauben, wenn er sagt, einen vergleichbaren Stress hat es im Büro nie gegeben. Außerdem hat diese Strategie einen Schwachpunkt: Wenn nicht von vornherein vertraglich festgelegt ist, dass gewisse qualitative Standards tatsächlich umgesetzt werden müssen, dann kann das gebaute Ergebnis unter Umständen nur sehr wenig mit der Planung zu tun haben.

Nehrer & Medek haben seinerzeit in Vorarlberg, in Lustenau, unter ähnlichen Bedingungen ein solches Projekt realisiert. Das Büro – nach dem frühen Tod von Reinhard Medek und neuen Partnerschaften heißt es jetzt NMPB Architekten – wusste daher genau, worauf das besondere Augenmerk zu richten ist. Und es hat möglicherweise auch deswegen den Zuschlag erhalten – und sicher auch, weil es nachweisen konnte, dass die extrem kurze Bauzeit von der Bürokapazität her zu bewältigen war.

Das Haus ist ein großes Geviert, ein riesiger Block. Man betritt es unter einem acht Meter stützenfrei auskragenden Vordach undkommt in eine viergeschoßige Halle. Diese Halle ist das Highlight der Schule, weil hier die räumlichen Voraussetzungen geschaffen sind, um aus einem „Spartenbetrieb“ mehr zu machen. Sie ist Verteilerfläche, aber auch Kommunikationsfläche für Leute, die sonst gar nichts miteinander zu tun haben. Alle Gemeinschaftseinrichtungen sind rund um diese Halle organisiert: die Hörsäle, die Bibliothek, der Festsaal, die Mensa, das Café. Die Haupttreppe, sicher aus Fertigteilen errichtet, ist überdies ein skulpturales Element, das einen spezifischen Akzent setzt. (Es ist übrigens nicht ganz nachvollziehbar, dass die Glasbrüstungen ein Problem sind; ich selbst bin nicht schwindelfrei, habe mich aber nicht verunsichert gefühlt; anderen Leuten geht es offenbar anders.)

Und noch etwas Besonderes hat diese Halle: Durch eine Glaswand setzt sie sich in einen Patio fort, von dem die Architekten selbst sagen, dass seine Gestaltung, auch seine Grüngestaltung, bewusst artifiziell ist. Im Gegensatz zur glasgedeckten Halle ist es ein Freiraum. Aber einer, der wie ein Zimmer formuliert wurde.

Die eigentlichen Unterrichtsräume sind durchaus bescheiden. Aber schon Nehrer & Medek hatten diese Qualität: Bei ihnen funktioniert immer alles. Das ist auch diesmal der Fall. Die Hörsäle, vom Erdgeschoß erschlossen, sind in die Erde eingegraben; Lichtkorridore davor sorgen nicht nur für die notwendigen Fluchtmöglichkeiten, man sieht immer auch den Himmel. Und das Mobiliar – die Bestuhlung stammt durchwegs von Jacobson – lässt in seiner farblichen Differenzierung tatsächlich die Sonne aufgehen. Farbe ist überhaupt ein Element, das zum ersten Mal in diesem Ausmaß eine Rolle in der Architektur des Büros spielt. Sie ist Leitlinie – übrigens von Ingeborg Kumpfmüller grafisch, auch künstlerisch gekonnt in Szene gesetzt – und atmosphärischer Mehrwert. Jeder Bereich – auch die Stiegenhäuser – ist durch eine eigene Farbe gekennzeichnet, man weiß gleich, wie man wohin kommt.

Auch die Materialwahl hat ihre Qualitäten. Auf den großen Erschließungsflächen liegt brasilianischer Schiefer, ansonsten anthrazitfarbenes Linoleum, es gibt überall sehr viel Holz, es gibt aber auch Eternit und Heraklit, außerdem Sichtbeton und – außen – hochglanzpolierte Aluminium-Paneele.

Es hat sicher ein Wandel im formalen Ausdruck des Büros stattgefunden. Und der geht wahrscheinlich auf die neuen Partnerschaften zurück. Die Bauten sind frischer und fröhlicher. Nehrer selbst sagt, früher haben sie sich immer mit Rastersystemen abgequält, jetzt gibt es auch den „römischen Verband“. Die gesamte Außenfassade des Gebäudes ist so gelöst. Horizontale Regelmäßigkeit, aber vertikale Abweichungen.

Es gibt einen eingeschnittenen Hof, es gibt eine Terrasse, die sich gegebenenfalls mit dem Festsaal und sogar der Kantine für spezielle Veranstaltungen nutzen lässt. Es gibt durchaus reizvolle Terrassen für die Raucher. Aber vor allem haben die Architekten eine Lösung für die Baukörper-Abwicklung gefunden, die wichtig ist. Es steht nicht einfach ein brutaler Block da. Die Fassaden haben einen Knick, eine leichte Kurve. Optisch verkürzt das die tatsächliche Länge sehr wirkungsvoll. Und solche Lösungen fallen einfach nur Architekten ein, die ihr Metier verstehen, die mit solchen Dimensionen umzugehen wissen.

Früher konnte man sagen, dass aus dem Büro Nehrer & Medek immer sehr korrekte, aber auch etwas brave, zurückhaltende Lösungen gekommen sind. Funktioniert haben die Bauten allerdings immer. Jetzt werden sie langsam auch interessant, erfrischend, wahrscheinlich bald aufregend. Die neuen Partnerschaften sind offensichtlich ein Gewinn. Eines der nächsten Projekte aus diesem Büro wird die Erweiterung der Wiener Arbeiterkammer sein. Soviel man hört, ist die Umsetzung nicht ohne Schwierigkeiten abgegangen. Umso gespannter warten wir auf das Ergebnis.

Spectrum, So., 2007.10.21



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Fachhochschule St. Pölten

02. September 2007Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Gotik, begehbar

Wie man einfühlsam mit historischer Substanz umgeht, ohne die eigene Handschrift zu vernachlässigen: die Neubauten im Stift Altenburg, Waldviertel.

Wie man einfühlsam mit historischer Substanz umgeht, ohne die eigene Handschrift zu vernachlässigen: die Neubauten im Stift Altenburg, Waldviertel.

Es zählt nicht zu den lässlichen Sünden, dass die mediale und öffentliche Aufmerksamkeit so gering ist, wenn es um zeitgenössische architektonische Maßnahmen bei kulturhistorischen Denkmälern geht. Ob ein Hochhaus nahe dem Kulturerbe Wiener Innenstadt gebaut werden darf oder nicht, das regt alle auf. Aber ob in unseren Schlössern, Burgen und Klöstern die schiere architektonische Banalität Platz greift, das wird mit leichtfertiger Großzügigkeit übergangen.

Stift Altenburg im Waldviertel liefert dafür zwar keine spektakulär negativen Anschauungsbelege, aber was hier seit Jahrzehnten an baulichen und gärtnerischen Maßnahmen gesetzt wurde, ist doch sehr unterschiedlich und unkoordiniert. Dabei hätte dieser Bau von Josef Munggenast, der hier um 1740 auf gotischen Grundfesten seine barocken Vorstellungen realisierte, wahrhaftig Besseres verdient.

Tatsächlich hat sich die Situation jetzt auch entscheidend gewendet. Allerdings war dafür wieder einmal eine „Katastrophenmeldung“ notwendig: Denn im Jahr 2000 signalisierte ein Statiker bei der Untersuchung der barocken Aussichtsterrasse Altenburgs „Gefahr in Verzug“. Das Bauwerk drohte abzurutschen, war es doch auf einem mit Bauschutt zugeschütteten gotischen „Unterbau“ errichtet. Archäologen begannen zu graben, und was die Öffentlichkeit heute noch nicht sieht: Sie haben das mittelalterliche Mauerwerk freigelegt.

Der notwendige Neubau der Altane lieferte jedenfalls den Anlass, dass Jabornegg & Pálffy die Bühne betraten. Ihre jetzigen Maßnahmen gehen auf einen Wettbewerb zurück, der erst ausgeschrieben werden konnte, nachdem aufgrund der freigelegten mittelalterlichen Substanz die konkreten statischen Bedingungen festgelegt waren.

Jabornegg & Pálffy haben diesen Wettbewerb nicht von ungefähr gewonnen – wie man mit vorhandener Substanz einfühlsam umgeht, ohne die eigene Handschrift zu vernachlässigen, das haben sie schon mehrfach gezeigt. Das zeigt auch das erste Zwischenergebnis ihres Eingriffs in Altenburg: nicht nur in Form des neuen Foyers für den Besucherrundgang, sondern vor allem durchdie wieder erstandene Altane, die ausgedehnte Aussichtsterrasse zum Kamptal. Von dort hat man nicht nur einen wundervollen Blick auf die umgebende Landschaft, es ist auch der einzige Standort, der den Blick auf die Hauptfassade von Altenburg aus der Nähe ermöglicht. Alle anderen Blickpunkte liegen weit weg, jenseits des Kamps.

Das Hauptverdienst der Architekten besteht aber nicht nur in diesem konstruktiv interessanten, teilweise als (befahrbare) Brücke ausgeführten Terrassenbauwerk allein, auch nicht im puristisch-selbstverständlichen, dabei eleganten Foyer. Jabornegg & Pálffy hatten einfach ein Gesamtkonzept im Auge, von vornherein. Und das war in Altenburg sehr notwendig. Bisher konnte man sich dort verlaufen, weil man immer wieder in toten Ecken gelandet ist – ohne verständliche Wegführung, ohne hilfreiche Orientierungspunkte. Das hat sich schon jetzt geändert, mit der Fertigstellung des Gesamtprojekts kommt aber sicher noch eine Dimension dazu: Denn dann wird auch die eindrucksvolle mittelalterliche Ausgrabungsstätte zu besichtigen sein.

Wichtig ist es, zwischen den verschiedenen Ebenen zu unterscheiden, die in Zukunft – mit dem gemeinsamen Ausgangspunkt des neuen Foyers – für die Besucher zugänglich sein werden. Das barocke Niveau – nicht zuletzt durch die neue Altane signifikant definiert – bleibt zwar die Hauptattraktion, schon wegen der Veitskapelle, der Sala Terena, der wundervollen Bibliothek und besonders der grandiosen Krypta.

Aber der jetzt freigelegte mittelalterliche Schauraum, der durch die Altane gedeckt ist, mit seinen von oben belichteten Mönchszellen, in denen die alten, jahrhundertelang zugemauerten Fensteröffnungen wieder aufgemacht werden, mit dem ursprünglichen Abtshaus und der Abtskapelle, der steht dem Barockmeisterwerk atmosphärisch nicht nach. Natürlich sind es in solchen Fällen immer nur Rudimente von Bausubstanz, die zu besichtigen sind. Aber was da vorläufig durch einen Holzsteg erschlossen ist, ist ein Stück begehbare Geschichte. Die Reste eines gotischen Turms reichen übrigens noch tiefer, dort sind auch gotische Kellerräume erhalten.

Altenburg war auch bisher nicht arm an Sehenswertem, durch die Ausgrabungen hat es dennoch einen Mehrwert gewonnen. Sie geschickt und verständlich in eine Besucherroute einzubinden, die in formaler Hinsicht mit der historischen Substanz qualitativ gleichzieht, ist Jabornegg & Pálffy gelungen. Denn die alten Eingriffe – etwa im Kreuzgang, aus den Achtzigerjahren – sind so unbedeutend, dass sie an einem solchen Ort einfach fehl am Platz erscheinen.

Die neuen Maßnahmen – immerhin wurde ein ausgedehnter Garten der Weltreligionen angelegt – sind eher hilflos. Das ist bedauerlich, weil es nicht so oft vorkommt, dassein Themengarten neu geschaffen wird. Der hier ist, milde formuliert, misslungen. Auch andere, kleinere Missgriffe gibt es. Der auf der Böschung zur Altane angeschüttete Kies ist schwarz, auch der um die streng gefassten Rechteckbeete im wieder erstandenen Apothekergarten. Auf die Böschung gehört kein Kies, sinnvollerweise sollte sie durch eine Grasfläche mit dem Umfeld verwachsen. Und im Apothekergarten hat der modische Aspekt dieser Schüttung überhaupt nichts verloren. Ein heller, möglichst normaler Kies, wäre viel passender.

Dass Jabornegg & Pálffy nicht nur am großen Konzept, sondern auch an solchen Details arbeiten, das macht schon überzeugend deutlich, wie komplex solche Aufgaben sind. Die Fotos vom bisher Erreichten sind durch die Bank bearbeitet: So werden minimale Missstimmigkeiten ausgemerzt und schon jetzt zugunsten einer künftigen Stimmigkeit korrigiert. 2009 gibt es in der Nähe der Altenburg eine Landesausstellung. Bis dahin sollte das Konzept umgesetzt sein.

Wie immer liegt alles an der Frage der Finanzierung. Mir scheint nicht, dass man im Stift mit diesem Problem bisher sehr geschickt umgegangen ist. Praktisch kamen 50 Prozent der bisherigen Kosten aus der eigenen Kassa. Das ist von Seiten des Landes ein bisschen schäbig, und es wird nicht besser werden, weil die Gelder sicher der nächsten Landesausstellung zufließen. Entspricht das dem Wert, der Bedeutung von Altenburg? Man kann dem Abt nur viel Geschick und noch mehr Durchsetzungsvermögen bei den Verhandlungen wünschen.

Spectrum, So., 2007.09.02

22. Juli 2007Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Junges Holz und arme Kunst

Ein Querkopf, der Architekturgeschichte geschrieben – und nie das Originelle und Authentische aus den Augen verloren hat. Johann Georg Gsteu zum 80. Geburtstag.

Ein Querkopf, der Architekturgeschichte geschrieben – und nie das Originelle und Authentische aus den Augen verloren hat. Johann Georg Gsteu zum 80. Geburtstag.

Unheimlich wird einem schon, wenn man sich folgendes Bild vergegenwärtigt: Nachkriegszeit, ein Klassenzimmer in der Salzburger Staatsgewerbeschule, und in einer Reihe sitzen Friedrich Achleitner, Wilhelm Holzbauer, Johann Georg Gsteu und Hans Puchhammer, ein paar Reihen weiter vorne Friedrich Kurrent. Und alle gehen nach Wien – Puchhammer an die Technik, die anderen zu Holzmeister an die Akademie –, und alle werden Architekten. Irgendwie muss in diesem Klassenzimmer ein Rumpelstilzchen seinen magischen Moment ausgelebt haben. Das Ergebnis ist jedenfalls österreichische Architekturgeschichte der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Und Johann Georg Gsteu hat sie mitgetragen, mitentwickelt, mitbefördert. Er feiert kommende Woche seinen 80. Geburtstag.

Gsteu gehört zu einer Generation von Architekten, die mit Aufträgen nicht reich beschenkt wurde. Sein Werk ist relativ klein. Aber das gilt, mit Ausnahme von Wilhelm Holzbauer und Gustav Peichl in Wien und von Josef Lackner in Tirol, für die Mehrzahl der „Ambitionierten“ dieser Altersklasse. Es war eben noch nicht die Zeit des organisierten Wettbewerbswesens. Noch nicht die Zeit der versuchsweisen Demokratisierung von Auftragsvergaben.

Obendrein war Gsteu ein Querkopf, der Aufträge, Programme auf ihre Sinnhaftigkeit befragt hat und bei der Umsetzung die Originalität, die Authentizität eines Projekts nie aus den Augen verlor. Die noch nicht da gewesene materielle, technologische, konstruktive Lösung – auch um den Preis eines gelegentlich gewöhnungsbedürftigen formalen Ergebnisses – war seine Sache. Architektur als Denk- und Erfindungsprozess, als Prototyp. Und da kam es nicht auf die Größenordnung einer Aufgabe an, da ging es um die Substanz einer Idee.

Die Büroanfänge, gemeinsam mit Friedrich Achleitner, der sich nach einem ersten realisierten Werk allerdings gleich in die Gefilde der Sprache abgesetzt hat, sind heute schon Legende. Immerhin, die „Ausräumung“der Rosenkranzkirche, ihre innere Bereinigung, die auch so manchen Kirchendiener wieder den substanziellen Gehalt eines sakralen Raums erkennen ließ, wurde zum Merkstein. Auf dem Gebiet der Sakralarchitektur konnte Gsteu noch zweimal nachhaltig tätig werden: Gemeinsam mit den „Dreiviertlern“(Kurrent, Spalt) in Steyr-Ennsleiten und bei seiner Anlage in Baumgarten, die wohl bis heute einen Höhepunkt in seiner Arbeit darstellt. Man schrieb die Sechzigerjahre, und die Seminare von Konrad Wachsmann in Salzburg waren nicht fern. Und das spürt man. Industrielles Bauen, Module, die sich reihen lassen und doch eine (angeblich preisgünstige) räumliche Vielfalt ergeben, strukturelles Denken – die Prämissen sind Legion, an denen sich die jungen, aufmüpfigen Geister damals aufgerieben – und die träge Volksmeinung zerrieben haben.

Beim Seelsorgezentrum Baumgarten war das allerdings anders. Da konnte Gsteu tatsächlich viel von dem umsetzen, was damals in den Köpfen der jungen Architekten für Unruhe sorgte. Seine ursprüngliche Entwurfsidee eines quadratischen Kirchengrundrisses mit zwei hohen und zwei halbhohen Raumeinheiten ging zwar nicht auf, die einheitlich hohe Kirchenhalle ist aber bis heute ein bleibender Eindruck. Ebenso die stringente Gliederung der Außenanlage mit Pfarrhof,Sakristei, Pfarrsaal und Glockenträger. Die Kirche ist ein Meisterwerk in Bezug auf die Präzision des Entwurfs. Alle Details stimmen, ohne mit allzu vielen Bedeutungen überfrachtet zu sein. Diese Selbstverständlichkeit in der Komplexität des Angedachten wird Gsteu nur selten übertreffen können.

Es war eine schwierige Zeit. Gsteu hat sehrbescheidene Bauaufgaben gelöst. Wenn mansich die Bildhauerunterkünfte in St. Margarethen ansieht, die ja eigentlich nur ein Um- und Ausbau sind, dann weiß man aber gleich,was er immer gekonnt hat: die Bedingungen eines Ortes verstehen und ganz sensibel darauf reagieren, egal ob sie nun im innerstädtischen Gründerzeitviertel oder im Steinbruch liegen. Und noch etwas konnte er immer: eine Art mönchische, archaische, gleichzeitig sinnliche Raumqualität schaffen.

Die wurde aber nicht immer und zu allen Zeiten von jedermann verstanden. Die mönchische Lösung, die hat er zwar auch mit den Druckrohren in seinem Gemeindebau realisiert. Na ja, und stützenfreie Erker sind dabei ja auch wirklich zustande gekommen, obwohl es ursprünglich ein Erkerverbot gab; und die Röhren können tatsächlich alles Mögliche – vom Liegeplatz über das Blumenfenster bis zum Terrarium sind zahlreiche Nutzungen denkbar. Auch lösen sie den Anspruch der preisgünstigen industriellen Fertigung ein. Trotzdem hat nie jemand diese Idee aufgegriffen, weitergeführt. Die Röhren mögen originell sein – als schön werden sie von den wenigsten empfunden.

Der Gemeindebau war übrigens schon das zweite Anwendungsbeispiel für Gsteus Idee mit den Druckrohren. Erstmals kamen sie in einer Bankfiliale zum Einsatz, wo er auch ein ganz spezielles Tor geschaffen hat. Es wiegt gewissermaßen Tonnen – und ist doch so ausgetüftelt gelagert, dass man es mit einer Hand bewegen kann.

Gsteu hat oft eigenständige Ideen entwickelt, die er dann bei verschiedenen Anwendungen durchgetestet hat. In seinen neueren Arbeiten war das ein Verfahren, mit dem man Aluminium-Trapezblech verformen kann. Er hat es sowohl bei seinen U-Bahn-Bauten als auch beim Nordbrücken-Steg und einem Kindergarten angewendet. Vor allem bei den Verkehrsbauten hat sich die Technologie als herausragend erwiesen, weilMaterialqualität, Verarbeitungsweise und visuelle Erscheinung dabei eine glückliche Symbiose eingehen.

Aber gerade was die Verkehrsbauten betrifft, hat die Sache auch ihren Pferdefuß. Es waren, vereinfacht gesagt, halt immer alle anderen beauftragt, nur nicht Johann Georg Gsteu. Er kam immer erst dann dazu, wenn irgendwem in irgendeiner Magistratsabteilung aufgefallen ist, dass die, die den Auftraghatten, nicht gut genug dafür waren. Und das hat ihn einmal auch fast in den Bankrott getrieben. Er redet nicht viel darüber. Aber es kann einem schon bitter aufstoßen, wie dieses „andere“ Wien mit seinen verdienstvollen Söhnen umgeht. Andererseits: Kassel war auch nicht viel besser. Gsteu hat an der Gesamthochschule zwar zehn Jahre unterrichtet, gebaut hat er dort aber nie.

Nur ein wunderschönes Projekt gibt es von ihm, gedacht als temporäre Installation während der Documenta. Beuys hat seine Bäume gepflanzt, junges Holz, gewachsen auf sicher nicht ganz ungeschädigtem Boden, Gsteu hat beschädigte Bäume genommen und eine temporäre Brückenkonstruktion vorgeschlagen. Sozusagen ein „armes“ Projekt, „arme“ Kunst, die schon damals zukunftweisend war. Was hätte auch besser zu Gsteu gepasst?

Spectrum, So., 2007.07.22



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Gsteu Johann Georg

03. Juni 2007Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Wenn Schwere schwebt

Warum es für Architekten sinnvoll sein kann, sich nicht an Vorgaben zu halten: die Landesleitstelle Tirol – tonnenschwerer Beton, doppelt erdbebensicher. Und alles andere als plump.

Warum es für Architekten sinnvoll sein kann, sich nicht an Vorgaben zu halten: die Landesleitstelle Tirol – tonnenschwerer Beton, doppelt erdbebensicher. Und alles andere als plump.

Wenn der Extremfall eintritt und eines Tages ganz Tirol in Schutt und Asche liegt, dann soll, muss, wird ein Gebäude immer noch stehen: die Integrierte Landesleitstelle Tirol (ILL) von Architekt Johann Obermoser und dem Büro Schlögl & Süß Architekten. Es ist eine bemerkenswerte Vorgabe für die Planung eines Hauses, in diesem Fall leuchtet sie aber ein. Immerhin steuert und koordiniert die ILL den Blaulicht-Einsatz für das gesamte Bundesland – von der Lawinen- über die Tunnel- und jede andere Katastrophe bis hin zur Feuersbrunst. Von Erdbeben hört man hierzulande zwar weniger oft, die doppelte Erdbebensicherheit war aber trotzdem gefordert. Und das hatte gewisse Konsequenzen.

Denn im Wettbewerb des Jahres 2004 war für diese Institution noch an eine Aufstockung der Hauptfeuerwache Innsbruck gedacht. Etwa im Umfang von 700 Quadratmeter Nutzfläche. Den Zuschlag hat die Architektengemeinschaft Obermoser/Schlögl & Süß nicht zuletzt deshalb errungen, weil sie sich ihre eigenen Gedanken über die konkrete Situation gemacht hat. Anders ausgedrückt: Die Architekten haben als Einzige im Verfahren einen alternativen Vorschlag unterbreitet. Sie haben nicht die Hauptfeuerwache aufgestockt, sie haben vielmehr ein eigenes, aufgeständertes Gebäude in einem Abstand von nur fünf Metern davorgestellt. Der städtebaulichen Situation entsprach dieser Vorschlag sowieso viel besser. Und auch ohne die Vorgabe der doppelten Erdbebensicherheit hat man sich mit diesem Projekt aufwendige statische Sekundärkonstruktionen im Bestand erspart.

Die Genesis des Projekts verlief jedenfalls nicht uninteressant. Die Nutzflächenforderung hat sich fast verdoppelt – jetzt stehen knapp 1400 Quadratmeter zur Verfügung –, und die Sicherheitsanforderungen haben sich letztlich so verschärft, dass sich die Architekten schweren Herzens von ihrem Wettbewerbsprojekt – eine leichte Stahl-Glas-Konstruktion – verabschieden mussten. Es wäre nicht nur unglaublich teuer geworden, es hätte durch die notwendigen Dimensionierungen der Konstruktion auch ihren ästhetischen Ansprüchen nicht mehr genügt. Und so wurde eine Betonschachtel daraus. Aber sie hat die Kraft, die in der Architektur jedem einfachen geometrischen Volumen innewohnt. Sie hat aber auch die Kraft, die aus einer rohen, „brutalen“ Materialisierungresultiert. Das Gebäude – immerhin ist es aus Beton – wirkt naturgemäß sehr schwer, das spürt man physisch. Der Reiz liegt darin, dass es trotzdem schwebt. Statisch wird es aber von nur vier Scheiben und dem Stiegenhauskern gehalten. Dabei beträgt die Spannweite 40 Meter. Und das bei einer Gebäudelänge von insgesamt 65,5 Metern.

Dass es schwebt, ist kein architektonischer Willkürakt, es ist nackte Funktion. Denn die Feuerwehr fährt drunter durch. Im Übrigen wirkt der gewaltige Riegel wie ein großes Brückengebäude. Dieser Beton-Querbalken erscheint aber nicht abweisend. An der Nord- und Zugangsseite hat er im oberen Bereich ein sehr breites Glasband, Festungscharakter hat das Haus also nicht. Und vor allem sorgt die architektonische Lösung für eine Tageslichtsituation im Inneren, im sehr eindrucksvollen Herzen der ILL,die den zahlreichen Mitarbeitern bei ihrer verantwortungsvollen Bildschirmarbeit eine angenehme Raumatmosphäre bietet.

Den zentralen Raum, die eigentliche Katastrophenleitstelle, sollte man gesehen haben. Er ist sicher 50 Meter lang und über sieben Meter hoch, weil alle Mitarbeiter zwingend in einem Raum sein müssen. Bei Großeinsätzen wird nämlich auch durch Zuruf kommuniziert, also sehr einfach und direkt, nicht nur via Computer. Wobei es zusätzlich die Möglichkeit der Großprojektion gibt, die die Koordination von Einsätzen visuell nachvollziehbar macht.

Der eindrucksvolle Raum war in dieser Form – als zweigeschoßiges Volumen – in der Wettbewerbsausschreibung nicht gefordert. Wenn man sich aber eine solche Fläche mit einer üblichen Raumhöhe von, sagen wir: drei Metern vorstellt, dann begreift man, wie wichtig dieser Vorschlag der Architekten war. Die Arbeitssituation für die Mitarbeiter wäre zweifellos belastend und noch stressiger gewesen.

Die Raumhöhe hat außerdem einen Nebeneffekt. Bei solchen Einrichtungen weiß man nie, wie sie sich in Zukunft entwickeln. Jetzt ist der Raum in seiner Gesamthöhe sozusagen noch leer. Aber drei Querträger, fast in der Mitte der rechteckigen Schachtel, weisen auf ein Erweiterungspotenzial hin. Jetzt sind sie scheinbar sinnlos, sie ermöglichen aber eine zweite Ebene in einem Teil des Volumens, falls eines Tages noch mehr Arbeitsplätze gebraucht werden. So etwas im Nachhinein zu machen, ohne entsprechende Vorkehrungen, das ist immer sehr schwierig.

Obermoser/Schlögl & Süß mussten natürlich darauf achten, dass ihr Gebäude nicht zu schwer wird. Bei der geforderten doppelten Erdbebensicherheit und der notwendigen Feuerwehr-Durchfahrt unter dem Gebäude hätte das andernfalls zu einer plumpen äußeren Erscheinung geführt. Und als wirklich tragende Elemente gibt es ja nur die vier Betonscheiben und den Stiegenhauskern. Die Decken, selbst das Flachdach, wurden daher als Hohlkörperdecken ausgeführt, was wiederum den nötigen Raum für die umfangreichen technischen Installationen liefert und es ermöglicht, dass jeder Arbeitsplatz praktisch beliebig verschoben werden kann. Man braucht nur ein Bodenelement herauszunehmen und kann sich an jeder Stelle in die technische Installation einklinken.

Das Haus ist so organisiert, dass man vom linkerhand gelegenen Stiegenhaus ebenerdig in einen Beratungsraum kommt, der der Brandschutz-Vorsorge dient. Im Geschoß darüber gibt es den kontrollierten Zugang zur eigentlichen Leitstellenzentrale. Im nächsten Geschoß gibt es aber auch eine Besucherempore, die allgemein zugänglich ist. Von da kann jeder zuschauen, wie die Arbeit einer solchen Einrichtung abläuft.

Auf den beiden Obergeschoßebenen sind außerdem Fortbildungsräume und ein Aufenthaltsbereich untergebracht, Schlafkojen – hier geht es schließlich um einen Rund-um-die-Uhr-Betrieb – und Sekretariat beziehungsweise Verwaltung.

Das Projekt ist eine überzeugende, weil intelligente Lösung. Wenn man sich den Bestand, das recht belanglose Gebäude der Hauptfeuerwache, anschaut, wenn man sich vorstellt, dass da ein sehr großes Volumen daraufgebaut worden wäre, dann muss man einfach darauf hinweisen, wie wichtig es ist, dass sich Architekten nicht stereotyp an Ausschreibungsvorgaben halten. Die eigenständige Überlegung eines Architekten ist durch nichts zu ersetzen. Aber die Tiroler haben bekanntlich einen ordentlichen Sturschädel. In der Architektur führt das manchmal zu äußerst gewinnbringenden Resultaten.

Spectrum, So., 2007.06.03



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Leitstelle Tirol

21. April 2007Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Pionier der Peripherie

Was entsteht, wenn Architekt und Heimleitung kooperieren: ein helles, freundliches Haus, räumlich großzügig, nicht übermöbliert – und geplant nach allen Regeln der ökologischen Kunst. Ein Kindertagesheim in Breitenlee bei Wien.

Was entsteht, wenn Architekt und Heimleitung kooperieren: ein helles, freundliches Haus, räumlich großzügig, nicht übermöbliert – und geplant nach allen Regeln der ökologischen Kunst. Ein Kindertagesheim in Breitenlee bei Wien.

Breitenlee ist keine attraktive Gegend. Es gilt zwar als Peripherie von Wien, nördlich der Donau gelegen, aber es ist weit weg von jeglicher Urbanität. Es liegt im Flachen, und wie alle diese ursprünglichen Dörfer präsentiert es sich ziemlich zersiedelt und ruiniert. Die bemerkenswerte Ausnahme von den heutigen städtebaulichen und architektonischen Regeln dieses Umfelds hat Helmut Wimmer 1997 realisiert: eine Volksschule, die auf die tradierten Grundmuster dieser Gegend eingeht und in den zehn Jahren ihres Bestehens nichts an Relevanz verloren hat. Es ist ein eingeschoßiges Schulhaus mit einem Hof, der durch eine in die Erde abgesenkte, also ebenfalls niedrige Turnhalle zur Straße hin geschlossen ist. Ins Schulgebäude selbst sind fünf begrünte Atrien eingeschnitten und die Klassenzimmer dorthin orientiert.

Normalerweise bedeutet es einen Anlass zur Sorge, wenn neben einen solchen Bau ein anderer – in diesem Fall ein Kindertagesheim – gestellt werden soll. Noch dazu ein höheres Bauwerk – mit einem Obergeschoß. Tatsächlich haben die Teilnehmer am geladenen Wettbewerb von 2003 diese Möglichkeit auch genutzt. Nur Georg W. Reinberg nicht, der blieb mit seinem Projekt niedrig – und hat damit gewonnen.

Reinberg hat mit seinem Neubau städtebaulich wirklich etwas geleistet. Er hält Abstand zur Schule, sie wird in ihrer Wirkung nicht beeinträchtigt. Und er formuliert seinen Baukörper so, dass der Hof zwischen Schule und Turnsaal an der Schmalseite des Grundstücks geschlossen wird.

Außerdem wird mit diesem Nebeneinander von Schule und Kindertagesheim ein funktioneller Zusammenhang sichtbar. Das Tagesheim umfasst zwar auch Kinderkrippe und Kindergarten, vor allem aber vier Hortgruppen für die Schüler – und eine fünfte wird wohl demnächst hinzukommen und den Mehrzwecksaal vereinnahmen. Das wird der „Bewohnbarkeit“, der Brauchbarkeit des Tagesheims aber keinen Abbruch tun. Reinberg hat es so geplant, dass sich der Eindruck der räumlichen Großzügigkeit geradezu aufdrängt. Am bescheidensten sind noch die Räume für die Leiterin und die Mitarbeiter, sie liegen rechts vom Eingang. Da war ganz offensichtlich der Zweck und nicht die Repräsentation für Größe und Ausstattung bestimmend.

Kein unsympathischer Faktor. Aber die Atmosphäre in diesem Haus ist überhaupt sehr angenehm. Die Zufriedenheit der Leitung und die Freude der Kinder teilen sich mit. Tatsächlich haben sie ja auch ein sinnvoll organisiertes, dazu helles, freundliches Haus erhalten, das durch den demonstrativen Außenbezug der Gruppenräume – auf eine gut nutzbare Grünfläche – noch eine wesentliche Qualität hinzugewinnt.

Dreh- und Angelpunkt ist ein großes, hohes, glasüberdachtes Atrium, das als Aufenthalts- und Verteilerhalle fungiert. Die Gruppenräume – sie sind alle nach Süden orientiert – werden über die Garderoben erschlossen, die vom Atrium bis an den südlichen Freiraum reichen. Diese Garderoben sind übrigens besonders gut gelungen, weil sie Räume sind – und nicht bloß Gänge, flankiert von Spinden. Sie sind breit, und durch die raumhohe Verglasung schauen sie ins Grüne. Da zeigt sich auch, dass es von Vorteil ist, wenn der Architekt zumindest die fixen Wandeinbauten selbst entwerfen kann, das bringt einen deutlichen gestalterischen, atmosphärischen Gewinn.

Die Gruppenräume sind groß, voll auf den Grünraum orientiert und nicht übermöbliert. Sicher, es ist alles da, was gebraucht wird. Aber die Kinder haben Platz, sie können sich bewegen. Da merkt man einfach, dass Architekt und Heimleitung sich verständigen konnten. Es gibt andere Beispiele, da haben profilierte Architekten ähnliche Vorschläge gemacht, die dann von der Tagesstättenleitung durch eine eklatante Übermöblierung illusorisch wurden.

Reinberg hat sich vor allem auf dem Gebiet des ökologischen, energiesparenden Bauens einen Namen gemacht. Auch für die Entwicklung dieses Projekts waren solche Überlegungen inhaltlich ausschlaggebend. Die Positionierung des Baukörpers als südlicher Kopfbau der Schule kam diesen Ambitionen entgegen, die architektonische Lösung der Öffnung zur Sonne und zum Grünraum war eine logische Konsequenz.

Von außen präsentiert sich das Gebäude als sehr ruhiger, niedriger Baukörper, der ins grüne Umfeld sensibel eingebettet ist. Vom Hof her ist dem Körper gewissermaßen ein Eck ausgeschnitten – wodurch der Hof zum geschlossenen Rechteck und der Eingang deutlich sichtbar wird. An der Nordseite, die dem Schulhaus zugewandt ist, liegen alle Verwaltungs- und Nebenräume. Hier ist die Fassade verhältnismäßig geschlossen, es gibt Oberlichtbänder (also indirektes Sonnenlicht, ohnehin die bessere Lösung für Arbeitsplätze). Die an sich völlig unspektakuläre, voll verglaste Südfassade ist trotzdem interessant, denn durch die über der Raumverglasung liegenden, dunkleren Solarpaneele wird die Horizontale des Gebäudes noch einmal betont. Obendrein verwandelt der außen liegende Sonnenschutz das Ganze – je nachdem – in eine offene oder geschlossene Schatulle.

Drinnen legt Reinberg eine gewisse Robustheit an den Tag – denn alle Installationen sind sichtbar geführt, und der Warmwasserspeicher der Solaranlage steht sozusagen im „Zentrum“ des Atriums. Reinberg misst der Sichtbarkeit seiner technischen Maßnahmen didaktischen Wert zu. Wichtig ist, dass er in seinen Überlegungen nicht bei missionarischen Ansprüchen stehen bleibt. Allein schon sein Spiel mit Raumhöhen – entsprechend der Bedeutung der Räume – macht einen Rundgang durchs Haus interessant. Auch sein Spiel mit der Tagesbelichtung (die sogenannten Nebenbeschäftigungsbereiche in den Gruppenräumen etwa sind nur über das Atrium belichtet).

Das Haus wäre nicht von Reinberg, wäre darin nicht ein Optimum ökologischer, energiesparender Baumaßnahmen realisiert. Hohe Dämmung sowieso, passive Sonnenenergienutzung, Solaranlage, Lüftungsanlage mit Wärmerückgewinnung – bis hin zu einem ausgeklügelten manuellen Belüftungssystem, das bei Hitze und in der Nacht für Kühlung sorgt. Und das Regenwasser versickert auch. Ich handle diesen wichtigen Aspekt von Reinbergs Arbeit nur kursorisch ab, weil die Entwicklung der letzten Jahrzehnte längst dazu geführt haben müsste, dass solche Überlegungen und Kenntnisse zum selbstverständlichen Know-how jedes Architekten gehören und im Bewusstsein jedes Bauträgers und Nutzers verankert sein müssten. Natürlich ist es immer noch nicht so. Reinberg gehört vor allem im Wiener Raum jedenfalls zu den Pionieren.

Spectrum, Sa., 2007.04.21



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Kindergarten Schukowitzgasse I

21. Januar 2007Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Können Gitter schön sein?

Für Momente vergisst man, wo man ist. Aber nur für Momente. Dieter Mathoi hat einen Neubau für die Justizanstalt Innsbruck entworfen. Eine Bravourlösung.

Für Momente vergisst man, wo man ist. Aber nur für Momente. Dieter Mathoi hat einen Neubau für die Justizanstalt Innsbruck entworfen. Eine Bravourlösung.

Ganz einfach ist es nicht, über ein Gefangenenhaus zu schreiben. Und noch viel weniger einfach dürfte es sein, ein solches zu planen. Dieter Mathoi von Heinz Mathoi Streli Architekten aus Innsbruck war mit dieser Aufgabe konfrontiert. Und er hat sie nicht nur mit Anstand, mit Sorgfalt, er hat sie mit Bravour gelöst.

Es geht um einen Neubau im Kontext der Justizanstalt Innsbruck. Er ist hinter dem Altbestand situiert, auf einem Gelände, das zuvor dem Lehmabbau und der Ziegelproduktion durch die Häftlinge diente. Rentabel war das längst nicht mehr, aber Ziegelstapel erinnern noch heute daran. Der im Volksmund sogenannte „Ziegelstadel“ wurde daher abgerissen, der riesige Schornstein ebenso.

Hier, hinter dem Altbestand, der übrigens um ein Geschoß erweitert wurde - der Architekt hat sich dabei mit dem Ausbau des Dachgeschoßes (Satteldach) begnügt und ein neues Flachdach daraufgesetzt -, stehen die zwei Trakte des neuen Bauteils. Wie zwei Finger weisen sie ins Gelände hinein. Später lassen sich bei Bedarf weitere Finger dazubauen. Die jetzigen zwei Trakte umschließen einen Innenhof - einen sogenannten Spazierhof mit befestigter, begrünter Fläche und einer ausgreifenden, sehr reizvollen Skulptur von Lois und Franziska Weinberger: ein organisches Gebilde aus Beton, auf dem man sitzen kann; als Motiv liegen ihm die Form der Gänge von Borkenkäfern zugrunde. Man trifft auf diese Skulpturen auch in den Spazierhöfen auf dem Dach.

Und damit sind wir beim Punkt: Es gibt Spazierhöfe, die müssen ausbruchsicher sein, genauso wie die beiden Gefängnistrakte. Und obwohl das Gebäude noch nicht bezogen ist, kommt Frösteln auf, wenn man es durchquert und irgendwie automatisch nach den Hinweisen Ausschau hält, die auf Gefängnis verweisen. Auf Gitter. Auf Zellen.

Mathoi hat tolle Lösungen gefunden, um die Situation mit architektonischen Mitteln erträglicher zu machen. Das Gitter im engen Sinn kommt bei ihm überhaupt nicht vor. Die Zellen selbst, alle nach Süden orientiert, sind raumhoch verglast - schusssicher - und haben im mittleren Lüftungsteil ein stabiles Lochblech vorgeschaltet. Das bildet sich zwar nach außen an der Fassade ab - aber relativ unverfänglich, es relativiert die „Käfigsituation“ innen wie außen.

Der Architekt hat besonderen Wert auf die natürliche Belichtung der Räume gelegt. In der Erdgeschoßzone und im Dachgeschoß gibt es eine ebenfalls raumhohe, lichtdurchlässige Profilitverglasung, in der nicht nur die Dämmung, sondern auch Flacheisen liegen, die das Ganze ausbruchsicher machen. Man sieht sie aber kaum. Und die „Raucherbalkone“ - in Wahrheit große offene Loggien, also gedeckte Aufenthaltsräume im Freien - sind zwar vergittert, aber so, dass es eigentlich ein ästhetisches Vergnügen ist: schlichtes, verzinktes Blech, in einem Zehn-mal-zehn-Raster - fast schon japanisierend. Gefängnisgitter fallen einem sicher nicht dazu ein.

Die architektonische Geste nach außen ist auf jeden Fall einnehmend. Das Gebäude ist schlicht, das schon, es gibt auch keinen Anlass für spektakuläre Inszenierungen. Im Übrigen gibt es ja auch so gut wie keine Vorbilder in der Architekturgeschichte für ein solches Haus.

Mathois Programm war relativ komplex. Es ging keineswegs nur um Zellen für 54 Insassen und die dazugehörigen Erschließungsgänge. Gebraucht wurden ein Turnsaal, den er im Untergeschoß situiert hat, zwei ebenerdig gelegene Produktionsräume, wo die Insassen arbeiten können, und Gemeinschaftsräume, in denen man Kaffee kochen, im Internet surfen, Tischfußball oder Billard spielen kann.

Mathoi hat mit seiner Lösung ein architektonisches Plus geschaffen, das über die einfache Nutzung weit hinausgreift. Die innenräumliche Lösung zeichnet sich durch raumplastische Qualität und einen feinen Umgang mit Materialien aus. Beide Trakte sind auch in den innen liegenden, mehrgeschoßigen Erschließungszonen von oben natürlich belichtet, das ist einfach toll. Jedes bessere Bürohaus wäre stolz auf einen solchen Binnenraum. In diesem Kontext hat er aber noch größere Bedeutung. Er strahlt eine gewisse Großzügigkeit aus. Man vergisst zumindest ein bisschen, wo man ist.

Die vorherrschende Farbe ist grau. Durch den Beton, durch den Anstrich, durch das Metall. Das hat mich etwas irritiert. Es wird zwar alles relativ elegant dadurch, aber ist es nicht zu trist? Wahrscheinlich nicht. Farben, leuchtende Farben, würden wohl eher zum Zynismus werden, nicht zu einer freundlicheren Geste. Und in den Zellen ist der Kunstharzboden ohnehin rot und das Holz der Einrichtung helle Birke. So ganz lässt es sich eben doch nicht beschönigen, dass hier Menschen eingesperrt sind.

Für mich war es dann auch der größte Schock, als ich auf dem Weg über die räumlich attraktive Erschließung zu den Zellen kam. Eine Tür nach der anderen, eine elf Quadratmeter große Behausung (jawohl: mit Fernsehen und Radio) nach der anderen. Von außen kontrollierbar. Das lässt sich nicht so leicht wegstecken.

Der Neubau ist zwangsläufig mit dem Altbestand verbunden. Die Insassen im Altbau kommen dadurch auf einem unterirdischen Weg in den Genuss des neuen Turnsaals; und über eine 80 Meter lange oberirdische Brücke kommen die Insassen des neuen Gebäudes zum Altbau - zu Verhören oder zu ihren Besuchern. Es ist eine „kalte“ Brücke, aus Kostengründen nur eingedeckt mit einer Autoplane, die sich allerdings sehr gut bedrucken lässt. Sie trägt als Botschaft einen berühmten Zauberspruch, den die Weinbergers variiert haben: „Die drei zu zwei / die zwei zu eins / und eins zu keins . . .“

Spectrum, So., 2007.01.21



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Erweiterung Justizanstalt Innsbruck

16. Dezember 2006Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Licht und Lamellen

Andreas Treusch und das Glück der großen Formate: das Air Cargo Center in Wien-Schwechat und Treuschs jüngster Wurf, die Erweiterung des Ars Electronica Centers in Linz - das architektonische Highlight der künftigen Kulturhauptstadt.

Andreas Treusch und das Glück der großen Formate: das Air Cargo Center in Wien-Schwechat und Treuschs jüngster Wurf, die Erweiterung des Ars Electronica Centers in Linz - das architektonische Highlight der künftigen Kulturhauptstadt.

Andreas Treusch ist Spezialist für das große Format, schreibt Robert Temel in „architektur.aktuell“. Man muss allerdings auch das (Wettbewerbs-)Glück haben, zu diesen „großen Formaten“ zu kommen. Treusch hat dafür einiges investiert, er nimmt an vielen Wettbewerben teil. Und ein paar - wichtige - hat er gewonnen. Von seiner Fachhochschule in Wels war im „Spectrum“ bereits die Rede. Das große Air Cargo Center und Handling Center West auf dem Flughafengelände Wien-Schwechat hat ihm den niederösterreichischen Holzbaupreis und kürzlich auch die internationale Auszeichnung „best architects 07“ eingetragen. Zuletzt fand sein Projekt für die Erweiterung des Ars Electronica Centers in Linz Beachtung, es wird das architektonische Highlight der künftigen Kulturhauptstadt sein.

Das vielversprechende Projekt stellt nicht nur eine bedeutsame städtebauliche Intervention in Linz-Urfahr, nahe der Donau, dar, es geht auch mit der architektonischen Belanglosigkeit des Stammhauses der Ars Electronica geschickt um. Dem banalen Haus wird ein Neubau zur Seite gestellt, und beide werden durch eine doppelschalige Glashaut zu einem kristallinen Kubus. Dieser Kubus sitzt scheinbar - es geht in Wirklichkeit noch mehrere Geschoße in die Tiefe - am einen Ende eines großen angehobenen Platzes, der mehrfach erschlossen ist, unter anderem durch eine Rampe, die vom Straßenniveau hinaufführt. Der Platz mündet am anderen Ende wiederum in einen „Kristall“: den Future Lab, der sich über Sitzstufen zum Platz hin abtreppt. Unter dem Platz liegt eine große Ausstellungshalle.

Die neue Gebäudeformation korrespondiert zweifellos mit der Umgebung. Sie nimmt auf die alten Strukturen Rücksicht, vor allem bleibt der Blick Richtung Donau frei. Außerdem ist der neue Platz von vornherein mit einer Option versehen: Es gibt hier zwar das Rathaus, aber keinen richtigen Hauptplatz. Der könnte sich auf dem „Maindeck“ des Ars Electronica Centers entwickeln, neben all den kulturellen Nutzungen, für die es sich sonst noch anbietet.

Einen so komplexen, vielschichtigen, in sich aber stimmigen und „beruhigenden“ Entwurf bringt man als Architekt vermutlich nicht zustande, wenn man das Terrain solcher - in sich auch widersprüchlicher - Aufgaben nicht schon erkundet hat. Treusch hatte dazu mit seinem Flughafenkomplex Gelegenheit, ausgerechnet einem Gewerbebau, aber von beachtlichen Ausmaßen. Es mag kurios erscheinen, im Kontext eines Kulturbaus darüber zu sprechen. Aber eine Vielzahl unterschiedlicher Funktionen letztlich doch unter einen Hut zu bringen - in eine Form zu gießen, die selbst auf die wildesten Alltagstätigkeiten noch ihre vereinheitlichende, beruhigende Kraft ausstrahlt, das ließ sich bei dieser Aufgabe durchexerzieren.

Das Cargo und Handling Center ist unter großem Zeitdruck, nach einem präzisen Terminplan entstanden. Denn dort, wo der alte Komplex stand, wächst inzwischen längst der neue Flughafenterminal von Itten-Brechbühl/Baumschlager Eberle aus dem Boden. Das bedeutete eine Art „fliegenden Umzug“ vom alten ins neue Haus, damit die Bauarbeiten für den Terminal in Angriff genommen werden konnten.

Das Center besteht im Wesentlichen aus Bürogeschoßen - je nach Gebäude zwei oder drei - und riesigen Hallen, die alle in Holz konstruiert sind. Sie haben durchwegs Sheddächer, durch die Nordlicht einfällt, mit ungewöhnlichen Spannweiten, um ein problemloses Manövrieren der zahlreichen Fahrzeuge zu gewährleisten.

Inhaltlich geht es hier einerseits um die Abwicklung der gesamten Luftfracht - übrigens bis hin zu lebenden Tieren; andererseits um die Ver- und Entsorgung von und mit allem, was Flugzeuge so brauchen - also vom Tankwagen bis zum Catering, vom Müllfahrzeug bis zur Gangway. Mit einem Wort: Hier herrscht 24-Stunden-Betrieb, es geht rund. Und: Der Komplex ist ein Hochsicherheitstrakt, genauso gesichert und kontrolliert wie der Flughafen. Andernfalls hätte man von hier nämlich die Möglichkeit, ungehindert ein Flugzeug zu erreichen.

Es gibt einen architektonisch dramatischen Moment, und der markiert den Haupteingang. Da überschneiden, verschränken sich die beiden Komplexe Cargo und Handling Center, die unterschiedlichen Gebäudehöhen treffen aufeinander, ein weit auskragendes Dach setzt einen besonderen Akzent.

Die Bürogeschoße selbst sind ruhig und horizontal gegliedert durch eine fixe Lamellenhaut zur Beschattung vor der Glasfassade. Drinnen hat Treusch in den Obergeschoßen über den Gängen Oberlichtkamine eingeschnitten, die atmosphärisch viel bringen. Da lassen sich dann auch tolle konstruktive Details, etwa in Form einer Brückenkonstruktion von knapp 40 Meter Länge ausfindig machen.

In den Hallen tritt dieser konstruktive Aufwand - bei einer Hallentiefe von 65 Metern kommen die Architekten mit einer Stütze aus - noch viel deutlicher in Erscheinung. Sie sind räumlich ein Erlebnis. Abends, wenn die Beleuchtung eingeschaltet wird, ziehen sich lange Lichtbänder rund um die Hallen - ein sehr wirkungsvoller Effekt.

Wenn man von oben, von einem der Bürogeschoße auf die Hallen schaut, blickt man auf eine faszinierende Dachlandschaft. Da hat der Architekt wohl viel Überzeugungsarbeit leisten müssen. Gewöhnliche Flachdächer mit Lichtkuppeln wären finanziell die billigere Variante gewesen. Aber die Flughafen Wien AG nimmt ihre Rolle als bedeutender Bauherr offenbar ernst. Sie wollte eine architektonische und nicht eine nur pragmatische Lösung.

Dass sich ein kleiner Bauherr für die eigene Repräsentation auch einmal etwas Besonderes leistet, das hat man schon erlebt. Hier geht es jedoch um einen gewaltigen Dimensions- und damit auch Bedeutungssprung. Der Komplex hat Vorbildwirkung. Und lässt das Beste für den neuen Flughafen hoffen.

Spectrum, Sa., 2006.12.16



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Air Cargo Center

26. November 2006Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Altern mit Respekt

Keine Aluminiumpaneele, kein Sichtbeton - dafür warme Farben, Holz, Linoleum. Vertrautheit, ja Gemütlichkeit statt ästhetischer Extravaganz. Peichl & Partner und ihr neues „Haus der Barmherzigkeit“ in Wien-Donaustadt.

Keine Aluminiumpaneele, kein Sichtbeton - dafür warme Farben, Holz, Linoleum. Vertrautheit, ja Gemütlichkeit statt ästhetischer Extravaganz. Peichl & Partner und ihr neues „Haus der Barmherzigkeit“ in Wien-Donaustadt.

flegeeinrichtungen für alte Menschen und dauerhaft mehrfach Behinderte zählen zu den bedeutsamen Prüfsteinen des sozialen Gewissens einer Gesellschaft. Sie kosten viel Geld. Sie sind personalintensiv. Sie verlangen ihren Mitarbeitern hohe Qualifikation und noch höheres Engagement ab. Und dies alles unter dem Vorzeichen, dass jede therapeutische, pflegerische Erfolgskurve absehbar in den Tod mündet. Wir verdrängen das gern.

Das „Haus der Barmherzigkeit“ hat in diesem Aufgabenbereich sehr hohe Verdienste erworben. Und jetzt hat es neu gebaut. Das Architekturbüro Gustav Peichl & Partner hat in der Wiener Donaustadt, in der Tokiostraße, ein geriatrisches Pflegekrankenhaus errichtet, für das Primarius Christoph Gisinger gleich zu Anfang ein eindeutiges Motto verkündete: „Planen Sie es wie ein Wohnhaus.“

Die Tokiostraße: Sie ist ein wohlgeordnetes Neubaugebiet von Wien (Städtebau: Elsa Prochazka), hinter der Eishalle, der Internationalen Schule und einer Schule von Kohlbauer gelegen. Ein reines Wohngebiet, ungewöhnlich gut konzipiert, nicht nur durch die Straße, auch durch einen Grünzug gegliedert. Aber man darf sich die Umgebung nicht vorstädtisch vorstellen: Wir sind in der Großstadt, eigentlich in einer „Zwischenstadt“.

Ich hatte keine genaue Adresse. Also fuhr ich die Tokiostraße ab, ohne auf irgendwelche Beschriftungen zu achten, und überlegte: Welches kann das „Haus der Barmherzigkeit“ sein? Es stand ganz am Anfang, mit einer besonders plastischen Fassade - begründet durch die Vor- und Rücksprünge der Balkone. Balkone an der Straßenseite? Da kann es sich nicht um Wohnungen handeln, es muss absichtsvolle Strategie sein.

So war es denn auch. Man ist nämlich längst davon abgekommen, Einrichtungen wie dieses Pflegekrankenhaus abzuschirmen, unter dem Vorwand der Ruhe eine isolierte Einzelstellung zu präferieren. Die Bewohner wollen wenigstens als Beobachter teilhaben an einer belebten Umgebung, das liefert Erlebnisse, das liefert auch Gesprächsstoff untereinander.

Hier ist das rundum gelungen. Die Bewohner sehen entweder in die Tokiostraße oder - gartenseitig, denn dieses Haus verfügt über einen großen „Therapiegarten“, den Jakob Fina geplant hat.

Peichl & Partner haben das Haus so einfach wie möglich angelegt. Der Straßentrakt erstreckt sich über 80 Meter Länge, dahinter gliedern zwei Höfe die in die Tiefe des Bauplatzes ausgreifenden Bauteile. Der erste Hof ist oval, durch ein sattes Rot (eine Referenz Richtung japanische Flagge) gekennzeichnet. Der zweite Hof ist gelb. Und die Bodenfläche wurde nach therapeutischen Vorgaben gestaltet: Es gibt sehr unterschiedliche Oberflächen, auch eine kleine Treppe, die man hinauf- und hinuntersteigen kann. Dieses Thema wird im Garten an der Rückseite des Hauses noch einmal und in größerem Umfang umgesetzt: Da gibt es dann einen Parcours, dem unterschiedliche Erlebnisbereiche zugeordnet sind - vom duftenden Rosengarten über Wasser und Seerosen bis zu einem Pavillon, einem Grillplatz, im kommenden Frühjahr auch einem Kirschgarten.

Dass das Haus grundrisslich so einfach angelegt ist, erklärt Projektarchitekt Christoph Lechner ziemlich einleuchtend: „Die Bewohner sollen sich selbst zurechtfinden können. Die Orientierungsmöglichkeit ist vorrangig. Sonst werden sie nur abgeschreckt und machen von den Rundgängen, die wir anbieten, keinen Gebrauch.“ Die Übersichtlichkeit des Hauses erscheint tatsächlich beispielhaft. Ebenso die Lösung der Transparenzfrage, die natürliche Belichtung. Die Bewohner haben, selbst wenn sie im Rollstuhl sitzen, reichlich Gelegenheit zu beobachten, was im Haus vor sich geht.

Es gibt nur Ein- und Zweibettzimmer, alle entweder mit Balkon oder einem französischen Fenster. Und alle Gänge und Treppenhäuser sind besonders breit, sodass es auf keinen Fall zu Manövrierschwierigkeiten - weniger für das Personal als für die Bewohner - kommen kann. Außerdem sind die Gänge an den Kreuzungspunkten immer zu „Plätzen“ ausgeweitet, auf denen Begegnung aller Art möglich ist: geselliges Zusammensein, Kaffeetrinken et cetera.

Ich erinnere mich, dass in den Neunzigerjahren Vorarlberg eine Vorreiterrolle auf dem Gebiet der Alten- und Pflegeheime gespielt hat. Damals gab es Wettbewerbe für sehr anspruchsvolle Bauten - die Maßstäbe gesetzt haben. Da fand sich von der mediterranen Patio-Lösung bis zur englischen Klub-Atmosphäre so ziemlich alles. Und es war faszinierend. Man kann es mit der Tokiostraße aber nicht vergleichen. Denn Vorarlberg ist, überspitzt formuliert, eine einzige Streusiedlung, Großstadt gibt es dort nicht. Folglich kann man sich dort in den relativ kleinen Einheiten auch einen architektonisch sicher subjektiven Luxus leisten. In Wien ist hingegen Ökonomie - auch von der Größenordnung her: 270 Zimmer! - ein unbedingtes Muss.

Von der Material- und der Farbenwahl her haben Peichl & Partner alle Interessen hintangestellt, die womöglich mehr der eigenen architektonischen Verwirklichung dienen als den Bewohnern. Es gibt also keine Aluminiumpaneele und keinen Sichtbeton, dafür warme Farben, Holz, Linoleum. Es ist ein viel geschmähtes Wort, aber Gemütlichkeit war hier ein Kriterium. In den Gängen dominieren warme Orangetöne. Birkensperrholz in Verbindung mit Nuss befriedigt den Anspruch nach Gediegenheit. Eigentlich wurde alles an Details vermieden, was nicht zumindest den Anschein der Vertrautheit hat. Das ist eine ungemein respektvolle Geste gegenüber den Bewohnern.

Spectrum, So., 2006.11.26



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Haus der Barmherzigkeit

29. Oktober 2006Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Die Crux, der Clou, das Klo

Wien, Meidlinger Markt: Architektur für alles, was an- und abfällt. Eine Abfallsammelstelle mit beweglicher Haut und eine WC-Anlage, die leuchtet. Zwei Beiträge zum Thema Alltagsdesign.

Wien, Meidlinger Markt: Architektur für alles, was an- und abfällt. Eine Abfallsammelstelle mit beweglicher Haut und eine WC-Anlage, die leuchtet. Zwei Beiträge zum Thema Alltagsdesign.

Diesmal geht es um Ausscheidungen, um Ausscheidungsarchitektur im weitesten Sinn. Die eine dient der Abfallwirtschaft auf dem Meidlinger Markt, die andere der Notdurft der Marktbesucher. Anders formuliert: Johann Georg Gsteu hat eine „Hütte“ entwickelt, wo der Abfall gesammelt und dann entsorgt wird; und Gerhard Steixner hat ein kleines Gebäude mit Doppelfunktion gebaut, es ist gleichzeitig überdachte Busstation und Einhausung der öffentlichen Klos.

Der Meidlinger Markt ist keine romantische, auch keine besonders lebendige Einrichtung mehr. In den Pavillons wird über das übliche Maß hinaus - obwohl durchsetzt mit mehr oder weniger „globalen“ Offerten - nichts Spezielles angeboten. Mit dem ungleich größeren Wiener Naschmarkt, wo sich die Gourmets regelrecht drängen, hat dieser Bezirksmarkt nichts zu tun. Kein Wunder: Gleich daneben befindet sich ein großer Interspar (mit eigener Parkgarage). Das ist die Crux: Einerseits wollen alle, dass Einrichtungen wie der Meidlinger Markt am Leben bleiben, andererseits lässt man die Ansiedlung eines großen Supermarktes gleich daneben zu - ein Widerspruch in sich. Letztlich halten die älteren Bewohner der Umgebung den Markt am Leben - und natürlich unsere Mitbürger ausländischer Herkunft, für die ein lebendiger Marktbetrieb Teil der kommunikativen Seite ihres Alltags ist.

Johann Georg Gsteu hat jedenfalls das Thema Marktabfall bearbeitet. Und er hat es gleich auf eine prototypische Lösung angelegt. Seine „Hütte“ hat genau die Dimensionen von zwei Marktpavillons samt Erschließungsweg. Sie liegt logischerweise am Rand - denn sie muss von den Entsorgungsfahrzeugen angefahren werden können. Aber dieser Rand ist eine Einbahnstraße, und genau gegenüber der Müllsammelstelle liegen die Einfahrten in die Parkgaragen von Interspar und einem privaten Anbieter. Diese Platznot war ein Thema, und natürlich die Frage der Hygiene.

Gsteu musste drei Presscontainer und 17 Großraumbehälter in einem Raum unterbringen, in einem zweiten Bereich sind ein kleines Büro samt Nebenräumen für den Angestellten untergebracht, der die Anlage betreut, außerdem eine Problemstoff-Sammelstelle. Die Haustechnik wurde unter die Erde gelegt.

Es ist interessant, was Gsteu aus dieser scheinbar simplen Aufgabe gemacht hat. Den Ansprüchen der Hygiene hat er mit industriellen Oberflächen beziehungsweise einer Lochblechhaut entsprochen, die rund um die Uhr, also auch zu den Schließzeiten, für eine gewisse Durchlüftung sorgt. Die Halle ist stützenfrei. Wenn die ziemlich großen Müllwägen kommen, um die Presscontainer zu holen, dann können sie diese Manöver gefahrlos durchführen - es kann eigentlich nichts beschädigt werden.

Aber der Clou ist etwas anderes: Gsteu hat Dach und Straßenfront als eine Haut interpretiert, und die lässt sich hydraulisch öffnen. Bei normalem Betrieb rastet sie etwa bei drei Meter Höhe ein; wenn die Container geholt werden, dann wird der Deckel dieser Müllschatulle auf beachtliche 5,50 Meter angehoben - das ist genau die Höhe, die man für die Manipulation mit den Containern braucht. Die Idee ist gut, und man kann nachvollziehen, dass Gsteu von einer prototypischen Lösung spricht. Alle anderen vergleichbaren Einrichtungen bei Wiener Märkten sind erstens nicht stützenfrei und zweitens nicht so benutzerfreundlich, denn hier finden tatsächlich alle Manöver - vom Befüllen bis zum Entleeren - im überdachten Bereich statt.

Man kann auch nicht sagen, dass hier vermeidbarer logistischer Aufwand getrieben worden wäre. Es gibt keine Fertigprodukte in dieser Länge, außerdem hätten Falttore sowieso nicht entsprochen, weil sie von der zulässigen Höhe viel zu viel Platz weggenommen hätten. Und man darf eines nicht gering achten: Gsteus Lösung ist ein ernsthafter Beitrag zum Thema Alltagsdesign. Nichts Auffälliges, nichts Protziges, schlicht, sehr schlicht. Trotzdem fängt das Objekt in den Abendstunden fast poetisch zu leuchten an. Ein schöner Nebeneffekt der luftdurchlässigen Lochblechhaut.

Übrigens leuchtet es auch bei Gerhard Steixners öffentlicher WC-Anlage. Da allerdings etwas luxuriöser und in einem völlig anderen Zusammenhang: Im Haltestellenbereich seines kleinen Gebäudes, das ja eine Doppelfunktion erfüllt, konnte er beleuchtete Vitrinen für Werbung realisieren, die ungemein edel ausgeführt sind. Sie sitzen flächengleich in der Haut des elliptischen Baukörpers, haben also gekrümmte Glasoberflächen, und das ist durchaus etwas Besonderes. Es ist sicher kurios - und auch amüsant -, einmal von der Architektur einer öffentlichen Bedürfnisanstalt zu reden. Diese hier ist sehr klein, für den Markt hat sie aber Bedeutung. Sie liegt direkt an der Hauptstraße und begrenzt einen kleinen, freien Platz dahinter - nur bestückt mit zwei Bäumen und einem Brunnen.

Steixner hat die viereckige Pavillonform, die den Markt ausnahmslos beherrscht, durchbrochen. Städtebaulich ist das an dieser besonderen Stelle in Ordnung. Er hatte mit seinen elliptischen Kurven aber noch etwas anderes im Sinn: Ecken, heimliche Pissecken wollte er vermeiden. Bei der Klientel, die sich vor allem abends hier herumtreibt, ist das eine legitime Überlegung. Eine zweite Überlegung: Das Gebäude als Möbel, als Stadtmöbel. Es steht frei im Raum, ohne Vorder-, ohne Rückseite. Gleichwertig in alle Richtungen.

Der Baukörper der öffentlichen Bedürfnisanstalt setzt sich in ein weit auskragendes Dach fort: darunter eine Sitzbank für diejenigen, die auf den Bus warten. Früher war hier eine Luigi-Blau-Haltestelle. Wie die aussehen, weiß man; sie sind - entsprechend den Vorgaben des Bauherrn - ziemlich klein. Jetzt ist viel mehr Platz da - und er ist trotzdem wettergeschützt. Das muss man als Plus verbuchen.

Steixner konnte nur ein Pissoir, eine geschlechtsneutrale - so heißt das jetzt - WC-Kabine und eine behindertengerechte realisieren. Zahlen müssen übrigens wie immer die Damen, die Pissoirbenutzer kommen kostenlos davon.

Was mir gleich aufgefallen ist: Auf dem Ganzen lastet ein dickes Dach. Aber das Rätselraten, was in dieser dicken Dachschicht enthalten sein könnte, hatte bald ein Ende. Steixner hat die „Hutkrempen“ der umliegenden Pavillons in seiner Architektur weitergeführt. Das war ganz bestimmt richtig. Er hat natürlich besonders auf Oberflächen gesetzt, die industriell, hart, glatt sind. Das heißt, seine Mischkonstruktion aus Stahl und Holz und zwei Sichtbetonscheiben ist entsprechend gerüstet. Die Betonscheiben sind mit einer Glasfaserbeschichtung ausgestattet, alles Übrige mit Aluminiumpaneelen verkleidet - innen teilweise farbig pulverbeschichtet.

Steixner ist mit dem Meidlinger Markt schon länger verbunden, er hat auch das Büro des Marktamtes geplant. Seine bisherigen Interventionen sind ein optimistisches, elegantes Statement. Auf dem Meidlinger Markt kann es nur aufwärts gehen.

Spectrum, So., 2006.10.29



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Meidlinger Markt WC und Marktplatz

23. September 2006Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Implantat zwischen Platanen

Es sagt schon was, wenn ein Architekt in seine eigene Wohnanlage zieht. In einer Ottakringer Gartensiedlung haben Nehrer + Nedek und Partner eine glückliche Hand bewiesen.

Es sagt schon was, wenn ein Architekt in seine eigene Wohnanlage zieht. In einer Ottakringer Gartensiedlung haben Nehrer + Nedek und Partner eine glückliche Hand bewiesen.

Eine neue Wohnanlage mitten in ein dicht verbautes gründerzeitliches Stadtviertel zu implantieren ist in der Regel problematisch. Solche Implantate integrieren sich nämlich nicht, sie grenzen sich gegenüber dem Umfeld ab - und damit aus. Und wenn es - wie im konkreten Fall der Gartensiedlung Ottakring - noch dazu um eine Größenordnung von immerhin 280 Wohnungen geht, dann fällt eine solche Intervention auch wirklich ins Gewicht.

Im Architekturbüro Nehrer + Medek und Partner geht man zwar jede Bauaufgabe zunächst städtebaulich an, bei der Verbauung dieses ehemaligen Lagerareals der Ottakringer Brauerei haben die Architekten aber eine besonders glückliche Hand bewiesen. Denn was hier vorher war, das hat den historischen Stadtgrundriss immer schon gestört. Es bildete eine Barriere, an der die Gassen der Umgebung abrupt endeten. Einziger Pluspunkt: Zwischen den alten Lagerschuppen (und einer unterirdischen Kelleranlage mit gewaltigen Gewölbekellern der Brauerei) wuchs im Lauf eines Jahrhunderts ein Baumbestand heran, der seinesgleichen sucht.

Die hundertjährigen Platanen gibt es nach wie vor. Und für den fußläufigen Verkehr durchlässig ist das Areal nun auch. Mit ihrem minutiös ausgetüftelten Bebauungskonzept haben die Architekten diese beiden Problempunkte souverän bewältigt: Der Baumbestand rechtfertigt die Namensgebung „Gartensiedlung“ Ottakring - und die umliegenden Gassen werden als Fußwege in der Anlage weitergeführt.

Die Bebauungsstruktur nimmt also das auf, was es in der Umgebung ohnehin schon gibt: eine Blockrandbebauung. Sie definiert an zwei Seiten die neue Wohnanlage, an der dritten musste ein bestehender Betrieb ins Konzept integriert werden (er kehrt der Wohnanlage seine fensterlose Rückseite zu), an der vierten grenzt sie ans Brauereigelände. Diese Bebauung ist mit sechs Obergeschoßen - die beiden obersten zurückgesetzt - relativ hoch.

In diesem Geviert wurden dann niedrigere Wohnzeilen errichtet. Viergeschoßig und so platziert, dass sie einerseits der Logik der Durchwegung entsprechen, andererseits den Baumbestand erhalten. Wichtig auch: An der Baldiagasse wurde mit der Blockrandbebauung zugunsten der alten Platanen so weit von der Grundstücksgrenze abgerückt, dass noch drei kleinere Baukörper vorgeschaltet werden konnten. Sie hängen mit einer seitlich und nach oben verglasten Erschließung am langen Baukörper dran - Licht, natürliche Belichtung sind ein durchgängiges Thema für die Architekten.

Der bemerkenswerte Nebeneffekt dieser Lösung besteht in der zumindest partiellen Verbreiterung des öffentlichen Raums. Die Baldiagasse hat auf einmal ein ganz neues und viel repräsentativeres Gesicht. Ich habe die Anlage von Norden betreten. Dort geben riesige Glasflächen den Blick auf (geschlossene) Laubengänge frei. Und eine Ahorn-Neupflanzung lässt ahnen, dass es den Architekten ernst war mit der Gartensiedlung. Allen Parkplatz-Fürsprechern zum Trotz.

Das differenzierte Wohnungsangebot muss man heute eigentlich nicht mehr abhandeln. Es ist alles da, was der Wohnungsmarkt verlangt - und es ist in bester Qualität da. Manchmal sogar noch ein bisschen mehr. Durchgesteckte, nach Süden orientierte Wohnungen; „Reihenhäuser“ im Geschoßwohnungsbau; nicht zu vergessen: die Studio- beziehungsweise Atelieraufbauten bei den vier Wohnzeilen; und selbstverständlich Gärten, Loggien, Terrassen.

Behindertengerecht sind die Wohnungen zu ebener Erde. Sie haben außerdem alle einen großzügigen Garten. Und zum ersten Mal habe ich gesehen, dass nicht jeder sein Gärtlein zum Nachbarn hin massiv blickdicht macht. Die von den Architekten vorgeschlagenen Spanndrähte wurden mit ganz wenigen Ausnahmen angenommen. Und jetzt grünt es auch dazwischen so grün, dass es eine Freude ist.

Ein Loch fällt auf. Ein großer rechteckiger Einschnitt im Boden, wo es immerhin zwei Stock hinuntergeht. Da ist es auch grün. Und rot. Es ist das Rot der Sportplätze. Ein Teil der zweigeschoßigen Tiefgarage wird hier belichtet - und die Ball spielenden Kids können sich hier auch austoben. Es gibt überhaupt relativ viele und gut nutzbare Gemeinschaftseinrichtungen in der Anlage. Ausnahmsweise witzig ist die Lösung beim Kinderspielplatz im Freien: Da liegen überdimensionierte, in Beton gegossene Bierflaschen halb im Erdreich. Eine Herausforderung für Skateboard-Artisten und solche, die es werden wollen. Es sind auch genügend gedeckte Räume vorhanden. Sogar für die Erwachsenen. Die können an der Seite des Brauereigeländes notfalls auch Grillparties feiern - im Gartenanteil -, die etwas lauter ausfallen. Sie sind dort akustisch so abgekoppelt, dass es niemanden stört.

Angenehm ist mir aufgefallen, dass das Thema der natürlichen Belichtung, der Aussicht, der Transparenz konsequent durchgezogen ist. Sogar die Fahrradabstellräume, Kinderwagenräume, und Waschküchen sind verglast. Das sind reine Nutzbereiche, von denen man normalerweise nichts zu sehen bekommt. Diese Art der Offenlegung empfinde ich als Gewinn. Die Wohnanlage lebt. Aber es stellt sich ein bemerkenswerter Nebeneffekt ein: Alles ist erstaunlich geordnet, es kommen praktisch keine Diebstähle vor. Das ist ein Punkt, dessen Bedeutung die meisten Bauträger unterschätzen. Auch Wohnhäuser, Wohnanlagen wollen gepflegt werden. Manchmal kommt mir vor: Je industrieller der Baustoff, desto notwendiger die Pflege. Dann hält er allerdings lang und sieht schön aus. Aber diese Art der Kosten-Nutzen-Rechnung stellen die Errichter von Wohnanlagen viel zu selten an. Das führt zu Unzufriedenheit, und oft wird in der Folge zu Unrecht den Architekten die Schuld gegeben. In der Ottakringer Gartensiedlung bleiben in dieser Hinsicht keine Wünsche offen. Obwohl es keine Elitesiedlung ist: Mietwohnungen in der Hauptsache, der Anteil an Eigentumswohnungen ist gering.

Es sagt übrigens einiges, wenn ein Architekt in seine eigene Wohnanlage zieht. Herbert Pohl, Partnerarchitekt des Büros, fühlt sich hier wohl. Zwei Terrassen mit einem schier sensationellen Ausblick und eine Wohnung, die nur ein einziges Extra für das nachvollziehbare Outfit der Architektenwohnung gebraucht hat: Schiebetüren.

Spectrum, Sa., 2006.09.23



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Gartensiedlung Ottakring

23. Juli 2006Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Couturiers der Flächen

Wie man, dem rotierenden Rotstift zum Trotz, banale historische Architektur in ein zeitgenössiches Highlight verwandelt. Die umgebaute Rettungsstation in Wien-Hernals.

Wie man, dem rotierenden Rotstift zum Trotz, banale historische Architektur in ein zeitgenössiches Highlight verwandelt. Die umgebaute Rettungsstation in Wien-Hernals.

Sparen ist angesagt. Was der Ge werkschaftsbund erst noch ler nen muss, das wissen Architekten schon länger. Welche Sinnhaftigkeiten auch immer sie aufzeichnen, der Rotstift schlägt trotzdem zu. Das Kunststück besteht darin, die Abstriche mit Würde zu bewältigen. Und die (zeitlich) langen Durststrecken zu verkraften: Für den Umbau - und viel mehr ist es ja nicht - der Rettungsstation Hernals fand der Wettbewerb im Jahr 2002 statt. Jetzt schreiben wir 2006.

Geiswinkler & Geiswinkler haben die Wartezeit und das Sparprogramm aber souverän weggesteckt. Ihre Intervention im ziemlich verkorksten Altbestand weist sie als sensible Meister im Umgang mit Problemsituationen aus, die durch unaufdringliche Eleganz in Material- und Formensprache auch in banaler historischer Architektur ein ausgesprochen edles zeitgenössisches Highlight setzen. Zum Nutzen und Gewinn des Objekts insgesamt. Bauhistorisch ist der Bestand sicher nicht sehr bedeutend, auch wenn er unter Denkmalschutz steht. Der villenartige Kernbau war früher einmal ein Armenspital, 1905 - da wurde das Haus schon als Rettungsstation genutzt - hat der Architekt, ein gewisser Poppovits, zwei niedrigere Seitenflügel darangebaut und einen Pavillon in den Hof gestellt. Diese Bauteile haben Sichtziegelfassaden.

Was diese Zubauten in ein geradezu rätselhaftes Licht taucht, das ist der Umstand, dass sie überhaupt nicht ans Hauptgebäude anschließen. Die Niveaus sind einfach nicht gleich. Und es gab im Kernbau einen mickrigen Eingang, auch noch irgendwelche Nebeneingänge in den Seitentrakten. Wie auch immer, der Bau war orientierungslos. Und genau diesen Schwachpunkt haben Geiswinkler & Geiswinkler schon im Wettbewerb erfolgreich zum Thema gemacht. Neben dem Raumprogramm, das es natürlich zu erfüllen galt, ging es hauptsächlich darum, eine übersichtliche Raumabfolge zu schaffen, eine Durchwegung, die den verwinkelten Bestand in eine offene und praktikable Struktur transformiert. Man muss sich vor Augen halten, wozu dieses Gebäude dient: Hier steht eine spezifisch ausgebildete Belegschaft sozusagen in Warteposition, abrufbereit. Solang sie nicht gebraucht werden, haben diese Leute relativ wenig zu tun. Aber dann kommt ein Einsatz, und es geht um Zeit. Das ist über verwinkelte und ausgesprochen enge Treppen nur strapaziös zu schaffen. Das Thema der Geiswinkler-Intervention trifft insofern ins Schwarze.

Und sie haben städtebaulich gedacht und einen klar definierten Zugang geschaffen - der nicht nur durch den Schriftzug weithin erkennbar ist, sondern auch durch eine dezente, aber wirkungsvolle räumliche Lösung, die unter Arkaden auf einen verglasten Eingang hinführt. Man musste natürlich heftig entkernen und entsprechende statische Maßnahmen setzen, um so weit zu kommen. Das Kellergeschoß zum Beispiel: Das war vorher nichts und ist jetzt etwas. Nämlich einer der Hauptschauplätze des gewünschten Rettungsmuseums, das ebenfalls zum Raumprogramm gehörte. Übrigens das einzige Rettungsmuseum in Wien, zwar, was die Exponate betrifft, nicht sonderlich spektakulär, aber einen Klassenausflug für Volksschüler wird es schon wert sein. Zitat Markus Geiswinkler: „Auch wenn die Exponate im Grund unbedeutend sind - es ging trotzdem darum, einen würdevolle Rahmen zu schaffen.“

Toll ist der Hauptraum, der jetzt das ganze Gebäude aufschließt. 20 Meter hoch, mit einer Freitreppe, für die sich die Geiswinklers eine spezielle Handlauf-Lösung haben einfallen lassen, lichtdurchflutet (Oberlichten), großzügig, freundlich und offen. Es ist geradezu rührend, wenn man sieht, wie die Leute, die hier arbeiten, mit dieser Architektur umgehen: Sie ziehen die Schuhe aus.

Räumlich dominant: die gläserne „Führungskanzel“, eine Raumbox, von der man praktisch das gesamte Geschehen überblickt. Sie ist mit einer Lamellenjalousie „bekleidet“, die offen, aber auch geschlossen sein kann. Überhaupt muss man den Geiswinklers attestieren, dass sie sich über das konzeptuelle, strukturelle Denken hinaus längst auch als Bekleidungskünstler, als Couturiers der Oberflächen profiliert haben. Ein Beispiel: Kein Steinboden im ganzen Haus, weil zu teuer. Man hat sich mit schieferfarbigen, großformatigen Fliesen beholfen. Aber nicht auf der Treppe. Da liegt wirklich Schiefer. Die Fugenteilungen der Fliesen waren für die Architekten inakzeptabel. Das haben sie auch durchgesetzt. Und es ist gut so.

Wunderbar ist die Beleuchtung im Haus. Die Geiswinklers haben Leuchtbalken genommen, die man in beliebiger Länge bekommt und die fugenlos versenkt werden können. Irgendwie werden hier Boden, Wände und Decken zu regelrechten Häuten. Man fühlt sich angenehm umhüllt - sei es nun durch die alte Bausubstanz, durch die silbrigen Metall- oder auch Plattenverkleidungen der Geiswinklers, sei es durch Glas und Licht - das natürlich ebenfalls die Geiswinklers ins Haus gebracht haben.

Es ist müßig, darüber zu debattieren, wie toll es noch gewesen wäre, wenn man die Dachterrasse umgesetzt hätte, die im Projekt der Geiswinklers vorgesehen war. Der berühmte Rotstift. Jetzt gibt es eben nur einen wundervollen Vorgarten, heftig begrünt, leider nicht ganz so uneinsehbar zu nutzen, wie das auf dem Dach der Fall gewesen wäre. Außerdem könnte man das ja immer noch machen, wenn irgendwann die Gelder wieder üppiger fließen. Veränderungen, Nutzungsverschiebungen, die auf die jetzige räumliche Lösung Auswirkungen haben, haben die Geiswinklers angedacht.

Es ist nicht gesagt, dass irgendjemand in der Rettungsstation - sie haben die Bauleitung selbst gemacht - weiß, wie viel Gutes ihnen da widerfährt. Aber sie werden es noch einsehen. Sie werden begreifen, dass es eben doch ein Vorteil ist, Leute vom Fach zur Hand zu haben. Im Übrigen soll bei der Eröffnung - allen widrigen Vorkommnissen in der Vergangenheit zum Trotz - allgemeines Einvernehmen geherrscht haben.

Spectrum, So., 2006.07.23



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Rettungsstation Hernals

18. Juni 2006Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Falscher Marmor für Mozart

Innen: viel güldene Repräsentation, außen: ein Debakel. Die Decke: schlampig, die Traufe: ein grauenhafter Balken. Und wer ist für diese entsetzliche Eiche verantwortlich? Das neue „Haus für Mozart“ in Salzburg.

Innen: viel güldene Repräsentation, außen: ein Debakel. Die Decke: schlampig, die Traufe: ein grauenhafter Balken. Und wer ist für diese entsetzliche Eiche verantwortlich? Das neue „Haus für Mozart“ in Salzburg.

Es ist ein altmodisches Haus, dieses neue „Haus für Mozart“. Und es ist kein großer architektonischer Wurf. Es steckt nicht die Kraft einer individuellen künstlerischen Handschrift dahinter. Und es ist kein Statement, das die heutige Architektur irgendwie beeinflussen, weiterbringen wird. Nur darf man zum jetzigen Zeitpunkt bei solchen Bilanzen nicht stehen bleiben. Auch wenn in Zukunft kein Mensch mehr danach fragt, wie dieses Ergebnis zustande gekommen ist: In diesem „historischen“ Moment, an der Schnittstelle vom Fertigwerden zum Entlassen des Gebäudes in den Gebrauch, muss man auch die Umstände in Betracht ziehen, die dazu geführt haben, dass es so ist, wie es nun einmal ist.

Die Vorgeschichte sollte man sich schenken. Sie ist ein einziger Krampf mit entsetzlichen Architekten-Querelen. Wilhelm Holzbauer (Holzbauer und Irresberger), engagierter Salzburger, hat all seine Macht eingesetzt, um eine Jury-Entscheidung rückgängig zu machen, die ihn um diese Aufgabe gebracht hätte. François Valentiny (Büro Hermann & Valentiny und Partner) fühlte sich zu einem gewissen Zeitpunkt herausgefordert, am eigenen Lehrmeister auch die eigene architektonische Potenz zu messen. Es gibt Hinweise, dass das durchaus erfolgreich gelungen ist. Es gibt aber auch Hinweise, dass Holzbauer mittlerweile die Gelassenheit des „alten Meisters“ hat.

Das „Haus für Mozart“ war zunächst eine konzeptuelle Aufgabe, die man als die Quadratur des Kreises bezeichnen könnte: Denn es ging um einen viel kürzeren Saal (zehn Meter), damit das Publikum besser sieht, es ging um eine Verbesserung der Akustik und zugleich um eine Steigerung der Sitzanzahl.

In funktioneller Hinsicht kann man Wilhelm Holzbauer und François Valentiny wenig ankreiden. Man geht ins Haus hinein, das legendäre Faistauer-Foyer hat eine - durch neue Öffnungen - hervorragend gelöste Verteilerfunktion. Überhaupt halte ich die neue Erschließung - auch der Felsenreitschule - für das große Plus des Neu- beziehungsweise Umbaus. Vor allem der Umgang - man geht ebenerdig hinein, verteilt sich, hat aber in der Pause die Möglichkeit, im ersten Obergeschoß auf eine Terrasse zu treten, die sich fast über die volle Gebäudelänge erstreckt und in einer Treppe hinunter mündet. Also ein richtiger Kreislauf, das hat schon etwas. Auch das Foyer im Neubauteil ist mit seinen 20 Metern Raumhöhe eine Attraktion. Die geschwungene, hinterleuchtete, goldene Lamellenwand vor einem Mozart-Bild aus Swarowski-Kristallen ist kein Willkürakt, sondern eine unverzichtbare Schall absorbierende Maßnahme.

Sicher stellt sich hier - und dann erst recht im neuen Saal - die Geschmacksfrage. Ist so viel „güldene“ Repräsentation heute noch verträglich? Ist es verträglich, dass man zur traditionellen Technik der Wandmalerei greift, die die Maserung von Marmor imitiert? Und das in einer Abfolge hochrechteckiger Felder, die wiederum golden gerahmt sind? Gut, jedes dieser Felder ist leicht schräg gestellt - wiederum eine akustische Maßnahme. Die Wände des Saals sind parallel, er hätte aber - um eine optimale Akustik zu gewährleisten - konisch sein müssen. Dafür war kein Platz. Nur sind sicher auch andere gestalterische Maßnahmen vorstellbar, die mehr mit heutigen Ausdrucksmöglichkeiten zu tun haben.

Das funktionelle Problem, fairerweise muss man das sagen, haben die Architekten bewältigt: weniger Distanz zur Bühne, eine Galerie mehr, Seitensitze, von denen man immer noch einen Großteil der Bühne sieht, sogar 50 Stehplätze.

Danebengegangen ist das Tonnengewölbe über dem Saal. Es besteht aus Stahlträgern, in die Betonfertigteile eingehängt sind. Die Träger mussten aus brandschutztechnischen Gründen anders behandelt werden als die Betonteile, die Decke sieht unheimlich schlampig aus. Lauter Unebenheiten, wo eigentlich eine glatte Haut sein sollte. Waren es Kostengründe? Zeitgründe? Oder war es einfach eine Fehlentscheidung, das Tonnengewölbe nicht zu schalen und zu betonieren? Mängel dieser Art, auch schwache Materialentscheidungen, lassen sich im Haus an allen Ecken und Enden ausmachen. Wer zum Beispiel ist für diese entsetzliche Eiche verantwortlich? Nur oben, in der VIP-Lounge, der sogenannten „Salzburg Kulisse“, wurde Holzbauers Lieblingsholz, Birne, verwendet. Die hat in der Tat eine ganz andere Anmutung.

Der Außenauftritt des Hauses: ein ziemliches Debakel. Er hat keine Gesetzmäßigkeit, keine Logik. Die Eingangstore unten stehen in einer zufälligen Beziehung zu den fünf schmalen, hohen Fixverglasungen, die nur einen fragmentierten Ausblick auf das spektakuläre architektonische Vis-à-vis erlauben. Es gibt ein großes Schaufenster für Plakate, Informationen. So etwas Läppisches habe ich überhaupt noch nie gesehen. Lauter hochformatige Glasstreifen, aneinander gereiht. Und von der Traufe will ich überhaupt nicht reden: Die ist als grauenhafter Balken ausgebildet, der den Anschluss an den Holzmeister überhaupt nicht bewältigt.

Aber der kritische Punkt sind die Verglasungen: Im Wettbewerb haben die Architekten eine Art Panorama-Glaselement vorgeschlagen, ein gefasstes Bild des architekturhistorischen Gegenübers. Das hat die Altstadtkommission als unmaßstäblich abgeschmettert. Die Frage, was denn den Maßstab abgibt, bleibt bei solchen Entscheidungen allerdings immer unbeantwortet.

Und damit sind wir bei einer Kernfrage zum Projekt: Wie kann man über Architektur reden, wenn ununterbrochen irgendwelche Leute, die in irgendwelchen Gremien sitzen, ihre Existenzberechtigung beweisen wollen. Ein Hydrant unmittelbar vor dem Eingang, dabei ist der nächste schräg gegenüber; eine kleine Bar, in einem der oberen Geschoße - ein eigener Brandabschnitt; tausend Fluchtschilder, so dass im Notfall sicher niemand weiß, wo er hinrennen soll; Garderoben, die aus Brandschutzgründen abschließbar sein müssen (wie soll sich das im Gebrauch jemals bewähren?), und das lässt sich beliebig fortsetzen.

Wenn es immer nur um absurde Vorschriften geht, um Geldknappheit, sodass bei jeder speziellen Maßnahme erst ein Sponsor aufgetan werden muss, dann werden grundsätzlichere Fragen illusorisch. Was bleibt, wenn man die so genannte Geschmacksfrage und den ganzen Zeitgeist von einer architektonischen Lösung subtrahiert? Unter diesen Umständen muss ich die Antwort schuldig bleiben.

Spectrum, So., 2006.06.18



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Kleines Festspielhaus - Umbau

20. Mai 2006Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Passiv und ganz von selbst

Ein konsequentes Passivhaus-Konzept, wie man es bei Großobjekten selten findet: das Studentenheim in der Wiener Molkereistraße von Baumschlager|Eberle.

Ein konsequentes Passivhaus-Konzept, wie man es bei Großobjekten selten findet: das Studentenheim in der Wiener Molkereistraße von Baumschlager|Eberle.

Ein kleines Lächeln hat mir der Folder schon abgenötigt, der in einem der Gemeinschaftsräume des Studentenheims von Baumschlager Eberle P.Arc aufliegt: Er enthält eine verständliche Gebrauchsanweisung für die technischen Obliegenheiten im Passivhaus. Ein Gebäude, für das man eine Bedienungsanleitung braucht? Nein, so schlimm ist es nicht. Hier steht nur, dass man nicht gerade dort etwas davorhängen darf, wo die Frischluft eingeblasen wird, und nicht bei Temperaturen unter 16 Grad das Fenster stundenlang offen halten soll, denn dann stellt sich die Heizung ab. Im Grunde ist Lüften in einem solchen Haus ohnehin überflüssig: Hier wird die Luft automatisch im Zwei-Stunden-Takt ausgetauscht.

Das Studentenheim steht im zweiten Wiener Gemeindebezirk in der Molkereistraße. Das Viertel - im Volksmund Stuwerviertel genannt - hat ein etwas anrüchiges Image. Rotlichtmilieu und so. Die Lage - zwischen Lassalle- und Ausstellungsstraße, Praternähe - ist trotzdem nicht schlecht. Früher einmal bildete hier eine Molkerei das lokale Zentrum. Die gibt es längst nicht mehr. Statt dessen entstanden eine Fachhochschule, eine Wohnbebauung mit Geschäften und einem Café und direkt an der Molkereistraße das U-förmige Studentenheim, das den grünen Innenhof der Wohnbebauung im Osten schließt.

Dieses Studentenheim - errichtet von Migra - Gemeinnützige Bau- und Siedlungsgesellschaft und betrieben vom Österreichischen Austauschdienst, bewohnt von Erasmus-Studenten - stellt zweifellos das architektonische Highlight der Neubebauung dar. Baumschlager Eberle P.Arc und ihr Projektleiter Eckehart Loidolt haben einen sehr kompakten Baukörper hingestellt. Es gibt keine Balkone, keine Terrassen, nur französische Fenster. Es gibt auch kein Flachdach mit zurückgesetztem Dachaufbau, sondern das, was auf gut Wienerisch „Sargdeckel“ heißt: ein voll ausgebautes Dachgeschoß mit Fenstern in der Dachschräge. Baumschlager[*]Eberle haben es immer schon verstanden, den formalen Aufwand bei ihren Bauten scheinbar spartanisch zu bemessen, noch dazu streng geometrisiert, und trotzdem eine Handschrift zu entwickeln, die unverkennbar ist.

Das Haus ist Ost-West-orientiert, der Hauptzugang liegt an der Molkereistraße. Er wurde als zweigeschoßiger Raum formuliert, in den einer von zwei Gemeinschaftsbereichen als Galerie eingeschoben ist. Die Trakttiefe an dieser Hauptfassade beträgt ungewöhnliche 19 Meter, an den beiden Schenkeln des U nur 14 Meter. Dass es ein Passivhaus ist, merkt man von außen kaum. Man muss sich schon gut auskennen, um gewisse Anzeichen richtig zu deuten. Die Dachgeschoß-Lösung fällt aus dem Rahmen des üblichen Baumschlager[*]Eberle-Vokabulars. Ein zurückgesetzter Dachaufbau mit rundum liegender Terrasse hätte wesentlich mehr Oberfläche zur Folge gehabt als die Lösung mit der diagonalen Schräge. Für ein Passivhaus ist so etwas bedeutsam.

Wenn man aufmerksam hinschaut, merkt man, dass das Studentenheim den Anschluss an die benachbarte Wohnbebauung nicht nahtlos bewältigt: Es springt einige Zentimeter vor. Daraus kann man ablesen, dass die Wärmedämmung dicker ist. Sie sollte ursprünglich 30 Zentimeter betragen, wurde aber dann - nicht zuletzt aufgrund eines besseren Dämmmaterials - auf 26 Zentimeter reduziert. Durch die Wärmedämmung sind die Fensterlaibungen ungewöhnlich tief. Baumschlager[*]Eberle haben sie jeweils an einer Seite abgeschrägt und damit eine Reflexionsfläche für den natürlichen Lichteinfall geschaffen.

Die Fenstergeometrie ist eine Bemerkung wert. Es sind durchwegs hochrechteckige Fenster, straßenseitig immer zwei und zwei zusammengefasst und geschoßweise versetzt. Zwischen den Fenstern leuchten intensiv grüne Putzflächen in der ansonsten blassgelben Gebäudehaut auf. Wichtigstes Charakteristikum für den Außenauftritt des Gebäudes stellen aber die großen, vorpatinierten Schiebeelemente aus Kupferblech dar, mit denen sich die Fenster nach außen abschirmen lassen. Dadurch kommt es zu einem reizvollen Fassadenspiel.

Das Haus bietet 278 Bewohnern Platz, die hauptsächlich in Zwei-, Drei- und Vier-Zimmer-Einheiten untergebracht sind, es gibt aber auch Ein-Zimmer-Einheiten. Alle Zimmer haben rund 14 Quadratmeter, meistens einen rechteckigen Zuschnitt, manche einen quadratischen. Die Einrichtung stammt ebenfalls von Baumschlager[*]Eberle, sie ist einfach, aber höchst praktikabel. Außerdem gehört zu jeder Wohneinheit eine gut ausgestattete Kochnische, die zur Mittelgangerschließung im Haus ein fix verglastes, horizontal rechteckiges Fenster - zwischen Ober- und Unterschränken - hat. Das macht den ansonsten nicht natürlich belichteten Raum angenehmer und den Rundgang durchs Haus abwechslungsreich. Denn jeder geht anders mit dieser Öffnung um: Die einen lassen sie offen, die anderen hängen sie zu, es wurden aber auch „Vorhänge“ aus gestapelten Red-Bull- oder Bierdosen gesichtet.

Die Mittelgangerschließung ist an der Molkereistraßenseite immerhin 50 Meter lang. Es gibt zwei Lifte und sehr bescheidene (Flucht-)Stiegenhäuser, die keiner benutzt. Nun hat das Haus sechs Vollgeschoße plus Dachgeschoß. Das ist nicht wenig. Trotzdem braucht man auch auf der Null-Ebene, selbst wenn die Sonne nicht scheint, kein Kunstlicht. Die Architekten haben sogenannte Lichtkamine eingeschnitten, die das Tageslicht von ganz oben hinunterholen. Seitlich sind diese „ausgestanzten“ Leerräume durch Glasbrüstungen geschlossen, sodass sich vor jeder Eingangstür ein natürlich aufgehellter Vorplatz ergibt. Diese Lösung ist so einfach wie intelligent. Und sie strukturiert den langen Gang, sie verkürzt ihn quasi.

Das technische Konzept ist sehr komplex. Es gibt kontrollierte Be- und Entlüftung, Wärmerückgewinnung aus der verbrauchten Luft, individuell regelbare zusätzliche Heizung, über einen Fundamentabsorber Nutzung der Erdwärme. Wichtig dabei: Alle diese Einrichtungen sind dezentral in Haustechnik-Schächten untergebracht und versorgen jeweils die zwei benachbarten Wohneinheiten. Sie sind also auch leicht zugänglich, und im Fall eines technischen Problems sind nicht alle Wohneinheiten betroffen, sondern immer nur zwei.

Es heißt, dass das Gebäude international großes Interesse gefunden hat. Ein so konsequentes Passivhauskonzept findet man bei großen Objekten nach wie vor selten. In der Errichtung ist es um etwa 15 Prozent teurer als ein herkömmliches Haus. Dafür reduzieren sich die Betriebskosten erheblich. 380 Euro zahlt man für eine Einzimmereinheit. Dafür wird einem aber auch etwas geboten.

Spectrum, Sa., 2006.05.20



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Student:innenwohnheim Molkereistraße

15. April 2006Liesbeth Waechter-Böhm
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Charme des Normalen

Ein Industriebau in Strebersdorf, unprätentiös, einfach in den Mitteln. Auch ein Werk des architektonischen Anstands: Beweis dafür, dass Bauten an der Peripherie nicht zwangsläufig schäbig sein müssen.

Ein Industriebau in Strebersdorf, unprätentiös, einfach in den Mitteln. Auch ein Werk des architektonischen Anstands: Beweis dafür, dass Bauten an der Peripherie nicht zwangsläufig schäbig sein müssen.

Wann wird Niederösterreich in stadtplanerischer und architektonischer Hinsicht etwas dazu lernen? Ein solcher Prozess ist nicht abzusehen. Und Argumente, die Sonderbauten ins Visier nehmen, greifen einfach nicht. Das gebaute Niveau in einer Region wird um nichts besser, wenn einzelne Sonderbauten einen gewissen Anspruch einlösen (was in Niederösterreich sowieso selten genug geschieht). Das strahlt auf die Alltagsarchitektur praktisch nicht ab. In Niederösterreich sieht man das an den hilflosen Gestaltungsversuchen in den Dörfern, an den neuen Wohngebieten, die rund um die alten Kerne entstehen, an den sogenannten Hauptplatzgestaltungen der Städte, und dramatisch sieht man es an den Gewerbezonen, an den Industrieansiedlungen, die sich an den Peripherien in uncharmantester Weise festsetzen.

Tatsächlich gibt es aber Peripherien, die durchaus etwas wie Charme - oder vielleicht zutreffender: Atmosphäre - haben. Das war auch das Thema für zahlreiche Theoretiker. Aber für die neuen, immer weiter wachsenden und für die jeweiligen Gemeinden offenbar ungemein lukrativen Gewerbe- oder Industrieparks gilt nichts davon. Sie sind einfach nur schäbig oder schlimmer noch: unappetitlich. Da lässt sich nichts mehr relativieren. Es steht einfach alles kreuz und quer, und die Rechtfertigung beschränkt sich eigentlich immer darauf, dass der ökonomische Druck so groß sei, dass er keinen architektonischen Spielraum im Kosten-Nutzen-Verhältnis erlaubt.

Der auch größenmäßig relativ bescheidene Industriebau von Hubert Hermann - Büro Hermann & Valentiny - in Strebersdorf, fast schon in Niederösterreich, gerade noch in Wien, ist in diesem Zusammenhang durchaus interessant. Eben weil er ein so normaler Industriebau ist. Errichtet auf einem dreieckigen Grundstück, das eher preisgünstig war, weil einfach kein Mensch wusste, was man mit einem solchen Bauplatzzuschnitt anfangen kann. Und dann, weil die - ökonomischen - Vorgaben auch so normal waren. Keine Sonderkonditionen, kein spezifischer Ehrgeiz des Bauherrn, über die Architektur Image zu lukrieren. Alles ganz im üblichen Rahmen. Aber halt nicht von irgendeinem No-Name-Architekten, sondern von einem, der sich bei seiner Arbeit etwas denkt.

Hubert Hermann hat ein mehr als anständiges Resultat erzielt. Er hat das etwa 70 Meter lange Gebäude nicht nur städtebaulich richtig auf dem unbequem zugeschnittenen Grundstück platziert und damit wenigstens einen bescheidenen Beitrag zur Beruhigung des chaotischen Umfeldes geleistet, er hat auch einen zwar einfachen, aber durchaus interessanten Baukörper entwickelt. Es geht um ein Unternehmen mit Namen „Englisch Dekor“, das mit Stoffen handelt und diese auch zuschneidet. Gefordert waren ein Lagerbereich mit angeschlossener Zuschneidewerkstatt und ein gar nicht so kleiner Bürobereich mit verschiedenen Besprechungszonen. Insgesamt arbeiten hier etwa 15 Menschen.

Hermann konnte schon durch den Grundstückszuschnitt nur einen langgestreckten Baukörper errichten, der sich an der einen Seite noch dazu verjüngt. Aber das ist ja nicht schlecht. Vor allem, weil es an der Straßenseite zwei deutliche Akzente gibt. Die markanteste Zäsur setzt der Ladehof, der etwa mittig im Gebäude eingeschnitten ist und abends durch ein großes Schiebeelement geschlossen wird. Für eine gewisse Dynamik an der Straßenseite sorgt aber vor allem die Entscheidung des Architekten, den Bürobereich ins Obergeschoß zu verlegen und darunter einen Vorplatz zu schaffen, der sowohl gedeckte Parkplätze für die Geschäftsleitung als auch einen - ebenfalls gedeckten - Vorbereich für den Eingang schafft. Das geschieht mit Hilfe einer Gebäudeauskragung von etwa 20 Meter Länge bei einer Tiefe von ungefähr sieben Metern. Eine einzelne Stütze, die noch als Werbeträger für das Unternehmen genutzt werden soll, war nicht zu vermeiden. Nicht aus technischen, sondern aus Kostengründen. Es ist eben wirklich ein ganz normaler Industriebau.

Hermann hat auf unprätentiöse Weise ablesbar gemacht, worum es in den Gebäudeteilen links und rechts vom Ladehof geht. Schlichte Fensterbänder ziehen sich rund um das Bürogeschoß, mit großen Fixverglasungen und öffenbaren Fensterelementen in einem regelmäßigen Takt. Die Beschattungslamellen sind vielleicht etwas schmal, aber es werden auch noch Innenjalousien installiert, damit die Lichtverhältnisse für die Computerarbeitsplätze wirklich so regulierbar sind, wie es die Mitarbeiter individuell wollen.

Ein reizvolles Detail: Hermann konnte das Mobiliar für den Bürobereich selbst entwerfen. Er hat zu den einfachsten Materialien gegriffen - im Wesentlichen Holzfaserplatten -, sie wirken aber keineswegs billig. Das hat eher etwas von edlem Purismus. Und er hat Schränke entwickelt, deren Schiebetüren mit (gemusterten) Stoffen des Unternehmens bespannt sind. Das ist ausgesprochen gut gelungen. Es verleiht den Büroräumen Charakter.

Etwas eigenartig berührt war ich beim Betreten des Bürotraktes. Heutzutage ist alles dermaßen von Sicherheitsmaßnahmen dominiert, dass es einem schon unglaublich vorkommt, wenn man in ein Haus hineingehen kann und nicht gleich abgefangen wird. Hier geht man unten hinein - nüchterner, anthrazit beschichteter Betonboden, tomatenrote Wand, weißer Stiegenlauf -, aber kein Mensch ist da, der einen kontrolliert. Und das ist gar nicht schlecht. Im Oberstock wird man dann sowieso „empfangen“.

Auch der Lagerbereich ist gut gelungen. Es ist ein Hochregallager voller Stoffrollen, die Breite der Gänge zwischen den Regalen war durch den Gabelstapler vorgegeben. Wichtig ist: Es ist keine dunkle Angelegenheit; es gibt Oberlicht. Und im Bereich der Zuschneidewerkstatt sitzen dann auch wieder Fensterbänder in der Fassade. Von außen erscheinen diese Öffnungen natürlich irgendwie willkürlich - sie sind es aber nicht, und sie sorgen bei aller Ruhe für eine dezente Dynamik.

Wie gesagt, Hubert Hermann musste mit den einfachsten Mitteln auskommen. Das Haus wurde daher aus Betonfertigteilen errichtet, die mit Aluwellblech verkleidet sind. Das ist eine gute, nachhaltige Fassadenlösung, aber wirklich nichts Besonderes. Nur, wir bewegen uns eben nicht im Bereich des Besonderen, seine Arbeit ist vielmehr der Beweis, dass es auch auf dem unteren finanziellen Level architektonischen Anstand, architektonische Qualität gibt.

Das Gebäude umfasst zirka 1.800 Quadratmeter Nutzfläche. Der Architekt hat mir sein Baubudget genannt, ich konnte den Quadratmeterpreis ganz einfach ausrechnen. Dann kam ein Anruf. Er möchte nicht, dass der tatsächliche Quadratmeterpreis veröffentlicht wird - er fürchtet sich, dass dann lauter Bauherren kommen, die ebenfalls um diesen extrem niedrigen Preis von einem Architekten bedient werden wollen. Das ist fast schon wieder lustig.

Ich möchte aber doch die Klammer zu meiner Einleitung schließen: Da war von den Zuständen in Niederösterreich die Rede. Es gibt sicher das Gegenbeispiel Vorarlberg. Dort errichtet man Gewerbeparks, die nicht nur städtebaulich überlegt sind - Beispiel: Millenniumspark Lustenau -, sondern auch bemerkenswerte Einzelobjekte aufweisen. Als Außenstehender hat man fast das Gefühl, die einzelnen Unternehmen ebenso wie die Architekten würden sich am liebsten übertreffen. Das ist immerhin ein Weg für eine Gesellschaft, die auch ihrer Wirtschaft einen kulturellen Stellenwert beimisst.

Spectrum, Sa., 2006.04.15

25. Februar 2006Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Der coole Campus

Zeitgemäß, nicht zeitgeistig, für die Dauer, nicht für die Stunde: Andreas Treuschs Fachhochschule in Wels. Elegant, urban und bis ins Detail überzeugend.

Zeitgemäß, nicht zeitgeistig, für die Dauer, nicht für die Stunde: Andreas Treuschs Fachhochschule in Wels. Elegant, urban und bis ins Detail überzeugend.

Bei der Präsentation des neuen Gebäudekomplexes von Andreas Treusch in Wels tut man sich als Schreiber schwer: Es handelt sich dabei um eine Art Fachhochschule mit Studiengängen technisch/wirtschaftlicher Orientierung. Kurioserweise darf man sie aber „niemals“ (Zitat aus einer schriftlichen Mitteilung an den Architekten) Fachhochschule nennen, nur „FH OÖ Campus Wels“. „FH“ - wofür das wohl steht? Fachhochschule kann es - siehe oben - nicht sein. Ein Fall für versierte Rätselrater.

Tatsache ist, Andreas Treusch hat seinerzeit einen EU-weit ausgeschriebenen Wettbewerb unter 46 Teilnehmern eindeutig für sich entschieden. Es ging dabei um „eine Art Fachhochschule“ - einigen wir uns auf diesen Terminus -, die auf dem letzten Ausstattungsstand sein sollte, um ein entsprechendes Ausbildungsniveau - immerhin 1.200 Studienplätze - anbieten zu können.

Treusch fand ein L-förmiges Grundstück vor, dessen kurzer Schenkel an der Straße liegt, während sich der lange 100 Meter in die Tiefe erstreckt. Der Standort ist nahe am Zentrum von Wels, eine Handelsakademie, das Berufsförderungsinstitut bilden die unmittelbare Nachbarschaft, dazu Stadtvillen und ein Wohngebiet. Städtebaulich war auf dieses Umfeld Rücksicht zu nehmen, vor allem hinsichtlich der Gebäudehöhe. Es hagelte trotzdem Einsprüche von den Anrainern.

Dabei stellt die Treusch-Architektur eine regelrechte Aufwertung für das Umfeld dar. Aber das sieht man natürlich erst jetzt. Sie präsentiert sich als ausgesprochen elegantes, urbanes Statement in diesem heterogenen Umfeld. Sie fuchtelt nicht formalistisch herum, aber sie hebt sich souverän von der banalen Nachbarschaft ab: mit einer ruhigen, zweischaligen Glasfassade und der deutlich, durch einen Gebäudeeinschnitt auch als Vorplatz artikulierten Eingangszone, die quasi vom „untergeschobenen“ Baukörper eines repräsentativen Mehrzwecksaales flankiert wird.

Treusch hatte - bezogen auf die Grundstücksgröße - mit einem sehr umfangreichen Raumprogramm zu kämpfen. Um das überhaupt unterzubringen, musste er auch ins Untergeschoß gehen - nicht nur mit der Tiefgarage und irgendwelchen Haustechnikeinrichtungen, sondern auch mit tagesbelichteten, voll nutzbaren Seminarräumen und einem Labor. Im Übrigen konnte er an der (kurzen) Straßenseite vier Obergeschoße errichten, beim (langen) Hoftrakt aber nur drei.

Auf Anhieb besticht das Gebäude durch sein überaus klares Konzept. Man tritt ein und sieht linkerhand in die Mensa. Aber die große räumliche Attraktion erstreckt sich in die Grundstückstiefe: Es ist die Erschließungshalle des langen Hoftraktes mit ihrer Kaskadentreppe, glasüberdacht, also von oben belichtet, ein Luftraum an die 19 Meter hoch. Diese Höhe des Raumes ermöglichte es übrigens auch, dass ein Foucaultsches Pendel aufgehängt werden konnte (das gibt es in Österreich sonst nur noch im Technischen Museum in Wien).

Die große Halle vermittelt ein ziemlich spannendes Raumerlebnis. Sie ist auf den ersten Blick - um auf die Sprache der Kids zurückzugreifen - unheimlich „cool“. Es gibt vor allem helle, aber gebrochene Farben, vom Natursteinboden bis zu den transluzenten Glasbrüstungen der Treppen und umlaufenden Erschließungsgänge, und es gibt die Sichtbetonkerne - nicht ganz ideal realisiert, weil der Architekt den Ehrgeiz hatte, eine ankerlose Schalung zu versuchen -, die vor allem Haustechnik und Nebenräume beinhalten, aber natürlich auch der Gebäudeaussteifung dienen.

Funktionell ist das Haus überraschend übersichtlich: Zu ebener Erde sind Mensa, Mehrzwecksaal, Auditorien und Hörsäle angeordnet; darüber Hörsäle, Chemietrakt und Seminarräume; wieder darüber Labors und Verwaltung, schließlich die Bibliothek, Labors, Büros und an der Straße im vierten Obergeschoß ebenfalls Büros für das wissenschaftliche Personal. Eine Sondereinheit stellt wohl das zweigeschoßige CIM-Labor (Computer Integrated Manufacturing) dar, das über eine Rampe auch über einen Anlieferungsbereich im Untergeschoß verfügt.

Geradezu verblüffend ist die Dachlandschaft: Sie ist sozusagen begeh- und befahrbar. Hier gibt es Einrichtungen für technische Prüfungen. Von hier sieht man aber auch, dass die Glasüberdachung der Erschließungshalle als Sheddach ausgebildet wurde. Von drinnen spürt man das überhaupt nicht. Da hat man wirklich den Eindruck einer flächigen Verglasung, der allerdings außen eine Schicht flexibler Beschattungslamellen vorgelagert ist. Jetzt, bei Schnee, stehen die Lamellen senkrecht. In der warmen Jahreszeit reagieren sie hingegen auf die Sonneneinstrahlung.

Was die technischen Finessen betrifft, leistet dieses Haus überhaupt einiges. Es verfügt über Erdkollektoren und Quelllüftung - das Gebäude ist als Niedrigenergiehaus eingestuft -, und die äußere Fassadenschicht aus überlappenden Glasscheiben sorgt für einen angenehmen Luftstrom und gleichzeitig für Schallschutz.

Treusch demonstriert im gesamten Gebäude eine Architekturhaltung, die sich als zeitgemäß, aber nicht zeitgeistig beschreiben lässt. Seinem Haus ist kein Entstehungsdatum eingeschrieben. Es ist auf Dauer, auf langfristige Haltbarkeit in jeder Hinsicht angelegt. Er hatte offensichtlich in seinem Bauherrn einen kongenialen Partner, der auf seine architektonische Zielrichtung voll eingestiegen ist. Deswegen ist das Haus auch bis ins Detail so überzeugend gelungen: Sogar die Möblierung ist viel besser als an vergleichbaren Ausbildungsstätten. Die Zusammenarbeit geht daher auch weiter: Schräg gegenüber steht ein Gebäude, das demnächst generalsaniert und durch eine Brücke mit der „FH OÖ Campus Wels“ verbunden werden soll. Eine bessere Bestätigung kann sich ein Architekt eigentlich nicht wünschen.

Spectrum, Sa., 2006.02.25



verknüpfte Bauwerke
Fachhochschule Wels

21. Januar 2006Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Skylink zieht den Bauch ein

800 Meter Fassade, extreme Anforderungen und ein beeindruckender Entwurf: der erweiterte Flughafen Wien-Schwechat. Aus Anlass der Grundsteinlegung.

800 Meter Fassade, extreme Anforderungen und ein beeindruckender Entwurf: der erweiterte Flughafen Wien-Schwechat. Aus Anlass der Grundsteinlegung.

In aller Stille ist es ja schon im Herbst losgegangen. So richtig offiziell wird es am kommenden Montag: Da findet die Grundsteinlegung zum „Skylink“ statt. Zum architektonischen Herzstück des neuen, erweiterten Wiener Flughafens, von dem es erstaunlicherweise heißt, dass er derzeit die größte Baustelle in Europa sei. Das hat bisher nur wirklich niemand so richtig realisiert.

Denn es ging in Schwechat alles so nebenbei vor sich, aus der Perspektive des gelegentlich Flugreisenden fast schon beliebig. Hier ein kleineres Bürohaus (Baumschlager Eberle P.Arc), dort ein großes (Office Park, Holzbauer & Partner), hier ein neues Parkhaus (Dieter Haide), dort ein aufgestocktes (Baumschlager Eberle P.Arc). Zugegeben, unübersehbar: das architektonisch tatsächlich bemerkenswerte Zeichen des neuen Towers (Zechner & Zechner) und in bescheidenerer Dimension auch der temporäre „Zeltbau“ Terminal 1A (Baumschlager Eberle P.Arc). Ein neues VIP- und General Aviation Center (Holzbauer & Partner). Ein paar Zweckbauten im Abseits des eigentlichen Zentrums - so genannte Handling-Gebäude für Gerätschaften, die am Boden gebraucht werden, wie Stiegen, Catering-Fahrzeuge et cetera (Baumschlager Eberle P.Arc, Andy Treusch) und ein „Kältezentrum“ (Baumschlager Eberle P.Arc). Auch ein neuer Busterminal (Baumschlager Eberle P.Arc).

So große Baustellen sind naturgemäß eine langwierige Angelegenheit. Und für die Nutzer, für den alltäglichen Gebrauch stellen sie zweifellos eine Härteprobe dar. Es ist aber einfacher und sinnfälliger, als man glaubt: Gebaut wurde, was abgerissen werden musste, um den Raum für die Flughafenerweiterung freizumachen. Der alte Tower ist gefallen, daher gibt es den neuen. Das alte VIP-Center ist gefallen, das neue wurde den heutigen Anforderungen angepasst. Zweckbauten oder etwa ein Verwaltungstrakt sind gefallen, daher die neuen Handling- beziehungsweise Infrastrukturgebäude und - die neue Bleibe für die Betriebsgesellschaft des Wiener Flughafens. Was so heterogen wirkt, dem wohnt also doch eine sinnfällige Logik inne. Und die ordnet sich der Hauptsache unter: der Terminal-Erweiterung. Nach fünf Jahren Arbeit war dieser gewaltige Bau von der Gebäudekonfiguration her ein eindrucksvoller Entwurf. Über 800 Meter Fassadenabwicklung! Im Lauf dieser - für den Flugverkehr turbulenten und sicher auch krisenhaften - Jahre hat sich noch nicht einmal viel oder gar Prinzipielles geändert. Es wurden Flächen verknappt, der Komplex „hat den Bauch eingezogen“ (Zitat Architekten). Die „Empfangs- und Verteilungssichel“ ist von einem Viertel- zum Achtelkreis geschrumpft, der Pier wurde von der Rollgasse 80 zur Rollgasse 70 verschoben. Rollgassen sind die „Straßen“, über die die Flugzeuge kommen und dann irgendwo andocken.

Der interessanteste Aspekt an dem Erneuerungsprozesses ist aber sicher die architektonische Umsetzung der weiß Gott nicht einfachen Anforderungen an den heutigen Flugverkehr. Hinzu kommt, speziell in Wien, auch die formale Frage. Ich erinnere mich noch, wie ich als Kind in den Fünfzigerjahren mit meinem Vater Flughafen schauen gegangen bin. Das war ein Erlebnis. Nach den Eingriffen von Fehringer & Co hat Wien-Schwechat allerdings die Ästhetik von Ostblock-Flughäfen bekommen (ohne diese Länder verunglimpfen zu wollen). Das war ein Schock.

Nun weiß man, dass das jetzige Team - Itten + Brechbühl und Baumschlager & Eberle - in jeder Hinsicht qualifizierter ist. Ein aufmerksames Auge sollte man aber doch auf das Werden dieses für Wien, für ganz Österreich so ungemein wichtigen Bauwerks werfen.

Tatsächlich gilt es, unendlich komplexe Funktionen planerisch in den Griff zu bekommen. Der „Skylink“ empfängt nicht nur die Passagiere, er fertigt sie ab, er verteilt sie. Hier gibt es die erste wesentliche Änderung im Vergleich zu anderen Flughäfen. Die Sicherheitskontrollen, die so unerhört an Bedeutung gewonnen haben, werden im neuen Terminal nicht mehr an den Gates, sondern zentral abgewickelt. Möglicherweise eine Erleichterung, die ihre Fortsetzung in der dreigeschoßigen Ausbildung der Piers finden soll. Das ist weltweit ein Novum, bietet aber deutliche Vorteile: So können Schengen- und Nicht-Schengen-Passagiere entflochten werden, die Passagierströme nach Sicherheits-, Pass-, Visum- und Gepäckkontrollen besser entflochten und sozusagen auf Parallelebenen geleitet werden. Ein bisschen makaber ist es schon: Menschenströme werden eingeteilt, klassifiziert, entflochten und dann dem Weiterflug zugeführt. Klingt irgendwie nach Kaninchenstall. Andererseits hat sich die AUA vorgenommen, den Passagieren eine Umsteigefrist von 25 Minuten zu garantieren. Das ist sehr wenig.

Die Gretchenfrage: Wie wird das neue Flughafengebäude aussehen? Die Fliesen pervertierten Jugendstildekorationen, die wollen wir sicher nicht. Und von den Architekten ist derartiges auch nicht zu erwarten. Aber was schlagen sie vor? Eine Fassadenlösung, zweischalig, eigentlich wie beim Bürohaus neben dem Tower, nur ungleich aufwendiger und komplexer.

Es ist also eine Glasfassade. Aber es wird keine der Allerwelts-Glasfassaden sein, die heute jeder Kommerzarchitekt macht. Die Fassade ist zweischalig, mit einer Tiefe von 1,50 Metern, und hat außen schuppenartig vorgestellte Gläser - mit dunkler Sonnenbrille und sehr komplexen Beschichtungen -, sodass das Gebäude fast schwarz wirken wird.

Ein Problem, das man von anderen Bauvorhaben überhaupt nicht kennt, betrifft die Radar-Situation. Man muss architektonisch darauf reagieren, man darf einem Gebäude nicht einfach nur glatte Oberflächen verpassen. Die Architekten haben daher ein eigenes Muster unterschiedlich positionierter Außenlamellen entwickelt, ein unregelmäßiges „chaotisches“ Muster, das aber doch einen gewissen Rapport aufweist: Es wiederholt sich alle 45 Meter. Auf diese Länge erkennt jedoch kein Mensch, dass das Muster auf einem wiederholten Raster basiert.

Die Möblierung: Im Vielflieger-Check-in der AUA und im „Zelt“ für die Billigflieger kann man schon Prototypen des Möbelinventars in Augenschein nehmen. Es stammt von Gregor Eichinger. Und ein guter Wiener Barbenutzer, wurde mir von einem Schweizer Architekten versichert, weiß die Lümmel-Borde an den hölzernen Einchek-Schaltern zu schätzen.

In Wien wurden unendlich viele architektonische Chancen verpasst. Über viele Jahre, wenn nicht Jahrzehnte. Vor allem städtebaulich geht so viel schief. Auch das überzeugendste städtebauliche Konzept - für die Flughafen-Stadt kann man das wirklich gelten lassen - wird unheimlich abgewertet, wenn sich die gebaute Architektur breit macht und die Verantwortung eigentlich nur in die Verantwortung von Wettbewerben fällt.

Wie hat Hermann Czech vor vielen Jahren gesagt: Die Verbesserung besteht in der Einführung von Wettbewerben, nicht in ihren Ergebnissen.

Spectrum, Sa., 2006.01.21

24. Dezember 2005Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Ando war blass vor Neid

Spürbar, greifbar, überschaubar: von kleineren Bauten, größeren Eindrücken und dem, was man Atmosphäre nennt. Das Haus Hitz am Bodensee und das Gasthaus „Manna“ in Innsbruck.

Spürbar, greifbar, überschaubar: von kleineren Bauten, größeren Eindrücken und dem, was man Atmosphäre nennt. Das Haus Hitz am Bodensee und das Gasthaus „Manna“ in Innsbruck.

In der Architektur vermitteln die kleineren Bauten nicht selten die größeren Eindrücke. Da lässt sich einfach alles so richtig unmittelbar erfahren. Konzepte sind überschaubar und fast automatisch zu lesen, die Materialsprache erspürt man geradezu hautnah, Details kann man beinahe greifen - und irgendwie verdichtet sich doch alles zu jener höchst unscharfen Kategorie, die man Atmosphäre nennt.

Rainer Köberl hat auch große MPreis- Märkte gebaut, die viel Beachtung gefunden haben. Hier ist von zwei kleineren Bauten aus der jüngsten Zeit die Rede - einem Einfamilienhaus am Bodensee, das er gemeinsam mit Paul Pointecker geplant hat, und dem Lokal „Manna“ in der prominenten Innsbrucker Maria-Theresien-Straße.

Es war schon komisch, dass ich nicht einmal gemerkt habe, dass am Haus Hitz - Hanglage mit wunderbarem Seeblick - an der Rückseite die Autobahn vorbeiführt. Ich habe es erst durch das Fenster des Elternbadezimmers gesehen, das unten mattiert und oben klar ist. Gar nicht reizlos.

Das Haus steht auf der Schweizer Seite des Bodensees. Der See liegt allerdings im Norden, die Autobahn im Süden. Was sich so gar nicht gut anhört, ist in Wirklichkeit kein Problem. Denn Köberl und Pointecker haben ein Atriumhaus geplant, das effektiv wegblendet, was unangenehm ist, und echte Qualitäten schafft. Es ist ein Haus mit einem „kalten“ Herzen. Und das ist nicht negativ gemeint: Alles dreht sich auf der Wohnebene um dieses Atrium, dieses große Zimmer ohne Dach.

Das Haus sprengt natürlich das heterogene Bild solcher Ortschaften total. Es steht da wie ein Monolith, schwarz und gläsern - Letzteres in einem doppelten Sinn, denn auch die schwarze Fassade ist aus Glas, aus Formglas, jenem - ich wurde belehrt: schwefelhaltigen Schaum, den man üblicherweise zur Dämmung von Dächern verwendet. Die Fassade ist also Haut im engen Wortsinn, einfach so darübergezogen über den Hausorganismus.

Und der ist nicht gerade klein. Zugeschnitten für Eltern, vier Kinder und die Mutter der Bauherrin, außerdem für ein Büro mit fünf Arbeitsplätzen. Der Bauherr betreibt Schuh- und Modegeschäfte, aber auch eine Firma, die sich mit Gebäudereinigung beschäftigt. Letzteres sollte eine ganz spezifische Bedeutung erhalten: Denn genau vor einem Jahr wollte die Familie einziehen. Diese Hoffnung hat aber ein Schwelbrand gründlich zunichte gemacht. Es mussten danach nicht nur alle „weichen“ Teile des Hauses erneuert werden, auch die Sichtbetonflächen im Haus waren schwarz. Und da dieses Haus überhaupt keine geputzten Wände hat, kann man sich das Ausmaß der Bescherung vorstellen. Der Bauherr hat jedenfalls all seinen Ehrgeiz als Gebäudereiniger in dieses Problem gesteckt. Herausgekommen ist dabei der schönste Sichtbeton, den ich jemals gesehen habe. Eine Oberfläche wie Sandstein, einfach makellos. Ando würde vor Neid erblassen.

Das Haus ist folgendermaßen organisiert: Unten liegen der Bürobereich, der Wirtschaftsraum und das Apartment für die Mutter der Bauherrin. Eine sehr schöne, luftige, leichte Treppe führt dann ins Wohngeschoß hinauf. Und da ist man zum ersten Mal mit dem rundum verglasten Atrium konfrontiert, Küche, Ess- und Wohnbereich bilden ein barrierefreies Raumkontinuum, und es schließt der „Kindertrakt“ an. Für die Küche hat Köberl eine ungewöhnliche Lösung gewählt. Die Erschließung der Kinderzimmer führt durch den Küchenbereich hindurch. Der besteht nur aus zwei Zeilen, die eine mit einer Nische für einen kleinen Esstisch und Blick nach draußen, die andere mit Blick zum Atrium. Und der Gang dazwischen ist auch der Weg zu den Kinderzimmern. Komischerweise scheint das überhaupt kein Problem zu sein.

Sehr schön sind die Materialien. Wenn man ins Haus hineinkommt, sind die Garderobenschränke mit einem schwarzen, textilen Material bespannt. Das Motiv der schwarzen Außenhaut setzt sich hier also - in einer Innenraumvariante - fort. Es gibt viel Holz - Eiche, gedämpfte Akazie, Zeder. Und rundherum überall dieser unglaubliche Sichtbeton.

Köberl hat im Wohngeschoß einige kleine Maßnahmen gesetzt, die viel für die Wohnqualität im Haus bringen. Zum Beispiel gibt es eine durchscheinende Kunststofffassade, die sich aufschieben lässt und in der warmen Jahreszeit ein Wohnen hinaus ins Freie ermöglicht. Und auf der höchsten Ebene ist dem Elternschlafzimmer eine Terrasse vorgelagert, die den Blick auf den Bodensee großartig in Szene setzt. Dabei ist die Brüstung ungewöhnlich „dick“, dafür aber nur 60 Zentimeter hoch.

Köberl hat in Innsbruck, wie eingangs erwähnt, auch ein Kaffeehaus/Restaurant realisiert. Dabei gibt es einen gleichsam direkten „Link“ zur Küchenlösung am Bodensee. Denn die Erschließung zu den Bürogeschoßen im Haus darüber führt durch das Lokal hindurch. Erstaunlich, dass das genehmigt wurde. Andererseits: Man hätte das Erdgeschoss - das Lokal erstreckt sich über zwei Ebenen - zumindest nicht für diesen Zweck nutzen können, wenn auch noch eine separate Erschließung notwendig gewesen wäre. Das denkmalgeschützte Haus aus dem 15. Jahrhundert ist nämlich nur 3,80 Meter breit, misst dafür in der vollen Parzellentiefe aber 30 Meter. Extreme Bedingungen, die ungewöhnliche Lösungen herausfordern.

Ungewöhnlich ist vor allem, dass das Konzept des Architekten einen Rundumgang durch die beiden Ebenen des Lokals ermöglicht. Man geht unten hinein, in die Tiefe und kann dort ins Obergeschoß hinauf-, zurück- und wieder hinuntergehen. Sicher wurde diese Lösung erst durch die räumlichen Zwänge suggeriert. Aber sie macht aus der Platznot in der Breite eine Tugend: Köberl schlägt den Gästen einen Einbahnverkehr vor, sie brauchen nicht umzudrehen und wieder an den selben besetzten Tischen vorüberzugehen, die sie gerade passiert haben.

Auch vom Material her gibt es Verwandtschaften mit dem Haus Hitz. Viel Holz - Eiche, gedämpfte Akazie, Zeder, aber auch Stein, osttiroler Serpentin - schafft eine gediegene Atmosphäre. Wäre es kein Klischee, ich würde sagen: englischer Klub. Köberl hat eine Art architektonisches Pausenzeichen geschaffen. Einen Ort, der beruhigt.

Spectrum, Sa., 2005.12.24



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Haus Hitz
MANNA Café

08. Oktober 2005Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Münze, Muse, Männchen

Nichts wurde geschönt oder geglättet, nichts zu Tode restauriert. Das neue Münzmuseum im Tiroler Hall: ein Produkt des Feingefühls und der Disziplin, lieber weniger als zu viel zu gestalten.

Nichts wurde geschönt oder geglättet, nichts zu Tode restauriert. Das neue Münzmuseum im Tiroler Hall: ein Produkt des Feingefühls und der Disziplin, lieber weniger als zu viel zu gestalten.

Die touristische Hauptattraktion von Hall ist sicher die Altstadt mit ihren engen Gassen und einem Baubestand, der teilweise bis ins 13. Jahrhundert zurückreicht. Daneben gibt es aber auch die durchaus sehenswerte Salinenarchitektur viel jüngeren Datums (19. Jahrhundert).

Und dann ist da noch die Burg Hasegg. Sie besteht im Grunde aus einem Konglomerat von Bauteilen, die über Jahrhunderte gewachsen sind, auch verändert wurden. Noch Anfang der Achtzigerjahre kam eine gar nicht so kleine Halle hinzu, die als Werkstatt für die „Münze Österreich“ diente. Denn hier wurden, tatsächlich über Jahrhunderte hinweg, Münzen geprägt. Und heute noch gibt es hier Maschinen - darunter auch eine originalgetreu nachgebaute Sehenswürdigkeit -, die prägen können und das etwa im Auftrag von Firmen zu bestimmten Anlässen auch tun.

Dass die Haller hier ein Münzmuseum eingerichtet haben - neben dem Stadtmuseum in einem anderen Teil der Burg -, hat also seine historische Begründung. Nur war dieses Museum bei weitem nicht auf dem Standard, den man heute von einer solchen Einrichtung erwartet. Architekt Benedikt Gratl und die Museumspädagogin Petra Paolazzi, dazu eine Reihe von Fachleuten, haben daher ein umfassendes Nutzungskonzept erstellt. Das neue Museum „Münze Hall“ ist das Ergebnis dieser Vorarbeit.

Es gibt einen architektonischen Höhepunkt beim Rundgang durch dieses Museum, das auch jeden Nicht-Numismatiker faszinieren wird: den alten, zweiläufigen „Münzerturm“ mit seinen 46 Metern Höhe, über dessen ursprüngliche Funktion sich die Historiker nicht ganz einig sind. Für einen Wehrturm ist er nämlich etwas aufwendig ausgeführt. Von der zweiläufigen Erschließung blieb die alte, sehr schmale, die bestenfalls Kindern Freude bereitet, erhalten. Die neue Haupterschließung - eine Wendeltreppe aus Stahl, der mit Grafitwachs eingelassen ist - hat Benedikt Gratl entworfen. Und sie ist wirklich ein skulpturales Highlight dieses ganzen Museums. Jedes Element dieser Treppe ist praktisch ein Prototyp, nicht nur aufgrund der Krümmung, sondern weil auch die Wände so unregelmäßig sind. An der Basis sind sie 2,84 Meter stark, nach oben werden sie dünner, und der Raum wird größer.

Der größte Mehrwert, den Gratl mit seiner Behandlung des Turmes erzielt hat, besteht wahrscheinlich darin, dass er ihn zwar in den Ausstellungsrundgang integriert, ihn aber nicht musealisiert. Der Turm stellt sich selbst aus. Gratl hat darauf verzichtet, hier irgendwelche Vitrinen zu platzieren oder die Wände voll zu hängen. Er hat sich darauf beschränkt, die Materialwirkung des alten Mauerwerks herauszuarbeiten und die alte Wendeltreppe so zu erhalten, dass sie auch visuell präsent bleibt. Und ganz oben ist dann nicht nur der Punkt, wo man den grandiosesten Ausblick hat, sondern auch eine Informationsplattform, in die man sich einklicken kann.

Natürlich war die Problematik rund um das neue Museum „Münze Hall“ viel komplexer. Vor allem war es notwendig, städtebauliche Maßnahmen zu setzen, die die Burg wieder mit dem Umfeld verbinden und eine eindeutige, erkennbare Eingangssituation schaffen. Seinerzeit, in den Siebzigerjahren, wurde hier ein Autobahnzubringer gebaut, der das gesamte Areal zerschneidet. Und es gibt - aufgrund der aktuellen Verkehrswegesituation - keinen eindeutigen Haupteingang mehr. Das große „Burgtor“ liegt viel zu abseits, heute kommen die Leute von Westen (Autobahnzubringer), vom Parkplatz.

Gratl hat daher den Zugang zur Burg schon von weitem „inszeniert“. Jetzt ist der Autobahnzubringer untertunnelt. Eine reizvolle Installation: eine 20 Meter lange Lichtscheibe, in die ein springendes Männchen über die volle Länge Bewegung bringt (Lichtplanung: Manfred Draxl, Grafik: Lilly Moser).

Ganz neu ist der Eingang: Er wurde in den Bestand eingeschnitten und mit weißem Glas verkleidet, ein großes Schaufenster bietet erste Informationen. Man sieht gleich den zentralen Ticketschalter und kommt in ein neues Foyer, das mit einfachsten Mitteln sehr transparent hergestellt wurde. Gratl hat den kleinen Burghof teilweise glasüberdacht, sodass der Blick auf die Architektur und die Atmosphäre der Hofsituation erhalten bleiben. Trotzdem ist es ein eindeutiger Innenraum (geheizt) und der Verteiler zu den verschiedenen funktionalen Räumen, den Garderoben etwa, die in der ehemaligen Esse untergebracht sind. Es war eine der Hauptaufgaben des Architekten, den Bestand zu entrümpeln und zu sanieren, einen modernen Museumsbetrieb zu ermöglichen und zugleich der alten Substanz noch zusätzliche, verwendbare Räume abzuringen.

Einen Fehler, der sich in Wien bei der Sanierung der Museen immer wieder bemerkbar machte, hat Gratl vermieden. Natürlich ist man auch hier auf historische Fragmente gestoßen, Fresken aus der Renaissance zum Beispiel, die gesichert, gesäubert und hergezeigt wurden. Aber als Fragmente. Es wurde nichts ergänzt, geglättet und geschönt, nichts zu Tode restauriert.

Der alte Werkstättentrakt der Münze Österreich aus den Achtzigerjahren - Gratl hätte ihn wohl am liebsten abgerissen - wurde erhalten und ist heute Ausstellungsraum. Sogar die großen Tore zum kleinen Burghof, die früher als Einfahrtsmöglichkeit gebraucht wurden, sind noch da. Allerdings sitzen sie jetzt als große schwarze Kastenelemente (Eiche) in der Mauer, umgeben von einem Glasband, das sie erst richtig zur Wirkung bringt. Und man kann sie nötigenfalls - etwa bei Veranstaltungen - öffnen.

Gestalterisch ist in diesem Museum durchwegs alles vom Feinsten. Jede neue Treppenstufe, jede Sitzgelegenheit. Die Vitrinen sind perfekt designte Objekte, meist aus schwarz lackierten Holzfaser-Platten, höchst elegant und zugleich „brauchbar“. Denn sie funktionieren oft auf zwei verschiedenen Ebenen: Für den Rundgang des Laien bieten sie auf den ersten Blick die notwendige Grundinformation, aber dann kann man durch Klappen, Drehen, Herausziehen tiefer in die Materie eindringen. Das hat schon Elsa Prochazka bei ihren Museumseinrichtungen vorgeführt, hier ist es vielleicht noch kompakter, konzentrierter.

Glücklicherweise wurde bei der Einrichtung dieses Museums auf eine „Übermedialisierung“ verzichtet. Es kommt alles vor, was die heutige Technik bietet, trotzdem flimmert es nicht an jeder Wand. Und nicht einmal das Bildmaterial wurde auf Hochglanz reproduziert, sondern auf einen textilen Untergrund gedruckt. Atmosphärisch verbinden sich die neuen Maßnahmen mit der historischen Substanz perfekt. So etwas gelingt nur mit viel Feingefühl - und mit der Disziplin, lieber weniger als zu viel zu gestalten. Besseres kann man einem solchen Museum kaum nachsagen.

Spectrum, Sa., 2005.10.08



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Münze Hall

23. Juli 2005Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Reizvoll irritiert

Wie man ein Schlossdach ausbaut, elegant und großzügig, ohne dass der Eingriff von außen allzu sichtbar wird. Schloss Esterházy, Eisenstadt: Understatement mit Kunstgriffen.

Wie man ein Schlossdach ausbaut, elegant und großzügig, ohne dass der Eingriff von außen allzu sichtbar wird. Schloss Esterházy, Eisenstadt: Understatement mit Kunstgriffen.

Es sind verschiedene Themen, die beim Ausbau eines der Nebengebäude des Schlosses Esterházy in Eisenstadt eine Rolle gespielt haben. Wenn man es aus der reinen Architekturperspektive sieht, dann geht es um alt und neu, und darum, wie man einen Dachausbau bewerkstelligt, der unter äußerst strengen Denkmalschutz-Auflagen stattzufinden hat. In Wirklichkeit kam aber noch allerhand dazu: unter anderem sehr viele und dicke Mauern und Gewölbedecken, deren unübersehbare „Schräglage“ den Tischler vor Probleme stellte - und jetzt für durchaus reizvolle Irritationsmomente sorgt.

Wer Eisenstadt kennt, kennt auch die städtebauliche Situation vor dem Schloss. Dem ist ein großer Platz vorgelagert, der links und rechts - streng symmetrisch - von zwei Nebengebäude-Komplexen flankiert wird. Beide sind durch eine ziemlich massive Arkadierung mit toskanischen Säulen charakterisiert. Vom Schloss aus gesehen, wirken die Gebäude relativ niedrig, aber das sind in Wahrheit nur die stirnseitigen Fassaden. Das Gelände fällt hier rund vier Meter (!) ab. Das merkt man zwar kaum, aber im umgebauten östlichen Gebäudeflügel hat man dadurch eine Erdgeschoßebene und drei Obergeschoße.

Das Wiener Büro Pichler & Traupmann Architekten ist mit diesen Voraussetzungen feinfühlig, vor allem aber intelligent umgegangen. Ohne aufgeregte Inszenierungen - die findet man in der Arbeit dieser Architekten nie -, dafür mit dem Understatement einer konsequenten, an den Bedürfnissen orientierten und formal einfachen, aber bestechenden Lösung.

Der Trakt, um den es geht, wurde ursprünglich als Quartier für die Hauptwache der fürstlichen Grenadiere genutzt (daher auch die vielen „Kämmerchen“, in die die einzelnen Geschoße unterteilt waren). Und er stand in direkter Verbindung mit den Stallungen. Der Komplex wurde 1790 gebaut, und das Denkmalamt hat - zu Recht - verlangt, dass die Umbaumaßnahmen nach außen nicht sichtbar werden, dass sie die Ensemblewirkung nicht beeinträchtigen.

Tatsächlich muss man die Punkte, von denen man die neue Dachlandschaft aus sieht, suchen. Zum Beispiel im obersten Geschoß des Schlosses oder auch an der rückwärtigen Schmalseite findet sich der eine oder andere Punkt, wo man einen Blick auf den Dachausbau erhaschen kann.

Der Eingang zum neuen Bürohaus der „Esterházy Betriebe“ ist eigentlich ein Durchgang. Der führt in den Hof und zu zwei gläsern gelösten Eingängen ins Haus, von denen einer speziell den Konferenzraum erschließt, der dadurch auch extern genutzt werden kann. In diesem Konferenzraum sieht man, wie die Architekten mit Farben, Oberflächen und der Substanz umgegangen sind: Grautöne, vom Teppichboden über die Außenjalousien, den innen liegenden, ganz individuell steuerbaren Blendschutz, bis zu den Fensterläden aus emailliertem Glas; und rubinrot für die längs eingestellten Boxen in der Raummitte, die alles enthalten - Haustechnik, Teeküchen, WC-Gruppen et cetera -, was man so braucht. Die WCs sind einfach grandios: tiefes Rubinrot, mit einem schlossbezogenen Text bedruckte Glaswände, typografisch wunderbar gelöst.

Wir reden von einem Gebäudetrakt, der rund 60 Meter lang ist. Und nachdem er modern, das heißt offen, interpretiert wurde, spürt man diese Dimension auch. Im obersten, im ausgebauten Dachgeschoß steigert sich diese Länge durch die neue Dachlösung von Pichler & Traupmann zur spannenden, dynamischen Raumfigur. Da wurde einiges an architektonischen Kunstgriffen aufgewendet, da wurde mehrfach aufgeklappt und verdreht, um zu einer Raumlandschaft zu kommen, die als temporeiche, aber auch elegante Baumaßnahme wahrgenommen wird.

Pichler & Traupmann haben ihren Dachaufbau als Wanne gestaltet, die nicht zuletzt aus akustischen Gründen mit Spannteppich ausgelegt ist. Darüber haben sie dann rundum eine verglaste Zone errichtet, wodurch die Arbeitsplätze mit Tageslicht versorgt werden. Dabei wurde auf Grund der Denkmalamt-Auflagen straßenseitig ein Rücksprung des Ausbaus notwendig. Zur Straße hin ist dadurch den Büros in der obersten Etage das historische Mauerwerk bis auf halbe Raumhöhe vorgeblendet. Das klingt nicht gut - ist es aber. Was man normalerweise für heutige Computerarbeitsplätze an Lichtschutz aufwendig herstellt, das ergibt sich hier wie von selbst.

Pichler & Traupmann haben sich natürlich ganz am Anforderungsprofil des Bauherrn - vertreten durch Generaldirektor Stefan Ottrubay - orientiert. Aber wie sie diese Anforderungen interpretiert und umgesetzt haben, das ist das Besondere. Die Lösung mit den in der Mittelzone eingestellten, rubinrot lackierten Boxen aus Holzfaserplatten zum Beispiel, mit denen eigentlich alle - notwendigen - Nebennutzungen abgedeckt wurden und die als funktionelle Möbel ins historische Gewölbe eingestellt sind. Apropos Gewölbe: Es gibt keine abgehängte Beleuchtung. Die Gewölbedecken sind unangetastet. Es sind die eingestellten „Boxen“, die von unten und oben beleuchtet sind. Und die Arbeitsplätze selbst werden durch eine individuelle Beleuchtung versorgt, die sich von selbst ausschaltet, wenn sich nichts tut.

Technisch ist das Gebäude - obwohl nicht vollklimatisiert - auf einem sehr hohen Niveau ausgestattet. Da wird natürlich gekühlt, nachts gehen automatisch die Fenster auf, um für die nötige Belüftung zu sorgen. Und die Architekten haben es sich nicht nehmen lassen, sogar eine spezielle Lösung für das Regenwasser zu entwickeln: Es musste von der einen Regenrinne zu einer tiefer liegenden transportiert werden. Das sollte aber ohne sichtbare Fallrohre geschehen, denn eines ist Pichler & Traupmann ein Anliegen: eine homogene Haut, innen wie außen, mit möglichst wenig Details, denen man den Zwang ansieht, dem sie sich gegebenenfalls verdanken. Die Eleganz und Großzügigkeit ihrer Architektur basieren letztlich darauf, dass, was nicht wirklich wichtig ist, auch nicht so in Erscheinung tritt.

Zurück zum Regenwasser: Pichler & Traupmann sind die Erfinder der Regenwasser-Glasrutsche, beheizt selbstverständlich. Im Winter hätte man sonst mit ungeahnten Folgen zu rechnen. Sie tritt optisch fast nicht in Erscheinung, nur durch die Heizdrähte im Glas. Sie ist einfach Bestandteil des rundum laufenden Glasbandes. Aber sie funktioniert. Und sie zeigt, was es bedeutet, konsequent zu sein.

Spectrum, Sa., 2005.07.23

14. Mai 2005Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Nichts im Lot, alles stimmt

Zum Wettbewerb nicht geladen _ und ihn gewonnen. Einen Saal um ein halbes Geschoß versenkt. Ganz zu schweigen von der Akustik. Das alles: rundum geglückt. Die Landesmusikschule in Kufstein.

Zum Wettbewerb nicht geladen _ und ihn gewonnen. Einen Saal um ein halbes Geschoß versenkt. Ganz zu schweigen von der Akustik. Das alles: rundum geglückt. Die Landesmusikschule in Kufstein.

Es zählt zu den ungewöhnlichen Vorkommnissen, wenn es von einem öffentlichen Bauauftrag heißt, er sei zügig und in durchwegs positiver Stimmung umgesetzt worden. Und alle Beteiligten - Bauherr, Nutzer, beteiligte Firmen und Fachleute, sogar die Architekten - seien mit dem Ergebnis zufrieden. Ein solches Resümee bekommt man so selten zu hören, dass man gleich einmal denkt: Stimmt da was nicht?

Bei der Landesmusikschule in Kufstein scheint aber alles zu stimmen. Riccione Architekten, das sind Mario Ramoni, Clemens Bortolotti und Tilwin Cede, eine Architektengruppe aus Innsbruck, die schon früher - vor allem durch einen Schulbau - aufgefallen ist, haben ihr Wettbewerbsprojekt praktisch 1 : 1 umsetzen können. Das Kuriose daran: Zum Wettbewerb (sechs Teilnehmer) waren sie gar nicht geladen. Sie haben sich nur beworben. Erst als eines der geladenen Büros - nämlich Henke/Schreieck, deren nahe gelegener Schulbau in Kufstein erweitert wird - von der Wettbewerbsteilnahme zurücktrat, rückten Riccione Architekten nach. Und sie legten ein Projekt vor, das in zweifacher Hinsicht alle anderen Vorschläge in den Schatten stellte.

Zunächst hinsichtlich der städtebaulichen Problematik. Denn einfach ist es nicht, im verbauten Stadtgebiet ein Eckhaus zu planen, das links und rechts an zwei Baulücken grenzt, die aber von der Widmung her geschlossen werden sollen. Das kann zwar noch zehn oder noch mehr Jahre dauern. Aber jetzt muss das Haus beides leisten: als Solitär Wirkung entfalten und langfristig Anbauten erlauben. Durch Auskragungen an den beiden Schmalseiten des Baukörpers - unter der einen liegt die Einfahrt in die Tiefgarage - ist das möglich. Diese Lösung macht den Baukörper auch noch in anderer Hinsicht interessant: Sie drückt die Binnenstruktur des Hauses aus - Schule im engen Sinn, mit Klassen und Verwaltung, findet in den drei Obergeschoßen statt, die als ganz schlichter Baukörper über Eck auf einer Art „Sockelgeschoß“ aufgesetzt sind.

Und darin liegt auch die zweite Qualität des Projektes: die Organisation des ziemlich komplexen Programms. Gefordert waren einerseits 27 Schulklassen und Räume für die Verwaltung, andererseits ein großer Saal, der zwar hauptsächlich schulischen Zwecken (Proben, Prüfungen) dient, aber auch für Konzerte und andere, externe Veranstaltungen mit Publikum geeignet sein sollte; gefordert waren andererseits Räume für zwei nicht schulische Institutionen - die öffentlich zugängliche Stadtbibliothek von Kufstein und das (nicht öffentliche, dafür einbruchsichere) Stadtarchiv.

Das Bestechende am räumlichen Konzept von Riccione Architekten liegt in der scheinbaren Einfachheit der Organisation des Erdgeschoßes. Dieses „räumliche Kontinuum“ hat die Jury schon im Wettbewerb hervorgehoben. Die Lösung ist wirklich komplex. Man kommt ins ebenerdige Foyer hinein, geht entweder in den halbgeschoßig in die Tiefe versetzten Saal hinunter oder in die halbgeschoßig nach oben versetzte Stadtbibliothek, das nicht öffentliche Archiv liegt darunter.

Die sensibelste Frage betraf die Absenkung des Saales um ein halbes Geschoß. Denn zur Straße hin ist er voll verglast, man sieht also hinunter. Und das muss man wollen. Die Nutzervertreter in der Jury wollten es, sie stehen noch heute dazu (was übrigens nicht selbstverständlich ist!). Die Offenheit, die Transparenz des Hauses macht überhaupt seine Besonderheit aus. Riccione Architekten haben einen formalen Ausdruck gewählt, der städtische Eleganz vermittelt. Und der demonstriert, dass es sich hier um ein besonderes, ein öffentliches Gebäude handelt, auf das die Stadt wohl auch stolz ist.

Das vermittelt der großzügige Umgang mit Glas. Aber auch die ziemlich edle, pulverbeschichtete Fassade aus Aluminiumpaneelen in einem sehr dunklen Braun, das in manchen Lichtsituationen fast schwarz wirkt. Alle Hauptfassaden Richtung Straße haben große vorspringende Rahmen, sind voll verglast und strukturiert durch die schmalen, hohen Lochbleche der „Ersatzbrüstungen“. Die „Feuermauern“ an den Schmalseiten, also dort, wo einmal angebaut werden könnte, sind schlicht und geschlossen, nur verkleidet mit Metallpaneelen. Die hofseitige Fassade, vor den Erschließungsgängen, ist ebenfalls verglast, mit einer Schicht Putzbalkonen davor und einer weiteren Schicht aus lotrechten Lamellen zur Beschattung. Daraus ergibt sich ebenfalls ein reizvoller Effekt: Wenn man weiter weg oder schräg vom Gebäude steht, wirkt es an dieser Seite sehr geschlossen. Steht man frontal davor, ergibt sich ein offenes Bild, die Lamellen scheinen fast zu verschwinden.

Ein besonderes Kapitel ist die Akustik. Denn Musikschulen sind üblicherweise in Altbauten untergebracht, also zwischen dicken Wänden. Riccione Architekten gingen kein Risiko ein, sie haben mit einem der besten Fachleute zusammengearbeitet, mit Karl-Bernd Quirin, der schon die vier neuen Säle im Wiener Musikverein (Wilhelm Holzbauer) akustisch zu verantworten hat.

Man muss zwischen Bau- und Raumakustik unterscheiden. Die Bauakustik wurde in Kufstein in einer Form umgesetzt, die nach außen ungemein freundlich in Erscheinung tritt. Das Haus hat an der Hauptfassade diese gewissen „Blumenfenster“, plastische Elemente, in großen, raumhohen Rahmen, die verglast und jeweils nur durch schmale Lochblech-Elemente strukturiert sind. In dieser Fassadenlösung wird sichtbar, dass die einzelnen Klasseneinheiten horizontal und vertikal getrennt sind. Sonst würde es Schallbrücken geben. Überhaupt wurden in Bezug auf die Schallproblematik weit reichende Maßnahmen gesetzt: keine planparallelen Flächen in den Innenräumen, kaum wahrnehmbar schräge Decken, in die Schallmatten einbetoniert sind, kein rechter Winkel.

Etwas Besonderes ist den Architekten im Erdgeschoss, an der Ecke des Saales gelungen. Sie haben sie gerundet entworfen, was bei der Materialisierung meistens zum wunden Punkt wird. Denn solche Gläser müssen maßgefertigt werden und sind, speziell wenn sie großformatig sein sollen, in der Regel unbezahlbar. In Kufstein hat man sich diesen Luxus glücklicherweise geleistet - und blieb trotzdem im Kostenrahmen.

Das hat wohl auch damit zu tun, dass Riccione Architekten einen Generalplaner-Auftrag bekamen, also selbst entscheiden konnten, an wen die verschiedenen Subaufträge gehen. Das Aufsplitten der Verantwortung für die Umsetzung eines Entwurfs bedeutet in der Regel nur seine Verwässerung und Schwächung.

Spectrum, Sa., 2005.05.14



verknüpfte Bauwerke
Landesmusikschule Kufstein

26. Februar 2005Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Späne, Lärche, Zirbe

Beton, Stahl, Glas und vor allem Holz, viel Holz. Ein Paradebeispiel, wie man aus einem Industriebau ein Stück Eventarchitektur macht: Helmut Reitters Biomasse-Heizkraftwerk im Zillertal.

Beton, Stahl, Glas und vor allem Holz, viel Holz. Ein Paradebeispiel, wie man aus einem Industriebau ein Stück Eventarchitektur macht: Helmut Reitters Biomasse-Heizkraftwerk im Zillertal.

Das Tiroler Holzwerk Binder zählt zu den ganz großen Holzverarbeitenden Unternehmen nicht nur in Österreich, sondern in Europa. Es verarbeitet jährlich eine Million Festmeter Rundholz - im ganzen Land wurden vergangenes Jahr 1,3 Millionen Festmeter eingeschlagen -, das ist beinahe die gesamte „Holzernte“ von Tirol. Dementsprechend umfangreich fällt auch jener Abfall aus, der bei der Holzverarbeitung entsteht und den wir heute, in Zeiten eines geänderten Umweltbewusstseins, respektvoll „Biomasse“ nennen. Die Binder-Biomasse besteht aus Sägespänen, Holzschnitzeln und Rinde.

Damit sind die wesentlichen Voraussetzungen für die Industrieanlage - ein Biomasse-Heizkraftwerk und eine Pelletserzeugung - skizziert, die Helmut Reitter auf einer Grundfläche von 70 mal 70 Metern und mit einer Höhe von immerhin 27 Metern errichtet hat. Die Anlage wurde am Beginn des Zillertales, auf dem riesigen Werksgelände von Binder, am Rand von Fügen gebaut. Und sie ist eingebettet in eine Art Urlandschaft aus Holz - Holz in Form von endlosen, gigantischen Stapeln von Stämmen, in unmittelbarer Nachbarschaft der Anlage, dann aber auch in weniger geordneter, mehr „organischer“ Form, zum Beispiel als 20 Meter hohe Rindenberge. Das alles ist ein recht großartiger Eindruck, optisch genauso wie geruchsmäßig.

Helmut Reitter war Sieger eines Wettbewerbs, den die Binder-Werke ausgeschrieben haben. Den haben sie vielleicht nicht ganz freiwillig durchgeführt, sondern unter dem Druck der Touristiker und der Öffentlichkeit, die um das „Erscheinungsbild der Region“ fürchteten. Böse Argumente sollen im Vorfeld des Baus gefallen sein - unter anderem wurde Binder unterstellt, er wolle dioxinverseuchtes Holz aus Russland in seinem Biomasse-Heizkraftwerk verbrennen.

In diesem Zusammenhang ist übrigens ein Einwurf angebracht: Die Binder-Werke haben immerhin jahrzehntelang mit Josef Lackner gearbeitet und verdanken ihm ein paar wirklich bemerkenswerte Bauten. Der Beitrag des Unternehmens zur Baukultur in der Region ist also nicht ganz uninteressant. Was hingegen die Touristiker für das Zillertal getan haben, ist mir nicht klar. Das Ortsbild von Fügen zum Beispiel wurde ungemein verschandelt.

Wenden wir uns erfreulicheren Dingen zu - und die Anlage von Helmut Reitter ist erfreulich. Er hat gleich beim Wettbewerb erkannt, dass es bei dieser Aufgabe inhaltlich um etwas geht, das man als Weiterstricken eines Produktionsprozesses bezeichnen könnte. Biomasse fällt in diesem Prozess reichlich an, und jetzt kann man sie an Ort und Stelle in großem Stil verwerten - für Fernwärme, die für ganz Fügen und wahrscheinlich noch für einen zweiten Ort reicht, die aber auch den eigenen Wärmebedarf des Unternehmens deckt (einschließlich der Kammern zum Trocknen des Holzes). Sägespäne fallen an und werden zu Pellets weiterverarbeitet, das sind jene gepressten Holzwürstchen, die man sich dann mittels Tankwagen liefern lassen kann. So kommt man zu einer Holzheizung, die den Komfort einer Ölheizung bietet.

Wenn man sich die architektonische Durchbildung der Anlage anschaut, versteht man gleich, dass Reitter die einzelnen Funktionsgruppen erkennbar macht. Er hat sie in eine sinnvolle Ordnung unterschiedlicher Körper zergliedert, die jeweils auch ganz unterschiedlich materialisiert sind. Die Anlage wird dadurch zu einem höchst komplexen Konglomerat von Notwendigkeiten, und obendrein - „oben“ stimmt in diesem Fall wörtlich - veredelt durch eine sowohl architektonisch als auch konstruktiv besondere Maßnahme: eine Art Brückenbauwerk aus Holz, das über 28 Meter gespannt ist und dann 18 Meter frei auskragt.

Der gesamte Komplex ist von vornherein so ausgelegt, dass Besucherrundgänge möglich sind. Diese Besucher kommen zunächst in ein Empfangsbauwerk mit Shop, Galerie und einem kleinen (technisch bestens ausgestatteten) Kinosaal. Man sieht hier schon - und das zieht sich bis zur Skybar durch -, worauf Wert gelegt wurde: die eigenen Produkte von Binder zu verwenden. Das können Plattenelemente aus Lärche sein - nur im reinen Industriebereich hat man sich mit Fichte begnügt - oder zum Beispiel Räuchereiche auf dem Boden; oben, im Seminarraum, ist es die so aus der Mode gekommene, dabei tirolspezifische Zirbe (Zirbenstube!).

Beim Wettbewerb hatten natürlich vor allem Architekten mitgemacht, die sich für den Holzbau interessieren. Helmut Reitter selbst hat vor Jahren beim Freizeitpark in Zell am Ziller eine wunderbare Holzkonstruktion realisiert. Trotzdem war es der richtige Vorschlag, nichts zu verkleiden und zu verstecken, sondern das Material entsprechend der jeweiligen Aufgabe zu wählen. Im Turbinenhaus zum Beispiel gibt es einen enormen Lärmpegel - einen Holzbau so zu dämmen, dass man ihn akustisch in den Griff bekommt, wäre nur mit ungeheurem Aufwand möglich. Reitter hat ganz pragmatisch reagiert: Die lauten Teile und die Silos sind in Beton, der Beton ist sehr dunkel, anthrazitfarben, aber nicht gefärbt, sondern gestrichen. Das Kesselhaus wiederum ist in rot lackiertem Stahl ausgeführt. Und der böse, böse Schornstein schießt aus einem gläsernen Gehäuse in die Höhe, er ist auch aus Stahl. Dieser geordnete Materialmix, wie er sich nach außen präsentiert, in Verbindung mit Holz und Glas, macht aus etwas so Statischem wie einem Bauwerk auf einer zweiten, eben nicht kitschigen Ebene spannendste Eventarchitektur.

Reitter hat den Komplex an einer Stelle sozusagen „durchschnitten“. Es ist ein gläserner Schnitt, mit Treppenanlagen. Und irgendwie darüber schwebt dann die Gebäudekrone - sichtbar von weitem, kristallin, besonders. Im Programm war bloß ein Seminarraum gefordert. Der Architekt hat diese Forderung genutzt, um ein Statement abzugeben, das zeigt, was einem kreativen Denker zum Thema Holzbau heutzutage einfallen kann.

Sein schwebender Baukörper - mit von Christian Vogt gestaltetem Dachgarten, einer stimmungsvollen Skybar und einem großen, teilbaren, zum Garten hin zu öffnenden Seminarraum - ist weithin sichtbar, auch beim bloßen Vorbeifahren. Er schwebt gleichsam frei in der Gegend herum. Dass es zwei Stützen gibt, vergisst man ganz. Möglich war das nur, weil Reitter zusammen mit seinem Statiker eine Technologie in den Holzbau eingebracht hat, die aus dem Betonbau stammt. Sie haben kein starres Fachwerk, sondern eine Konstruktion mit Spannkabeln gewählt, die man auch nachjustieren konnte. (Weil der Brückenbau aus Holz eine weiche Konstruktion ist.) Das Ergebnis ist in jeder Hinsicht bemerkenswert - räumlich und konstruktiv.

Diese Anlage wird noch viel von sich reden machen. Sie ist ein Paradebeispiel dafür, dass es auch bei einem Industriebau nicht allein auf die Maschinenbauer und ihre Ordnungssysteme ankommt, sondern dass der Architekt einen substanziellen Beitrag zu leisten vermag. Die Bauherren glauben immer, sie können sich diesen Kostenfaktor sparen; und die Techniker belächeln die gestalterische Komponente in der Arbeit des Architekten. Ach Gott, ist das falsch!

Spectrum, Sa., 2005.02.26



verknüpfte Bauwerke
Biomasse-Heizkraftwerk

15. Januar 2005Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Licht unter der Erde

Offenheit, Transparenz, Überschaubarkeit: eine Tiefgarage in der Grazer Altstadt, die ohne „Frauenparkplätze“ auskommt. Weil nichts an den sonst üblichen „Angstraum“ erinnert.

Offenheit, Transparenz, Überschaubarkeit: eine Tiefgarage in der Grazer Altstadt, die ohne „Frauenparkplätze“ auskommt. Weil nichts an den sonst üblichen „Angstraum“ erinnert.

Tiefgaragen sind keine Orte architektonischer Profilierung. Sie sind vorgeschrieben, notwendig und - kommerziell. Sie müssen sich rechnen. Und weil niemand fürs Parken viel zahlen will, bleibt für die Architektur auch nichts übrig. Tiefgaragen sind triste Orte. Ein Balken vorn bei der Einfahrt, ein Balken hinten bei der Ausfahrt. Und dazwischen Bunkeratmosphäre.

Das Grazer Architektenehepaar Karla Kowalski und Michael Szyszkowitz hat in der Grazer Altstadt eine Tiefgarage gebaut. Sie steht im Zusammenhang mit vielen architektonischen Maßnahmen, die die beiden für das größte Kaufhaus der Stadt, für Kastner & Oehler, realisiert haben. Man konnte es über lange Jahre beobachten, wie in der Grazer Altstadt, zunächst im Stammhaus von Helmer und Fellner, dann in den angrenzenden Stadtpalais und Bürgerhäusern, in die sich das Kaufhaus ausgedehnt hatte, zeitgenössische architektonische Interventionen stattgefunden haben.

Ein gläsernes Vordach entlang der Sackstraße hier, gläserne Brückenverbindungen zu den hinzugekommenen Häusern da. Feine, sensible Maßnahmen, Hofüberglasungen eingeschlossen, die eine überaus angenehme Atmosphäre schaffen und das schwierige Problem meistern, aus einem durchaus heterogenen Gebäudeensemble eine - wenn auch differenzierte - Nutzungseinheit zu machen. Das konnte nur mit fließenden Übergängen bewerkstelligt werden, die für die Besucher und Kunden reizvoll sind. Diese Erlebniskomponente gehört heute zum Einkaufen dazu. Hier wird sie durch die architektonische Lösung unterstützt, weil sich Gegenwart und Altbestand immer wieder interessant überlappen. All das riecht ein wenig nach Süden, und von den Grazern wurde es offensichtlich angenommen.

Von der Tiefgarage heißt es angeblich, sie sei die einzige „bewohnbare Tiefgarage Europas“. Das klingt hoch gegriffen, falsch ist es sicher nicht. Auch wenn Szyszkowitz und Kowalski betonen, dass es Vorbilder für ihr Konzept gegeben habe, und zwar in Frankreich. Das Konzept ist jedenfalls auf den ersten Blick so einfach wie einleuchtend: Es gibt das eigentliche Garagenbauwerk, für das eine bestehende Straßenunterführung als Einfahrt genutzt werden konnte. Man kommt dadurch sehr flach hinein und kann schon im ersten Untergeschoß parken. Die Parkgeschoße selbst sind als durchgehende Rampe mit einer ganz geringen Schräge ausgebildet und durchaus großzügig dimensioniert. Neben dieses Garagengebäude sind zwei Erschließungseinheiten gesellt, jede mit voll verglastem Lift und einem formal sehr schön gelöstem Treppenhaus, das sich geradezu skulptural in die Höhe windet - mit einem „vollen“ Geländer aus gebürstetem Edelstahl.

Einer der „Tricks“, die sich so wohltuend auswirken, besteht im verschwenderischen Einsatz von Glas. Glas in der Architektur - nicht schon wieder, wird mancher denken. Aber diese Glaswände in den Ausgangsbereichen machen die gesamte Garage zu einem überschaubaren Ort. Man ist zwar im Keller, aber dieser Keller ist transparent. Und damit werden von vornherein, allein durch die architektonische Lösung, viele der unangenehmen Begleiterscheinungen solcher Unorte ausgeschaltet.

Neben diesem Garagengebäude steht aber noch ein zweites. Es ist die Ausfahrt, die sich geradezu guggenheimmäßig in die Höhe schraubt. Man kann von jeder Parkebene in diese Spirale einfahren. Aber wenn man ganz unten steht, dann bietet sie ein besonders eindrucksvolles Bild. Kein Wunder, dass Kinder ihre Eltern immer überreden wollen, möglichst weit unten zu parken, weil sie das Spektakel der Ausfahrt genießen wollen.

Szyszkowitz und Kowalski haben im Garagenbereich ein Gestaltungskonzept durchgezogen, das für die Gesamtatmosphäre einen erstaunlichen Gewinn bringt. Weiße Decken, weiße Stützen, ansonsten eine Farbgebung, die sich aus Pfirsichtönen zusammensetzt. Die Stützen selbst sind formal speziell ausgebildet, nicht nur, um angenehm umfahrbar zu sein, sondern weil sie auch Träger der integrierten Beleuchtung sind - sie strahlt auf die Decke und auf den Boden und taucht den gesamten Raum in ein warmes, angenehmes Licht.

Es versteht sich von selbst, dass es in Graz keine „Frauenparkplätze“ gibt. Die braucht keiner. Weil nichts an den „Angstraum“ Tiefgarage erinnert. Sie liegt zwar unter der Erde, aber auch dort gibt es Licht, Offenheit, Transparenz, Überschaubarkeit.

Übrigens muss mit dem Bau dieser Tiefgarage eine extrem eindrucksvolle Baustelle verbunden gewesen sein. Es heißt, dass die Grazer in Scharen gekommen sind, um das Geschehen zu beobachten. Immerhin musste ein keineswegs kleiner Teil der Grazer Altstadt sozusagen „in der Luft“ gehalten werden. Dazu wurden 27 Meter hohe, provisorische Stützen neben die Häuser gestellt, die Häuser mit gewaltigen Trägern unterfangen - der Betrieb im Kaufhaus ging natürlich die ganze Bauzeit über weiter -, und erst dann konnte mit dem eigentlichen Aushub und der Errichtung einer Baugrube begonnen werden. Die unmittelbare Nähe zur Mur hat diesen Prozess nicht erleichtert: Man steckt mit zwölf Metern des Bauwerks im Grundwasserbereich. Die Sache war also auch technisch eine ungeheure Herausforderung. Mir ist kein Vergleichsbeispiel bekannt, wo ein Bauherr einen solchen Aufwand auf sich genommen hätte, um ein derartiges Projekt zu realisieren.

In Wien gibt es zwar zaghafte Versuche, bessere Parkhäuser zu bauen - ich kenne aber nur zwei Beispiele, das eine am Südbahnhof, das andere in Wien-Schwechat, auf dem Flughafen, beide von Architekt Haide. Die architektonischen Anstrengungen konzentrieren sich dabei hauptsächlich auf die Außenfassade. Alles Übrige ist wie gehabt. Fuksas hat bei seinem Salzburger Einkaufszentrum einen Versuch zur Besserung unternommen. Aber der ist, auch bei freundlicher Betrachtung, vergleichsweise in den Kinderschuhen stecken geblieben, weil er nicht tiefer greifend konzeptionell, sondern oberflächlich-designerisch ist.

Mich deprimieren die Frauenparkplätze, ich habe noch nie einen benutzt. Den Umstand, dass es sie gibt - davon bin ich nach meinem Grazer Abstecher überzeugt - muss man den Errichtern und Planern anlasten, niemandem sonst. Das lässt sich vermeiden, wenn man nur etwas Intelligenz ins Konzept investiert.

Spectrum, Sa., 2005.01.15



verknüpfte Bauwerke
Tiefgarage im Zentrum

27. November 2004Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Tanz aus Glas

Selbst in der städtebaulich so fragwürdigen Wienerberg-City lassen sich Gebäude entdecken, die zur feinen zeitgenössischen Architektur zählen: zwei „City-Lofts“, der eine von Cuno Brullmann, der andere von Delugan-Meissl.

Selbst in der städtebaulich so fragwürdigen Wienerberg-City lassen sich Gebäude entdecken, die zur feinen zeitgenössischen Architektur zählen: zwei „City-Lofts“, der eine von Cuno Brullmann, der andere von Delugan-Meissl.

Langsam nimmt sie Gestalt an, die sogenannte „Wienerberg-City“ an der Ausfahrt Triester Straße, im Süden der Stadt, gleich bei den Twin Towers. Die Hochhäuser (Coop Himmelb(l)au, Delugan[*]Meissl, Albert Wimmer) stehen schon da, die niedrigeren Bauteile im Vorfeld, also Richtung Süden, sind teilweise fertig. Sie werden im großen Schwung durch die neue Herta-Firnberg-Straße erschlossen. Hier herrscht, bei aller Dichte, immerhin so viel Großzügigkeit, dass auch Grünräume möglich wurden. Trotzdem wird man des städtebaulichen Masterplans von Massimiliano Fuksas einfach nicht froh, rund um die Hochhäuser, also im nördlichen Teil dieses Stadterweiterungsgebietes, ist die Dichte eindeutig zu groß. Auch die beste Architektur kann hier keine Stadträume „retten“. Was sich atmosphärisch im Inneren der unteren Geschoße abspielt, möchte man am liebsten gar nicht sehen.

Nun lassen sich auch in einem problematischen Städtebau Gebäude entdecken, die für sich genommen interessant sind. Das gilt auf dem Wienerberg besonders für die Häuser von Cuno Brullmann und Delugan[*]Meissl. Es sind gewissermaßen Schwestergebäude, in der Dimension annähernd gleich und im ersten Obergeschoß, einem reinen Bürogeschoß, durch eine gläserne Brücke verbunden. Für beide Häuser galten gewisse Vorgaben: In der erdgeschoßigen Sockelzone sollten auch Sondernutzungen wie Geschäfte, eventuell Gastronomie und ein Kindergarten (Delugan[*]Meissl) Platz finden, es sollte ein richtiges Bürogeschoß geben und in den acht Obergeschoßen ein spezifisches Raumangebot umgesetzt werden, das Wohnen und Arbeiten miteinander verbindet.

Die verkaufsstrategische Worthülse dafür: City-Lofts - offenbar eine „neudeutsche“ Begriffsbildung. Denn was ein Loft ist, wissen wir: eine Gewerbeetage, begrenzt durch vier Wände - und sonst nicht viel. Das macht ihren Wert aus, dadurch lässt sie sich vielfältig nutzen. Davon kann weder bei Cuno Brullmann noch bei Delugan[*]Meissl die Rede sein. Ihre City-Lofts sind alles andere als horizontal organisiert, sie bestehen aus einem äußerst komplexen, vertikal verschachtelten Raumangebot - immer in Verbindung mit einem Freibereich, sei es in Form von Loggien oder von Terrassen.

Die Architekten haben einen Planungsaufwand in ihre Häuser investiert, der seinesgleichen sucht. Da gleicht kaum eine Einheit der anderen - von der Garçonnière bis zur Mehrpersonen-Wohnung -, es wird ein Raumspiel getrieben, das immer individuell zuschaltbare, womöglich auch separat nutzbare Arbeitsräume einschließt.

Nach außen bieten beide Häuser ein Erscheinungsbild, das man zur feinen zeitgenössischen Architektur zählen kann. Das überrascht bei Delugan-Meissl nicht, sie haben auf diesem Gebiet längst ihre Lorbeeren verdient. Selbst für einen großzügigen Freibereich nach Norden hin, eine „Esplanade“, die gärtnerisch und künstlerisch bemerkenswert von der Tochter des verdienten Bauträgers Wilfried Kallinger gestaltet wurde, haben sie eine Fassade mit Esprit entwickelt. Da tanzen L-förmige Verglasungen so beschwingt über die Fassade - und ermöglichen Ausblicke und Belichtungen -, dass es eine Freude ist. Aber auch bei Cuno Brullmann ist die Nordfassade besonders interessant. Sie bildet vielleicht noch deutlicher ab, was drinnen Sache ist: Ein vertikales Glasband begleitet die Haupterschließung, dunkle, vorspringende Elemente akzentuieren einzelne Raumeinheiten.

Cuno Brullman war uns gewissermaßen ein solches Gebäude schuldig. Immerhin hat er die Wohnbau-Professur an der Technischen Universität Wien bekommen, ohne je einen Wohnbau gebaut zu haben. Mit diesem Haus löst er ein, was als Versprechen schon lang im Raum stand. Und er hat es gut gemacht. Seine silberne Südfassade mit der großzügigen Loggienschicht davor setzt ein Signal. Und Delugan-Meissl nehmen dieses Signal auf und interpretieren es - mit einer schwarz bedruckten, mäandrierenden Litexverglasung vor ihren Loggien und Terrassen. Da kommt so etwas wie konzertierte Wirkung auf. Und es wundert einen nicht, dass der Bauträger, der beide Häuser zu verantworten hat, Wilfried Kallinger heißt. Auf sein Konto gehen viele ambitionierte Bauten in Wien.

Hinter all diesem Planungsaufwand steckt der Wille, ein Wohnungsangebot zu schaffen, das in Zeiten, in denen der nackte Wohnungsbedarf weitgehend befriedigt ist, zum Spezifischen fortschreitet. Und über allem schwebt der Gedanke des Teleworkings, eine Zukunftsvision, die den effizienten, singulär agierenden Computerarbeiter im Auge hat, den es heute in der Mehrzahl wohl noch nicht gibt. Und so werden die zuschaltbaren Arbeitsräume wahrscheinlich eher als Gästezimmer, wenn nicht überhaupt im Wohnungsverband genützt. Es ist eine Perspektive, die mit solchen Bauvorhaben frühzeitig durchgespielt wird. Das ist das Gute daran.

Das Schlechte ist, dass die gesamte Wienerberg-City städtebaulich so fragwürdig ist. Eigentlich hat nicht einmal diese Doppelhaus-Konzeption eine Begründung. Da könnten genauso gut zwei beliebige Häuser nebeneinander stehen. Und dass das gesamte Quartier so schlecht an den öffentlichen Verkehr angebunden ist, gibt einem in Bezug auf die Stadtplanung zu denken. Ein Bus, auch im kurzen Takt geführt, reicht für ein solches Stadtviertel nicht aus. Vor allem, wenn man bedenkt, dass hier unglaublich viele Menschen arbeiten (Twin Towers), dass es ein Kino-Center gibt und ein Entertainment-Center gebaut wird.

Wir müssen unseren Städtebau generell überprüfen. So wie er in den letzten ein, zwei Jahrzehnten umgesetzt wurde, basiert er offensichtlich auf reinen Verwertungsinteressen. Wäre es nicht Aufgabe der Stadt Wien, solchen Entwicklungen entgegenzusteuern?

Spectrum, Sa., 2004.11.27

09. Oktober 2004Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Die Macht der Geste

Arbeiten muss man zwar auch hier noch, aber man tut es doch lieber in einer solchen Umgebung. Heinz Neumanns Uniqa-Tower am Wiener Donaukanal: ein Bericht aus der Büropraxis.

Arbeiten muss man zwar auch hier noch, aber man tut es doch lieber in einer solchen Umgebung. Heinz Neumanns Uniqa-Tower am Wiener Donaukanal: ein Bericht aus der Büropraxis.

Städtebaulich ist der Uniqa-Tower ein solches Schwergewicht, dass man durchaus gespalten darauf reagieren kann. Er markiert die Ecke Aspernbrückengasse/Untere Donaustraße, direkt am Donaukanal und gegenüber der (nicht unproblematisch) sanierten Urania. Er setzt da ein unheimlich dramatisches Zeichen, das einerseits mit dem Hollein-Hochhaus, andererseits mit dem von Kohlbauer aufgestockten Galaxie-Turm in Konkurrenz tritt und beide - trotz keineswegs größerer Höhe, wir reden von 75 Metern - in den Schatten stellt. Da kann man wirklich nur von einer machtvollen architektonischen Geste reden.

Wäre das Stadtbild in diesem Bereich nicht ohnehin schon durch alle möglichen Baumaßnahmen zur „Verschönerung“ des Donaukanalufers aufgeweicht, wer weiß, wie das Haus dann wirken würde. Es wäre vielleicht ein architektonischer Hammerschlag, der das gesamte Umgebungsbild zertrümmert. Davon kann aber unter heutigen Umständen keine Rede sein. Am Donaukanal wurde alles schon viel früher verpatzt, und damit quälen wir uns seither herum. Erst in der jüngsten Vergangenheit ist es besser geworden. Und ich glaube, der Uniqa-Tower ist architektonisch doch etwas so Besonderes, dass er zur Entwicklung der Situation am Donaukanal beiträgt.

Das Haus, von Heinz Neumann geplant, setzt einen neuen Merkpunkt in der Stadt. „Beim Uniqa-Tower“, „links vom Uniqa-Tower“ wird es künftig heißen. Neumann hat ziemlich weit ausgeholt, um seinem Bürohaus eine unverwechselbare Gestalt zu verleihen. Es gibt die scharfe Kante Richtung Stadt und das Ellipsoid, das den Altbau zumindest an den Seiten umfängt, und dann gibt es diese ganz starke Geste in den unmittelbaren Straßenraum hinein, an dieser für die Stadtsilhouette so wichtigen Ecke. Da schießen die extrem massiven Betonpfeiler, die das ganze Haus tragen, skulptural in die Höhe, da biegt sich die äußere Gebäudehaut irgendwie durch und hinauf, die Fassade entlang - ziemlich eindrucksvoll.

Man muss die richtigen Relationen herstellen. Fuksas zum Beispiel hat es bei seinen Twin-Towers - sehr zum Leidwesen der dort Beschäftigten - nicht geschafft, er hat in Kauf genommen, dass aus seiner zweischaligen Fassade eine simple, einfache Glashaut wird. Neumann hat sein Konzept gebaut. Und dieses Konzept leistet etwas. Es beginnt schon damit, dass die in den unteren Geschoßen so weit in den Straßenraum greifende äußere Glashaut funktionell begründet ist. Normalerweise würde man ja niemals solche Abstände zwischen äußerer und thermischer Gebäudehaut vorsehen: Hier wird aber ins darunter liegende Fitnesscenter Tageslicht transportiert, und das ist ein überzeugender Grund.

Das Haus reicht fünf Geschoße in die Tiefe und 22 in die Höhe - da sind das Erdgeschoß und die Skylobby im 21. Obergeschoß eingeschlossen. Es hat eine flächenmäßig zwar vergleichsweise kleine Eingangshalle, wenn man bedenkt, dass es für immerhin 1100 Mitarbeiter ausgelegt ist und dass über diese Halle auch Nutzungen - Fitnesscenter, Bank, Kaffeehaus, Restaurant - erschlossen sind, zu denen jedermann Zutritt hat. Trotzdem scheint diese Halle ausgezeichnet zu funktionieren und bietet auch atmosphärisch so etwas wie Großzügigkeit. Das dürfte zumindest teilweise an der Raumhöhe liegen - der Raum umfasst immerhin vier Geschoße und öffnet sich über ein eingeschnittenes, verglastes Atrium über die volle Gebäudehöhe -, außerdem ist diese Halle aber auch rundum transparent und in mehrere Richtungen offen. Richtung Außenraum sorgt die Glashaut dafür, im Inneren sind es Ausblicke, Durchblicke und Wegführungen. Kaum steht man vor dem Empfang, kann man sich auch schon orientieren. Links geht es zur Bank und hinunter zum Fitnesscenter, rechts geht es zum Kaffeehaus und weiter ins Restaurant.

Dieses Restaurant ist ein architektonisches Gustostück. Es liegt im Hof zwischen Neubau und Altbau und ist spektakulär glasüberdacht. Man könnte auch vermuten, Heinz Neumann habe mit dem Bleistift sein Spiel getrieben und sei jetzt womöglich selbst überrascht, dass seine Skizze tatsächlich gebaut wurde. 350 unterschiedliche Glasscheiben - das Dach ist in jede Richtung irgendwie „verwunden“ - kann ein Architekt nur selten durchsetzen. Aber über Mangel an Verständnis bei der Bauherrschaft beklagt sich Neumann sowieso nicht.

Er konnte Bemerkenswertes realisieren. Das fängt schon außen, an der weit ausgreifenden Glashaut an, wo er gebogene Gläser gebraucht hat, um den Fassadenschwung nicht zu zerstückeln, sondern in einer eleganten Bewegung umzusetzen. Das geht weiter über die - ziemlich gewaltigen - Stahlbetonstützen mit ihren aufwendig gestockten Oberflächen bis hin zu den Granitoberflächen in der Eingangshalle, den Holzoberflächen in Olive und der Möblierung des Kaffeehauses. Setzen wir fort: Wir kommen hinein in die elegantesten (und frauenfreundlichsten) Toilettenanlagen, die ich je in einem Bürohaus gesehen habe, und haben es etwa im Restaurantbereich mit den edelsten Alcantara-Oberflächen zu tun, die sich nur denken lassen. Überhaupt lässt sich der Restaurantbereich durch Wegschieben der Kücheneinheiten, durch ein paar Drehmanöver bei den Wänden problemlos in einen Veranstaltungsraumverwandeln, der höchsten Ansprüchen genügt.

Es wird aber nicht nur in dieser öffentlichen/halböffentlichen Zone etwas geboten. Die Arbeitssituation im Haus ist ebenfalls durchgehend privilegiert. Gut, man kann einwenden, dass es bis sehr weit hinauf in der Gebäudehöhe und - parallel dazu - in der Unternehmenshierarchie Großbüros sind, in denen sich die Mitarbeiter einrichten müssen. Das mag nicht jedermanns Sache sein. Ich glaube aber, dass man sich daran gewöhnt, vor allem wenn man einen so spektakulären Ausblick von seinem Arbeitsplatz hat, wie das hier der Fall ist. Der Ausstattungsanspruch in dieser Bürowelt ist auch so konsequent durchgehalten, dass der Arbeitsalltag zweifellos profitiert. Arbeiten muss man trotzdem noch, aber man tut es doch lieber in einer solchen Umgebung.

Das Haus hat eine Skylobby in Verbindung mit einer Dachterrasse und auf den zwei Geschoßen darunter die Büroräume für das Topmanagement. Da galten Sonderkonditionen, aus denen jeder wahlweise seinen Maßanzug heraussuchen konnte; da sind auch Besprechungseinheiten, die sich rigoros abschließen lassen; da kann man aber auch alles wegräumen und aus den Tischen in den Konferenzzonen eine große Tafel bilden.

Der Uniqa-Tower ist als aufsehenerregende Zentrale für ein großes Unternehmen konzipiert. Und das auf dem letzten technischen Stand. Das hat Vorteile - in Sachen Energieverbrauch zum Beispiel, da wurde kein Aufwand gescheut -, es zeigt aber auch, wo wir Grenzen akzeptieren müssen. Dass man den Blendschutz nur via Computer hochfahren kann und es keine Lichtschalter mehr gibt - auch dafür braucht man den Computer -, das ist zwar High-Tech, aber an den Nutzern vorbeigedacht. Ebenso wie das papierlose Büro. Neumann hat in letzter Minute noch wandfüllende Einbauschränke eingebaut. Sie sind prall gefüllt mit Ordnern. Manchmal ist die alte Methode eben doch die praktikablere.

Spectrum, Sa., 2004.10.09



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UNIQA Tower

28. August 2004Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Lautlos in Stahl und Holz

Eine Fassade, die ahnen lässt, was dahinter ist. Eine Verglasung, die minuziös in die Gebäudehaut komponiert ist. Kreatives Understatement: das Segelzentrum am Neusiedler See.

Eine Fassade, die ahnen lässt, was dahinter ist. Eine Verglasung, die minuziös in die Gebäudehaut komponiert ist. Kreatives Understatement: das Segelzentrum am Neusiedler See.

Die österreichischen Segler, das hat man auch jetzt in Athen wieder gesehen, zählen zur Weltspitze. Trotzdem hält sich der mediale, der öffentliche Lärm rund um ihre Leistungen eigentlich in Grenzen. Offenbar ist der Segelsport nichts, das Massen emotionalisiert. Er wird gewissermaßen „lautlos“ ausgeübt. Und das spürt man auch beim Segelzentrum am Neusiedler See. Architektonisch macht es keinerlei Wirbel, es ordnet sich der wunderbaren Seeufer-Landschaft unter, es fügt sich fast bescheiden in die Situation zwischen Osthafen und Strandbad ein. Das allein ist schon eine Qualität, die man schätzen muss. Denn die Uferlandschaften unserer Seen, auch des Neusiedler Sees, sind durch allzu leichtfertige, nicht selten brutale Bauaktivitäten ohnehin stark beeinträchtigt.

Stephan Schurich vom Büro „S+Architekturstudio“, Sitz in Wien und Salzburg, war für diese Aufgabe aber ganz offensichtlich der richtige Mann. Er hat den Auftrag über ein Verhandlungsverfahren im Jahr 2002 bekommen, und das kam nicht von ungefähr: Er war selbst profilierter Segler und weiß daher über die Anforderungen eines Segelzentrums aus der Praxis des Sportlers besonders gut Bescheid. So viel ist es aber gar nicht, was hier an Funktionen räumlich verknüpft werden musste. Nur verlangte dieses Wenige nach einer sinnvollen Organisation, nach reibungslosen Abläufen - in einer architektonischen Hülle, die nicht unangenehm massiv in Erscheinung tritt.

Das Segelzentrum besteht aus zwei Baukörpern - der hohen, fast quadratischen Bootshalle und einem niedrigeren, angekoppelten Riegelbauwerk. Auffallend ist, dass der Architekt diese beiden Baukörper nicht einfach linear angeordnet hat. Durch einen doppelten Knick im Riegel passt er sie vielmehr dem Uferverlauf an. Es ist eine dezente Maßnahme, kaum der Rede wert, wer aber genau hinschaut, der erkennt, dass sie städtebaulich in zweierlei Hinsicht bedeutsam ist. Vom Wasser her sowieso, weil sie das Seeufer durch diese Gliederung nicht so demonstrativ verbaut, sondern eigentlich sehr sensibel ins Terrain gebettet ist. Vor allem aber auch landseitig: Man geht besser auf das Gebäude zu, die Gliederung thematisiert die Frage der Orientierung. Schurich hat hier das Problem der Ablesbarkeit des Eingangs durch den Gebäudeknick und einen Gebäudeeinschnitt, also mit rein architektonischen Mitteln gelöst.

Der funktionell und von seiner Dimension her dominantere Baukörper ist die Bootshalle. Sie ist fast quadratisch - 23 mal 24 Meter Grundfläche -, an der höchsten Stelle etwa 14 Meter hoch, an der niedrigeren elf Meter. Das Objekt sieht so simpel - um das Wort „minimalistisch“ zu vermeiden - aus, an die Statiker, das Wiener Büro Gmeiner Haferl, stellte es dennoch gewisse Anforderungen. Weniger, weil am Seeufer eine Tiefgründung notwendig war, mehr, weil vom See her mit enormen Windlasten zu rechnen ist. Dadurch wurde sowohl eine Unter- als auch Überspannung notwendig.

Die Halle ist ein Kaltraum, ausgeführt in einer simplen Holzriegel-Konstruktion, die mit einer sehr transparenten Fassade aus überlappenden Wellplexiglasplatten versehen ist. Auf dem Boden: eine einzige, monolithische, 460 Quadratmeter große Betonplatte über die gesamte Grundfläche. Wichtig war die Transparenz der Fassade - in dieser Ufersituation hätte ein solches Volumen zum Störfaktor werden können. Man kommt durch sehr hohe Tore - Sonderanfertigungen, die einfach gebraucht werden, um die Boote dorthin zu schaffen - in diese Halle hinein. Und sie ist drinnen genauso dimensioniert, dass auch noch Spielraum zum Manövrieren bleibt.

Von dieser Halle geht es dann weiter zu allen notwendigen, angelagerten Funktionen. Eine ursprünglich improvisierte, inzwischen schon fast institutionalisierte Treppe führt zum Segelmacher hinauf. Der Durchgang zum Riegelbauwerk erschließt die Bereiche der Sportmedizin und Forschung, einen Fitnessraum und natürlich auch die Verwaltungsbereiche und das Café beziehungsweise die Bar im Obergeschoss.

Von der Bootshalle her ist also alles erreichbar. Natürlich gibt es aber den landseitigen Hauptzugang, dessen architektonische Formulierung dem Architekten ein so spezielles Anliegen war. Und von der Seeseite, im Einschnitt des doppelten Knicks, wurde ein weiterer Zugang situiert.

Die Anlage zeichnet sich durch dreierlei aus: Sie ist durchlässig, sie ist sehr pragmatisch organisiert, und in architektonisch-formaler Hinsicht könnte man sie als kreatives Understatement bezeichnen.

Der Holzriegel hat eine geölte Lärchenholzfassade, nicht in Stülpschalung, das wäre dem Architekten zu rustikal gewesen, man spürt durch, was dahinter ist. Das verleiht der Gebäudehaut aber auch ihre Eleganz. Und die hat sie ganz unaufdringlich. Das Gebäude selbst ist übrigens keine reine Holzkonstruktion, es ist eine Holz-Stahl-Konstruktion. Das merkt man vorne, landseitig, beim Eingang vielleicht am deutlichsten. Außerdem ist es nicht nur eine - wenn auch geknickte - Holzkiste. Minuziös in die Gebäudehaut komponierte Verglasungen setzen ihre eigenen Akzente: im landseitigen Eingangsbereich noch bescheiden, aber über Eck; im Obergeschoss teilweise raumhoch. Da ist dann auch eine Stahlkonstruktion vorgestellt, eine großzügige, dem Café- und Bar-Bereich zugeordnete Terrasse, von der sich der großartigste Seeblick eröffnet, den man sich nur vorstellen kann.

Es gibt Elemente im Haus, die das Gesamtbild stören. Sie stammen durchwegs nicht vom Architekten. Da wurde eine - nicht einmal schlechte - Küche gesponsert, aber auch eine Bar, und die kann man berechtigt in Frage stellen. Irgendwo ist ein Kühlschrank hingepappt, das tut auch weh. Und im Verwaltungsbereich gibt es ein Möbelprogramm, das man bestenfalls als Missverständnis bezeichnen kann. Das sind die Dinge, die sich dem architektonischen Zugriff dann immer wieder entziehen und die so viel anrichten können, dass einem fast die Freude an den Räumen vergeht.

Denn die räumliche Komposition selbst ist eine feine, eine sehr feine Angelegenheit. Stephan Schurich wusste natürlich, worauf es ankommt. Als Segler kennt er sich aus. Und er weiß auch, dass es selbst in einem „leisen“ Sport wie dem Segeln immer wieder auf Sponsoren ankommt. Für die vor allem gibt es die Bar und das Café. Für die gibt es diese große Terrasse mit dem grandiosem Seeblick, wo Events stattfinden können, die auch rein gesellschaftlichen, repräsentativen Anlässen dienen, wo aber auch simple Schiffstaufen gefeiert werden.

Eingebettet sind die beiden Baukörper in eine äußerst lapidare Freiraumgestaltung. Es handelt sich um den seltenen Fall einer Grünraumgestaltung einfach mit Gras. Das lässt sich auch pragmatisch erklären, eine aufwendigere Landschaftsarchitektur wäre der Praxis der Nutzung nur im Weg. Darüber hinaus ist es einfach wohltuend, wieder einmal zu spüren, dass man nicht alle Flächen voll stopfen, mit irgendwie botschaftsreicher Gestaltung besetzen muss. Wir wissen es allerdings von den Wiener Parks: Flächen, die nur begrünt und sonst gar nicht möbliert sind, werden als leer empfunden und nicht akzeptiert.

Aber wie gesagt, der Segelsport ist eine leise Angelegenheit. Da gelten andere Regeln. Und wenn man sich vorstellt, dass dieses im Grunde so unglaublich bescheidene Zentrum des Segelsports einer Disziplin dient, deren lokale Leistung international immerhin so hoch eingeschätzt wird, dass in zwei Jahren die Segelweltmeisterschaft hier, im Segelzentrum in Neusiedl, abgehalten wird, dann weiß man ungefähr, worum es geht. Es geht um die Brauchbarkeit, es geht aber auch um die Akzeptanz eines Neubaus in dieser höchst sensiblen Umgebung. Deswegen hat der Architekt auch so viel Wert auf die Plastizität der Baukörper-Konfiguration gelegt, die durch das wechselnde Licht im Tagesablauf erst zu leben beginnt. Das gesamte Objekt ist ja nicht groß, irgendwie verlangt es einem aber auf angenehme Art Aufmerksamkeit ab. Schurich sagt, es erschließt sich nur langsam. Und das trifft die Charakteristik dieser neu geschaffenen Situation tatsächlich.

Man könnte in diesem Fall resümieren, dass alles, was vom Architekten selbst stammt, richtig ist. Wie man auf das Gebäude zukommt, und zwar von beiden Seiten, auch wie man sich im Gebäude bewegt. Aber es ist noch manches hinzugekommen - abgesehen von der Möblierung -, und das lässt sich teilweise anfechten. Im Freiraum sind das vor allem die Fahnenmasten mit ihren irgendwie lächerlichen Krönchen, auch sonst noch allerlei. Dabei wäre es - speziell im Fall der Fahnenmasten - so einfach gewesen: Vier permanente Masten in schlichtem Nirosta - für Österreich, die EU, das Burgenland und den Verband -, und ansonsten temporäre Masten, die spezifischen Events dienen. Bei solchen, wirklich groß angelegten, überregionalen Ereignissen reichen die jetzt aufgestellten Masten für alle beteiligten Nationen ohnehin nicht aus, und es müssen ja sogar die Zäune des relativ beschränkten Areals fallen. Aber Letzteres war immer so vorgesehen, es ist eben Teil der großen Lösung - für punktuelle, überregionale Events - im Rahmen der kleinen.

Stephan Schurich hat ein Segelzentrum gebaut, dem jeder anmerkt, dass es für Segler wirklich maßgeschneidert ist. Ohne großen Aufwand. Sogar mit einer Bescheidenheit in der architektonischen Haltung, die ihresgleichen sucht. Obwohl die Anlage symbolisch für eine Höchstleistung im österreichischen Sport steht und der Architekt selbst eine enge Verbindung zum Segeln hat. Vielleicht resultiert aus der Verquertheit dieser Verbindung auch das Besondere der architektonischen Lösung.

Spectrum, Sa., 2004.08.28



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Segelzentrum

22. Mai 2004Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Ja, mach nur einen Plan . . .

Die Qualität eines Wohnbaus hängt vom Architekten ab. Sollte man meinen. Freilich: Der Bauträger hat auch einiges mitzureden. Anmerkungen am Beispiel zweier neuer Wohnbauten von Leopold Dungl.

Die Qualität eines Wohnbaus hängt vom Architekten ab. Sollte man meinen. Freilich: Der Bauträger hat auch einiges mitzureden. Anmerkungen am Beispiel zweier neuer Wohnbauten von Leopold Dungl.

Die Qualität eines Wohnbaus hängt vom Architekten ab, sollte man meinen. Wie gewichtig ist, was der Bauträger dabei mitzureden hat, das sehen bestenfalls die Eingeweihten. Wenn man sich die jüngsten beiden Arbeiten von Leopold Dungl anschaut, dann wird einem das besonders deutlich vor Augen geführt. Hier ein relativ kleines Eckhaus in der Antonigasse im17.Wiener Gemeindebezirk, 26 Wohnungen; da eine Ver- und teilweise sogar Überbauung des Remisenareals in Erdberg, also rund um das Wiener Straßenbahnmuseum, 106 Wohnungen. Ersteres für die Gesiba, Letzteres für die GWSG.

Der Unterschied in der Ausführung, in der Detailqualität ist frappierend. Leopold Dungl ist unter den Wohnbauarchitekten sicher einer, der seine Aufgabe nicht nur einfach ernst nimmt, sondern mit besonderer Sorgfalt behandelt. Dass die Wohnanlage in Erdberg �eigentlich� von ihm stammt, merkt man trotzdem nur an der konzeptuellen Lösung, an gewissen Details, die zwar da sind, aber von der Ausführungsqualität her weit unter dem Niveau liegen, das man von ihm gewohnt ist.

Das Bauvorhaben umschließt das Straßenbahnmuseum, ist von bestehenden Wohnhäusern durchsetzt, also zergliedert. Und was man auf den ersten Blick sieht: Die Chance, das Areal mit der Remise, mit dem Straßenbahnmuseum öffentlichkeitswirksamzu entwickeln, die wurde verschenkt.

Dungl hatte mit enormen Trakttiefen zu kämpfen, er wählte letztlich die unangestrengteste Lösung: eine Mittelgangerschließung. Die ist aber so durchgeplant, dass das Raumklima trotzdem stimmt: Zuluftschlitze und Abluftkamine sorgen für beste atmosphärische Qualität. Und er hat die sehr eingeschränkten Möglichkeiten, auch den Wohnungen, die an der Straße liegen, einen Freiraum zuzuordnen, immerhin so genutzt, dass daraus sogar ein Gewinn für das Straßenbild resultiert. Er hat Loggien � nur eineinhalb Meter tief, mehr war nicht erlaubt � scheinbar willkürlich über die Fassade �gestreut�. Das bringt einen erfrischenden Touch in das eher triste Einerlei der Umgebung. Und an der Erdbergstraße, wo die Bebauung sozusagen in einem abgeschnittenen Spitz endet, hat er diese schmalste Gebäudeseite � ebenfalls durch Loggien � besonders plastisch artikuliert.

Trotzdem wird man nicht froh, wenn man sich das alles ansieht: Da gibt es zum Beispiel einen zweigeschoßigen, überbauten, also wettergeschützten Freibereich an der Dietrichstraße, aber es ist so schrecklich, wie er möbliert ist, dass man einfach nur wegsehen möchte. Und die Sonnenkollektoren, ebenfalls auf diesem Gebäudeteil, stören die Silhouette so entscheidend, dass man daraus nur schließen kann, sie wurden vom Architekten nicht integriert, sie sitzen irgendwie drüber, drauf.

Wie das kommt? Leopold Dungl war, um es so auszudrücken, wie es wahrscheinlich gewesen ist, Leopold Dungl war gerade gut genug dafür, die Einreichplanung zu zeichnen. Dann hat der Generalplaner das Heft in die Hand genommen. So etwas geht heutzutage ganz leicht: Man muss einem eher kleinen Büro wie dem von Leopold Dungl nur so enge Termine setzen, dass es damit in der bestehenden personellen Besetzung nicht zurechtkommen kann. Alles andere folgt ganz von selbst. Das ist schon traurige Praxis.

Beim Wohnhaus in der Antonigasse hatte es das Büro dann besser. Da war es wirklich möglich, nicht nur ein Konzept, sondern auch seine Materialisierung entsprechend umzusetzen. Das Haus liegt an einer interessanten Stelle im Stadtgebiet. Es gibt hier nämlich ein ziemlich starkes Gefälle im Gelände. Nach oben, Richtung Westen, sieht man gerade noch die letzten Ausläufer des Wienerwaldes, hinunter zu blickt man über die Stadt.

Dungl hat die Nordseite seines kleinen Eckhauses zum Straßenraum ziemlich geschlossen, es ist eine konventionelle Lochfassade. Die Ecke � im Erdgeschoß mit Geschäft und dem Hauseingang � ist dafür mit Balkonen recht expressiv formuliert. Und an der Westseite ist eine Laubengang-Erschließung angeordnet, die zwar wettergeschützt, aber doch Außenraumist.

Das Haus umschließt einen � nicht sehr großen � Innenhof, zu dem die Wohnbereiche orientiert sind. Hier stehen auch sehr schöne alte Bäume. � In dieser Lage, mit dieser Orientierung 26 Wohnungen unterzubringen, das war schon ein kleines Kunststück. Dungl hat auch alles ausgenutzt, was das Gelände hergegeben hat. Das spürt man sogar noch in der Tiefgarage, deren oberes Deck halbgeschoßig aus der Erde schaut. Alles ist irgendwie dicht an dicht, wiewohl der Architekt jede Möglichkeit nutzt und selbst ins Stiegenhaus durch einen Lichtschlitz von oben bis ganz unten noch einen Hauch Tageslicht holt.

Trotzdem halte ich das Projekt für gewagt. Eine Laubengang-Erschließung an die Westseite, zu einer sehr ruhigen Gasse, zu legen, um den Preis, die Wohnbereiche nach Osten orientieren zu müssen, das entspricht sicher nicht ganz den üblichen Wohnerwartungen. Denn wirklich attraktiv ist der Innenhof nicht. Und vom Ausblick über die Stadt hat man halt doch nur in den obersten Geschossen etwas.

Außerdem treffen bei diesem Haus sehr viele und auch sehr disparate formale Elemente zusammen. Die konventionelle Lochfassade auf der einen Seite, die höchst signifikante Plexiglas-Verkleidung des Laubengangs auf der anderen, dazwischen die plastischen Elemente der Eckbalkone, bei denen übrigens ein Ausführungsdetail in den Bodenplatten nicht wirklich geklappt hat. Zu all dem kommen dann in der Dachebene noch weit ausladende Vordächer vor den Dachgaupen, also ein weiteres, sehr starkes plastisches Element.

Die Gegend mit ihrem architektonischen Einerlei verträgt schon einen deutlichen zeitgenössischen Akzent. Das lässt sich nicht bestreiten. Bei diesem Haus, das ja ziemlich klein ist, prallt freilich sehr vieles aufeinander. Und es fügt sich im Endeffekt nicht zu einem angenehm selbstverständlichen Ganzen, wie es von einer Bauaufgabe wie dem städtischen Wohnbau zu erwarten wäre.

Schön, dass Dungl all das machen konnte. Und es ist in fast jedem Ausführungsdetail um Klassen besser, als in der Wohnanlage Remise. Aber in formaler Hinsicht ist hier die Grenze zur Überfrachtung fast überschritten. Und die generelle Frage, ob ein Laubengang im Westen und Wohnräume im Osten vertretbar sind, die muss man überhaupt offen lassen. Man könnte sie nur mit einem Gegenentwurf ohne Laubengang beantworten.

Spectrum, Sa., 2004.05.22

13. März 2004Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Unter der Erde obenauf

Glas, Sandstein, Holz, Aluminium und viel angenehme Atmosphäre: Wilhelm Holzbauer und Dieter Irresberger haben den Wiener Musikverein unterirdisch um vier Säle und zwei Foyers erweitert.

Glas, Sandstein, Holz, Aluminium und viel angenehme Atmosphäre: Wilhelm Holzbauer und Dieter Irresberger haben den Wiener Musikverein unterirdisch um vier Säle und zwei Foyers erweitert.

Kennt man die Pläne nicht, dann ist die - zu Recht mit Spannung erwartete - Erweiterung des Wiener Musikvereins zunächst eine ziemlich verwirrende Angelegenheit. Denn sie findet ausschließlich unter der Erde statt; der normalerweise bei jedem Gebäude geforderte Blick nach draußen, der die Orientierung ermöglicht, der war architektonisch nicht herbeizuführen. Man ist im Untergrund, in den Eingeweiden von Musikverein und dem Erdvolumen davor, unter der Abstandsfläche zum Wiener Künstlerhaus. Bergwerk für Musikliebhaber kann man die Erweiterung des Hansen-Baus trotzdem nicht nennen. Das erkennt man gleich, wenn man die herkömmlichen Wege der Konzertbesucher beschreitet. Alle vier neuen Säle sind durch Treppen und geräumige Lifte mit dem Eingangsniveau verbunden, das unterirdische Raumwerk ist so ausgeschildert, dass man sich problemlos zurechtfindet.

Und man hat nicht das Gefühl, in einen Keller zu steigen. Auch ganz ohne Tageslicht, ganz ohne Ausblick. Die heutige Beleuchtungstechnologie kann solche Situationen vollkommen entschärfen. Ganz davon abgesehen, dass die Architekten, Wilhelm Holzbauer und sein langjähriger Mitarbeiter und jetziger Partner Dieter Irresberger, mit der Sandfarbe, in die sie ihren Erweiterungsbau - mit gezielten Abweichungen - gehüllt haben, eine Erfolgsstrategie verfolgten. Der leicht gelbliche Sandton in Verbindung mit dem hellen, aber nicht kalten Licht erzeugt eine höchst angenehme Atmosphäre.

Der Musikverein hat mit dieser Erweiterung, so viel steht fest, seit 1870, seit seiner Fertigstellung, den größten baulichen Eingriff erfahren. Was zunächst gar nicht geplant war: Als die Wiener Linien eine Wendestation für die U2 unter dem Karlsplatz errichteten, kam die Idee auf, daran könnte man sich anhängen und einen - dringend benötigten - Probensaal bauen. Daraus ist nun deutlich mehr geworden.

Es sind vier Säle und zumindest zwei attraktive Foyers, die das Raumangebot des Musikvereins erweitern. Was die Foyers betrifft, wird eine schon lang virulente Lücke in der Infrastruktur des Hauses gefüllt. Aber wer weiß schon, dass es zur Zeit der Erbauung des Musikvereins keine Pausen in den Konzerten gab, dass Pausenräume deshalb auch nicht eingeplant wurden. Dieser Missstand ist mit der Erweiterung behoben. Die vier Säle sollen, abgesehen vom Probenraumangebot, auch einen Mehrwert bieten, der nicht nur der Pflege von jüngeren Musiksparten zugute kommt, die bisher allein wegen der Hausstruktur etwas vernachlässigt werden mussten. Sie sollen darüber hinaus vielfältig vermarktbar sein: Tatsächlich kann man sie auch für ein Dinner oder andere Veranstaltung mieten.

Holzbauer und Irresberger haben den vier unterschiedlich großen Sälen eine einfache Charakteristik verpasst: die ihrer Materialität. Und da war es natürlich zwingend, dem neuen Hauptsaal die formalen Eigenschaften des großen Saals, des „Goldenen Saals“, zuzuordnen. Es wurde wieder ein Art „goldener“ Saal, wenngleich er „Gläserner“ heißt, doch seine formale Attitüde wird wesentlich durch mit Blattgold hinterlegte Paneele an der Stirnwand bestimmt.

Dieser größte der vier Säle hat übrigens in seiner Breite exakt die Abmessungen des historischen „Goldenen Saals“ exklusive der Logen. Und er ist acht Meter hoch und verfügt über eine Galerie. Man kann das Sitzpodium aus dem Saal vollautomatisch wegfahren. Dann hat man einen ziemlich eindrucksvollen Raum, der eigentlich für alles geeignet ist. Noch wesentlicher scheint mir: Er hat große akustische Qualitäten - Holzbauer und Irresberger haben in dem Akustiker Karl Bernd Quiring einen kongenialen Partner gefunden. Ergebnis: Musiker, die im „Gläsernen Saal“ proben, sagen, er habe genau die Akustik wie der historische „Goldene“, wenn er voll besetzt ist.

Neben dem „Gläsernen Saal“ gibt es noch einen „Steinernen Saal“, einen „Metallenen“ und einen „Hölzernen“. Der „Steinerne Saal“, der kleinste von allen neuen, kann durch eine Schiebetür zur Erweiterung des Foyers genutzt werden. Der Sandstein an seinen Wänden macht eine Art Oberflächen-Metamorphose durch - von unten poliert bis oben grob und rau. Auch das nicht zuletzt im Dienst der Akustik.

Im „Hölzernen Saal“ hat sich auf akustischer Seite offenbar eine Unschärfe in der Berechnung eingeschlichen. Dort wurde mit einem hölzernen Flügel an der sonst gläsernen Decke nachgerüstet, weil es in der Mitte des Raumes zu einem Nachhall kam. Aber das weiß man ja: Akustik ist ein nicht ins letzte Detail berechenbares Thema.

Irgendwie besonders ist der „Metallene Saal“ ausgefallen. Schon von der Materialität her - schwarzer Noppenboden, beschichtetes Aluminium an Wänden und Decke - suggeriert er, wie er künftig genutzt werden wird: für sehr spezielle, etwa zeitgenössische Musik-Events. Äußerst angenehm sind die Foyers, vor allem das „Erste-Foyer“ - benannt nach seinem Bank-Sponsor -, das endlich auch in den Musikverein jenen Komfort bringt, den man heute erwarten darf.

Und noch etwas: Wenn es eine Fingerübung für das Kleine Festspielhaus in Salzburg gewesen sein sollte, was Holzbauer hier vorlegt, dann darf man gespannt sein. Schon weil die finanziellen Voraussetzungen dort ja dramatisch sein sollen. Dort hat sich irgendwann irgendwer irgendeine Bausumme ausgedacht. Vielleicht sollte einmal jemand mit dem Generalsekretär des Musikvereins, Thomas Angyan, konferieren. Der weiß inzwischen, wie so ein Vorhaben zu realisieren ist.

Spectrum, Sa., 2004.03.13



verknüpfte Bauwerke
Wiener Musikverein - Neue Säle

31. Januar 2004Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Mehr Licht geht nicht

Schüler wie Lehrer verlassen das Gymnasium Wolkersdorf von Domenig-Eisenköck-Peyker nach dem Unterricht nicht, wie sonst üblich, fluchtartig - kann man einem Schulgebäude ein besseres Zeugnis ausstellen? Eine Inspektion.

Schüler wie Lehrer verlassen das Gymnasium Wolkersdorf von Domenig-Eisenköck-Peyker nach dem Unterricht nicht, wie sonst üblich, fluchtartig - kann man einem Schulgebäude ein besseres Zeugnis ausstellen? Eine Inspektion.

Ein Schulhaus auf der grünen Wiese - und das im echten Wortsinn. Denn die BIG als Bauherr des Bundes hat den Wolkersdorfern ein Gymnasium an den Ortsrand, sozusagen mitten in die unberührte Natur des Weinviertels gestellt. Es ist eine sehr, sehr große Schule. Und in architektonischer Hinsicht ist sie ausgesprochen spektakulär. Ein richtiges Aha-Erlebnis im unqualifizierten Neubau-Einheitsbrei, mit dem man in dieser Region ansonsten konfrontiert wird.

Am Anfang stand, wie bei der BIG üblich, die ja praktisch keine Direktaufträge vergibt, ein Wettbewerb, in diesem Fall ein Bewerbungsverfahren. Das war im Jahr 2000. Gewonnen hat dieses Verfahren das Grazer Büro „Architektur Consult“, das sind Günter Domenig, Hermann Eisenköck und Herfried Peyker. Und dass man von diesen Architekten etwas Besonderes bekommt, liegt ja auf der Hand. Bester Beweis: Bei meiner Hausbesichtigung hat jemand ganz nebenbei erwähnt, dass weder Schüler noch Lehrer bei „Arbeitsschluss“ das Gebäude, wie sonst üblich, fluchtartig verlassen. Sie bleiben ganz gern noch ein bisschen länger da. Ein besseres Zeugnis für die Aufenthaltsqualität im neuen Haus lässt sich kaum denken.

Der Entwurf nimmt strukturell ein typisches Merkmal der Bebauung im Weinviertel auf: Hier sind die Parzellen immer ziemlich schmal und tief, dem ist der Zuschnitt der Häuser angepasst. Auch die Schule ist nach diesem Grundmuster organisiert. Die Gebäudetrakte - Erdgeschoß, zwei Ober-geschoße - sind lang und schmal und nord-südgerichtet. Ein niedriger Bauteil - Zentralgarderobe, abgesenkte Doppelturnhalle - schiebt sich aus dem Gebäude heraus und bildet eine Art Hintergrundprospekt für den vorgelagerten Parkplatz und leitet zum Haupteingang weiter.

Der ist sehr deutlich artikuliert. Denn hier greift ein Gebäudeteil mit der großen Loge für den Schulwart bis zur Straße vor und definiert so den Vorplatz. Und oben drauf sitzt der überaus signifikante Glaskörper der Bibliothek, fast 20 Meter frei auskragend, ein weithin sichtbares Ruf- und Lockzeichen.

Da ist im Umgang mit den Baukörpern wirklich etwas gelungen. Denn die verschiedenen Funktionen - immerhin 20 Stammklassen, zahlreiche spezielle Unterrichtsräume, Verwaltung, Speisesaal, große Turnhalle, Bibliothek - sind zwar sehr kompakt organisiert, das Gebäude ist aber trotzdem wunderbar gegliedert. Dadurch spürt man die gewaltige Baukörpermasse nicht. Das hätte nämlich auch fatal ausgehen können: in Form von zwei riesigen Schachteln - eine für die Schule, eine für die Turnhalle -, die dann aber jeden Maßstab gesprengt hätten.

Das Maßstabargument hört sich möglicherweise merkwürdig an, weil das Haus vorläufig ja wirklich solitär auf der grünen Wiese steht. Aber daran wird sich in Zukunft viel ändern. Weil die Stadtgemeinde hier eine Entwicklungsmöglichkeit sieht. Die Schule steht praktisch an der Verlängerung der Wolkersdorfer Hauptstraße, gar nicht so weit vom Hauptplatz entfernt. Es hat eine gewisse Logik, wenn sich das langgestreckte „Straßendorf“ Wolkersdorf entlang dieser Achse entwickelt. - Innenräumlich hat das Haus jedenfalls etwas zu bieten: Man kommt in eine glasgedeckte, dreigeschoßige Eingangs- und Stiegenhalle hinein, die einladender nicht sein könnte. Die Stahl-konstruktion für das Glasdach ist allein schon ein sehenswertes Element, die Verglasung selbst trägt der Situation Rechnung: Verspiegelte Einschlüsse in der Glashaut sorgen dafür, dass von Süden kein direkter Sonneneinfall möglich ist, die Halle kann sich also nicht unkontrolliert aufheizen. Wenn man nach Norden schaut, sieht man nach wie vor den Himmel; schaut man aber nach Süden, dann verwandelt sich die Glasdecke in eine transluzente, immer noch lichtdurchlässige, aber nicht durchsichtige Haut. Auch Glas hat eben seine Farben. Und zusätzlich gibt es an den strategisch richtigen Stellen gläserne Lüftungsklappen, die sich automatisch öffnen und für Querdurchlüftung sorgen.

Was den Gesamteindruck des Innen-bereichs dominiert, ist die Armut an Farben und an Details. Und das ist wirklich angenehm. Weiß an den Wänden und Decken, ein silbriges Grau bei den Metallteilen wie Geländern (Lochblech) oder Installations-kanälen (jeweils mit integrierter Beleuchtung, dadurch hat man sich abgehängte
Decken erspart), ein sehr heller Boden aus Kunststein. Die Türen - ein wichtiges Element in einem Haus, wo es um Einzelräume geht, die von langen Korridoren erschlossen sind - setzen einen farbigen Akzent: Sie sind „oxydrot“, das ist eine Art von Ochsenblutfarbe, sehr wohltuend. Und in den Klassen ein Eichenholz-Fußboden, der für die Gesamtwirkung ebenfalls wirklich etwas bringt.

Das ist schon toll: In den Klassen gibt es natürlich eine vorgeschriebene Parapet-höhe: Aber darüber ziehen sich Fensterbänder durch, die alles derartig offen und lichtdurchflutet erscheinen lassen, dass man sich nicht mehr wundert, wenn die Lehrer und Schüler nach dem Unterricht nicht sofort das Weite suchen. Es ist zwar die falsche Jahreszeit dafür, aber es gibt hier auch ein Freiflächen-Angebot, das seinesgleichen sucht.

Natürlich ist es vor allem architektonische Selbstverwirklichung, die Domenigs Entwurf bestimmt. Es sind seine Überlegungen zur Situation und den Anforderungen, die dem Gebäude den Stempel aufdrücken. Er hat alles transformiert in eine Bauplastik, die wirklich etwas leistet. Zum Beispiel die Turnhalle, die hätte er ja auch einfach neben die Schule hinstellen können. Er hat sie aber ins Gelände integriert, eingegraben - das ist schon allein deswegen sinnvoll, weil bis zur Höhe der notwendigen Prellwände ohnehin alles dicht sein muss - und durch eine benutzbare Abtreppung Richtung Freisportanlagen für einen architektonischen Mehrwert gesorgt.

Was dieses Gebäude so interessant macht, das ist die Umsetzung, die Trans-formierung eines baukünstlerischen Anspruchs in ganz gewöhnliche und pragmatische Verhältnisse. Schließlich geht es „nur“ um eine Schule. Aber die ist besser geworden als alles, was man sich gemeinhin unter diesem Titel erwartet. Und es ist wundervoll, dass die Menschen in der Umgebung, dass die Bevölkerung das auch erkennt. Der Schuldirektor sagt, die Akzeptanz der Architektur bei den Leuten, die dort wohnen, ist ungeheuer. Ich frage mich nur: Wenn es so ist, warum ist dann die Architektur im Weinviertel ansonsten so schlecht?

Spectrum, Sa., 2004.01.31



verknüpfte Bauwerke
BG und BRG Wolkersdorf

27. Dezember 2003Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Auf und davon!

Vis-à-vis ihrem Büro am Wiener Mittersteig haben Elke und Roman Delugan ihre Architekturauffassung so pur wie sonst nirgends umgesetzt: in ihrem eigenen Haus - mit dem sie die Grenzen des Machbaren wieder ein bisschen hinausgeschoben haben.

Vis-à-vis ihrem Büro am Wiener Mittersteig haben Elke und Roman Delugan ihre Architekturauffassung so pur wie sonst nirgends umgesetzt: in ihrem eigenen Haus - mit dem sie die Grenzen des Machbaren wieder ein bisschen hinausgeschoben haben.

Das Haus auf dem Haus war immer schon eine spannende Bauaufgabe. Früher sagte man Penthouse dazu, und ein Hauch von Luxus schwang dabei mit. Elke und Roman Delugan lassen diesen Amerikanismus weg und sprechen ganz schlicht von ihrem Haus, dabei schauen sie aus den Räumen des Architekturbüros Delugan- Meissl am Wiener Mittersteig Richtung Dachaufbau auf einem Bürohaus gegenüber, und weil es schon dunkel wird, sehen wir im erleuchteten Innenraum, allerdings abgeschirmt durch einen mächtigen Balken, zwei zarte Beinchen, die sich mit Schwung abwärts bewegen. „Das ist unsere Tochter“, lächelt Roman Delugan: „Sie rutscht auf der Schräge.“

Was es mit dieser Schräge auf sich hat, das sehe ich dann später. Zunächst bewundere ich die Rasanz, die Schnittigkeit der großen Linien, die den Auftritt dieses Hauses auf dem Haus nach außen charakterisieren.

Man muss hier wirklich vor allem von Linien, von räumlichen Linien reden, denn das eigentliche Bauvolumen ist durch den minutiös kalkulierten, großzügigen Einsatz von Glas so zergliedert, dass die „festen“ Bestandteile ganz in den Hintergrund
treten. Wenn man so auf dem Balkon des Büros steht und hinüber schaut, dann schießt der erwähnte mächtige Balken über die Breitseite des Bürohauses hinweg - wirklich überrascht wäre ich nicht gewesen, wenn das ganze Ding, das irgendwie so „dachverbunden“ aufsitzt, plötzlich doch abgehoben hätte.

Tatsächlich haben die Delugans in diesem Haus ihre persönliche Architekturauffassung so pur wie sonst nirgends
umgesetzt. Außen waren sie durch die engen Wiener Bauvorschriften limitiert, aber solche Regeln tun architektonischen Lösungen im Allgemeinen gut. Innen konnten sie alles auf die privatesten Ansprüche maßschneidern.

Konstruktiv war das Unternehmen natürlich happig: Es ging darum, mit dem auszukommen, was der Bestand statisch anzubieten hatte. Das allerdings wurde optimal ausgenutzt, und so sind jetzt ungefähr 52 Tonnen Stahl auf dem Flachdach verbaut. Es gibt eine Sechs-Meter-Auskragung Richtung Hof, und es gibt im Innenraum tatsächlich nur eine einzige
tragende Stütze: Es waren also gewaltige Spannweiten zu bewältigen. Es gibt andererseits im Wohnbereich eine scheinbar schwebende Liegelandschaft, da ist das Glas an der Fassade tragend.

Ich beschreibe am besten den Weg durch das Haus: Man verlässt den Aufzug, geht ein paar Stufen hinauf zur
eigentlichen Wohnungstür und steht dann vor einem langen, schräg ansteigenden Vorraum, links raumhoch verglast, rechts eine lange Schrankwand. Die Delugans haben fast das ganze Mobiliar selbst entworfen, also auch diese Schrankwand. Und die schuppt sich höchst attraktiv hinauf zum Wohnraum, weil die schmalen Schranktüren keine Griffe haben, sondern die ganze Tür ist jeweils durch eine Außenwölbung verformt, so dass man sie öffnen kann. Alles weiß. Und auf dem Boden afrikanische Kirsche in einem tiefen, saftigen, warmen Braunton. Das zieht sich übrigens durch das gesamte Haus.

Man könnte das Ganze als Loftkonzept beschreiben, umgeben von Terrassen, die sich aus dem vorgeschriebenen 45-Grad-Rücksprung für Dachaufbauten ergeben (nebenbei angemerkt: Eine dieser Terrassen ist ausgesprochen bemerkenswert abgesichert: nicht durch eine Brüstung, sondern durch ein Wasserbecken).

Der Loftraum selbst ist höhenmäßig differenziert: Man kommt hinein, und links geht es zum Privatbereich der
Tochter, rechts sitzt etwas höher die Schaltstelle der offenen Küche. Da gibt es ein paar Stufen, dann steht man
wirklich mitten drin in der Küche, also zwischen Wandverbau und offenem Tresen, der aber als eine Art Raumskulptur
formuliert ist: Er wächst schräg aus dem Boden - in dieser Schräge ist auch die Schaltstation für die ausgeklügelte Beleuchtung et cetera -, dann geht er gerade weiter, und schließlich macht er sich schräg nach oben gewissermaßen
auf und davon. Diesem Niveausprung ist auch jene Schräge (oder Rampe) zugeordnet, auf der ich von vis-à-vis das Töchterlein habe rutschen sehen. Da oben ist dann die große, gepolsterte und mit Leder bespannte Liegewiese.

Eine völlig transparente Regalwand trennt diese Liegewiese von einem ganz besonderen, höher gelegenen Sitzplatz -in der sogenannten Gaube -, zu dem man stufenlos einen etwa 50 Zentimeter messenden Höhensprung überwinden muss. Der Esstisch, im rechten Winkel um die hofseitige Terrasse gelegen, ist wieder völlig im Raum- und Niveaufluss
des Lofts angeordnet.

Es gibt hier natürlich auch alles, was man alltäglich braucht: Das fängt beim Wirtschaftsraum an und hört beim Gästeklosett auf. Und das Schlafzimmer samt Badezimmer ist selbstverständlich separiert - freilich durch ein unheimlich zügiges Einbaumöbel charakterisiert, das vom Bett über das Bad et cetera alles in eins fasst. Und das Bett ist „städtebaulich“ ausgerichtet: Es steht schräg vor einer Glaswand mit dem Ausblick auf das schönste Panorama von Wien.

Man müsste bei diesem Haus jede Firma, die dazu beigetragen hat, extra erwähnen. Denn jede hat Außergewöhnliches geleistet. Für alle war es nicht nur eine Herausforderung auf dem Papier, sondern etwas, was die Grenzen des Machbaren wieder ein bisschen hinausgeschoben hat.

Aber bei aller Bewunderung für die Fugenlosigkeit des Zusammentreffens unterschiedlicher Materialien, für die unheimlich differenzierte Behandlung der verschiedenen Oberflächen, für die absolut detailgenaue Arbeit aller Beteiligten - der große Wurf liegt im Entwurf. Die Logik, mit der die Delugans die „Kraftlinien“ ihres Hauses von außen nach innen und wieder nach außen entwickeln, das ist die eigentliche Sensation.

Abgesehen von Glas besteht die Hülle des Hauses aus Alucobond. Das Dach ist in diesem Material ausgeführt, aber zum Beispiel auch der Balken, der den Innenraum abschirmt zum gegenüber liegenden Büro. Dieser Balken berührt aber auch den Innenraum. Und da hat er dann auch innen eine Alucobond-Oberfläche. Das ist äußerst konsequent und eindrucksvoll. Und das gibt dem Haus bei aller Materialeinheitlichkeit und Detailarmut auch eine unübertreffliche Komplexität.

Es ist ein Haus für Lifestyle-Magazine im besten Wortsinn. Es ist auf einen bestimmten Lebensstil zugeschnitten (der ganz und gar nichts mit irgendeiner Art von schicker Lebensführung zu tun hat - das ist zu unterstreichen): auf den Lebensstil von Leuten, denen der Beruf auch Berufung ist und die sich eine private Insel gebaut haben; für sich selbst, für die Tochter, für Freunde. Eine ideale Lösung, dass die wirkliche Arbeitsstätte gleich gegenüber liegt. Und eine tägliche Bestätigung der eigenen Haltung beim Blick hinüber.

Spectrum, Sa., 2003.12.27



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Ray 1

22. November 2003Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Engpass mit Extratour

Das Budget, das Grundstück, der zeitliche Rahmen: Alles war sehr knapp bemessen. Davon ist in der Handelsakademie und Handelsschule Gänserndorf von Nehrer + Medek nichts mehr zu spüren.

Das Budget, das Grundstück, der zeitliche Rahmen: Alles war sehr knapp bemessen. Davon ist in der Handelsakademie und Handelsschule Gänserndorf von Nehrer + Medek nichts mehr zu spüren.

Im Schulbau sind die Zeiten der großen Neubauten vorläufig zu Ende. Günther Domenig hat zwar im niederösterreichischen Wolkersdorf gerade erst ein ziemlich großes Schulhaus für die BIG mitten auf die grüne Wiese gestellt, aber das ist inzwischen die Ausnahme. Denn erstens werden die grünen Wiesen langsam selten, und zweitens verlagert sich der Schwerpunkt der Aufgabenstellung zunehmend auf die Sanierung und Erweiterung bestehender Schulbauten.

Man kann das in Gänserndorf an einem markanten Beispiel studieren, wo alles zusammenkommt, was solche Bauaufgaben charakterisiert: ein sehr knappes Baubudget, ein sehr enges Grundstück und die Notwendigkeit, die Bauarbeiten - abgesehen von den Ferien - bei laufendem Schulbetrieb durchzuführen. Einfach ist das nicht.

Am Anfang stand ein Wettbewerb, den das Wiener Büro Nehrer + Medek im Jahr 2000 gewonnen hat. Aufgabe war, zwei bestehende dreigeschoßige Schultrakte, die durch einen ebenerdigen Gang verbunden waren, und einen eingeschoßigen Mehrzweckraum im Hofbereich in die Planung einzubeziehen, vorhandene Behelfsbauten, die im Lauf der Jahre dazugekommen waren, wurden hingegen abgerissen. Angrenzend an das Grundstück: auf der einen Seite ein öffentlicher Platz, der hauptsächlich als Parkplatz genutzt wird, auf der anderen der Gemeindesaal, der auch als Turnhalle für die Schule dient.

Es geht um eine Handelsakademie und eine Handelsschule, Einrichtungen also, die ein relativ großes Einzugsgebiet bedienen. Entsprechend war auch der Klassenbedarf. Nehrer + Medek haben diese Notwendigkeit mit einem Konzept bewältigt, das auf den ersten Blick unheimlich einfach erscheint: Sie haben als wesentlichste Maßnahme über den gesamten Bestand ein Brückenbauwerk - einen Virendeel-Träger - gespannt. Vorne, an der Straße, somit an der Schmalseite des Grundstücks, tritt diese Neubaumaßnahme nur durch eine dezente Auskragung, aber einen besonders freundlichen, sagen wir: kürbisgelben Anstrich in Erscheinung. In der Tiefe des Grundstücks wird dann die volle Länge dieser Neubaumaßnahme nachvollziehbar.

Eine simple, aber auch sehr geschickte Maßnahme des Konzepts bestand im Absenken des Schulhofs zwischen den beiden Altbautrakten um ein Geschoß. So wurde großzügiger „Kellerraum“ gewonnen - hier ist unter anderem die Bibliothek -, wunderbar belichtet und alles andere als ein Notbehelf.

Schließlich wurde dem zweiten Altbautrakt, dem in der Grundstückstiefe, auch noch ein kleiner, relativ schmaler Neubau vorgestellt, der jetzt den attraktiven neuen Eingang in die große Halle flankiert - der alte Haupteingang, vorne an der Straße, existiert aber nach wie vor. Durch diese Maßnahme ergeben sich zwar ein paar Klassenräume, die nicht optimal natürlich belichtet scheinen, aber in einer Schule, in der EDV eine so große Rolle spielt, wird dieses Problem eigentlich nicht virulent, es entspricht eher einem Bedarf. Denn Bildschirmarbeit bei strahlendem Sonnenschein ist sowieso nicht zumutbar.

Nehrer + Medek haben den Altbestand praktisch nicht verändert, sie haben ihn lediglich saniert. Sogar die alten Holzfenster, wenn auch neu gestrichen, sind noch da. Ebenso die sanitären Einrichtungen. Man hatte ja nur ein sehr knappes Budget, Extratouren waren daher nicht möglich. Und dass das gesamte Bauvorhaben in diesem Umfang überhaupt realisiert werden konnte, das hat auch damit zu tun, dass das Büro alle Aufgaben - einschließlich Bauaufsicht und Kostenverantwortung - übernommen hat. Das ist deswegen erwähnenswert, weil heute immer weniger Architekturbüros in der Lage sind, eine so breite Aufgabenpalette zu erfüllen. In Gänserndorf sieht man aber, wie entscheidend es ist, dass alles in einer Hand bleibt, in einer Verantwortung. Denn je mehr Partnerbüros zugeschaltet werden, desto stärker verwässern sich die architektonische Idee, das Konzept, vor allem aber seine Umsetzung.

Es kommt einfach etwas anderes heraus, wenn der Architekt selbst entscheidet, wo er sich welche Oberflächen leistet, wo er im Dienst der Sache mehr Geld ausgibt und wo er spart. Bei den Außenjalousien zum Beispiel haben Nehrer + Medek nicht gespart, da haben sie ein besonders robustes System gewählt, weil es hier im Weinviertel immer wieder zu einem ziemlich extremen Windaufprall kommt und ein filigraneres Jalousiensystem dem einfach nicht gewachsen wäre. Dafür hat man sich andererseits bei den Terrazzoböden mit einem preisgünstigen Plattensystem begnügt, anstelle eines aufwändigeren Gussterrazzos.

Räumlich stimmt alles. Wenn man vom unscheinbaren alten Haupteingang in die Schule hineinkommt, dann steht man zwar vor einem unheimlich langen Gang, aber der weitet sich perspektivisch auf - und vor allem: Man sieht durch bis ganz ans Ende und hinaus ins Freie. Sehr gelungen ist auch die Öffnung und Durchwegung des knapp bemessen Freibereichs in der Grundstücks-tiefe. Die Einfassung mit einer teils hohen neuen, teils niedrigen alten Mauer ist so aufgeschnitten, dass die Schüler auch den angrenzenden öffentlichen Platz nutzen könnten. Was sie aber kaum tun, weil der zur Schule gehörige Freibereich bei aller Begrenztheit eben ziemlich gut strukturiert ist, auch durch den abgesenkten und von außen zugänglichen großen Hof, so dass offenbar gar kein Bedürfnis besteht „zu expandieren“.

Das Haus ist natürlich sehr energiebewusst geplant: Es hat Vollwärmeschutz-Fassaden, die zwar nicht zum Attraktivsten zählen, was sich denken lässt, aber das muss man in Kauf nehmen, wenn man auf niedrige Betriebskosten Wert legt. Nur im Bereich des vorgestellten neuen Traktes haben sich die Architekten an der Fassade emailliertes Glas geleistet, und der vorgesetzte Windfang ist natürlich ganz gläsern und einladend transparent.

Da es flächenmäßig keinen Spielraum gab, bedurfte es schon einer ziemlich minutiösen Tüftelei um das gesamte Raumprogramm unterzubringen. Aber das vergisst man, wenn man durch das Gebäude geht. Und dazu trägt die neue Halle mit ihrer Zweigeschoßigkeit sehr wesentlich bei. Da entsteht Luftigkeit, Großzügigkeit, Offenheit, und das überstrahlt und relativiert alle räumlichen Engpässe.

Für die Architekten war das Haus, obwohl der Neubauteil ja gar nicht so groß ist, keine leichte Aufgabe. Umbau und Neubau bei laufendem Schulbetrieb, das heißt: Keine lauten Arbeiten während des Unterrichts, und die Schulklassen umgesiedelt in Container, die draußen vor der Baustelle standen.

Für Manfred Nehrer kam noch etwas hinzu: der völlig überraschende Tod seines Büropartners Reinhard Medek, in dessen Kompetenz dieses Projekt ursprünglich lag. Medek ist im Frühjahr gestorben, also noch vor den großen Sommerferien und damit einer Phase der intensivsten Bauarbeit. Da mussten im Büro letzte Kraftreserven mobilisiert werden, um diesen Verlust auszugleichen.

Übrigens ist eines auffällig: Die Niederösterreicher haben nur wenig Grund, auf ihre architektonischen Aktivitäten stolz zu sein. Es gibt die Hauptstadtplanung, na gut. Es gibt in Krems immer wieder bemerkenswerte Initiativen. Es gibt Ernst Beneder. Und neuerdings gibt es in Wolkersdorf den erwähnten Schulbau von Günther Domenig, der allerdings vom Bund beauftragt wurde. Aber dann muss man, vor allem im nördlichen Niederösterreich, schon ziemlich suchen. Nur Gänserndorf scheint über ein etwas offeneres Architekturklima zu verfügen: Da hat immerhin das BKK-2 eine bemerkenswerte Musikschule gebaut, und da haben Nehrer + Medek schon vor Jahren eine Volksschule geplant, die sich auch heute noch sehen lassen kann.

Eine kleine Boshaftigkeit kann ich mir in diesem Zusammenhang nicht verkneifen: Die Volksschule ist seit sieben Jahren in Betrieb und bis heute in tadellosem Zustand; die Handelsakademie/Handelsschule wird erst seit wenigen Wochen bespielt - aber unter einem gepflegten Schulhaus stelle ich mir etwas anderes vor.

Spectrum, Sa., 2003.11.22



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Handelsakademie und Handelsschule

11. Oktober 2003Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Für die Nase bauen

Wie man zeitgenössische Architektur mitten in eine traditionelle Dorfstruktur setzt; und wie man kreativ die Schulbauverordnung unterläuft: ein Lehrbeispiel aus Vorarlberg von Cukrowicz.Nachbaur.

Wie man zeitgenössische Architektur mitten in eine traditionelle Dorfstruktur setzt; und wie man kreativ die Schulbauverordnung unterläuft: ein Lehrbeispiel aus Vorarlberg von Cukrowicz.Nachbaur.

Moderne, zeitgenössische Architektur mitten in eine traditionelle Dorfstruktur zu setzen ist ein Problem. Oft eine Frage des Maßstabs, immer eine Frage des architektonischen Ausdrucks. In der kleinen Gemeinde Doren (1000 Einwohner) im Vorderen Bregenzerwald lässt sich dieses Thema wieder einmal studieren: am Beispiel einer Volksschule mit Kindergarten und Turnhalle, die, von „Cukrowicz.Nachbaur Architekten“ geplant, im „Herzen“ des Dorfes, gleich neben Kirche und Friedhof, realisiert wurde.

Man muss vielleicht vorweg sagen, dass das landschaftliche Umfeld einfach spektakulär ist. Die Schule ist auf einem Hang errichtet, der vom tiefsten Punkt an der Straße bis hinauf zum Kinderspielplatz immerhin ein Gefälle von 20 Metern hat. Aber wenn man da oben, sozusagen auf dem höchsten Punkt des Schulgeländes, nur ein paar Schritte weitergeht, übrigens vorbei an Roland Gnaigers Kinderspielhaus, dann kommt da ein Wasserfall von den Bergen herunter, und man steht wirklich vor einem beeindruckend malerischen „Natur-Bild“. Noch viel eindrucksvoller ist aber der Fernblick: An schönen Tagen sieht man da fünf Bergrücken hintereinander gestaffelt!

Den Architekten war das natürlich bewusst. Es wird einem sofort klar, wenn man durch ihr Gebäude geht. Die geschoßweise unterschiedliche Orientierung hat auch mit diesem Fernblick zu tun: Man steht immer wieder vor einem anderen durch die Öffnungen in der Fassade quasi gerahmten Landschaftsbild.

Aber das ist gewissermaßen nur ein angenehmer Nebenaspekt des Entwurfs von „Cukrowicz.Nachbaur Architekten“. Was wirklich wichtig dabei ist, was auch über diesen speziellen Bau hinausweist, das ist einerseits die Frage des Umgangs mit der Kubatur, das ist andererseits die Art und Weise des Innenausbaus.

Man muss sich vorstellen, dass der Bauplatz ziemlich klein ist. Es stand dort eine Volksschule, die aber in so schlechtem Zustand war, dass sie auf jeden Fall abgerissen werden musste. Schwierig war allerdings das Programm: Turnhalle, Kindergarten, Räume für die Lehrer, Mehrzweckraum, vier Klassenzimmer, zwei Werkräume - das ist nicht ganz leicht unterzubringen, wenn man kaum Platz hat. Das Kinderhaus von Roland Gnaiger wurde daher auch für den Abbruch freigegeben. „Cukrowicz.Nachbaur Architekten“ haben von dieser Möglichkeit - man möchte sagen „natürlich“, denn es handelt sich um eine architektonische Ehrensache unter Kollegen - keinen Gebrauch gemacht. Sie haben vielmehr ein unheimlich kompaktes Gebäude entwickelt, das all die unterschiedlichen Funktionen auf fünf Geschoßen - im Dorf an sich eine unmögliche Gebäudehöhe - unterbringt, aber mit so viel Geschick, auch unter Ausnutzung der Hanglage, dass selbst vom tiefsten Punkt an der Straße nur vier Geschoße sichtbar sind.

Jedenfalls fiel die Entscheidung der Jury im Wettbewerb von 2001 auch auf Grund dieser Voraussetzungen klar und eindeutig aus. Alle anderen Projekte haben einfach viel mehr Platz beansprucht.

Das Gebäude ist aus Sichtbeton und hat ein Flachdach. Rundherum sind natürlich Satteldächer, Sichtbeton gibt es sowieso keinen. Letzterer ist, man weiß es, das Lieblingsmaterial heutiger Architekten, der Großteil der Bevölkerung tut sich trotzdem schwer damit. In Doren kann man aber studieren, was dieses Material auch in Bezug auf den architektonischen Ausdruck in einem traditionellen Umfeld leistet: Es drängt sich überhaupt nicht vor, es gebärdet sich geradezu bescheiden.

Dabei sind „Cukrowicz.Nachbaur Architekten“ äußerst überlegt damit umgegangen. Es gibt ihn nur da, wo er tragend ist, also an den Fassaden und in Form raumüberspannender Träger, die über die gesamte Gebäudetiefe reichen und in die jeweils eine große Öffnung geschnitten ist - da liegt die Erschließung. Hinzugefügt werden muss unbedingt: Die Qualität des Sichtbetons ist sensationell, da stimmt jede Kante. Und selbst ein winziges Detail wie die bündig in der Wand des Stiegenhauses sitzenden Handläufe - 20 Zentimeter Einsparung bei der Gebäudetiefe, aber wie kompliziert für die Schalung! - wurde perfekt umgesetzt.

Straßenseitig betritt man das Gebäude, kommt in einen Windfang und danach in ein Foyer. Zuvor sieht man schon von außen, links vom Eingang durch große Verglasungen in den eingegrabenen Turnsaal, eine Kleinturnhalle mit fünf Metern Raumhöhe bei zehn mal 18 Metern Grundfläche; das Foyer selbst hat übrigens nur eine Raumhöhe von 2,30 Metern. Das ist aber gar nicht unangenehm, und durch den Ausblick in den Turnsaal mit seiner großen Raumhöhe ist man schon darauf eingestimmt, dass dahinter andere, höhere Räume kommen.

Die Architekten haben da wirklich etwas geleistet. Denn sie haben die Vorarlberger Schulbauverordnung in zweierlei Hinsicht unterlaufen. Erstens haben sie - und das ist insofern überraschend, als es wirklich positiv verbucht werden muss - die Raumhöhen um zehn Prozent reduziert, also von 3,20 Metern auf 2,90. Und zweitens haben sie durchgesetzt, dass zum ersten Mal in Österreich in einer Schule unbehandelte Oberflächen - Holzoberflächen aus Weißtanne, auf dem Boden sogar sägerau - zugelassen wurden.

Zunächst zur Raumhöhe: Die Reduktion hat natürlich maßgeblich dazu beigetragen, dass der Baukörper so minimiert ist. Sie wurde allerdings nur möglich, weil die Architekten eine kontrollierte Be- und Entlüftung vorgeschlagen haben. Die bisherige, eigentlich zwingend vorgeschriebene Raumhöhe basiert auf der Voraussetzung einer Fensterlüftung. Heute gibt es dazu Alternativen. Und wenn man die in ihren Auswirkungen durchdenkt, dann stellt sich die Einsicht ein, dass man diese Raumhöhen gar nicht braucht. Volksschüler sind klein, und die Lehrer sind auch nicht so groß, dass sie über drei Meter hohe Räume zwingend brauchen würden. Für den Bau - und sein Verhältnis zur Umgebung - hat diese Maßnahme wirklich etwas gebracht. Ich frage mich, ob es in der Bundeshauptstadt auch so einsichtige Behörden und Bauherrn gibt . . .

Und dann dieser Innenausbau mit der Weißtanne! Die unbehandelten Oberflächen! Das ist ja die reinste Geruchsarchitektur! In diesen Räumen gibt es einen Duft, nicht aufdringlich, aber so wohltuend - die Kinder sind zu beneiden. Und man glaubt es nicht: Die Böden sind derartig sauber - die Architekten sagen, sie sind selbstreinigend -, dass man sich kaum vorstellen kann, dass die Schule längst in Betrieb ist.

Übrigens sind die Klassen ganz besonders schön: Die Kinder sitzen an Einzeltischen eines Schweizer Herstellers, die mit einem Handgriff höhenverstellbar und auch in der Tischplattenneigung verstellbar sind. Das ist natürlich viel teurer als ein herkömmliches Programm. Aber es ist halt auch viel besser. Und der Schuldirektor, der Bürgermeister, alle, die bei diesem Bau mitzureden hatten, haben eingesehen, dass damit etwas gewonnen ist: Wohlbefinden. Gerade für die Kleinsten.

Ich glaube nicht, dass man im Osten Österreichs derzeit ein solches Projekt - in dieser Qualität - umsetzen könnte. Vorarlberg ist wirklich, es gibt keinen Zweifel, ein gesegnetes Architektur-Land.

Spectrum, Sa., 2003.10.11



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Volksschule

06. September 2003Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Chips in Haute Couture

Die Bauaufgabe war an sich banal. Das Objekt aber, das Marte.Marte in den Lustenauer Gewerbepark gestellt haben, ist alles andere als banal. Es könnte sich baukünstlerisch auch im großstädtischen Raum ohne weiteres behaupten.

Die Bauaufgabe war an sich banal. Das Objekt aber, das Marte.Marte in den Lustenauer Gewerbepark gestellt haben, ist alles andere als banal. Es könnte sich baukünstlerisch auch im großstädtischen Raum ohne weiteres behaupten.

Gewerbegebiete sind in der Regel die „Nicht-Orte“ unserer städtischen Peripherien. Auf ganz ungebührliche Weise wuchern sie in die Landschaft hinaus, zersiedeln sie, ohne doch jemals Stadt, und sei es nur „Satellitenstadt“, zu werden. Gewerbegebiete sind öd. Ich kenne keines, wo ich hinfahren würde, einfach, um es zu „erleben“. Man fährt notgedrungen hin, weil man dort zu tun hat, sonst lässt man es bleiben.

Das gilt zwar grundsätzlich auch für den Millenniumspark in Lustenau. Aber eben nur grundsätzlich. Denn zumindest für Architekturinteressierte stellt er die unbedingt sehenswerte, die große Ausnahme dar. Einfach weil hier vorweg - städtebaulich - geplant, geordnet wurde. Da steht nichts kreuz und quer, da gibt es vielmehr eine erkennbare und überschaubare Struktur der Bebauung, die zwar nur durch ganz einfache und rigide Erschließungswege gegliedert ist, aber immerhin.

Nun muss man natürlich sagen: Auch der beste Städtebau entfaltet keine Wirkung, wenn die gebauten Objekte nicht interessant, wenn sie nur ökonomisch, billig und folglich meistens auch dümmlich sind. Genau das ist es aber, was den Millenniumspark zur großen Ausnahme macht: Hier lohnt es sich wirklich, die einzelnen realisierten Objekte - sie stammen von Baumschlager & Eberle bis Dietrich.Untertrifaller - in Augenschein zu nehmen.

Neuestes Highlight: das „SIE“-Gebäude von „Marte.Marte Architekten“. Es ist wirklich etwas Besonderes. Es könnte überall stehen, sogar mitten im großstädtischen Raum. Der baukünstlerische Anspruch ist einfach so umgesetzt, dass sich das Gebäude in seiner architektonischen Qualität unabhängig vom Umfeld behauptet.

Das Haus beherbergt ein Unternehmen, das sich mit Elektronik beschäftigt. Was immer das ist, hier findet Chip-Handel statt, hier werden aber auch Maßanfertigungen für spezielle Aufgaben entwickelt, also elektronische „Haute Couture“.

Kommen wir zur Architektur. Die ist einfach großartig. Ist es ein Hochhaus? Keineswegs. Auch wenn es nach der herrschenden Baugesetzgebung unter diesem Titel firmiert. Nein, es ist bloß ein hohes Haus. Ein Haus mit Erdgeschoß und fünf Obergeschoßen. Knapp 26 Meter hoch, also weit höher als die empfohlene Bebauungshöhe im Millenniumspark, die sieht etwa zwölf Meter vor. Macht aber nichts, dadurch, dass das Haus ganz in der Tiefe der Fläche des Gewerbeparks liegt, setzt es einen abschließenden Akzent. Städtebaulich ist es also in Ordnung.

Architektonisch ist es etwas Besonderes. Denn es ist ein Haus ohne Regelgeschoß: Kein Geschoß ist wie das andere. Reden wir gar nicht davon, dass es erst einmal einen Bauherrn braucht, der sich auf eine solche ökonomische Regelwidrigkeit einlässt. Reden wir nur davon, was ein solches architektonisches Konzept im größeren Zusammenhang üblicher Verwaltungs- und Produktionsgebäude für einen Stellenwert behauptet. Die Botschaft ist eindeutig: Selbst in Zeiten der ökonomisch bedingten architektonischen Banalität ist so etwas wie Baukunst möglich ist. Auch bei solchen Aufgaben.

Von außen erscheint das Haus sehr, sehr transparent. Das ist aber zu einfach. Denn das erste Obergeschoß - dort ist das Lager situiert - präsentiert sich hermetisch verschlossen. Es hat schmale Lichtschlitze und an einer Seite einen Fassadenteil, der aus dem rechten Winkel verschwenkt ist.

Für die Gestalt des Gebäudes ist dieser geschlossene Fassadenteil unheimlich wichtig. Die Wirkung der riesigen Glastafeln darüber - Formate im Bereich von zwei Metern Breite und sechs Metern Höhe oder von drei Metern Höhe und vier Metern Breite, wobei jede dieser Glastafeln ungefähr eine bis eineinhalb Tonnen schwer ist -, die ist natürlich toll. Die Gebäudehaut erscheint dadurch viel homogener, als das normalerweise der Fall ist. Und sie macht etwas auch nach außen sichtbar, was man so ja gar nicht glauben würde: dass jedes Geschoß eine andere Raumhöhe hat.

Sie hatten wirklich einen großartigen Bauherrn. Sonst wäre das sicher nicht gegangen. Man kommt in einen sehr niedrigen Empfangsbereich hinein - 2,60 Meter und weniger -, und als Besucher fährt man dann mit dem Lift ins oberste Geschoß, das ausschließlich der Verwaltung vorbehalten ist. Das ist übrigens das Geschoß, das baulich am wenigsten „kann“. Es ist völlig normal, drei Meter hoch, mit einer Besprechungszone im Kern. Mehr braucht es hier aber auch nicht, die Aussicht ist so sensationell, dass sich alles andere erübrigt.

Im Geschoß darunter sind die 4,50 Meter Raumhöhe schon eine Kategorie für sich. Das gibt es selten. Und noch seltener gibt es eine Cafeteria mit acht Metern Raumhöhe. Das Haus hat alles das. Es ist dabei intern völlig logisch, für den Blick des Außenstehenden aber doch ungewöhnlich organisiert: ganz unten Empfang, auch Anlieferung und Versand, darüber Lager (der Grundwasserspiegel ist hier so hoch, dass es viel zu riskant wäre, die empfindlichen Elektronikteile in einer Kellersituation aufzubewahren), dann Produktion, schließlich Entwicklung und ganz oben Verwaltung.

Wie gesagt, das Haus hat viele Besonderheiten. Architektonisch vorgesehene und andere. Zu den anderen gehört die Anlieferungsrampe, „der angenehmste Ort des Hauses“ (so die Architekten), wo sich die Mitarbeiter eine Art unkontrollierten Freibereich erobert haben; dann gibt es den Balkon im Produktionsbereich; schließlich den sechs Meter auskragenden, ganz schmalen Balkon, der irgendwie die Corporate Identity des Hauses ausmacht - als Raucherbalkon erfüllt er allemal einen Zweck.

Marte.Marte haben sogar die Erschließung speziell gelöst. Es gibt kurze interne Wege, einerseits in Form einer richtigen Stiegenhausskulptur, einer runden Wendeltreppe, und andererseits in Form einer sehr langen, geraden Treppe. Das erscheint zusätzlich zu Lift und Fluchttreppenhaus aufwendig, ist aber offenkundig praktisch, denn diese Treppen werden andauernd benutzt.

Eine andere Besonderheit findet sich auf der obersten, der Verwaltungsebene: Es ist eine Art Nachdenk-Raum, der sich durch Vorhänge zu einer Variante des Beduinenzelts schließen lässt.

Und vor allem gibt es die räumlich großartige Cafeteria, auf die ein Innenbalkon orientiert ist: Die gewaltige Raumhöhe - die Glastafeln an der Fassade sind sechs Meter hoch! - verlangt geradezu nach einem solchen architektonischen Aperçu.

Die Architekten haben sich auf ganz wenige Materialien beschränkt: Sichtbeton in hervorragender Ausführungsqualität, Glas (Dreifachgläser) in den erwähnten riesigen Formaten, gehalten von natureloxierten Aluminiumprofilen, die helle Farbigkeit von Birkensperrholz an Wänden und Decken (aus akustischen Gründen), schließlich ein schwarzgrauer Filzbelag auf dem Boden. Letzterer war notwendig, weil er erstens antistatisch und zweitens ableitfähig ist, und obendrein konnte man ihn in 60-mal- 60-Zentimeter-Elementen verlegen, ohne dass man die Fugen allzu deutlich (eigentlich fast gar nicht) sieht. Das war wichtig, weil darunter ein Doppelboden ist, in dem die ganze Technik geführt wird, und zu der muss man gegebenenfalls auch dazu können.

Die Architekten geben übrigens recht freimütig zu, dass das Gebäude kein Vorzeigeobjekt des Energiesparens ist, um es einmal so zu formulieren. Es ist natürlich voll klimatisiert. Aber es liegt nicht oder nicht allein an der Glasfassade, dass hier besonders in der warmen Jahreszeit recht aufwendig gekühlt werden muss.

Die Fassadengläser mit ihren sonnenschutzbeschichteten Dreifachgläsern und ihrem im Abstand von einem halben Meter innenliegenden, zusätzlichen Blendschutz, die leisten ohnehin sehr viel. Im Produktionsbereich aber, wo bei manchen Teststationen sechzig Computer gleichzeitig laufen, da entsteht so viel Wärme, dagegen kommt auch die beste Fassadentechnologie nicht auf.

Um so etwas wie ein Resümee zu ziehen: Man muss dem Bauherrn und den Architekten attestieren, dass sie ein rundum ungewöhnliches, weil so besonderes Gebäude in den Lustenauer Millenniumspark gestellt haben. Und um es noch einmal und nachdrücklich zu wiederholen: Es ist einfach wundervoll, wenn Architektur, wenn gebaute Objekte auch Momente beinhalten, die nicht unbedingt notwendig sind. Die Großzügigkeit des Unnützen ist es, die wir heute so sehr vermissen. Wo für sie auch noch Raum (und Geld) vorhanden ist und wo Architekten planen, die das entsprechende Feeling für das gebaute Detail haben, da kann sogar bei einer so banalen Bauaufgabe wie einem Objekt in einem Gewerbepark wirklich etwas entstehen.

Spectrum, Sa., 2003.09.06



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Bürohochhaus SIE

02. August 2003Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Die Irritation der Stille

Sozialer Wohnbau, der optimale Wohnqualität bietet und dem man die knappen Kostenvorgaben nirgends ansieht - und das in einem äußerst schwierigen Umfeld: das ist Georg Driendl in Insbruck gelungen.

Sozialer Wohnbau, der optimale Wohnqualität bietet und dem man die knappen Kostenvorgaben nirgends ansieht - und das in einem äußerst schwierigen Umfeld: das ist Georg Driendl in Insbruck gelungen.

Wohnbau findet heutzutage entweder in extremen Stadtrandlagen oder an besonders problematischen Standorten statt. Das ist nicht nur in der Bundeshauptstadt so, das gilt für fast jede mittlere, erst recht größere Stadt. In diesem Fall ist von Innsbruck die Rede. Dort hat Georg Driendl kürzlich eine Wohnanlage fertig gestellt, die genau mit diesen Voraussetzungen zu Rande kommen musste. Sie steht wirklich an den Outskirts of Innsbruck und noch dazu an einer Einfallstraße, deren Verkehrsaufkommen den ganzen Tag und die halbe Nacht lang horribel ist.

Nicht zufällig gab es im Vorfeld der Rea-lisierung des Projekts auch immer wieder entmutigende Reaktionen auf Seiten von Driendls Architektenkollegen: Kopfschütteln, Zweifel und stets die gleiche Frage: Darf man in einem solchen Umfeld überhaupt Wohnbau machen? Dazu eines ganz deutlich: Man kann diese Frage, wie berechtigt sie theoretisch auch immer sein mag, wohl nur als rein rhetorisch ansehen. Wer hat je von einem Architekten gehört, der einen Auftrag aus Gründen der sozialen Unzumutbarkeit abgelehnt hätte? Andererseits: Es war eine äußerst schwierige Ausgangssituation.

Der Lärm ist gewaltig. Draußen auf der Straße kann man sich nur unterhalten, indem man sich gegenseitig ins Ohr schreit. Wenn man dann drin ist in der Anlage, dann gibt es einen merkwürdig verzögerten Moment, da nimmt man plötzlich die Stille wahr - unwirklich, irritierend.

Wohlgemerkt, ich rede nicht von einer Wohnung, in der ich mich in diesem Augenblick aufgehalten hätte, sondern vom Freibereich zwischen den fünf Zeilen, die Driendl hier realisiert hat. Er hat seine Baukörper natürlich mit der Schmalseite, also im rechten Winkel, zur Amraser Seestraße gestellt - das war aus Schallschutzgründen obligatorisch -, glücklicherweise deckt sich diese Positionierung mit der optimalen Orientierung, nämlich Ost-West.

Zu diesem Effekt der Stille trägt maßgeblich eine Lärmschutzwand bei, die die gesamte Länge der Wohnanlage zur Straße hin abschirmt. Sie ist besonders strukturiert: eine erste, untere Schicht aus Nebenräumen (Kellerabteilen et cetera) hinter einer Holzlatten-Fassade, darüber eine feine Lochblech-Bahn und noch weiter oben eine nach außen leicht gekrümmte Stahl-Glas-Konstruktion. Der Holzteil ist schallweich und schluckt die tiefen Töne, der Metallteil ist ganz leicht reflektierend, und der Glasteil wirft den Lärm zurück auf den Grasstreifen zwischen Fußweg und Straße.

Schallschutzwände sind ein Problem: Sie sind in der Regel lang - die von Driendl 210 Meter -, und weil sie lang sind und auf dem Prinzip der Wiederholung von Modulen basieren, werden sie schnell unerträglich. Man darf gestalterisch keinesfalls zu viel machen, wenn man so etwas entwirft, sonst wird es penetrant. Zu wenig ist aber auch nicht gut.

Driendl hat es geschafft: Die Strukturierung der Wand ist ausgesprochen überzeugend. Es gibt indessen ein störendes Element: die „Kunst am Bau“. Sie stammt von Hans Weigand, einem hervorragenden Künstler, keine Frage, aber sie ist, meiner Ansicht nach, in dieser Situation deplaciert. Es ist eine Art handschriftliche, leuchtend farbig hingeworfene Textur, die ziemlichen visuellen Lärm macht, wo Driendls Konstruktion doch sehr still ist. Und sie könnte ganz leicht als eine Art Aufforderung gedeutet werden, sie weiterzuschreiben, noch etwas (sgraffitimäßig) hinzuzufügen. Und das wäre bestimmt nicht wünschenswert.

Dabei: Nichts gegen Sgraffiti. Aber hier wären sie kontraproduktiv. Denn hier geht es ja gerade darum, ein Wohnumfeld für Menschen zu schaffen, die eher zum unteren sozialen Level unserer Gesellschaft zählen. Es sind Mietwohnungen, es ist sozialer Wohnbau. Folgerichtig sind fast die Hälfte der Bewohner österreichische Staatsbürger ausländischer Herkunft. Das ist nach wie vor nicht ganz einfach.

Georg Driendl hat völlig logisch und sehr pragmatisch reagiert: Wohnbau für Unterprivilegierte, der nicht nur optimale Wohnqualität bietet, sondern auch visuell vergessen lässt, was hier Sache ist. In seinen Worten: „Es ist sehr aufschlussreich für eine Gesellschaft, wie sie mit ihren Ärmsten umgeht. Aber das wollten wir hinbringen: dass man der Wohnanlage nicht ansieht, dass sie echter sozialer Wohnbau ist.“

Man sieht es ihr wirklich nicht an. Derartig elegant ist sozialer Wohnbau selten gewesen. Emailliertes Glas an der Fassade - nachtblau, wie ich belehrt wurde, ich hatte es zunächst für schwarz gehalten. Die Farbe wirkt je nach dem Lichteinfall anders, und was besonders schön ist: Die Bergkette des Umgebungs-panoramas spiegelt sich im Fassadenbild und löst die kompakte „Masse“ der drei-stöckigen Baukörper teilweise auf, ihre Haut wird gewissermaßen natürlich belebt.

Der Architekt hat alles aufgeboten, was es heute unter solchen Umständen anzubie-ten gilt: Die Erdgeschoßwohnungen haben einen Gartenanteil, die Wohnungen darüber große Balkone mit verglasten Schiebetüren über die ganze Wohnraumbreite, so dass nicht nur viel Licht hereinkommt, sondern der Innenraum eine erlebbare Verlängerung in den Außenraum erfährt. Ein gelungener gestalterischer Kunstgriff: die fröhlichen Farben der Glasbrüstungen der Balkone.

Driendl hat 16-Meter-Trakttiefen vorgesehen und einen Zweispänner-Typ mit durchgesteckten Grundrissen. Das heißt vor allem: Jede Wohnung hat den ganzen Tag Sonne. Morgens im Osten, dorthin sind vor allem die individuellen Räume orientiert, nachmittags im Westen, da liegt der großzügige Gemeinschaftsbereich.

Konstruktiv ist das alles in einer Stahl-beton-Konstruktion umgesetzt, die Fassaden sind vorgehängt. Der Innenausbau in Leichtbauweise lässt langfristig jede Möglichkeit offen, man kann theoretisch die Wohnungsgrundrisse verändern, einzelne Zimmer der Nachbarwohnung zuschalten. Das sind zwar Möglichkeiten, von denen selten Gebrauch gemacht wird, aber man kann einfach nicht wissen, wie sich der Bedarf entwickelt. Daher sind solche Optionen immer gut.

Die Anlage ist äußerst ökonomisch geplant. Denn sie musste den Kriterien der Wohnbauförderung entsprechen - und das tut sie, sogar einschließlich der langen Schallschutzwand. In dieser Wand sitzen übrigens Türen mit einem internen Erschließungsweg dahinter, der jeweils direkt zu einem der Häuser führt. Die Abfahrt zur Tiefgarage ist ein wenig aus der Mitte verschoben, sie ist tagesbelichtet, ein behindertengerechter Lift führt hinauf auf Bodenniveau. Alle Erdgeschoßwohnungen sind also auch für Rollstuhlfahrer geeignet.

Dass die ziemlich edle und aufwendige, dafür aber auch sehr dauerhafte und pflegeleichte Glasfassade in diesem engen Rahmen finanzierbar war, hat wohl mit der Kompaktheit der Baukörper zu tun und mit der Ökonomie der Konstruktion. Außerdem hat Driendl auf alle technisch aufwendigen (und teuren) Installationen verzichtet: Es gibt keine Lifte, und es gibt zwar Sonnenkollektoren für die Warmwasserbereitung, aber keine kontrollierte Be- und Entlüftung. Sonnenenergie wird hier passiv genützt; das funktioniert immer, es bedarf keiner Wartung, und Niedrigenergiehäuser sind es - durch die intelligente Planung - trotzdem geworden.

Spectrum, Sa., 2003.08.02



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Wohnanlage Stadttor

27. Juni 2003Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Lust auf Torte?

Lois Welzenbachers Parkhotel in Hall/Tirol war gleichzeitig an heutige Bedürfnisse anzupassen wie in seinem ursprünglichen Zustand wieder herzustellen. Wie Henke|Schreieck die Quadratur des Kreises schafften.

Lois Welzenbachers Parkhotel in Hall/Tirol war gleichzeitig an heutige Bedürfnisse anzupassen wie in seinem ursprünglichen Zustand wieder herzustellen. Wie Henke|Schreieck die Quadratur des Kreises schafften.

Es war schon im Wettbewerbsverfahren ein ungewöhnliches, ein riskantes Konzept, das Dieter Henke und Marta Schreieck vorgeschlagen haben, als es um die Instandsetzung und vor allem die Erweiterung des Turmhotels Seeber, später Parkhotel, von Lois Welzenbacher in Hall/Tirol ging. Denn vom Welzenbacher-Bau (1930/31) war der eigentliche Korpus zwar noch da, aber er war an der einen Seite, Richtung Kurmittelhaus, so zugebaut, dass man ihn als Turm kaum noch wahrnehmen konnte. Und das von außen so Besondere der an den Gebäudeecken weit vorkragenden Balkone, die den Eindruck einer Drehbewegung vermittelten, mit der sich das Haus optisch gewissermaßen aus der Erde herausschraubt, das gab es nicht mehr. Die hatte man irgendwann abgeschnitten. Der frei stehende Turm von Welzenbacher war also in seiner turmartigen Wirkung schon extrem reduziert. Und dann noch der Vorschlag von Henke[*]Schreieck: neben den kleinen Turm Welzenbachers einen zweiten, größeren zu setzen!

Der schöne Kurpark, gleich angrenzend an die wundervolle Altstadt von Hall, auf einem ansteigenden Gelände gelegen, begrenzt auf der einen Seite durch das Kurmittelhaus von Hans Illmer (ebenfalls 1930/31) und daneben, aber abgesetzt das Turmhotel von Welzenbacher: In einem solchen Umfeld einen Erweiterungsbau zu realisieren, der nicht das gesamte Grünareal „auffrisst“, der den Welzenbacher nicht tangiert, der ja im Gegenteil frei gelegt und im ursprünglichen Zustand wieder hergestellt werden sollte, gleichzeitig aber eine Verbindung zwischen Neubau, Welzenbacher und Kurmittelhaus zu schaffen, das war das Kunststück. Und erschwerend kam dann noch dazu, dass eine gewaltige Erweiterung der städtischen Tiefgarage unter dem Parkareal gefordert war.

Dass das alles geht, davon kann man sich jetzt überzeugen. Noch ist das Kurmittelhaus zwar eingerüstet, weil es geputzt wird, und die Grünanlagen, die durch den Tiefgaragenbau ziemlich gelitten haben, sind erst im Entstehen (Grünplanung: Auböck/Karasz), aber dass hier ein ausgesprochen spannendes Gebäudeensemble entstanden ist, darüber lässt sich nicht streiten.

Der Turm neben dem Turm: der neue rund, 23 Meter hoch und fast schwarz; der alte quadratisch, niedriger und ganz weiß. Und alles verbunden durch ein Sockelbauwerk, das im Neubau ins ansteigende Gelände eingebettet ist und bis hinunter zum Kurmittelhaus in einer großzügigen, aber nicht aufdringlichen Geste alle Bauten verbindet.

Henke[*]Schreieck haben das neue Haus konisch geplant, ein bisschen wie einen Trichter, der sich nach oben verbreitert und rundum verglast ist. Und diese Verglasung wiederum ist eingepackt in ganz regelmäßig geschichtete Lamellen, die die Rundung erst herstellen, denn die Glashaut selbst konnte aus ökonomischen Gründen natürlich nicht gebogen sein; gleichzeitig dienen die Lamellen der Beschattung und dem Sichtschutz.

Die verglaste Fassade macht die Zimmer von der Decke bis zum Boden vollkommen auf - der Ausblick ist in alle Richtungen sensationell, ob man jetzt die Nordkette oder die Altstadt von Hall oder auch den Welzenbacher vor Augen hat. Auf diesen visuellen Mehrwert wollte man einfach nicht verzichten, noch dazu, wo man ja auf Balkone bewusst verzichtet hat, um den Welzenbacher-Bau, dessen Charakteristikum die Balkone sind, auf keinen Fall zu konkurrenzieren.

Die Hotelzimmer im Neubau haben durch die runde Gebäudeform eine Art „Tortenstück“-Zuschnitt. Das klingt vertrackter, als es tatsächlich ist: Dadurch, dass sich jedes Zimmer zur Aussicht, zum fantastischen Panorama hin öffnet, erweitert sich der Innenraum sozusagen virtuell. Im Welzenbacher-Haus bedurfte es da schon größerer Anstrengungen, um auf einen Standard zu kommen, der einer heutigen Vier-Sterne-Kategorie entspricht. Denn da musste man in einer Drei-Zimmer-Abfolge jeweils das mittlere Zimmer streichen und für räumlich versetzte Badezimmer nutzen.

Das alte Parkhotel hat dem Bauherrn und den Architekten überhaupt einiges aufzulösen gegeben. Ursprünglich wusste ja gar niemand wirklich etwas mit diesem wunderbaren Zeugnis einer regional infiltrierten, gleichwohl internationalen Moderne anzufangen. Die Stadt Hall hat es zwar gekauft - aber was tun damit? Es waren Architekten, nämlich Inge Andritz, Feria Gharakhanzadeh und Bruno Sandbichler, die bei der Stadt vorstellig wurden, um auf die Bedeutung des Welzenbacher-Hauses aufmerksam zu machen. Konsequenz ihrer Initiative war ein EU-weites Auswahlverfahren und ein Wettbewerb unter 15 Teilnehmern. Den hat allerdings das Team Wiederin-Konzett gewonnen, das einen nur viergeschoßigen Neubau vorschlug, der aber entsprechend mehr Grundfläche im Park verbraucht hätte, weil sich ja am Umfang des Programms nichts geändert hat. Henke[*]Schreieck waren damals Zweite. Das Hauptproblem beim Projekt von Wiederin-Konzett war, dass sie die Verbindung der einzelnen Baukörper ausschließlich unterirdisch geplant hatten und davon auch nicht abgerückt sind. Während der Betreiber - verständlicherweise - argumentierte, dass eine Tunnelverbindung für ein Vier-Sterne-Hotel nicht zumutbar sei und es obendrein eine Restaurantlösung geben müsse, die alle Bauten gleichermaßen bedient und obendrein für ein externes Publikum attraktiv ist, sind doch die Haller früher auch ins Parkhotel speisen gegangen.

Bevor Henke[*]Schreieck, als ursprünglich Zweitgereihte, den Auftrag akzeptierten, bestanden sie auf einer neuerlichen Jury-Sitzung, bei der die verschiedenen Standpunkte, natürlich vor allem der Betreiber, gehört wurden. Erst dann kam es zur jetzigen Lösung.

Wie schwierig die Sanierung des Welzenbacher-Hauses werden sollte, war zu diesem Zeitpunkt noch nicht abzusehen. Die Zimmer waren heutigen Anforderungen anzupassen, so viel war klar. Aber kein Mensch konnte ahnen, dass etwa die Bewehrung in den Balkonplatten auf der falschen Seite lag, dass sie statisch nicht sicher waren. Da war ein ungeheurer Aufwand nötig - und der wurde immer größer, wo immer man auch hingefasst hat.

Das ist aber jetzt alles geschafft. Man weiß beim besten Willen nicht, was man jemandem raten soll: im Welzenbacher zu logieren oder im Neubau. Ich habe im Neubau gewohnt, mit Blick auf die Nordkette, den Welzenbacher habe ich besichtigt, immer und immer wieder. Ich habe die feinen, sehr, sehr feinen Eingriffe von Henke[*] Schreieck bewundert, etwa wie sie die viel zu niedrigen Geländer im Stiegenhaus „aufgedoppelt“ haben, ohne den Charakter zu zerstören. Und ich muss sagen, dass die Abfolge Hotelhalle - Bar - Frühstücksraum - Restaurant, allem vorgelagert eine großzügige Terrasse mit Restaurantbetrieb, aufs selbstverständlichste funktioniert. Es ist immer ein gutes Zeichen, wenn man nicht darüber nachdenkt, wie es einmal war, wie es hätte sein können. Solche Fragen stellen sich beim Parkhotel gar nicht. Nein, was man als Eindruck mitnimmt, kann nur sein: So ist es, und anders soll es gar nicht sein.

Spectrum, Fr., 2003.06.27



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Parkhotel, vormals Turmhotel Seeber

24. Mai 2003Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Flanieren durch den Alltag

Glas, Metall und Licht: das ist die knappe Formel, auf die sich die Neugestaltung des Grazer Volkskundemuseums bringen lässt. Verantwortlich dafür: das Wiener Büro BEHF.

Glas, Metall und Licht: das ist die knappe Formel, auf die sich die Neugestaltung des Grazer Volkskundemuseums bringen lässt. Verantwortlich dafür: das Wiener Büro BEHF.

In Zeiten der Star-Mania haben es Volkskundemuseen schwer. Denn sie gehen mit dem um, was eben nicht spektakulär und Highlight war und ist, sie beschäftigen sich mit dem Alltag. Und das ist ein Forschungsgebiet, das nicht so einfach und ohne gedankliche Arbeitsleistung des einzelnen Besuchers fruchtbar wird, schließlich bedarf es dafür nicht nur eines einfühlsamen Blicks, sondern vor allem der Analyse, der Reflexion.

Dieser Tage hat das Volkskundemuseum in der Europäischen Kulturhauptstadt Graz wieder aufgesperrt. Nach 17 Jahren, in denen wohl der Sammlungs- und Forschungsbetrieb aufrecht blieb, in denen es aber keine öffentliche Präsentation gab, hat auch das Publikum wieder Zutritt.

Vorweg: Der Ort hat seine magischen Kräfte. Er liegt am Osthang des Schlossberges, in der denkmalgeschützten, fast schon heiligen Zone von Graz. Man geht die steile Sporgasse hinauf, und dann ist man auch bald da: bei einer barocken Klosteranlage mit Kirche und einem Zubau aus den Dreißigerjahren, alles zusammen ein stimmungsvolles Ensemble, wie man es sich nicht besser, nicht angemessener wünschen könnte. Die Kirche blieb unberührt. Aber das Kloster, der Zubau und das sogenannte Stöckelgebäude waren 1998 Gegenstand eines Wettbewerbes, bei dem es um die Adaptierung der nicht ganz unproblematischen Bausubstanz für einen zeitgemäßen Museumsbetrieb ging. Es war ein mehrstufiges Verfahren, das am Ende das Wiener Büro BEHF gewonnen hat. Verantwortlicher Projektarchitekt: Erich Bernard.

Die Struktur der alten Substanz dürfte eher entmutigend gewesen sein: Klosterzelle an Klosterzelle, später als Spital genutzt; und der Zubau - zwar Architektur, aber eine recht konservative, eine, die in ihrem formalen Ausdruck in irgendwelchen diffusen Traditionen verwurzelt scheint. Wobei damit schon wieder ein Problem angedeutet ist, das für die ganze Volkskunde gilt - oder zumindest für den Geruch, der ihr heute anhaftet: Irgendwo wohnt ihr ein beharrendes Moment inne, etwas Rückwärtsgewandtes, das nicht einfach nur historisches Interesse signalisiert, sondern dem nach wie vor auch das Odium des Reaktionären innewohnt.

Erich Bernard jedenfalls hat seinen Beitrag geleistet, um einen architektonischen Raum zu schaffen, der solchen Vorbehalten entgegenwirkt. Er ist dabei ausgesprochen respektvoll mit der Substanz umgegangen. Nach außen werden die Maßnahmen zwar sichtbar, sie bleiben aber diskret. Sie (zer-)stören das Ensemble nicht, aber als Aufforderungsgeste erreichen sie ihren Adressaten. Und darum geht es schließlich: um die Öffnung einer Institution, die sich in Zukunft sehr anstrengen muss, um (jenseits von Schulklassen) Besucher zu finden. Die äußere Erscheinung der Bausubstanz wurde weitestgehend respektiert. Im Grund hat man sich mit Farbe beholfen: Die diversen gelben „Unter“-Töne (bis zum Schönbrunner Gelb), in denen das Ensemble davor geschillert hat, wurden eliminiert - zu Gunsten eines neutralen, angenehm leuchtenden Weiß. Das überzieht außen jetzt alles - bis hin zur Gartenmauer. Und es kehrt drinnen wieder, allerdings in diversen Schattierungen - vom hell beschichteten Fußboden über gebrochen weiße Wände bis zur weißen, abgehängten Decke, hinter der sich die Installationen verbergen.

Ein paar wesentliche architektonische Eingriffe geben den Ausschlag: Kassenraum und Shop sind im Stöckelgebäude situiert (hier befindet sich, unsichtbar für das Publikum, auch die Verwaltung). Man löst seine Karte, überquert den Hof und betritt dann erst das Museum. Das hört sich verschwommener, unklarer an, als es ist. Denn in Wirklichkeit überblickt man die Situation auf Anhieb, nicht zuletzt, weil die gläserne Brückenröhre, die im Obergeschoß den Hof überspannt, ein deutliches Signal setzt. Aber vor allem, weil sowohl Kassen- als auch Eingangsbereich eindeutig, offen, transparent artikuliert sind.

Der Architekt bringt seine Maßnahmen auf eine knappe Formel: Glas, Metall und Licht - und unter dem Strich ist das wirklich der gemeinsame Nenner aller seiner Interventionen. Es gab dafür allerdings auch eine räumliche Vorbedingung, die er erst erfüllen musste - die Zellenstruktur musste weg. Und das ist wunderbar gelungen. Die Trennwände sind beseitigt, auch von der Mittelmauer stehen nur mehr Pfeiler, und um die herum sind die Hauptvitrinen gebaut, hinterleuchtete, gläserne Behälter, die man selbst ohne den Zwang der Mittelmauer nicht besser hätte platzieren können.

Die ursprüngliche Situation - ein Erschließungsgang, von dem man die Klosterzellen betritt - ist zwar irgendwie noch zu ahnen, gleichzeitig vergisst man aber darauf. Denn sie ist so geschickt in die museologische Aufbereitung integriert - der rasche Überblick im ehemaligen Gang, das einzelne Schauobjekt im Hauptraum -, dass sich die Logik dieser Präsentation von selbst in den Vordergrund spielt.

Obwohl: So exakt ist dieses Konzept gar nicht durchgezogen, es ist eher eine Art Leitgedanke mit angenehmen Unschärfen und Überlappungen. Das heißt, als Besucher wird man nicht unangenehm belehrt, die Präsentation hat nichts didaktisch Überfrachtetes, im Gegenteil, atmosphärisch dominiert wohltuende Selbstverständlichkeit.

Architektonisch wichtig sind die signifikante gläserne Brückenröhre und ein zweiter, viel bescheidener materialisierter Brückensteg, die beide Gebäude im Obergeschoß verbinden. Also kann man jetzt richtige Ausstellungsrundgänge machen, vom alten Kloster hinüber in den Trachtensaal im Obergeschoß des Dreißigerjahre-Bauteils - darunter, auf der Erdgeschoßebene, liegt ein Veranstaltungs- oder auch Wechselausstellungssaal - und zurück. Das ist gefühlsmäßig für den Besucher entscheidend: Intuitiv möchte man im Museum keine Sackgassen, keine Einbahnstraßen begehen, man möchte nach Belieben flanieren, seine individuelle „Runde drehen“.

Das Volkskundemuseum in Graz ist nicht groß. Es muss mit 1025 Quadratmetern Ausstellungsfläche auskommen. Das bedeutet für die Eröffnungsschau, dass vielleicht 600 Objekte zu sehen sind, ausgewählt aus einem Bestand von rund 50.000 Objekten. Es ist ein kleines, aber ein unheimlich feines Museum. Und die Art, wie die Ausstellungsobjekte ausgewählt und präsentiert sind - es geht für dieses Mal um das Thema Wohnen-Kleiden-Glauben - ist sehr beeindruckend. Für die Zukunft ist daran gedacht, die ständige Sammlung im Halbjahresrhythmus zu wechseln, einfach um die Grazer mehrmals ins Museum zu holen.

Noch ein (laienhafter) Nachsatz: Wir bewundern die afrikanischen, die asiatischen Masken, wir bewundern Gebrauchsgegenstände aus fernen Ländern. Und unsere Volkskunst? Gehen Sie ins Grazer Volkskundemuseum. So schöne Masken, so schöne Gebrauchsgegenstände. Und: Wir wissen es nicht. Es ist uns die Qualität der eigenen Tradition nicht bewusst. Also: Auf in die Paulustorgasse 11-13a!

Spectrum, Sa., 2003.05.24



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Volkskundemuseum Graz

27. April 2003Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Schräg am Gartel

Wie man Licht und Sonne in Wohnungen und zugehörige Freibereiche bekommt und trotzdem Privatheit wahrt: Anschauungsbeispiel Leberberg von Geiswinkler & Geiswinkler Architekten.

Wie man Licht und Sonne in Wohnungen und zugehörige Freibereiche bekommt und trotzdem Privatheit wahrt: Anschauungsbeispiel Leberberg von Geiswinkler & Geiswinkler Architekten.

Was da so silbrig schimmert am Rand der Leberberg-Bebauung in Wien, das ist eine Wohnanlage, der man auf den ersten Blick gar nicht ansieht, dass sie im Rahmen der herrschenden Baubestimmungen etwas Besonderes ist - nämlich Geschoßwohnungsbau (Bauklasse 3) in Holz-Leichtbauweise, wofür es in der Bundeshauptstadt einer Sondergenehmigung bedarf. Geiswinkler & Geiswinkler Architekten haben diese Sondergenehmigung (mit einigen Auflagen) bekommen und diese Chance auch genutzt: Sie führen höchst überzeugend vor, dass der industriell vorgefertigte Holzbau, die Tafelbauweise, eine Technologie der Zukunft ist.

In Vorarlberg müsste man das nicht mehr beweisen, da gibt es längst ausgetüftelte Systeme. Aber in Wien bedeutet ein solches Unterfangen Pionierarbeit. Die Geiswinklers haben schon vor Jahren, bei ihrem Kindergarten, auf diese Bauweise gesetzt. Dass sich der Bauträger am Leberberg, das „Neue Leben“, noch unter seinem früheren Direktor Klemen, darauf eingelassen hat, zeigt wieder einmal, was in den eingefahrenen Bahnen des geförderten Wohnbaus zu bewegen wäre, wenn auf Bauherren-Seite nicht gar so fest gefahrene Vorstellungen darüber herrschten, was ankommt und was nicht. „Gott sei Dank gibt es in der Architektur diese Regeln nicht“, geben sich die Geiswinklers erleichtert: „Es gibt nicht richtig oder falsch. Es stimmt auch nicht, wie das manche Bauträger behaupten, dass die Leute keine Maisonetten wollen. Man könnte sogar Turmhäuser bauen. Was wirklich zählt im Wohnbau, in der Architektur allgemein, das ist immer noch: Ist es gut oder schlecht.“

Ist es gut oder schlecht? Die Antwort, die Geiswinkler & Geiswinkler Architekten geben, hat eine feine Analyse zur Voraussetzung. Sie haben sich gefragt, was man bieten muss, um Menschen den Entschluss zu erleichtern, auf den Leberberg zu ziehen - schließlich ist das eines der problematischen Wiener Stadterweiterungsgebiete: unheimlich dicht bebaut, verkehrstechnisch ganz schlecht angeschlossen an das innere Stadtgebiet.

Die Antwort der Geiswinklers: Wenn ausnahmslos jeder Wohnung ein Freibereich zugeordnet ist, der mehr kann als der simple Balkon, die Terrasse, die Loggia. Es ging also um einen Freiraum-, einen Grünbezug, der nicht nur Alibifunktionen erfüllt. Bei den heutigen städtebaulichen Dichten ist das ein ziemlich schwieriges Unterfangen. Man sieht es daran, dass das Grundstück ursprünglich einem anderen Bauträger gehört hat, der einen anderen Architekten beauftragt hatte. Und der hat über 9000 Quadratmeter Nutzfläche erzielt. Dann hat das „Neue Leben“ das Grundstück übernommen, und die Geiswinklers haben einen Vorschlag gemacht. Der umfasst allerdings nur 5400 Quadratmeter Nutzfläche - sicher ganz im Interesse der künftigen Bewohner.

Die Anlage umfasst einen quer stehenden Nord-Süd-Riegel und drei Riegel, die ost-westorientiert sind. Die Haupterschließung führt zu einem zentralen Anger - mit drei Brunnen des Vorarlberger Künstlers Fridolin Welte in Beton, Stahl und Holz und einer Obstbaum-Bepflanzung: Kirsche, Apfel, Birne, Zwetschke.

Was einem hier, am Anger, zum ersten Mal so richtig auffällt, das ist die Lösung der Gärten zu ebener Erde: Sie sind durch Mauern gefasst und haben auch einen direkten Eingang vom Seitenweg her. Er führt durch einen überdachten Bereich zum offenen Vorgarten. Das Niveau der Gärten ist etwas höher. Das heißt, man sieht hinaus, aber vom tiefer liegenden Weg draußen nicht hinein. Das nennt man Privatheit.

Dieses Gebot der Privatheit war überhaupt ausschlaggebend für die Gesamtlösung. Die Hausfassaden kippen um acht Grad nach hinten. Das ist kein modisches Aperçu im Zeichen der Schräge, sondern eine Maßnahme, die zur Folge hat, dass man im Garten steht und über sich nichts hat, dass man sich wie im Vorgarten eines Reihenhauses fühlt. Die Maßnahme ist übrigens doppelt codiert: Sie relativiert auch die ziemlich engen Abstände innerhalb der Bebauung.

Beim Städtebau der Geiswinklers geht es eindeutig darum: Wie kriege ich Licht und Sonne überall hin. Und es geht um das Thema Privatheit. Heute wird so viel über das Thema Flexibilität geredet, auch im Wohnbau. Es werden Wohnbauten errichtet, die es ermöglichen, dass man je nach Bedürfnislage auch einmal das eine oder andere Zimmer der einen oder anderen Wohnung zuschlägt. Hier geht das nicht, es würde das Konzept der „Privatheit“ zerstören. Denn wenn man plötzlich hergeht und ein Zimmer der Nebenwohnung einer anderen Wohneinheit anschließt, dann würde der Bewohner seinen Nachbarn ja in den Garten schauen. Also, das geht nicht. Die Geiswinklers haben dieses Problem trotzdem gelöst: Sie haben mit den überdachten Bereichen zu ebener Erde, auch mit den gedeckten Dachbereichen, alle durch einen eigenen Zugang erschlossen, potenzielle Erweiterungsmöglichkeiten geschaffen. Es geht ganz leicht, aus diesen zusätzlichen, auch jetzt schon „gedeckten“ Bereichen, winterfeste Räume zu machen. Apropos Tafelbauweise: Man muss nur die einzelnen Elemente abschrauben, eine Wärmedämmung hineingeben, und dann - voilà - braucht man die Raumeinheiten nur noch zu schließen, einen eigenen Eingang haben sie sowieso.

Das Wohnungsangebot ist in dieser Anlage hinsichtlich der Größe an den Möglichkeiten im sozialen Wohnbau orientiert. Die Mehrzahl der Wohnungen umfasst zirka 80 Quadratmeter. Wenige haben über 100. Aber die haben dann auch zwei Dachterrassen. Und im Nord-Süd-Riegel gibt es erdgeschoßig Behindertenwohnungen, die nur auf einem Level und natürlich barrierenfrei abgewickelt wurden. Das Haus darüber ist dann so zoniert: unten die Behindertenwohnungen, darüber Maisonetten mit Garten, noch darüber Maisonetten mit Dachgarten.

Von diesem Standort, vom Dachgarten des Nord-Süd-Riegels, überblickt man dann auch die unheimlich aufgeräumten Dachflächen der Geiswinklers: Jeder Wohnung ihr Schacht und ansonsten - eine glatte Fläche. Mehr nicht. Weniger nicht.

Es gäbe viel zu den verschiedenen Grundrissen anzumerken. „Wir haben nie auf schräge Wände, spitze Winkel und Rampen gesetzt“, stellen die Geiswinklers klar: „Wenn man nur 80 Quadratmeter zu Verfügung hat, dann muss man alles sehr genau einteilen, und man muss immer im Auge haben, dass es darum geht, größer zu wirken, als man tatsächlich ist.“

Kein Mensch würde auf die Idee kommen, dass, was da an der Wohnanlage auf dem Leberberg ziemlich silbrig schimmert, Holz-Tafelbau ist: die Laminatplatten an der Fassade. In Beton ist der Liftturm ausgeführt, der mit Röhren an den Nord-Süd-Riegel angekoppelt und die Queraussteifung für den ganzen Baukörper ist. Aber das sind konstruktive Details der profilierten Statiker Gmeiner & Haferl. Komischerweise wird bei den Statikbüros heutzutage am meisten gespart. Das ist ein Fehler. Geiswinkler & Geiswinkler Architekten konnten glücklicherweise „ihr“ Statikbüro einbringen, das war auch entscheidend.

Spectrum, So., 2003.04.27



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Gartensiedlung – Am Hofgartel

05. April 2003Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Zeigen wir's doch her!

Spektakulär, der Lift auf den Mönchsberg, den Roman Delugan und Elke Delugan- Meissl entworfen haben. Nicht weniger spektakulär und schon fertig: ihr nobles Wohnhaus in Wien-Favoriten.

Spektakulär, der Lift auf den Mönchsberg, den Roman Delugan und Elke Delugan- Meissl entworfen haben. Nicht weniger spektakulär und schon fertig: ihr nobles Wohnhaus in Wien-Favoriten.

Es ist ein ziemlich lautes Signal, welches das Wohnhaus von Delugan-Meissl am Paltramplatz in Wien-Favoriten in seine Umgebung morst. Aber es hat einen wirklich guten Klang. Denn die Platzfronten mit ihrer sehr unterschiedlichen Bebauung - teils fragwürdige Architektur aus den letzten Jahren, teils Gründerzeit - können einen starken Akzent durchaus brauchen. Der ganze Platz, mit einem durch monströse Kinderspielgeräte fürchterlich verhüttelten Beserlpark in der Mitte, wird spannender durch den Neubau. Er bringt so etwas wie großstädtische Eleganz ins eher graue, auch etwas abgewirtschaftete Favoritner Einerlei.

Das Haus ist eine Eckverbauung. Und wenn man an die Tradition der markanten „Wiener Ecken“ denkt, dann fügt es sich mit seiner auffälligen Haltung in diese zu Unrecht vernachlässigte Praxis bestens ein. Was man von außen sieht, ist ein fast schwarzes Gebäude mit einem leuchtend gelben, verglasten Eingangsbereich, einer durch raumhoch verglaste Wintergarten-Boxen, die sich leicht aus der Gebäudehaut heraus schieben, unregelmäßig „gemusterten“ Fassade und oben drauf einer schwungvollen, schräg über Eck vorstehenden Hutkrempe aus gelochtem Stahlblech.

Das Haus enthält 22 geförderte Mietwohnungen - und dem Bauträger muss man ein Kompliment dafür machen, dass er sich auf dieses eindeutig jenseits der Norm angesiedelte Konzept eingelassen hat. Man muss aber auch sagen, dass es den Bewohnern zweifellos einen qualitativen Mehrwert bringt. Denn hier, im dicht verbauten städtischen Gebiet, ist es natürlich schwierig, den Mietern die heute so gefragten Freibereiche zu bieten. Auskragende Balkone waren nicht erlaubt und wären in diesem Umfeld auch deplatziert. Die Lösung mit den eingeschobenen Wintergarten-Boxen, die bis auf Brüstungshöhe fix verglast sind und darüber eine klapp- und schiebbare Verglasung haben, so dass sie sich in der warmen Jahreszeit eben doch in offene Balkone verwandeln lassen, bringt vom Nutzwert her mehr.

Man merkt dabei, vor allem im Winter, dass sich manche Bewohner mit dem einfach verglasten Wintergarten-Konzept erst vertraut machen müssen. Auf dem Land kennen die Leute sie noch, die „kalten“ Veranden, die aber bei Sonnenschein viel Wärme bringen. In der Stadt hat man darauf vergessen. Und so kommt es, dass so mancher seine nasse Wäsche zum Trocknen in den Wintergarten stellt und sich dann wundert, dass er Kondenswasser an der Verglasung hat - was man von der Straße natürlich sieht. Aber einmal ordentlich lüften, und es ist wieder weg.

Platziert sind die Wintergärten jeweils zwischen zwei Zimmern, sie stehen 60 Zentimeter aus der Fassade heraus, nur da, wo sie sich unmittelbar neben den angrenzenden Wohnhäusern befinden, durften es lediglich 15 Zentimeter sein. Die äußere Rahmung der Verglasung besteht aus dunklem Stahlblech, Ton in Ton mit der fast schwarzen Fassadenhaut aus Zementfaserplatten, drinnen sind die Wintergärten holzverkleidet, in einem sehr warmen, freundlichen Ton.

Im obersten Geschoß - auch hier sind die Zimmer außen raumhoch verglast - gibt es Terrassen, oben drüber, auf dem Dach, sind dann noch eine Sauna und ein gemeinschaftlicher Terrassenbereich.

Wie immer bei Delugan-Meissl ist viel Überlegung in die Grundrisse geflossen. Das Angebot ist dementsprechend breit gefächert und durch Schiebe-Elemente (keine Unterzüge!) zu einem großzügigen Raumkontinuum erweiterbar, ohne dass man deswegen auf die herkömmliche Zimmergliederung verzichten müsste. Vor allem bei der kleinsten Wohneinheit - etwa 56 Quadratmeter - macht sich das sehr angenehm bemerkbar. Es ist einfach nicht eng.

Man sieht an diesem Haus, dass es sich im Wohnbau immer noch lohnt, über Konzepte nachzudenken. Wenn man die städtebauliche Situation am Paltramplatz betrachtet und die limitierten Möglichkeiten einer solchen Eckverbauung, dann würde man sicher nicht darauf kommen, dass sich hier mehr realisieren lässt als eine konventionelle Aneinanderreihung von Zimmern. Da muss man schon ziemlich „experimentell“ denken. Und gerade in dieser Hinsicht hat das Haus am Paltramplatz eine besonders reiche Vorgeschichte.

Denn ursprünglich sollte es ein Boarding-House werden, das einiges Aufsehen erregt hätte. Delugan-Meissl hatten ihr Konzept „Swatch-Haus“ genannt. Im Wesentlichen hätte es aus einem Modulsystem bestanden, das auf Kleinwohnungen für Kurzzeitmieter basierte, die aber sehr variabel und flexibel angelegt waren, so dass im Endeffekt ganz unterschiedliche Grundrisse und Wohnungstypen realisierbar gewesen wären. Die Architekten haben dafür ein eigenes „Wandmöbel“ entwickelt, in dem nach dem Prinzip des Drehens, Klappens, Schiebens ein überraschendes Spektrum von Funktionen aufgehoben war: vom Bett über die Küche und das Bad bis zum WC. Dieses sogenannte „Mobile“ war auch variabel bestückbar geplant, je nach Bewohnerwunsch.

Der eigentliche Clou aber war: Jeder Gast hätte nicht nur eine Wohneinheit gemietet, sondern ein Auto - gedacht war an einen „Smart“, also einen Kleinstwagen - gleich dazu. Und dieses Auto wäre nicht etwa in einer Tiefgarage gestanden. Die Gäste hätten es vielmehr via gläsernen Paternoster mitgenommen.

Das ist auf den ersten Blick sicher eine verrückte, scheinbar sogar zynische Idee. Wenn man sich das Konzept aber ernsthaft überlegt, dann muss man wohl doch einräumen: So falsch liegt es gar nicht. Denn es gibt sie bestimmt, die Großstadt-Nomaden, die sich nur ein paar Wochen oder Monate in einer Stadt aufhalten und ein solches Angebot zu schätzen und damit umzugehen wissen. Der Investor hat seinerzeit damit argumentiert, dass Favoriten kein Standort für ein solches Experiment ist - das lässt sich nicht ganz von der Hand weisen.

In diesem Projektstadium hatte das Haus übrigens noch eine Glasfassade. Es wäre auch von außen nachvollziehbar geworden, dass drinnen nomadisch, mobil gelebt wird. Ein faszinierender, ein ausgesprochen reizvoller Gedanke - Rubrik gebaute „Großstadtpoesie“.

Es gab dann noch ein zweites Projektstadium, das auf Grund seiner Fassadenlösung bemerkenswert war. Delugan-Meissl hatten damals schon das Wintergarten-Konzept als wichtigen Bestandteil des neuen Wohnhaus-Programms. Zur fast spielerischen „Musterung“ der Gebäudehaut durch die großen Verglasungen, durch Eckfenster und Fensterbänder wäre aber noch eine ganz entscheidende Qualität hinzugekommen: Das Haus sollte eine Energiefassade erhalten, vor die eine „grüne Hülle“ gespannt worden wäre.

In diese Überlegung ist viel Entwicklungsarbeit geflossen, an der nicht nur ein Schichtplattenhersteller, sondern auch Spezialisten der Technischen Universität Wien beteiligt waren. Ergebnis war eine Fassade aus organischen Schichtstoffplatten, Sandwich-Elemente, die ein Röhrensystem aus Kupfer enthalten und Sonnenenergie speichern. Die Energie wäre zur Warmwasserbereitung genutzt worden. Dieser dunklen Schichtstoffplatten-Haut vorgelagert war dann noch ein Rankgerüst aus Stahl, so dass das Haus von unten bis oben begrünt gewesen wäre.

Man sieht es dem Eckhaus am Paltramplatz zwar an, dass es etwas Besonderes ist, dass es eine so aufwendige Entwicklungsgeschichte hat, erzählt es natürlich nicht. Was sich nach außen ausdrückt, das ist die Vielfalt der Grundrisse. Denn die bewegte Unregelmäßigkeit in der Gebäudehülle kam nur dadurch zu Stande.

Was sich noch nach außen ausdrückt, das ist die formale Delikatesse, mit der hier ein einfallsreiches Konzept materialisiert wurde. Delugan-Meissl setzten dabei keineswegs auf teure, aufwendige Materialien. Im geförderten Wohnbau ginge sich das auch gar nicht aus. Aber die dunkelanthrazit durchgefärbten Holzfaserzementplatten an der Fassade vermitteln trotzdem eine Noblesse, die hier, im „Arbeiterbezirk“ Favoriten, durch ihre Zurückhaltung genauso richtig ist, wie sie das in einem innerstädtischen Bereich wäre.

Schön ist auch, dass das Gebäude ein so deutliches Unten und Oben hat. Unten das räumlich ganz bescheidene Foyer, in das man über eine sehr flache Rampe, mit der das Platzgefälle abgefangen wird, hineinkommt. Es ist voll verglast und durch seinen gelben Wandanstrich nicht nur weithin sichtbar, es verbreitet auch eine geradezu einladende Fröhlichkeit.

Und oben drauf die ungemein markante Lochblech-Überdachung. Die hat eine Botschaft, die zwar allen Gebäuden innewohnt, aber die wenigsten sprechen es so deutlich aus: Hier ist das Haus zu Ende, zeigen wir das doch her.

Spectrum, Sa., 2003.04.05



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Wohnbau Paltramplatz

01. Februar 2003Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Schiefer, der Musik macht

Die Vorgaben waren rigoros, sowohl in bezug auf die Kosten wie auch in bezug auf die Nutzungsqualitäten. Johann Obermoser und Helmut Reitter brachten bei der Innsbrucker Zentrale der Bank für Tirol und Vorarlberg hohe Dichte und atmosphärische Großzügigkeit unter einen Hut - mit einem städtebaulichen Trick.

Die Vorgaben waren rigoros, sowohl in bezug auf die Kosten wie auch in bezug auf die Nutzungsqualitäten. Johann Obermoser und Helmut Reitter brachten bei der Innsbrucker Zentrale der Bank für Tirol und Vorarlberg hohe Dichte und atmosphärische Großzügigkeit unter einen Hut - mit einem städtebaulichen Trick.

Die Gegend ist ziemlich unwirtlich, aber das Gebäude kann sich gerade in diesem Umfeld und trotz der problematischen Umfeldbedingungen wirklich sehen lassen. Die Tiroler Architekten Johann Obermoser und Helmut Reitter haben hier, am Langen Weg in der Innsbrucker Reichenau, das neue, wenn auch nur „temporäre“ Domizil der Zentrale der Bank für Tirol und Vorarlberg errichtet. Gleich daneben: Innsbrucks meist befahrene Kreuzung. Und daher: viel, viel Lärm und keine gute Luft. Und doch merkt man drinnen im Haus praktisch nichts davon.

Das Haus hat eine Vorgeschichte. An sich war die Zentrale der BTV bisher in der Innsbrucker Innenstadt. Und zwar in einem beziehungsweise eigentlich mehreren Altbauobjekten, die miteinander verbunden sind. Dieser Unternehmenssitz bedurfte nun dringend der Sanierung. Das Problem war: Wohin in der Umbauzeit? Als Lösung bot sich das Grundstück am Langen Weg an. Erstens, weil es der Bank bereits gehörte, und zweitens, weil sich gleich im Anschluß eine Dependance des Unternehmens befindet. Architektonisch attraktiv ist diese Zweigstelle mit ihrer Waschbetonfassade zwar nicht, aber hier zwischen Alt und Neu eine Verbindung herzustellen, die womöglich auch dem „Alt“ etwas bringt, lag irgendwie auf der Hand.

Man griff zum Mittel des Wett-bewerbs, um Lösungsvorschläge zu erlangen. Dabei waren die Vorgaben relativ rigoros - und zwar sowohl hinsichtlich der zulässigen Kosten als auch in bezug auf die Nutzungsqualitäten. Es sollte ein Low-Budget-Projekt sein, denn die Bank will selbst ja nur während der drei Jahre Umbauzeit für den Altbau dort bleiben, danach soll das neue Haus verwertet werden. Das hatte natürlich auch innenräumlich gewisse Konsequenzen. Denn es wurden zusammenhängende Büroflächen einer bestimmten Größenordnung - zwischen 250 und 300 Quadratmetern - gebraucht. Es hatte aber auch Folgen für die technologische Seite des Gebäudekonzepts: High-Tech-Lösungen waren nicht gefragt, man wollte vielmehr ein Haus, das zwar flexibel, aber auch leicht zu handhaben ist.

Johann Obermoser und Helmut Reitter haben mit ihrem Vorschlag diesen Bedingungen optimal entsprochen. Denn er bringt die erstaunlichsten Gegensätze wie selbstverständlich „unter einen Hut“. Es war große Dichte gefragt, natürlich wollte der Bauherr sein Grundstück optimal ausnutzen. Es war aber auch Großzügigkeit gefragt, das architektonisch-räumlich Besondere. Auch in Innsbruck stagniert der Büroflächen-Markt. Die Nachfrage steigt nicht, es herrscht eine Art Verdrängungswettbewerb, den derjenige für sich entscheidet, der bei „üblichen“ Preisen mehr bietet. Nicht zuletzt ging es aber auch um die atmosphärischen Qualitäten, um die ganz pragmatischen Arbeitsbedingungen im Haus. Es sollte hell und freundlich und offen sein, es sollte klimatisch funktionieren, und vor allem sollten der Lärm und die Abgase des Verkehrs vor der Haustür möglichst draußen bleiben.

Die Königsidee von Obermoser und Reitter ist eigentlich städtebaulicher Natur. Denn im Gegensatz zu den meisten anderen Wettbewerbsteilnehmern haben sie ihr Gebäude nicht entlang der Straße entwickelt, sondern in zwei Einheiten geteilt, die nun im rechten Winkel zum Straßenverlauf stehen. Und über diese beiden Büro-Baukörper und bis hinüber zum anschließenden Altbau haben sie eine vereinheitlichende zweite Haut gezogen, sodaß zwischen den beiden Bürotrakten ein großes überdachtes Atrium mit 19 Metern Spannweite entsteht und zum Altbau hin noch ein zweites, kleineres mit sieben Metern Spannweite.

Klar, daß unter solchen Voraussetzungen die Bürogeschoße selbst relativ dicht genutzt werden können. Das fällt gar nicht auf, atmosphärisch ist das nicht wirksam. Denn jeder, der hier arbeitet, hat ja ständig die räumliche Großzügigkeit dieser - übrigens nicht mit Glas, sondern mit einer sehenswerten Leimbinderkonstruktion überdachten - Atrien vor Augen. Das mit der Großzügigkeit ist aber wörtlich gemeint. Die beiden Bürokomplexe sind nämlich so transparent, daß sich immer Durchblicke ergeben, die über das eigene Territorium hinausweisen. Und das vermittelt erfreuliche Weltoffenheit.

Beim Rundgang durch das Haus hat mir eine kleine Nebenbemerkung des Direktors der BTV gezeigt, daß der Eindruck, jeder einzelne, der hier arbeitet, wisse dieses räumliche Konzept zu schätzen, nicht bloß Wunschprojektion eines Besuchers ist. Zwischen den beiden Bürokomplexen wird die Verbindung geschoßweise mit Brücken hergestellt, die auch als „Pausenflächen“ genutzt werden. Und zwischen den einzelnen Geschoßen gibt es dann kurze, eher „interne“ Treppenverbindungen, aber auch eine „große“, mehr öffentliche Treppenlösung. Der Direktor sagt, seine Mitarbeiter benutzen fast ausschließlich die „große“ Treppe, weil sie sich einfach nicht selbst um die Freude des räumlichen Erlebnisses im Atrium bringen wollen.

Dieses Atrium basiert auf einem geradezu genialen Trick, den übrigens auch schon Dieter Henke und Marta Schreieck beim Sowi in Innsbruck angewendet haben: Eine Rose ist eine Rose ist eine Rose. Und bei der BTV (wie schon beim Sowi) ist der Innenraum ein Außenraum, obwohl er doch ein Innenraum ist.

Es geht dabei um brandschutz-behördliche Auflagen. Wären die beiden Büro-Baukörper nicht wirklich eigenständige Komplexe mit eigenen, geschlossenen Fluchtwegen, dann würden die Atrien nicht als Außenräume gelten. Und dann wäre es notwendig gewesen, die äußere, gläserne Gebäudehülle mit Brandschutzgläsern zu versehen. Allerdings hätte das niemand finanziert. Das gesamte Projekt wäre daran gescheitert.

Das große, zentrale Atrium erfüllt neben seiner alltäglichen Funktion als Erlebnisraum für die Mitarbeiter und Kunden auch noch eine zweite Aufgabe. Hier werden - wenn schon nicht allabendlich, so doch zwei, dreimal die Woche - kundenorientierte Veranstaltungen durchgeführt. Dafür gibt es einen eigenen, nicht auf Straßenniveau, sondern höher gelegenen Bereich, der zur verglasten Gebäude-rückseite (und auf einen „Garten-bereich“, denn ein Bauer hat partout einen ganz schmalen Streifen Acker nicht verkaufen wollen) orientiert ist. Diese räumliche Differenzierung zwischen eigentlichem Entree und „Veranstaltungsbereich“ ist im Material, etwa des Bodens, mitvollzogen. Im Entree selbst geht man auf Sandstein, dahinter, im Veranstaltungsbereich, liegen minutiös verfugte Eichenbretter, ein richtiger Schiffboden.

Überhaupt sind die Materialien, die Oberflächen es wert, daß man sie bewußt wahrnimmt. Es gibt aber nur eine begrenzte Vielfalt. Also nicht die ganz minimalistische Materialeinheit, aber auch keine allzu opulente oder barocke Vielfalt. Sandstein. An Hölzern: Eiche, Lärche, Edelkastanie, Birkensperrholz. An der Gartenseite, außen: lose Schieferplatten, die beim Drübergehen Geräusche - nein, Musik machen. Schließlich: Sichtbeton, Stahl und Glas.

Bei der Beschreibung des Hauses ist ja schon klar geworden, daß es dabei im wesentlichen um eine zweischalige Fassade geht. Die äußere Glashaut - und die thermische Haut der beiden Bürokomplexe dahinter. In der thermischen Haut: für die Mitarbeiter zu öffnende Fenster. In der Außenhaut: auf der Ebene des vierten Obergeschoßes und auf der Erdgeschoßebene Lüftungsklappen, die die Luft zum Zirkulieren bringen und innerhalb von wenigen Minuten durch die frische (und von Abgasen freie) Zuluft von oben für ein gutes Raumklima sorgen. Gemeinsam mit der simplen Maßnahme der aktiven Nutzung der Betonkerne - im Sommer zur Kühlung via Grundwasser, im Winter auf 14 Grad temperiert) - ist das ein unheimlich simples Energiekonzept (siehe den Hinweis zuvor: keine High-Tech-Lösungen), aber gerade deswegen funktioniert es wahrscheinlich so gut. Es gibt auch noch Jalousien, die sich zu gewissen Zeiten automatisch schließen und dann licht- und wärmegesteuert wieder öffnen. Aber jeder einzelne Mitarbeiter hat immer die Möglichkeit, diese programmierten Mechanismen zu „overrulen“ und den eigenen, individuellen Bedürfnissen anzupassen.

Da wurde auch auf Bauherrnseite viel dazugelernt. Die technisch aufwendige - und anfällige - Variante solcher Lösungen (der Direktor der BTV hat sich im Vorfeld des Neubaus einiges dazu an Neuplanungen in Deutschland angesehen) hat sich gewissermaßen selbst relativiert. Diejenigen, die in einem solchen Haus arbeiten, wollen nicht einer Technik ausgeliefert sein, die sich nur vom Fachmann unter Kontrolle bringen läßt. Ein bißchen ist das wie das Verhältnis zwischen Computer und mechanischer Schreib-maschine. Wenn letztere nicht funktioniert hat, wußte man sich zu helfen. Beim Computer braucht man immer den Fachmann.

Etwas Merkwürdiges ist mir übrigens aufgefallen, wie ich vor dem - letztlich doch: unheimlich eleganten, in dieser Umgebung geradezu wie ein Edelstein wirkenden - Gebäude gestanden bin. Es hatte mich schon zuvor, beim Anblick der Photos, unbewußt irritiert. Da gibt es so ein Farbspiel zwischen den einzelnen Tafeln der gläsernen Außenhaut, das ich mir nicht erklären konnte. Jetzt weiß ich es: Da, wo vollgedämmte Wände hinter der Außenhaut liegen, waren keine Isoliergläser nötig; da, wo sozusagen reines „Volumen“ hinter der Außenhaut liegt, sehr wohl. Aber diese Gläser sind unterschiedlich transparent. Das ergibt einen eigenwilligen Effekt. Wenn man davorsteht und es nicht weiß, dann erkennt man kaum, warum, aber es stellt sich dadurch eine Plastizität ein, die dieser dünnen Glasmembran unterschwellig eine geradezu haptische Qualität verleiht.

Spectrum, Sa., 2003.02.01



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BTV Bürogebäude

21. Dezember 2002Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

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Ein Haus wie ein Flugzeugrumpf. Der Flugzeugrumpf - ein Haus. Hugo Dworzak hat in Lauterach ein Präsentationszentrum für eine Wohnbaugesellschaft geplant. Über die „Verwirklichung eines nicht wirklichen Ortes“.

Ein Haus wie ein Flugzeugrumpf. Der Flugzeugrumpf - ein Haus. Hugo Dworzak hat in Lauterach ein Präsentationszentrum für eine Wohnbaugesellschaft geplant. Über die „Verwirklichung eines nicht wirklichen Ortes“.

Wer die Vorarlberger Architektur kennt, der weiß, daß sie sich normalerweise nicht auf die expressive „Schräge“ einläßt. Ein forciert zeitgenössischer Ausdruck ja, aber immer unter dem Vorzeichen der Angemessenheit der Mittel und der Gebäudeökonomie. Da paßt die „Schräge“, um bei diesem Bild zu bleiben, meistens nicht hinein: Denn sie ist in den seltensten Fällen die kürzeste Verbindung zwischen Leistung und Preis.

Hugo Dworzak nimmt sich mit seinen Bauten in diesem Umfeld insofern ein wenig exotisch aus. Er hat zwar auch eine kleine Totenkapelle gebaut, die ganz schlicht, ganz ruhig, dabei von berührender atmosphärischer Dichte ist. In der Regel sucht er in seinen Bauten jedoch eher den spezifischer inszenierten, den irgendwie „weltläufigen“ Auftritt.

Für seinen „Terminal V“ in Lauterach gilt das in ganz besonderem Maß: Dieses Gebäude-„Objekt“ ist eindeutig nicht aus dem Vorarlberger Boden gewachsen, es macht vielmehr den Eindruck, als sei es nicht nur räumlich, sondern auch zeitlich von ziemlich weither angeflogen und nur vorübergehend gelandet. Tatsächlich ist die Flugzeugmetapher im Zusammenhang mit dem Haus gar nicht so falsch. Denn diese „bauchige“ Architektur mit ihrer glatten, silbrigen Fiberglashaut aus vorgefertigten Sandwichteilen und der leuchtend roten Freitreppe, die wie eine Gangway ins um ein Geschoß vom Boden abgehobene Gebäude hinaufführt, die hat wirklich etwas von einem Flugobjekt. Zumindest von einem Flugzeugrumpf.

Der Bauherr, die Hefel Wohnbau AG, war bisher gleich nebenan, in einem ganz unauffälligen, konventionellen dreistöckigen Bürobau zu Hause. Und dieser Umstand ist auch jetzt noch sichtbar in Szene gesetzt: Denn das neue Haus wurde an einen - ebenfalls leuchtend roten - „Pier“ angedockt, an einen Gang auf der Ebene des ersten Obergeschoßes, der die beiden Bauten verbindet.

Das neue Haus hatte neben 20 Büroarbeitsplätzen vor allem ein großes „3-D-Präsentationszentrum“ aufzunehmen. Darunter muß man sich einen Raum vorstellen, in dem mit modernster Technologie Wohnwelten visualisiert werden, die es in Realität noch gar nicht gibt. Das ist natürlich faszinierend. Und für jene, die auf Wohnungssuche sind, aber Schwierigkeiten haben, sich lediglich auf Grund von Plänen ihr möglicherweise künftiges Domizil vorzustellen, für die ist es auch eine höchst konstruktive Hilfestellung. Ich selbst konnte bei meinem Besuch die Demonstration einer solchen virtuellen Wohnwelt leider nicht miterleben, aber allein was sich mit der (unsichtbaren) Lichtinstallation der Firma Zumtobel, die dieses Zentrum ebenfalls nutzt, an unterschiedlichen Stimmungen in diesem Raum herstellen läßt, ist beeindruckend.

Man muß sich diesen Gebäudeinhalt vergegenwärtigen, um den architektonischen Ausdruck des Hauses zu verstehen. Der „schwangere Bauch“, der sich so auffällig aus dem Bürotrakt schiebt, der enthält all jene innovative Technik, die das Herzstück des „Terminals V“ bildet. Auch seine Form verdankt sich den technischen Gegebenheiten, die sich hinter den halbrunden Projektionsflächen im geschlossenen Gebäudebereich verbergen. Im langgestreckten Raumteil mit den leicht nach außen gekippten Wänden, wo sich die Besucher aufhalten, da sind dann - wie im Passagierraum eines Flugzeuges - Fenster, die sich aber vollständig abdunkeln lassen.

Der Weg zu den Büros und die Büros selbst sind hingegen ganz offen und lichtdurchflutet, flexibel, sodaß sie sich auch veränderten Bedürfnissen anpassen lassen, und sehr elegant. Draußen setzt Hugo Dworzak mit einem leuchtenden Rot und einem strahlenden Orange ganz gezielt Farbakzente, die den technoiden Charakter seiner fast organisch, jedenfalls kantenlos und „windschlüpfrig“ geformten Gebäudehülle erst so richtig zur Wirkung bringen.
Drinnen dominiert hingegen die Nichtfarbe Schwarz. Das ist im Technikzentrum ohnedies wichtig, weil sonst die „Virtual Reality“ durch die „Reality“ irritiert würde, es zeigt aber obendrein wieder einmal, welche wunderbar farbigen Facetten das Tageslicht spielt, wenn es in nichtfarbige Räume fällt. Übrigens ist nicht alles so ganz „virtuell“ im Haus, wie es nach dieser Beschreibung möglicherweise erscheint. Im Untergeschoß sind durchaus handfeste, nämlich real möblierte Wohnkonzepte präsentiert. Und hier finden gegebenenfalls auch die eher geselligen Randereignisse rund um den Verkauf der Ware Wohnung statt. Möglicherweise erklärt sich der nachträglich eingeforderte direkte Ausgang ins Freie von dieser (auch nächtlichen) Nutzung her.

Es ist sicher keine alltägliche Aufgabe, mit der Hugo Dworzak bei der Planung des „Terminals V“ konfrontiert war. Und er hat sie ja auch nicht alltäglich gelöst. Aber das war offensichtlich ganz im Sinn des Bauherrn, der zwar einen Wettbewerb ausgeschrieben hat, dabei seine Formulierung des Programms aber, abgesehen von einem Minimum an Nutzungsvorgaben, weitgehend offen gehalten hat. Damit war schon von vornherein die Aufforderung an die beteiligten Architekten gerichtet, über herkömmliche Lösungen hinauszudenken. Und tatsächlich: Ein - nennen wir es vielleicht ein wenig überzogen - architektonisches Gesamtkunstwerk wie dieses ist anders wohl gar nicht zu realisieren.

Ein Haus wie ein Flugzeugrumpf. Der Flugzeugrumpf - ein Haus. Wie gesagt, die Besonderheit der Aufgabenstellung rechtfertigt die Besonderheit der Lösung. Hugo Dworzak spricht in einem eigenen Text davon, daß sein Konzept auf die „Verwirklichung eines nicht wirklichen Ortes“ abzielt, daß der Besucher schon bei seiner Ankunft aus der vertrauten Umgebung herausgeholt und in ein neues, nicht an den Ort gebundenes Environment geschleust werden soll. Wunderbar daran ist, daß dieses Konzept umgesetzt werden konnte und daß es nicht nur in seinen virtuellen Aspekten funktioniert. Denn wie selbstverständlich, irgendwie nebenbei entspricht es auch all den ganz herkömmlichen Erfordernissen und Abläufen, die sich in der Alltagspraxis ergeben.

Und irgendwie spiegelt sogar die Fiberglashülle, diese verführerische Gebäudekarosserie, die Unvermeidlichkeit des Austausches zwischen Virtualität und handfester Realität. Fiberglas ist ein Material, das sich in Europa nie so recht durchgesetzt hat. Dabei kann es viel, und wenn es um hochtechnoide visuelle Signale geht, dann ist es kaum zu übertreffen. Aber hergestellt wird es in reiner Handarbeit.

Spectrum, Sa., 2002.12.21



verknüpfte Bauwerke
Präsentationszentrum

02. November 2002Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Aber bitte mit Hotelqualität!

Ein hohes Maß an räumlicher Flexibilität, ungemein aufwendige Logistik, ein straffes Betriebskonzept und komfortable Patientenzimmer: das LKH Graz-West, geplant vom Büro Domenig | Eisenköck | Peyker und von Rupert Gruber, erfüllt beispielhaft alle Anforderungen an ein modernes Krankenhaus.

Ein hohes Maß an räumlicher Flexibilität, ungemein aufwendige Logistik, ein straffes Betriebskonzept und komfortable Patientenzimmer: das LKH Graz-West, geplant vom Büro Domenig | Eisenköck | Peyker und von Rupert Gruber, erfüllt beispielhaft alle Anforderungen an ein modernes Krankenhaus.

Krankenhäuser zählen zu den komplexesten Bauaufgaben, die es gibt. Sie benötigen eine unglaublich aufwendige Logistik, wobei man nie weiß, wohin und wie schnell sich die medizinische Technik entwickelt. Sie benötigen ein hohes Maß an räumlicher Flexibilität, weil man natürlich auch nicht mit Gewißheit sagen kann, wie sich in Zukunft der stationäre zum ambulanten Bereich oder auch der Diagnose- zum Therapiebereich entwickelt. Sie benötigen ein straffes, effizientes und ökonomisches Betriebskonzept. Und schließlich sollen sie auch noch so etwas wie Hotelqualität bieten.

Das neue Landeskrankenhaus Graz-West - geplant vom Büro Günther Domenig [*] Hermann Eisenköck [*] Herfried Peyker zusammen mit Rupert Gruber - löst einen gut Teil der Forderungen, die man heute an ein Krankenhaus richtet, geradezu beispielhaft ein. Man muß zweierlei dazusagen: erstens, daß es Teil einer Landesinitiative ist, bei der es zwar auch um eine Reduzierung der Bettenanzahl geht, aber vor allem um eine Optimierung von Leistungen; und zweitens, daß der Bauherr, die KAGES (Steiermärkische Krankenanstalten GesmbH), in architektonischen Belangen ausgesprochen qualifiziert ist.

Das neue LKH Graz-West bildet gewissermaßen einen Verbund mit zwei anderen Krankenhäusern: dem Unfallkrankenhaus der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt und dem Krankenhaus der Barmherzigen Brüder. Was man sich davon erhofft, sind Synergien zwischen den verschiedenen Institutionen, wie gesagt, größere Ökonomie, mehr Effizienz.

Diesen Voraussetzungen verdankt sich im wesentlichen das architektonische Konzept. Denn die Gebäudekonfiguration ist zwar kreuzförmig angelegt, wird aber durch einen langen Hauptriegel dominiert, der die Erschließungsachse des Unfallkrankenhauses von Karl Schwanzer aufnimmt. Die Querachse bindet dann die beiden Flügeltrakte an.

Es gibt zwei Zugänge: einen durch den Schwanzer-Bau und einen über den neuen Vorplatz, wo sich die weiß gedeckte Abfahrt in die Besucher-Tiefgarage befindet - übrigens entlang einer Wand aus Metallgeflecht, die die dahinterliegenden Behandlungsräume im Erdgeschoß des Quertrakts abschirmt.

Egal welchen Zugang man wählt: Der Raumeindruck der Empfangs- und Erschließungshalle ist überwältigend. Durch die Glasfassade ist sie lichtdurchflutet, durch die innere Organisation großzügig. Gegenüber vom Haupteingang der Empfangsbereich, dahinter die Verwaltung; rechts vom Empfang eine Bankfiliale und ein Café mit großer Terrasse; links eine kleine Kapelle.

Drei Elemente akzentuieren den Raum: der gläserne Lift, die „Kommandobrücke“ - ein Galeriegeschoß - mit den Bereitschaftszimmern der Ärzte und die sanft ansteigende Rampe, die die Verbindung zum Schwanzer-Bau herstellt. Das Grundstück hat nämlich eine leichte Hanglage, sodaß zwischen Bestand und Neubau ein Gefälle in Geschoßhöhe besteht.

Was zur räumlichen Spannung dieser Halle außerdem beiträgt: Die Architekten haben die Glasfassade etwas verschwenkt. Der Raum wird plastischer dadurch, aber vor allem löst dieses leichte Verknicken der Achse das Problem des sehr geringen Abstands zu einem Gebäudeteil des Bestands. Das Vorfeld des Neubaus wird dadurch luftiger, weiter.

Man muß sich die funktionelle Organisation des Gebäudes so vorstellen: Es gibt die große, zentrale Erschließungshalle, links davon geht es zu den Ambulanzen. Und in den oberen Geschoßen sind im wesentlichen die verschiedenen Krankenstationen. Die Kreuzform der Gebäudekonfiguration wird an der Rückseite durch einen zweigeschoßigen Flügel hergestellt, der ausschließlich Ein- und Zweibettzimmer für Klassepatienten enthält, an der Vorderseite, auch als raumbildende Fassung des Vorplatzes, durch zwei niedrigere kubische Bauten, denen leuchtend gelbe, nahezu organisch geformte Körper aufgesetzt sind - sie enthalten die umfangreiche Technik, die heute im medizinischen Bereich gebraucht wird.

In diesen Bauteilen sind die Operationssäle und die Intensivstationen mit allem untergebracht, was an speziellen Einrichtungen dafür notwendig ist. Sie sind durch gläserne Brückenverbindungen mit dem Hauptriegel verbunden, sodaß die Wege innerhalb des Hauses trotz seiner Größe verhältnismäßig kurz bleiben. Und sie sind um eingeschnittene Höfe organisiert.

Ein Wort noch zum Trakt für die Klassepatienten: Hier ist die sogenannte „Hotelqualität“ am eindeutigsten umgesetzt. Die Räume sind keinesfalls zu knapp dimensioniert, wer will, kann vom Bett aus ins Freie schauen. Jedem Zimmer ist ein Balkon zugeordnet, jedem eine komfortable Sitznische; und die Badezimmer sind groß und ausgesprochen elegant. Trotzdem ist es aber nicht so, daß das Ausstattungsgefälle zwischen den Räumen für die zahlenden und die Kassenpatienten gravierend wäre: Alle haben einen Fernseher, alle haben einen Kühlschrank, in dieser Hinsicht wird tatsächlich jedem etwas geboten.

Ein architektonisches Problem, das im Krankenhausbau unvermeidbar ist, betrifft die notwendige Tiefe der Trakte, die Länge der Gänge und dadurch die Fragen der Orientierung und der Belichtung. Im LKH Graz-West führen praktisch alle Gänge zum Tageslicht, zu raumhohen Verglasungen an der Fassade, die einen Außenbezug ermöglichen. Das ist hier auch besonders lohnend. Denn der Standort hat spektakuläre Freiraumqualität: an zwei Seiten von Feldern umgeben, eingebettet in eine intime Grünraumgestaltung (vom Wiener Büro „Land in Sicht“).

Eine entscheidende Orientierungshilfe stellt aber auch die differenzierte Innenraumgestaltung durch die Architekten dar, die atmosphärische Unterschiede, räumliche Stimmungswechsel spürbar werden läßt. Die Eleganz der Eingangshalle etwa rührt nicht nur von der bemerkenswerten Glasfassade her, sondern auch von den verwendeten Materialien: Sandstein auf dem Boden, oberflächenbehandeltes Eternit an den Wänden, Sichtbeton und - kein Mobiliar von der Stange, sondern ein von den Architekten gezeichnetes Empfangspult. Auch die Kapelle ist fein komponiert, obwohl hier der Sparstift zugeschlagen und die durchgehende Glasdecke verhindert hat: im Eingangsbereich brünierter Edelstahl, der den Charakter rohen Eisens hat, an den Wänden gestockte Betonfertigteile, auf dem Boden Schiefer.

Gelungen sind auch die bräunlich-orange emaillierten Glaskuben - sie enthalten verschiedene technische und Versorgungseinrichtungen -, die im breiten Erschließungsgang mit den ambulanten Behandlungsräumen eingestellt sind. Atmosphärisch ist das ein durchaus angenehmer Wartebereich.

Wenige Kuriosa wären zu vermerken, und die sind nicht den Architekten anzulasten: daß zum Beispiel ein großer Speisesaal gebaut wurde, der jetzt leer steht, weil schließlich entschieden wurde, daß im Unfallkrankenhaus gegessen wird (wo man daraufhin den Saal extra vergrößerte); oder daß die Tagräume, die Aufenthaltsräume, die jeder Krankenstation zugeordnet sind, immer paarweise - für Raucher und Nichtraucher - auftreten und dadurch ziemlich klein sind. Das hätte sich anders und großzügiger lösen lassen.

Aber das sind Nebensächlichkeiten. Was letztlich zählt, ist, daß es den Architekten trotz des engen funktionellen Korsetts gelungen ist, einen Mehrwert zu schaffen, der sich nicht allein den Kriterien von Effizienz und Ökonomie schuldet. Und auf diesen Mehrwert hoffen wir doch alle, wenn wir daran denken, wir könnten selbst Patienten sein.

Spectrum, Sa., 2002.11.02



verknüpfte Bauwerke
Landeskrankenhaus Graz-West

07. September 2002Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Vom Charme der Asymmetrie

Nicht nur städtebauliches Einfühlungsvermögen bewiesen die profilierten Schulbauer Dieter Henke und Martha Schreieck mit ihrem Bundes(real)gymnasium in Aspern. Sie haben es auch verstanden, der riesigen Kubatur durch Transparenz jede Anmutung von Monumentalität zu nehmen.

Nicht nur städtebauliches Einfühlungsvermögen bewiesen die profilierten Schulbauer Dieter Henke und Martha Schreieck mit ihrem Bundes(real)gymnasium in Aspern. Sie haben es auch verstanden, der riesigen Kubatur durch Transparenz jede Anmutung von Monumentalität zu nehmen.

Eine Schule weit draußen, über der Donau, in Aspern. Die Schule sehr groß, die Umgebung sehr grün, die lokale Bebauung sehr kleinteilig und heterogen. Die Problematik liegt auf der Hand: In ein solches Umfeld ein so gewaltiges Ding wie dieses Bundes-(real)gymnasium zu setzen, da braucht es schon städtebauliches Einfühlungsvermögen.

Nun, die BIG als Bauherr hat, wie immer in solchen Fällen, einen (geladenen) Wettbewerb ausgeschrieben. Und Dieter Henke und Martha Schreieck haben ihn gewonnen. Man kann diesen beiden Architekten nachsagen, daß sie profilierte „Schulbauer“ sind - ihre Schule am Leberberg ist das architektonische Highlight dieses ansonsten fragwürdigen Stadtentwicklungsgebiets, aber auch die SOWI, der Universitätsbau im Zentrum von Innsbruck, ist zum Glücksfall geraten. Trotzdem: Die neue Schule in der Heustadelgasse in Asparn ist noch einmal etwas ganz Besonderes.

Man muß sich dieses Umfeld vorstellen: der vielbefahrene Biberhaufenweg auf der einen Seite, die „Häusln“ auf der anderen und auf den beiden verbleibenden Seiten unbebaute Wiese beziehungsweise offenes Feld. Das hat eine Umgebungsqualität, die selbst in Randlagen ihresgleichen sucht.

Henke/Schreieck sind städtebaulich überaus raffiniert vorgegangen. Denn auf den ersten Blick erscheint das neue Haus nur zweigeschoßig: Erdgeschoß und Obergeschoß. Mehr tritt nach außen wirksam nicht in Erscheinung. Dabei gibt es in Wirklichkeit ein Geschoß mehr - aber das ist abgesenkt. Und es gibt eine Dreifachturnhalle - aber die ist auch abgesenkt.

Die Konfiguration des Gebäudes könnte man klassisch nennen: Vier Trakte umschließen einen Schulhof. Was man aus einer solchen Typologie machen kann - wenn man es kann -, das führen Henke/Schreieck beispielhaft vor. Man betritt das Gebäude von Norden über einen großen gepflasterten Vorplatz, der ziemlich breit überdacht ist. Man könnte so sagen: Zur Straße hin ist aus dem Gebäude ein großes Stück herausgeschnitten, nur der Klassentrakt des Obergeschoßes ist quer drüber gespannt, und linkerhand, etwas abgeschirmt, liegt der Eingang für die Lehrer. Das Obergeschoß mit dem breiten Vordach ruht auf nur drei V-Stützen. Wir reden hier von einer Auskragung von etwa acht Metern und einer Durchgangsbreite von knapp 20 Metern. Und wir reden von einer interessanten Konstruktion: Wand und Decke sind im Verbund gebaut und funktionieren nach dem Prinzip einer Waage - die Gewichte tarieren sich sozusagen gegenseitig aus.

Man geht jedenfalls vom Vorplatz zwei oder drei Stufen hinauf und unten durch, in den Schulhof hinein. Der ist über 1000 Quadratmeter groß und mit seinen breiten, begrünten Pergolen einfach ein wunderbarer, großzügiger Ort. Und er ist nicht symmetrisch. Nichts an dem Haus ist symmetrisch. Es gibt die strenge Achsialität nicht, die einer solchen Typologie so gern eine bedeutsame Schwere verleiht. Hier ist alles leichter, lockerer, auch architektonisch spannender. Der Haupteingang ins Gebäude liegt jedenfalls im südlichen Trakt, das heißt, man muß den Schulhof in seiner vollen Länge überqueren.

Tun wir das, dann kommen wir im Erdgeschoß in eine große Aula, die Verteilerfunktion hat. Hinten dran ist der abgesenkte Dreifachturnsaal angekoppelt, im Geschoß über der Aula liegt die Bibliothek: auch sie ganz transparent. Die Organisation im Haus ist übersichtlich: im Erdgeschoß die Räume für die Verwaltung, die Lehrerzimmer und die Wohnung für den Schulwart; im abgesenkten Untergeschoß Sonderunterrichtsräume und die Haustechnik; im Obergeschoß die Schulklassen, in den beiden Längstrakten einhüftig angeordnet, im Trakt an der Straße doppelhüftig. Hier wird natürliches Licht von oben in die Gänge geholt, alle anderen Erschließungsgänge liegen direkt hinter der Glasfassade.

Von Gängen „im engen Sinn“ kann man im Klassenbereich allerdings nicht reden. Das sind schon (immerhin dreieinhalb Meter breite) Räume, keine schlauchartigen Korridore. Der Trick ist bei Schulbauern wahrscheinlich allgemein bekannt: Man lege die Garderobenkästchen nach außen, vor die Klassen, dann darf man im Gangbereich auch breiter werden. Und über den Garderoben haben Henke/Schreieck außerdem eine Oberlichtverglasung eingeführt, die sich durch das ganze Klassengeschoß zieht und das Thema der Transparenz einfach immer weiterspielt.

Überhaupt ist die Materialisierung für die atmosphärische Charakteristik der Schule ausschlaggebend: Es ist eine sehr gläserne Architektur. Transparenz ist hier keine Worthülse, dieses Haus ist transparent. Man sieht von der Straße über den Schulhof durch die Aula des südlichen Eingangstrakts bis weit nach hinten, über den Turnsaal hinweg, Richtung offenes Feld. Das heißt, das Haus macht etwas mit seiner Umgebung, es bindet diesen Mehrwert ganz bewußt ein. Dabei haben die Architekten einen ausgesprochen urbanen Ort geschaffen, etwas, das deutlich anders ist als alles, was es in der Nachbarschaft gibt.

Ein absolutes Novum im heimischen Schulbau: Die Klassen sind raumhoch verglast, also wirklich vom Fußboden bis zur Decke. Die Wirkung ist großartig. Und die Architekten haben sich über die klimatischen Folgen ihrer Glasarchitektur ausreichend den Kopf zerbrochen. Wo es notwendig ist, gibt es natürlich Außenjalousien; im Schulhof sorgen die sehr tiefen, begrünten Pergolen für Abschattung. Überall sitzen öffenbare Flügel (Querdurchlüftung) in der Fassade. Außerdem verhindert eine intelligente Low-Tech-Maßnahme, daß die Luft in den Gängen und den Klassen „steht“. Denn einerseits wird die verbrauchte Luft über Dach durch Ventilatoren, die der Wind betreibt, abgesaugt; andererseits sorgt die simple Maßnahme einer Türspaltlüftung - man sperrt die Klassentür ab, kann sie aber noch einen Spalt öffnen, bevor das Spezialschloß einrastet - für die nötige Zirkulation im Haus.

Es lassen sich überhaupt viele intelligente Detaillösungen in diesem Haus aufspüren. Zum Beispiel ist der Speisesaal mit dem Veranstaltungssaal zusammengelegt. Sie sind durch eine Faltwand auch wieder teilbar. Aber für den Alltag bringt das natürlich einen ganz anderen räumlichen Komfort. Oder die Brandabschnitte: Das ist ein feinst ausgeklügeltes System, das es möglich macht, von überall auf sehr kurzem Weg ins Freie zu gelangen. Dadurch gibt es im ganzen Haus nirgendwo eine Tür, die einem den Weg versperrt. Die innere Erschließung verläuft rundum, ohne ein einziges totes Eck.

Den Schülern wird hier ein Optimum an Freiflächen geboten. Es gibt breit vorgelagerte Terrassen, im Süden ein Freisportgelände und vor dem abgesenkten dritten Geschoß einen breiten Freibereich, der geschützt und ganz besonders stimmungsvoll ist. Der Eindruck von „Souterrain“ kommt also gar nicht erst auf. Und der Bambus, der vor die Befestigungswand des abgegrabenen Bereichs gepflanzt wurde, entwickelt sich prächtig. Dieser Teil schaut ja Richtung Biberhaufenweg. Zwischen Schulbau und doch recht stark frequentierter Straße wurde zudem ein kleines Wäldchen gepflanzt, das sicher auch als Schallschutz fungiert.

Der Turnsaal ist ebenfalls in die Erde eingegraben, aber nur teilweise. Ein breites Oberlichtband läuft rundherum und sorgt für natürliche Belichtung. Besonders schön gelöst ist die Decke: Man sieht ihr nämlich nicht wirklich an, wie sie konstruiert ist. Was man sieht, ist eine fast homogene Trapezblech-Verkleidung. Die ist allerdings seitlich gelocht und mit einer Akustikmatte hinterlegt. Deren Wirkung merkt man schon, wenn man nur darin steht und sich unterhält; bei Sportveranstaltungen wird das aber essentiell.

Den Architekten sind im Schulbau auch heute noch ganz rigide Grenzen gesetzt. Sie können zum Beispiel bei der Einrichtung praktisch nicht mitreden. Henke/Schreieck machen dieses Manko durch die Sorgfalt bei der Auswahl der Materialien wett. Jedes Material wurde pur verwendet und jedes danach ausgesucht, daß es auch starker Beanspruchung standhält. Man merkt es schon draußen, wenn man unter das Vordach kommt: Die Untersicht ist holzverkleidet. Und dieses Holz zieht sich durchs ganze Haus durch: Überall sind Holzdecken. In den Gängen liegt auf dem Boden Serpentin, in den Klassen Stäbchenparkett. Wo es Sichtbeton im Haus gibt, ist er von hervorragender Qualität. Ansonsten gibt es vor allem konsequent Glas - mit dem Effekt der völligen optischen Aufschließung des Hauses: Man sieht immer überall hin. Dadurch wird dieses unverhältnismäßig große Gebäude irgendwie kleiner. Die Architekten haben es verstanden, dieser tatsächlichen räumlichen Größe ihre Macht zu nehmen.

Im Schulbau hat die Stadt Wien mit dem „Schulbauprogramm 2000“ die Qualitätslatte ziemlich hoch gelegt. Mit dem Haus von Henke/Schreieck hat der Bund beziehungsweise sein Stellvertreter, die BIG als Bauherr, aber zumindest gleichgezogen. Und das ist doch wunderbar: Wenn sich staatliche und städtische Bauherren qualitativ gegenseitig fordern. Für den „erwachsenen“ Betrachter bleibt da wirklich nur „Trauerarbeit“: Wer hätte uns je so wunderbare Schulen zur Verfügung gestellt.

Spectrum, Sa., 2002.09.07



verknüpfte Bauwerke
AHS Heustadelgasse

26. Juli 2002Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Betonkoffer im Hotel de de villes

Stadtreparatur und Optimierung der Büroflächen: unter diesen Vorzeichen stand die Sanierung einer „Bausünde“ der „Münchener Rück“ in Schwabing. Das von Baumschlager & Eberle runderneuerte Gebäude ist in ökologischer wie in arbeitsorganisatorischer Hinsicht auf der Höhe der Zeit.

Stadtreparatur und Optimierung der Büroflächen: unter diesen Vorzeichen stand die Sanierung einer „Bausünde“ der „Münchener Rück“ in Schwabing. Das von Baumschlager & Eberle runderneuerte Gebäude ist in ökologischer wie in arbeitsorganisatorischer Hinsicht auf der Höhe der Zeit.

Das Stammhaus der Münchener Rück - einer Versicherung der Versicherungen - war immer schon gediegen und repräsentativ: Es datiert von 1913 und hat den Charakter eines „Hôtel de ville“ mit Ehrenhof und schönem, altem Garten. Gelegen ist es in Schwabing, zwischen Leopoldstraße und Englischem Garten, in einem Viertel, dessen Charakter durch die sogenannte Staffelbauweise bestimmt ist: einzelne, große, gründerzeitliche Bürgerhäuser mit begrünten Höfen und Hofeinfahrten, die die Impression von Durchlässigkeit vermitteln.

Das klingt gut. Aber was sich an der einen Seitenfassade des Stammhauses, auf der gegenüberliegenden Straßenseite, architektonisch abgespielt hat, das war schon weniger gut. Denn hier hatte die Münchener Rück Ende der sechziger Jahre - in zwei Bauetappen, zwischen 1969 und 1973 - ein Bürohaus errichtet, das ursprünglich für Drittnutzung gedacht war, aber schon bald von der eigenen Expansion „rück“-geholt wurde. Das Haus war städte-baulich ein schwerer Sündenfall, denn es besetzte in einem einzigen, ungegliederten Block die Parzellen von gleich zwei alten Bürgerhäusern. Das war maßstabsprengend für das Quartier. Abgesehen davon, daß ja bekanntlich viele solcher Sechziger-Jahre-Bauten - Stahlbeton-Skelett, Waschbeton-Fassade - inzwischen auch aus anderen Gründen nicht mehr verträglich sind: Das Geld wird zum Fenster hinaus-geheizt, oft gibt es ein Asbest-Problem, und atmosphärisch stellt man sich heutige Arbeitswelten sowieso anders vor.

Die Münchener Rück ging an die Aufgabe der Sanierung dieser maroden Substanz mittels Wettbewerb (zehn geladene Teilnehmer) heran. Und den hat im Jahr 1998 das Vorarlberger Team Carlo Baumschlager & Dietmar Eberle gewonnen. Die Zielsetzung war klar definiert: Es ging um die Sanierung des Hauses unter Ausnutzung der Möglichkeiten im Bestand, aber vor allem auch unter dem Vorzeichen der Stadtreparatur, und es ging um eine Optimierung von Büroflächen.

Die Königsidee von B & E bestand darin, dem dreiachsigen Baukörper - dunkle Mittelzone, rundum laufende Büros - hinten eine vierte Achse anzubauen. Dadurch mußten zwar zwei kleinere bestehende Objekte auf dem Areal (aus Abstandsgründen) geschleift werden - ein neues, nur zweigeschoßiges Nebengebäude, das sogenannte Dienstleistungszentrum mit hauseigener Druckerei und Poststelle, fügt sich dort nun in einen Gartenhof ein -, dafür schuf diese Maßnahme die Möglichkeit einer echten Rundumreparatur. Drinnen und draußen. Denn vorne, straßenseitig, nimmt nun ein tiefer Einschnitt in die Gebäudekonfiguration das Motiv der gliedernden Hof-einfahrten im Quartier auf: Hier liegt der Haupteingang. Der gartenseitige Nebeneingang ist ebenfalls in einem Gebäudeeinschnitt situiert.

Das Haus ist ganz streng, kantig, horizontal gegliedert und strahlt gläsern-grün. Man müßte schon ein Vogel sein, um zu überblicken, daß aus dem 80 Meter langen Betonkoffer von einst eine S-förmige Konfiguration geworden ist. Es genügt aber auch, als schlichter Passant hier entlangzubummeln. Was die Maßnahmen für das Quartier gebracht haben, teilt sich unmittelbar mit.

Aber vor allem haben sie für das Innenleben dieses Hauses der Münchener Rück etwas gebracht. Denn durch den Büroflächengewinn der vierten Achse konnten die Architekten das Gebäude innen aufschneiden. Der Effekt ist ziemlich eindrucksvoll: Man betritt das Haus über den gläsernen Windfang und findet sich in einer 55 Meter langen, sieben Meter breiten und sechs Meter hohen Halle wieder, die rundum mit massivem kanadischem Ahorn im Stäbchenformat verkleidet ist. Die Überraschung gelingt perfekt: Urplötzlich steht man in einem - durch drei asymmetrisch ins Hallendach eingeschnittene Oberlichten - auch natürlich belichteten Raum, der aber atmosphärisch ganz deutlich eine eher introvertierte Charakteristik hat. Diese Halle ist übrigens nicht nur Verteiler. Sie funktioniert auch als Aufenthaltsraum für die Mitarbeiter (es gibt ein Automatenbüffet) und durch temporär mögliche Bühnenaufbauten als kleinerer Veranstaltungsort (für 80 bis 100 Personen).

Wenn man in dieser Halle steht, muß man sich dann entscheiden: links oder rechts. Da liegen die beiden Kerne des Hauses mit den Liften. Jedenfalls sind beide jetzt so situiert, daß man auf jedem Geschoß einen Außenbezug hat, schon wenn man den Lift verläßt.

Die Herausforderung für B & E bestand in der Transformation der Bürowelt. Was macht man mit kleinen, kleinsten Bürozellen, wenn die vorhandene Struktur einen bestimmten Raster vorgibt? Und in diesem Fall war das Rastermaß extrem eng: nicht mehr als 62,5 Zentimeter. Das heißt, ein einachsiges Büro ist nur 1,875 Meter breit. Und eine Gebäudeachse besteht aus drei solchen Büroachsen. An diesen Zwängen der Primärstruktur der Substanz (die Kerne des Hauses wurden allerdings verschoben) war nicht zu rütteln. Da hätte man besser ganz neu gebaut.

Das war wirklich eine Herausforderung. Denn im Haus ist zwar optimale Flexibilität angesagt (Bürowelten können sich praktisch über Nacht ändern), vorläufig setzt man bei der Münchener Rück aber noch auf das Einzelbüro. Also ging es um eine Addition von mehrheitlich einachsigen, manchmal zweiachsigen und nur ausnahmsweise größeren Bürozellen. B & E haben eine diffizile Raumgliederung entwickelt, die sich durch das gesamte Haus zieht: In jedem Büro, egal wie groß es ist, gibt es einen niedrigeren Eingangsbereich - an der Decke: ein ahornverkleidetes Element, das die Technik aufnimmt - mit Garderobe und Schrank, dann einen höheren Arbeitsbereich und schließlich eine Fassadenzone mit
natursteinverkleideter Brüstung - die Höhe war durch die Unterzüge der bestehenden Primärkonstruktion vorgegeben - in der thermischen Haut der zweischaligen Fassade.

Atmosphärisch wichtig für das gesamte Haus: B & E haben durch die Einführung einer zweigeschoßigen Eingangs- und Verteilerhalle auch einen Innenhof schaffen können, der das Bild dieser Bürowelt vollkommen wandelt. Es gibt keinen dunklen Winkel mehr. Auch die Erschließungskorridore sind hell und freundlich. Obendrein ist der Blick auf die Hallendach-Gestaltung des Zürcher Landschaftsplaners Günther Vogt - mit künstlich bemoosten Tuffsteinen - auf jeden Fall einen Blick wert.

Es ist vielleicht nebensächlich, aber es erweist sich darin wieder einmal die spezifische Pragmatik und darauf gründende Qualität von B & E: In diesem Bürohaus ist eigentlich nichts mehr beliebig. Es wurde genau durchgecheckt, wie flexibel die Struktur wirklich ist. Man weiß, wo Türen sitzen und wie schnell die transluzenten Elemente der Glaswände zum Korridor und die Bürotrennwände auf- und abgebaut werden können. Das Innenleben des Hauses ist für jede künftige Entwicklung optimal programmiert.

Ebenso verhält es sich mit den klimatischen Verhältnissen im Haus. Ziel war ein Niedrigenergiekonzept mit Quell-Lüftung, Wärmerückgewinnung und Fußbodenkühlung. Wobei es aber nach wie vor jedem Mitarbeiter überlassen bleibt, individuell zu entscheiden: Er kann, wo es sie gibt, die automatischen Rollscreens auch hochfahren, und er kann sein Fenster aufmachen.

Es gehört zum ökologischen Konzept des Gebäudes, daß B & E eine zweischalige Fassadenlösung gewählt haben. Die ungemein elegante, wie gesagt gläsern-grün schimmernde Außenhaut funktioniert zwar auch sehr wirksam als „öffentliche Visitenkarte“, als spannender optischer Beitrag zum Quartier (und als Spiegel für das alte Stammhaus gegenüber). Aber der „leichte Mantel“ (Dietmar Eberle), in den das gesamte Haus nun gehüllt ist, kann natürlich noch mehr. Er besteht aus geschoßhohen Gläsern, die in einem Abstand von 60 Zentimetern leicht schräg vor die thermische Haut mit den Fenstern gesetzt sind, und reduziert die äußeren thermischen Lasten. B & E haben schon bei ihrer Öko-Hauptschule in Mäder, Vorarlberg, eine solche Fassade realisiert, ebenso beim neuen Bürohaus auf dem Flughafenareal in Wien-Schwechat. In München hat man es aber besonders genau genommen: Dort wurde mit einer temporären Baugenehmigung sogar ein Musterhaus errichtet, in dem in der Realisierungsphase das Baubüro war und wo alle Details der Fassade, aber auch verschiedene Maßnahmen des Büro-Innenausbaus eins zu eins umgesetzt und überprüft wurden.

Der Aufwand, mit dem hier Stadt-reparatur betrieben wurde, ist sicher groß. Scheinbar wurde nichts außer acht gelassen. Günther Vogt hat das Haus in eine ausgesprochen subtile, dabei städtische, formalisierte Grünplanung mit nordamerikanischem Ahorn und schmalen, strengen Wasserbecken eingebettet. Seine bemoosten Tuffsteine auf dem Hallendach kehren übrigens als künstlerische Maßnahme (Olafur Eliasson) auch außen, über den Eingängen, wieder. Und ganz oben, auf den begehbaren Dachterrassen rund um die beiden amöbenartigen, gekurvten, fast organisch formulierten Dachaufbauten (Besprechungsräume, Vorstandsbüros), hat Vogt für eine besonders sparsame, aber umso reizvollere Bepflanzung gesorgt.

Natürlich ist all das eine Sicherheitswelt: Betreten kann sie nur, wer eine Kennkarte hat. Als Besucher kommt man nicht direkt hinein. Da wird man beim Haupteingang des Stammhauses in Empfang genommen und über das unterirdische Passagensystem, das alle Objekte der Münchener Rück im Quartier miteinander verbindet, ins neue Haus hinübergeleitet. Der Weg lohnt sich allerdings: Die Passage hinüber zum B-&-E-Objekt wird durch eine wunderbare Lichtarbeit von Keith Sonnier „erleuchtet“.

Spectrum, Fr., 2002.07.26



verknüpfte Bauwerke
Münchener Rück - Sanierung des Bürogebäudes

29. Juni 2002Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Ein Film aus Raumsequenzen

Restaurant und Bar von zeitloser Materialität; 120 großzügig dimensionierte Sitzplätze mit klassisch gedeckten Tischen; das Ambiente ein Bühnenbild für die Auftritte einer gehobenen Klientel: nobel, nobel. Das „Fabios“ von BEHF in der Wiener Innenstadt.

Restaurant und Bar von zeitloser Materialität; 120 großzügig dimensionierte Sitzplätze mit klassisch gedeckten Tischen; das Ambiente ein Bühnenbild für die Auftritte einer gehobenen Klientel: nobel, nobel. Das „Fabios“ von BEHF in der Wiener Innenstadt.

Nicht nur gastronomisch, auch architektonisch ist die Wiener Lokalszene schon seit langem speziell. Von Hermann Czech über Eichinger oder Knechtl bis Helmut Richter - um ein paar extreme Positionen zu nennen - ließe sich hierzulande ein breites Spektrum unterschiedlicher architektonischer Haltungen nur anhand von Lokalen auffächern. Das neue „Fabios“ in den Wiener Tuchlauben gehört da auch dazu, obwohl es atmosphärisch einen Ton anschlägt, dem gerade das Spezielle dieser sehr persönlichen Architektur-Statements fehlt. Das heißt, auf Anhieb würde wohl kaum jemand auf den Gedanken kommen, daß es sich hier um einen Entwurf von BEHF handelt.

Von diesem Büro, das sich vor allem auf dem Gebiet der Verkaufsketten- und Geschäftsarchitektur (Libro zum Beispiel) verdient gemacht hat, ist man anderes gewöhnt: zumindest eine Materialität, die stärker mit dem Zeitgeist operiert. Nichts - oder fast nichts - davon im „Fabios“. Armin Ebner von BEHF (Projektleitung: Petra Simon) hat hier ganz auf Zeitlosigkeit gesetzt, auf Langlebigkeit und natürlich auf Noblesse. Denn das sollte es schließlich sein: ein großstädtisches Nobellokal, Restaurant und Bar, mit 120 Sitzplätzen und einem Ambiente, das als Bühnenbild für den Auftritt einer gehobenen Klientel funktioniert.

Holz, Leder und Glas, auch in Form von Spiegeln, darauf läßt sich die Materialsprache des „Fabios“ im wesentlichen reduzieren. Vor allem das Glas drängt sich straßenseitig sehr signifikant ins Bild. Denn das Lokal, das sich über zwei Liegenschaften erstreckt, nützt einen Rücksprung in der bestehenden Bauflucht für einen etwa drei Meter tiefen Glasvorbau aus. Daß es dafür eine Genehmigung gab, ist bemerkenswert und wohl auch dem routinierten Baumanagement der Werkstatt Wien zu verdanken. Tatsache ist jedenfalls, daß die neue Glasfront ein architektonisches Signal setzt, das den Tuchlauben an dieser Stelle ausgesprochen gut tut - und das bei jedem Wetter, also auch jetzt im Sommer, wenn die Glasscheiben hochgeklappt sind.

Wie gesagt: zwei Liegenschaften - ein Lokal. Das Restaurant zieht sich um die Ecke, in die Milchgasse hinein, Eingang und Bar sind im zweiten Haus. Wobei der Eingang schon fast unscheinbar ist, so bescheiden gibt er sich: Nur ein ganz kleines Emblem zwischen dem Eingang und einer raumhohen Fensterscheibe, die jetzt im Sommer offen ist, trägt den Schriftzug „Fabios“ (übrigens entworfen von „designwerk“). Nobel eben.

In der Bar selbst ist man dann ein erstes Mal jener zeitlosen Materialität konfrontiert, die sich durch das ganze Lokal zieht: Nußholz auf dem Boden und an der Decke, die eine Längswand mit dunkelbraunem Leder gepolstert; in diese Wand eingeschnitten kleine Nischen, wo man ganz angenehm sitzen kann; an der schmalen Rückwand eine Verglasung, in die ein Videoscreen eingelassen ist; links an der Bar entlang der Weg vom Restaurant zu den Toiletten, von der Bar aus geht man am besten andersherum dorthin - den Waschräumen ist nämlich ein verglaster (nicht transparent) Durchgangsraum vorgeschoben.

Man sitzt auf Leder oder steht an der 13 Meter langen Bar. Und man hat merkwürdigerweise nicht das Gefühl, daß der Raum zu niedrig ist, obwohl er die im sozialen Wohnbau übliche Raumhöhe nur um 20 Zentimeter (!) überschreitet. Das ist sehr geschickt gelöst. Ebenso bemerkenswert, daß man nicht wirklich merkt, daß der Fußboden in die Raumtiefe hinein ein Gefälle von immerhin 40 Zentimetern aufweist. Nur wenn man vom Eingang her in den Raum schaut, nimmt man den Eindruck einer perspektivischen Manipulation flüchtig wahr. Dabei war dieser Kunstgriff gar nicht gewollt, sondern erzwungen: Denn unten drunter ist die Tiefgarage der Ersten Österreichischen, und das brachte eine Vielzahl von Zwängen mit sich.

Am Restaurant überrascht zuallererst die ungewohnte räumliche Großzügigkeit. Es heißt zwar, daß sich ein Restaurant dieser Kategorie nicht unter 110 oder 120 Sitzplätzen ökonomisch führen läßt - und die gibt es hier ja auch -, aber der Raum ist trotzdem nicht vollgestellt. Sogar die Logen an der Rückwand sind so dimensioniert, daß zum Nachbartisch reichlich Abstand besteht. Überhaupt ging es ja darum, gleichwertige Plätze zu schaffen. Denn wer geht schon gern gut (und eher teuer) essen, um dann an einem schlechten Tisch zu sitzen.

Es ist alles vom Feinsten. In den Ledersesseln sitzt man hervorragend, die Tische sind richtig dimensioniert. Und gedeckt sind die Tische gewissermaßen „klassisch“, also mit weißen Tischtüchern. Ausgesprochen raffiniert ist das Lichtkonzept: Christian Ploderer mischt weißes und oranges Licht, so daß eine sehr warme und angenehme Lichtmalerei auf den Tischen entsteht - sie tut den Gesichtern gut, aber auch den Speisen. Und auf beides kommt es an.

Ein intelligentes Ausstattungsdetail ist die durchgehend verspiegelte Rückwand des Raumes. Sie ist sehr dunkel getönt, und ein weißer Store ist darübergezogen. Das ergibt einen ausgesprochen interessanten Effekt.

Denn das Geschehen draußen auf der Straße bildet sich dort als unscharfe, schemenhafte Bewegung ab. Mit der Penetranz herkömmlich verspiegelter Räume, in denen man sich ständig selbst beobachtet, hat das nicht das geringste zu tun. Es ist ganz unaufdringlich. Eine Art lebendes Bild, das aber nicht mit den Mitteln bloßer Dekoration erzeugt wird.

Auf einen solchen Nenner läßt sich diese Lokalarchitektur von BEHF vielleicht überhaupt reduzieren. So dekorativ sie sich in der Summe der Einzelmaßnahmen auch präsentiert, bloßes Dekor kommt trotzdem nicht vor.

Es handelt sich eher um eine subtile Komposition aus bildhaft umgesetzten Informationen, auch um eine Addition von Raumsequenzen, die alle zusammen eine Art Kurzfilm ergeben. Daß dieser Kurzfilm eher von den Reichen, zumindest den Erfolgreichen handelt, schreckt manchen vielleicht. Andererseits - lügen wir uns doch nicht selbst in den Sack - gehört auch so etwas zur Großstadtszene dazu.

Am ehesten könnte man noch mit seiner „weltläufigen“ Konservativität gegen diese Lokalarchitektur anargumentieren. Denn auf eine neue Art konservativ - oder vielleicht richtiger: traditionell - ist das Lokal schon. Aber da bin ich Fatalist: Wenn ich gut essen gehe, kommt es mir auf die Qualität der Speisen und die angenehme Gesellschaft an. Und der Rest soll mich auf keinen Fall belästigen, wenn er erfreulich ist, umso besser. Unter diesen Vorzeichen gibt es nur ein Fazit aus dem Ambiente des „Fabios“: Nobel, nobel.

Spectrum, Sa., 2002.06.29



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Fabios

25. Mai 2002Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Voilà: Seither herrscht Krieg

Bisher galt, daß ein Architekt das Territorium eines Kollegen nicht in Frage stellt - wenigstens nicht offen. Neuerdings fechten in Wettbewerben Unterlegene Juryentscheide immer öfter juristisch an. Ist der Berufsstand dabei, sich aufzureiben?

Bisher galt, daß ein Architekt das Territorium eines Kollegen nicht in Frage stellt - wenigstens nicht offen. Neuerdings fechten in Wettbewerben Unterlegene Juryentscheide immer öfter juristisch an. Ist der Berufsstand dabei, sich aufzureiben?

Das Virus, laut Duden außerhalb der Fachsprache auch der Virus, gilt als kleinster bekannter Krankheitserreger. Der Brockhaus erläutert das näher: Alle Viren vermehren sich natürlicherweise nur in lebenden Zellen, und sie führen nach einer bestimmten Inkubationszeit mit einem fieberhaften Stadium zu akuten Infektionskrankheiten.

Auf dem Feld der Architekturwettbewerbe ist es jetzt soweit: Das fieberhafte Stadium macht einer akuten Krankheit Platz. Architekten bekriegen Architekten, eindeutige Wettbewerbsentscheidungen werden nicht von außen, sondern von innen, von der Profession selbst, in Frage gestellt. Das ist neu. Vorher waren es in der Regel andere, die den „demokratischen“ Prozeß des Wettbewerbsverfahrens vor allem mit dem Argument der Kosten in Frage gestellt haben.

Dafür gibt es jede Menge Beispiele. Otto Häuselmayers Linzer Musiktheater-Projekt, geopfert auf dem Altar einer FP-Volksbefragung, ist nur die Spitze des Eisberges. Aber auch Salzburg - um zur Sache zu kommen, denn ein Hauptpunkt ist schließlich die Querele um das Kleine Festspielhaus - war da schon immer besonders gut. Man denke nur an die Vor-EU-Zeiten, als Juan Navarro Baldeweg den Wettbewerb um das Kongreßzentrum gewann, den dann ein Salzburger Architekt teilweise gebaut hat, dem dann aber auch wieder das Heft aus der Hand genommen wurde, und das am Ende ein kommerzielles Unternehmen fertiggestellt hat. Argument gegen das Baldeweg-Projekt: 100 Millionen Schilling (7,267 Millionen Euro) Mehrkosten gegenüber dem Zweitgereihten. Tatsache nach der Fertigstellung: 200 Millionen Schilling (14,534 Millionen Euro) Mehrkosten gegenüber dem Baldeweg-Projekt, denn zumindest nach dem Hörensagen - beweisen läßt sich so etwas ja selten - hat die Übernahme durch eine Kommerzfirma noch einmal 100 Millionen Schilling Mehrkosten verursacht.

Wie gesagt, Salzburg war für solche Extreme immer schon gut. Beim EU-weiten Wettbewerb um die neue Messehalle wurde der Jury-Entscheid ebenfalls ignoriert. Die tatsächliche Realisierung hat mit dem Wettbewerb nichts mehr zu tun. Auch hier erhielt letztlich ein Kommerzunternehmen den Zuschlag. Ein Trend? Jedenfalls versteht man langsam den Frust der Architekten, was die Teilnahme an Wettbewerben betrifft. Denn die geforderte Vorleistung - nicht nur ideell, sondern vor allem kommerziell, in Form von Arbeitsstunden - ist enorm. Und was kommt dabei heraus?

Ja, was? Als unlängst eine Jury das geladene Gutachterverfahren für den Umbau der Hernalser Rettungsstation entschied, da dachte sie sicher nicht, daß ein 20-Millionen-Schilling-Projekt (1,453 Millionen Euro) Anlaß für Widerspruch sein könnte. Es gab einen eindeutigen Sieger, das Büro Geiswinkler & Geiswinkler - Architekten. Und der hatte ein ausgesprochen intelligentes Raumkonzept für den etwas verqueren Bestand vorgelegt. Wer denkt sich, noch dazu bei einer solchen Umbausumme, etwas Böses? Nun, einem der Mitbewerber war es jedenfalls einen Einspruch wert. Auf der Basis der eigenen Erfahrung - er hat schon eine Rettungsstation gebaut - glaubte er sich berechtigt, gegen den Juryentscheid anzuargumentieren.

Er wird nicht weit kommen damit. Aber ist es nicht kurios? Soll sein, daß die wirklich lächerliche Umbausumme zu guter Letzt ein wenig nach oben gestaffelt werden kann. Aber das ist nicht der Punkt. Der Punkt ist: Mit dem Einspruch wurde eine Tabuzone verletzt. Bisher galt, daß kein Architekt das Territorium eines Kollegen in Frage stellt. Wenigstens nicht offen. Was hinter vorgehaltener Hand immer schon gemauschelt wurde, davon wollen wir hier gar nicht erst reden. Offensichtlich ist, daß es die kollegiale Tabuzone scheinbar nicht mehr gibt.

Am Fall des Kleinen Festspielhauses läßt sich die ganze Misere besonders anschaulich illustrieren. Im österreichischen Wettbewerbswesen ist so etwas wie in Salzburg, etwas in diesen (Bedeutungs)Ausmaßen, noch nicht vorgekommen.

Die Ausgangslage: Gefordert waren die akustische Verbesserung des Kleinen Festspielhauses und eine ökonomische Verbesserung der Auslastung, sprich eine Erhöhung der Zuschauerkapazität. Dafür wurde ein EU-weit geladenes Verfahren in die Wege geleitet, bei dem in einer zweiten Stufe aus den 20 ursprünglichen Bewerbern fünf zu konkreten „Lösungsvorschlägen“ aufgefordert wurden. Halten wir fest, daß die Anführungszeichen beim Wort Lösungsvorschläge wichtig sind: Denn damit befinden wir uns mitten im Vokabular eines Verfahrens, das natürlich kein Wettbewerb war, es war aber auch kein Gutachten - beides gängige Kategorien im Architekturbusiness -, nein, das Salzburger Kleine Festspielhaus war Gegenstand eines - neuerlich Anführungszeichen - „Verhandlungsverfahrens“.

Nun, wie definiert sich ein Verhandlungsverfahren? Keiner weiß es. Aber fest steht: Es gibt kein „Siegerprojekt“, das der Umsetzung harrt, es gibt nur - und damit sind wir wieder bei den allerersten Anführungszeichen -, einen siegreichen „Lösungsvorschlag“. Und den gibt es sogar 9:0, also einstimmig.

Und damit beginnt das Drama. Denn derjenige, der seit 1986 am Projekt Kleines Festspielhaus dran ist, der gebürtiger Salzburger ist, für den die Aufgabe gewissermaßen Ehrensache ist, der heißt Wilhelm Holzbauer. Der hat das ominöse „Verhandlungsverfahren“ aber nicht gewonnen. Er wurde nur Zweiter. Pikanterie am Rande: Der siegreiche „Lösungsvorschlag“ ist ein Gemeinschaftsprodukt des Salzburger Büros Wimmer Zaick und des österreichisch-luxemburgischen Büros Hermann & Valentiny, letztere Schüler von Holzbauer und von ihm selbst zur Teilnahme am Verfahren vorgeschlagen.

Das alles hat Holzbauer klarerweise getroffen: überrundet von den eigenen Schülern, und das in Salzburg, seiner Heimatstadt. Es muß ihn hart getroffen haben. Aber Holzbauer wäre nicht Holzbauer, wenn er die nachfolgende Depressionsphase nicht rasch überwunden hätte. Voilà: Seither herrscht Krieg. Er reagierte mit Einsprüchen über Einsprüchen, jetzt sind also die Juristen am Zug. Und wenn die erst am Zug sind, dann findet sich immer etwas. Denn es gibt kein Verfahren, das juristisch so wasserdicht ist, daß man es nicht in Details anfechten könnte und damit insgesamt in Frage stellt.

In Wirklichkeit reden wir ja von einer unbekannten Größe. Denn merkwürdigerweise wurde niemals etwas veröffentlicht. Niemand kennt das „Siegerprojekt“. Niemand kennt das von Holzbauer. Nur Holzbauer scheint das seiner Kontrahenten zu kennen, obwohl er es eigentlich nicht kennen darf. Dennoch: Er scheint es zu kennen, jedenfalls lassen sich bestimmte Einsprüche anders nicht erklären.

Warum verhält sich Holzbauer so, wie er sich verhält? Man könnte antworten: Zurückhaltung war seine Sache noch nie. Beim Museumsquartier in Wien zum Beispiel, da gab es eine Phase, wo er sich massiv eingemischt hat. Obwohl es einen eindeutigen Sieger gab - das Büro Ortner & Ortner - und obwohl er selbst mit seinem Projekt schon in der ersten Runde ausgeschieden war. Das vermeintliche Wettbewerbsprojekt, mit dem er damals bei den Politikern antichambrieren ging, war modifiziert.

Holzbauer hatte aber auch keine Skrupel, den Auftrag für den Um- und Neubau des Linzer Hauptbahnhofs an sich zu reißen. Da hatte das siegreiche Büro Neumann & Steiner schon ein Jahr lang daran gearbeitet.

Vor diesem Hintergrund nimmt sich die Causa Kleines Festspielhaus umso problematischer aus. Na klar, ein Großmogul der Architektur wehrt sich gegen „Wadlbeißer“. Denn wer sind die denn schon, die da eine intelligentere, auch eine ökonomischere Lösung anzubieten hatten? Man kennt die Projekte offiziell ja nicht.

Aber wenn Holzbauer beeinsprucht, daß die Verfahrenssieger in ihrem „Lösungsvorschlag“ das Tabu Felsenreitschule antasten - dort würden in der einen von zwei Varianten 30 der schlechtesten Sitzplätze fallen -, dann kann man ihm immerhin entgegenhalten, daß sein Vorschlag bei einer geringeren Sitzplatzkapazität das Tabu Bühnenturm verletzt.

Nur: Darum geht es gar nicht. Es geht nicht um inhaltliche Qualitäten. Es geht um Prestige und um Geld. Und es geht darum, was die Beziehungen, die Freundschaften mit den „Machern“ in Salzburg für den Ernstfall bringen.

All das wäre schon schlimm genug - und für den Berufsstand der Architekten eigentlich katastrophal. Von außen betrachtet: Wie können Leute, die sich selbst für die Ausübung ihres Berufes gewisse Regeln auferlegt haben, so agieren?

Vielleicht aber ist alles ganz anders gelaufen. Streng theoretisch wäre doch auch folgendes - sagen wir - Nebenszenario denkbar: Es könnte sein, daß irgend jemand Holzbauer im Vorfeld des Verfahrens bedeutet hat, er werde den Salzburger Auftrag ohnehin bekommen, das gesamte Verfahren sei nur ein EU-notwendiges Alibiunternehmen.

Tja. Wenn einmal der Wurm drin ist . . . Und damit sind wir wieder bei den Viren. Womit wir es derzeit in der Architektur zu tun haben, das ist ein Krankheitsbild. Ein Berufsstand reibt sich selbst auf. Wo gehören die Architekten hin? In die Kategorie Unternehmer? Oder sind sie nicht doch auch Künstler? Man hat das Gefühl, sie wissen es selbst nicht mehr.

Spectrum, Sa., 2002.05.25

20. April 2002Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Zwei Fassaden, ein Gebäude

Ein in die Erde versenkter vierstöckiger Neubau, in den bis ins unterste Geschoß Tageslicht fällt, und das in einem streng denkmalgeschützten Ensemble: das „unsichtbare“ Studiengebäude der Wiener Albertina. So heikel die Aufgabe war, so brillant fiel die Lösung von Erich Steinmayr und Friedrich Mascher aus.

Ein in die Erde versenkter vierstöckiger Neubau, in den bis ins unterste Geschoß Tageslicht fällt, und das in einem streng denkmalgeschützten Ensemble: das „unsichtbare“ Studiengebäude der Wiener Albertina. So heikel die Aufgabe war, so brillant fiel die Lösung von Erich Steinmayr und Friedrich Mascher aus.

Wie die Zeit vergeht. Nicht zu glauben, daß der Wettbewerb für die Sanierung und Erweiterung der Wiener Albertina schon neun Jahre zurückliegt. Nächstes Jahr, wenn das Gesamtprojekt abgeschlossen und eröffnet werden wird, ist es dann also ein rundes Jahrzehnt. Dabei wird beim Bauen keineswegs getrödelt: Seit Beginn der Bauarbeiten im Frühjahr 1999 schreitet das Vorhaben zügig voran. Es war die Phase vor der eigentlichen Realisierung, die sich so lang hingezogen hat. Ein Jahr vor der Eröffnung ist daher erst ein Bauabschnitt wirklich abgeschlossen. Der allerdings ist architektonisch vom Feinsten.

Die Intelligenz des Projekts von Erich G. Steinmayr und Friedrich Mascher hat schon seinerzeit, im Wett-bewerbsjahr 1993, bestochen. Die Idee, ein „unsichtbares“ Studiengebäude in die Erde zu versenken, in das aber trotzdem Tageslicht einfällt und das sogar über einen absolut sehenswerten Ausblick verfügt, war immer schon brillant. Jetzt sieht man, daß sie auch entsprechend umgesetzt wurde.

Nur: Daß man es sieht, wenn man es sehen möchte, das ist gar nicht so leicht. Weil es eben ein „unsichtbares“ Gebäude ist, eines mit nur zwei Fassaden: dem Dach und jener Fassade Richtung Nationalbibliothek, die sich gläsern aus der Erde herausschiebt, orientiert auf einen gar nicht so kleinen, einfachen, kontemplativen Hof.

Die Dachfläche des Neubaus ist ganz eben, aber strukturiert. Es gibt in der Fläche sitzende Lichtampeln, beschattet durch einen simplen Raster aus Alu-LKW-Brettern, dazwischen fast schwarze, verblechte Dachflächen. Schwarz - in der Architektur bei vielen Leuten sehr ungeliebt - gehört zum Material-, Oberflächen- und Farb-konzept, das sich ganz stringent durch dieses Gebäude durchzieht.

Die Hauptfassade zum Hof ist in der Tat überraschend: Einmal sitzt die Verglasung außenbündig, also ganz vorne in der Fläche, dann springt sie plötzlich zurück, die Verglasung ist innenbündig angebracht und ein fixer Alu-Beschattungsraster davor montiert, unten sitzt sie wieder außenbündig in der Fläche. Das ist eigenartig. Und es ist eigenartig, wie unterschiedlich die Fassaden-teilung ausgefallen ist. Denn da tauchen in schöner Regelmäßigkeit auch hohe schmale Glaselemente auf, die ausschauen, als wären sie Türen, vor denen man den Balkon vergessen hat. Hat man aber nicht. Es sind die Brandrauchklappen, die sich hier im Fassadenbild zeigen.

Wir reden von einem vierstöckigen Neubau, in dem sich - von oben nach unten - ein öffentlich zugänglicher Studiensaal mit dreißig Arbeitsplätzen und einem erhöhten Bereich mit Computer-Arbeitsplätzen befindet, darunter sind die Werkstätten für die Papier-restaurierung. Wieder darunter ist ein interner Studiensaal mit angeschlossenem Photostudio auch für Digital-kameras und einer Verbindung zum untersten Geschoß mit der Bibliothek.

Das ganze Gebäude hat eine Raumtiefe von ungefähr dreißig Metern, dort ist dann eine Art Lichtschleuse, ein verglaster Lichthof eingeschoben, über den selbst an einem ganz trüben Tag Tageslicht bis auf die unterste, die Bibliotheksebene einfällt.

Übrigens wird das Studiengebäude vor der Eröffnung im nächsten Jahr nicht öffentlich zugänglich sein. Denn Sinn macht es nur, wenn der Tiefspeicher fertig und der Zugriff auf die Bestände der Albertina gewährleistet ist. Und das ist ein ziemlich komplexes Unterfangen. Der Zugriff auf die Sammlung wird in Zukunft geschoßweise, mechanisch und automatisch erfolgen. Es werden in jedem Geschoß sogenannte Ausgabegeräte installiert, in die man seine Wünsche eingibt und die den ganzen Vorgang des Heraus-suchens und Anlieferns selbsttätig erledigen. Das ist zwar ungemein aufwendig, aber in dieser Möglichkeit liegt gewissermaßen der „politische“, der „demokratische“ Aspekt des gesamten Albertina-Projekts: Er macht diesen Sammlungsbestand für eine Öffentlichkeit, die aus Wissenschaftlern, Forschern, Studierenden besteht, wirklich zugänglich. Und das war zuvor auf dieser breiten Basis nicht möglich.

Was das Projekt von Steinmayr und Mascher seit der ersten Stunde so überzeugend gemacht hat, ist die Logik der Lösung. Was es gebraucht hat, war eine ungemein diffizile städtebauliche Lösung für diesen „unsichtbaren“ Neubau im zu Recht unverletzbaren, strengstens denkmalgeschützten Bereich zwischen Augustinerstraße, Burggarten und Hofburg; es hat eine sinnvolle interne Verknüpfung zwischen dem Altbau, und den Neubauteilen, also Studiengebäude, Tiefspeicher und Ausstellungshalle gebraucht; und all das hat zwingend nach einer angemessenen formalen Umsetzung verlangt, die dem Standort und der Albertina gerecht wird.

Letzteres ist beim Neubau schon dadurch bewältigt, daß man mit einem Minimum an Material ausgekommen ist: Es gibt Sichtbeton in durchaus brauchbarer Qualität, es gibt schwarzen Fließterrazzo, es gibt Aluminium - eloxiert oder pulverbeschichtet -, es gibt Glas von transparent bis transluzent, und dann gibt es auch noch Holz, und zwar Eiche. Als Parkett auf dem Boden, auch als relativ stark geflammtes, aber durch die Logik der Verlegetechnik wieder beruhigtes Furnier auf Wandpaneelen. Und was das alles vom Kritikerstandpunkt aus so einsichtig macht: Die Dinge haben ihre Begründung, sie sind nicht bloß Willkürakt. Daß im Studiensaal trotz Tageslicht von oben eine Glasfassade ist, hat mit dem psychischen Wohlbefinden zu tun, das sich einstellt, wenn man nach draußen schauen kann; daß im Werkstättengeschoß über die Fassade für eine optimale, aber steuerbare Belichtung gesorgt ist, hat mit den konkreten Anforderungen zu tun. Und so weiter. Bis hinunter zur Bibliothek, wo man dann halt bei Tageslicht nachschauen kann, ob das Buch, das man sich aus dem Kompaktregal geholt hat, wirklich das richtige ist.

Die funktionelle Verknüpfung der verschiedenen Einheiten untereinander kann man zum jetzigen Zeitpunkt nur teilweise nachvollziehen. Der alte Portikus steht wieder da; die Holleinsche Rolltreppe ist in einem frühen Realisierungsstadium; der in Zukunft glasüberdachte Albertina-Hof wird einmal die entscheidende Verteilerfunktion im Komplex übernehmen. Man sieht, wie die neue Ausstellungshalle in etwa dimensioniert sein wird - und man sieht, daß sie eine massive Decke hat. Das ist ein bißchen unbegreiflich, wenn man weiß, daß die Architekten ursprünglich eine Lichtdecke dafür entwickelt haben. Auch wenn die Albertina-Lichtdecke nur halb so gut gewesen wäre wie jene, die Renzo Piano für die Sammlung Beyeler bei Basel entwickelt hat, wäre sie immer noch eine Sensation im Vergleich zu dieser Bunkerlösung.

Die Albertina ist zum jetzigen Zeitpunkt eine der aufregendsten Baustellen Wiens. Abenteuerlich. Da überschneiden sich unterschiedlichste Bauetappen, und bei den verschiedenen Niveaus, die nun sichtbar sind, wird es ganz schwer, sich überhaupt noch zu orientieren. Unbeschreiblich aufregend, die alten Klostergewölbe zu sehen, wo der „Albertina-Keller“ lange Zeit sein Weinlager hatte und wo man jetzt, wenn man hinauf schaut, die massiven Träger sieht, mit denen die notwendige Unterfangung eines Teils der Albertina bewältigt wurde.

Eine vielleicht kuriose Anmerkung zum Schluß: Ursprünglich hatte die Albertina-Rampe eine Steigung von sechs Prozent, jetzt hat sie neun Prozent. Denn die Begrenzungsmauer der Rampenkehre - übrigens mit den al-ten Zwanzig-Zentimeter-Massivblöcken realisiert - mußte durch den Neubau um dreißig Meter vorverlegt werden. Selbst als Wiener, der die Situation gut kennt, fällt einem praktisch nicht auf, daß die Rampe jetzt steiler ist. Es ist schon komisch, wie das in der Architektur mit dem Gedächtnis funktioniert: Manches bewahrt sich ganz lange, sogar jahrhundertelang. Und dann gibt es aber auch Dinge, die sind gleich vergessen.

Spectrum, Sa., 2002.04.20



verknüpfte Bauwerke
Albertina

09. März 2002Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Vorne wohnen, hinten hackeln

Altbewährt ist das Bebauungsmuster: die Verbindung von Wohnen und Arbeiten: Ganz auf der der Höhe der Zeit ist dessen Interpretation durch Delugan-Meissl: eine der spannendsten Baulückenverbauungen in Wien.

Altbewährt ist das Bebauungsmuster: die Verbindung von Wohnen und Arbeiten: Ganz auf der der Höhe der Zeit ist dessen Interpretation durch Delugan-Meissl: eine der spannendsten Baulückenverbauungen in Wien.

Für Architekten eine Standardaufgabe in der Stadt: das Füllen einer Baulücke im dicht verbauten Wohngebiet. Aufregend ist das in der Regel nicht. Man darf sich entscheiden zwischen Anpassung und - bewußter, formaler - Abgrenzung. Und im übrigen hat man möglichst viel an vermarktbaren, verkaufbaren Flächen aus dem Grundstück herauszuholen.

Delugan-Meissl ist es bei ihrem Bau in der Wimbergergasse in Wien nicht viel anders ergangen. Aber gerade dieses „nicht viel“ macht es aus. Denn das Resultat ist, trotz aller Modifikationen, die das ursprüngliche Projekt erfahren hat, beeindruckend. Eine der spannendsten Baulückenverbauungen, die es in Wien überhaupt gibt. Man mag einwenden: Von der Formensprache her - sehr zeitgeistig. Aber: Hier ist der Zeitgeist eben kein bloß aufgesetzter Formalismus, hier sind die zeitgeistigen Lösungen durch einen inhaltlichen, einen nutzerorientierten Mehrwert abgedeckt.

Zur Straße hin sieht man nur - eine Glasfassade. Sie setzt sich von der Umgebung sehr deutlich ab, wertet den Straßenzug (im Bezirk Neubau, fast parallel zum Gürtel) auf. Sie ist ein Highlight im Putzfassaden-Einerlei, das hier den Ton angibt.

Ursprünglich war übrigens etwas ganz anderes angedacht. Die Fassade hätte zweischalig und begrünt sein sollen. Aber das war wohl zu aufwendig. Bemerkenswert ist die Fassade trotzdem. Denn dadurch, daß die Architekten in die Loggienschicht teilweise auch zweigeschoßige Bereiche eingeführt haben, entsteht ein reizvolles Fassadenmuster. Der lebendige, grüne Sichtschutz fehlt zwar, eine Arbeit des Künstlers Herwig Kempinger greift den Gedanken aber auf: Er hat winterkahle Bäume photographiert und im Brüstungsbereich auf die Verglasung aufgedruckt. Eine sinnvolle Maßnahme, wenn man an die Unsitte der wild wuchernden Schilfmatten denkt oder auch daran, was sich auf Balkonen so alles ansammelt.

An dieser Stelle ist ein Exkurs zum Thema Bauträger angesagt. Es gibt die guten, es gibt die bösen - „Kallco Projekt“ zählt eindeutig zu den guten. Wilfried Kallinger ist einer der wenigen, die sich darauf einlassen, auch jenseits der eingefahrenen Pfade etwas zu versuchen. Er interessiert sich für Kunst, er interessiert sich für Architektur - und das sieht man den gebauten Ergebnissen dann auch an.

Von der Wimbergergasse gibt es demzufolge allerhand zu berichten. Denn das Projekt umfaßt keineswegs nur den straßenseitigen Wohnbau - der übrigens im ersten Obergeschoß auch eine Büroetage hat -, das Projekt umfaßt vor allem an der Hofseite eine richtiggehende Bürohaus- Landschaft. Man darf die Bezeichnung „Landschaft“ in diesem Fall fast wörtlich nehmen. Denn trotz der niedrigen Bauklasse im Hofbereich falten sich hier ziemlich wild zerklüftete Bauteile auf, die auch in den untersten Bereichen - teils über Rampen, teils über schluchtartige Einschnitte - natürlich belichtet sind. Als Arbeitsflächen zugelassen sind diese Ebenen zwar nicht, offiziell sind sie als Lagerräume deklariert, ans alte Souterrain erinnert hier trotzdem nichts mehr.

Jedenfalls ist das Konzept der Vermischung von Arbeit und Wohnen in der Wimbergergasse ausgesprochen reizvoll gelöst. Es ist sozusagen die zeitgenössische Interpretation eines alten Bebauungsmusters. Die Tiefe der Parzelle erklärt sich ja vor allem daraus, daß auch früher auf solchen Grundstücken vorne gewohnt wurde und dahinter, im Hoftrakt, oft eine gewerbliche Nutzung untergebracht war. Heute wissen wir, daß dieses alte Bebauungsschema Qualitäten hatte, daß es ein Beitrag zur Lebendigkeit eines Quartiers war. Andererseits: Es ist nicht so einfach, das heute zu realisieren. Denn jeder hat längst ein feines Organ für die Umweltbelastungen, die damit verbunden sind. Egal, ob das nun Schmutz oder Lärm ist. Der Nutzungsmix von Wohnungen und Büros ist dagegen relativ unproblematisch.

Und im übrigen hat das Wohnhaus durch die Verflechtung mit Büros sicher gewonnen. Das merkt man schon, wenn man in das äußerst großzügige Foyer hineinkommt. Da wurde ganz offensichtlich auf eine gewisse Eleganz Wert gelegt. Denn jeder, der nach hinten zu den Büros will, muß ja hier durch. Deswegen liegt auf dem Boden Schiefer, und ein Kunstwerk von Leo Zogmayer setzt einen schönen Akzent. Sogar die unvermeidlichen Briefkästen zeichnen sich durch formalen Anspruch aus. Und natürlich erklärt sich auch die Offenheit und Transparenz zur Straße aus dieser Durchgangssituation: So bekommt man sogar von draußen mit, daß sich hofseitig noch etwas tut.

Offenheit ist überhaupt ein Wort, das einem hier mehrfach in den Sinn kommt. Zumindest jetzt noch, in der Bezugsphase der Büros. Die Architekten haben wunderbar offene Loftsituationen geschaffen, mit denen man viel anfangen könnte. Leider bauen die Nutzer vieles wieder zu, gegen das herkömmliche Zellenbüro kommt scheinbar auch die beste Architektur nicht an. Das ist zwar ein Jammer, aber an der grundsätzlichen Struktur ändert es nichts.
Wie gesagt: ein großzügiges, elegantes, ein großstädtisches Projekt. Selbst nebensächliche Bereiche wie die Tiefgarage wurden mit Sorgfalt behandelt. Auch hier war übrigens eine Künstlerin am Werk, die versucht hat, mit Licht und Farbe diesen sogenannten Angstraum zu entschärfen. Man merkt ihrer Arbeit allerdings an, daß sie sich vielleicht doch zu weit ins Feld der „angewandten“ Gestaltung vorgewagt hat. Denn da gibt es Details, die nicht wirklich überzeugen. Ein ähnliches Manko weisen übrigens die Außenanlagen auf: Auch hier hat eine Künstlerin mit Streifen im Bodenbelag einen Akzent gesetzt, der nicht ganz überzeugt. Wenn die raffiniert verschwenkten und aufgefalteten Gründächer und Außenanlagen bruch- und nahtlos ineinander übergingen, wäre es sicher besser.

Aber das sind Auffassungsfragen. Tatsache ist: Die Wohnungen sind toll, ebenso die Büros. Und wenn man in einem der oberen Geschoße auf den kleinen Aussichtsbalkon hinaustritt, den die Architekten hofseitig ihren Wohnungen zugeordnet haben, dann hat man auch einen großartigen Blick - auf ein Stück bemerkenswerte zeitgenössische Architektur.

Spectrum, Sa., 2002.03.09



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Stadthaus

02. Februar 2002Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Mit Jalousie vom Segelbauer

„Süd.See“ hieß das Projekt bei den Architekten: Der Neusiedler See im Süden markiert die Horizontgrenze. Im Volksmund heißt es „das fliegende Haus“: Der lange Baukörper kragt weit über einen Hang aus. Wie Gerner & Gerner aus einem Bauplatz in Jois das Optimum herausholten.

„Süd.See“ hieß das Projekt bei den Architekten: Der Neusiedler See im Süden markiert die Horizontgrenze. Im Volksmund heißt es „das fliegende Haus“: Der lange Baukörper kragt weit über einen Hang aus. Wie Gerner & Gerner aus einem Bauplatz in Jois das Optimum herausholten.

Auf den Bürgermeister kommt es an. Das ist eine Tatsache, mit der man auf architektonischen Sightseeing-Touren überall in Österreich konfrontiert wird. Wenn der Bürgermeister nicht will, dann geht gar nichts. Und meistens will er nicht, weil nicht nur er selbst unter einem Satteldach wohnt, sondern weil so viele österreichische Landgemeinden ein solches Dach (auch noch ziegel-gedeckt) zwingend vorschreiben.

Daß diese Vorschriften individuelle (und zeitadäquatere) Interpretationen zulassen, kann man neuerdings auch in der burgenländischen Ortschaft Jois in Augenschein nehmen. Dort fand das Architektenehepaar Gerner & Gerner einen aufgeschlossenen Bauherrn, der, aus Wien kommend, einen persönlichen Traum verwirklichen wollte; dort fand es aber auch den Bürgermeister, der für eine solche Initiative offen war. Bemerkenswert ist: Gleich nebenan baut der Bürgermeister selbst - ein Satteldachhaus gängiger Prägung. Aber das hat ihn nicht so blind gemacht, daß er die Besonderheit des Gerner-Hauses nicht erkannt und für Jois als wichtig empfunden hätte. Hypothetischer Hintergedanke: Wo sich jemand ansiedelt, der ein so spezielles Haus baut, da kommen womöglich andere nach. Es dürfte genug burgenländische Ortschaften geben, denen diese Art des „ideellen“ Investitionsschubs ebenfalls guttäte.

Im Volksmund heißt es: das fliegende Haus. Und der Volksmund ist bekanntlich schnell mit solchen verbalen Etiketten. Aber er erfaßt auch immer wieder das Wesentliche. Im Fall des Gerner-Hauses besteht es darin, daß sich die Architekten für einen 35 Meter langen, eingeschoßigen Baukörper entschieden, der weit über einen Hang auskragt, und daß sie davor einen zweiten Baukörper gesetzt haben - interner Name, der visuell wirklich zutrifft: Monitor -, der auf zwei Geschoßen einen Arbeitsraum für den Bauherrn und Gästezimmer (auch eine Wohnung für die „Nanny“ der Kinder) aufnimmt.

Das Haus ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert. Es hat sein Satteldach. Aber es hat es in einer so sanften Neigung, daß man es schon fast nicht mehr sieht. Andererseits: Was man davon sieht, ist okay. Es drückt irgendwie die Schnittstelle zwischen offener Küche und Wohnraum nach außen sichtbar aus, obwohl drinnen gerade diese durchgängige Raumausbildung nur durch einen Niveausprung artikuliert ist. Das ist sehr schön: Koch-, Eß- und Wohnbereich - insgesamt 16 Meter Länge bei einer maximalen Raumhöhe von 4,50 Metern - bilden einfach eine riesige Wohninsel, die in sich zwar leichte Differenzierungen aufweist (eben durch den Niveausprung), aber vor allem eine Großzügigkeit offeriert, wie man sie in heutigen, neu gebauten Häusern selten antrifft.

Man muß sich die Gesamtsituation so vorstellen: Süd.See heißt das Projekt bei den Architekten. Das heißt natürlich, daß der Neusiedler See im Süden die Horizontgrenze markiert. Und auf diesen Horizont hin sind alle Wohn- und Schlafräume des Hauses orientiert. Und zwar gläsern - sie sind total offen. Das ist indes kein Diktat der Architekten, das wollte vor allem der Bauherr so. Aber man hat Vorsorge getroffen. Es gibt natürlich eine Außen-beschattung. Und die hat, das wiederum ist erwähnenswert, ein Segelbauer vom Neusiedler See gemacht. Die Gerners haben ein ganz einfaches Außenjalousie-System eigens für dieses Haus entwickelt - mit seinen Schnüren und Rollen hat es viel vom Schiffsbau -, das ganz leicht, aber mechanisch zu bedienen ist, das preisgünstig war und das noch dazu aus den lokalen Ressourcen schöpft. Denn wo sonst würde man schon einen Segelbauer zu diesem Thema befragen.

Die Gerners haben offensichtlich ziemlich genau gecheckt, was an diesem speziellen Standort das richtige ist. Denn aufs erste vermutet man in dem Haus mit seiner metallischen Oberfläche - bei der hinterlüfteten Außenhaut verwenden sie das sogenannte Gleit-bügelsystem aus Aluminium - einen Betonbau. Das ist aber nicht der Fall. Abgesehen von einem „Betontisch“, der die Auskragung trägt, ist dieses Haus konstruktiv ein Leichtbau, nämlich ein Holzbau. Schon mit Betondecken dazwischen, aber doch ein Holzbau.

Wenn man die Architekten befragt, dann gab es viele Gründe für diese Entscheidung. Die Metallhaut ist natürlich die wetterbeständigste, pflegeleichteste Lösung, die sich denken läßt. Der Holzbau wiederum konnte vorgefertigt und innerhalb von drei Tagen aufgestellt werden. Das sind schon Argumente - vor allem, wenn man eine Planungs- und Bauzeit von insgesamt nur zehn Monaten zum Ziel hat.

Es gab auch Schwierigkeiten. Zum Beispiel ist der vorgesehene geschliffene Estrich als Boden letztlich nicht so ausgeführt worden, daß er akzeptabel war. Deswegen gibt es jetzt im ganzen Haus einen wunderbaren Schieferboden. Das allerdings machte es notwendig, daß alle Türen um zwei Zentimeter gehoben werden mußten. Was das für eine Aktion gewesen sein muß, kann sich zumindest jeder Bauherr oder auch Häuselbauer vorstellen. Aber daß alles glattgeht, das gibt es nie. Und hier ist - nicht zuletzt auf Grund des Engagements des Bauherrn - ohnehin viel glattgegangen. Die Architekten: „Wir konnten unsere Vorstellungen praktisch hundertprozentig verwirklichen.“

Die Tatsachen: ein übersichtlich organisiertes Haus - auf einer Ebene Eingang, riesiger Eß-/Wohn-Bereich, Schlafräume. Die Lösung mit den nördlich orientierten Badezimmern (für Eltern und Kinder extra) irgendwie organisch integriert ins Haus, nicht allzu deutlich abgesetzt. Und dann der Monitor, der durch eine simple, verglaste Schleuse ans übrige Haus angehängt, davorgestellt ist. Außerdem: ein Kellergeschoß, das Wohngeschoß ist - mit Videoraum, Fitneß-Möglichkeiten, Dampfbad.

Angedacht war auch ein verglastes Schwimmbad unter dem auskragenden Gebäudeteil. Das ist nicht realisiert, hier gibt es nur eine gekieste Fläche. Trotz äußerst günstiger Quadratmeterpreise bei diesem Hausbau - die Architekten haben sich diesbezüglich wirklich angestrengt - hat man sich darauf geeinigt, die Nutzung des Raums unter dem auskragenden Gebäudeteil zunächst offenzulassen. Ein verglastes Schwimmbad ist nun einmal eine ziemlich teure Angelegenheit, daher wurde seine Errichtung in die Zukunft verlagert. Und ein offenes Schwimmbad hat an dieser Stelle nur wenig Sinn: Unter der Auskragung würde es immer im Schatten sein, das möchte man beim Schwimmen im Freien eigentlich nicht haben. Trotzdem: Im Hochsommer wird das ein wunderbarer, geschützter Freiraum sein, an dem die Bewohner noch ihre Freude haben werden.

Es gibt zwei in Richtung See auskragende Terrassen. Sie sind in das Gelände minuziös eingebettet. Eine angeschüttete Böschung, eine Art „Erd-kegel“ darunter, moduliert das Gelände und kann von den Kindern im Winter zum Rodeln und Skifahren genutzt werden. Überhaupt sind die Gerners mit dem Gelände sorgfältigst umgegangen. Das sieht man schon an der Eingangssituation, bei den separierten Zugängen zum Haus und zum Monitor, wo ebenfalls mit leichten Geländemodulationen gearbeitet wurde. Und vor allem daran, daß durch die Auskragung des Hauses ein beachtlicher Teil des Grundstücks freigespielt wurde. Damit haben die Architekten jenen zusätzlichen Flächenverbrauch, den ein eingeschoßiges Haus nun einmal mit sich bringt, wieder wettgemacht.

Wenn man die richtigen Architekten beauftragt, dann holen sie aus einem Bauplatz eben das Optimum heraus. Hier ist das der Fall. Das macht die Sache erwähnenswert.

Spectrum, Sa., 2002.02.02



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sued_see Neubau Einfamilienhaus

29. Dezember 2001Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Wie man heute eine Stadt baut

„Homeworkers“: So lautete der ursprüngliche Titel des Bauvorhabens, das Wohn- und Arbeitsbereiche verschränken sollte. „Compact City“ heisst die Anlage in Wien-Floridsdorf von BUSarchitektur nun zu Recht: ein Vorzeigeprojekt an verdichteter Stadt.

„Homeworkers“: So lautete der ursprüngliche Titel des Bauvorhabens, das Wohn- und Arbeitsbereiche verschränken sollte. „Compact City“ heisst die Anlage in Wien-Floridsdorf von BUSarchitektur nun zu Recht: ein Vorzeigeprojekt an verdichteter Stadt.

Wie baut man Stadt? Und: Welche Art von Stadt wird heute überhaupt gebraucht? Auf solche Fragen hat BUSarchitektur - das sind Rainer Lalics, Claudio Blazica und Laura Spinadel - mit einem Projekt geantwortet, das zum Interessantesten und Komplexesten zählt, was seit vielen Jahren in Wien entstanden ist. „Homeworkers“ lautete der plakative Titel des Vorhabens ursprünglich. Dieser Titel verweist darauf, worum es den Architekten von Anfang an ging: ein Konzept, das Wohnen nur als eine von vielen Komponenten im städtischen Zusammenhang auffaßt; um ein Konzept auch, das spezifischen Arbeitssituationen Rechnung trägt.

Ich wehre mich immer dagegen, daß man die Rolle der sogenannten Telearbeitsplätze, die angeblich einen dominierenden Faktor der Arbeitswelt der unmittelbaren Zukunft darstellen, überbewertet. Hier sind sie als einer der Ausgangspunkte der gesamten Planung aufgefaßt. Das Tolle daran: Wenn Architekten so etwas nicht vordergründig angehen, wenn sie imstande sind, einfach räumlich komplexe Situationen daraus zu destillieren, die aber nicht eindeutig festgeschrieben sind, dann geht auch nichts schief. Egal, welche Entwicklungen die Arbeitswelt in der unmittelbaren Zukunft nimmt. Egal, wie die konkrete Nutzung in der Gegenwart ausschaut.

„Homeworkers“: Spinadel, Blazica und Lalics haben mit der Arbeit daran 1993 begonnen. In Eigeninitiative, auf der Basis einer Studie der Stadt Wien, ohne Auftrag. Letzterer - erteilt vom Wiener Bauträger SEG - kam erst viel später. Aber der hat ihnen dann schon im Vorfeld der Realisierung Lorbeeren eingebracht: den Otto-Wagner-Städtebaupreis 1998.

Dann wurde das Projekt umgetauft: in „Compact City“. Vermarktungsgründe werden dafür angeführt. Soll sein. An der Substanz des Projekts ändert es nichts.

Es liegt an der Donaufelder Straße und erstreckt sich über - eigentlich bescheidene - 10.000 Quadratmeter Grundfläche. Was sich auf dieser Grundfläche allerdings abspielt - das ist wirklich ungewöhnlich. Es ist die geradezu unheimlich verdichtete Stadt, in der alle erdenklichen Funktionen vielfach verschränkt und überlagert sind, in der aber gerade deswegen auch höchst reizvolle Situationen entstehen.

Die Donaufelder Straße verläuft an dieser Stelle in einer sanften Kurve. Der folgt ein langer Baukörper, dann kommt ein gliedernder Einschnitt, und ein markanter Eckbaukörper zum Carminweg hin (auf der anderen Seite des Carminwegs: die Frauenwerkstatt) schließt die Sache ab, allerdings ohne sie zur Festung zu machen. Wenn man hier um die Ecke geht, dann sticht ein schmales, verglastes, durch sanfte Rampen erschlossenes Stiegenhaus-Gebäude ins Auge. Und da begreift man auch zum ersten Mal, daß es sich um eine Anlage handelt, die auf mehreren Ebenen organisiert ist.

In Worten schwer zu beschreiben, eigentlich gar nicht. Aber auf die Beschreibbarkeit kommt es ja auch nicht an. Die Atmosphäre ist in diesem Fall die Botschaft. Die Atmosphäre, die suggeriert, was hier alles passiert - oder zumindest in allernächster Zeit passieren könnte.

Es ist eine Art mittelalterliche Stadt, transponiert ins 21. Jahrhundert. Daher gibt es auch keinen Marktplatz. Dafür gibt es einen gewaltigen Supermarkt mit allem, was dazu gehört (Anlieferung, Entsorgung, Zufahrt, Parkmöglichkeit et cetera). Es gibt natürlich auch keine Schmiede, keine Tischlerei. Das wäre mit heutigen Ansprüchen allein schon punkto Lärm und sonstiger Umweltbelastung nicht kompatibel. Diese „kleinen Handwerksbetriebe“ gibt es eben in der historischen Form nicht mehr. Es gibt sie andererseits doch - in neuer Gestalt. Und dafür hat BUSarchitektur einen Raumplan entwickelt, der in seiner Kleinteiligkeit durchaus mit historischen Vorbildern vergleichbar ist, der aber allen heutigen Anforderungen an Arbeitsräume - Licht, Luft, Ausblick - ganz selbstverständlich entspricht.

Es gibt eine sogenannte urbane Platte. Darunter und darüber spielt es sich ab. Darunter liegen von anmietbaren Lagerräumen bis zu Parkplätzen et cetera alle erdenklichen Nebenfunktionen; auch eine Art Gewerbehof ist eingeschnitten. Darüber gibt es Baukörper-Konfigurationen selbstverständlicher bis besonderer Art. Lange, durch kleine Balkone, auch durch offene Laubengänge und immer wieder durch Einschnitte gegliederte Baukörper. Pavillonartige Aufbauten, die zwar auch gereiht sind, aber trotzdem wirklich reizvolle Außenraumsituationen schaffen. Und an der hinteren Grundstücksgrenze (parallel zur Donaufelder Straße) schließen relativ schmale, auch nicht sehr hohe, rechtwinklig zur übrigen Anlage stehende Baukörper das Areal ab. Durchgängiges Charakteristikum der gesamten Anlage ist die Verschränkung von Wohnen und Arbeiten: sei es in der Form der Stapelung getrennter Wohn- und Arbeitseinheiten, sei es in der Einbeziehung von Arbeitsplätzen in den Wohnzusammenhang.

Man hat sich mit der Freiraumgestaltung übrigens einige Mühe gegeben. Die Grünflächen sind geplant, gleichzeitig wurde die übliche Scheu vor bloß gepflasterten Flächen, die bei uns immer alles so verkitscht, so unklar macht, weitgehend vermieden. Es gibt beides, und das ist gut so.

Das Wesentliche - die Verschränkung von Wohnflächen mit Büros oder welchen Arbeitsräumen auch immer (Ateliers et cetera) - ist ziemlich beispielhaft gelungen. Ich erinnere mich an eine ganze Reihe von Wohnbauvorhaben der letzten eineinhalb, zwei Jahrzehnte, bei denen von Wohnen und Arbeiten die Rede war. Vom Arbeiten ist nie etwas übriggeblieben. Es wurden letztlich ganz normale Wohnanlagen daraus. BUSarchitektur hat das wirklich geschafft: Obwohl die Anlage noch gar nicht voll besiedelt ist, findet man jetzt schon vom sehr großen Supermarkt über das Café-Restaurant bis zum Sonnenstudio einiges an angedachten städtischen Nutzungen dort. Und was sich in den Wohn-Büros/Ateliers wirklich abspielt, das kann man nur erahnen. Man sieht es von außen natürlich nicht so genau.

Sicher ist aber: Die Anlage ist nicht „ausverkauft“. Ich behaupte, das hat seinen Grund. Wohnbauträger haben Verkäufer, die für eine ganz bestimmte Schiene des (gewöhnlichen, üblichen) Angebots geschult sind. Nicht für einen solchen Spezialfall.

Obendrein - auch das behaupte ich, ohne es beweisen zu können - dürften die Gasometer einen Großteil der Innovationsbereitschaft der gemeinnützigen Wiener Bauträger in Anspruch genommen haben. Dort haben sie unglaublich viel Geld investiert - auch die SEG -, dort haben sie ihre Prioritäten gesetzt. Das ist ein Jammer! Denn ein so spezielles Projekt wie die „Compact City“ bedarf einer ganz spezifischen Vermarktung, die nur wirklich informierte Leute zu leisten imstande sind.

Die Sache ist durchgeplant bis ins letzte. Und soweit man das - bei einer nur partiellen Nutzung des Gesamtprojekts - beurteilen kann, ist sie funktionsfähig. Der Standort ist richtig - diese ewige Stadtentwicklung nur mit Wohnbau ist ja längst nicht mehr erträglich -, das Nutzungspotential ist es auch. Um das zu legitimieren, braucht man kein zeitgeistiges Vokabular. Obwohl es passen würde - siehe so schillernde Schlagworte wie „fragmentierte Stadt“, „fraktale Stadtstruktur“ und was es sonst noch so gibt.

Ich glaube, man darf das alles vergessen. Es sind Worthülsen, die irgendwelche Ambitionen inhaltlicher Art plakativ verdeutlichen sollen. Im Fall der „Compact City“ verbirgt sich tatsächlich ein Inhalt dahinter, wie man ihn - in dieser konsequenten, gleichzeitig intimen - Spielart bisher nicht umgesetzt hat. Hinzu kommt, daß es sich hier auch um Architektur der formalen Stringenz handelt. Viel Geld war ja nicht gerade da, die Architekten konnten nicht einfach aus dem vollen schöpfen. Aber sie zeigen, was sich machen läßt.

Der Vergleich mit der „Sargfabrik“ beziehungsweise der „Miss Sargfabrik“ von Johnny Winter und dem BKK-2 drängt sich auf. Es geht um eine gemeinsame Sprachkomponente - bei allen individuellen Unterschieden -, die darauf basiert, daß man mit auch noch so beschränkten Mitteln haushaltet.

Man muß nur wissen, wie. Neben so vielen anderen Faktoren spielt eben doch das Wie eine ausschlaggebende Rolle. BUSarchitektur hatte sich weitgehend mit Putz-Architektur zu bescheiden. Allerdings hat sie ihr eine Farbe gegeben - Orange. Und das leuchtet.

Und dann gibt es noch zusätzliche Akzente: einen verglasten Baukörper hier (das Stiegenhausgebäude), verzinktes Blech da, speziell und körperhaft formulierte Fenster auf der einen Seite, schlichte Fensterbänder auf der anderen - klar, man kann sich viel mehr vorstellen, aber das genügt im Notfall auch. Und hier kommt unter dem Strich weit mehr als der gut gelöste Notfall heraus.

Wer sehen kann, der sieht. Und der sieht ein ziemlich innovatives Projekt. Ein Vorzeigeprojekt. Es wäre ohne den Bauträger SEG sicher nicht zustande gekommen. Es käme jetzt darauf an, in der Vermarktung - und damit ist nicht der Verkauf von Einheiten gemeint, da geht es um die Publizität des Gesamtprojekts - die richtigen Schwerpunkte zu setzen. Denn „Compact City“ ist ein Fall von „Verallgemeinerbarkeit“.

Spectrum, Sa., 2001.12.29



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Compact City

15. September 2001Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Was alles drin ist

Sollen sie ihren ursprünglichen Charakter weitgehend behalten, dann lassen sie sich schwer nutzen; will man sie für heutige Zwecke adaptieren, dann büßen sie ihren Charakter ein. Wie revitalisiert man denkmalgeschützte Industriebauten? Hermann & Valentiny führen das mit einer Brotfabrik in Wien-Ottakring vor.

Sollen sie ihren ursprünglichen Charakter weitgehend behalten, dann lassen sie sich schwer nutzen; will man sie für heutige Zwecke adaptieren, dann büßen sie ihren Charakter ein. Wie revitalisiert man denkmalgeschützte Industriebauten? Hermann & Valentiny führen das mit einer Brotfabrik in Wien-Ottakring vor.

Der Umgang mit alten Industriebauten ist fast immer ein Problem. Sollen sie ihren ursprünglichen Charakter weitgehend behalten, dann lassen sie sich schwer nutzen. Will man sie für heutige Zwecke adaptieren, dann büßen sie ihren originalen Charakter ein. Man hat das schon seinerzeit beim Getreidespeicher am Wiener Handelskai erlebt. Da schaffte man es sogar, eine ausgesprochen rohe, ruppige - und deswegen auch so eindrucksvolle - Bausubstanz durch die Hotelnutzung in süßlichen Kitsch zu transformieren. Und man erlebt es jetzt bei den vollgebauten Simmeringer Gasometern.

Tatsächlich ist es so - denken wir auch an die diversen Wiener Remisen, die in den letzten Jahren zur Debatte standen -, daß es komplexer Gedankenprozesse bedarf, um nicht nur wirklich geeignete Nutzungen für solche „Denkmäler“ zu finden, sondern auch eine architektonische Lösung, deren formale Sprache zwar zeitgenössisch, dabei aber trotzdem adäquat ist.

Es kommt selten vor, daß solche Synergien glücken. Dem Bundesdenkmalamt sind schon finanziell die Hände gebunden: Was ein Investor bei der Umnutzung eines solchen Objekts eigentlich verlangen müßte: daß die Mehrkosten, die durch das Bauen in der historischen, geschützten Substanz für den Eigentümer entstehen, vom Denkmalamt getragen werden - schließlich handelt es sich hier ja um übergreifende, „allgemeine“ kulturelle Interessen -, das ist nicht drin. Siehe oben: Das Bundesdenkmalamt ist dafür budgetär nicht ausgestattet. Es sprengt zwar den Rahmen einer Architekturkritik, aber als punktueller Einwurf wäre vielleicht doch einmal festzuhalten: Man müßte die Schwerpunktsetzung der staatlichen kulturellen Förderung grundsätzlich überprüfen. Da gibt es soviel, was nur flüchtig, nur temporär ist. Es gibt die punktuellen Effekte, die wir uns viel kosten lassen. Dagegen ist uns die Dauer, der langfristige Tatbestand - und architektonische Objekte fallen unter diese Rubrik - vergleichsweise extrem wenig wert. Und daran stimmt einfach etwas nicht.

Nun, das war eine lange Einleitung zur Revitalisierung eines denkmalgeschützten Industrieobjektes in Wien- Ottakring. Mir scheint sie notwendig, weil sie diese Einzelinitiative - gemeinsam getragen und umgesetzt von einem privaten Investor, Hans-Christoph List, einem bekanntermaßen immer wieder sehr ambitionierten Bauträger, Wilfried Kallinger, und dem österreichisch-luxemburgischen Architekturbüro Hermann & Valentiny - in einen Gesamtkontext einrückt.

Im konkreten Fall geht es um die Brotfabrik des 1. Wiener Konsumvereins, die Hubert und Franz Gessner 1908 bis 1909 in der Hasnerstraße errichtet haben. Ein früher Stahlbetonbau, „bekleidet“ mit einer verfliesten Fassade, der mehrere Umbauten erlebt hat. Kulturhistorisch wichtig dabei: Es war eine Fabrik, die nach damals fortschrittlichsten Kriterien geplant wurde. Das heißt: produktionstechnisch logisch von oben nach unten; oder anders ausgedrückt - vom Mehllager unter dem Dach bis ganz hinunter zur Backstube. Und immerhin betrug die damalige Tagesproduktion - Quelle: Friedrich Achleitners Architekturführer - rund 18.000 Kilogramm. Übrigens wurde auch den hygienischen Rahmenbedingungen für die Arbeit in dieser Großbäckerei besonderes Augenmerk geschenkt.

Wie nutzt man so etwas? Die Lösung war nicht einmal sonderlich schwer: Büros, wenn sie nicht ganz konventionell ausfallen müssen, finden in einer solchen Loft-Situation allemal eine Heimstatt. Und die Substanz selbst war in diesem Fall nicht das Problem, eher das unmittelbare Umfeld: zum Beispiel die Feuermauer des Turnsaals einer Schule, die sich auf dem Nachbargrundstück befindet und eine eher triste Grundstücksgrenze definierte.

Die Architekten haben diese Problematik, aber auch die Situation insgesamt ausgesprochen bravourös bewältigt. Man kommt jetzt durch die alte Einfahrt und hat nicht mehr die öde Feuermauer vor sich, sondern einen verhältnismäßig niedrigen (dreigeschoßigen) Neubautrakt, dessen transluzente Profilit-Fassade schon für sich eine Qualität darstellt. Ursprünglich war dieser Neubau ebenfalls als Bürotrakt geplant. Letztlich wird der rein nordorientierte Baukörper, der auch die Garagenabfahrt aufnimmt, aber als Archiv- und Lagerraum genutzt. Drüber, auf dem begehbaren Dach, sorgen jedenfalls eine Stahl-Pergola mit Streckmetall-Verkleidung und ein liebevoll gepflanztes Lavendelfeld für Freizeitqualität im Arbeitsstreß.

Überhaupt ist der Innenhof bemerkenswert gelöst: Ein abgesenktes Atrium belichtet auch die Arbeitsräume ganz unten. Und eine wirklich spektakuläre architektonische Maßnahme - ein dunkel gefärbter, durchlöcherter Betonparavent, der sich organisch geschwungen um die Ecke „schwindelt“ - definiert diesen Freiraum völlig neu und sehr eindrucksvoll.

Es ist ein Bürohaus geworden, das nicht den herkömmlichen Kriterien entspricht. Es gibt hier weder das eintönige Zellenbüro, das sich an Fensterachsen orientiert, noch nackte, nüchterne Großraumbüros, die allein nach kommerziellen Kriterien funktionieren. Die Sache hat Charakter. In jedem Geschoß und bis in die kleinsten Raumeinheiten hinein. Hubert Hermann hat wohl gewußt, daß er nicht aus dem vollen schöpfen kann. Es hat preisgünstige Materialien gewählt, die den Touch der industriellen Fertigung transportieren - und in diesem Kontext also passen. Nichts Besonderes: Terrazzoplatten, Sichtbeton, Streckmetall, dazu ein paar gezielte Farbakzente aus dem Repertoire des Büros (Tomatenrot, Melonengelb etwa).

Toll ist übrigens die neue Dachlandschaft. Dem historischen Gebäude wurden drei runde - beziehungsweise: gerundete - und zwei rechteckige Aufbauten aufgesetzt, die eine durchaus besondere Terrassensituation bevölkern. „Bevölkern“ ist in diesem Fall gar nicht zuviel gesagt: Das sitzt alles irgendwie organisch da - oder auch amorph; eine Art lebendiges Implantat, das aber doch kein Organismus, sondern „nur“ Architektur ist.

Die neue Nutzung als nicht ganz konventionelles Bürogebäude hat sicher Maßnahmen erforderlich gemacht, die auch an die Substanz gingen. Zum historischen Stiegenhaus kam eine neue Haupterschließung hinzu; ein alter Erschließungstrakt wurde dafür eliminiert. Andererseits wurden in den einzelnen Geschoßen alte Galeriesituationen beibehalten und so interpretiert, daß man sie auch nutzen kann. Es ist eine Frage des architektonischen Fingerspitzengefühls, wie man mit den historischen Gegebenheiten umgeht. Als Architekt muß man zu dieser Problematik eine Beziehung haben, es muß den Respekt vor der historischen Substanz geben, sonst wird das nie etwas. Hermann & Valentiny sind offensichtlich in der Lage, die sensible geschmackliche Frage dieser Problematik zu erfassen - und sich dazu mit eigenen Ausdrucksmitteln zu äußern.

Das setzt eine ziemlich eigene, eigenwillige Denkungsweise voraus. Zugrunde liegt ihr der Respekt vor einer fundierten historischen architektonischen Leistung. Bei den Brüdern Gessner ist das als Vorgabe ohne Zweifel der Fall. Und dann geht es aber darum, aus diesem Geist heraus etwas zu entwickeln, das die alten Anliegen nicht negiert, aber den heutigen Standards - auf einer nicht-modischen Ebene - entspricht. Dabei sind ungewöhnliche Büros herausgekommen, sie passen in keines der herkömmlichen kommerziellen Schemata. Die Nutzer stammen - insofern logisch - aus der Werbebranche, aus der Elektronikbranche et cetera.

In historischer Bausubstanz sind keine usuellen, kommerziell optimierten Nutzungen möglich. Die Frage ist: Wen machen solche Nutzungen eigentlich glücklich? Die Mitarbeiter ganz gewiß. Und deren Wohlbefinden wirkt sich direkt auf das Leistungspotential aus. Und ich wüßte keine Firma, der es nicht zuallererst darum geht. Also? Es braucht - sicher speziell für kreative Berufe - Arbeitssituationen, die Flair bieten, die Atmosphäre haben. Hermann & Valentiny haben das geradezu beispielhaft geschafft.

Die Arbeit entspricht allem, was man sich von einer solchen Intervention im historischen Kontext erwarten darf: Sie nimmt den Charakter der vorhandenen (industriellen) Ausdrucksmittel auf, sie schafft eine ausgesprochen fortschrittliche Arbeitssituation, sie bringt aber auch alles ein, was heute Thema ist - vom Schichtendenken bei den architektonischen Maßnahmen bis zur Einheitlichkeit im Material.

Das Bundesdenkmalamt kann nichts dafür. Und damit schließt sich der Kreis zur Einleitung. Es kann es sich nicht auf seine Fahnen heften, daß die Brotfabrik erfolgreich revitalisiert wurde. Das ist ein Verdienst der Architekten - Hermann & Valentiny - und des Bauträgers beziehungsweise auch Investors. Nur: So sollte es nicht sein.

Es sollte jedenfalls nicht so sein, daß auf der Goodwill-Basis über historische Baudenkmäler verfügt wird, die Besseres verdient haben. Es kann nicht sein, daß wir alle Industriedenkmäler mit kulturellen Nutzungen vollstopfen, nur weil uns nichts einfällt. So viel Kultur ist zu viel Kultur. Die kann keiner zahlen. Es sind die alltäglichen Nutzungen in ihrer Besonderheit, die in solchen Häusern eine Heimstatt finden. Hermann & Valentiny haben dafür einen architektonischen Rahmen geschaffen, der in jeder Hinsicht standhält. Langfristig. Ganz lang. So lang, wie auch der Bau von den Gessner-Brüdern seinen Stellenwert behauptet.

Ein Postskriptum noch: Der Bau ist auch als Bestandteil einer sehr komplex angelegten Stadtentwicklungsinitiative lesbar. Das Zentrum von Ottakring erlebt derzeit eine Metamorphose. Und die Revitalisierung der Brotfabrik gehört eindeutig dazu.

Spectrum, Sa., 2001.09.15



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Brotfabrik

25. August 2001Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Wie eine Krone auf der Stadt

Ein Areal von zwölf Hektar, das von einem sechs Kilometer langen Pfad erschlossen wird, den elf sogenannte „Plattformen“ säumen: die „Gärten von Schloß Trauttmansdorf“ in Meran. Mit Ihrer Inszenierung von Aus- und Durchblicken architektonisch, künstlerisch und botanisch ein ungemein sinnliches Erlebnis.

Ein Areal von zwölf Hektar, das von einem sechs Kilometer langen Pfad erschlossen wird, den elf sogenannte „Plattformen“ säumen: die „Gärten von Schloß Trauttmansdorf“ in Meran. Mit Ihrer Inszenierung von Aus- und Durchblicken architektonisch, künstlerisch und botanisch ein ungemein sinnliches Erlebnis.

Kaiserin Sisi hat natürlich genau gewußt, wo es schön ist. Daher hat sie sich als Winterquartier Schloß Trauttmansdorff in Meran ausgesucht. Wobei das Schloß selbst architektonisch keineswegs besonders bemerkenswert ist - es wird gerade renoviert -, aber die Umgebung! Meran liegt in einem wundervollen Tal, eingeschnitten in eine „heroische“ Berglandschaft, in der sich gewissermaßen die Ausläufer des mediterranen Klimas mit dem vermischen, was die Landschaft nördlich der Alpen charakterisiert.

Also: der ideale Ort für einen Garten. Und genau das haben auch die Italiener erkannt. Sie haben - und das ist in der heutigen Zeit, jenseits von Gartenausstellungen, ausgesprochen selten - die „Gärten von Schloß Trauttmansdorff“ in neuer Form wiedererstehen lassen. Daran arbeiten sie an sich schon seit 1994, aber erst jetzt ist es so weit, daß dieser neue Garten auch für das Publikum geöffnet ist. Das ist ja das ausgesprochen Spezielle an Gärten: Man kann sie nicht von der Stange kaufen, sie widersetzen sich hartnäckig unserem heutigen Alltagstempo.

Der Garten ist zwölf Hektar groß und erstreckt sich vom Tal bis auf einen Berghang hinauf. An der höchsten Stelle: eine riesige, runde Voliere - für Papageien und anderes Gefieder, das in Südtirol nicht eben heimisch ist. Die Voliere - ein Entwurf von Margit Klammer, der vom Architekten Wolfram Pardatscher umgesetzt wurde - leistet dabei mehreres: Sie sitzt wie eine Stadtkrone über dem Areal; und sie ist gleichzeitig Aufenthaltsort, Durchgang und Umkehrpunkt. Denn durch die Voliere durch führt ein Steg, weit vorkragend, von dem man sozusagen einen letzten, wundervollen Ausblick auf das ganze Tal hat, dann dreht man um und geht wieder hinunter. In der Voliere selbst lädt eine Doppelschaukel sinnigerweise das Publikum, nicht die Papageien zum spielerischen Aufenthalt ein. Letztere haben ihre eigenen Möglichkeiten: in Baumform, aber auch als charmant inszeniertes Löchermuster in der Rückwand, hinter der sich der „Intimbereich“ der Vögel befindet. Man will ja nicht immer ausgestellt sein. Treffender Titel der Arbeit von Margit Klammer: „Nur die Gedanken sind frei“.

Es ist ein wundervoller Garten. Wirklich viel besser als alles, was Gartenschauen zu bieten haben. Dabei äußerst informativ - hier erfährt man tatsächlich etwas über die Pflanzenwelt und natürlich auch ihre Kultivierung -, gleichzeitig aber immer sinnlich. Dieser Garten ist ein sinnliches Erlebnis. Wer hier einen Tag verbringt, der kann einen glücklichen Tag verbuchen.

Man kann zwar über die Plazierung und architektonische Ausformung der Eingangssituation streiten, auch darüber, wie etwa das Restaurant beziehungsweise die Café-Terrasse an das Schloß „drangepappt“ sind. Das alles ist aber nicht ohne architektonische Ambition ausgeführt, nur eben trotzdem nicht glücklich. Es fällt dennoch nicht wirklich ins Gewicht.

Die Gesamtanlage ist bestechend. Mir geht es dabei nicht speziell um die botanischen Aspekte der Gartenplanung. Mir geht es um die architektonischen, künstlerischen Statements in Form von Pavillons, die den sechs Kilometer langen Pfad durch das Areal säumen. Insgesamt gibt es elf sogenannte „Plattformen“, auf denen sich solche baulichen Maßnahmen ereignen. Eine habe ich nicht gesehen - es ist die „Grotte“, in der eine vor allem für Kinder interessante Multimedia-Show geboten wird -, sie war außer Betrieb. Viele der anderen - siehe die Voliere, die nicht nur als künstlerisches Konzept, sondern auch architektonisch wunderbar gelöst ist - haben es hingegen in sich.

Das nicht so Gute zuerst: Der japanische Teepavillon - natürlich in einem absolut sehenswerten gärtnerischen Umfeld - ist eine Enttäuschung. Er wirkt eher wie eine absonderliche Bushaltestelle; mag sein, man muß gewisse europäische Klischees weglassen, trotzdem ist er nicht geglückt. Und dann gibt es noch ein paar didaktische Einbauten, die eher banal erscheinen: ein geologisches Mosaik zum Beispiel, das mit den üblichen Mitteln - Fliesen - die Landschaft Tirols, Südtirols und des Trentino samt Berggipfeln und Flußläufen sichtbar macht und darin die gebirgsbildenden Gesteinsarten (die allerdings massiv, als Blöcke). Keine Ahnung, wie man so etwas besser löst, aber es muß möglich sein.

Aber es gibt auch wirklich gelungene Pavillonarchitekturen: einen Frühlings- pavillon zum Beispiel, der im Halbrund angeordnete, wie vergitterte Zugsabteile ausgebildete Sitzmöglichkeiten umfaßt und den Ausblick auf einen Wald aus bunten Fiberglasstäben, die aus bronzenen Blumenzwiebeln wachsen und oben ein Glockenspiel haben, das der Wind zum Klingen bringt. Oder den Herbstpavillon: eine rostige Eisenkonstruktion auf einem Natursteinsockel, dessen Formgebung einen herbstlichen Laubhaufen evoziert. Im Inneren: Aberhunderte farbige Kunststoffblättchen, die für eine ganz besondere Stimmung sorgen.

Es gibt ganz einfache „Bauten“. Im Flaumeichenwald etwa lädt eine an den zwei Längsseiten offene Konstruktion zum Verweilen (auf einer sehr edlen weißen Marmorbank) ein, die aus zwei Lagen Baustahlgitter besteht, in die Flaumeichenstämme eingefüllt sind. Das ist ein minimalistisches Kunstwerk. Aber nicht fad, es ist spannend.
Oder bei den Sukkulenten: Da gibt es einen Pavillon, ganz aus Stahl, der die Form eines Schwiegermuttersessels hat. Winzige Löchlein in der Haut - wo beim Kaktus die Stacheln sitzen - lassen das Licht eindringen, außerdem tröpfelt es innen. Der Gedanke war: Solche Kakteen sind Wasserspeicher. Obendrein heizt sich die Stahlhülle im Sommer unheimlich auf und bringt daher das tröpfelnde Wasser zum Verdampfen. Dadurch wiederum brechen sich die Lichtstrahlen im Wasserdampf. Das ist atmosphärisch ausgesprochen intensiv, naturgemäß auch klimatisch, und es beschert obendrein, wenn man genau im Zentrum steht, ein akustisches Erlebnis.

Auch im mediterranen Bereich setzt ein entsprechendes architektonisches Statement einen Akzent. Es hat eine Aussichtsterrasse im Oberstock, weiß getünchte Wände und ist so komplex verschachtelt, daß seine räumliche Konfiguration mediterrane Architektur auf den Punkt bringt.

Schön auch die Plattform am Wasser, mit einem Segel überspannt, wo riesige Gesteinsblöcke gestapelt sind, die die Namen der fünf Kontinente tragen. Sie dienen natürlich als Klettermöglichkeit für die Kinder. Inhaltlich ist das Ganze in der Detailformulierung daran festgemacht, daß es ab dem 17., speziell im 18. Jahrhundert einen richtigen Boom im Samen- und Pflanzenhandel gab, der aber erst mit der Entwicklung der „Wardschen Kiste“ wirklich erfolgreich war.
Oder der Pavillon im Bereich der Wasserpflanzen: Da sind es abstrahierte Bootsrümpfe - mit hölzerner Untersicht und verbleitem Schiffsbauch nach oben -, die übereinandergeschachtelt dem Eis-Esser Schatten spenden.
Schließlich der halbrunde Pergola-Pavillon am Schnittpunkt von der Naturlandschaft zur Kulturlandschaft: eine transparente Angelegenheit, die unübertrefflich einfach verdeutlicht, was es bedeutet, Pflanzen, Gewächse zu kultivieren.

Die neuen Gärten von Schloß Trauttmansdorff in Meran sind ohne Zweifel etwas Besonderes. Sie besetzen gewissermaßen eine Position, die singulär ist. Dieser Garten wurde natürlich nicht nach herrschaftlichen Prinzipien angelegt, wie das die großen historischen Gärten waren. Aber es bringt die Gesamtanlage trotzdem nicht um ihre Wirkung, daß ihr didaktische - und demokratische - Prinzipien zugrunde liegen. Es ist ein heutiger Garten, und das ist auch in Ordnung. Und es ist ein Garten, der nicht nur für Spezialisten lesbar ist. Trotzdem ist allein schon in die Anlage der Wege, auch in die Inszenierung von Blickrichtungen, von Aus- und Durchblicken, das ganze historische Wissen eingeflossen. Das gibt es hier alles auch, anders halt, ganz anders, aber es ist da.

Bleibt etwas anzumerken: Was die architektonische Seite betrifft, war das Gesamtunternehmen vielleicht nicht ganz glücklich. Anders gesagt: Es gab das für Großprojekte übliche Hin und Her. Als Wolfram Pardatscher - übrigens ein Holzbauer-Schüler - zugezogen wurde, da war viel schon festgeschrieben. Die verschiedenen Plattformen zum Beispiel, auch ihre Materialisierung, das war nicht mehr reversibel. Er mußte mit dem auskommen, was er vorfand. Und er mußte mehrfach auch dafür sorgen, daß etwas, das jemand ganz anderer - etwa das Schweizer Büro Steiner Sarnen - strichliert hat, dann irgendwie auch auf eine konstruktive Basis gestellt wird. Das dürfte, mit Ausnahme der fünf Pavillons, die seine Frau, die Künstlerin Margit Klammer, entworfen hat, ziemlich mühsam gewesen sein.

Das ist aber nichts Neues. Heute gehört das dazu. Großprojekte solchen Zuschnitts sind immer auch das Ergebnis eines komplizierten Gruppenprozesses: Weder gibt es in einem derartigen Verfahren den Auftraggeber als Einzelperson, noch gibt es den einzelnen Auftragnehmer, der alles unter Kontrolle hat. Da macht der eine die Gartenmöblierung und der andere das graphische Leitsystem; zwischendurch wird ein Gewächshaus „gebastelt“, das hätte sicher spektakulärer sein können; und eine Insel im Teich, gedacht für Veranstaltungen, ist akustisch so nicht in den Griff zu bekommen, nicht zuletzt weil sie von den Sitzstufen am Ufer viel zu weit weg ist. Außerdem wurde der künstlichen Beleuchtung des Gartens - unverzichtbar bei nächtlichen Events - viel zuwenig Aufmerksamkeit geschenkt.

Wie gesagt: All das ist nichts Neues. Vieles ist nachrüstbar, anderes zu verschmerzen. Wichtig ist, daß der Garten prächtig gedeiht. Die zwölf Hektar werden übrigens von - nur - 26 Gärtnern betreut.

Spectrum, Sa., 2001.08.25

28. Juli 2001Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Die Treppe ist schon erfunden

Zimmer in praktikabler Größe und brauchbarem Zuschnitt, nutzerfreundliche Gemeinschafts- und Freibereiche: Schwalm-Theiss' „Gästehaus der Wiener Universitäten“ in der Josefstadt. Eine Visitenkarte, die die „Erasmus“-Stipendiaten in alle Welt weiterreichen.

Zimmer in praktikabler Größe und brauchbarem Zuschnitt, nutzerfreundliche Gemeinschafts- und Freibereiche: Schwalm-Theiss' „Gästehaus der Wiener Universitäten“ in der Josefstadt. Eine Visitenkarte, die die „Erasmus“-Stipendiaten in alle Welt weiterreichen.

Er nennt sich „Gästehaus der Wiener Universitäten“, der kleine Neubau in der Wiener Tigergasse. Und er behauptet sich in höchst beengten, eben typisch innerstädtischen Verhältnissen, die obendrein keinen einheitlichen architektonischen Charakter mehr haben. Da kann man ganz leicht ablesen, wann eine Lücke im gründerzeitlichen Raster geschlossen wurde . . . Insofern ist er jedenfalls ein Highlight im Straßenbild, der Neubau aus dem Architekturbüro Schwalm- Theiss. Seine grünlich beziehungsweise bläulich schimmernde Glasmosaik-Fassade - ein eingeschnittenes, gläsernes Stiegenhaus gliedert den Bau - setzt einen spannenden Akzent, ohne sich aber unbotmäßig vorzudrängen.

„Gästehaus“ soll heißen: Studentenheim. Ein Studentenheim durchwegs für Ausländer, die ihr „Erasmus“-Jahr in Wien absolvieren. Gleich vorweg: In diesem Haus können sie das gut. Denn unter dem nüchternen Nutzungsaspekt betrachtet, kann man ohne weiteres postulieren, daß die Wohnsituation in der Tigergasse angenehm ist. Da teilen sich im südlichen Trakt zwei Zimmer in einen Gemeinschafts- bereich, im nördlichen vier Zimmer; es gibt einige Zwei-Bett-Zimmer, denn - wie ich mir habe sagen lassen - besonders japanische Studenten wohnen gern zusammen. Und es gibt Freibereiche an der Hofseite - im Terrassengeschoß von besonders großzügigem Zuschnitt -, die allen Bewohnern zugute kommen.

So komisch es klingt - wichtig dabei ist: Die Zimmer haben alle eine nicht übertriebene, aber praktikable Größe, einen aus-gesprochen brauchbaren Zuschnitt. Sie sind hell, sie sind freundlich. Das ist ja immer die Frage, mit der sich ein Architekt auseinandersetzen muß, wenn er so etwas baut: Setzt er auf die herkömmlichen Wohnbedürfnisse, entwirft er ein neues Konzept, oder findet er sich mit irgendwelchen Zwängen ab, die eine zweifelhafte Lösung zur Folge haben. All dies immer unter dem Vorzeichen der ja nur temporären Lebenssituation, der Durchgangssituation, für die ein Studentenheim den gebauten Rahmen abgibt.

Schwalm-Theiss ist, aus dieser Perspektive betrachtet, ganz der konservative Pragmatiker. In des Wortes positiver Bedeutung allerdings. Er hat sich offensichtlich überlegt, was man als Architekt bieten muß, damit sich die Nutzer in der gebauten Hülle wohl fühlen können. Das heißt, er hat Zimmer gebaut, in denen man schlafen und arbeiten und zur Not auch noch einen Besucher empfangen kann, außerdem Gemeinschaftsbereiche, die auf einem keineswegs überzogenen, sondern auf einem vertretbaren Minimallevel Komfort bieten.

Anton Schweighofer, um ein Gegenbeispiel zu nennen, ist diese Aufgabe bei seinem Studentenheim in Favoriten ganz anders angegangen. Er hat minimierte Mönchszellen gebaut für die beiden „Grundbedürfnisse“ des Studentendaseins: Schlafen und Arbeiten. Schon räumlich macht er den Bewohnern bewußt, was in dieser Phase ihres Lebens eigentlich ihre Aufgabe ist. Die, sagen wir, sinnliche Komponente dieses Lebensabschnitts wird durch die überbordenden Gemeinschaftsbereiche architektonisch artikuliert.

Die dritte Variante, die architektonische Notlösung - charakterlos, gedankenlos und unfair, wenn man sie unter dem Vorzeichen unserer heutigen Wohlstandsgesellschaft betrachtet -, kann man im Gasometer zwei
in Wien-Simmering in Augenschein nehmen.

Zurück in die Tigergasse. Dort sind die Dinge im Lot. Die Geschoße sind noch durch Treppen und Lifte, auch mit Laubengängen erschlossen, aber es gibt dort keine verschnittenen Geschoße, keine schrägen Ebenen und keine Rampen. Wozu auch? Die Treppe ist erfunden. Und sie ist die kürzeste Verbindung zwischen zwei Niveaus.
Schwalm-Theiss hatte ein Grundstück zur Verfügung, das von der Albertgasse durchgeht bis zur Tigergasse, all dies im achten Wiener Gemeindebezirk. In der Albertgasse steht eine Schule - ein Gymnasium aus dem Jahr 1908 -, die er renoviert und erweitert hat. Unter anderem mit einem Turnsaal, der jetzt gewissermaßen den Sockel für den einen Trakt des Studentenheims bildet. Wobei sich Schwalm-Theiss vorgestellt hatte, den gläsernen Turnsaal-Sockel, über dem ein Teil des Studentenheims steht, wirklich in Glas auszuführen. Aber heutzutage turnt man nicht vor - potentiellem - Straßenpublikum, es gibt also emaillierte Glaspaneele zur Straße hin und nur ganz oben schmale Scheiben, die das Licht durchlassen.

Wie gesagt, im Straßenbild ist das Haus ein Highlight. Und wenn man hineingeht, dann spürt man auch gleich, daß es nutzerfreundlich ist. Es läßt sich ja in Wirklichkeit mit den einfachsten Mitteln echte Qualität erzielen. Ein wenig plastisch ausgeformte Zugänge zu den einzelnen Wohneinheiten, farbliche Akzente - schon sind alle glücklich. Wir haben damit eine wunderbare Visitenkarte zur Hand, die alle ausländischen „Erasmus“-Stipendiaten weiterreichen werden.

Der Punkt ist wohl doch, daß Architektur, speziell wenn sie mit Wohnen zu tun hat, gewisse Grundbedürfnisse befriedigen muß. Wenn sie das nicht tut, dann ist es auch nicht mehr interessant, ob ein Bau architektonisch etwas verspricht. Denn die formale beziehungsweise individuelle Verwirklichung des Architekten ist immer nur von sekundärer Bedeutung. Das ist ja das Spezielle an der Architektur: Sie muß wirklich mehr können.

Also: Die Zeiten, da ein Corbusier sein Papierschiffchen auf der Pfütze in seiner Villa Savoie schwimmen ließ, die sind vorbei. Diese Art von Poesie können wir heute nicht brauchen. Und kein Tränenstrom irgendwelcher Architekten wird etwas daran ändern.

Spectrum, Sa., 2001.07.28



verknüpfte Bauwerke
Gästehaus der Wiener Universitäten

30. Juni 2001Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Genau das nennt man Kitsch

Miserable Wohnungen. Büros, die sich durch nichts auszeichnen, was gerade diesen Standort empfehlen würde. Eine Geschäftszone, die jeder Beschreibung spottet. Aber riesiger Aufwand rundherum. Wiens Gasometer-Projekt oder: Wie man um viel Geld ein Denkmal ruiniert.

Miserable Wohnungen. Büros, die sich durch nichts auszeichnen, was gerade diesen Standort empfehlen würde. Eine Geschäftszone, die jeder Beschreibung spottet. Aber riesiger Aufwand rundherum. Wiens Gasometer-Projekt oder: Wie man um viel Geld ein Denkmal ruiniert.

Es heißt, sie seien Wiens Top-Adresse des Jahres 2001. Und wer „top“ wohnen möchte, ziehe dort ein. In die Wohnungen im Gasometer. Tatsächlich wird den künftigen Bewohnern einiges geboten: Von der U-Bahn-Station, die selbst noch vom entferntesten der vier ehemaligen Gasbehälter trockenen Fußes erreichbar ist, bis zum riesigen Entertainment-Center (Architekt: Rüdiger Lainer) gleich nebenan, vom vielbeschworenen urbanen Nutzungsmix aus Arbeiten, Wohnen und Freizeit - Büros, Geschäfte, Studentenheim, begrünte Freiflächen, reichlich Garagenplätze - bis zur großen Veranstaltungshalle in den Tiefen von Gasometer B (Architekten: Coop Himmelb(l)au), dies alles vereint unter den - nicht mehr vorhandenen - Kuppeln der vier denkmalgeschützten Zylinder. Und dies alles zu Wohnungspreisen, die schon mehr als attraktiv sind. Laut den Verkaufsunterlagen für Gasometer A (Architekt: Jean Nouvel) zum Beispiel kostet die teuerste Wohnung frei finanziert nicht einmal zwei Millionen Schilling (keine 150.000 Euro), wobei dieser Kaufpreis durch einen nicht rückzuzahlenden Zuschuß von knapp 400.000 Schilling (rund 30.000 Euro) gestützt wird und bei einer Monatsrate von rund 4000 Schilling (290 Euro) eine Barleistung von 660.000 Schilling (knapp 48.000 Euro) erforderlich ist. Dieser Wohnungstyp - wie auch eine ganze Reihe anderer Typen im Gasometer A - ist übrigens längst ausverkauft. Ebenso ausverkauft sind alle Wohnungen im Gasometer C (Architekt: Manfred Wehdorn). Die drei Bauträger, die sich das Unternehmen teilen, pochen nicht zu Unrecht auf ein Erfolgsergebnis: Fast 85 Prozent der Wohnungen sind vergeben.

Im Werbematerial für die vier Sichtziegel-Solitäre heißt es auch, sie seien ein europaweit einzigartiges Gesamtkunstwerk. Anders formuliert könnte man sagen, es geht um eine Stadtentwicklungsspritze in den Simmeringer „Outskirts of Vienna“. Allerdings muß man hinzufügen: Der finanzielle Einsatz, den diese Entwicklungsspritze zur Voraussetzung hatte, der kann nur jenseits des Üblichen angesiedelt sein, weit jenseits. Und die Bemerkung, die anläßlich einer Führung für die Österreichische Gesellschaft für Architektur (ÖGFA) gefallen ist, daß sich die günstigen Wohnungspreise durch entsprechend hohe Geschäfts- und Büromieten in bezug auf die Gesamtkosten letztlich doch rechnen, die kommt selbst dem ganz Unbedarften wie eine seltsame Art von Arithmetik vor: undurchschaubar, verwirrend, nicht glaubwürdig.

Aber der Architekturkritiker schert sich um solche Fakten - mehr oder weniger legitim - in der Regel ohnehin nicht. Dem geht es um architektonische Konzepte und ihre Umsetzung, dem geht es in einem solchen Fall um den Umgang mit der historischen Substanz und auch um die formale Lösung. Der Architekturkritiker betrachtet die gebauten Tatbestände insofern aus einer verengten Optik.

Nun habe ich mich schon im Vorfeld des Projekts sehr weit und sehr kritisch „aus dem Fenster gelehnt“. Ich war immer - und meiner Ansicht nach mit guten Gründen - dagegen. Massiv dagegen. Denn von den Gasometern, von der räumlichen Qualität der Gasometer, konnte einfach nichts übrigbleiben, wenn man sie vollbaut. Substantiell besteht diese Qualität in gigantischem leerem Raum. Man hätte eine Rollerskate-Bahn hineinbauen können - es wäre die attraktivste der Welt gewesen. Aber man kann sicher nicht nach dem Haus-im-Haus-Prinzip verfahren. Das bringt sowieso selten etwas. Beispiel: das Architekturmuseum in Frankfurt von Ungers - ein architektonisches Debakel. Weil das Haus im Haus steht, laufen die Treppen außen, also dort, wo das Tageslicht ist - und das übrigens in einer Ausführung, die man im Wiener Gemeindebau nicht akzeptieren würde. Haus im Haus ist immer problematisch. Und die Gasometer in ihrer historischen Substanz, in ihrer historischen Integrität und Einzigartigkeit, die gibt es jetzt einfach nicht mehr.

Das Denkmalamt ist in einer äußerst prekären Situation. Es hat einen riesigen historischen Fundus zu betreuen und keine auch nur annähernd entsprechenden finanziellen Mittel. Daher ist es auf Kompromisse angewiesen. Nur: In diesem Fall hat der Kompromiß zur Zerstörung der Denkmäler geführt. Alles, was es an historischer Substanz gibt und was irgendwann irgendeinen Sinn hatte, das hat jetzt keinen mehr. Es ist pervertiert. Es ist Staffage, Kulisse. Und genau so etwas nennt man üblicherweise Kitsch. Wenn ich auf einer Rodel ein Blumenarrangement präsentiere, dann ist das Kitsch, weil der Sinn des einen durch den Sinn des anderen ad absurdum geführt wird. Bei den Gasometern ist es genauso. Das mag einem Jean Nouvel, einer Coop Himmelb(l)au, einem Holzbauer wehtun (die Rolle von Manfred Wehdorn, von Amts wegen Denkmalschützer der Nation und zugleich beteiligter Architekt, kommt mir so suspekt vor, daß man sich besser jedes Wort dazu spart): Insgesamt ist jedenfalls kaum daran zu rütteln, daß sich alle Beteiligten mit den Gasometer-Bauten auf das Niveau der sogenannten „Künstler-Häuser“ à la Zilk begeben haben. Nur die formale Sprache unterscheidet sich teilweise - Wehdorns, Holzbauers Architektur ist in Wahrheit von unübertrefflicher Banalität -, alles andere deckt sich vollständig.

Es sind reine Alibi-Gesten, wenn mehrstöckige, verglaste Malls den Grund der Gasometer füllen, aber noch irgend etwas von dem gewaltigen Raum freilassen, der die Substanz dieser Ziegelhüllen ausmacht. Wobei ein Holzbauer selbst auf diese Geste verzichtet hat: Bei ihm ist die Haupterschließung in der Mitte und die Bebauung als eine Art überdimensionaler Mercedes-Stern angelegt. Vom inneren Raumvolumen der historischen Hülle bleibt so wirklich gar nichts mehr, dafür sind außen Höfe eingeschnitten, die allerdings für die Wohnungen zumindest an Belichtung etwas bringen dürften. Am photogensten von innen ist Jean Nouvel: Durch seine spiegelglatten Metallfassaden hat er zumindest erreicht, daß das einfallende Licht vielfach gebrochen den ganzen Innenraum, selbst die engen Einschnitte zwischen den Wohntürmen erhellt. Am photogensten von außen ist das Projekt von Coop Himmelb(l)au. Der ganz, ganz eng außen angestellte Baukörper mit Wohnungen - sinnigerweise „Schild“ genannt -, der ist nach formalen Kriterien sicher attraktiv. Wenn man drinnen ist, speziell im Teil des Studentenheims, und den Schild vor sich hat, dann erlebt man allerdings die Katastrophe: Er verstellt nicht nur die Aussicht, er verstellt auch das Tageslicht. Überhaupt muß man sagen: Die miesesten Wohnungen sind im Coop-Himmelb(l)au-Teil. Und das Studentenheim? Jedem Studenten ein unbewohnbarer, schmaler Schlauch, und in der Mitte ein finsterer, unangenehmer Gemeinschaftsbereich. Ja, ja, unsere himmelblauen Pseudorevoluzzer haben sich ihren sonnigen Platz im Establishment erkämpft, den verteidigt man nachhaltig, da bleibt für inhaltliche Reminiszenzen anscheinend kein Platz.

Wenn man nicht blindwütig losschlagen möchte, dann muß man sich mit solchen Anmerkungen bescheiden. Miserable Wohnungen. Büros, die sich durch nichts auszeichnen, was gerade diesen Standort nahelegen würde. Eine Geschäftszone, die jeder Beschreibung spottet. Aber viel, viel Aufwand drumherum, der doch nicht ausreicht, die Nachteile der Haus-im-Haus-Konzeption wettzumachen. Und das alles um sehr viel Geld. Viel mehr Geld, als für jeden konventionellen Wohn- oder Bürobau zur Verfügung steht. Und was das wirklich Ausschlaggebende ist: All das um den Preis der endgültigen Zerstörung der Gasometer.

Die Probleme des Denkmalamts in allen Ehren: Aber man muß doch wissen, wie weit man gehen darf. Natürlich gibt es gesetzliche Regelungen, aber die bedürfen ja immer der Interpretation, sie sind Auslegungsfrage. Im Fall der Gasometer hat das Denkmalamt versagt. Gröblichst versagt. Sie zeigen, wie bedenkenlos sich herumfuhrwerken läßt, wenn nur alle Beteiligten - allen voran die Politiker - mitspielen.

Reden wir gar nicht vom Geld. Reden wir nicht davon, was es gekostet hat, dieses „europaweit einzigartige Gesamtkunstwerk“ zu realisieren. Obwohl: Welches Gesamtkunstwerk wäre um denselben Betrag wohl auf der grünen Wiese möglich gewesen? Das ist ja immer die Frage: Was wäre gewesen, wenn . . . Nur tritt dieser „Wenn“-Fall komischerweise nie ein. Man braucht den Vorwand, die Gasometer zu ruinieren, um sich zu einem Bauvorhaben aufzuraffen, das nur jenseits herkömmlicher Normen durchzuführen ist. Wie man ja auch die Namen zweifelhafter Künstler braucht, um Wohnbauten umzusetzen, die der Wiener kommunalen Praxis zuwiderlaufen. Das ist ziemlich ärgerlich. Und wir dürfen uns nicht damit abfinden.

Wir müssen dagegen die Stimme erheben. Je lauter, je deutlicher, umso besser. Es werden nicht die Architekten sein, die diese Diskussion führen. Die wollen bauen, und je mehr Freiraum sie haben, desto lieber ist es ihnen. Sie sind sich selbst die nächsten. Es müssen die anderen sein, diejenigen, die das örtliche Baugeschehen reflektierend begleiten, die sich Gehör verschaffen. Nur so lassen sich Stilblüten wie die Gasometer verhindern. Und nur so läßt sich eine absolut gekonnte Marketing-Strategie knacken, die künftigen Bewohnern eine Top-Adresse verheißt, wo man in Wahrheit in einer Art charakterlosem Neubausumpf versackt.

Spectrum, Sa., 2001.06.30



verknüpfte Bauwerke
Gasometer Simmering - Neubau und Revitalisierung

28. April 2001Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Warum auf dem Boden kleben?

Flächenlimits setzen dem gestalterischen Spielraum im geförderten Wohnbau enge Grenzen. Hermann & Valentiny ist es bei Ihren Häuserzeilen am Wiener Telefonweg jedoch gelungen, Puppenheim-Dimensionen in atmosphärische Großzügigkeit auszudehnen.

Flächenlimits setzen dem gestalterischen Spielraum im geförderten Wohnbau enge Grenzen. Hermann & Valentiny ist es bei Ihren Häuserzeilen am Wiener Telefonweg jedoch gelungen, Puppenheim-Dimensionen in atmosphärische Großzügigkeit auszudehnen.

Im geförderten Wohnbau ist das Kostenkorsett heutzutage sehr eng geschnürt. Denn es will zwar jeder so gut wie möglich wohnen, aber das Budget, das der einzelne bereit ist, in seinen Wohn(t)raum zu investieren, das hat rigorose Grenzen. Wo sparen? Bei den geltenden Ausstattungsstandards geht es noch am ehesten über die Fläche. Daher sind die Wohnungen wieder deutlich kleiner geworden.

Hubert Hermann, die Wiener Dependance des luxemburgisch-österreichischen Architekturbüros Hermann & Valentiny, hat das bei einem Projekt in der Donaustadt hautnah verspürt. Es handelt sich um eine kleine Wohnanlage am Telefonweg, in einer Gegend also, wie sie für den heutigen Wiener Wohnbau nachgerade typisch ist: Peripherie, eigentlich ein Kleingarten-gebiet, Anbindung an die öffentlichen städtischen Verkehrsmittel gleich Null, einfach nur - ein sehr schmales, dafür 300 Meter langes Baugrundstück auf der Wiese. Gerade deswegen: für eine junge Familie mit kleinen Kindern bestimmt interessant.

Aber da sind diese Flächenlimits. Wo man noch vor zehn, 15 Jahren 130-Quadratmeter-Woh- nungen hingestellt hätte, muß der Architekt heute mit 80 Quadratmetern zurechtkommen. Und das bei einem deutlich entwickelteren Wohnbewußtsein. Da ist nicht mehr nur planerische Intelligenz gefragt, da geht es auch um die soziale Verantwortung des Architekten. Und um Strategie: um strategisches Denken im Umgang mit den Förderungsbestimmungen. Und die kleben ja bekanntlich am Boden, auf der (Wohn)Fläche, sie kreuzen also nicht den Raum, das tatsächliche Volumen.
Hermann & Valentiny haben sich diese Tatsache bravourös zunutze gemacht. Die kleinen Häuschen sind im Grund nur als Drei-Zimmer-Wohnungen konzipiert. Sie haben einen - vorgeschriebenen - vier Meter breiten Vorgarten, einen Autoabstellplatz und an der straßenabgewandten Seite auch noch einen - etwa wohnzimmergroßen - Garten, der durch einen schmalen Weg zusätzlich erschlossen ist. Ursprünglich sollten sie größer sein, aber dann wurde ökonomisch geschrumpft, dafür kam eine Einheit hinzu. Frage für den Architekten: Geht ein Hauskonzept unter solchen rigorosen Limits überhaupt noch auf?

Es geht - aber es bedarf einer minuziösen Tüftelei. Konkret: Die Garagen sind halbgeschoßig unter das Haus abgesenkt, der Vorgarten ist dadurch abgeböscht; man parkt längs. Im Haus drückt sich das in einem Split-Level aus, bei dem Küche und Essen über dem Stellplatz liegen, also halbgeschoßig angehoben sind, während der - natürlich zum Garten orientierte - Wohnraum tiefer liegt. Ein Vorteil dieser Lösung: Ein vier Meter breiter Vorgarten ist eigentlich für nichts gut; ein überdachter, dabei gut belüfteter Stellplatz - er kann am verkehrsarmen Telefonweg gegebenenfalls leer bleiben - ist hingegen vielfach nutzbar. Außerdem: Eine große Pergola als vorgelagerte grüne Schicht an der Ostseite (der Eingangsseite) der Häuser stellt sich als wesentlich sinnvollere Abschirmung, auch als schöne Empfangsgeste dar.

Aber weiter zur architektonischen Innenraum-Tüftelei: Man geht also zunächst ein halbes Geschoß hinauf, um das Haus zu betreten. Dort liegen Eingangsbereich und, wie gesagt, Küche und Eßplatz. Von dort geht man dann wieder drei Stufen hinunter, um auf die Ebene des Wohnzimmers zu gelangen, das einen direkten Ausgang in den Garten hat.
Erstens wichtig: Die Höhendifferenzierung zwischen Eß- und Wohnbereich ist nur durch eine Brüstung definiert, es gibt also keinen räumlichen Abschluß - der Blick hinaus auf den Garten ist da, der räumliche Fluß ist nicht unterbrochen.
Zweitens wichtig: die mit sechs Metern „gigantische“ Raumhöhe im Wohnbereich. Die ist vom Architekten als räumliches Potential gedacht, in dem sich der Bewohner entfalten kann, je nachdem, was er braucht. Schlimmstenfalls läßt sich hier auch eine Decke bauen und so ein weiteres Zimmer gewinnen. Immer noch würde die lichte Höhe des Wohnraums darunter 3,05 Meter betragen. Das ist also nicht nur ein Alibi-Angebot. Räumlich spannender ist aber sicher eine offene Galerie, die zwar weniger Zusatzfläche bringt, aber das Spektakel des hohen Wohnraums erhält.
Drittens wichtig: über dem Schlafgeschoß mit Bad ein Dach- boden, der zwar nicht als Wohnraum deklariert, aber isoliert und als solcher nutzbar ist. Platz - etwa für ein Schlafzimmer mit Bad - wäre hier jedenfalls.

Architektonische Kleinigkeiten: Gartenseitig sind den Häusern nur 1,5 Meter tiefe hölzerne „Scheuklappen“ vorgebaut, eine Art Rahmenkonstruktion und ein minimaler Schutz gegenüber dem hautnahen Bewohner nebenan. Selbst auf die Nische für den Rasenmäher oder die Gartenmöbel haben die Architekten nicht vergessen.

Ein Nachtrag zur städtebaulichen Lösung, zum formalen Ausdruck: Da steht nicht einfach eine Wurst, vorne und hinten abgeschnitten, sondern zwei Doppelhäuser am Anfang markieren eine architektonisch dirigistische Empfangsgeste und setzen einen deutlichen Akzent. Das erste der Doppelhäuser ist um 90 Grad gedreht, eigentlich ohne wirklich privaten Garten, dieses Manko wird aber wettgemacht durch eine mit einer Pergola überdachten Dachterrasse. Die Baukörper sind ganz schlicht aneinandergereiht, es gibt dennoch eine Zäsur. Wo ein anderer Weg auf den Telefonweg trifft, an dieser „Kreuzung“, liegt quasi das Herz der Anlage: ein eingeschoßiges Gemeinschaftshaus mit vorgelagertem Platzraum. Die „Reihenhauszeilen“ sind davon fast unmerklich weggedrückt. In den Schnitten zwischen den Baukörpern ein melonengelber Anstrich, das Gefühl von Hinterhof kommt so nicht einmal im entferntesten auf. Vorne weißer Putz - überlagert von der Grünschicht der Pergola -, hinten Holz und Glas, dazwischen - wo es ein Dazwischen gibt, es sind immer zwei Häuser aneinandergelehnt - Melonengelb.
Fazit: Wer da draußen wohnen möchte, wer nicht so wahnsinnig viel Geld hat, wer über ein entwickeltes Wohnbewußtsein verfügt - er kann es nicht besser treffen als am Telefonweg. Ein Vorzeigeprojekt.

Spectrum, Sa., 2001.04.28



verknüpfte Bauwerke
Siedlung Telefonweg

10. März 2001Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Wozu an der Schachtel rütteln?

Roh, ruppig, rauh: so steht sie am Ortsrand von Trumau, Niederösterreich, die Schatulle von „Pool“. Und bringt optische Erscheinung und Nutzung perfekt zur Deckung: Sie beherbergt eine Schlosserei.

Roh, ruppig, rauh: so steht sie am Ortsrand von Trumau, Niederösterreich, die Schatulle von „Pool“. Und bringt optische Erscheinung und Nutzung perfekt zur Deckung: Sie beherbergt eine Schlosserei.

Eine Schachtel. Eine eiserne Schatulle auf der Wiese. Natürlich zerschnitten, aufgeschnitten und verglast: Denn drinnen spielt sich ja etwas ab, drinnen arbeiten Menschen, da ist nicht nur toter Lagerraum. Trotzdem: im Prinzip nicht mehr als äußere Hülle und drinnen Raum.

Es geht um das Haus für eine kleine Schlosserei im niederösterreichischen Trumau. Gelegen ist sie an einer Ausfahrt, im peripheren Bereich des Orts, wo sich die Betriebe ansiedeln. Und sie ist sozusagen das „freigestellte“ Schlußlicht, die letzte dieser Architekturen, sogar die Nachbarparzelle ist noch frei.

Wie geht man im architektonisch bekanntlich so unsäglichen Ambiente mit dieser Aufgabe um? Wo (architektonisch, substantiell) nichts ist, da gibt es auch keine Bezugspunkte. Keine Rücksichtnahmen. Da muß man sich von vornherein selbst genügen. Das war die eine entwerferische Voraussetzung. Die Logik dieser Argumentation greift allerdings nicht wirklich. Denn - ich getraue mich das zu behaupten - auch in einer anderen Situation hätten die Architekten von „Pool“ wohl nicht grundsätzlich anders reagiert.

Tatsache ist: Da steht jetzt eine eiserne Schachtel, innen mit Heraklit verkleidet, alles roh. Die Verglasung sitzt bündig in der Fassade. Vorne streckt sich eine eiserne Zunge aus dem Gebäude heraus. Eine schräge Ebene, die die Architekten kühn als „Garten“ bezeichnen. Als eine Heurigen-Situation, wo die temporär aufgestellten Tische dann eben schräg stehen - was ja bei „richtigen“ Heurigen tatsächlich oft der Fall ist. Nachtrag: Der Schlosser, der hier seinen Betrieb errichtet hat, betreibt nebenbei und im selben Haus auch eine kleine Bar. Einen Treff für die Trumauer. Als kombinierte Nutzung ist das schon kurios genug.

Überhaupt ist dieses Gebäude ein Kuriosum. Nicht nur wegen dieser Verschränkung aus Schlosserei und Gastwirtschaft (die Bezeichnung Bar ist vergleichsweise hoch gegriffen, wo es doch nur um den Ausschank eher bodenständiger Getränke geht). Es ist vor allem architektonisch ein Kuriosum.

Zur Konstruktion ist nichts Besonderes zu vermelden. Es ist eine freispannende Stahlrahmenkonstruktion, der die drei Millimeter dicken, unbehandelten Stahlplatten an der Fassade vorgehängt sind. Drinnen sind die Niveaus räumlich ein wenig verschnitten. Da ist ein Kleinteillager unter einer Schräge verborgen, da geht es in geradezu sehenswerte Waschräume, es gibt einen bescheidenen Verwaltungsbereich, und da geht es auch weiter in die Schlosserei-Halle, die eigentliche Produktionsstätte. Wobei das alles räumlich fließt. Sehr angenehm.

Ein solches Schächtelchen an der grauslichen Peripherie egal welchen Ortes fällt immer wohltuend auf. Das muß man schon bilanzieren. Andererseits: Nicht nur die Formensprache, auch das gesamte räumliche Konzept hat viel mit dem - nennen wir es - computergenerierten Entwerfen zu tun. Das ist wirklich Architektur aus dem Computer. Ich kann mir nicht vorstellen, daß eine Handskizze von diesem Ding existiert.

Und es ist ein „Ding“. Ein Ding, das, wenn es nicht gebaut wäre, man sich auch gut als Image vorstellen könnte, bei dem die Außenfassade, auch der Innenraum nur irgendwie flächig eingefärbt ist, eine perfekte, dynamische (genug schräge Flächen gibt es ja) und - um ein Wort zu erfinden - eye-catcherische Animation. Die gebaute Wirklichkeit kann hinter einer solchen (auf dem Computer) animierten, imaginierten Wirklichkeit zweifellos nur zurückbleiben.

Damit keine Unklarheiten auftreten: Ich halte diese Schlosserei für ein sehr geglücktes Objekt. Es ist eine kleine, rohe Schatulle, raffiniert durchgeplant, zum Nutzen für alle, die damit und darin unmittelbar zu tun haben. Nichts ist versteckt, nichts ist bloß optisch verkleidet, nichts ist kosmetisch geschönt. Es geht roh, ruppig, rauh zu. Eigentlich ganz so, wie es sich für eine Schlosserei gehört. In dieser Ruppigkeit liegt die Schönheit des Objekts. Optische Erscheinung und inhaltliche Nutzung sind gewissermaßen zur Deckung gebracht. Es handelt sich um den Idealfall.

Daß der Besitzer ein geselliger Mensch ist und diese Geselligkeit gewissermaßen „professionalisiert“, indem er gastronomische Aktivitäten setzt, das ist eine andere Sache. Sie hat allerdings zweifellos damit zu tun, daß er sich „Pool“ als Architekten ausgewählt hat.

„Pool“: Man muß sich im Zusammenhang mit dieser Architektur Fragen stellen. Es ist eine Architektur ohne Details. Richtiger: ohne herkömmliche, ablesbare, aufgesetzte Details. Es ist eine Architektur, die aus Haut und Raum besteht, das Detail, die Detailarbeit liegt zunächst einmal in der Durchformulierung der verschiedenen Nutzungsschichten. Dabei gibt es keine Brüche, und wenn doch, dann sind sie inszeniert. Und es liegt natürlich in der wirklichen Detailarbeit, darin, wie Anschlüsse verschiedener Materialien, und seien sie noch so roh, funktionieren. Also: Die Architektur ohne Details kommt nicht ohne Details aus. Der einzige Unterschied ist, daß sie das Detail anders definiert.

Architektur aus dem Computer: Früher hat man den Sprung zwischen zwei Niveaus auf kurzem Weg bewältigt - mit ein paar Stufen. Es war eine ökonomische Weise, mit diesem Problem umzugehen. Ist die Rampenlösung, der ungebrochene Verbindungsfluß wirklich besser? Pragmatisch gesehen, ist er es nicht. Wenn wir die Behindertenlösung ausklammern - sie steht sicher nicht im Vordergrund der Überlegungen von „Pool“ -, dann ist die Rampe nur ein Bild angedachter, zeitgenössischer Dynamik.
Was sonst könnte die Rampe, die Schräge in der heutigen Architektur sein? Es ist ein bißchen lächerlich. Und dann ist es auch wieder todernst.

Die „schweizerische“ - das heißt: die minimalistische - Außenhautlösung in der Architektur ist ein Fortschritt. Weg vom Zierat, hin zu einem Purismus, der irgendwo Hand in Hand geht mit dem heutigen Preis-Leistungs-Denken. Wieso sollte die Architektur anders agieren? Klar, daß sie es nicht tut.

Aber irgendwo schmerzt etwas. Zwischen der Logik des materialgerechten Designs und der Logik des zeitgemäßen Ausdrucks - beide womöglich deckungsgleich - klafft etwas auf. Unbefriedigend. Unbefriedigt. Weil längerfristig betrachtet unter diesen Vorzeichen vielleicht auch eine Verarmung aufbricht, die niemand will, nicht einmal diejenigen, die jetzt solche Schachteln, solche Schrägen entwerfen.

Es wird ein zweiter Gedankenprozeß sein. Der kommt erst. Vorläufig halten wir fest: Die minimalistische Schachtel, und sei es die von „Pool“, die hat schon ihre eigene Qualität. Noch muß man nicht daran rütteln.

Spectrum, Sa., 2001.03.10



verknüpfte Bauwerke
Schlosserhalle mit Bar

10. Februar 2001Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Stapeln und schlichten

Erst zwei, dann nur einer, dann wieder zwei: Fährt man an ihnen vorbei, scheinen sie sich zu „bewegen“, die transparenten Turm-Zwillinge am Südhang des Wienerbergs. Massimiliano Fuksas' Twin-Tower: ein neues Wahrzeichen der Donaumetropole?

Erst zwei, dann nur einer, dann wieder zwei: Fährt man an ihnen vorbei, scheinen sie sich zu „bewegen“, die transparenten Turm-Zwillinge am Südhang des Wienerbergs. Massimiliano Fuksas' Twin-Tower: ein neues Wahrzeichen der Donaumetropole?

Hochhäuser, seien wir ehrlich, sind eine zwiespältige Angelegenheit. Sie sind zwar - hoch und vermögen dadurch Aufsehen zu erregen; was ein Aspekt sein mag, der vom Bauherrn über den Architekten bis zu den Nutzern alle Beteiligten interessiert. Außerdem kommt es in Hochhäusern auf einer minimalen Grundfläche zu einer maximalen Stapelung von Nutzflächen; das wiederum ist ein Aspekt, der zweifellos den Investor interessiert. Aber inhaltlich-räumlich, architektonisch-gestalterisch ist wenig drin im Hochhausbau.

Architektonisch tut sich jenseits der Positionierung solcher Gebäude im städtischen Kontext und ihrer spezifischen Fassadenlösung nicht viel. Daraus ist man versucht zu schließen, daß es nicht das Hirn des Architekten sein kann, das spricht, wenn er trotzdem ein Hochhaus bauen möchte. Was sich in diesem Fall zu Wort meldet, ist ein ganz anderes „Organ“: Es ist sein Bauch, der ganz emotional nach Höherem strebt.

Dem Römer Massimiliano Fuksas muß das bewußt gewesen sein, als er seinen Twin-Tower am Südhang des Wienerberges plante. Denn was da in einer Doppel-Konfiguration in die Höhe strebt, ist untypischer Fuksas, minimalistischer Fuksas. Sehr edel und in seiner durchgehaltenen Transparenz auch sehr reizvoll, aber reduziert auf das, was wirklich Sache ist: gestapelte Geschoßflächen, von denen man im vorhinein nicht wissen kann, was die Nutzer daraus machen. Man muß gewissermaßen in die Niederungen der ausladenden dreigeschoßigen Sockelzone hinuntersteigen, um etwas von der räumlichen Vielschichtigkeit und Expressivität des Massimiliano Fuksas zu erleben. Man muß hinuntersteigen ins sogenannte Urban Entertainment Center, aus dem die beiden Türme herauswachsen. Dort kommt man dann in großzügig formulierte öffentliche Bereiche und den eigentlichen, über einen „fliegenden Teppich“ deutlich anders materialisierten Zugang für die Mitarbeiter in die Hochhäuser.

Erste Frage: Was ist ein „Urban Entertainment Center“? Investoren stellen sich darunter offenbar eine Konzentration von gastronomischen Einrichtungen und Shops vor, untrennbar verbunden mit einem weiteren Kinocenter. Letztere sind in den vergangenen Jahren in Wien ja nur so aus dem Boden geschossen. Und sie sind durch die Bank kein Erfolg. Daran, daß es jetzt eines mehr gibt - mit zehn Sälen für 2200 Besucher -, ersieht man, wie lang die Vorlaufzeit eines solchen Großprojektes ist und wie wenig flexibel sich der Denk- und Planungsprozeß im Vorfeld des Bauens - vor allem auf der Seite des Investors - gestaltet. Unter dem Vorzeichen der ökonomischen Realisierung ist ein Umdenken, das andere Nutzungen ins Spiel bringt, praktisch nicht möglich.

Trotzdem - vorweg: Was in den letzten Jahren an Hochhausbauten in Wien so dahingekleckert wurde, Fuksas hat
es mit einer bewundernswerten Bravour überrundet. Vom Wohnhochhaus der Coop Himmelb(l)au abgesehen, stehen hier am Wienerberg die einzigen Hochhäuser der Bundeshauptstadt, die mehr bieten als den langweiligen Durchschnitt.
Das hat mit ihrer Positionierung zu tun: Die Fernwirkung ist wirklich toll, ein potentielles Wahrzeichen für den aus dem Süden Anreisenden. Und im Vorbeifahren, gleich aus welcher Richtung, ist es einfach eine Bereicherung, wie sich die beiden Türme „bewegen“, wie sie sich verschieben, sodaß erst zwei Türme sichtbar sind, dann nur einer, dann wieder zwei. Und weil sie so transparent sind, bleibt eine spannende Schichtigkeit dabei immer präsent. Bei allem Minimalismus schimmert da eben doch mehr als nur eine Ausdrucksebene auf.

Zu den Fakten: Die beiden Türme stehen in einem relativ spitzen Winkel zueinander. An der engsten Stelle rücken sie sogar bis auf fünf Meter zusammen. Der schlanke höhere der beiden Türme ist 138 Meter hoch (37 Geschoße), der etwas niedrigere, gedrungenere 127 Meter (34 Geschoße). Aber beide beinhalten die gleiche Nutzfläche, und sie sind in mehreren „Paketen“ (Dreier-, Vierer-, Fünfer-Paketen) durch insgesamt 19 verglaste Brücken miteinander verbunden.

Diese Brückenverbindungen waren gar nicht leicht zu lösen, weil sich die Türme, entsprechend der Windlast, unterschiedlich bewegen. Und die Brücken selbst aber keinerlei konstruktive Funktion haben, sie dienen nicht etwa der Aussteifung. Sie sind reine Verbindung zwischen den Geschoßen und müssen also die unterschiedlichen Bewegungen der Türme mitmachen. Das ist mit einer elastischen Lagerung, die aus der Flugzeugtechnik kommt, bewältigt worden. Sinn dieser horizontalen Verbindung zwischen den Türmen ist jedenfalls: großfläche Nutzung auch auf einer Ebene zu ermöglichen. Zusätzlich gibt es in Form von Aussparungen in den Betondecken auch potentielle vertikale Verbindungen zwischen den Geschoßen, wo interne Treppenverbindungen (und damit kurze Wege) möglich sind.

Konzeptuell sind die beiden Türme in bezug auf die innenräumliche Nutzung differenziert angelegt: Der schlanke hohe ist für Zellenbüros prädestiniert, der breite niedrigere läßt auch großräumliche Lösungen zu. Aber das sind Anforderungen, auf die heute jeder Architekt, der für einen Investor und anonyme Nutzer planen muß, selbstverständlich eingeht. Die kleinen gestalterischen Abstriche, die Fuksas in Kauf nehmen mußte, tun nur dem fachkundigen Auge weh: Er wollte die Liftkerne rundum mit amerikanischer Kirsche verkleiden und dadurch als eigenen Körper artikulieren. Es wäre schöner gewesen, zugegeben, aber daß dieses Konzept nur teilweise realisiert ist, geht wirklich nicht an die Substanz.

Substantiell war eigentlich nur der Eingriff in die Fassadenlösung. Die war ursprünglich (im Wettbewerb) zweischalig konzipiert, sodaß es den Nutzern in den Büros möglich gewesen wäre, innen drinnen Fenster zu öffnen. Noch im Wettbewerb hat dieser Vorschlag den allergrößten Anklang gefunden, in der Realisierung ist er - aus Kostengründen - gescheitert. Die Ganzglaslösung - ohne Brüstung - der jetzigen Fassade gleicht diesen Abstrich zwar nur teilweise aus, verglichen mit den Fassadenlösungen anderer Wiener Hochhäuser ist sie dennoch eine Errungenschaft. Und sie wurde schwer erkauft. Wenn es nicht deutsche Präzedenzfälle gegeben hätte, auf die sich verweisen ließ, und wenn nicht die Sprinkleranlage entsprechend verstärkt worden wäre, dann hätte die Feuerpolizei (Brandüberschlag!) dieser Fassadenlösung sicher nicht zugestimmt.

Trotz aller Anonymität der Planung - sie ist ja für gänzlich unbekannte Nutzer konzipiert, von denen man nicht weiß, ob sie mehrere Geschoße nehmen oder nur eines oder überhaupt nur einen Teilbereich - hat Fuksas bestimmte räumliche Qualitäten durchsetzen können. Vor allem die lichte Raumhöhe in den Büros, aber auch den Gängen ist angenehm (und deutlich besser als im Millenniumstower): 2,80 Meter! Auch das unterschiedliche Erschließungskonzept der beiden Häuser - ein innenliegender Kern beim hohen Turm, eine außenliegende Erschließung beim breiteren - schafft eigene, differenzierte Innenraumqualitäten. Schließlich wichtig für das äußere Erscheinungsbild: Die notwendigen Technikgeschoße wurden am Wienerberg ganz nach oben und ganz nach unten verlegt, der Turmschaft selbst ist in beiden Fällen wirklich transparent.

Zweite Frage - und Verbindungsklammer zum Anfang: Wieso reißen sich Architekten eigentlich um Hochhäuser, obwohl gerade diese Typologie fast nichts zuläßt? Was kann architektonisch schon dabei herauskommen, wenn ein Investor baut, der nur darauf aus ist, nicht nur maximalen, sondern auch raschen Gewinn zu erzielen? Für die Architektur wird es unter solchen Vorzeichen eng. Eigentlich bleibt nur die Höhe, der „Geschlechterturm“, der die Sache doch schillernd, verlockend, illuster macht. Und damit sind wir wieder - beim Bauch des Architekten, nicht beim Gehirn, wo vermutlich die Vernunft angesiedelt ist. Es klingt absurd, aber gerade diese kommerziellen Geschlechtertürme unserer Gegenwart scheinen die emotionalen Ressourcen unserer Architekten unheimlich zu stimulieren.

Fuksas hat sich da sogar selbst übertroffen. Der Minimalismus seiner Türme ist in Wirklichkeit seine Sache nicht. Fuksas „at his best“ oder „at himself“ erlebt man im Sockel. Da sind die Ebenen ausdrucksvoll verschnitten, da hat er sogar eine plastisch expressive, vielleicht nicht ganz wirtschaftliche, lineare Anordnung der Kinosäle durchgesetzt. Und eine Verknüpfung der unterschiedlichen Bereiche, die zumindest für ein räumliches Gesamterlebnis prädestiniert ist.

Es ist keine Frage der Architekturqualität, ob dieses Erlebnispotential genutzt wird. Da kommen viele andere (architekturfremde) Faktoren ins Spiel, da hat der Investor die Hauptverantwortung. Und wenn man sich die jüngsten Debatten über die mangelhafte Verkehrsanbindung des Wienerberg-Projektes ins Gedächtnis ruft, dann möchte man resümieren: Diese Verantwortung bleibt ganz bei ihm - und natürlich auch bei der Stadt Wien.

Spectrum, Sa., 2001.02.10



verknüpfte Bauwerke
Vienna Twin Tower

05. Januar 2001Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Die Weihen der Wippe

Was kommt heraus, wenn ein architektonisch ambitionierter Bauunternehmer einen profilierten Architekten seinen Firmensitz adaptieren, umbauen und erweitern läßt? Bei der Paarung Wilfried Kallinger und Walter Stelzhammer ein Gesamtkunstwerk in Wien-Margareten.

Was kommt heraus, wenn ein architektonisch ambitionierter Bauunternehmer einen profilierten Architekten seinen Firmensitz adaptieren, umbauen und erweitern läßt? Bei der Paarung Wilfried Kallinger und Walter Stelzhammer ein Gesamtkunstwerk in Wien-Margareten.

Baustufe drei in einem denkmalgeschützten Ensemble in Wien-Margareten. Ein Hoftrakt aus der Jahrhundertwende, der nun im Erdgeschoß als Ausstellungsraum, im ersten und zweiten Obergeschoß als Bürofläche und im neu ausgebauten Dachgeschoß auch für zwei Wohnungen genutzt wird. Baustufe drei heißt übrigens präzise: Der Architekt Walter Stelzhammer hat den Firmensitz des Bauträgers Wilfried Kallinger saniert, adaptiert, umgebaut und erweitert. Und das in drei Etappen, ab 1989.

Ein Glücksfall, muß man heute resümieren. Denn die Zusammenarbeit zwischen dem - naturgemäß bauerfahrenen - Auftraggeber und dem speziell im Umgang mit alter Bausubstanz - siehe Österreichische Beamtenversicherung - profilierten Architekten war offenkundig kongenial. Das Ergebnis: ein Gesamt(kunst)werk, entstanden aus dem Diskurs zweier Partner, die weder Arbeitseinsatz noch finanziellen Aufwand gescheut haben, um einen Qualitätslevel zu erreichen, der deutlich über dem Durchschnitt liegt.

Zuerst wurde der Straßentrakt - ein Biedermeier-Haus - als Bürostammsitz der Firma Kallco saniert (1989 bis 1990), dann in den Hof die sogenannte Art-Box - ein multifunktionales Einraumgebäude mit Holz-Glas-Fassade - gestellt (1994 bis 1995), und im vergangenen Jahr wurden die Arbeiten am Hoftrakt beendet.

Ein Terrainsprung im Hof - er ist fast 75 Meter tief, aber nur acht Meter breit - wurde mit zwei Stufen und einer ausladenden Eisenwippe bewältigt, die malerisch vor sich hin rostet. Diese Wippe ist an sich schon ein schönes Objekt. Daß sie obendrein auch einen Zweck erfüllt, verleiht ihr gewissermaßen „höhere Weihen“. Über diese Wippe lassen sich Dinge - unter Umgehung der Stufen - in den höher gelegenen Hofteil transportieren. Bedeutsam ist das schon deswegen, weil der Bauherr eine stolze Oldtimer-Sammlung sein eigen nennt, die jetzt im Erdgeschoß des Hoftrakts garagiert - richtiger: „ausgestellt“ - ist.

Das Hofgebäude liegt in einer Schutzzone und mußte daher erhalten werden. Aber der Architekt gibt freimütig zu, daß das Haus, so wie es jetzt dasteht, nach mehr „Bestand“ aussieht, als tatsächlich vorhanden ist. Schon das Erdgeschoß wurde praktisch entkernt, das ganze Haus mit einer Stahlkonstruktion unterfangen. Fassade im Erdgeschoß: gewaltige verglaste Garagentore mit zwischen den Scheiben liegenden Sonnenschutzlamellen. Dieser „Ausstellungsbereich“, vorläufig zu einem erheblichen Teil mit den (exorbitanten!) Oldtimern des Bauherrn gefüllt, ist tatsächlich aber auch bestens geeignet für - zum Beispiel - die ausführliche Präsentation eigener Bauvorhaben, auch für größer konzipierte Besprechungen, Konferenzen. Und sollte sich Wilfried Kallinger einmal die „galeriemäßige“ Ausstellung seiner Firmentätigkeit vornehmen - er wird dafür keine Galerie nötig haben. Was man an Räumlichkeiten dafür tatsächlich braucht, das hat er selbst - und nicht zuletzt dank der architektonisch angedach-ten Dehnbarkeit der einzelnen Rauminterpretationen.

Besonders hier in der Erdgeschoßzone, dann auch in den beiden neuen Stiegenhäusern, ist das räumliche Outfit konsequent industriell: Terrazzo, grober Anstrich, Beton, sichtbare Stahlkonstruktion. Andererseits: Das Lichtkonzept etwa ist sehr ausgetüftelt; es besteht aus Reflexionsleuchten, die ein ambitioniertes Wiener Büro entwickelt hat; wenn man das sieht, dann kann man auf das unsägliche Bartenbach-Design einmal mehr verzichten.

Darüber hinaus: Atmosphärisch, also was die innenräumliche Stimmung betrifft, lebt das Projekt letztlich auch davon, daß Fertigprodukte eine untergeordnete Rolle spielen. Das fängt schon bei den Garagentoren an: Sie sind eine Produktentwicklung des Architekten, gemeinsam mit einer Firma.

Diesen Aufwand muß man sich natürlich leisten können - und wollen. Aber wir reden hier ja nicht von preisgünstigem Einfamilienhausbau, wir reden vom Firmensitz eines Bauträgers, eines besonderen Bauträgers noch dazu. In Wien zählt er zu jener knappen Handvoll von Vertretern dieser Branche, die im Wohnbau nicht nur Kubaturen hinstellen, sondern architektonische Ambition mit sozialer Verantwortung verknüpfen.

Noch einmal der Hoftrakt: In der Erdgeschoßzone ist er praktisch aufgeschnitten, als eigene Fläche ausgestellt. Die Kernzone darüber, das erste und zweite Obergeschoß, ist Büroflächen vorbehalten und ganz eindeutig am Bestand festgemacht. Das neue Dachgeschoß darüber orientiert sich zwar an den Umrissen der ursprünglichen Dachform, die beiden Wohnungen - jede mit eingeschnittener Dachterrasse - liefern mit ihrem zweigeschoßigen Zuschnitt aber weit mehr, als herkömmlich geboten wird. Für die klassische Kleinfamilie mit zwei Kindern sind sie nicht vorgesehen. Wenn das einmal klar ist, dann kommt man mit Stelzhammers Raumplan zurecht - einem Servicegang, dem die notwendigen Funktionen angelagert sind, und teils zweigeschoßigen, beliebig nutzbaren Wohnflächen.

Die „Selbstverwirklichung“ des Architekten ist immer ein Thema, selbst bei der scheinbar bescheidensten Intervention im historischen Bestand. Aber so bescheiden war Stelzhammer gar nicht. Nur: Er hat sich auf das Hauptstiegenhaus konzentriert. Das wurde gewissermaßen in die Substanz eingeschnitten, das tritt auch aus der Substanz (der Baulinie) sichtbar heraus. Dabei scheinbar kurios: Der Stiegenhaustrakt ist zwar verglast, aber geradezu primitiv - oder klassisch? Keine Punkthalterung, keinerlei modische Aperçus, eine herkömmliche Rahmenkonstruktion, gehalten von Schwertern. Und die Betonstiege selbst ist ein Faltwerk, selbsttragend, das expressiv, aber auch ganz minimalisiert in Erscheinung tritt. Das Pendant zu dieser Hauptstiege - am Ende des Hoftrakts gelegen - ist dann in die Substanz hineingepreßt und entspricht mit seinen geradläufigen Treppen natürlich auch den geltenden Bauvorschriften bezüglich Fluchttreppen für Arbeitnehmer.
Stelzhammer kann sich glücklich preisen. Es ist ein sehr schönes Ensemble, das ihm da über ein Jahrzehnt hinweg gelungen ist. Es ist natürlich schon eine nicht alltägliche, eine besondere Nutzung, die Thema seines Entwurfs war. Auch die Büros sind schließlich für Leute, die in der einen oder anderen Form mit Architektur zu tun haben. Da geht man anders mit Raum um, da freut man sich auch, wenn man in Räumen arbeitet, die herkömmlichen Schemata nicht ohne weiteres entsprechen.

In dieses Bild paßt übrigens ganz besonders der zweite Bauabschnitt, die Art-Box. Kallinger hat hier Büros eingerichtet, die den Verkauf der von ihm gebauten Wohnungen betreiben. Die Wohnungswerber sind also schon von vornherein einer Architektur konfrontiert, die sich vom Baumarkt in Haltung, Detailformulierung und Nutzungsdefinition unterscheidet.
Architekten - wenn sie Gutes realisieren - lobt man gern. Bei Bauträgern tut man sich als Architekturpublizist ungleich schwerer. Kallinger ist eine der wenigen Ausnahmen von der Regel. Da freut man sich wirklich, daß sein Firmensitz all dem entspricht, was man erwartet, wenn es ums Bauen geht, und wenn es von jemandem betrieben wird, der den Nimbus des „Ambitionierten“ vereinnahmt hat.

Trotzdem: Hier geht es um Architektur. Und die stammt - Dialog hin, Dialog her - in letzter Instanz von Stelzhammer. Er hat sich in der architektonischen Selbstverwirklichung zwar unbeschreiblich weit zurückgenommen. Aber genau deswegen ist es jetzt auch ein Kunstwerk. Man wird lange suchen müssen, wenn man ein vergleichbares Ensemble ausfindig machen will. Eines, das historische Substanz und zeitgenössischen Eingriff vergleichbar besonders vereint - und vergleichbar unaufdringlich.

Es ist eine Frage der Grundeinstellung des Architekten. Wie und wodurch drückt sich seine Haltung, drücken sich seine „Visionen“ aus? Wenn man das abklärt, und wenn man die zeitgeistigen Aperçus vom substantiellen Gehalt eines Entwurfs abzieht, dann bleibt normalerweise nicht sehr viel übrig. Normalerweise. Und nicht sehr viel.

Spectrum, Fr., 2001.01.05



verknüpfte Bauwerke
Kallco-Haus - Remise - Artbox

04. November 2000Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Köcheln, Brodeln, Sieden

Probebühnen, Wohnungen, Restaurants, Büros: der Nutzungsmix in der riesigen Kubatur der von Ortner & Ortner adaptierten Zürcher Schiffbau-Halle könnte bunter nicht sein. Wie man einer heruntergekommenen Bausubstanz durch Umnutzung und zeitgenössische Implantationen neues Leben einhaucht.

Probebühnen, Wohnungen, Restaurants, Büros: der Nutzungsmix in der riesigen Kubatur der von Ortner & Ortner adaptierten Zürcher Schiffbau-Halle könnte bunter nicht sein. Wie man einer heruntergekommenen Bausubstanz durch Umnutzung und zeitgenössische Implantationen neues Leben einhaucht.

„Schiffbau“ heißt das neue Kultur- und Werkzentrum des Schauspielhauses Zürich, das Ende September eröffnet wurde und einer von drei großen Kulturbauten ist, mit denen das Büro Ortner & Ortner in den letzten Jahren beschäftigt war. Die beiden anderen: die Sächsische Landes-, Staats- und Universitätsbibliothek in Dresden und - das Museumsquartier in Wien.
Mit letzterem hat - aber dann doch nur bei oberflächlicher Sicht der Dinge - das „Schiffbau“ insofern etwas zu tun, als es einer heruntergekommenen historischen Bausubstanz durch Umnutzung und zeitgenössische Implantate neues Leben einhaucht. Das ist wirklich vergleichbar, auch wenn der Schwerpunkt in Zürich auf den darstellenden Künsten liegt und der in Wien auf den bildenden; und auch wenn zum Nutzungsmix in Zürich neben den kulturellen und gastronomischen Einrichtungen noch Büroflächen und sogar Wohnungen hinzukommen.

Was die Einschränkung in bezug auf die Vergleichbarkeit der beiden Unternehmungen in Wien und Zürich betrifft, so beruht sie in erster Linie auf der konkreten Situation im gesamtstädtischen Kontext: Das Museumsquartier ist eine zentrale, eine innerstädtische Angelegenheit; das „Schiffbau“ in Zürich hingegen liegt in einem abgewirtschafteten Industrieareal, zwischen großen Werkhallen und alten Schornsteinen, gleich neben einer aufgestelzten Stadtautobahn.
Aus Wien kommend, denkt man daher unweigerlich an die Gasometer, wenn man die 120 Meter lange, denkmalgeschützte Schiffbau-Halle betritt. Denn von der Bahnstation bis zum „Schiffbau“ hat man schon einen Weg hinter sich, der einem deutlich vermittelt, was hier Sache ist: eine Art „Brodeln“ oder „Köcheln“, noch auf kleiner Flamme, aber schon knapp davor, sich zu einem flächendeckenden Siedeprozeß zu steigern, der aus einem ausgedehnten und ausgelaugten Stadtquartier ein anderes, frisches, lebendiges macht.

Früher wurden in der Schiffbau-Halle wirklich Schiffe gebaut. Für die Binnenschiffahrt, zum Beispiel auch für den Bodensee und den Attersee. Das bedeutet, daß die Halle mit einer Wandstärke von etwa 25 Zentimetern und ihren riesigen, natürlich nur einfach verglasten Fenstern als Innenraum so nicht zu gebrauchen war. Was es für die historische Bausubstanz bedeutet, ein solches Gebäude wärmezudämmen und tatsächlich als Innenraum nutzbar zu machen, das sieht man - ein extrem abschreckendes Beispiel - am Getreidespeicher in Wien.

Ortner & Ortner näherten sich dieser Problematik daher von vornherein anders: subtiler, aufrichtiger. Die große Halle, an der seitlich noch eine kleinere, kürzere dransteht, wurde so wenig wie möglich angetastet. Man könnte sogar sagen, sie ist nach wie vor schäbig, alt, das Gegenteil von repräsentativ.

Und sie übernimmt zunächst einmal jene Funktion, die Ortner & Ortner auch der Reitschule zugedacht haben: Sie ist Foyer und Verteiler. Sie ist aber auch Hülle: Hülle für architektonisch simple Einbauten. Da gibt es den großen Kubus eines - übrigens qualitativ durchaus bemerkenswerten - Restaurants; es gibt einen Jazz-Club; von hier geht es zum Studiotheater in der sogenannten „Box“; und weiter hinten in der großen Halle findet das „Hallentheater“ des Zürcher Schauspielhaus-Intendanten Christoph Marthaler statt. Eröffnungspremiere: „Hotel Angst“, eine ständig ausverkaufte Produktion, auch eine Art „Nestbeschmutzung“ im Hinblick auf das Verhältnis der Schweiz zur EU.

Neben diesen Funktionen im historischen Bestand ging es vor allem darum, Raum für Werkstätten und die Verwaltung des Zürcher Schauspielhauses zu schaffen, drei Probebühnen zu bauen und vermarktbaren Raum in Form von Büros und Wohnungen einzugliedern. Das heißt, was jetzt dasteht, das ist in Wahrheit ein komplexes und bei aller räumlichen Großzügigkeit doch dichtes Geflecht aus historischen und zeitgenössischen Bauteilen. Wobei der wichtigste dieser neuen Bauteile zweifellos das „Hofgebäude“ ist, ein gewaltiger Block mit 84 Metern Länge, 40 Metern Breite und einer Höhe von 23 Metern. Ein zweiter neuer Bauteil - er hat die Form eines schwarzen Betonkubus - beherbergt Fremdbüros. - Am „Hofgebäude“ werden sich möglicherweise die Geister scheiden. Es hat eine Fassade - nicht untypisch Laurids Ortner und daher auch typisch für eine ästhetische Haltung, die sich unseren Erwartungshaltungen nicht so ganz (oder gar nicht) anpaßt.

Die Außenfassade: schmale weiße Betonlisenen und genauso schmale, goldgefaßte Fenster; besonderer Clou: der vergrößerte Betonabguß eines Reliefs der Koren des Erechtheion, mehrfach und unregelmäßig auf dieser Fassade plaziert. Das muß man sich trauen.

Und wenn man - wie ich - unvorbereitet davor steht, dann fährt einem diese Fassade schon irgendwie in die Glieder. Sechziger-Jahre-Assoziationen stellen sich ein, Erinnerungen an einen Architekturdekor - Faltenwurf in Beton, güldene Einfassung für die Fenster -, dem man nach wie vor keine Qualität zutraut. Man stelle sich vor: Helmut Richter vor dieser Fassade - den streift vermutlich der Schlag.

Der Autorin ging es, ehrlich gestanden, nicht wirklich anders. Sie war verblüfft. Wenn die Außenjalousien geschlossen sind, heißt es in einem Text des Büros Ortner & Ortner, dann ist das Gebäude weiß und golden gestreift, immer in gleicher Breite. So habe ich es nicht gesehen, ich kann es mir nur vorstellen. Aber es ist eine typische Architektenidee, wie sie in der Realität nie materialisiert werden wird.

Soll trotzdem sein. Soll durchaus sein. Mir kommt irgendwie aber auch vor, daß die Ortners mit diesem Bau - oder richtiger: mit diesen Bauten - eine provokante Frage aufwerfen. Es ist die Frage nach der Form. Die Ortners haben in Zürich vom schwarzen Betonwürfel des Bürogebäudes bis zur süffisanten, weiß-goldenen Fassade des Hofgebäudes ein ganzes Register an formalem Ausdruck umgesetzt. Es zeigt etwas, was wir gern verdrängen: Praktisch ist alles möglich, der formale Ausdruck erlaubt keinen Rückschluß auf die substantielle Qualität eines Baus.

Über die substantielle Qualität des Baus von Ortner & Ortner muß man aber reden. Denn die ist toll. Wie die einzelnen Teile miteinander verknüpft sind - da ragt zum Beispiel ein Neubauteil in die alte Halle hinein, die Verzahnung der Bauten ist nicht auseinanderzudividieren - und welche unterschiedlichen atmosphärischen Welten sich auftun, das ist bemerkenswert. Im Hofgebäude sind unten die Werkstätten des Schauspielhauses. Darüber sind die Verwaltungsbereiche. Und ganz oben gibt es Wohnungen, die Reihenhäusern gleichkommen.

Die Ortners waren im Wohnbau bisher ein unbeschriebenes Blatt. Aber was sie hier realisiert haben, das ist wirklich großartig. Von der räumlichen Qualität her: Luxus pur. Terrassen zum Innenhof - wo sich ein ganz und gar nicht verlangtes, im Zuge der Planung entstandenes Freilufttheater etabliert hat - und nach draußen, also insgesamt eine Art bewohnbares Schiffsdeck.

Es ist schon komisch. Aber man muß sich heutzutage doch fragen, welchen Stellenwert die formale Handschrift eines Architekturbüros noch hat. Man muß sich fragen, welchen schmalen Grat der ästhetische Ausdruck eines Bauwerks beanspruchen darf, im Gegensatz zum viel breiter gefächerten inhaltlichen Programm, um das es geht und das letztlich womöglich doch nur behübscht wird.

In Zürich ist etwas gelungen, was aber nicht nur den Ortners und nicht nur dem Intendanten Christoph Marthaler gutzuschreiben ist: Ein ganzes Stadtviertel ist im Umbruch. Und das „Schiffbau“ ist sichtbarer Ausdruck davon. Es gibt flankierende Maßnahmen: ein Multiplex-Kino und einen Technologiepark etwa. Aber das Herzstück ist das „Schiffbau“. Es hatte den bestmöglichen Start. Obwohl abseits vom Stadtzentrum gelegen, ist Marthalers „Hotel Angst“, wie gesagt, andauernd ausverkauft. Und im Restaurant „La Salle“ muß man unbedingt reservieren, sonst hat man keine Chance auf einen Platz.

Und noch etwas: Die Eigentümer der (keineswegs billigen) „Reihenhäuser“ oben im Hofgebäude mußten alle unterschreiben, daß sie einverstanden damit sind, daß im Hof, gewissermaßen vor und unter ihrer Haustür, Theater gespielt wird. Und das haben sie.

Tja, Ortner & Ortner ist ein sehr spezielles Büro, fast ist man versucht, ihm den handschriftlichen Ausdruck abzusprechen. Wenn man sich das aber genauer überlegt, dann kommt man nicht umhin, sich gleich wieder zu korrigieren: Natürlich ist auch die Architektur der Ortners spezifisch, aber sie ist es nicht in der herkömmlichen, formalen Manier.
Die Unterschiede, von denen wir heute reden, wenn es um ambitionierte Architekturbüros geht, bestehen ja überhaupt nicht in der Bewältigung des Programms, der inhaltlichen Anforderungen; das ist allen gleich wichtig. Meistens geht es in der Architekturdiskussion um die Unterschiede der Form - und da zählt auch die durch technische Lösungen bedingte Form dazu.

Ich kann mich noch nicht vorbehaltlos damit anfreunden, aber irgendwie habe ich das Gefühl, die Ortners agieren konsequenter als andere, sie verkörpern eher den Typ zeitgenössischer Architekt als jene, die in „Richtungen“ integrierbar sind.

Spectrum, Sa., 2000.11.04



verknüpfte Bauwerke
Kultur- und Werkzentrum „Schiffbau“

21. Oktober 2000Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Backstein und Streckmetall

Zwei Shopping-Malls, ein Kinopalast, Arztpraxen, Pensionistenklubs: was Hermann & Valentiny im deutschen Halle unter ein Dach gebracht haben, nennt man dort schlicht Bezirksteilzentrum - eines, das städtebaulich und gestalterisch allerdings „erste Sahne“ ist.

Zwei Shopping-Malls, ein Kinopalast, Arztpraxen, Pensionistenklubs: was Hermann & Valentiny im deutschen Halle unter ein Dach gebracht haben, nennt man dort schlicht Bezirksteilzentrum - eines, das städtebaulich und gestalterisch allerdings „erste Sahne“ ist.

Halle-Neustadt verkörpert genau jene „neudeutsche“ Stadtwirklichkeit, über die „Westler“ so gerne hohnlächeln. 35 Geschoße hohe Platten-Wohnbauten, eine „Magistrale“ - das ist die sehr, sehr breite Hauptstraße - und ganz unvermittelt: Brache. Wildwuchs mitten in einem städtischen Gefüge, das in der Ambition steckengeblieben ist.

Aber dann kam die Wende, und später dann kamen auch Hermann & Valentiny. Und dieses österreichisch-luxemburgische Architekturbüro hat mit Wohnbauten, einem Hotel und einer kleinen Passage für das Zentrum von Halle-Neustadt städtebauliche und architektonische Maßnahmen entwickelt, die genau diese neudeutsche Wirklichkeit akzeptieren, die sie aber auch ergänzen, erweitern. Resultat: ein Viertel, das sich mehr und mehr zum städtischen Ganzen verdichtet, zu einer neuen Stadt in der Stadt - mit einer ganz eigenen Qualität.

Highlight der letzten Stunde: das Bezirksteilzentrum. So nennen es die Hallenser Stadtväter, wir würden Einkaufszentrum dazu sagen, obwohl hier tatsächlich mehr als nur Verkaufsfläche geboten wird. Denn neben dem Einkaufen rund um zwei großzügige Shopping-Malls und entlang von Ladenstraßen ist ein Kinopalast (acht Säle) angesiedelt, und es gibt vom Ärztezentrum über den Rechtsanwalt bis zum Pensionistenklub eben doch eine Infrastruktur, die über den reinen Kommerz hinausgeht.

Sagen wir trotzdem Einkaufszentrum dazu. Es ist - wie Hubert Hermann es liebevoll nennt - eine Art Kuhfladen an der Hauptstraße. Ein ausgesprochen gewaltiger Kuhfladen. Denn das in seiner Grundstruktur L-förmige Gebäude hat eine Schenkellänge von annähernd 180 Metern. Daß Hermann Kuhfladen dazu sagt, hat auch nichts mit den flächenmäßigen Dimensionen zu tun, sondern mit der Höhe. Gleich dahinter ragen nämlich die besagten Plattenbauten mit ihren 35 Geschoßen auf. Und das ist schon ein Maßstabssprung.

Das Haus ist ein glücklicher Wurf. Daran besteht kein Zweifel. Es ist keine Schwester jener Pestbeulen, um Wiener Beispiele anzuführen, wie wir sie aus SCS und SCN kennen. Es hat architektonischen Charakter, es hat Format. Und es ist städtebaulich eine durchüberlegte Komposition, die einen ernstzunehmenden Beitrag zur Qualität des gesamten Viertels darstellt.

Es ist ein Backsteinbau. Dunkel, sehr dunkel. Und ausgesprochen elegant. Der Klinker wurde an den Fassaden eingesetzt, die zur Stadt und zur Magistrale orientiert sind, aber nur dort, wo es um Hauptfunktionen geht. An der Magistrale verjüngt er sich, er verschwindet, er macht dann einer Streckmetall-Membran Platz, die die Parkdecks einhüllt. Streckmetall ist überhaupt das zweite dominante Material. Die ideale Hülle für Nebenfunktionen.

An der Magistrale: der bauchige Teil des Gebäudes. Ein Schiffsbauch? Jedenfalls bildet er eine überaus markante Ecke und ist gläsern aufgeschnitten, sodaß man den Menschenstrom zu den Kinos sieht. Architekten ist es heute ja leider untersagt, in die Kino-Architektur einzugreifen. Die wird von den Großkonzernen bestimmt (siehe auch Coop Himmelb(l)au in Dresden). Aber wenigstens bildet sich in einem der großen Säle die Gegenform des Gebäudebauchs ab. Schon das ist schön. - Und dann die lange stadtseitig orientierte Gebäudefront. Der Backstein schimmert da je nach Sonnenlicht-Einfall dunkelviolett bis hellrot - wirklich toll. Und da kommt auch noch der Faktor Intelligenz dazu. Denn Hubert Hermann hat natürlich genau gewußt, was ihm an dieser Fassade an Werbeflächen-Anforderungen bevorsteht. Er hat vorausschauend reagiert. Mit Vordächern, die gewissermaßen multifunktional sind. Sie erlauben den „trockenen“ Gang entlang des Gebäudes auch bei Schlechtwetter, ihre Streckmetall-Verkleidung bildet gleichzeitig die Hintergrundfolie für die Werbung. Die wird also zu einem heterogenen, wie auch immer illuminierten Band des Kommerzes. Soll sein.

Es gibt Schaufenster nach außen, obwohl Einkaufszentren in aller Regel nach innen, zu den Malls orientiert sind. Das macht das Gebäude interessanter für den Passanten. Es wird so zu einem Beitrag zur öffentlichen Atmosphäre - ganz im Gegensatz zu den quälenden Schuppen üblicher Art.

Drinnen: zwei große Malls, glasüberdacht. Aber Low Tech, nicht High. Und trotz der Lichttechnik von Bartenbach nicht zugeklebt, sondern mit einem Raster bedruckt, der einen auch noch den Himmel spüren läßt. Der Architekt konnte nicht aus dem vollen schöpfen, das muß man vorausschicken: Bedingungen wie Fuksas in Salzburg-Kleßheim hatte er nicht. Aber Geld spielt ja nur selten die ausschlaggebende Rolle. Daher: ein großartiger Raumeindruck, eine wunderbare Materialisierung. An den Stirnwänden ein Tomatenrot, über den Geschäften flaschengrüne Glasschürzen, Terracotta gegenüber: ein perfektes Zusammenspiel der Materialien.

Eine absolute Sensation: die Dachlandschaft. Es gibt nicht nur die streckmetallverkleideten Parkdecks, die oben übrigens mit einer pergolaartigen Lamellenschicht der Begrünung harren, es gibt auch jenen Dachteil, der über dem eigentlichen Einkaufszentrum liegt. Und dort haben Hermann & Valentiny einen Außenraum geschaffen, der seinesgleichen sucht. Es ist die fünfte Fassade des Gebäudes. Und sie hat De-Chirico-Qualität. Da ragen die - 21 Meter hohen - Glaskörper der Malls heraus, da sind backsteinverkleidete Körper zu sehen, und alles, was aufgeschnitten, ausgeschnitten wurde, ist melonengelb gefärbelt. Eine irreale Situation. Sie wird nur dadurch in die heutige Lebenspragmatik zurückgeholt, daß zwischen den Baukörpern keine grün gestaltete Freifläche im Sinn des Architekten realisiert wurde, sondern - auch hier - Parkplätze das Terrain besetzen.

Dieses Einkaufszentrum ist mehr als gelungen. Und es trägt seiner Umgebung Rechnung. Denn von den Plattenbauten hat man zuvor auf Wiese geschaut. Der Gedanke, die „fünfte Fassade“ speziell zu gestalten, kommt also nicht von ungefähr. In solchen Situationen geht es um die architektonische Verantwortlichkeit. Hubert Hermann hat sie ernst genommen. Und daß seine Überlegungen aufgegangen sind, das sieht man vor Ort: Das Ding ist überlaufen.

Spectrum, Sa., 2000.10.21



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Einkaufszentrum

23. September 2000Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Wie Oberpullendorf Weltstadt wird

„Baujuwel“ muß nicht unbedingt ein historisches Gebäude an einem prominenten Ort bezeichnen. Ein kürzlich errichteter Bürozubau von Gerner & Gerner in Oberpullendorf verdient dieses Prädikat genauso. Weil er eine maßgeschneiderte Lösung auf der Höhe der Zeit ist.

„Baujuwel“ muß nicht unbedingt ein historisches Gebäude an einem prominenten Ort bezeichnen. Ein kürzlich errichteter Bürozubau von Gerner & Gerner in Oberpullendorf verdient dieses Prädikat genauso. Weil er eine maßgeschneiderte Lösung auf der Höhe der Zeit ist.

Man kann nicht behaupten, daß es tatsächlich ein Gefährdungsfaktor für den Straßenverkehr wäre; aber ungewöhnlich lang, und das immer wieder, schaut schon jeder hin, der die Straße am Rand von Oberpullendorf, Burgenland, entlangfährt und seinen Blick schweifen läßt. Es ist eine periphere Gegend. Randlage eben. Und insofern ist es auch ein peripheres Statement. Eine architektonische Kleinigkeit, angefügt an einen ganz beliebigen, auch nicht großen Industriebau. Aber die Kleinigkeit fällt aus der Rolle. Weil sie ins Bild solcher peripheren Billigkeiten einfach nicht passen will.

Dem Büro von Andreas und Gerda Gerner verdanken sich in Wien, aber auch im Burgenland schon einige bemerkenswerte Arbeiten. Sie sind immer eher klein, und sie sind immer sehr, sehr fein. Oft Stahlbau der minimierten Spielart, es hat aber auch schon Holz eine Rolle gespielt.

Bei diesem Bürozubau zum Bestand eines übrigens höchst ambitionierten burgenländischen Fassadenbauers - ARS arbeitet immerhin für Coop Himmelb(l)au, auch für das BKK 3 - geht es natürlich wieder um Stahlbau. Das liegt in der Natur der Aufgabe, und es hat mit ganz pragmatischen Anforderungen zu tun. Die Bauzeit sollte ungewöhnlich knapp sein - ursprünglich waren sechs Wochen geplant, daraus wurden dann zwar drei Monate, aber auch das ist letztlich äußerst kurz bemessen. Selbst für einen Bau mit nicht mehr als 250 Quadratmeter Nutzfläche, organisiert auf Erdgeschoß- und Obergeschoßniveau.

Das Ding ist signifikant. An schlichter, aber auf den Punkt gebrachter Aussagekraft läßt es nichts offen: ein industrieller Bau, geplant für einen, der selbst „industriell“ baut. Also: Aluminium, Stahl, Glas. Nun gibt es das heutzutage, gerade in den peripheren Gewerbegebieten, zuhauf. Und in seiner banalsten Ausprägung. So kamen die „trockenen“, die „leichten“ Bauweisen ja erst in Verruf. So kam zum Beispiel auch das Gerücht auf, daß die massive Ziegelbauweise im Wohnbau immer noch das Nonplusultra sei: ausgemachter Unsinn - der sich ganz leicht widerlegen ließe, wenn qualifizierte Architekten, denen eine andere, neue Bauweise wirklich ein Anliegen ist, zum Zug kämen. Und zwar ohne unzählige Fußangeln und Stolpersteine, sondern unter dem Vorzeichen der Optimierung auf Basis eines gemeinsamen Willens von Bauträger, übergeordneter regionaler Bauinstanz und - eben dem Planer.

Aber davon sind wir noch weit entfernt. Einlösen lassen sich solche Erwartungen einstweilen vorwiegend im „privaten“ Auftragsbereich. Und da in den seltensten Fällen im großen, weil hier einfach die Betonlobby dominiert. Wirklich schöner, ausgefeilter Stahlbau in Verbindung mit einer industriellen Gebäudehaut und einer räumlichen Lösung, die mehr leistet als bloß Durchschnitt, ist hierzulande immer noch den Kleininitiativen vorbehalten. Gerner und Gerner haben ihren silbrig und gläsern schimmernden Schnellzugwaggon an einen ganz gewöhnlichen Industriebau angedockt. Und nicht einmal was seine Positionierung angeht, hatten sie großen Spielraum: Irgendwo zwischen vorgegebenem Abstand zum Nachbarn und der Pragmatik des notwendigen Andockens an einen vorhandenen Bau waren die Grenzen des „städtebaulichen“ Spielraums gezogen. Trotzdem ist das Gebäude so hervorragend plaziert, daß sich der Chef des Unternehmens am Ende nicht dazu aufraffen konnte, den ungemein attraktiven Raum im Obergeschoß, der als Großraumbüro für die Techniker geplant war, zu opfern. Er richtet sich jetzt selbst dort ein.

Man versteht es. Über die vollverglaste Stirnseite des sieben Meter schmalen und 16 Meter langen Gebäudes sieht man unter einer vier Meter vorkragenden Schirmmütze (Sonnenschutz) hinweg auf das Panorama - der Weltstadt Pullendorf. Und das ist nicht einmal ironisch. Von hier aus betrachtet ist Pullendorf Weltstadt.

Die innenräumliche Organisation des Gebäudes ist geradezu simpel, aber mehr hat es eben auch nicht gebraucht. An der Stirnseite kommt man in einen Vorraum hinein und von dort zum Sekretariat beziehungsweise in einen Besprechungsbereich. Die Schleuse zum Bestand ist seitlich ganz unspektakulär realisiert, aber mit ihrem zweigeschoßigen Luftraum auch nicht zwanghaft oder beengt, sondern angenehm selbstverständlich und großzügig. Im Obergeschoß mit dem ursprünglich geplanten Großraumbüro einschließlich Naßbox sind überhaupt alle Möglichkeiten offen. Und genau das ist es, was man heute von einem Bürobau verlangt.

Wunderschön: die natürliche Belichtung durch die verglasten Schmalseiten (rückwärts mit direktem Ausgang ins Freie vom Obergeschoß) und die eingeschnittenen, in die Krümmung der Gebäudehaut eingefügten Oberlichten. Der atmosphärische Gewinn für das Haus ist enorm. Da arbeitet jeder gern.

Konstruktiv präsentiert sich dieser bauliche Tatbestand extrem einfach, das heißt - er ist intelligent. Wenn vier gebogene Stahlrahmen genügen, von denen nur einer als A-förmiger Bock für die notwendige Aussteifung sorgt, dann ist das wohl genug. Darin liegt ja der Wert dieser Bauweise, daß sie vorgefertigt und materialminimiert vonstatten gehen kann.
Auch die Treppe von der ebenen Erde hinauf ins Obergeschoß, frei in den Raum hineingestellt, ist angewandte Gegenwart: vergleichbar einer Flugzeug-Reling. Im übrigen: taubenblaues Linoleum auf dem Boden im Innenraum, eine Gebäudehaut aus wärmegedämmten Blechkassetten mit einem darüberliegenden Gleitbügelsystem und die Untersichten der auskragenden Gebäudeschale aus Alucobond. Letzteres ist als Material äußerst vielversprechend. Es besteht außen und innen jeweils aus einer Aluminiumschicht und dazwischen aus einer gummiartigen Einlage. Sie ist hart, aber auch elastisch. Und wenn man eine Aluminiumschicht einschneidet, dann läßt sich dieses Material knickfrei und beliebig biegen. Der Unterschied zum Biegeverfahren der Alu-Bleche, die Johannes Gesteu bei der U 6 eingesetzt hat: Dort entsteht eine starke Ornamentik, die einen eigenen Aussagewert darstellt, bei Gerner und Gerner werden die Möglichkeiten des Materials anders genutzt. Ohne Ornamentik, glatt, zweckorientiert.

Wenn von Baujuwelen die Rede ist, dann geht es immer um Geschichte. Was für eine kurze Sicht! Wo es sie doch an den überraschendsten, unattraktivsten Orten auch heute gibt, diese Juwele. Sie sind nicht in Baukosten gerechnet wertvoll - der kleine Bürozubau von Gerner und Gerner hat rund 2,2 Millionen Schilling (160.000 Euro) gekostet. Juwele sind sie, weil sich jemand eine ungemein kompakte, zielgerichtete Lösung überlegt hat und weil er diese Lösung mit unseren heutigen Möglichkeiten völlig unmanieriert materialisiert hat.

Ich frage mich dabei - fassungslos - immer wieder das gleiche: Warum schauen die peripheren Gegenden unserer Städte so aus, wie sie ausschauen? Hier ist doch ein Beispiel, wie Architekten unter ziemlich rigiden Vorgaben Architektur gezaubert haben. Wieso greifen nicht viel mehr Bauherren auf diese Möglichkeit zurück? Sie würden mehr bekommen, als sie sich erwarten, und das für annähernd dasselbe Geld. Woran kann es liegen, daß die Industrie, die Produzenten selbst, diejenigen, die all das umsetzen, was die besten unter unseren Architekten planen, so wenig Interesse daran haben, etwas davon für sich selbst anzuwenden? Bildungsdefizit? Gedankliche Trägheit?

Ich argwöhne letzteres. Als Ursache für die Tristesse unserer peripheren Gewerbegebiete ist das eine traurige Bilanz. Initiativen sind angesagt. Beispiele dafür - siehe Gerner und Gerner - gibt es, Gott sei Dank.

Spectrum, Sa., 2000.09.23



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zuck Bürozubau

05. August 2000Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Die Fühler in Richtung Donau

Sie ist ein Lehrstück, und das in mehrfacher Hinsicht - funktional, formal, statisch, technologisch und auch was die Verknüpfung divergierender Interessen betrifft: Die Doppelschule von Nehrer+Medek auf der Wiener Donauplatte.

Sie ist ein Lehrstück, und das in mehrfacher Hinsicht - funktional, formal, statisch, technologisch und auch was die Verknüpfung divergierender Interessen betrifft: Die Doppelschule von Nehrer+Medek auf der Wiener Donauplatte.

Sie zählt eindeutig zum Besten, was sich unter den Neubauten im Umfeld der Überplattung der Donauufer-Autobahn ausfindig machen läßt: die Doppelschule - eine Volks- und eine Sportmittelschule - des Wiener Büros Nehrer + Medek und Partner. Nun weiß man zwar, daß diese Architekten im Schulbau gewissermaßen „Profis“ sind, weil sie in den letzten 25, 30 Jahren immer wieder Schulen gebaut haben. Aber hier am Kaisermühlendamm, unmittelbar neben beziehungsweise auf der Autobahnüberplattung, ist ihnen sichtlich ein besonderer Wurf geglückt.

Konzeptuell - oder vielleicht richtiger: funktionell - stimmen die Schulen von Nehrer + Medek eigentlich immer. Wenn es etwas zu bekritteln gab, dann war es - soll man sagen: die „Redlichkeit“ des Entwurfs und seiner Materialisierung? Anders ausgedrückt: Bei aller zeitlosen Qualität der Schulbauten von Nehrer + Medek, manchmal wäre, zumindest in der formalen Umsetzung, eine etwas weniger abgesicherte, eine weniger „konventionelle“ Sprache spannender gewesen.

Aber gegen den Bau am Kaisermühlendamm läßt sich nichts dergleichen anführen. So rigid, so streng die Gebäudekonfiguration auch ist, und so „trocken“ die Materialisierung - eine Eternithülle mit viel Glas -, die Architekten haben der Besonderheit der Situation neben beziehungsweise über der Autobahnüberplattung etwas abgerungen, das sich beim Gang durch das Gebäude erspüren läßt.

Die Überplattung war ja schon gebaut, als die Idee geboren wurde, neben den Harry-Seidler-Bauteil und vor die bestehenden Wohnbauten eine Schule zu setzen. Das gab zunächst einmal viel Ärger mit den Anrainern, die ihren Donaublick gefährdet sahen. Es war aber auch schwierig, weil die Überplattung selbst nicht darauf ausgelegt war, daß man sie überbaut. Nur auf die Trennwand konnte man etwas stellen, die Überplattung selbst trug einen 80-Zentimeter-Erdkoffer - das entspricht in etwa einer Belastbarkeit durch ein erdgeschoßiges Gebäude. Aber nicht mehr.

Aus der Not dieser Situation haben die Architekten im besten Wortsinn eine Tugend gemacht. Das Gebäude entwickelt sich einerseits parallel zur Autobahn, unmittelbar entlang der Trennwand. Andererseits weisen vier quergestellte Gebäudefinger in Richtung Neue Donau. Diese - um ein Geschoß höheren - Finger durchschneiden den langgestreckten Straßentrakt und gliedern ihn. Gleichzeitig macht diese Lösung zumindest für die oberen Geschoße der Wohnbebauung vis-à-vis den Durchblick zur Donau auch weiterhin möglich.

Die Eingangssituation ist klar definiert: leicht zurückgerückt, sodaß eine platzartige Situation entsteht, und gläsern aufgerissen, nur eine signifikante V-Stütze - ein erster Hinweis auf die statische Lösung bei den Klassentrakt-Fingern - steht davor. Links geht es zur „offenen“ Volksschule, einem Schulversuch, bei dem man ohne Benotung auskommt, rechts geht es zur Sportmittelschule. Dazwischen: ein Veranstaltungssaal, der nicht nur beiden Schulen gemeinsam, sondern auch öffentlich nutzbar ist. Denn es gibt in diesem Bezirksteil von Kaisermühlen keinen anderen multifunktionalen Raum.
Und noch ein zweites Spezifikum Kaisermühlens wurde in diesem Schulbau bedacht: Wer weiß das schon, aber der VAT Kaisermühlen ist einer der besten Tischtennisklubs Österreichs, und auch der hat hier Unterschlupf gefunden. Eine eigene Tischtennishalle wurde ins Programm aufgenommen, wichtigere Spiele werden in einer der drei großen Turnhallen abgewickelt, wo es auch eine Zuschauertribüne gibt.

Das Konzept dieser Schule folgt jedenfalls einem ziemlich komplexen Strickmuster, das eben nicht nur aus funktionellen Komponenten resultiert, sondern auch aus den diffizilen statischen Gegebenheiten vor Ort und - aus den Anrainerinteressen: Es gibt das Straßenniveau, es gibt einen Hang, eine Lärmschutzböschung, und es gibt die eingehauste Autobahn. Die Schule verläuft parallel zu diesen örtlichen Gegebenheiten, und alle Funktionen, die öffentlich sind oder durch eine straßenseitige Orientierung nicht beeinträchtigt werden, sind hier angelagert. Es gibt drei große Turnhallen, eine davon mit Zuschauertribüne, es gibt eine Musikhalle, eine Gemeinschaftshalle beziehungsweise einen Veranstaltungssaal, es gibt die zweigeschoßige öffentliche Bibliothek, die Tischtennishalle und den Gymnastikraum für die Kleinsten.

Alle diese Einrichtungen lehnen sich gewissermaßen an die Autobahn an, sie reichen teilweise auch bis auf das Niveau der Autobahn hinunter. Ganz unten gibt es einen 150 Meter langen Erschließungsgang, direkt an der Mittelmauer zur Autobahn, nur ein schmaler Installationskollektor ist zwischengeschaltet. Trotzdem: Tageslicht überall. In den Sälen an der Straße durch hochgelegene Fenster sowieso, aber auch durch einen Lichtschlitz entlang der Autobahn im Gang. Man spürt es also nicht, daß das Gebäude in diesem Bereich in der Erde drinnen steckt, daß gleich daneben eine Autobahn verläuft.
Die Klassentrakte, die Finger, die Fühler in Richtung Donau, stehen quer. „Wir waren verleitet diese Finger twisten zu lassen“, sagt Manfred Nehrer. Aber dann fiel die Entscheidung doch zugunsten der rationellsten Lösung. Und die ist ein rechter Winkel. Alle Klassen sind nach Südosten orientiert, die ganz vorne in den Fingern sogar über Eck, also zweiseitig. Das war lange verpönt, weil es hieß, da wird man geblendet. Henke/Schreieck haben da mit ihrer schönen Schule am Leberberg eine Vorreiterrolle gespielt. Seither weiß man, es geht auch so.

Konstruktiv interessant: die V-Stützen, die jeden Klassentrakt halten. Sie stehen auf der Mittelmauer der Autobahn und tragen praktisch eine Brückenkonstruktion. Denn außer der Mittelmauer durfte ja nichts belastet werden. Das heißt, von der V-Stütze kragt die Brücke in Richtung Donau aus, und sie spannt zurück bis zu einer Säule hinter der Glasschräge des Straßentraktes. Und der untere Gebäudeteil hängt am oberen. Diese konstruktive Lösung ist auch ablesbar - nicht aufdringlich, aber wer sehen kann, sieht.

Es gibt einen Glas-Verbindungsgang zwischen den beiden Schulen, den sich die Lehrer ertrotzt haben. Ursprünglich hätten sie einen Stock hinunter gehen müssen, um von der Volksschule in die Mittelschule zu kommen - oder umgekehrt. Das Argument der Architekten: die Durchsicht für die Anrainer.

Überhaupt: Die Durchsichtigkeit dieses ja keineswegs kleinen Bauwerks ist raffiniert. Auch die Dachlösung ist es. Extensive Begrünung vorne an der Straße. Nichts Aufwendiges also, aber stimmungsvoll blühend zu jeder Jahreszeit und - robust. Sichtbar auf den Dächern: die Lüftungsbauten. Sie sind kein Schönheitsfehler, im Gegenteil, diese Mischung aus „architektonischem Komfort“ und reiner Funktionalität ist gerade das Spannende. Aber wie praktisch alles bei dieser Schule, auch sie ist mehrfach codiert. Es geht dabei nicht nur um die Ablesbarkeit, nicht nur um den Rhythmus einer Dachlandschaft, sondern die Belüftung der Räume darunter, speziell der Turnhallen, ist durch die kurzen Wege - bei niedrigstem Energieverbrauch - einfach besser.

Kleinigkeiten: der Kampf um die Fenster knapp über Straßenniveau. Man darf nicht hineinsehen, die Lehrer wollen es nicht, und was den Gymnastiksaal betrifft, wo außer den Kleinsten auch Senioren turnen, da sind Einblicke sowieso nicht gefragt. Mit solchen Anforderungen kann man als Architekt aber nur kompromißlerisch umgehen.

Hingegen toll: das Durchsetzungsvermögen der Direktorin der offenen Volksschule. Sie hat sich gegen die verordnete Klassenmöblierung erfolgreich zur Wehr gesetzt. Folge: bunte Möbel und eine ganz und gar unzentralistische Aufstellung - Motto: Schluß mit dem Frontalunterricht, mitten hinein ins (Klein-)Volk.

Dieser Schulbau ist in mehrfacher Hinsicht ein Lehrstück. Er zeigt, was heutige technologische Möglichkeiten zu leisten imstande sind, wenn man richtig von ihnen Gebrauch macht. Und er zeigt, welche Entwicklung unsere Gesellschaft durchlaufen hat, denn der Ausbildungsstandard, der hier wie selbstverständlich zur Verfügung gestellt wird, war nie höher. Vor allem zeigt er aber, was Architekten zu leisten imstande sind. Ihnen mußte das alles einfallen, sie haben die unterschiedlichen Interessen und Gegebenheiten am Ort übereinandergelagert und aus dieser Verschneidung und Schichtung eine Lösung entwickelt. In diesem Fall kommt auch die formale Umsetzung nicht zu kurz. Sie ist trocken, sie ist nicht zeitgeistig - wiewohl auf dem heutigen Stand -, sie ist langlebig. Aber sollte das nicht jede Architektur sein?

Spectrum, Sa., 2000.08.05



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Volks- und Sportmittelschule

01. Juli 2000Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Ingenieurbaukunst in Haute Couture

Denkbar heikel war die Aufgabe: Es galt, die gut erhaltene Ruine einer antiken Wohnanlage in Ephesos „einzuhausen“. Otto Häuselmayers und Wolfdietrich Ziesels reflektierte, uneitle und funktional optimierte Lösung hat das Zeug, sich zum Vorzeigeprojekt zu entwickeln.

Denkbar heikel war die Aufgabe: Es galt, die gut erhaltene Ruine einer antiken Wohnanlage in Ephesos „einzuhausen“. Otto Häuselmayers und Wolfdietrich Ziesels reflektierte, uneitle und funktional optimierte Lösung hat das Zeug, sich zum Vorzeigeprojekt zu entwickeln.

Archäologie und zeitgenössische Kunst, das ist eine Verbindung, die nur selten zu einem glücklichen Gesamtergebnis führt. Wiener können das bei jedem Gang über den Michaelerplatz beobachten, obwohl der vielleicht ein untypisches Beispiel ist. Denn erstens liegen diese Ausgrabungen mitten in der City und zerstören einen innerstädtischen Platz; zweitens hat sich von Anfang an die Frage gestellt, ob sie wirklich die Substanz haben, die eine öffentliche Inszenierung zwingend macht; und drittens überfordert sowohl das architektonische Konzept als auch dessen Materialisierung den ohnehin ziemlich ärmlichen archäologischen Bestand.

Man durfte also gespannt sein, was die Österreicher im Kontext ihres Vorzeige-Ausgrabungsfeldes, in Ephesos, an zeitgenössischer architektonischer Intervention zustande bringen. Dort, wo im Verlauf vieler Jahrzehnte das Zentrum einer vorchristlichen „Großstadt“ ausgegraben wurde und im Durchschnitt jährlich eineinhalb bis zwei Millionen Besucher durchgeschleust werden, kommt heutigen architektonischen Aktivitäten zweifellos eine besondere Bedeutung zu.

Konkret ging es darum, die besonders gut erhaltene Ruine eines großangelegten Hanghauses durch eine - wie auch immer angelegte - „Einhausung“ zu schützen. Dem Kenner zeitgenössischer Architektur wird bei einer solchen Aufgabenstellung sofort ein Vergleichsbeispiel einfallen: Peter Zumthors Schutzbauten für die römischen Ausgrabungen in Chur aus den achtziger Jahren. Zumthor hat diese Aufgabe unprätentiös gelöst, mit einer „Verpackungsarchitektur“ aus durchlässigen Holzlamellen, die aber exakt den ursprünglichen römischen Baukörpervolumina folgt.

Der Ansatz, den das in einem Gutachterverfahren erfolgreiche Team aus dem Architekten Otto Häuselmayer und dem Statiker Wolfdietrich Ziesel verfolgte, ist zwar anders, aber als gelungener, feinfühliger Umgang mit einer so diffizilen Aufgabenstellung sicher ebenso vorzeigbar.

Man sieht es schon von weitem, das textile Dach über dem Hang mit der wertvollen Hanghausruine. Es fällt dabei nicht aus dem Rahmen der von weitem zunächst landschaftlichen Umgebung, es ist eher ein im Sonnenlicht schimmerndes architektonisches Fragezeichen, besser: ein Versprechen, das man unweigerlich aus der Nähe in Augenschein nehmen möchte, eine Art visueller Magnet.

Dieses in den Hangverlauf eingebettete Membrandach kann dann, wenn man davor und vor allem darunter steht, wirklich sehr viel. Nicht nur vom architektonischen Konzept her und der konstruktiven Lösung, auch durch die Wahl der Materialien. Häuselmayer und Ziesel ist es ganz offensichtlich nicht um willkürliche (formale) Selbstverwirklichung am illustren Ort gegangen, sondern um den Einsatz all ihres Könnens zugunsten einer Aufgabenlösung, die - so altmodisch oder überholt es klingen mag - aus der Faszination und dem Respekt resultiert, den ein dermaßen geschichtsträchtiger Ort jedem reflexionsfähigen Künstler-Architekten-Konstrukteur heute nach wie vor abzuverlangen vermag.

Das Bauwerk ist so schlicht und doch zeitgemäß, so sensibel und doch komplex wie nur möglich. Eine leicht abgetreppte Membranhaut folgt dem Hang, an den Seiten transparent durch Lexan-Bahnen (also nicht Glas, sondern einen Polycarbonattyp) geschlossen. Und das - minimierte - Tragwerk ist aus Edelstahl. - Ziesel hat all sein Können, all seinen Erfindungsreichtum eingesetzt, um dieses Tragwerk optimal auszubilden. Denn eines muß man sich klarmachen: Auch der Denkmalschutz hat in den letzten Jahrzehnten eine Entwicklung durchlaufen, die für zeitgenössische Interventionen gleich welcher Art rigorose Folgen nach sich zieht. Das heißt: Der archäologische Bestand durfte nicht nur nicht angetastet werden, man durfte ihm nicht einmal nahe kommen. Es gab eine kritische Phase in der Entwicklung des Projekts, da hätte eine Stütze des Einhausungsprojekts eine Mauer des archäologischen Bestandes geringfügig tangiert. Die Überlegung von Häuselmayer/Ziesel ging dahin, diese Berührung sichtbar zu machen. Ihre Umsetzung ist am Einspruch des - für das Gesamtprojekt äußerst verdienstvollen - Leiters des Österreichischen Archäologischen Institutes, Friedrich Krinzinger, gescheitert: Das gesamte Bauwerk wurde schließlich um 20 Zentimeter verschoben.

Es lohnt sich, genauer anzuschauen, wie dieses Bauwerk beschaffen ist. Denn schon die Wahl der Dachmembran ist besonders gelungen. Sie besteht aus einer Kunststoffhaut - Fiberglas und Polytetraflourethylene -, die ganz hervorragende Eigenschaften hat: Sie ist wasserdicht und witterungsbeständig, schwer brennbar und UV-beständig, sie ist schmutzabweisend, läßt das Licht durch, aber die Sonnenenergie nur sehr bedingt, und sie ist ganz besonders leicht - ein Kilogramm pro Quadratmeter -, aber sehr belastbar - 8000 Kilogramm pro Quadratmeter.

Auch das Fassadenmaterial wurde glücklich gewählt: Es ist ebenfalls aus Kunststoff, aber transparent wie Glas, sodaß man die archäologischen Bestände von außen gut sieht. Das ist schon deswegen wichtig, weil Besucher nicht einfach nach Belieben in diesen Bau hineinkommen. Sie müssen geführt werden. Wäre das nicht so, man hätte vielfältige Sicherungsmaßnahmen entlang der Besichtigungswege anbringen müssen und damit die - überaus eindrucksvolle - Gesamtwirkung dieser Ausgrabung essentiell gestört. Außerdem: Immer stärker setzt sich das Bewußtsein durch, daß die Bewahrung solcher „ausgegrabener“ Geschichtszeugnisse nicht beliebig perpetuierbar ist. Wenn man sie wirklich erhalten will, dann darf man sie nicht uneingeschränkt vermarkten.

Man muß sich die Einhausung übrigens luftdurchlässig vorstellen, nicht als dicht geschlossene Hülle. Der Umgang mit dem Wind und dem Staub, zum Leidwesen von Krinzinger auch mit der Tierwelt, die einen willkommenen Unterstand in der Einhausung sieht, war insofern ein Kriterium. Winzige architektonische Details fallen in diesem Zusammenhang auf, erklären sich aber aus den Voraussetzungen am Ort: Die Zwischenräume zwischen den Fassadenbahnen wurden zum Beispiel so berechnet, daß der von außen eindringende Staub so verwirbelt wird, daß er eben nicht ungebremst eindringt. Und es gibt da, wo die Sonne eine Gefahr darstellt, auch transluzente Fassadenelemente.

Ziesels Tragwerk spielt alle „Stückln“. Daß er Edelstahl als Material gewählt hat, liegt noch irgendwie auf der Hand: Es ist haltbar und wartungsfrei und erlaubt einen geringen Materialaufwand. Denn eine filigrane Konstruktion war dem leidenschaftlichen Verfechter einer neuen „Ingenieurbaukunst“ sowieso ein zwingendes Anliegen. Er hat nur die wenigen Stützen in Normalstahl ausgeführt, aus nachvollziehbaren - hauptsächlich ökonomischen - Gründen. Darüber hinaus ist das Tragwerk raffiniert detailliert und konzeptuell in jeder Hinsicht ein Gewinn für die architektonische Gesamterscheinung. Denn Ziesel hat sich eine Lösung für die Dachhaut überlegt, die in Feldern funktioniert. Sie haben ein Ausmaß von ungefähr 25 mal elf Meter und werden durch eine Unter- beziehungsweise Überspannung stabilisiert. Die gesamte Dachkonstruktion hat - einschließlich Stahlbau - ein enorm niedriges Gewicht: 25 Kilogramm pro Quadratmeter. Auf Grund der Gegebenheiten vor Ort mußte die ursprüngliche Konstruktion dabei durch ein zusätzliches konstruktives „Rückgrat“ verstärkt werden, das Ziesel auch skulptural attraktiv ausgebildet hat.

Was jenseits aller - von Häuselmayer mit gewohnter Bescheidenheit, aber auf höchstem Niveau angesiedeltem Anspruch - realisierten Architektur, jenseits aller Konstruktion das wesentliche ist: Unter der Einhausung herrscht sowohl vom Licht her als auch klimatisch eine besondere Atmosphäre: angenehm, was die Temperaturen angeht, noch angenehmer, was die Lichtsituation betrifft. Auch Krinzinger, der gestrenge Schirmherr über die archäologische Substanz, weiß die architektonisch-konstruktive Geste des Bauwerks zu schätzen. Und die türkischen „Eigentümer“ wissen es, nach schwierigen Durchgangsphasen, nun auch.

Diese „Einhausung“ ist hervorragend geglückt. Uneitel, nicht auf sich selbst verweisend, wiewohl substantiell genug da ist, das die Beachtung lohnt. Über- und untergeordnet zugleich: ein zeitgenössisches Architekturstatement sondergleichen, ein inhaltlicher Anlaß - in Form der spektakulären Ausgrabungsergebnisse -, der diesen Aufwand und Einsatz allemal lohnt.
Wenn man in Ephesos ist, dann geht es einem übrigens wie an so vielen anderen historischen Orten: Man weiß, daß hinter jedem Hügel ein weiterer archäologischer Anlaß der Ausgrabung harrt. Krinzinger ist dagegen. Er sagt, daß wir kaum imstande sind, das, was jetzt ausgegraben ist, wissenschaftlich und nicht zuletzt konservatorisch entsprechend zu bearbeiten. Also: Keine weiteren Ausgrabungen mehr, weil das, was unter der Erde der Entdeckung harrt, dort am besten aufgehoben ist. Wahrscheinlich hat er recht. Es schmerzt trotzdem, daß eine Wohlstandsgesellschaft wie die unsrige nicht imstande ist, jenes Investitionspensum zu leisten, das weitere Ausgrabungen sinnvoll und - das vor allem - langfristig sicher macht.

Spectrum, Sa., 2000.07.01



verknüpfte Bauwerke
Membrandach

20. Mai 2000Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Wie eine Partitur aus Fensterstangen

Sie weiß, was geht; und sie weiß, wie es sich rechnet: Margarethe Cufer. DasThema, das sie vor Jahren mir dem Oberhuber-Haus in Wien-Mariahilf anriß, hat sie nun mit einem Wohnbau gleich dahinter fortgeführt. Ohne zu plagiieren, erreicht sie damit eine Ensemble-Wirkung - ein Glücksfall.

Sie weiß, was geht; und sie weiß, wie es sich rechnet: Margarethe Cufer. DasThema, das sie vor Jahren mir dem Oberhuber-Haus in Wien-Mariahilf anriß, hat sie nun mit einem Wohnbau gleich dahinter fortgeführt. Ohne zu plagiieren, erreicht sie damit eine Ensemble-Wirkung - ein Glücksfall.

Ein ganz normaler Wohnbau, mitten in der Stadt. Kein „innovatives Konzept“, formal eine eher stille Angelegenheit, nichts Auffälliges also. Trotzdem lohnt es sich, manchmal auch solche Wohnbauten etwas genauer zu betrachten. Denn wenn sich der Planer etwas denkt bei seiner Arbeit, dann kann es sein, daß die städtebauliche Lösung und der Gesamtausdruck des Hauses für das Umfeld ein Gewinn sind und die Wohnungen für die Bewohner sehr komfortabel.

Ein Glücksfall ist das Wohnhaus sowieso. Denn vorne, an der Ecke Esterházygasse/Wienzeile steht das markante Oberhuber-Haus, das Margarethe Cufer schon vor ein paar Jahren realisierte. Dahinter war ein niedriger Altbau, wie er für diese Gegend (noch) typisch ist, der abgebrochen und durch das viel höhere neue Haus ersetzt wurde. Das Glück daran: Es war wieder Margarethe Cufer, die - nach mehreren anderen Projekten für den Bauplatz - mit der Planung beauftragt wurde.

Man muß eines sagen: Sie hat nicht den Fehler gemacht, die formale Besonderheit des Oberhuber-Hauses, die versetzten und ganz unterschiedlich dimensionierten Fenster weiterzuführen. Die waren eine Oberhuber-Idee, und diese Idee hat sie nicht plagiiert. Aber das Eckhaus trägt natürlich auch ihre Handschrift. Und die hat sie beibehalten, sodaß jetzt ein Ensemble dasteht, das gleichzeitig differenziert und irgendwie einheitlich wirkt.

Die Fassade des neuen Hauses ist ruhiger. Cufer nutzt zwar alle Möglichkeiten des Bauplatz-Zuschnittes zur Gliederung ihrer Fassade aus - etwa indem sie einen auch seitlich verglasten Mini-Erker einplante, der für den Ausblick aus den Wohnungen tatsächlich etwas bringt. Auch indem sie die beiden Stiegenhäuser in einem sehr blassen, dezenten Lachston gefärbelt, sie also lesbar gemacht hat (Zitat Bauherr: „Alle meine Häuser sind rosa“), während die Fassaden der Wohnungen weiß sind. Auch durch unterschiedliche Fenster, runde zum Beispiel, und ein scheinbar umlaufendes Fensterband im obersten Geschoß, das aber Fassadenspiel ist - Emailglas vor den Wandanteilen wechselt mit durchsichtigem Fensterglas ab. Von der Straße sieht man das aber nicht gleich, weil das Emailglas den Eindruck vermittelt, als wären dahinter heruntergelassene Jalousien.

Und schließlich durch den - ebenfalls spielerischen - Umgang mit einem so geringfügigen Detail wie den Fensterstangen. Sie sind gewissermaßen willkürlich gesetzt - „fast wie eine Partitur“, sagt die Architektin -, aber man kann sie auch als nachträgliche, sehr übersetzte Interpretation der Oberhuberschen Fensterlösung auffassen.

Ein ganz normaler Wohnbau. Aber so normal auch wieder nicht, wenn man die Ausgangslage - frei finanziertes Eigentum - bedenkt. Andererseits: Die Kosten-Nutzen-Rechnung fiel deswegen nicht weniger straff aus. Es liegt zwar Naturstein auf dem Boden in den Foyers und den Gängen, und in den Wohnungen gibt es durchwegs Eichenparkett. Außerdem sind die Wohnungen 2,60 Meter hoch, also zehn Zentimeter höher, als sie unbedingt sein müßten, was sich sehr, sehr angenehm bemerkbar macht. Aber im wesentlichen ist es das schon.

Natürlich hat die Architektin im Wissen, daß es sich um Eigentumswohnungen handelt, alle Möglichkeiten weidlich ausgenutzt, um „Qualität“ zu schaffen. Das fängt unter dem Haus an - bei den Garagen und dem Keller mit seinen Stahlabteilen, das setzt sich bei den durchgesteckten Foyers fort, die mit dem Blick zum begrünten Hof angenehm überschaubar sind. Und das gilt auch für die Wohnungen selbst, die über höchst angenehme, gut nutzbare Freiräume verfügen und einen sehr großzügigen Zuschnitt haben.

Man mußte dabei höchst flexibel sein: Da wünscht sich einer ein Zimmer mehr, und aus der Zwei-Zimmer-Wohnung daneben wird unversehens eine Garçonniére mit einem eigentlich unverhältnismäßig großen Terrassenanteil, sodaß jetzt daran gedacht wird, diese Einheit mit dem unteren Geschoß zu verbinden. Aber solche Möglichkeiten, sollte man meinen, müßten im heutigen Wohnbau ohnehin selbstverständlich sein.

Maßarbeit ist das Haus in jedem Fall. Von der Ecke bis zum Anschluß an das Oberhuber-Haus fällt das Gelände um einen Meter. Den mußte man ausgleichen, der verschwindet jetzt auch, fast unbemerkt. Außerdem kann man im Erdgeschoß hier nicht wohnen, obwohl auf die Nutzfläche nicht zu verzichten ist. Daher gibt es ein kleines, ebenfalls durchgestecktes Lokal, das sowohl als Geschäft wie auch als Büro geeignet scheint.

Cufer ist - ein bißchen auch zu ihrem eigenen Leidwesen, denn kein Architekt möchte immer nur Wohnbau machen - auf diesem Gebiet inzwischen eine erfahrene Architektin. Sie weiß, was geht, und sie weiß, wie es sich rechnet. Aber sie weiß auch, was angemessen ist. Es gibt an dieser Stelle, neben dem Oberhuber-Haus, keinen Anlaß, architektonische Selbstverwirklichung der „skulpturalen“ Spielart zu betreiben. Das Besondere ist das Künstler-Haus, und das sollte es bleiben. Was jetzt daneben steht, das ist die Arbeit eines Profis, der sich vor allem darum bekümmert, wie das Haus in seinem städtischen Umfeld steht und wie sich, trotz aller Kostenlimits, möglichst komfortabler Wohnraum herstellen läßt.
Beides ist ganz ausgezeichnet gelungen: Von welcher der umliegenden Gassen man auch immer das Haus betrachtet, es steht hervorragend da. Das Argument, daß wieder eines der alten, niedrigen Häuser gefallen ist, will nicht greifen. Durch das Oberhuber-Haus ist ein Thema angerissen worden, das nach einer Fortsetzung geradezu verlangt hat. Und diese Fortsetzung ist hier mit Mitteln erfolgt, gegen die sich nichts sagen läßt. Sie stimmt einfach.

Ein Architekt, der jammert, weil geblümte Markisen und Rattan-Sitzgarnituren sein puristisches Konzept entweihen, ist im normalen Wohnbau fehl am Platz.

Für die alltägliche Praxis des Wiener Wohnbaus kann man daraus ein paar Lehren ziehen. Die wichtigste betrifft den Aberglauben, daß mit dem Scheibchenschneiden von Bauaufgaben architektonischer Gewinn zu erzielen ist. Zwischen den Aberhunderten Wohnungen, die ein Architekturbüro in den sechziger und siebziger Jahren in Wien geplant hat, und der „Atomisierung“ von Bauaufgaben im Sinne der Abwechslung besteht ein gravierender Unterschied. Abwechslung ist erstens nicht immer gefragt und zweitens im dicht verbauten Stadtgebiet ohnehin ein Unsinn. Nicht auszudenken, was herausgekommen wäre, wenn irgendein Architekt hier gebaut hätte. Eigentlich mußte es Cufer sein, alles andere wäre sehr, sehr wahrscheinlich danebengegangen. Oder es hätte in dieses unspektakuläre, sympathische Stadtambiente einen Akzent eingebracht, der das Oberhuber-Haus konkurrenziert - und damit womöglich geschwächt hätte. Aber wozu hätte das gut sein sollen?

Übrigens: Das Oberhuber-Haus ist gut gealtert. Der Touch des „Künstler“-Hauses steht ihm nach wie vor wohl an. Auch wenn inzwischen die Graffiti-„Künstler“ zugeschlagen haben. Wobei sich ihre Aktivitäten mittlerweile sogar auf das neue Haus erstrecken. Damit muß man heutzutage allerdings leben, es gehört zur Großstadt. Und jeder Architekt, der damit nicht umgehen kann, der nicht schon vorweg an solche Möglichkeiten denkt, macht einen gravierenden Fehler. Es ist genau wie mit den Freiräumen und ihrer - nach außen weithin sichtbaren - individuellen Nutzung. Ein Architekt, der dasteht und jammert, weil von der Schilfmatte bis zur geblümten Markise, von der Rattan-Sitzgarnitur bis zu den Plastiksesseln alles mögliche und unmögliche sein ursprünglich angedachtes, womöglich puristisches Bild pervertiert, der sollte sich besser ein anderes Tätigkeitsfeld suchen, für den normalen Wohnbau liegt er falsch.

Schon deswegen ist die Bauträger-Idee der neuen Färbelung in der Sockelzone des Oberhuber-Hauses falsch. Cufer hatte da eine viel bessere Idee. Sie schlägt vor, daß Oberhuber selbst eingreift und zum Graffiti-„Künstler“ wird (der er irgendwo ja auch tatsächlich ist). Das Ergebnis wäre ein „Künstler“-Haus, wie es sich Helmut Zilk, der Erfinder der Wiener „Künstler“-Häuser, zwar nicht hätte träumen lassen, mit dem wir aber alle wunderbar leben könnten.

Spectrum, Sa., 2000.05.20



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Wohnbau Mariahilf

08. April 2000Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Konstruktive Maßschneiderei

Die Vorgaben: eine winzige Parzelle in einer Wiener Kleingartensiedlung, maximale Gebäudehöhe viereinhalb Meter. Das Ergebnis: nicht mehr und nicht weniger als der Prototyp eines „Gartenhauses“. Konzept: Pichler & Traupmann.

Die Vorgaben: eine winzige Parzelle in einer Wiener Kleingartensiedlung, maximale Gebäudehöhe viereinhalb Meter. Das Ergebnis: nicht mehr und nicht weniger als der Prototyp eines „Gartenhauses“. Konzept: Pichler & Traupmann.

Daß ein vom Architekten geplantes Einfamilienhaus gebaute Maßarbeit ist, hat man schon öfter gehört. Gemeint ist damit, daß die individuellen Wohnwünsche des Bauherrn auf den architektonischen Punkt gebracht sind. Das ist auch beim Haus Roubin der Architekten Pichler & Traupmann der Fall. Und noch mehr: Denn hier wird der Anspruch des maßgeschneiderten Entwurfs im doppelten Wortsinn, auf zwei Ebenen eingelöst.

Der Schauplatz ist klein: 252 Quadratmeter. Wir befinden uns nämlich in einer sogenannten Kleingartensiedlung, ganz in der Nähe des Wilhelminenspitals in Wien, also in einem Schrebergarten-Siedlungsgebiet mit kleinsten Grünparzellen und einem an Heterogenität unübertrefflichen Wildwuchs an Gebautem.

Früher wurde auf solchen Grundstücken wirklich „wild“ gebaut, jenseits aller Vorschriften. Heute gibt es Bauvorschriften, auch und sogar speziell für die Bebauung solcher Schrebergärten. Die galt es einzulösen und dabei doch ein Haus zu bauen, das dem heutigen Wohnstandard entspricht. Und was jetzt auf dieser Kleinstparzelle steht - ein Haus mit 115 Quadratmetern Nutzfläche -, das kann man nur als das Maximum ansehen, das unter den gegebenen Bedingungen realisierbar war. Bebaut sind exakt 62,5 Quadratmeter Grundfläche, wobei die Gebäudehöhe 4,5 Meter nicht überschreiten durfte. Darüber durfte nur noch das Volumen sein, das ein fiktives Satteldach mit 45 Grad Neigung umschließt.

Aber gehen wir es anders an: Schlendern wir den 1,50 Meter breiten Weg durch die Kleingartensiedlung entlang, vorbei an jeder Menge hand- oder auch baumeisterlich gestrickter Hauskuriositäten, hin zu diesem „Gartenhaus“. Es steht sehr besonders da, es sagt unaufdringlich, aber eindeutig: Ich bin Architektur. Es ist ein puristisches Haus, ein gegliedertes Volumen, dessen Logik sich ohne Zusatzinformationen aber nicht ohne weiteres erschließt. Dabei ist es kein kreativer Willkürakt, sondern gewissermaßen - logisch.

Man weiß es von den Bauten von Pichler & Traupmann im Burgenland: Dieses Büro ist imstande, kostengünstig zu planen, aber doch so, daß die gebaute Lösung einer Aufgabe durch Intelligenz besticht. Und intelligent ist dieses Haus in höchstem Maß. Man könnte es geradezu als Prototyp eines Hausbaus im Kleingarten-Siedlungsgebiet auffassen.

Pichler & Traupmann haben sich an die Bauvorschriften gehalten, sie haben alle Sonderregelungen ausgenutzt, und damit haben sie auf - und unter - den 62,5 Quadratmetern Grundfläche ein Haus errichtet, das komfortabel bewohnbar ist und über die Kleinheit der Aufgabe hinaus auch ein Beitrag zum zeitgenössischen Einfamilienhausbau.

Das Haus ist Ost-West-orientiert. Man kommt, vorbei an der Baustelle einer Gartengerätehütte, zum Eingang und zu einer Terrasse, die dem verglasten Wohnbereich vorgelagert ist. Sie ist durch einen 1,20 Meter auskragenden Erker teilweise wettergeschützt. Der Eingangsbereich umfaßt sowohl einen kalten Windfang als auch einen warmen Vorraum.
Hier findet sich die erste Besonderheit: drei Schiebetüren, die aufeinander treffen. Wie dieses Zusammentreffen im Detail gelöst ist, das ist Architektur vom Feinsten. Aber vor allem macht es möglich, ganz individuell damit umzugehen: Man hat die Möglichkeit der üblichen Art des Eintritts in ein Haus: durch den Vorraum in den Wohnraum. Man hat aber auch die Möglichkeit, direkt in die Küche zu gehen. Man hat die Möglichkeit, die Küche zum Wohnraum zu öffnen oder abzuschließen.

Und man hat die Möglichkeit, überhaupt alles zu öffnen. In diesem Fall verwandelt sich das Erdgeschoß in einen großen Raum, in dem sich in der - vom Eingang gesehen - linken hinteren Ecke eine nicht sehr auffällige, aber doch spürbare Absenkung in der Decke abbildet. Sie ist die Folge eines Minimalbalkons im Obergeschoß. Da drückt sich der Terrassenaufbau sichtbar aus.

Denn: Zu ebener Erde wird gewohnt, im Geschoß darüber liegen zwei Schlafräume, ein großzügiges Badezimmer und ein Garderobenraum. Bei einer erlaubten Bauhöhe von 4,5 Metern und einer tatsächlichen von zweimal 2,80 Metern ergibt sich dennoch eine Ungereimtheit. Mit 5,60 Metern ist das Haus - gemessen an den Bauvorschriften - scheinbar zu hoch. Scheinbar. Denn das Gesetz läßt es zu, daß durch „ausgleichende“ Maßnahmen bestimmte Überschreitungen auch wieder relativiert werden. Die Fassadenfläche muß insgesamt stimmen, auch die Höhe, auch die Baufluchtlinien, aber wie der Architekt im Detail damit umgeht, das ist ein anderes Kapitel.

In einem überaus geräumigen Untergeschoß, das durch eine Bodenverglasung, die auch als Terrasse nutzbar ist, ausgezeichnet belichtet wird, richtet sich die Bauherrin ihre Bibliothek ein. Hier ist aber auch der Fernsehraum, hier sind Technik- und Wirtschaftsräume. Darüber liegt, wie gesagt, das Wohngeschoß, über diesem befinden sich die Schlafräume.
Das Haus ist punktsymmetrisch konzipiert. Dem Badezimmer und dem großen Schlafraum im Obergeschoß sind diagonal Minimalterrassen vorgelagert, in der zweiten Diagonale wird das Problem der vorgeschriebenen Fassadenfläche mit Schrägverglasungen gelöst. Die Erker selbst sind massiv. Innenräumlich bringt diese eher ungewöhnliche, für die Hauscharakteristik aber wichtige Lösung sicher etwas.

Ganz besonders ist übrigens das durch alle drei Ebenen durchgesteckte Treppenelement. Die Bauherrin hat sich eine Stahltreppe gewünscht. Eine solche hat sie jetzt auch, halbgewendelt, wie im sozialen Wohnbau, und doch von einer skulpturalen Stringenz, die ihresgleichen sucht. Man könnte sagen: Wie sich die Treppe um eine 30 Millimeter ausschwingende Blechplatte herumfaltet, wie die Zahnung zum durchgängigen, formgenerierenden Prinzip gemacht ist, das zeigt vielleicht am deutlichsten, welche Qualitäten durch den konstruktiven, aber auch den Gestaltungswillen eines Architekten zu erzielen sind.

Spectrum, Sa., 2000.04.08



verknüpfte Bauwerke
Haus Roubin

10. März 2000Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Wie ein Rufzeichen aus Beton

Sichtbeton, Glas und Zinkblech: Mit der Beschränkung auf drei Materialien ist es dem Team BEHF nicht nur gelungen, eine Atmosphäre von Offenheit und Durch- lässigkeit zu schaffen; es setzt mit seinem mischgenutzten Gebäude auch einen städtebaulichen Akzent in Klagenfurt.

Sichtbeton, Glas und Zinkblech: Mit der Beschränkung auf drei Materialien ist es dem Team BEHF nicht nur gelungen, eine Atmosphäre von Offenheit und Durch- lässigkeit zu schaffen; es setzt mit seinem mischgenutzten Gebäude auch einen städtebaulichen Akzent in Klagenfurt.

BEHF – das Architektenteam Erich Bernhard, Armin Ebner, Susi Hasenauer un Stephan Ferenczy – ist bisher vor allem durch ihren Beitrag zur qualitativen Verbesserung einer bislang architektonisch höchst unterentwickelten Bauaufgabe in Erscheinung getreten: jener der Verkaufsketten-Architektur: BEHF baut die Libro-Filialen. Speziell die neuen haben durch das Konzept von BEHF ein erfrischend zeitgemäßes Outfit erhalten, aber auch ältere werden mehr und mehr umgeschneidert, entsprechend der aktuellen Corporate Identity transformiert. Und das bedeutet für jeden Kontext, nicht nur den großstädtischen, einen Gewinn. Aber nicht nur Libro profitiert von der Eindeutigkeit der architektonischen Haltung dieser Gruppe. Ein kleines Projekt in Klagenfurt, das im Vorjahr den Kärntner Landesbaupreis erhalten hat, führt das überzeugend vor. Dabei geht es um einen sogenannten Fachmarkt – es handelt sich um eine Billa-Filiale – und um Büros. Eine typische Mischnutzung also, wie man sie in urbanen Zentren im großen, in mehr peripheren Lagen oder in reinen Wohnquartieren eher im kleinen antrifft.

Gelöst haben die Architekten diese Aufgabenstellung mit einer Folgerichtigkeit, die sich aus den unterschiedlichen Funktionen herleitet, die aber auch im Kontext der konkreten Bedingungen einen städtebaulichen Akzent setzt.
Der Baukörper ist von seiner eher kleinteilig bebauten Umgebung deutlich abgerückt und so auf das Grundstück gesetzt, daß dadurch zwei ganz unterschiedlich definierte Bereiche entstehen. Direkt an der Straße natürlich der Eingang des Supermarktes und die Zufahrt zum Parkplatz. Der ist nach der einen Seite durch eine Mauer be- grenzt, nach hinten, zur anschließenden Wohnbebauung – ursprünglich sollte hier eine Durchgangsmöglichkeit bestehen, die aber von den Anrainern nicht akzeptiert wurde – nur durch einen niedrigen Zaun.
Das heißt, die im dicht verbauten Gebiet ja doch eher unangenehme Sackgassen-Situation konnte hier maßvoll relativiert werden. Und sie ist so gestaltet, daß alle indirekten Aufforderungen an die Benutzer, daraus eine Abstell - oder gar Müllzone zu machen, peinlich vermieden wurden.
Diese Botschaft ist lesbar: Unterschiedliche Oberflächen auf dem Boden zeigen ganz klar, wo die Autoabstellflächen sind, wo aber auch, die ganze Gebäuelänge entlang, eine nur begehbare Freifläche ist – letztere ist aus Beton und wird dadurch zu einer Art Verlängerung des ebenfalls in Sichtbeton errichteten Hauses. Eine frisch gepflanzte Baumreihe und der vom Haus ein wenig weggekippte Glaskörper für die abgestellten Einkaufswagen unterstreichen diese Differenzierung.

An der gegenüberliegenden Längsseite des Hauses ist der Freibereich enger und weniger öffentlich formuliert. Aber hier geht es ja auch zu den Büros, der „Parteienverkehr“ ist im Gegensatz zum Kommen und Gehen der Billa-Kunden eine deutlich geringere Größe. Das Aper¸cu eines Trafohäuschens wurde ebenfalls als strenger Betonkörper ausgebildet und wirkt wie ein gebautes Rufzeichen des großen Hauses. Sehr zum Leidwesen der Architekten kann es aber weder in der Betonqualität noch in der Detailausführung mit seinem mächtigeren Nachbarn mithalten.

Das Haus selbst resultiert, wie gesagt, aus der folgerichtig und konsequent überlegten Interpretation der beiden funktionellen Anforderungen. Der Supermarkt muß natürlich im Erdgeschoß sein. Und er braucht Fläche: Verkaufsfläche und Lagerraum. Die beisen Büroeinheiten kommen hingegen mit deutlich geringeren Flächen aus, dafür spielen Tageslicht und Ausblick hier eine entscheidende Rolle.
Und genau das zeigt das Gebäude, denn es besteht aus zwei entsprechend unterschiedlich dimensionierten aufeinandergestapelten Schachteln, die durch eine – abends unterleuchtete – Fuge getrennt sind, sodaß im Dunkeln wirklich der Eindruck entsteht, die kleine Schachtel schwebe über der größeren.
Es ist ein Haus – ohne Details. Es gibt nur drei Materialien, die nach außen in Erscheinung treten Glas, Sichtbeton – übrigens in ganz erstaunlicher Qualität – und Zinkblech. Wo es von außen etwas zu sehen gibt, verweist dieses Etwas immer auf einen inhaltlichen Tatbestand.

Im Erdgeschoß etwa macht die straßenseitige, um die Ecke gezogene, raumhohe Verglasung den Supermarkt einsehbar, und die parkplatzseitige Zinkverblechung am hinteren Ende der Längsfassade bildet die Anlieferungs- und Lagerzone des Supermarktes ab. Das fast raumhohe Fensterband der beiden Längsfassaden im Büroteil demonstriert ebensolche Eindeutigkeit, und nach hinten, zur Wohnbebauung, schaut eine nüchterne Sichtbetonwand, die nur durch die zurückgesetzte Bürobox und natürlich die minuziöse Fugenteilung der Ortbetonfronten differenziert ist. Diese Differenzierung ist minimal – und doch gleitet der Blick nicht einfach darüber hinweg; sie bietet genau soviel visuellen Halt, wie es unbedingt braucht.

Diese Haltung, sich auf die Formalisierung tatsächlich vorhandener Funktionen zurückzunehmen, charakterisiert das ganze Haus. Der Stiegenaufgang zu den Büros zum Beispiel ist in die Erdgeschoßzone eingeschnitten. Dadurch wir das leidige Vordach überflüssig, und man ist trotzdem wettergeschützt, wenn man vor der Eingangstür steht. Der Aufgang drinnen ist durch eine Lichtdecke wunderbar belichtet, links und rechts vom Treppenabsatz oben geht es zu den beiden Büroeinheiten.
Auch die sind durch die Einheitlichkeit der eingesetzten Materialien und eine Offenheit und Durchlässigkeit charakterisiert, der man einfach Großzügigkeit attestieren muß.

Was toll ist: Die 2,20 Meter hohen Fensterbänder kommen mit einer Parapethöhe von 60 Zentimetern aus und haben kein irgendwie vorgesetztes Geländer gebraucht.
Möglich wurde das, weil unter den Fenstern eine Art tiefer Sockel entlangläuft, der aber nicht nur als Sicherheitsmaßnahme eingesetzt ist. Darin ist die Haustechnik geführt, darauf kann man sitzen, und vor allem als Ablagefläche hat er sich bestens bewährt. Deswegen war es auch wichtig, daß die Architekten Schiebefenster verwendet haben, die der Benutzung dieses
Sockels nicht im Weg sind.

Die einzige räumliche Festlegung in den Bürozonen besteht aus dem – auch konstruktiv wirksamen – Versorgungskern mit den Teeküchen, WC-Anlagen und einem Abstellraum. Alles Mobiliar ist raumhoch und raumteilend ausgebildet, unsichtbare Schiebewände können bei Bedarf daraus hervorgezogen werden.

Es gibt also beides: Offenheit und räumlichen Fluß, wenn es aber temporär gebraucht wird, dann läßt sich mit einem Handgriff auch eine abgeschlossene Raumsituation schaffen. Das einzige, was hier nicht ganz geglückt ist, ist er Fußboden. Er stimmt farblich nicht, er ist nicht gut ausgeführt. Aber das sind Abstriche, die der Architekt in Kauf nehmen muß, wenn er nur über Dritte, über den Generalunternehmer, mit den beauftragten Firmen kommunizieren kann. So rigoros reduzierte Konzepte, die auf eine perfekte Ausführung angewiesen sind, leiden darunter.
Worunter sie ebenfalls leiden, das ist eine nicht adäquate Nutzung. Man kennt das aus anderen Bereichen, speziell aus dem Wohnbau. Wenn das Angebot des Architekten auf Unverständnis stößt, dann entfalten seine Qualitäten eben nicht ihre volle Wirkung.
Man spürt das, wenn man die zweite Büroeinheit betritt, die vom Mieter gravierend „uminterpretiert“ wurde. Funktionell ist auch dort alles bestens, aber atmosphärisch läßt sie genau das vermissen, was im architektonischen Konzept angedacht war: das Bild einer offenen, kommunikativen Arbeitswelt, das die Enge abgeschlossener Zellenbüros früher oder später ja doch ablösen wird.

Spectrum, Fr., 2000.03.10



verknüpfte Bauwerke
Büro- und Geschäftshaus

05. Februar 2000Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Woodstock in Vienna

Bei ihrem Haus auf dem Schafberg nutzten Andreas und Gerda Gerner nicht nur den Werkstoff Holz optimal, sondern auch die Gunst des Standorts: Durch großflächige Verglasungen kann man den Blick über Wien selbst von der Badewanne aus genießen.

Bei ihrem Haus auf dem Schafberg nutzten Andreas und Gerda Gerner nicht nur den Werkstoff Holz optimal, sondern auch die Gunst des Standorts: Durch großflächige Verglasungen kann man den Blick über Wien selbst von der Badewanne aus genießen.

Die Spaziergänger staunen. Und diskutieren kopfschüttelnd darüber, daß hier, auf dem Südhang des Schafberges, mitten in einer der massiv gemauerten Einfamilienhauslandschaften, wie man sie in den „grünen“ Stadtrandquartieren gern findet, ein Holzhaus steht. Aber wahrscheinlich sind es gar nicht das Holz und seine so ganz und gar nicht rustikal-jodelnde Verarbeitung, die den Leuten zu schaffen machen. Nein, es ist das viele, großflächig und südseitig eingesetzte Glas.

Unter den jungen Wiener Architektenteams zählen Andreas und Gerda Gerner zu den interessantesten. Man könnte sagen, daß sie „aus der Schule von Helmut Richter“ kommen, daß sie folglich Umgang mit Stahl, Glas und Aluminium pflegen und auf einen sogenannt „zeitgemäßen“ Ausdruck ihrer Bauten Wert legen. Und diese Charakteristik gilt auch jetzt noch, nach ihrem Sidestep in den Holzbau. Denn „Woodstock“ - der bürointerne Codename für das Haus auf dem Schafberg - wird zwar dem Anspruch silbrig schimmernder Metalloberflächen nicht gerecht, aber in solchen Oberflächenimages liegt ja auch nicht die Essenz dieses architektonischen Ansatzes. Ihm geht es vielmehr um den Nutzen, der sich aus bestimmten Materialentwicklungen ziehen läßt, um konstruktive Wahrheit und die Optimierung des Materialaufwandes.

Das Haus ist schlicht. Aber es hat ein intelligentes Konzept. Schon wie es auf dem Südhang steht, ist eine Qualität. Denn die wundervolle Aussicht über Wien kann man hier wirklich genießen, selbst von der Badewanne aus. Und auch das Gelände wurde sinnvoll „modifiziert“. Vor dem dreiseitig umschlossenen Kellergeschoß wurde ein großes Atrium ausgegraben, zu dem sich der Raum mittels Glashaut auf der vierten, der Südseite öffnet.

Der Holzskelettbau hat eine Außenhaut aus unbehandeltem Lärchenholz. Es wurde in großformatigen Platten verlegt, nur an der Betonwand im Norden, die für die nötige Speichermasse sorgt, haben die Architekten eine schmale Lattung gewählt.
Nach Süden, zur Stadt, zum großartigen Panorama schaut viel Glas. Es schiebt sich räumlich als sogenannter „Glaskobel“ aus dem Wohnraum hinaus, es läßt im Obergeschoß gleißendes Licht herein. Hier ist auch ein kleiner Balkon - 1,5 Meter auskragend - an die Konstruktion angeklippt, der sich theoretisch ohne Probleme wieder wegnehmen ließe. „Angeklippt“ ist in diesem Fall übrigens wörtlich gemeint, denn die beiden Elemente, aus denen dieser Balkon besteht, funktionieren wie Wäscheklammern, die an das Tragwerk aufgesteckt sind.

Die großflächigen Verglasungen (bis zu zwei Meter mal 3,60 Meter) haben einen außenliegenden Sonnenschutz. Sie sind nur zum geringen Teil fix, der weitaus größere läßt sich aufschieben. Reizvolles Detail: Vor den Fenstern der mehr privaten Bereiche - etwa der Schlafräume im Obergeschoß - gibt es Holzschiebeläden, die im offenen Zustand unsichtbar in der Fassade verschwinden, die sich aber auch so schließen lassen, daß eine glatte Holzhaut entsteht.

Sieht man sich die Konstruktion etwas genauer an, dann weiß man: Hier hatte der Statiker einiges zu rechnen. Die Stützen im Wohnraum zum Beispiel sind rund. Sie sind genau so dimensioniert, wie es gebraucht wird; das „hölzerne Fleisch“, das bei viereckigen Stützen unnötig mitgeliefert wird, weil es nichts trägt, wurde weggelassen. Auch die „hölzerne Pistole“, die den vorgeschobenen, verglasten Bereich des Wohnraumes trägt, ist nach einem ausgetüftelten Prinzip gelöst. Vom Zuschnitt her zeigt sie genau den Kräfteverlauf: Sie wird dort schmäler, wo sie weniger zu leisten hat. Und sie ist so zwischen zwei Deckenbalken eingespannt, daß im „Glaskobel“ eine stützenfreie Ecke möglich wurde.

Architektonisch war das ein Ziel: den Werkstoff Holz und seine konstruktiven Möglichkeiten auszuloten. Aber sicher ging es auch darum, ein Haus in diese Umgebung zu setzen, das sich wie natürlich gewachsen verhält, das mit seiner Lärchenholzhaut auf ganz selbstverständliche Weise altert.

Die jungen Bauherren haben ein sehr offenes, dabei überaus komfortables und sogar preisgünstiges Haus bekommen. Denn ein Quadratmeterpreis von 18.000 Schilling (1308 Euro) ist nicht überzogen, wenn man bedenkt, daß in dieser Summe auch die Abbrucharbeiten für ein auf dem Grundstück vorhandenes Objekt und die Erdarbeiten für das dem Untergeschoß vorgelagerte Atrium enthalten sind. Ganz davon abgesehen, daß den Bewohnern allerhand zusätzliche Annehmlichkeiten geboten werden, vom Wäscheabwurfschacht aus dem Obergeschoß zur Waschmaschine im Keller bis zu einem Zentralstaubsauger, ebenfalls im Keller, sodaß in den Wohnräumen nur noch der Schlauch angesteckt zu werden braucht und man sich das Herumtragen des ganzen Geräts erspart.

Bleibt die Frage der klimatischen Verträglichkeit. Also jene Frage, an der sich die Meinung der Passanten aufheizt. Die architektonische Antwort darauf fiel so aus, wie es den heutigen Möglichkeiten entspricht: Außenbeschattung, überall querdurchlüftete Räume und vor allem: extrem hochwertiges Glas. Das müßte ausreichen, um selbst bei hochsommerlichen Temperaturen ein angenehmes Raumklima zu garantieren.

Das Haus wurde im Dezember letzten Jahres bezogen. Die Probe aufs Exempel steht also noch aus. Was sich hingegen jetzt schon bemerkbar macht, ist der passive Nutzen der Südorientierung für den Energiehaushalt. Selbst bei ausgesprochen winterlichen Temperaturen schaltet sich die Heizung oft erst abends ein.

Andreas und Gerda Gerner haben aber kein Energiesparhaus im engen Sinn geplant, dafür sind sie mit den Glasflächen viel zu großzügig umgegangen. Dafür nutzt ihr Haus die Gunst des Standortes optimal aus und die heutigen Möglichkeiten mit Holz und Glas. Die Großzügigkeit der innenräumlichen Lösung, ihre Offenheit und Transparenz muß man mögen. Andererseits: Nicht nur Bautechnologien entwickeln sich, unaufhaltsam ändert sich auch das Wohnverhalten. Für die Architektur ist das ein Glück.

Spectrum, Sa., 2000.02.05



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woodstock Einfamilienhaus

08. Januar 2000Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Platzeldecken, Eisensprossen

Was tun mit einer alten Ottakringer Tabakfabrik? Die Antwort des Büros Nehrer + Medek: Neu nutzen, sprich mit einem Zubau für die Bedürfnisse einer Höheren Technischen Bundeslehranstalt adaptieren. Ein geglückter Umgang mit einem historischen Zweckbau.

Was tun mit einer alten Ottakringer Tabakfabrik? Die Antwort des Büros Nehrer + Medek: Neu nutzen, sprich mit einem Zubau für die Bedürfnisse einer Höheren Technischen Bundeslehranstalt adaptieren. Ein geglückter Umgang mit einem historischen Zweckbau.

Was tun mit ungenutzten, irgendwie übriggebliebenen historischen Gebäuden? Vor allem dann, wenn sie keine Repräsentationsbauten sind, sondern Architekturen profaner Spielart: Zweckbauten, Industriebauten? Es kommt selten vor, daß die heutige „Verwertungsgesellschaft“ befriedigende Antworten auf diese Frage liefert. Die bewahrende Hand des Denkmalschutzes kann da nur wenig ausrichten. Unter dem Vorzeichen der Profitmaximierung stehen solche Häuser wie uneinbringliche Schuldscheine da.

Die hundert Jahre alte Tabakfabrik auf dem ehemaligen Betriebsgelände der Austria Tabakwerke bei der U-Bahn-Endstelle Ottakring gehört in dieses Problemfeld. Nur daß in ihrem Fall mit der Umnutzung als Schule eine glückliche Lösung gefunden wurde.

Die Gunst des Standortes legte eine „echte“ Neunutzung auch nahe. Nicht alle historischen Profanbauten lassen sich mit alternativen und/oder kulturellen Inhalten füllen. Und was von der historischen Substanz bleibt, wenn man auf Biegen und Brechen etwas - zum Beispiel Wohnungen - hineinpressen will, für das sie auf gar keinen Fall geeignet ist, das führen die Gasometer in Simmering eindringlich vor.

Die Höhere Technische Bundeslehranstalt für Maschinenbau, Elektrotechnik und Elektronik ist keine kleine Institution: In den 38 Klassen werden 1100 Tagesschüler und 500 bis 600 Abendschüler unterrichtet. Dafür reichte das Raumangebot in der alten, U-förmigen Tabakfabrik bei weitem nicht aus. Es mußte nicht nur jeder Quadratmeter Fläche im historischen Teil ausgenutzt werden, es wurde auch ein Zubau gebraucht. Den haben die planenden Architekten, das im Schulbau besonders erfahrene Büro Nehrer + Medek, hinter dem Mittelrisalit in den Hof gestellt und mit dem historischen Bauwerk durch das Gelenk eines schlichten Stahl-Glas-Körpers verbunden, der die vertikale Erschließung enthält.

Das Raumprogramm war umfangreich: Gefordert waren nicht nur Klassenräume, sondern vor allem eine große Anzahl unterschiedlicher Werkstätten, Labors, Sonderräume - von der Verwaltung über die Bibliothek bis zum Speisesaal - sowie eine riesige Sporthalle, die auch ein nach internationalen Richtlinien dimensioniertes Spielfeld von 20 mal 40 Metern umfaßt und in zwei Turnsäle teilbar ist.

Diese Sporthalle haben die Architekten unter dem neuen Trakt im Hof in die Erde eingegraben. Es fällt trotzdem über Oberlichtelemente genug Tageslicht ein, und obendrein resultiert aus dieser Lösung eine „formale“ Besonderheit in der äußeren Erscheinung des ansonsten sehr schlichten neuen Baukörpers. Der ist durch Fensterbänder horizontal gegliedert und hat oben ein zurückgesetztes Staffelgeschoß mit einer durchaus bewegten Silhouette. Aus dieser Fassade treten auf der Ebene des sechsten Geschoßes lediglich drei plastische Elemente hervor. Diese „Ausbuchtungen“ mit ihren Knöpfen sind nicht übertrieben inszeniert, trotzdem sind sie so signifikant, daß man sich unweigerlich sagt: Bloßer Formalismus kann das nicht sein, diese Elemente müssen einen Sinn haben.

Und den haben sie auch: Unter dem neuen Klassentrakt liegt die große - stützenfreie - Sporthalle. In den Geschoßen darüber, die nach einem ganz simplen, zweihüftigen Strickmuster gebaut sind - Mittelgang und links und rechts die Klassen -, war es hingegen nicht notwendig, mit solchen Spannweiten zu operieren. Hier gibt es also einen üblichen Stützraster, und diese Stützen sind an drei gewaltigen, vorgespannten Trägern „aufgehängt“. Die drei plastischen Fassadenelemente sind die Spannköpfe, an denen diese Konstruktion ablesbar wird. Theoretisch kann man die Knöpfe dieser Elemente abnehmen und so die Spanndrähte kontrollierten (was allerdings nur alle fünf oder zehn Jahre notwendig sein dürfte).

Der neue Klassentrakt kommt im übrigen ohne formale Spielerei aus. Einschnitte, „Löcher“ in Boden beziehungsweise Decke der einzelnen Geschoße brechen das „Kasernenschema“ auf, ebenso die hohen Glasbänder im Mittelgang.
Der Neubau hält sich an die Traufhöhe des alten Baukörpers. Nur das Staffelgeschoß kommt hinzu, es wird aber vom Mittelrisalit der Tabakfabrik nach außen abgeschirmt. Das bedeutet allerdings auch: Im Neubau sind die Geschoßhöhen wesentlich niedriger. Klassenräume brauchen nur eine lichte Höhe von 3,20 Metern, im Altbau beträgt die Raumhöhe hingegen 5,50 Meter. Für die Werkstätten, Labors und Sonderräume ist das allerdings keine schlechte Option.

Überhaupt sind die Architekten mit dem Altbau feinfühlig umgegangen. Ursprünglich war einmal daran gedacht, den Haupteingang an die Seite, Richtung U-Bahn-Station zu verlegen. Jetzt ist er doch wieder dort, wo er immer war: in der Mittelachse, nur akzentuiert durch ein gläsernes Vordach und - die „Kunst am Bau“ von Waltraud Cooper, die sich von außen ins Haus hineinzieht.

Im Inneren kam es für die Architekten - neben der Sanierung der Substanz - auf zweierlei an: Erstens ging es darum, atmosphärisch etwas vom alten Fabriksgebäude mit seinen großen Werkhallen, den Gußeisensäulen und böhmischen Platzeldecken, aber auch den feingliedrigen Eisensprossen der nur einfach verglasten Fenster in die Gegenwart herüberzuretten; und es ging zweitens darum, ein Maximum nutzbarer Fläche zu schaffen. Letzteres ist durch den Ausbau des Dachgeschoßes zum Fest- und Konferenzsaal und vor allem ein Absenken des Fußbodens im Keller um rund 80 Zentimeter geschehen. Denn dadurch wurde ein - immer noch tagesbelichtetes - volles Geschoß dazugewonnen, in dem große Werkstätten Platz gefunden haben.

Nehrer + Medek konnten natürlich die alte Hallenstruktur nicht beibehalten. Um das Haus nutzbar zu machen, mußten Zwischenwände eingezogen wer- den. Aber das ist rücksichtsvoll geschehen, die alte Konstruktion blieb unangetastet. Und durch die breiten Oberlichtbänder in den Gängen blieb etwas von der ursprünglichen Durchlässigkeit bewahrt, man sieht durch bis zur Fassade, zum Tageslicht.

Ein überaus heikles Problem waren die Fenster. Der Denkmalschutz bestand darauf, daß sie zumindest nach außen, straßenseitig, erhalten werden. Das ist auch geschehen, sie wurden nachgebaut. Aber eine Einfachverglasung kann heutigen Ansprüchen nicht genügen. Daher kam eine innenliegende zweite Fensterschicht mit Isolierverglasung hinzu. Das bedeutet allerdings: sehr breite Profile, die in krassem Gegensatz zu den feinen Eisensprossen der alten Fenster stehen.
Nehrer + Medek haben zum Mittel der Vereinfachung und der farblichen Hell-dunkel-Differenzierung gegriffen, um dieses Faktum zu verwischen. An der Hofseite sind auch die Außenfenster nach diesem vereinfachten Schema gemacht. Diese Lösung ist sicher nicht ideal, aber sie ist mit Feingefühl und Sorgfalt entwickelt. Bei einer solchen Problemstellung kann es eine „ideale“ Lösung, die dem Schallschutz und thermischen Anforderungen gleichermaßen genügt, vermutlich auch gar nicht geben.

Wirklich gelungen ist dafür das „Gelenk“ zwischen Altbau und neuem Trakt. Die simple Stahl-Glas-Konstruktion dieses eingeschobenen Baukörpers wird beidem gerecht: dem Charakter des historischen Bauwerks und der neuen Nutzung. Die ein wenig piranesische Wirkung dieses Treppenhauses hat vor allem damit zu tun, daß die Stiegen relativ kompliziert geführt werden mußten, um die unterschiedlichen Geschoßhöhen in den beiden Gebäuden zu bewältigen. Transparenz und Luftigkeit waren hier aber oberstes Gebot. Auf den ersten Blick glaubt man gar, daß die Stiegen offen sind.

Nehrer + Medek haben diesen Um- und Zubau sehr konsequent durchgeplant. Gerade im Altbau mit seiner großen Raumhöhe machen sich die sichtbar geführten Installationen auch atmosphärisch angenehm bemerkbar. Der praktische Effekt: Man kommt überall dazu, Um- und Nachrüstungen können problemlos erfolgen.

Am wichtigsten an diesem Revitalisierungs- und Neubauprojekt ist und bleibt aber: Es fügt sich in das städtebauliche Entwicklungskonzept - ebenfalls Nehrer + Medek - rund um die U-Bahn-Endstelle Ottakring sinnvoll ein. Das Hochhaus des Schwesternheims des AKH dahinter, eine Wohnbebauung gleich im Anschluß an das Schulareal, ein öffentlicher Platz vor der Schule und eine sinnvolle Durchwegung Richtung U- Bahn - so bringt man ein vernachlässigtes urbanes Quartier wieder zum Funktionieren. Und obendrein blieb ein lokales Wahrzeichen, die alte Tabakfabrik, bewahrt.

Spectrum, Sa., 2000.01.08



verknüpfte Bauwerke
Höhere Technische Bundeslehranstalt

04. Dezember 1999Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Erlebnisraum Stiegenhaus

Vorher: eine Fünfziger-Jahre-Ruine an der Wiener Südausfahrt. Nach der Adaptierung durch Elsa Prochazka: ein ausgetüfteltes, lichtdurchflutetes Büro-und Betriebsgebäude. Wo Umbau mehr bedeutet als routinierte Innenraumorganisation und Facelifting.

Vorher: eine Fünfziger-Jahre-Ruine an der Wiener Südausfahrt. Nach der Adaptierung durch Elsa Prochazka: ein ausgetüfteltes, lichtdurchflutetes Büro-und Betriebsgebäude. Wo Umbau mehr bedeutet als routinierte Innenraumorganisation und Facelifting.

Die schlichte Aluminium-Kiste des umgebauten Coca-Cola-Werkes von Elsa Prochazka steht an einem – aus städtebaulicher Sicht – neuralgischen Punkt im Wiener Süden. Das ursprüngliche Gebäude wurde in den fünfziger Jahren errichtet und formulierte früher einmal gemeinsam mit dem Philips-Haus auf der gegenüberliegenden Seite der Triester Straße eine Art Tor zur Stadt. Danach kam nur noch der Abhang des Wienerberges mit seiner gewaltigen Industriebrache und einer keineswegs reizlosen Teichlandschaft, die die Ziegelwerke hier gegraben hatten.

Nun, die Zeiten ändern sich, und Städte entwickeln sich. Am Wienerberg schritt diese Entwicklung ohnehin vergleichsweise langsam voran. Aber jetzt ist sie in dynamischer Bewegung. Die Baukräne des Fuksas-Doppelhochhauses beweisen es: Hier wird die Grenze der Stadt sichtbar hinausgeschoben, das dicht bebaute urbane Gebiet wächst.

Unter diesen komplexen Voraussetzungen kann man den Umbau eines solchen Büro-und Betriebsgebäudes nicht nur als routinierte Innenraum-Organisation, verbunden mit einem äußerlichen Standard-Lifting, auffassen. Allerdings hätte sich Elsa Prochazka wohl auch in einer weniger empfindlichen Situation nicht für Allerweltslösungen der gängigen Art bereit gefunden.

Die Aufgabenstellung war so: Es gab zwei, keineswegs besonders große Betriebs- und Bürogebäude vorne an der Triester Straße, der Südausfahrt Wiens. Das erste, jetzt umgebaute, stammt aus den fünfziger Jahren: Seinerzeit, als man durch eine riesige Glasscheibe im Erdgeschoß auf ein Fließband schauen konnte, über das die leeren Cola-Flaschen zum Befüllen wanderten, war es vor allem für Kinder eine Sensation. Später dann, in den sechziger oder frühen siebziger Jahren, kam das zweite Gebäude hinzu. Verbunden waren diese Bauten durch ein Stiegenhaus, das allerdings nur bis zum zweiten Obergeschoß reichte. Übrigens verdecken die beiden Häuser – quasi als „Kopfbauten “– ein dahinter liegendes, sehr ausgedehntes Betriebsareal mit zahlreichen Lagerhallen und einer – im wörtlichen Sinn – eindrucksvollen „Kistenlandschaft“.

Man kann ruhig sagen, daß beide Häuser unter architektonischen Gesichtspunkten immer schon als Trivialität abzuhaken waren. Das ist noch nicht einmal boshaft. Aber nun hat sich das geändert.

Und diese Veränderung wurde mit schlichten, dabei höchst raffinierten, also intelligent eingesetzten Mitteln bewerkstelligt. Was man sieht, ist eine Aluminiumhaut mit einer auf den ersten Blick markant unregelmäßig erscheinenden Fensterlösung. Da sitzen schmale, lange Öffnungen über teils quadratischen, teils im Format halber, hochgestellter Quadrate zugeschnittenen Fenstern. Da gibt es aber auch schmale, eher kurze „Unterfenster“ (Prochazka). Klar, daß daraus ein Muster entsteht; ein unregelmäßiges Muster, aber doch geometrisiert, systematisiert, digitalisiert? Das System ist nicht gleich durchschaubar.

Wer die Arbeiten von Elsa Prochazka kennt, der wird natürlich folgerichtig schließen, daß das, was man von draußen sieht, mit dem, was sich drinnen abspielt, zu tun hat. Und so ist es auch. Die Fassadenlösung wurde so entwickelt, daß sie optimale Arbeitsplätze in den Büros garantiert. Und das heißt bei der heutigen Bildschirmarbeit: Oberlichten, Unterfenster und Fenster, die individuell beschattbar sind, die aber nicht unbedingt beschattet werden müssen, weil sie so angeordnet sind, daß sich der Arbeitsplatz im Raum entsprechend situieren läßt. Es fällt das Licht nie direkt auf den Bildschirm.

Bei einer solchen Fassadenlösung fragt man sich heutzutage automatisch: Ja, aber wie trägt das dem Anspruch Rechnung, daß ein Bürohaus flexibel sein soll? Wenn die Fensterlösung derartig maßgeschneidert ist, wie kann sie dann noch funktionieren, wenn sich die Büroaufteilung im Inneren eines Tages ändert? Das Zauberwort heißt: „computergenerierte Fassade“.

Das bedeutet, daß alle möglichen Umbauvarianten schon im Vorfeld der Planung durchgerechnet wurden; es bedeutet, daß solange herumgetüftelt wurde, bis eine Lösung herauskam, die den jetzigen Ansprüchen genügt und auch allen erdenklichen Varianten künftiger Nutzungen gerecht wird. Auch rein zeichnerisch ließe sich eine solche Planung entwickeln. Nach dem Aufwand darf man allerdings nicht fragen, denn der ist auch schon bei der Computervariante groß.

Ursprünglich hat das Haus im Erdgeschoß und auf dem ersten Obergeschoß Produktionsräume beinhaltet, darüber war ein Lagerraum, und wieder darüber waren Büros. Zu diesen vier Ebenen kommt nun eine fünfte, neue dazu, und das alte Stiegenhaus wurde weggerissen und durch ein neues ersetzt, das beide Gebäude des Bestands optimal verbindet.

Optimal heißt, daß durch dieses Stiegenhaus auch unterschiedliche Geschoßhöhen miteinander verknüpft sind. Und das mit einem Minimum an Raum: Da mußte zum Teil mit Rampenlösungen ausgeglichen werden, die Sichtbetonstiege ist überdies verhältnismäßig steil. Es war sehr wenig Platz. An ein Stiegenauge, an vielgeschoßigen Luftraum war unter diesen Umständen nicht zudenken.

Elsa Prochazka hat etwas entwickelt, was einen solche Zwänge vollständig übersehen läßt. Sie hat statt einer Brüstung eine Wand kreiert, die in Leichtbauweise errichtet und mit petrolfarben lasierten Platten verkleidet ist. Durch den signifikanten Zuschnitt – es gibt „ausgeschnittene“Durchsichten und „Oberlichten“, wo es einen geradezu weiterzieht, und die Beleuchtung ist überaus minuziös gesetzt – schafft es diese Wand, aus dem engen Treppenhaus, das allerdings lichtdurchflutet ist, weil es nach außen optimale Fensterflächen hat, einen Erlebnisraum zu machen.

Man kommt gar nicht auf die Idee, daß man hier durch ein – mit höchsten Brandschutzauflagen bedachtes – „Notstiegenhaus“ geht, es ist ein Raum, ein Baukörper, dessen Position und Außenansicht ein eigenständiges Statement darstellt.

Man muß überhaupt sagen: Elsa Prochazka hat für diesen Umbau eine Lösung und auch eine ästhetische Sprache entwickelt, die zwar eindeutig und selbstbewußt sind, die aber den nebenstehenden Banalbau nicht irgendwie „blamieren“.Nur en passant angemerkt: Möglicherweise läßt eine solche Haltung auch gewisse Rückschlüsse auf die Berechtigung jener angeblich kompromißlosen Zwanghaftigkeit der Selbstverwirklichung von Architekten zu, mit der man es immer wieder zu tun hat, wenn es um „anspruchsvolle“ Architektur geht.

Natürlich ist es so: Elsa Prochazka agiert kompromißlos. Aber auf einer anderen Ebene. Daß die Sache funktioniert, ist sowieso das oberste Gebot, aber daß sie sich sehen lassen kann, ist schlichtweg eine Folge davon. Aus dem Haus ist ein bemerkenswertes Bürogebäude geworden, aber nicht weil die Architektin geglaubt hat, eine neue Antwort auf das Thema Bürohaus zu erfinden.

Die Räume sind – eigentlich ganz konventionell – entlang der Fassaden organisiert, und in der Mittelzone wurden Nebennutzungen angesiedelt. Wie gesagt, solche zweihüftigen Lösungen sind durchaus üblich. Es kommt halt immer darauf an, was man daraus macht. Elsa Prochazka hat einen aufregenden Raum daraus gemacht. Sie hat für die Nebenfunktionen – von der Teeküche bis zum Besprechungsraum – Körper, Räume formuliert, die einen unglaublich spannenden Binnenraum entstehen lassen.

Denn diese Raumeinheiten stehen tatsächlich als einzelne Körper – oder Objekte – da. Und sie verleihen dem durchgehenden Geschoß eine Art Rhythmus. Sie geben den Takt an. Von den ganz einfach, aber sehr ansehnlich entworfenen Garderobenschränken für Besucher bis zu den – als Leichtkonstruktion in den Raum gestellten und beplankten – Raumeinheiten für Konferenzen. Dort herrscht übrigens die Farbe Türkis vor. Elsa Prochazka hat die simplen Sperrholzplatten also nicht einfach natur verwendet, sondern für einen gewissen „Kick “gesorgt.

Es ist wirklich höchst reizvoll, was aus diesem ausgeräumten Stahlbetonskelett, dieser auch zuvor schon mehrfach umgebauten Fünfziger-Jahre-Ruine letztlich geworden ist. Es ist ein lichtdurchflutetes Bürohaus, das atmosphärisch eine Großzügigkeit suggeriert, die sich flächenmäßig ganz gewiß nicht belegen läßt. Aber auf diesem Gebiet, man weiß es von den vielen anderen Arbeiten der Elsa Prochazka, ist sie ohne Zweifel eine Meisterin.

Wie man mit Innenräumen umgeht, was man daraus machen kann – es gibt wohl niemanden in Österreich, der das überzeugender, besser vorgeführt hätte. Bleibt das Thema der Haut. Und die Haut des Gebäudes am Wienerberg, überzeugt in ihrer subtilen Ausgetüfteltheit genauso wie zum Beispiel die Glasfassade des Schulzubaus, den Elsa Prochazka vor Jahren realisiert hat.

Es ist schon so: Gute Lösungen kommen nicht von ungefähr. Sie haben eine Vorgeschichte. Und Elsa Prochazka ist jemand, der diese Vorgeschichte nicht nur durchgestanden, sondern auch eine ganz eigene sprachliche Kraft daraus destilliert hat.

Es gibt nicht sehr viele Frauen in der Architektur, denen man Aufgaben einer großen Größenordnung zutrauen und wünschen würde. Wenn es eine gibt, dann ist es Elsa Prochazka.

Spectrum, Sa., 1999.12.04



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Coca-Cola Beverages

13. November 1999Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Eine Parkgarage für Dreiräder

Schon ihre Vorstudien setzen sie in reizvolle plastische Objekte um; auch ihre Bauten beeindrucken durch skulpturale Qualitäten. Mit ihrem Kindergarten in Bettembourg bleibt das österreichisch-luxemburgische Architektenduo Hermann & Valentiny seiner Linie treu.

Schon ihre Vorstudien setzen sie in reizvolle plastische Objekte um; auch ihre Bauten beeindrucken durch skulpturale Qualitäten. Mit ihrem Kindergarten in Bettembourg bleibt das österreichisch-luxemburgische Architektenduo Hermann & Valentiny seiner Linie treu.

Für den Architekturtouristen ist Luxemburg ein Reiseziel, das er so nebenbei abhakt. Denn was hat es an zeitgenössischer Baukunst schon zu bieten? Ein sehr schönes Einfamilienhaus von Rob Krier aus den siebziger Jahren und aus den Neunzigern ein paar Banken – von „Arquitectonica “,von Richard Meier, von Gottfried Böhm. Ein Bürohaus des „Team 4“ wäre möglicherweise der Erwähnung wert. Außerdem baut Ieoh Ming Pei dort gerade ein Museum. Und sonst? Ach ja, es gibt Hermann & Valentiny, jenes österreichisch-luxemburgische Architektenteam, das mit seinem Standbein an der Mosel steht und mit seinem Spielbein an der Donau. Oder ist es umgekehrt? Oder überhaupt ganz anders? Denn nicht gerade ihre kleinsten Bauten realisier(t)en die beiden ja in Deutschland (Berlin,Köln,Halle).

Nein, in den städtebaulichen Dimensionen der Planung für Halle – mit Wohntürmen, Hotel, Büros, Shopping-Center et cetera – läßt sich im Luxemburgischen tatsächlich nichts aufspüren. Aber man wird auch dort fündig. Da reckt sich etwa aus den Weinbergen an der Mosel ein „Betonpilz“ frech in die Höhe – eine Art offene Pavillonarchitektur, die gleichzeitig als das weithin sichtbare Zeichen für ein höchst sensibel auf den Hang komponiertes Weingut fungiert. Und da beharrt so mancher kleine Betonkörper mit allem Nachdruck nicht nur auf seinem architektonischen Stellenwert, sondern auch auf seinem ganz besonderen Wohnwert im ansonsten dicht und banal verhüttelten Umfeld.

Aber ganz so ist es auch wieder nicht. Die baukünstlerischen Kleinjuwelen haben im Lauf der Jahre so manches Karat zugelegt. Der heuer fertiggestellte viergruppige Kindergarten in Bettembourg zum Beispiel hat eine durchaus stattliche Größe. Dabei war für das geforderte Programm das Grundstück eher knapp bemessen.2000 Quadratmeter sind nicht viel, wenn es Freibereiche für die Kinder geben soll, einen separaten Zugang zu einem Veranstaltungssaal im zweiten Obergeschoß, eine Abfahrt in die kleine Tiefgarage und obendrein das Grundstück einer gewissen „Fassung“ bedarf, einer Definition gegenüber dem disparaten Wohnumfeld mit seinen etwas höhergelegenen Gemüsegärtlein im Hinterhof.

Die Architekten haben den schwungvoll gebogenen Baukörper so hinter ein altes Gemeindehaus gestellt, daß er nur mit einer Schmalseite direkt in die Seitenstraße schaut, von der er erschlossen ist. Hier geht es zwischen Gemeindehaus und Kindergarten hinein auf eine Vorplatzsituation, die trotz aller Nähe der Baukörper zueinander überaus einladend und großzügig ist. Dieser Vorbereich ist spektakulär, vor allem deswegen, weil die Architekten die Gebäudeerschließung aus dem Haus herausgeschält und ihr so eine ganz spezifische Bedeutung zugemessen haben. Ein Turm aus blauen Glasbausteinen enthält den Lift und ist durch Stege mit den einzelnen Geschoßen verbunden; ebenso die Freitreppe, die leicht schräg und in ziemlichem Abstand vor das Gebäude gestellt wurde. Darüber ist, wie ein mächtiger Baldachin, das fast acht Meter auskragende Vordach aufgespannt.

Diese Lösung ist ungewöhnlich, aber sinnvoll. Sie bietet den Kindern die Möglichkeit, auf dem Holzboden dieses Vorplatzes wettergeschützt zu spielen. Sie erlaubt aber auch die externe Nutzung des Saals im zweiten Obergeschoß, ohne daß der Kindergarten davon unmittelbar berührt wird.

In der Wahl der Materialien geben sich Hermann &Valentiny nach außen hin teilweise recht hart: Da gibt es viel Streckmetall – etwa als gebäudehoher semitransparenter Schirm vor der Nottreppe an der Schmalseite zur Straße; da ist viel signifikant gestreifter, weil in eine Bretterschalung gegossener Beton an den Außenfassaden, bei der einfassenden Pergola und der Garagenabfahrt, aber auch bei der Mauer zu den Nachbarn; und es gibt sehr viel Glas.

Gerade diese großflächigen Verglasungen im Bereich der Gruppenräume oder beim Veranstaltungssaal sorgen für lichtdurchflutete, freundliche Räume – atmosphärisch wird hier also etwas geboten, was den Bedürfnissen der Nutzer entspricht. Und dann ist ja auch sehr verschwenderisch Holz eingesetzt, und das sogar in einer besonders edlen Variante: nämlich Eiche. Und es gibt die blauen Glasbausteine als durchgängiges Motiv in diesem Haus, das ganz gezielt wiederkehrt.

Hermann &Valentiny haben sich nicht gescheut, auch „kindliche“ Motive einzuführen: Sterne zum Beispiel, die sich als äußerst reduziertes Statement schon auf der Untersicht der Vordaches finden und die dann im Haus – unter anderem auch als verglaste Elemente in den Türen – auftauchen. Das war wahrscheinlich eine besonders prekäre Gratwanderung. Aber sie wurde gewissermaßen abstrahiert, also tatsächlich unter Anführungszeichen bewältigt.

Zusätzlich erwähnenswert: Unter der Freitreppe, die bis hinauf zum Veranstaltungssaal führt, wurde der Raum durch Streckmetallgitter ebenfalls semitransparent abgeschirmt. Hier ist die Parkgarage für die Kleinen. Hier parken sie ihre Dreiräder und Roller. Dieser Anblick ist bezaubernd.

Das Haus ist durch und durch überlegt und städtebaulich ein Gewinn für die Umgebung. Es hat auch einen skulpturalen Stellenwert, wie das den Bauten von Hermann & Valentiny meistens zu eigen ist. Die beiden – jeder für sich, aber dann auch im Dialog – haben immer schon gezeichnet, gemalt,Skulpturen entworfen und vor allem Vorstadien ihrer architektonischen Überlegungen und konkreten Planungen in ungemein reizvolle plastische Objekte umgesetzt. Von diesem – für Architekten in der Regel eher ungewöhnlichen – Ansatz her erklärt sich vieles, was man bei einer Spurensicherung des Büros Hermann & Valentiny in Luxemburg ausfindig machen kann.

Die wunderbare Photogalerie in Luxemburg-Stadt ist im kleinsten Rahmen die wahrscheinlich überzeugendste Umsetzung solcher künstlerischer Ansätze. Sie ist, wie gesagt, nur klein und in ein Altstadthaus eingebaut. Und sie ist, jenseits aller modischen Assoziationen mit Minimalismus, ein überaus komprimiertes, auf das unumgänglich Wesentliche reduziertes Statement. Sie ist Haut und Wand und Präsentationsfläche für Photographie. Wunderbar beleuchtet durch eine intelligente, in die Decke integrierte Kunstlichtlösung, die eine wirklich überzeugende Alternative zu den üblichen Strahlern und damit einer lauten, aufgeregten Raumdecke darstellt. In dieser Galerie gibt es nur einen einzigen deutlichen räumlichen Akzent: die rote Stirnwand, gegen die sich die Besitzerin der Galerie lange gewehrt hat und die jetzt doch den optimalen Präsentationshintergrund für Photographie darstellt.

Möglicherweise sollte man über Handschrift reden. Hermann & Valentiny haben zumindest keine vordergründig-formale. Sie denken über Körper nach, über Objekte. Und über deren Materialisierung, aber immer auch unter den Aspekten der Ökonomie und der Brauchbarkeit. Und sie gehen strategisch vor. Der in Luxemburg übliche Wohnbau ist ein architektonisches Trauerspiel. Vor diesem Hintergrund leuchtet dann eine Lösung besonders ein, die einem „normalen“ Geschoßwohnungsbau ein mächtiges Stahlgerüst vorlagert, an dem aber die Balkone hängen. So wurde nicht nur die Balkonzone durchgebracht, sondern auch eine Art raumbildende Pergola, die für die Bewohner einen Mehrwert schafft.

Auf den Spuren von Hermann & Valentiny: Da gibt es das kleine, schwarz gefärbte Betonhäuschen für die Gemeinde Bech-Kleinmacher, das schon an sich ein überzeugender Körper in einer ungemein reizvollen Materialisierung ist. Wenn man aber Gelegenheit hat „hineinzuschauen“, dann wird man erst so richtig fündig. Denn ganz oben gibt es einen Saal, in den die Betondecke eingehängt ist wie ein Leintuch. Ein geradezu klassisches Beispiel für manieristische Irritationsmuster: Man glaubt schräge Wände vor sich zu haben, wiewohl sie doch gerade sind.

Hermann & Valentiny haben ihre Karriere jung und in Berlin begonnen. Im Rahmen der IBA, Mitte der achtziger Jahre, haben sie zum ersten Mal gebaut. Es war die Blüte der Postmoderne. Und Hermann & Valentiny – auch dadurch begründet, daß Francois Valentiny Luxemburger ist – sind irgendwie, durch ihre künstlerischen Ambitionen wohl auch bewußt – ins Fahrwasser von Rob Krier geraten. Krier hat ihnen geholfen. Aber die Architekturszene ist gnadenlos und –windig. Krier ist derzeit abgehakt. Hermann & Valentiny hat man ihren „postmodernen“ Stadtvillenbau an der Rauchstraße und noch ein paar andere Arbeiten, die an einer historischen Bezugnahme festzumachen sind, nicht verziehen.

Die Szene reagiert schnell, wenn es um Aburteilungen geht –und ist sehr träge, wenn einfühlsames Differenzieren angesagt ist.

Spectrum, Sa., 1999.11.13

16. Oktober 1999Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Siedlung mit Ausblick

Skeptisch wurde Harry Seidlers Wohnanlage auf der Wiener „Donau-Platte“ aufgenommen: Er hat mit der traditionellen Fixierung auf Block und Hof gebrochen. Wodurch er allerdings imstande ist, den Nutzern ein Maximum an Komfort zu bieten.

Skeptisch wurde Harry Seidlers Wohnanlage auf der Wiener „Donau-Platte“ aufgenommen: Er hat mit der traditionellen Fixierung auf Block und Hof gebrochen. Wodurch er allerdings imstande ist, den Nutzern ein Maximum an Komfort zu bieten.

Die Gegensätze könnten größer nicht sein. Wenn man auf der Reichsbrücke stadtauswärts fährt, dann fällt der Blick linkerhand auf einen Teil der neuen „Donau-City “, und er fällt rechterhand auf einen Teil der „Donau-City“. Links waren relativ junge heimische Architekten am Werk. Rechts hat Harry Seidler geplant.

Es geht um die sogenannte Platte, um die Überplattung der Donauufer-Autobahn und die Entwicklung der Stadt jenseits, aber direkt an der Donau. Wie geht man mit einer solchen Lage um? Das ist die Gretchenfrage, auf die links und rechts der Wagramer Straße ganz unterschiedliche Antworten gegeben wurden. Links: städtebauliche Versatzstücke aus einem Wettbewerb, der nicht eindeutig genug entschieden wurde. Rechts das Konzept von Harry Seidler.

Letzteres wurde lange Zeit recht skeptisch betrachtet. Denn Seidler hat mit einer hierzulande tief sitzenden Vorstellung gebrochen, mit der traditionellen Fixierung auf den Block, den Hof. Er hat keine Blöcke, keine Höfe sondern seine Bauten schräg auf die Überplattung der Donauufer-Autobahn gestellt; er hat sie zur Donau hin abgetreppt, sodaß auch die weiter weg liegenden Wohnungen auf den Strom hin orientiert sind; er hat erkennbar mit gleichen, vorgefertigten Elementen gearbeitet; und er hat „Sichtschneisen“ für die dahinter liegenden Wohnbauten eingeplant. O-Ton Seidler: „Es wäre nicht anständig gewesen, den Leuten, die schon ewig hier wohnen, den Ausblick zu nehmen.“

Seidler verficht eine Architektursprache, der man gemeinhin seine Sympathie versagt. Er kommt vom Funktionalismus her, und der ist ja durch den kommerziellen Abklatsch einer dritten, vierten und fünften Architektenkategorie in wirklich arge Bedrängnis geraten. Andererseits: Seidler hat das Vokabular des Funktionalismus in formaler Hinsicht erweitert. Man muß die Literatur über ihn lesen, man muß lesen, wie ein Kenneth Frampton oder ein Dennis Sharp diese Sprache interpretieren. Sie stellen eine Verbindung zu Entwicklungen in der bildenden Kunst dieses Jahrhunderts her. Das Luftbild seiner Wohnanlage macht deutlich, was sie meinen.

Im jetzigen Stadium umfaßt Harry Seidlers Wohnanlage 540 Wohnungen und einen Kindergarten. In Bau ist ein Kino-und Freizeit-Center. Das lang umstrittene Hochhaus, das er vorgeschlagen hat, soll nun doch Gestalt annehmen –allerdings nicht als reines Bürohochhaus, sondern durchmischt mit Wohnungen.

Harry Seidlers Konzept präsentiert sich so einfach wie überzeugend: Er ging vor allem davon aus, daß jeder, der hier, auf der Platte an der Donau, wohnt, die Donau auch sehen will. Und er ging von den statischen Gegebenheiten aus.

Wenn man die Wohnbauten senkrecht beziehungsweise im rechten Winkel zur Donau stellt, dann müssen wenige Balken der Überplattung das jeweilige Haus tragen. Wenn man die Häuser schräg stellt, dann werden ungleich mehr Balken belastet, man kann folglich höher bauen. Und: Wenn man es geschickt macht, dann kann man auch alle Wohnungen zur Donau hin orientieren.

Genau das hat Harry Seidler geschafft, und genau deswegen waren seine Wohnungen schon vor Fertigstellung der Anlage vergeben, während man links, auf der anderen Seite der Wagramer Straße, damit zu kämpfen hat, daß Leute einziehen.

Die Wahrheit ist: Seidler hat eine Wohnanlage – aber auch generell einen Städtebau –entwickelt, der den Nutzern ein Maximum an Komfort bietet. Und er hat nicht nur Häuser gebaut, er hat ein ganzes Freiraum-Konzept entwickelt, das seine gebauten Vorschläge in einen Zusammenhang rückt, der an Wünschen, an Bedürfnissen der Allgemeinheit und der spezifischen Nutzer festgemacht ist.

Die Leute schauen auf die Donau. Sie gehen in ihr Haus und kommen in ein durchaus attraktives Stiegenhaus hinein – es ist zwar innenliegend, aber trotzdem wunderbar belichtet. Sie haben Wohnungen, denen Balkone, im Erdgeschoß kleine Gärten und ganz oben auch große Terrassen vorgelagert sind. Sie haben Wohnungen, die eine sehr freie Grundrißlösung erlauben. Nach außen drückt sich das kaum aus: Die Fensterbänder werden nur durch das kleine Apercu eines Ausblicks im Kinderzimmer rhythmisiert. Man braucht gestalterisch ja wirklich nicht mehr, um gut zu wohnen.

Seidler war gescheit: Er hat sein Augenmerk darauf gerichtet, wie man mit geringem Aufwand so etwas wie formale Monotonie vermeidet.

Und er hat sich darauf konzentriert, das gesamte – letztlich ja artifiziell geschaffene – Areal so zu interpretieren, daß ein Gewinn für alle dabei herauskommt. Auch für die Anrainer in den Fünfziger- und Sechziger-Jahre-Bauten daneben, die nicht nur durch die Überplattung der lauten Donauufer-Autobahn profitieren, sondern auch durch die Stellung des noch nicht fertigen Kino- und-Freizeit-Centers an der Wagramer Straße, das als Schutzschild vor dem Lärm von der Reichsbrücke fungiert. Und denen natürlich die überdimensionierte Tiefgarage zugute kommt, in der es auch Stellplätze für Anrainer gibt.

Sehr überzeugend ist der Kindergarten: Er ist zur Donau hin orientiert, aber halbgeschoßig eingegraben, damit den Kindern ein möglichst windgeschützter Freibereich zur Verfügung steht.

Im Bauteil Harry Seidlers ist alles durchdacht, er funktioniert. Daß Seidler sich den Luxus einer gebogenen Glasbrüstung vor den Balkonen leistet – diese Glaselemente sind übrigens so beschaffen, daß man zwar von drinnen nach draußen, aber unter dem Vorzeichen der geforderten „Privacy “nicht umgekehrt schauen kann –, daß er gebogene Betonelemente als durchgehendes gestalterisches Element einsetzt, hat zwar mit einer gewissen Individualisierung dieser Wohnanlage zu tun, es resultiert aber auch aus den heutigen bautechnologischen Möglichkeiten, die sich in der Wiederholung, in der großen Serie plötzlich zu rechnen anfangen.

Seidlers Beitrag zum Wiener Wohnbau ist nicht unumstritten. Überholter Funktionalismus, sagen die einen. Es gibt aber auch andere. Und die sehen, was da konzeptuell geleistet wurde. Denn der Formalismus einer individuellen Architektursprache war immer nur ein sehr schwacher Beitrag zur Architekturdiskussion.

Spectrum, Sa., 1999.10.16



verknüpfte Bauwerke
Wohnpark Neue Donau

04. September 1999Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Ein Wohnbau, der dahinpfeift

Ein schwieriger Bauplatz: ein Südhang hinter einer Schallschutzwand; und eine Aufgabe, die sich zur künstlerischen Profilierung kaum eignet: Wohnbau. Über Helmut Richters Problemlösungen wird man noch lange reden: die Thermensiedlung Oberlaa.

Ein schwieriger Bauplatz: ein Südhang hinter einer Schallschutzwand; und eine Aufgabe, die sich zur künstlerischen Profilierung kaum eignet: Wohnbau. Über Helmut Richters Problemlösungen wird man noch lange reden: die Thermensiedlung Oberlaa.

Wohnbau wird überschätzt: Als Möglichkeit (bau)künstlerischen Ausdrucks, als Mittel der ästhetischen Profilierung eignet er sich nur bedingt. Zu viele andere Faktoren spielen eine ebenso wichtige Rolle:die Qualität des Wohnungsgrundrisses etwa,die ökologische Komponente, die Nachhaltigkeit der eingesetzten Materialien – und vor allem die ökonomische Frage.

Wohnbau wird unterschätzt: Mit der Aneinanderreihung und Stapelung mehr oder weniger brauchbarer Grundrisse und einer kostengünstigen, dabei gefälligen Fassade ist es auch wieder nicht getan. Der Anspruch, den jedes zeitgenössische Bauwerk erfüllen sollte: die heutigen technologischen Möglichkeiten intelligent zu nutzen, gilt im Wohnbau wie überall sonst. Und ganz nebenbei wird damit auch formal etwas transportiert. Etwas, dessen besonderer Stellenwert aus seiner Alltäglichkeit resultiert. Einen Flughafen, ein Museum, einen Verwaltungssitz betritt man anders als einen Bau, in dem man zu Hause ist.

An der im Süden Wiens gelegenen sogenannten „Thermensiedlung Oberlaa – Grundäcker “ von Helmut Richter läßt sich geradezu beispielhaft zeigen, unter welchen Voraussetzungen es sich heut zutage überhaupt nur lohnt, über einen Wohnbau ausführlicher zu reden. Dabei ist es ein ganz „normaler “Wohnbau, äußerst kostengünstig geplant und in einer keineswegs idealen Lage. Denn die Grundstücke, wo Wohnbau problemlos realisiert werden kann, werden allmählich rar. Und Helmut Richter wurde mit der Thermensiedlung Oberlaa ein hochproblematisches Grundstück zugeteilt. Es liegt direkt hinter der Schallschutzwand einer Bahnstrecke, die sich trotz dieser Maßnahme immer noch unangenehm bemerkbar macht.

Andererseits: Der über 170 Meter lange Riegel bietet von der Lage her auch eine Qualität: Alle Wohnungen sind Nord-Süd-orientiert, das heißt, die Bahn verläuft im Norden, und hier hat Richter auch die Laubengangerschließung plaziert. Typologisch hat dieser neue Wohnbau also etwas mit dem an der Brunner Straße zu tun, allerdings handelt es sich um eine weiterentwickelte Variante.

Bemerkenswert ist vor allem die konstruktive Lösung: Das Haus „hängt “am Laubengang, der mit seinen wenigen Stützen – Richter nennt sie „A-Böcke “– die tragende Rolle spielt. Das ist insofern ungewöhnlich, als sich die tragende Konstruktion nur auf einer Seite – im Norden – befindet und die Aussteifung des Gebäudes über sogenannte „Querkraftdornen “bewerkstelligt wird. Beim Fassadenaufbau – der besonders nach Süden überraschend viele Glasflächen umfaßt – hat Richter das gleiche System verwendet wie bei seinem Wiener Schulbau. Er hat die Trockenbauweise dem massiven (Ziegel-)Mauerwerksbau ja schon immer vorgezogen, und die Domico-Paneele bieten die Möglichkeit zu einem sauberen, raschen und ökonomischen Fassadenaufbau, und mit ihrer Aluminiumoberfläche entsprechen sie obendrein den heutigen Anforderungen der Nachhaltigkeit.

Der Eindruck, den der Wohnbau von Helmut Richter auf den ersten Blick vermittelt, ist der von Länge und Tempo – das Haus „pfeift “unglaublich sympathisch dahin –,und er löst ein, was man an Ansprüchen in dieser Lage anmelden muß. Man betritt die Wohnungen von Norden, Stiegenhäuser und Lift sind durch eine leuchtend rote Kunststoffplane – wie im ersten „Kiang “von Richter – ausgewiesen, sie sorgen für eine Rhythmisierung des langen Riegels.

Von hier, von Norden, geht es in die durchgesteckten Wohnungen hinein. Wirtschaftsbalkone an der Nordseite sind ein äußerst angenehmes Zusatzangebot, von Norden belichtete (offene) Küchen und Badezimmer, die durch eine Milchglasscheibe allerdings nicht einsehbar sind, nutzen diese eher undankbare Front räumlich. Die Verglasungen zum Laubengang sind dabei weitgehend fix, nur kleine öffenbare Fenster sorgen für die nötige Querdurchlüftung, die Richter ein absolutes Anliegen war. Das sollte man herausstellen: Wir reden hier von einem Architekten, dem es nicht einfällt, missionarisch soziale Anliegen zu transportieren. Er ist einfach nur – intelligent. Und auf der Grundlage dieser Intelligenz realisiert er seine Architektur. Das kommt den Nutzern zugute, und es erspart ihm eine ohnehin verzichtbare ideologische Überfrachtung.

Zur Südfront –mit großzügigen verglasten Flächen und Balkonen – eine Anmerkung: Hier sind die Fenster aus Kunststoff. Das schmerzt den Architekten, der viel lieber haltbarere Aluminiumfenster gehabt hätte, und es schmerzt ihn besonders, weil sie nicht, wie er es vorgeschlagen hatte, grau eingefärbt wurden, sondern weiß sind und damit recht massiv aus der Fassade herausknallen.

Ein zweites Problem der Südfront: Hier braucht es natürlich einen Sonnenschutz – der normalerweise außen liegen würde, was aber an einem so windigen Südhang nicht praktikabel wäre. Die Jalousien liegen daher innen, und die gelben Sonnenschutzelemente erzeugen eine tolle Innenraumstimmung.

Ein Kuriosum wäre noch zu erwähnen: Im obersten Geschoß sind an beiden Enden des langen Wohnbaus die Dachflächen abgeschrägt. Diese Schräge wurde von Richter ebenfalls verglast und ebenfalls mit dem innenliegenden Sonnenschutz ausgestattet. Sie resultiert daraus, daß es nur einen einzigen Lift zur Erschließung der 170 Meter Länge dieses Wohnbaus gibt. Was – nach irgendwelchen und nur schwer nachvollziehbaren Kriterien der Wiener Bauordnung – zu weit vom Lift entfernt lag, mußte den Charakter einer ausgebauten Dachwohnung haben. Daher die Dachschräge, die allerdings unter einem verblechten Dach klimatisch noch viel problematischer gewesen wäre, als das jetzt der Fall ist.

Helmut Richter hat einen besonderen Ruf in der Wiener Architekturszene. Er hatte aber bislang nicht das Glück, spezifische Bauaufgaben zu lösen – er hat kein Museum gebaut, keinen Flughafen, keinen repräsentativen Verwaltungssitz, sein „Besonderstes“ war eine Schule. Und doch schaut die Architektenszene auf jedes seiner Projekte mit größtem, mit ungebrochenem Interesse. Die anderen, sie mögen noch so schillernde Namen haben – wenn es um eine Art von substantieller Wertschätzung geht, dann überrundet sie Richter allemal. Es ist nicht nur eine Frage der baukünstlerischen Zielsetzung. Es ist eine Frage der grundsätzlichen Haltung. Und da hat Helmut Richter der Mehrzahl seiner Kollegen viel voraus.

Spectrum, Sa., 1999.09.04



verknüpfte Bauwerke
Wohnanlage ´Thermensiedlung Oberlaa´

14. August 1999Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Der Gast in der Statistenrolle

Bespielt wird ein Ort, Typ „megaurban“; die Inszenierung steht unter dem Generaltheme „Lebensmittel“;Regie führen neben Architekten auch bildende Künstler. Ein Lokal als Bühne –der „Guess Club“ in der Wiener Kärntner Straße.

Bespielt wird ein Ort, Typ „megaurban“; die Inszenierung steht unter dem Generaltheme „Lebensmittel“;Regie führen neben Architekten auch bildende Künstler. Ein Lokal als Bühne –der „Guess Club“ in der Wiener Kärntner Straße.

Der Architekt als Regisseur – in der Wiener Kärntner Straße, schon fast beim Karlsplatz, haben Heinz Lutter und Franz Berzl gemeinsam mit den bildenden Künstlern Gustav Deutsch und Hanna Schimek mehr als nur ein Bühnenbild realisiert. Im zweiten „Guess Club “– nach einem ersten in der Kaunitzgasse – geht es schon fast um eine Inszenierung, in der dem Gast wenn schon keine Haupt-, so doch zumindest eine Art Statistenrolle zugewiesen ist.

Bei Tag sticht das Lokal nicht sonderlich ins Auge. Die streng geometrisierte Straßenfront hebt sich zwar durch den differenzierten Einsatz unterschiedlicher Glasflächen –schwarz, opak, durchsichtig – von der Umgebung ab, sie ist aber so schmal, daß man sie durchaus übersehen könnte. Zwei Bildschirme zeigen die Speisekarte beziehungsweise die unterschiedlichen Ebenen im Inneren. Und in einem Schaukasten führt der Chefkoch kleine Installationen aus Eßbarem vor.

Was man tagsüber nicht auf Anhieb versteht, sondern zunächst als rein formale Maßnahme deutet, das ist die Beziehung zwischen opaken und schwarzen Glasflächen in dieser Front. Erst abends, wenn es dunkel wird, zeigt sich, daß die schwarzen Gläser Projektionsflächen sind für Clips zum Thema „Lebensmittel “(von Gustav Deutsch und Hanna Schimek) etwa oder auch für eine Außenansicht der Innenansicht dessen, was im Lokal passiert. Das hat ja schon das Konzept des ersten „Guess Clubs“ entscheidend geprägt: das Potential heutiger technologischer, interaktiver, kommunikativer Möglichkeiten zur Formulierung einer neuen, großstädtischen Lokaltypologie zu nutzen, die aber gleichzeitig auch die „normalen “Bedürfnisse auf einem durchaus hohen Niveau befriedigt.

In der Kärntner Straße ist das, allein schon auf Grund der Ausdehnung des Lokals –drei Ebenen,650 Quadratmeter Nutzfläche –,auf den Punkt gebracht. Denn hier war ein Mix, von atmosphärisch ganz unterschiedlichen Räumen zum Essen über einen Ort für Snacks bis zur Bar und sogar zur Disco, einfach möglich. Der kostenlose Internet-Zugriff spielt dabei im Rahmen der gebotenen Möglichkeiten eine untergeordnete Rolle. Es geht eher um eine bestimmte Raumcharakteristik, die durch ein solches „mediales Dekor “(im Gegensatz zum traditionellen) erzielt wird.

Trotzdem:Auch wenn der „Guess Club “den Versuch darstellt, ein zeithaltiges Ambiente für die junge Erfolgsgeneration zu bieten, so funktioniert er natürlich doch nach alten Regeln. Selbst Yuppies haben manchmal Hunger und Durst, selbst Yuppies wollen bequem sitzen oder leger an einer Bar lümmeln. Also: Die alten Regeln behaupten auch im Internet-Zeitalter ihre Gültigkeit. Aber deren Anwendung war in diesem konkreten Fall für die Architekten gar kein leichtes Spiel. Denn daß die Straßenfront so ungewöhnlich schmal ist, bedeutet im Klartext: Das Lokal erstreckt sich dahinter in der Tiefe des Hauses und bis in den Hof. Und das wiederum hat zur Folge, daß es fast keine Tageslichtsituationen gibt.

Damit muß man als Architekt umgehen können. Lutter und Berzl konnten es. Der Auftritt des Gastes ist minutiös inszeniert. Er betritt das Lokal und damit eine „Empfangssituation “.Rechts ist der Blick in die Küche freigegeben, links, ein wenig erhöht, sind die sogenannten „Chief ’s Tables “.Gedacht ist für diesen Bereich daran, daß der Chefkoch persönlich auftritt, auch daß er individuelle Speisenüberraschungen serviert. Ich halte das zwar für einen Fehler im Konzept: Denn wenn ich vom Chefkoch bedient (und bekocht) werden möchte, dann suche ich mir dafür keine Durchgangssituation `a la Selbstbedienungsrestaurant – wenn auch in einer sehr edlen Variante – aus.

Aber gut. Tatsache ist, daß es die Architekten geschafft haben, eine räumliche Steigerung zu erzielen. Es zieht den Besucher förmlich weiter. Er geht an der Küche vorbei und in die Lobby, die im Grund wie ein Kaffeehaus funktioniert, auch wenn sie nicht so aussieht. Man trinkt etwas, konsumiert einen kleinen Snack, sieht hinüber zu einem Speisesaal, sieht aber auch die Treppe hinauf und hinunter und weiß daher, daß die Lokalität noch mehr zu bieten hat.– Geht man dann tatsächlich hinauf, kommt man zum sogenannten Glashaus – es liegt über dem Speisesaal zu ebener Erde und ist in den Hof gebaut –,schließlich hat mandie Wahl zwischen zwei höchst konträr formulierten Restauranträumen, von denen einer durch ein Fenster über dem Eingang auch Ausblick auf die Karlskirche bietet. Geht man hingegen die Treppe hinunter, dann kommt man in eine Bar – ungefähr 14 Meter lang –,einen Raum mit mobilen (auf Rollen) Sitz- und Liegemöglichkeiten, Internet-Zugang, Projektionsfläche und DJ-Station, schließlich weiter in einen Raum mit relativ intimen Sitzmöglichkeiten und kleinen Tischen. Die WC-Zellen ziehen sich als schwarz verkleideter Block durch alle drei Ebenen.

Vermieden wurde bisher der Gebrauch jenes Vokabulars, das die Architekten und Künstler den unterschiedlichen Räumen übergestülpt haben. Es handelt sich dabei um einen Public-Relations-Wortschatz. Aber er ist auch eine – verbale – Konserve für ein Konzept. Konkret: Es gibt den Horn-Raum, den Kuh-Raum, den Shining-Dining-Room, den Pfirsich-Raum, den Nuß-Raum ...

Das heißt, Künstler und Architekten haben hier den Versuch einer Annäherung an das Thema „Lebensmittel “realisiert. Das steckt hinter dem „Bühnenbild “,hinter der räumlichen Dekoration. Wobei die Umsetzung so abstrakt ist, daß der Uneingeweihte sie nicht entziffern kann. Aber bekanntlich erzeugen ja auch nicht eindeutig lesbare Zeichen ein gewisses Feeling. Anders ausgedrückt: Das Thema, das für die Ausstattung dieses Lokals gewählt wurde, ist zwar willkürlich –es steht ja nirgends geschrieben, daß sich die Inneneinrichtung eines Restaurants mit Lebensmitteln beschäftigen muß –, in sich funktioniert es aber folgerichtig: Zu ebener Erde betritt man ein Tier, von außen nach innen. Da ist der speckige Horn-Raum (Eingangsbereich),der ledrige Kuh-Raum (Lobby),der schützende Shining-Dining-Room, in dem der Mangel an Tageslicht durch hinterleuchtete, siebbedruckte Folien mit dem abstrahierten Image einer Rindsblase wettgemacht wird. In der Etage darüber sind es Pflanzen im weitesten Sinn, die den Ausstattungsanlaß liefern, in der Etage darunter ist es der Fisch.

Das Thema ist jeweils in Form eines folienbespannten Leuchtelements eindeutig angeschlagen –das kann ein Leuchtkasten sein, aber auch eine Tür, wie im Nuß-Raum –, und es wird im Mobiliar, im Farbkonzept, in den Materialien und Oberflächen weitergesponnen. Im Nuß-Raum zum Beispiel dominiert zwar Holz, aber dann gibt ’s da auch noch Fahnen aus dem Material, aus dem Postsäcke gearbeitet sind, und die lassen sich als Raumteiler verwenden und stellen gleichzeitig das Motiv der Trennhäute im Inneren einer Nuß dar.

Der Pfirsich-Raum ist mit seinen textilen Trennvorhängen und dem durchgezogenen Farbkonzept –eben in Pfirsich-Tönen –der heimeligste Ort im Lokal, das Wort „cosy“ drängt sich geradezu auf. Im Glashaus geht es um Grundnahrungsmittel und ihre Manipulation: Hier wird Weizen, auch geklonter Weizen, gezeigt. Und die Bar im Untergeschoß steht ganz im Zeichender schuppigen Fischhaut. Nur dahinter wird es dann einheitlich schlicht und grau.

Man könnte generell so sagen: Folien, Häute sind im „Guess Club Kärntner Straße“ das durchgehende Thema. Was in den alten Raumbestand hineingebaut wurde, ist dünn, sehr dünn. Es sind Raumhüllen, genauso fein wie eine Pfirsichhaut oder eben eine Rindsblase. Insofern ist das Konzept also sehr konsequent umgesetzt. Trotzdem kommt man nicht umhin, sich klarzumachen, was ein solcher gedanklicher Ansatz letztlich bedeutet: Jedes künstlerische Konzept, auch wenn es inhaltlich noch so begründet ist, wird in einem solchen Kontext zum Dekor, es wird gewissermaßen zum Kitsch. In diesem Fall sicher zum Edelkitsch, zur noblen Staffage. Das ist nun keineswegs negativ. Wir bewegen uns alle in irgendwie dekorierten Räumen.

Die Art der Ausstattung des „Guess Clubs Kärntner Straße “ wird trotzdem nur eine bestimmte Klientel –nennen wir sie die Erfolgsgeneration, die jungen Neureichen –goutieren. Die braucht vielleicht zum – wirklich vorzüglichen – Essen noch einen zusätzlichen Anlaß, eine Erlebnisqualität, einen Kitzel mehr, um angeregt zu sein. Alle anderen fühlen sich in ganz gewöhnlichen Lokalen (wenn nur die Küche stimmt) wahrscheinlich genauso wohl.

Aber das ist der Vorzug – oder das Privileg – der Großstadt: daß sie soviel und soviel unterschiedliche Angebote zur Verfügung stellt.

Spectrum, Sa., 1999.08.14



verknüpfte Bauwerke
Guess Club II

16. Juli 1999Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Freiräume im Schallschatten

Wie eine Komposition aus Durchsichten wirkt der Kindergarten, den BUS-Architektur in Wien-Favoriten konzipiert hat. Und diese gebaute Lektion in Raum ermöglicht den Kindern eine ungewohnte Perspektive: den Blick von oben nach unten.

Wie eine Komposition aus Durchsichten wirkt der Kindergarten, den BUS-Architektur in Wien-Favoriten konzipiert hat. Und diese gebaute Lektion in Raum ermöglicht den Kindern eine ungewohnte Perspektive: den Blick von oben nach unten.

Die Lage ist gewissermaßen – ein Privileg. Denn der Kindergarten von BUS-Architektur steht in einem Park, umgeben von wunderbaren alten Bäumen. Früher war da ein Tröpferlbad. Das wurde aber abgerissen. Und diese Entscheidung war ohne Zweifel richtig. Nicht nur, weil die Instandsetzung des Gebäudes mehr gekostet hätte als ein Neubau, sondern auch aus städtebaulichen Gründen.

Dieser kleine Koloß in der Mittelachse des Parks – das ist es eigentlich nicht, was man sich unter dem Vorzeichen „zeitgenössischer“ Architektur erwartet. Zugegeben, mit der Vokabel „zeitgenössisch“ muß man vorsichtig umgehen. Denn sie behauptet allzu leichtfertig eine Art Trend, irgend etwas sehr Oberflächliches. Andererseits: So ein auf Mittelachse ausgerichtetes gründerzeitliches Monument ist auch nicht das, was man sich als ersten architektonischen Eindruck für eine heranwachsende Generation vorstellt.

Der neue Kindergarten von BUS-Architektur löst entsprechende Vorstellungen schon viel eher ein. Das Haus ist in den Park, unter und zwischen die Bäume hineinkomponiert. Es definiert die Grenze des Parks, es macht Front zur Straße, und es schützt sich damit sozusagen selbst vor dem Verkehrslärm: Die an der Rückseite angelagerten Freiräume für die Kinder liegen alle im Schallschatten, nur die Dachterrasse ist mehr oder weniger ungeschützt.

Man könnte auch sagen, das Haus ist eine Komposition aus Durchsichten. Wenn man sich davor hinstellt, ist das der erste Eindruck: Man sieht durch, dahinter in den Park. Aber schon der zweite Eindruck ist an etwas anderem festgemacht: an den unterschiedlichen Farben, an den verschiedenen Oberflächen der einzelnen Gebäudeteile; am leuchtenden Blau und am leuchtenden Orange der herkömmlichen Putzfassaden, am sehr spezifischen grobkörnigen Putz, am (aluminium)verblechten Bauteil und am Baumhaus in Holz und Glas. Es ist bezaubernd, wie sich diese Versatzstücke zusammenfügen, wie sie eben nicht nur Versatz, sondern ein Satz, ein Ganzes sind.

Die Organisation ist pragmatisch: Es gibt eine Art Servicezone über die volle Länge des Hauses, und der angelagert sind die verschiedenen Gruppenräume. Die haben alle den gleichen räumlichen Zuschnitt, Einbauten in Holz, einen grünen Gummiboden – und viel, viel Glas. Und das ist so eingesetzt, daß es den Kindern entspricht: Schließlich sollen die durch- und hinaussehen. Und zwar sehr wortwörtlich. Es gibt nämlich im Obergeschoß auch ein räumliches Apercu, das sozusagen unnütz ist. Die Architekten nennen es: die Rache der Kinder. In Architektur übersetzt bedeutet das: einen rundum verglasten Erker, der den Kindern die nicht ganz alltägliche Perspektive von oben nach unten – und nicht umgekehrt – ermöglicht.

Man könnte sagen, daß dieser Kindergarten so etwas wie poetisch ist. Er ist eine Komposition, die sich in den Park einbettet, die sich städtebaulich wohltuend unaufgeregt verhält. Der Eingang ist klar definiert, links davon ist das Büro der Kindergartenleiterin – sie schaut zum Eingang, ins Foyer, aber auch nach hinten, in den Freibereich. Der ist teilweise überdacht, und eine Art organische Form in Holz ist in den Boden eingelassen. Das Spiel mit den Oberflächen haben die Architekten sehr konsequent durchgezogen.

Vor allem beim „Baumhaus“ macht es sich bemerkbar. Da sind die Holzpaneele absichtsvoll willkürlich verlegt, der Charakter des Handgestrickten, des Gebastelten wird so transportiert. Es ist ein wunderbarer Raum, den die Architekten den Kindern der Hortgruppe mit diesem Baumhaus zur Verfügung stellen. Denn er ist wirklich in den Baumkronen angesiedelt.

Überhaupt ist der Bezug zur Natur, zu den Bäumen des Parks sehr schön in Szene gesetzt. Wenn man oben auf der Terrasse steht, wo es übrigens ein architektonisches Implantat in Form eines Kasperltheaters gibt, dann ist man dem Grün, aber man ist auch den Vögeln ganz nahe. Die Architekten hatten sich für diese Terrasse noch einiges mehr vorgestellt. Mehr an „Einrichtung“. Das wurde nicht ausgeführt, es ist aber kein Mangel, der ins Gewicht fällt. Was überrascht, das sind die schwarzen Fensterrahmen. Schwarz ist ja eine Farbe, die man Kindern in der Regel nicht zumutet. Es ist zwar „kindisch“, aber Schwarz ist irgendwie negativ besetzt, und das scheint nicht ins „kindliche“ Bild zu passen. Insofern ist es ein Wunder, daß die zuständige Magistratsabteilung ihren Sanctus zu den schwarzen Rahmen gegeben hat. Andererseits haben sie aber auch einen Sinn: Denn sie verschwinden gewissermaßen, zumindest aus der Ferne betrachtet werden sie unsichtbar. Und das gehört mit zum Konzept der Architekten, das fällt unter das Stichwort der Durchsichten.

Man muß bei diesem Kindergarten auch ein Wort zum Mobiliar sagen. Denn es macht sich sehr gewinnbringend bemerkbar, daß die Architekten weitgehend auch die Einrichtung entwerfen konnten. Das betrifft zum Beispiel im Garderobenbereich Bänke für die Kinder, das betrifft aber auch die Kücheneinrichtung. Man spürt es mehr, als daß man es sieht.

Aber auf diesen Unterschied kommt es an. Es gibt architektonische Spitzfindigkeiten, die man nicht erkennt, wenn man sie nicht weiß. Dazu gehören vor allem niedrige Wände, mit denen das Gelände markiert, mit denen es abgesteckt ist. Sie setzen ein Zeichen, das nur im Vorübergehen wahrgenommen wird. Wenn überhaupt. Aber auch dieses Detail spielt eine Rolle. Den Kindern wird mit diesem Kindergarten ein geradezu luxuriöses Angebot gemacht. Wenn man sich die Umgebung anschaut – wir befinden uns mitten in Favoriten, in einem Quartier, das aus Zinskasernen besteht –, dann weiß man dieses Angebot erst richtig zu schätzen.

Natürlich sind jeder Gruppe Freibereiche zugeordnet, natürlich sind alle Gruppenräume „maßstabgerecht“interpretiert, also auch für die kindliche Perspektive zugeschnitten. Und natürlich ist in den Innenräumen eine Einheitlichkeit des Materials durchgehalten, die den Eindruck von Großzügigkeit vermittelt. Kein unnötiges Detail, keinerlei Zierat – aber ein reizvolles Spiel mit Baukörpern, mit Transparenz und Geschlossenheit, mit Oberflächen und Farben, mit Blickwinkeln.

Man könnte sagen, daß mit diesem Kindergarten eine Lektion formuliert ist, die gerade in dieser Umgebung einen eigenen Stellenwert hat. Denn was Raumerlebnisse sind, was sie bedeuten können, werden die meisten der Kinder, die hier ihre Tage verbringen, zuallererst hier erfahren. Nicht in den Zinskasernen, in denen sie wohnen. Und später vielleicht auch nicht mehr.

Spectrum, Fr., 1999.07.16



verknüpfte Bauwerke
Kindergarten

15. Mai 1999Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Fortsetzung erwünscht

In Sichtweite des Reichstags, anschließend an die alte Humboldt-Universität und direkt an der Spree: Laurids &Manfred Ortner wurden der Prominenz des Bauplatzes gerecht und haben mit dem ARD-Hauptstadtstudio die eleganteste Lochfassade Berlins entworfen.

In Sichtweite des Reichstags, anschließend an die alte Humboldt-Universität und direkt an der Spree: Laurids &Manfred Ortner wurden der Prominenz des Bauplatzes gerecht und haben mit dem ARD-Hauptstadtstudio die eleganteste Lochfassade Berlins entworfen.

In der zeitgenössischen Architekturlandschaft sind die Brüder Laurids und Manfred Ortner nicht schlecht unterwegs: Sie bauen an den drei größten Kulturbauten, die derzeit in Europa entstehen – in Wien, Dresden und Zürich –, und im Rahmen der Berliner Hauptstadtplanung schließen sie auch so manche Baulücke. Am Pariser Platz etwa hat der Rohbau eines Hauses gerade das dritte Obergeschoß erreicht, und im Spreebogen geht das Hauptstadtstudio der ARD am 22. Mai offiziell in Betrieb.

Was letzteres betrifft, darf man eines vorweg behaupten: Unter allen Berliner Lochfassaden neueren Datums – und die sind hier an der Spree ja „Doktrin“ –haben die Ortners mit Sicherheit die eleganteste geplant. Sie trägt ein äußeres Fassadenkleid aus ziegelroten Betonfertigteilen und einer außenbündigen Fixverglasung, die der eigentlichen Fassade mit den Holzfenstern vorgestellt ist.

Die Zweischaligkeit dieser Fassade sieht man also, sie wurde sogar ganz gezielt als Gestaltungsmittel eingesetzt. Denn die füllt nicht die ganze Fensteröffnung der äußersten Fassadenschicht aus, sie einen breiten Streifen frei. Dadurch kommt es zu einer reliefartigen, rhythmisierten Plastizität in der Fassadenhaut.

Das neue ARD-Hauptstadtstudio hat einen prominenten Es ist in Sichtweite des Reichstags, direkt an der Spree, und schließt mit einem zweiten, kleineren und niedrigeren Baukörper an die bestehende der alten Humboldt-Universität an. Für alle Neubauten in Berlin gilt ja die eherne Regel: 20 Prozent des Volumens müssen Wohnungen vorbehalten sein. Laurids und Manfred Ortner haben diese 20 Prozent aus dem eigentlichen ARD-Gebäude herausgelöst und in einem eigenen Haus untergebracht, das nun als „Gelenk“ zum Sichtziegelmauerwerk des angrenzenden Bestandes fungiert. Diese Lösung scheint ebenso vernünftig wie die höhenmäßige Abtreppung zum Bestand. Daß sich die Fassadensprache des Studiogebäudes in einer vereinfachten Variante auch über den Wohnbau zieht, darüber kann man hingegen diskutieren. Das Haus wird dadurch nämlich irgendwie beiläufig, die Vermittlerrolle zwischen Bestand und Hauptstadtstudio hätte durchaus eine entschiedenere Haltung vertragen.

Das ARD-Gebäude schaut mit seiner Nordfassade zur Spree. Hier ist im Erdgeschoß auch ein relativ großes Lokal, das demnächst eröffnet und die gastronomische Versorgung der hier Tätigen übernehmen wird (es gibt keine Kantine im Haus), aber auch öffentlich zugänglich ist. Der Haupteingang zur ARD liegt nicht hier, an der Spree-Seite, sondern um die Ecke und ist durch eine riesige Verglasung, die darüber in der Fassade sitzt, unübersehbar in Szene gesetzt. Daß sich hinter der Verglasung ein Kunstwerk befindet – das ARD-Logo, in Kunststofflamellen übersetzt –, sieht man allerdings nur, wenn es einem gesagt wird. Diese Installation bedürfte noch einer Nachbearbeitung.

Drinnen: ein großzügiger, eleganter Empfangsbereich, nicht aufdringlich, nicht übertrieben. Nach dem Empfang: die eigentliche Sicherheitsschleuse. Und erst wenn man die passiert hat, wenn man also ins Herz des Gebäudes vorgelassen wird, dann ist man auch der architektonisch-räumlichen Hauptsache konfrontiert: einer großen, gebäudehohen, von oben belichteten Halle.

Man muß zunächst noch eine kurze, breite Treppe überwinden, bevor man diese Halle ganz überblickt. Aber was man vom tiefer gelegenen Eingang davon sieht, zieht einen ohnehin magisch weiter. Der Raum nimmt den sanften Schwung auf, mit dem das Gebäude dem Spreebogen folgt, dadurch bekommt er Dynamik. Außerdem spielt er mit dem Effekt einer leichten perspektivischen Verjüngung.

An der dem Eingang gegenüberliegenden Schmalseite des Atriums ziehen verglaste, übereinandergestapelte Raumboxen die Blicke auf sich: Es sind die Besprechungsräume, die auf diese Weise „veröffentlicht“ sind. Links und rechts laufen offene Galerien, mit denen die einzelnen Geschoße erschlossen sind, eine einläufige Treppe führt hinauf. Sie ist seitlich plaziert, wobei Brücken mit gläsernen Brüstungen die beiden Gebäudeflanken auf jedem Geschoß verbinden.

Wenn man unten steht und hinaufschaut, ergibt sich damit ein ziemlich spannendes Bild: Die gläsernen Brücken staffeln sich, durch den Treppenverlauf versetzt, nach oben. Wobei es nicht in erster Linie die Dramatik des Raumeindruckes war, die zu diesen Querverbindungen geführt hat, die haben auch ganz pragmatische Gründe: So werden die Wege kürzer, und man muß nicht erst um das halbe Atrium herumlaufen, um auf die andere Seite zu kommen.

Der Raumeindruck ist einfach toll. Das hat mit dem Zuschnitt dieses Atriums zu tun, mit seiner Größe, mit seiner Höhe. Aber natürlich auch damit, wie es sich visuell präsentiert. Denn die Ortners haben sich ein im Grunde einfaches, aber effektvolles Gestaltungsmittel für diese Halle einfallen lassen: Es besteht aus geschoßhohen, fast textil wirkenden Paneelen aus einem Messinggeflecht, die unregelmäßig im Raum verteilt und vor die offenen Galerien gehängt wurden. Diese Paneele leuchten goldfarben und geben dem Raum einen geradezu festlichen Anstrich.

Schwierigkeiten machte der Fußboden. Es sollte ein leuchtend blauer Kunstharzboden sein, der zum Messing einen reizvollen Kontrast dargestellt und sich von oben betrachtet vermutlich wie ein See ausgenommen hätte. Und der über die Stufen der Treppe bis hinauf durchgezogen werden sollte.

Aber das hat die ausführende Firma schlicht und einfach nicht geschafft. Der Boden war so unexakt gearbeitet, daß er herausgerissen werden mußte und nun durch eine konventionelle Lösung ersetzt ist: einen sandfarbenen Natursteinbelag.

Im ARD-Hauptstadtstudio sind sowohl Radio- als auch Fernseharbeitsplätze. Wer sich allerdings eindrucksvolle Technik erwartet, der wird vermutlich enttäuscht. Denn die Zeiten der großen Studios sind vorbei: Radio wird heute hauptsächlich an Computerarbeitsplätzen gemacht, von denen auch gleich gesendet werden kann. Studios für kompliziertere Sendungen gibt es hier nur wenige. Und das große Fernsehstudio, das sich oben am Gebäude durch seine Übereckverglasung auch nach außen sichtbar zeigt, ist zwar prall gefüllt mit Technik, aber die gibt visuell kaum etwas her: viele, viele Scheinwerfer, Kameras, ein paar Monitore und der Platz für den Moderator, das ist alles, und mehr wird auch nicht gebraucht.

Dafür ist der Blick, den man aus dem Fenster hinüber zur Reichstagskuppel derzeit noch genießen kann – nicht mehr lang, denn dazwischen wird gebaut –, spektakulär. Und auch der Blick auf die Spree ist wunderbar. Aber den kann man ja über die gesamte Länge des Gebäudes genießen. Und für den nimmt wohl auch wirklich jeder gern in Kauf, daß sein Arbeitsplatz nach Norden orientiert ist.

Die Gebäuderückseite ist deutlich sparsamer ausgefallen als die Schauseite zur Spree. Da gibt es keine zweischalige Fassadenlösung mehr, da hat man sich mit einer Vollwärmeschutzfassade begnügt, deren heller Ockerton – genau wie die Farbgebung der Betonfertigteile an der Schauseite – ebenfalls auf die Sichtziegelbauten des umliegenden Bestandes reagiert und wiederum beiden Häusern gemeinsam ist, dem ARD-Gebäude und dem Wohnbau.

Der Wohnbau selbst ist übrigens nicht nur in seiner Formulierung als städtebauliches Bindeglied zwischen Bestand und ARD ein wenig problematisch. Die Schwierigkeit liegt dabei in dem Umstand begründet, daß die Spree im Norden verläuft. Und dadurch, daß die Wohnungen um einen Innenhof organisiert und durch Laubengänge erschlossen sind, kommt es nun dazu, daß die einen zwar die schöne Aussicht haben, aber nach Norden schauen, während die anderen zwar nach Süden orientiert sind, aber vor sich eine recht heruntergekommene Hofsituation haben. Das ist kein wirklich befriedigendes Wohnen. Und einer der Bewohner soll auch schon geklagt haben, daß er zwar immer davon geträumt habe, an der Spree zu wohnen – aber sonnig. Da hätte er allerdings in die häßlichen Plattenbauten schräg gegenüber ziehen müssen.

Das ARD-Hauptstadtstudio ist ein wirklich gelungener Bau. Und er ist durchaus dazu angetan, einen mit den Berliner Architektur-Usancen – Lochfassade und was sonst noch dazu gehört –zu versöhnen. Laurids und Manfred Ortner haben nämlich etwas geschafft, was hier nicht selbstverständlich ist: Das Haus vermeidet die altertümelnde Gestik, es tritt eher zurückhaltend und schlicht auf, aber sehr großstädtisch und frisch, um das Wort „zeitgemäß“ nicht über Gebühr zu strapazieren. Diese Haltung ist in Berlin eine Wohltat.

Man kann nur hoffen, daß sie ein paar Blöcke weiter, am Pariser Platz, ihre Fortsetzung findet. Dort bauen die Ortners unmittelbar im Anschluß an einen Komplex von Hans Kollhoff. Und dessen Haus verkörpert so ziemlich das Gegenteil, es verkörpert all das in Reinkultur, was man der heutigen Berliner Architektur vorwerfen muß: Es historisiert geradezu penetrant. Diese Orgie in grauem Stein ist einfach bedrückend.

Spectrum, Sa., 1999.05.15



verknüpfte Bauwerke
ARD-Hauptstadtstudio

24. April 1999Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Ist hoch sein wirklich alles?

Er ist sehr viel höher als der Stephansdom – der Millennium-Tower von Peichl, Podrecca und Weber am Wiener Handelskai. Über seine architektonischen Qualitäten läßt sich allerdings streiten.

Er ist sehr viel höher als der Stephansdom – der Millennium-Tower von Peichl, Podrecca und Weber am Wiener Handelskai. Über seine architektonischen Qualitäten läßt sich allerdings streiten.

Noch ist er eine Baustelle, der 202 Meter hohe Millennium-Tower in Wien. Mit 4000 geladenen Gästen gab es zwar Mitte der vergangenen Woche erste Eröffnungsfeierlichkeiten, aber die hatten lediglich das Einkaufszentrum zum Gegenstand, das sich mit seinen zahlreichen Geschäften auf zwei Ebenen des großen Neubaukomplexes erstreckt. Der Rest – ein Nutzungsmix der sattsam bekannten „urbanen“ Art, in der Hauptsache bestehend aus 400 Wohnungen und 38.000 Quadratmeter Bürofläche – harrt noch seiner Fertigstellung.

Wiens erstes Hochhaus – es überragt den Stephansdom – ist natürlich weithin sichtbar, es setzt ein neues Signal in der Stadtsilhouette. Denn richtige Hochhäuser hat es in Wien zuvor nie gegeben. Was in den letzten Jahren an der Wagramer Straße, auf der Platte, am Wienerberg entstanden ist, das waren möglicherweise hohe Häuser –Hochhäuser sind eine ganz andere Kategorie. Der entspricht das Projekt von Boris Podrecca, Gustav Peichl und Rudolf Weber –zumindest in seiner Höhe.

Trotzdem wird man darüber nicht glücklich. Denn ein architektonisches Highlight ist diese Bebauung nicht. Die spektakuläre Aussicht aus dem zwölfeinhalb Meter hohen, schräg verglasten Raum der „Kapuze“ kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß architektonisch wenig übrigbleibt.

Doch läßt sich dieser Bau nicht einfach polemisch abkanzeln – die „Verhältnisse“ sind zweifellos besondere: Die Nettobaukosten am Handelskai sind so exorbitant niedrig, daß sie Auswirkungen auf die architektonische Lösung haben müssen. Das Projekt kann und bietet nichts, was man nicht anderswo schon viel aufregender gesehen hätte. Es hält keine konzeptuellen Innovationen parat, es bietet technologisch nichts Besonderes, es ist in jeder Hinsicht so „schlicht“, wie es unter solchen finanziellen Umständen eben angesagt ist.

Einige städtebauliche Überlegungen Podreccas waren sicher richtig: etwa daß der Turm nicht einfach parallel zur Donau steht, sondern schräg, sodaß der Blick auf die Donau eindeutig attraktiver ist; gleichzeitig wird dadurch auch der Blick in Richtung Turm, auf seine schlanke „Hüfte“, zu einem bescheidenen optischen Vergnügen, weil da etwas nicht einfach nur plump in die Höhe ragt.

Städtebaulich ebenfalls richtig ist es außerdem, daß sich Podrecca geweigert hat, die Wohnbebauung als Front zur Donau zu formulieren. Das hätte die Stadt Wien zwar lieber gesehen, offenbar weil sie der Verkehrsbelastung am Handelskai derzeit noch hilflos gegenübersteht, aber Verkehrslösungen lassen sich ändern.

Die Kammstruktur der Wohnbebauung ist längerfristig das deutlich bessere Konzept. Die gläsernen Schallschutzwände, die die Höfe nun abschirmen, sind eine Übergangslösung, die man gegebenenfalls leicht eliminieren kann.

Podrecca hat das Hochhaus an eine Stelle gesetzt, die ihm städtebaulich besonders „heiß“ erschien: Es gibt eine Blickschneise zum Stephansdom, es gibt die Andeutung einer städtebaulichen Achse vom Donaukanal – und Podreccas Bau für die Basler Versicherung –bis zum Millennium-Tower. Letztere bedarf allerdings ohne Zweifel eines weiteren Ausbaus, damit sie wirklich nachvollziehbar wird.

Was die architektonische Durchbildung angeht, ist das Vorhaben schon sehr viel problematischer. Da nennt sich ein Projekt Millennium-Tower – und was steht dann da? Eine Wohnbebauung der konventionellen Art – man würde kein Wort darüber verlieren, wäre in diese Bebauung nicht auch das Hochhaus integriert. Und dann eben dieses Hochhaus. Es steht auf Stützen, die aus der Erde wachsen – sein „Fuß“ ist also nicht in irgendeinen Sockel verpackt –, es hat einen Schaft mit einer Glasfassade, und es hat darüber einen „Kopf“, bei dem der Glashaut noch eine Lamellenschicht vorgeschaltet ist.

Wie das Hochhaus aus der Erde wächst, auch wie es oben abschließt, das ist gelungen. Auch das Grundrißkonzept ist in Ordnung. Die Form des Hochhauses basiert auf zwei Kreisen, die einander überschneiden. Die Erschließung – es gibt zehn Lifte – und Nebenräume sowie Fluchtstiegen sind in den Kern eingerückt, an der donauabgewandten Seite, also Richtung Stadt, schiebt sich ein kantiger Block aus dem Gebäude heraus, der ein zusätzliches, großzügiges Raumangebot darstellt. Insofern ist das Hochhaus gelungen: Man kommt mit dem Lift irgendwo an, aber man sieht durch das Haus durch sowohl in Richtung Donau als auch in Richtung Stadt, man kann sich also immer orientieren.

Und das Konzept hält auch für den Verwerter etwas parat: Alle Flächen, die an der Fassade liegen, sind reine Nutzflächen, es gibt keine sekundäre Nutzung an der Fassade. Und Grundrisse und Erschließung sind so konzipiert, daß nicht nur in der Fläche vermietet werden kann, sondern daß auch Geschoße zusammengeschaltet werden können. Das sind Vorteile, die die Intelligenz der Lösung bezeugen.

Aber die trösten einen nicht über diese sehr bescheidene architektonische Gestalt hinweg. Podrecca wollte an der Schnittstelle der beiden Kreise, die die Hochhauskonfiguration bestimmen, eine Art Zippverschluß artikulieren. Hier sollten sich die Geschoße verzahnen wie an einer Naht.

Aber das hätte zusätzliche Kosten bedeutet, weil eine solche Lösung ein Mehr an Dämmung mit sich gebracht hätte. Jetzt wird die Naht durch eine spezielle Profillösung angedeutet, die allerdings nur ornamentalen Wert hat. Das hat nicht zuletzt damit zu tun, daß zu einem Preis gebaut wurde, der eigentlich unter der Gürtellinie liegt.

Gerade von einem ersten wirklichen Hochhaus in Wien hätte man sich innovative Lösungen gewünscht. Und man hätte sich gewünscht, daß es einen gewichtigeren öffentlichen Part übernimmt, als es mit seiner schlichten Büronutzung tut. Die Nutzflächen für die Öffentlichkeit sind viel zu gering veranschlagt, um hier wirklich ein neues – urbanes – Zentrum zu schaffen.

Worin liegt der Nutzen dieses Projekts? Wer gewinnt daran? Die Architekten bestimmt nicht. Auch die Baufirmen nicht, denn die mußten Dumpingpreise durchziehen, frei nach dem Motto: Dabeisein ist alles. Der Gewinner ist schlicht und einfach jener Mittzwanziger, der alle Flächen verwertet, die am Handelskai zur Verfügung stehen; da geht es um die Dimensionen einer kleinen Stadt. Und das bedeutet ungeschmälerten Gewinn in mehrfacher Millionenhöhe.

Spectrum, Sa., 1999.04.24



verknüpfte Bauwerke
Millennium-Tower

20. März 1999Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Vom Entziffern und Enträtseln

3,6 Kilo Frank Gehry und 500 Gramm Zaha Hadid, gewichtige Darstellungen von Gesamtwerken und schmale Dokumentationen einzelner Gebäude, prächtige Neuerscheinungen und kostbare Reprints: die Architekturbücher des Frühlings – ein Überblick.

3,6 Kilo Frank Gehry und 500 Gramm Zaha Hadid, gewichtige Darstellungen von Gesamtwerken und schmale Dokumentationen einzelner Gebäude, prächtige Neuerscheinungen und kostbare Reprints: die Architekturbücher des Frühlings – ein Überblick.

Die in jeder Hinsicht gewichtigste – 3,6 Kilogramm! – Neuerscheinung dieses Frühjahrs hat die Deutsche Verlags-Anstalt herausgebracht: Sie ist Frank Gehry gewidmet und enthält neben zwei aufschlußreichen Einleitungstexten von Francesco Dal Co und Kurt Forster eine ganz ausgezeichnete Dokumentation seines Gesamtwerks.

Der Pritzker- (und umstrittene Kiesler-) Preisträger Gehry zählt ja schon seit langem zu den schillernden „Leading figures“ der internationalen Architekturbühne. Sein bisheriges Opus magnum legte er mit dem Guggenheim Museum in Bilbao vor – dem übrigens vor gar nicht so langer Zeit eine eigene, ziemlich „überzogene“ Publikation gewidmet war, die der Hatje Verlag vertreibt.

Zum Unterschied von letzterer, die dazu angetan ist, daß man sich an den unzähligen Variationen und Details zum einen, einzigen Thema des Buches auch satt sieht, ist „Das Gesamtwerk“ eine ausgesprochen spannende Lektüre, weil es eine Entwicklung nachvollziehbar macht, die zwar in sich konsequent, die aber nicht frei von deutlichen Niveauschwankungen ist. Das liegt in der Natur der Sache: Kreative Entwicklungsarbeit, wie sie Gehry betreibt, schließt Brüche, manchmal sogar Formalismen ein, die hart an der Grenze zur Banalität verlaufen. Aber bekanntlich sind es nicht selten gerade die schwächeren Arbeiten, die besonders aufschlußreich sind, die ein an sich komplexes Konzept durchschaubar machen.

Die Deutsche Verlags-Anstalt hat noch ein zweites „Gesamtwerk“ herausgebracht, das auf einer inhaltlich verwandten Ebene angesiedelt ist: das von Zaha Hadid. Der Band ist ungleich bescheidener, was damit zu tun hat, daß Hadid zwar eine ganze Reihe graphisch super aufbereiteter Projekte zu zeigen hat, aber – abgesehen vom Feuerwehrhaus in Weil am Rhein und wenigen „Miniaturen“ – praktisch keine realisierten Arbeiten. Der Wohnbau für die IBA in Berlin kommt zwar auf zwei Doppelseiten vor, allerdings wurden dem so gravierende Veränderungen zwangsverordnet, daß von einer „echten“ Zaha Hadid eigentlich nicht mehr die Rede sein kann.

Entsprechend distanziert ist auch die Projektbeschreibung ausgefallen. Aaron Betsky be-kostbare sich redlich, die künstlerischen Intentionen von Zaha Hadid plausibel zu machen, die Begleittexte zu den einzelnen Arbeiten sind äußerst sachlich. Dadurch wird andererseits in so manchem Fall die Schwierigkeit besonders offenbar, diese ästhetisch unheimlich reizvolle Plangraphik, für die Hadid bekannt ist, wirklich zu „lesen“, zu entziffern, zu enträtseln.

Was die „internationalen Stars“ betrifft, sind in diesem Zusammenhang noch drei weitere Publikationen zu erwähnen; sie sind jeweils nur einem einzelnen Gebäude gewidmet, aber das macht sie nicht weniger interessant. Bei Birkhäuser sind Bände zum Konzertsaal von Jean Nouvel in Luzern und zum Ausstellungshaus für die Fondation Beyeler von Renzo Piano erschienen, Prestel hat eine Dokumentation zum Jüdischen Museum von Daniel Libeskind in Berlin herausgebracht. Alle drei sind aus unterschiedlichen Gründen empfehlenswert.

Nouvels Haus ist nicht nur aufregende Architektur, es ist auch insofern ein Vorzeigeprojekt, als sich daran nachweisen läßt, wie heute mit entsprechenden Marketingstrategien ein Kulturbau – und für die kleine Stadt Luzern ist der Konzertsaal ein sehr, sehr aufwendiger Kulturbau – einer breiten Öffentlichkeit gegenüber argumentiert werden kann. Pianos Ausstellungsgebäude mit seiner bemerkenswerten Tageslichtdecke ist ein wunderbares Beispiel für eine Architektur, die in den Naturraum eines Landschaftsparks hineinkomponiert ist, die Eigenwert beansprucht und die doch der Kunst großartige Räume zur Verfügung stellt.

Und Libeskind hat es in Berlin geschafft, die Masse der spektakulären (und zum Teil viel größeren) Neubauten weit hinter sich zu lassen. Es ist sein erster Bau, er hat eine überaus komplizierte, schwierige Entstehungsgeschichte hinter sich, aber das Ergebnis rechtfertigt die Hartnäckigkeit und die Kompromißlosigkeit des Architekten. Nirgendwo sonst läßt sich die Leere, der Gestalt gewordene abstrakte Raum unmittelbarer erfahren.

Zum Thema Kulturbauten muß man auch einen schmalen Band nennen, der im Verlag der Buchhandlung König erschienen ist. Er dokumentiert drei Projekte des Wiener/Berliner Architekturbüros Ortner &Ortner. Daß Laurids und Manfred Ortner in den letzten Jahren bei Wettbewerben international erfolgreich waren, hat man mehr en passant zur Kenntnis genommen. Der vorliegende Band führt vor, daß die Ortners auf dem Gebiet der Kulturbauten – neben Wien – auch noch in Zürich und Dresden Projekte in Arbeit haben, die jede Aufmerksamkeit verdienen. Dabei ist im weitesten Sinn allen drei Projekten – dem Theater- und Kulturzentrum für das Schauspielhaus Zürich, der Sächsischen Landesbibliothek in Dresden und dem Museumsquartier in Wien – etwas gemeinsam: Sie sind alle nicht für die grüne Wiese geplant, sie fügen sich in einen zwar jeweils unterschiedlichen, aber äußerst komplexen Bestand ein. Und sie tun das ungemein differenziert. Damit werden sie fast zu Lehrstücken, die die Möglichkeiten heutiger architektonischer Intervention demonstrieren.

Wem auch ein Blick in die Vergangenheit lohnend erscheint, dem könnte man, neben zwei „besonderen“ Bilderbüchern, vor allem den verdienstvollen Reprint von Adolf Behnes „Der moderne Zweckbau“ empfehlen, eine Art Fibel der Moderne, der allerdings eine wenig glückliche Geschichte beschieden war: Behne hat es 1923 niedergeschrieben, aber nicht gleich einen Verleger dafür gefunden, sodaß ihm Gropius mit seinem ersten Bauhaus-Buch, in dem zum Teil die gleichen Beispiele enthalten waren, zuvorkam. Der Wermutstropfen, der sich in die Freude darüber mischt, daß dieses ganz besondere Buch wieder erhältlich ist: Die Reprints der Werkkunst-Reihe des Gebrüder Mann Verlages sind unverhältnismäßig kostspielig.

Last, but not least die zwei erwähnten „Architektur-Bilderbücher“: Davon gibt es ja sehr viele – welche hebt man hervor? Ich würde meinen, der Band von Lewis W. Hine über das Empire State Building hat es verdient. Es ist das Buch eines Photographen, kein Architekturbuch im engen Sinn. Hines hat den Bau des Empire State Building dokumentiert, im Brennpunkt seines Objektivs war dabei aber nicht der Bau selbst, es waren die Menschen, die den Bau realisiert haben. Dabei sind Bilder entstanden, die unerhört subtile Beobachtungen in aufregendem Schwarzweißkontrast festschreiben, es gibt aber auch bestechend expressive, durch und durch artifizielle Bildkompositionen.

Das zweite „Bilderbuch“ist atmosphärisch vom ersten noch nicht einmal so weit entfernt, wie es zunächst den Anschein haben mag: Es heißt „The Metropolis of Tomorrow“ und enthält die visionären Zeichnungen von Hugh Ferriss. Sie sind wirklich grandios und nur jenen Bildern vergleichbar, wie sie gewisse utopische Hollywood-Produktionen auf die Leinwand werfen – „Blade Runner“, um nur ein Beispiel zu nennen. Unglaubliche Metropolen-Visionen (aber ganz ohne Menschen, nur an Architekturen festgemacht!), ver-rückt in die Unschärfe. Da sind alle Optionen auf die Zukunft völlig offen. Ferriss denkt gebaute Architektur in seinen Zeichnungen weiter. Das Ergebnis: Imaginationen von suggestiver Kraft. Ein Reprint der Sonderklasse, der erst seit kurzem wieder verfügbar ist.


Francesco Dal Co, Kurt Forster, Hadley Arnold Soutter
Frank O. Gehry – Das Gesamtwerk
592 S., geb., S 1314, ,€ 95,49
(Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart)

Zaha Hadid – Das Gesamtwerk
Mit einer Einführung von Aaron Betsky,
176 S., brosch., S 715, ,€ 51,96
(Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart)

Architekturgalerie Luzern (Hrsg.)
Jean Nouvel – Konzertsaal Luzern
Mit einemVorwort von Hubert Tonka,
112 S., brosch., S 424, € 30,81
(Birkhäuser Verlag, Basel)

Fondation Beyeler (Hrsg.)
Renzo Piano – Fondation Beyeler
144 S., geb., S 424, € 30,81
(Birkhäuser Verlag, Basel)

Daniel Libeskind – Jüdisches MuseumBerlin
Mit einemVorwort von Daniel Libeskind,
64 S., brosch., S 146, € 10,61
(Prestel Verlag, München)

Europäisches Design Depot, Klagenfurt (Hrsg.)
Ortner & Ortner: 3Bauten für europäische Kultur
92 S., Ln., S 496, € 36,05
(Verlag der BuchhandlungWalther König, Köln)

Adolf Behne
Der moderne Zweckbau
84 S., Ln., zahlreiche Abb. und Tafeln, 1445 S, € 105,01
(Gebrüder Mann Verlag, Berlin)

Freddy Langer (Hrsg.)
LewisW.Hine – The Empire State Building
96 S., geb., 496 S, € 36,05
(Prestel Verlag, München)

Hugh Ferriss
The Metropolis of Tomorrow
200 S., geb., S 497, € 36,12

Spectrum, Sa., 1999.03.20

27. Februar 1999Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Unter die Erde mit der Kunst!

Ein Ausstellungssaal und ein „kaltes“ Foyer: das war die Innsbrucker „Galerie im Taxispalais“ vor dem Umbau durch Hanno Schlögl. Heute präsentiert sie sich als großzügige, durchlässige Raumfolge, mit rigoroser Konsequenz bis in kleinste Details gestaltet.

Ein Ausstellungssaal und ein „kaltes“ Foyer: das war die Innsbrucker „Galerie im Taxispalais“ vor dem Umbau durch Hanno Schlögl. Heute präsentiert sie sich als großzügige, durchlässige Raumfolge, mit rigoroser Konsequenz bis in kleinste Details gestaltet.

An Bauten für (zeitgenössische) Kunst ist Innsbruck, ist Tirol nicht gerade reich. Immerhin stammen aber gleich zwei bemerkenswerte Umbauten, die dort in den vergangenen Jahren auf diesem Gebiet realisiert worden sind, von einem Architekten: Hanno Schlögl hat sowohl die Adaptierung des Salzlagers in Hall (Fertigstellung 1997) zu einem räumlich spannenden Ausstellungsund Veranstaltungsort umsetzen können als auch die Erweiterung und architektonische Neuordnung der eben erst eröffneten „Galerie im Taxispalais“ in Innsbruck.

Doch während der erstgenannten Arbeit, so gelungen sie baukünstlerisch ist, kein glückliches Schicksalbeschiedenzu seinscheint–weil kein lokaler Politiker hinterderEinrichtung einer Kunsthalle steht –, verspricht die Weichenstellung in Innsbruck eine erfolgreiche Zukunft. Allein schon, daß man sich mit Silvia Eiblmayr eine wirklich kompetente Leiterin für das Haus geholt hat, weckt berechtigte Erwartungen.

Die Situation, die zur Erweiterung und zum Umbau der Ausstellungsräume im Palais Taxis geführt hat, war übrigens tatsächlich „dringlich“. Denn eigentlich bestand die Taxisgalerie räumlich aus nicht viel mehr als einem „kalten“ Foyer, nämlich der Durchfahrt in den Hof, wo sehr viel früher Stallungen waren, und einem Ausstellungssaal. Das Foyer war mit Vitrinen vollgestellt, der Ausstellungssaal – 75 Quadratmeter groß und 1964 von Josef Lackner umgebaut – entsprach längst nicht mehr dem heute geforderten Standard an Ausstattung.

Das nach italienischen Palazzo-Vorbildern um1690 von Johann Martin Gumpp dem Älteren errichtete Gebäude hat eine bewegte Geschichte, die sich auch in Form sehr unterschiedlicher Um- und Einbauten im Gebäude selbst niederschlug. Damit räumte Hanno Schlögl radikal auf: Die Taxisgalerie, die man heute betritt, ist eine großzügige, durchlässige Raumfolge, zu der ein paar historische Architekturpartikel in reizvollem Kontrast stehen und die ihre Zweigeschoßigkeit atmosphärisch sehr wohltuend entfaltet.

An sich war das Projekt Taxisgalerie in einer – auch budgetär – kleineren Variante architektonisch schon in fester Hand. Erst heftige Tiroler Debatten erzwangen einen geladenen Wettbewerb. Wichtigste Forderung dieses Verfahrens: ein zusätzlicher großer Ausstellungs- und Mehrzwecksaal. Hanno Schlögl entschied dieses Verfahren für sich, weil er eine „Königsidee“ hatte: Er schlug nicht die naheliegende Lösung der Glasüberdachung des Hofes zwischen Palais Taxis und Landhaus vor, er legte vielmehr den neuen Saal im Hof unter die Erde.

Man sieht heute, wieviel diese Lösung gebracht hat. Wenn man sich den historischen Bestand mit seinem Balkon an der Hofseite genauer anschaut, wird ziemlich rasch klar, daß eine Verglasung hier immer eine gequälte Maßnahme gewesen wäre. Und man muß hinzufügen: Die gläserne Einhausung eines Innenhofes führt immer dazu, daß plötzlich aus Außenfassaden – für Ausstellungszwecke unbenützbare –Innenwände werden. Das heißt, im neuen Raum hätte man dann nur mit Stellwänden arbeiten können. Und das ist nie optimal. Schlögls Konzept überzeugt in seiner Schlichtheit und Konsequenz. Das beginnt schon beim Eingang, der früher eben nur ein Durchgang zum„kalten“ Foyer war. Schlögl wünschte sich ein Glasportal, dem Denkmalschutz war eine Altstadt-konforme Holztür lieber. Jetzt ist die Tür tatsächlich aus Glas, doch dahinter steht ein Eichenholzrahmen mit Flügeltüren, die während der Betriebszeiten in geöffneter Stellung arretiert sind. Viele Worte über eine kleine Maßnahme? Gewiß, aber es drückt sich genau in solchen Maßnahmen der Mehrwert baukünstlerischer Leistung aus. Das „Design“ dieses Eingangs ist nicht beliebig, es leitet sich von den Fensterläden her, die früher gang und gäbe waren. Dieser Portalentwurf ist also die spezifische Interpretation eines tradierten Motivs.

Das Foyer, in das man durch diesen signifikanten Eingang kommt, ist genaugenommen fünfschiffig. Das resultiert daraus, daß Schlögl die Substanz freigelegt hat. Und dabei kam neben eigenartigen Scheingewölben eine historische Schicht am Rand zutage, die als räumlicher Tatbestand einen eigenen Stellenwert behauptet. Der Boden dieses Foyers ist schräg. Das war er auf Grund des Geländeverlaufes immer. Jetzt ist die Steigung ein wenig dramatischer (aber durchaus verkraftbar), einfach weil hinten im Raum, wo es zum neuen Saal im Untergeschoß geht, in der Längsentwicklung etwas abgezwackt und einem neuen, zweigeschoßigen Bereich zugeschlagen wurde, der dem eingegrabenen, glasgedeckten Saal unter dem Hof vorgeschoben ist.

Die Raumfolge im Erdgeschoß der alten Substanz entwickelt sich logisch: In Nischen links und rechts vom Eingang, die sich aus den Umbaumaßnahmen ergeben haben, sind die Garderoben untergebracht. Links geht es in eine Abfolge von drei Ausstellungsräumen. Diese können durch Schiebewände abgeschlossen werden, sodaß die Möglichkeit besteht, hier auch kleinere Ausstellungen zu zeigen. Für diesen Fall gibt es einen zweiten Zugang, der im hinteren Bereich des Foyers, beim Café liegt. Letzteres ist zum Hof orientiert und wird sich im Sommer nach draußen öffnen.

Der dritte, ebenfalls zum Hof orientierte Ausstellungssaal hat übrigens – im Unterschied zu den anderen, nur künstlich belichteten Räumen – eine besondere Eigenheit. Schlögl führte eine „schwebende“, nämlich 15 Zentimeter vom Boden abgehobene Wand ein, so daß man den Hof und das Tageslicht in diesem Saal trotz seiner relativen Abgeschlossenheit immer spürt.

Rechter Hand ist im Zentrum des Foyers der Kassenbereich plaziert, hier geht es über einen Nebenausgang ins Treppenhaus des Palais, wo sich im Obergeschoß ein großer Barocksaal befindet, der so auch an die Galerie angeschlossen werden kann. Ebenfalls rechts liegen die Bibliothek, ein weiterer Ausstellungssaal und der Verwaltungsbereich.

Der Abgang ins untere, zweigeschoßige Foyer und zum neuen Saal hat durch den hinterleuchteten Glaskubus des Behindertenlifts einen deutlichen Akzent erhalten. Schlögl hat den neuen Saal mit seinem Glasdach wie einen Teich, wie ein Wasserbecken im Hof aufgefaßt. Die Glasfläche des Daches mußte – zum Leidwesen des Architekten – aus pragmatischen Gründen geringfügig bombiert sein, hat also einen leichten„Sattel“ und ist an beiden Längsseiten von Holzstegen gefaßt. An der Stirnseite zum Landhaus ragt eine Sichtbetonscheibe auf – insgesamt neun Meter hoch –, sodaß der Hof hier eine eindeutige Abgrenzung gegenüber dem Nachbarn Landhaus erfährt.

Die architektonische Qualität der neuen „Galerie im Taxispalais“ besteht nicht nur in der Sinnhaftigkeit ihres räumlichen Konzepts. Nein, die hat auch mit der rigorosen Konsequenz zu tun, die Schlögl in allen Gestaltungsdetails an den Tag legt. Er hat diesen Um- und Erweiterungsbau äußerst kostengünstig realisieren können: Einschließlich Einrichtung, Klimatechnik et cetera kostete der Bau nicht mehr als 37 Millionen Schilling; kaum zu glauben, wenn man etwa bedenkt, daß alle Holzeinbauten aus Eiche sind und im Foyer ein eher aufwendiger Steinboden liegt – graugrüner Schiefer.

Auch die Beleuchtungstechnik war ein gewichtiger Kostenpunkt. Schlögl konnte daher nur im Foyer eine maßgeschneiderte, äußerst elegante Lichtlösung einsetzen, während in den Ausstellungssälen selbst ein – modifiziertes – Fertigprodukt zum Einsatz kam. Preisgünstig, dabei von sehr angenehmer Materialqualität sind dort auch die Böden: ein Gußestrich, der angeschliffen und oberflächenbehandelt wurde. Alle Stahlteile haben einen sehr dunklen, fast schwarzen Eisenglimmer-Anstrich erhalten, auch die Rückwand beim Stiegenabgang zum unteren Saal ist so gefärbt.

Schlögl hat jedes „zeithaltige“ Gestaltungsdetail vermieden. Hier findet man nichts, was „typisch neunziger Jahre“ ist. Ein Lochblech als Brüstung war schon montiert, da ließ es der Architekt austauschen, weil ihm bewußt wurde, daß damit ein neues, womöglich modisches Element in den Bau eingeführt würde. Und das Mobiliar – vom Portalrahmen des Eingangs über Kassenbereich, Bibliothek, Café und Verwaltung –ist so minimiert wie nur möglich, aber auch hier nicht im modischen Sinn. Vielmehr muß man das Thema, das sich durch alle Maßnahmen Schlögls zieht, anders definieren: Kunst, diese besondere Ware, verlangt nach besonderen Räumen. Sie verlangt nach Räumen, die eine eigene baukünstlerische Qualität behaupten, die aber trotzdem Raum lassen, damit dieser nicht definierbare Stoff, aus dem Kunst gemacht ist, den entsprechenden Wirkungs(spiel)raum hat. Und das ist Schlögl ganz hervorragend gelungen.

Spectrum, Sa., 1999.02.27



verknüpfte Bauwerke
Umbau und Erweiterung - ´Galerie im Taxispalais´

06. Februar 1999Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Wo Finger in den Raum ragen

Glas, Aluminium und Schaltafel-Bretter - die Materialien sind so schlicht, wie die Gestaltung minuzös durchdacht ist: die Bibliothek des Grazer „Justizpalastes“ von Bettina Götz und Richard Mahnal.

Glas, Aluminium und Schaltafel-Bretter - die Materialien sind so schlicht, wie die Gestaltung minuzös durchdacht ist: die Bibliothek des Grazer „Justizpalastes“ von Bettina Götz und Richard Mahnal.

Der Grazer „Justizpalast“ – hier sind das Oberlandesgericht und das Landesgericht untergebracht – ist ein gewaltiger Kasten vom Ende des vergangenen Jahrhunderts, der schon einmal bessere Tage gesehen hat. Er hat Kriegsschäden hinnehmen müssen, er war aber auch einem kontinuierlichen Anwachsen des Justizapparates ausgesetzt. Das hat der ursprünglichen Gebäudestruktur nicht gutgetan. Die um einen Innenhof umlaufenden Gänge zum Beispiel waren auf drei Stockwerken abgemauert; es war dort jeweils ein Teil der Bibliothek untergebracht. Um es auf den Punkt zu bringen: Das ursprüngliche Konzept des Gebäudes hat nicht mehr wirklich funktioniert.

Als Artec – das sind Bettina Götz und Richard Manahl – mit der Aufgabe konfrontiert wurden, hier eine neue Bibliothek einzurichten, war dann auch das erste, was ihnen bei der Gebäudebegehung auffiel, die fundamentale Notwendigkeit der Neuorganisation innerhalb des Bauwerks. Immerhin – für diesen Vorschlag fanden sie offene Ohren, und in derFolge war es möglich, die 4,80 Meter hohe Beletage soweit freizubekommen, daß eine zentrale Bibliothek eingerichtet werden konnte.

Aber dabei allein ist es nicht geblieben, denn wenn man jetzt das Grazer Gerichtsgebäude betritt, dann ist man schon im hohen klassizistischen Foyer mit einem ersten deutlichen Hinweis konfrontiert, daß hier eine zeitgenössische Intervention stattgefunden hat. Quer durch den Raum zieht sich nämlich eine neue Schicht, gläsern, transparent, die in der Höhe gerade so dimensioniert ist, daß der Raum in seiner Gesamtwirkung keinen Schaden nimmt. Diese neue Raumschicht löst verschiedene Probleme: Sie nimmt den kontrollierten Ein und Ausgang für die Beschäftigten auf, sie enthält den Sicherheitszugang für die Besucher, und vor allem schafft sie auch für das Personal ein erträgliches, nicht länger zugiges, kaltes Raumklima.

Übrigens wird man schon hier ein erstes Mal mit der Materialsprache konfrontiert, für die sich Artec bei allen im Gebäude realisierten Eingriffen entschieden haben. Quer durch den Raum ist ein Stahlträger gespannt, der breit genug ist, daß auch ein Kabelkanal darin Platz gefunden hat; und der Sicherheitsschranken – ein an sich abstoßend häßliches Fertigprodukt – ist in einem minimierten Kleid aus Betonschalplatten verborgen, aus denen auch anderes Mobiliar im Haus gefertigt wurde.

Wenn man weitergeht, trifft man auf der Ebene des Hochparterres auf eine zweite Intervention von Artec. Hier wurden im Vorfeld der Verhandlungssäle Arbeitsplätze für Praktikanten gebraucht. Die umlaufenden Gänge des Bestands haben dabei eine Breite, die es ohne weiteres erlaubte, einen Einbau vorzunehmen, ohne daß die Durchgängigkeit der Substanz davon beeinträchtigt wurde. Daher haben Artec an die Südfassade zum Hof ein gegliedertes langes Einbauelement gestellt, bei dem sich Arbeitsplatz an Arbeitsplatz reiht, fast wie die Abteile eines Zuges. Die Wand zum Gang – mit Schiebetüren–wird durch raumbildende, tiefe Spinde, in denen die Praktikanten ihre Unterlagen versperren können, formuliert.

Die Bibliothek selbst liegt im Geschoß darüber und drückt sich im Gang durch eine vorgeschobene gläserne Schicht aus, die aus zwölf zwei Meter langen Glastafelnbesteht,also24 Meter lang ist. An einem Verwaltungsbereich vorbei kommt man unter der neu eingeführten Galerie in den hohen, von allen Zwischenwänden befreiten Raum hinein. Die Bibliotheksregale schauen wie Finger in den Raum,ein Lesepult mit Ablagefläche ist zwischen die tragende Innenmauer und diese Regale geschoben, sodaß der Raum in seiner gesamten Länge nachvollziehbar und überschaubar ist. Über diesen Lesepulten hat sich eine gelochte Holzdecke – wie alle Holzeinbauten aus Betonschaltafeln – inzwischen als sinnvolle akustische Maßnahme herausgestellt.

An der Fensterfront nach Norden sind zwischen den Fenstern Computerarbeitsplätze angeordnet. Das Mobiliar dafür haben Artec selbst entwickelt, aus den genannten Schaltafeln, sichtbar verschraubt – sehr ein fach, sehr praktikabel und daher sehr überzeugend.

Natürlich hat die zweigeschoßige Lösung im 4,80 Meter hohen Raum einer sorgfältigen Planung bedurft. Denn so ganz einfach ist es ja nicht, mit einer solchen Raumhöhe auszukommen. Also ging es darum, einen Galerieaufbau zu entwickeln, der so wenig wie möglich von der Raumhöhe wegnahm. Die Stahlträger, die sich jetzt über die gesamte Raumtiefe spannen, sind daher besonders minimiert. Sie sind nur zehn Zentimeter hoch, sodaß man eigentlich nicht sagen kann, daß sie eine neue Ebene in den Raum einführen.

Oben, auf der Galerie, zieht sich nahezu über die volle Länge des Raums ein Lesetisch, der zur Nordfassade mit den Fenstern orientiert ist. Die Bücherregale belasten den Galerieeinbau nicht; auf der Galerie sind sie abgehängt. Das System, das Artec für die Bibliotheksschränke entwickelt haben, ist dabei in seiner durchdachten Schlichtheit bestechend.

Man könnte sagen, es besteht aus Aluminiumwannen, in die entsprechend dimensionierte Bretter aus den Schaltafeln eingeschoben sind. Und die Front ist durch Glasschiebeelemente verschlossen. Das ist wirklich simpel, aber ungemein elegant und sehr praktikabel. So eine Bibliothek möchte man auch zu Hause haben.

Artec haben vorausgedacht: Denn sie haben nicht einfach nur Bücherschränke aufgestellt, sie haben jede Möglichkeit genützt, um langfristig Platz zu schaffen, sie haben ein Entwicklungspotential eingeplant.

Was allerdings nur durch Schiebeelemente möglich war, und die wiederum verlangten eine minuziöse Umsetzung. Denn schieben läßt sich etwas, das noch dazu so gewichtig ist wie Bücher, nur, wenn es wirklich exakt horizontal verläuft. Und das ist in einem Altbau mit einem gewissen Aufwand und gegebenenfalls mit Nachrüstung verbunden. Darauf wurde viel Sorgfalt verwandt.

Insgesamt muß man jedenfalls wieder einmal resümieren: Für den Architekten selbst ist eine Neuplanung zweifellos befriedigender als die funktionell erzwungene Adaptierung bestehender Substanz. Andererseits: Wenn aus der räumlichen Not – wie in Graz –eine Tugend wird, wenn muffige, dunkle Räume zu einer überraschend großzügigen Lösung mutieren, dann wird sehr einleuchtend manifest, was Architektur vermag.

Und es wird manifest, daß sie keine ästhetische, bloß formale Spielerei ist, sondern vor allem eine Frage von inhaltlichen Konzepten.

Spectrum, Sa., 1999.02.06



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Oberlandesgericht Graz - Zentralbibliothek

30. Januar 1999Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Was auf den Teller kommt

Die Vorgaben waren rigoros, die Ansprüche hoch: Im Palmenhaus des Wiener Burggartens war ein vielseitig bespielbares Lokal auszustatten. Die Gestaltung durch Eichinger oder Knechtl setzt Maßstäbe für die Adaptierung von Räumen dieses Formats.

Die Vorgaben waren rigoros, die Ansprüche hoch: Im Palmenhaus des Wiener Burggartens war ein vielseitig bespielbares Lokal auszustatten. Die Gestaltung durch Eichinger oder Knechtl setzt Maßstäbe für die Adaptierung von Räumen dieses Formats.

Am Palmenhaus des Friedrich Ohmann (1901 bis 1907 erbaut) im Wiener Burggarten ist man jahrzehntelang vorbeigegangen und dachte sich: Was für ein wunderbares Gebäude! Und: Ein Jammer, daß nichts damit geschieht. Das hat sich nun geändert. Denn inzwischen wurde es unter den kritischen Augen des Denkmalamtes von Herbert Prehsler renoviert.

Es ist nicht alles optimal gelungen: Zum Beispiel das Design des Windfangs des neuen Lokals, dessen Standort jetzt in den Mitteltrakt verlegt ist. Als dessen Betreiber Eichinger oder Knechtl mit der Ausstattung beauftragte, war der Raum schon mit allen Einrichtungen und Installationen, die ein Restaurantbetrieb braucht, ausgestattet: Das gilt nicht nur für den Windfang, sondern auch für den hellen Natursteinboden, für die Position der Küche, den WC-Abgang und die Ausstattung der WC-Anlagen, für Lüftung und Heizung. Im Grunde hatten sich Gregor Eichinger und Christian Knechtl also auf die – nennen wir es: Benutzeroberflächen für den Gast zu konzentrieren.

Vom Programm her ist das Lokal höchst vielschichtig konzipiert. Da das Glashaus an einer touristischen „Hauptverkehrsader“ liegt – auf dem Weg von der Oper zur Hofburg –, geht es schon vormittags los. Hier kann man daher frühstücken und mittagessen, nachmittags gibt es Kaffeehausbetrieb, abends Essen – wobei besonderer Wert auf ein spezielles Weinangebot gelegt wird –, nachts Barbetrieb, gelegentlich sogar mit DJ und zeitgenössischer Musik.

Obendrein soll das Lokal als Veranstaltungsort etabliert werden: etwa für Modeschauen. Und in der warmen Jahreszeit wird zu den150 Sitzplätzen im Glashaus noch ein gewaltiger Terrassenbetrieb hinzukommen, der sich nicht nur auf dem Niveau des Ohmann-Baus, sondern auch unten, auf der Ebene des Burggartens, abspielen wird und sage und schreibe 500 Sitzplätze umfassen soll.

Eigentlich würden diese unterschiedlichen Nutzungen nach entsprechend differenzierten „Milieus“ verlangen. Ein Kaffeehaus, ein anspruchsvolles Restaurant und eine Bar unter einen Hut zu bringen ist keine Kleinigkeit. Doch Eichinger oder Knechtl sind erfahrene Lokalarchitekten. Sie haben Restaurants, Kaffeehäuser, Bars gemacht, „Szenelokale“ gewissermaßen, und daher haben sie diese Gratwanderung auch mit Bravour absolviert. Funktionen wie Bar und Küche wurden an der (massiven) Rückwand des Glashauses angelagert, der Sitzbereich für die Gäste ist zwischen Glashaut und der Mittelachse des Bauwerks situiert, und dazwischen ist soviel Platz frei, daß man auch eine Modeschau durchführen kann. Wobei der linke Seitentrakt, in den die Schmetterlinge aus Schönbrunn Einzug gehalten haben,zwar tabu bleibt, der rechte aber, wo derzeit eine Fülle von Topfpflanzen überwintert, in der wärmeren Jahreszeit leer steht und bei solchen spezifischen Veranstaltungen mitbenützt werden könnte. Übrigens kommt diese Vorgabe, so einschränkend sie auf den ersten Blick sein mag, dem gesamten Raumklima eindeutig zugute. Denn die Möblierung wirkt dadurch sparsam, man hat nirgendwo das Gefühl, daß die Raumausnutzung auf die Spitze getrieben ist.

Eichinger oder Knechtl haben die Küche selbst offen konzipiert, nur ein funktionell notwendiger Zusatzbereich ist abgeschirmt. Ihm ist eine Stiege hinauf in eine neu eingeführte Ebene vorgelagert, auf der sich das kleine Büro des Betreibers befindet – eine Art Cockpit, von dem aus man den gesamten Mitteltrakt überblickt. Das schildartige Element, hinter dem sich der Zugang zum Küchenbereich und die Treppe verbergen, ist aus mattiertem Glas.

Die Bar mißt ungefähr acht Meter. Sie hat eine Art „Handlauf“, der abgehoben ist, auf den man sich aber sehr gut stützen kann – er ist sozusagen „körpergerecht“ konzipiert–,während man die Gläser auf dem Niveau der Arbeitsfläche des Barkeepers abstellt.

Hinter der Bar gibt es offene Regale mit Flaschen, wie das so üblich ist, es gibt aber vor allem auch gekühlte Vitrinen (mit Glastüren),in denen unter anderem die edlen Weißen verwahrt werden, die die Weinkarte bietet. Außerdem findet sich an der „massiven“ Gebäuderückwand noch ein beigefarbener, teflonbeschichteter Gitterscreen, der so durchscheinend ist, daß selbst das Denkmalamt nicht bemängeln konnte, daß er den Blick auf die historische Substanz verstellt. Er ist andererseits so funktionstauglich, daß man darauf projizieren kann. Nächtens, bei Barbetrieb, wirft derzeit ein einzelner Projektor Künstlervideos auf diesen Schirm; geplant ist eine Bespielung des gesamten Screens mit drei Projektoren.

Tische und Sessel sind, wie gesagt, locker gruppiert. Die Sessel stammen aus Italien, ein Serienprodukt, das einfach, aber bequem ist und das es derzeit praktisch noch nicht auf dem Markt gibt. Eichinger oder Knechtl haben die erste Serie dieses Produkts beauftragt, eine zweite ging nach Neuseeland; erst jetzt wird die Produktion wieder aufgenommen. Die Tische sind ein Entwurf von Eichinger oder Knechtl selbst. „Dabei“, sagt Gregor Eichinger, „sind wir kein Risiko eingegangen. Wir haben an die zehn Lokale in Wien exakt vermessen und gescannt, einschließlich traditioneller Vorstadtlokale, und dann erst – selbstverständlich unter Berücksichtigung der Tellergrößen – die exakte Dimensionierung der Tische festgelegt.“

Jetzt sitzt man jedenfalls sehr angenehm dort, man ist nicht zu weit voneinander entfernt, um auch intime Gespräche zu führen, man hat aber auch nicht zu wenig Platz. Solche Dinge tragen wesentlich zur funktionellen Qualität eines Lokals bei. Ebenso wie die Belichtung: Besonders in einem eher anspruchsvollen Restaurant will man sehen, was man auf dem Teller hat. Andererseits will man aber nicht in einem gleichmäßig ausgeleuchteten Raum sitzen, denn das widerspricht der Individualität des jeweiligen Tisches.

Mit dem Licht hat Gregor Eichinger so seine Erfahrungen: Er kenne ein Lokal, in dem in zwei Räumen unterschiedliche Belichtungssysteme eingesetzt wurden. In bei den Räumen wurde das gleiche Essen serviert. Dort, wo die Raumbeleuchtung gleichmäßig diffus gewesen sei, sei es immer wieder zu Reklamationen gekommen; dort, wo der einzelne Tisch ausgeleuchtet worden sei, habe alles bestens funktioniert.

Eine Lektion, der man im Palmenhaus nur unter extrem erschwerten Bedingungen Folge leisten kann. Denn der Raum mißt in der Höhe immerhin 15 Meter, und das bedeutet, daß für eine intime, aber effiziente Tischbeleuchtung sehr viel Licht benötigt wird. Gregor Eichinger meint, daß dieses Problem noch nicht optimal gelöst sei. Tatsächlich fühlt man sich aber ausgesprochen wohl. Und die Tatsache, daß auf Tage hinaus im Palmenhaus kein Tisch zu bekommen ist, dürfte das wohl bestätigen.

Räume, wie sie der Ohmann-Bau bietet, haben internationales Format. In Wien tendiert man dazu, dieses auch anderweitig reichlich vorhandene Potential zu vernachlässigen. Dem Burggarten-Lokal kommt bei der Behebung dieses Mankos möglicherweise Schrittmacherfunktion zu. Das gilt besonders im Hinblick auf den Terrassenbetrieb: Denn da braucht nicht um 22 Uhr Ruhe zu sein, er liegt schließlich in einem Park und weitab von jedem Wohnviertel, und da ist dann auch genügend Platz, um sich an einem spektakulären Ort zu verabreden, wo man aber nicht notwendigerweise zuvor einen Tisch reservieren muß, weil einfach so viele Sitzplätze da sind. Einer Großstadt steht das wohl an.

Eichinger oder Knechtl sind mit dem Palmenhaus souverän umgegangen. Tatsächlich gibt es hier ja nur sieben Palmen. Und die wachsen aus recht unschönen Töpfen. Aber natürlich mußten sie einbezogen werden. Das ist in der Hülle eines„technischen“ Möbels geschehen, das die Töpfe verbirgt, das gleichzeitig elektrische Installationen sowie die sogenannten Kellnerstationen beinhaltet und das obendrein eine starke Lichtquelle enthält, das die jeweilige Palme ausleuchtet.

Offen bleibt die Frage, wie sich das Palmenhaus im Sommer bewähren wird. Die Glashaut ist beschattbar, die Laternen und die Glasfront kann man öffnen, es wird – möglicherweise – ein Sog entstehen, der die heiße Luft nach oben abtransportiert. Ganz abgesehen davon, daß man in der wärmeren Jahreszeit natürlich draußen sitzen wird. Trotzdem: Erprobt ist das alles nicht. Denn als Eichinger oder Knechtl mit ihrer Planung begonnen haben, war das Glashaus vollständig eingerüstet. Und bis sie den Auftrag in der Tasche hatten, war räumlich und von den Installationen her das meiste vorgegeben.

Wie auch immer. Der Raum ist 15 Meter hoch und kann viel verkraften. Und was die rigorosen Ansprüche und Vorgaben betrifft, muß man einfach konstatieren: Eichinger oder Knechtl wissen Bescheid. Selbst wenn es um ein sehr spezifisches Programm geht: Auch sie können viel verkraften.

Spectrum, Sa., 1999.01.30



verknüpfte Bauwerke
Café im Palmenhaus

19. Dezember 1998Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Was in Lienz der Fall ist

Lienz, Osttirol. Im Neubau der Wirtschaftskammer-Bezirksstelle sind unterzubringen: Büros, Schulungs- und Seminarräume und ein großer Festsaal. Wie Renate Benedikter-Fuchs und Karlheinz Peer alles in einer „Schachtel“ organisiert haben, ist beispielhaft.

Lienz, Osttirol. Im Neubau der Wirtschaftskammer-Bezirksstelle sind unterzubringen: Büros, Schulungs- und Seminarräume und ein großer Festsaal. Wie Renate Benedikter-Fuchs und Karlheinz Peer alles in einer „Schachtel“ organisiert haben, ist beispielhaft.

Aus architektonischer oder auch aus einer an Gestaltung interessierten Perspektive hat man in aller Regel seine Schwierigkeiten damit, wie sich die österreichische Wirtschaft nach außen präsentiert: Das fängt bei Ausstellungen oder Messeauftritten an und hat hoffentlich beim letzten österreichischen Weltausstellungsbeitrag aufgehört, auf dem untersten Qualitätslevel zu passieren.

Unter diesen Vorzeichen betrachtet, muß man beinahe von einem Glücksfall reden, wenn es einmal gelingt, daß ein - schon von seinen Dimensionen her - repräsentativer Bau der Österreichischen Wirtschaftskammer architektonisch Maßstäbe setzt. In Lienz ist das der Fall. Dort hat die Wirtschaftskammer Tirol ein ausgesprochen beispielhaftes Gebäude für seine Osttiroler Bezirksstelle realisiert.

Am Anfang war ein Wettbewerb, und den haben die Innsbrucker Architekten Renate Benedikter-Fuchs und Karlheinz Peer gewonnen. Der Schauplatz liegt, übrigens gar nicht weit entfernt vom architektonisch ebenfalls bemerkenswerten Dolomitenstadion von Peter Jungmann, an einer Geländekante nahe der Drau.

Das Haus ist ziemlich groß, obwohl das, was heute dasteht, schon eine deutlich verkleinerte Version dessen ist, was ursprünglich im Wettbewerb gefragt war. Es ist lang hingestreckt an der Geländekante plaziert, und es hat wieder einmal die Form einer Schachtel. Zugegeben, bald kann man sie schon nicht mehr sehen, diese Schachteln, vor allem die mit den Holzlattungen nicht. Im vorliegenden Fall handelt es sich aber um eine „raffinierte“ Schachtel, eine verräumlichte, eine plastisch durchgebildete. Und das merkt man gleich, wenn man sich über den großzügig angelegten, sehr klar gestalteten Vorplatz dem Gebäude nähert. Unten drunter ist bis etwa zur Hälfte ein geschoßhoher Körper geschoben, der zwar tatsächlich eine Fassade aus Lärchenholzlatten hat, aber die beiden Geschoße darüber setzen durch ihre Eternit-Stülpschalung und die Alulamellenhaut vor den großen verglasten Teilen doch einen reizvollen Akzent, sie sorgen für ein durchaus spannendes Fassadenbild.

Außerdem weist die Differenzierung in der Erdgeschoßzone - eine verglaste, hinter die Stützenreihe zurückverlegte Zone, dann der wie untergeschobene Baukörper mit den Holzlatten - dem Besucher den Weg zum Haupteingang.

Benedikter-Fuchs und Peer haben bei der Organisation des Hauses großes Geschick bewiesen. Denn gefordert waren nicht nur Büros, Besprechungs-, Schulungs- und Seminarräume, gefordert war auch ein großer, repräsentativer Festsaal. Die Architekten sind aber nicht der Versuchung erlegen, diesen Festsaal als zentrales räumliches Ereignis aufzufassen und in den Vordergrund zu rücken. Dabei ist dieser Raum groß, technisch bestens ausgestattet, und er kann sich auch in gestalterischer Hinsicht sehen lassen, aber er liegt doch - im Obergeschoß.

Die Thematik, die den Besucher gewissermaßen „empfängt“, ist dennoch alltäglicherer Art: Sie signalisiert, daß hier gearbeitet wird. Dieses Konzept - nicht die repräsentativen Inhalte in den Vordergrund zu rücken, sondern die tagtäglichen Aufgaben der Kammer - war sicher auch im Wettbewerb ein entscheidendes Argument, das für die Lösung von Benedikter-Fuchs und Peer gesprochen hat. Schließlich geht es in einem solchen Haus um Arbeit, um „Dienstleistung“.

Und das sieht man jetzt auch schon von außen, wenn man zum Haupteingang geht. Denn man sieht in die Büros hinein. Das Foyer ist dann allerdings überaus großzügig und elegant formuliert, auch räumlich sehr reizvoll. Unter einer Galerie hindurch kommt man in einen zweigeschoßigen Raum, der durchaus zu beeindrucken vermag: Sichtbeton, Glas, Holz dominieren die Szene, eine schöne Arbeit von Ernst Trawöger setzt einen zusätzlichen Akzent.

Dieses Foyer fungiert für das gesamte Haus gewissermaßen als Drehscheibe, es hat Verteilerfunktion. Man kann sich auf Anhieb orientieren. Der betonierte Stiegenhausturm, der als eigener Körper „eingestellt“ ist, setzt sich mit seiner rauhen Bretterschalung von den glatteren Sichtbetonwänden und -decken reizvoll ab, der Durchgang zu den Büros ist diskret ausgewiesen.

Benedikter-Fuchs und Peer haben sich besonders bei den Materialien rigorose Selbstbeschränkung auferlegt. Sie kommen mit wenig aus, aber das ist dafür sehr sinnvoll eingesetzt und jeweils von höchster Qualität. Der Sichtbeton zum Beispiel: Er dominiert das Haus sehr weitgehend - von den Wänden bis zu den Massivdecken. Andererseits wurde aber auch mit Holz nicht gespart: Es ist durchwegs Eiche und kommt in Form gelochter Wand- und Deckenbekleidungen vor, teilweise als Parkett auf Boden, zum Beispiel aber auch an der Innenseite der Fensterrahmen im Eternit-verkleideten Fassadenteil.

Denn gewisse spielerische Feinheiten im Umgang mit den Materialien haben sich die Architekten dann doch nicht versagt. Daher sind die Fenster in jenen Bereichen, wo der Fassade eine Alulamellenhaut vorgespannt ist, aus Aluminium, während sie in der Eternitfassade nur außen aus Aluminium sind, innen sind sie, wie gesagt, aus Holz.

Die Ausstattung des Hauses ist in gestalterischer Hinsicht bemerkenswert. In den halböffentlichen Bereichen etwa liegt auf dem Boden ein besonders schöner, grauer Sandstein, daneben gibt es auch Teppichböden und Industrieparkett. Auch die Einbauten und das bewegliche Mobiliar sind von ausgesuchter Eleganz und angenehmer Einheitlichkeit, sogar bis hin zum Detail der Heizkörper.

Man kommt zwar wieder einmal nicht umhin festzustellen, daß sich die Nutzer selbst nach wie vor schwer mit dem Sichtbeton tun - er wurde in einem Büro ohne Wissen der Architekten verspachtelt.

Offenbar sind die Image-Schwierigkeiten dieses Materials noch lang nicht korrigiert. Andererseits haben die Architekten den Nutzern aber nichts zugemutet, was nicht bei einigem guten Willen und einer offenen, unvoreingenommenen Haltung verkraftbar wäre. Und in Wirklichkeit sind ja durchaus auch die sogenannten „warmen“ Materialien nicht zu knapp präsent.

Eine eigene Anmerkung ist die Hausmeisterwohnung wert. Sie ist an einem Ende des Gebäudes situiert und insofern interessant, als sie zwar nur einen kleinen Teil der Grundfläche in Anspruch nimmt, dafür aber den gesamten Gebäudequerschnitt. Man könnte auch sagen, sie ist als Reihenhaus konzipiert, das sich über alle Geschoße erstreckt - einschließlich eines Terrassen- und Gartenanteils. Denn das Haus hat in einem Teilbereich auch eine Terrasse: Diese schaut nach Süden, zum Garten beziehungsweise Richtung Drau, und macht die landschaftlich reizvolle Situation für die Nutzer unmittelbar erlebbar.

An dieser Gebäudeseite wird dann auch deutlich, wie die Architekten mit der Geländekante umgegangen sind. Sie haben den Baukörper nämlich so plaziert, daß unter der auf Platzniveau verlaufenden Terrasse noch ein zusätzliches, natürlich belichtetes Geschoß untergebracht werden konnte.

An der Südfassade ist das Haus überdies sehr weitgehend geöffnet, wobei den großen Glasbändern der beiden Obergeschoße wiederum Alulamellen vorgeschaltet sind, die als Beschattungselemente dienen und außerdem das Licht gleichmäßig streuen.

Es gab eine Wettbewerbsauflage, die den Architekten schmerzliches Kopfzerbrechen bereitet hat: Das Haus mußte unbedingt ein Satteldach aufweisen. Und das paßt zu einer solchen Gebäudekonfiguration natürlich nicht ideal, ein Flachdach hätte dem Zuschnitt, den Proportionen des Hauses besser entsprochen. Aber auch in diesem Punkt haben die Architekten Geschick bewiesen. Ihr Satteldach ist so flach ausgefallen, daß man es praktisch nicht als solches wahrnimmt, wenn man das Haus frontal anschaut. Man muß den Blickwinkel schon bewußt suchen, aus dem das Satteldach tatsächlich sichtbar wird.

Wie gesagt, das Haus ist ein Glücksfall. Das wird einem besonders bewußt, wenn man die unmittelbare Umgebung betrachtet. Denn gleich daneben ist fast zeitgleich ebenfalls ein Neubau entstanden, ein Verwaltungsbau, der mit seiner üblen Allerweltsarchitektur jeder Beschreibung spottet.

Überhaupt muß man in Lienz die architektonisch bemerkenswerten Gebäude vorläufig noch suchen. Von ein paar schönen Einfamilienhäusern und ganz wenigen Wohnbauten abgesehen, reichen die Finger einer Hand aus, um sie aufzuzählen: Da gibt es die Bank von Raimund Abraham auf dem Hauptplatz, einen M-Preis-Markt von Wolfgang Pöschl, das Dolomitenstadion von Peter Jungmann und jetzt auch die Wirtschaftskammer-Bezirksstelle Osttirol.

Das ist nicht viel. Andererseits ist gerade mit letzterer ein architektonischer Beitrag entstanden, dem schon allein von seiner Größe her, aber natürlich auch auf Grund der Bedeutung der Institution, besonderes Gewicht zukommt. Dem Vernehmen nach waren es dabei nicht die Lienzer selbst, die diesen Schritt in die richtige Richtung konsequent vorangetrieben haben, sondern es war vor allem der Innsbrucker Bauherr, die Wirtschaftskammer Tirol.

Das zeigt eben wieder einmal, wie sehr es in der Architektur auf einen durchschlagskräftigen, engagierten Auftraggeber ankommt. Wenn man den trifft, dann wird Beispielhaftes möglich.

Spectrum, Sa., 1998.12.19



verknüpfte Bauwerke
Wirtschaftskammer Tirol

28. November 1998Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Geräuschlose 800 Kilogramm

Cool, lässig, großstädtisch, durchlässig: die zwei Ebenen des „Guess-Clubs“ von Markus und Kinayeh Geiswinkler. Selten wurde der Innen-außen-Bezug so scharf in Szene gesetzt wie bei dem neuen Lokal in Wien-Mariahilf.

Cool, lässig, großstädtisch, durchlässig: die zwei Ebenen des „Guess-Clubs“ von Markus und Kinayeh Geiswinkler. Selten wurde der Innen-außen-Bezug so scharf in Szene gesetzt wie bei dem neuen Lokal in Wien-Mariahilf.

Was einem beim Anblick des „Guess-Clubs“ in der Wiener Kaunitzgasse in den Sinn kommt, das sind zeitgeistig-urbane Schlagworte: Coolness, großstädtisches Nomadentum, Vernetzung, Kommunikation, virtuelle Bilder, Geschwindigkeit . . . Aber die Arbeit von Markus und Kinayeh Geiswinkler hält mehr parat.
Der „Guess-Club“ befindet sich in einem Gründerzeithaus aus dem Jahr 1872 mit herkömmlicher Lochfassade, allerdings auf einem Terrain, dem eine gewisse Eigenart innewohnt: Das Haus steht auf der Geländekante zum Wiental hinunter, eine Stiegenanlage mit denkmalgeschütztem Mauerwerk (Otto Wagner) überwindet diesen Geländesprung. Wohlgemerkt, von einem Lokal ist die Rede. Von einem „urbanen“ Lokal. Einem, wo sich seit der Eröffnung ein Publikum festsetzt, das mit banaler („Erlebnis“-)Dekoration allein kaum zu ködern wäre.

Und doch muß man sagen, daß die Botschaft, die der „Guess-Club“ in das städtische Umfeld morst, nicht etwa einem Geheimcode unterliegt, sie ist für jedermann auf Anhieb zu entschlüsseln: Was hier signalisiert wird, hat mit Offenheit zu tun, mit dem kommunikativen Austausch zwischen draußen und drinnen, mit einem lässigen, ganz unprätentiösen Selbstverständnis. Daran sind die Architekten nicht „unschuldig“.

Der „Guess-Club“ erstreckt sich über zwei Ebenen und hat folgerichtig zwei Eingänge. Oben geht es in die Bar, unten, am Fuß der Treppe, ins Restaurant. Intern sind beide Ebenen natürlich ebenfalls verbunden, können im Fall spezieller Veranstaltungen in der Bar aber problemlos getrennt werden. Zur Stadt hin blickt ein gewaltiges Schaufenster - acht mal fünf Meter - , das beide Ebenen einsehbar macht. Es ist zweigeteilt und läßt sich im Barbereich aufschieben: Mit Hilfe eines Elektromotors fahren die 800 Kilogramm Glas der oberen Scheibe geräuschlos hinunter.

Im Barbereich selbst ist die solcherart gewollte städtische Schlucht nur durch eine Glasbrüstung ohne Handlauf konterkariert, von weitem teilt sich diese notwendige Sicherheitsmaßnahme also gar nicht mit. Da steht man und schaut verwundert, auch ein wenig irritiert hinüber, und man fragt sich: Ja, darf denn das sein? Das vorrangige Thema ist damit aber klar definiert: Der Innen-außen-Bezug wurde hier mit ungewöhnlicher Schärfe in Szene gesetzt.

Die Geiswinklers hatten bei diesem Bau mit vielen Schwierigkeiten zu kämpfen. Allen voran: Wie reagiert ein gründerzeitliches Ziegelmauerwerk, wenn man es entkernt? Man ist schrittweise vorgegangen: Es wurde entkernt, es wurde abgefangen, es wurde weiter entkernt, und es wurde weiter abgefangen. Jetzt stecken in der Decke ungefähr 40.000 Kilogramm Stahl, und im oberen Bereich zeugt die Position des Barbereichs mit seinem elliptischen Kern noch vom konstruktiv nicht wegzubringenden Restbestand der alten Mittelmauer.

Die Bar ist schlicht schön: hinterleuchtetes Glas, vie- le Flaschen, angenehm für jedes Auge. Der große, durchlässige Raum wurde geradezu leger behandelt. Sehr dunkler Kunststein auf dem Boden, ein metallisches Gittergeflecht an der Decke, schwarzer Granit an der Bar. Und Glas in allen Variationen: als hinterleuchtete Milchglasscheiben, als durchsichtige Screens, als dunkles, fast schwarzes Plexiglas-Kleid und als schwarze Wand, die gleichzeitig Projektionsfläche ist. Denn das ist das Besondere dieser Bar: Sie treibt mit den technologischen Möglichkeiten von heute ihr Spiel.

Da wird einerseits dem Besucher die Möglichkeit geboten, zum Drink aktiv im Internet zu surfen, er kann aber auch unversehens passiv zum Gegenstand eines Medienspektakels werden: Versteckte Kameras filmen das Geschehen in der Bar, auf der schwarzen Glaswand tauchen diese Bilder dann wie aus dem Nichts auf. Später einmal, wenn es auch in anderen Städten „Guess-Clubs“ geben wird - Günter Kerbler, dem Besitzer, schwebt eine solche Lokal-Kette vor - , wird sich dieses Spiel noch erweitern lassen: Dann kann man in Wien zeitgleich miterleben, was sich in Berlin oder Mailand tut.

Die Architekten haben bei der Möblierung der Bar auch das Detail beachtet. Man sitzt auf Barhockern von Castiglioni, und die Stühle stammen von Charles Eames. Nur die Sitzbänke sind ein maßgeschneiderter Entwurf. Feinheiten lassen sich dabei erst ausfindig machen, wenn man ins Restaurant hinuntergeht und dort auf die gleiche Möblierung trifft. Denn dort haben die Eames-Sessel ein Sitzkissen, und die Rückenlehne der Bänke ist eine Spur stärker geneigt als oben. Bequemlichkeit ist also angesagt.

Grundsätzlich sind die Materialien, die man in der Bar vorfindet, bis in das Restaurant im Untergeschoß durchgezogen. Die Anordnung der Tische - jeweils an den Wänden entlang - wirkt hier durch einen leichten, eleganten Schwung wie eine großzügig einladende Geste. Ein kleiner Teil des ursprünglichen Gewölbes korrespondiert homogen mit den alten Ziegelmauern, die nur abgeschlagen, aber nicht verputzt wurden. Trotzdem kommt keine rustikale Kelleratmosphäre auf. Dem rauhen Mauerwerk ist nämlich eine dunkle Plexiglasbahn vorgespannt, eine artifizielle „zweite Haut“ sozusagen.

Man könnte sagen, daß ein Hauptziel der Architekten die Vereinheitlichung und Beruhigung, die Durchlässigkeit und Großzügigkeit der beiden Geschoße war. Obwohl natürlich viel Technik installiert werden mußte, zeigen die Geiswinklers diese Technik nicht her, das heißt: ausschließlich auf den WCs.

Sie hätte viel zuviel Unruhe in die Räume gebracht, sie hätte das Raumklima belastet. Jetzt deckt das Metallgeflecht an der Decke alle Leitungen und Rohre ab, und durch das Geflecht hindurch wird auch noch die verbrauchte Luft unsichtbar abgesaugt.

An „Kinderkrankheiten“ wären zu vermerken: Ein Bewegungsmelder sollte dafür sorgen, daß das Bild der Speisekarte auf einem Bildschirm erscheint. Das tut es viel zu spät - ein Software-Problem. Und im Barbereich fehlen noch die Kameras bei den Bildschirmen, die es dem Gast ermöglichen sollen, bei seiner Internet-Kommunikation auch selbst auf dem Schirm zu erscheinen.

Vor allem aber: Wie das großzügige „Aufschneiden“ des Lokals, wie der kommunikative Austausch mit dem Straßenraum tatsächlich funktioniert, wie es ist, wenn die gewaltige Scheibe nach unten fährt und unten bleibt, das kann man wohl erst hautnah erfahren, wenn es wieder wärmer ist.

Spectrum, Sa., 1998.11.28



verknüpfte Bauwerke
Guess Club - Bar und Restaurant

10. Oktober 1998Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Zehn Hektar um einen Schilling

Es ging um die Öffnung einer „Stadt in der Stadt“, um die Adaptierung historischer Bausubstanz an heutige Nutzungen. Wie ein Architektenteam unter rigorosen Kostenauflagen aus dem Wiener Alten AKH einen Universitätscampus machte. Eine Erfolgsstory.

Es ging um die Öffnung einer „Stadt in der Stadt“, um die Adaptierung historischer Bausubstanz an heutige Nutzungen. Wie ein Architektenteam unter rigorosen Kostenauflagen aus dem Wiener Alten AKH einen Universitätscampus machte. Eine Erfolgsstory.

Nun hat Wien also einen Universitätscampus. Er wurde in jahrelanger und sehr planungsintensiver Arbeit auf dem Gelände des Alten Allgemeinen Krankenhauses errichtet, das ja ursprünglich fast zur Gänze im Besitz der Stadt war, die es allerdings - für den symbolischen Betrag von einem Schilling - 1989 der Universität Wien zum Geschenk gemacht hat. Wenn auch unter einer Auflage: Ein Teil des Areals sollte der Öffentlichkeit, speziell den Anrainern, zugute kommen.

Das Areal mit seinen beeindruckenden zehn Hektar Größe und der differenzierten Hofstruktur, die von den schmalen Krankenhaustrakten gefaßt ist, hat eine dreihundertjährige, höchst wechselhafte Baugeschichte hinter sich. Und wenn die Höfe nicht großteils begrünt und mit verschiedenen „Denkmälern“ durchsetzt wären, man würde noch heute oft nicht so recht sicher sein, ob man sich wirklich auf einem ehemaligen Krankenhausareal oder nicht doch in einer etwas verwinkelten Kasernenanlage befindet.

Tatsache ist, daß sich der ausgedehnte Baubestand vom umliegenden Bezirk immer rigoros abgeschottet hat, daß er sich fast wie eine wehrhaft befestigte „Stadt in der Stadt“ präsentierte. Eine der wichtigsten Maßnahmen im Zuge der Revitalisierung zielte daher auf die Öffnung des Areals, auf seine übersichtliche und sinnvolle Durchwegung ab. Dabei hatte die Arge Altes AKH Architekten - das sind die Büros Hugo Potyka, Friedrich Kurrent (künstlerische Koordination) & Johannes Zeininger, Sepp Frank und Ernst M. Kopper (geschäftliche und technische Koordination) - kein leichtes Spiel: Denn das äußere „Gesicht“ der Bebauung sollte dadurch so wenig wie möglich beeinträchtigt oder verändert werden, ganz abgesehen davon, daß in einem Teilbereich die neue Notenbankdruckerei von Wilhelm Holzbauer mit all ihrer Pracht der bescheidenen - und relativ niedrigen - Bebauung des Alten AKH fast schon obszön naherückt.

Und doch sind das im Verhältnis zur Gesamtleistung des Planungsteams bestenfalls Nebensächlichkeiten. Denn es ging nicht nur um die Öffnung des Areals, um die Wiederherstellung der alten, kammartigen Hofstruktur, um die Eliminierung zahlloser Einbauten, die sich vor allem seit dem 19. Jahrhundert hier angelagert hatten; es ging auch um die sinnvolle Konzentration von öffentlichen Nutzungen - vor allem Supermarkt, Gastronomie, Geschäfte - im (größten) ersten Hof und um vorbereitende Maßnahmen für ein künftiges Zentrum der Geisteswissenschaftlichen Fakultät im zweiten Hof; aber in erster Linie ging es darum, die alten Krankenhaustrakte mit ihrer geringen Tiefe, dafür oft ungewöhnlichen Raumhöhe so zu adaptieren, daß sie langfristig ihrer neuen Nutzung entsprechen.

Und dies alles unter dem Druck eines Kostenlimits, wie es rigoroser nicht hätte sein können. Die Frage war: Was geht trotzdem noch, wenn aus ökonomischen Gründen eigentlich nichts mehr geht?

Anfang der neunziger Jahre, nach dem von Friedrich Kurrent erfolgreich absolvierten Gutachterverfahren, machten ominöse 400 Millionen Schilling (28,8 Millionen Euro) Baubudget für die Realisierung des Gesamtprojekts die Runde. Wer damals etwas vom Bauen verstand und das Areal kannte, der mußte angesichts dieser Vorgabe schlicht den Kopf schütteln. Die tatsächlichen Nettoherstellungskosten der Universität werden denn auch jetzt mit 673 Millionen Schilling (48,4 Millionen Euro) beziffert, jene für die Geschäfte, Büros und andere Nutzungen mit 129 Millionen Schilling (9,3 Millionen Euro).

Aber selbst diese Kosten sind so extrem niedrig, daß man die planenden Architekten ob dieses Auftrages nicht beneiden mag. Es muß in jeder Hinsicht eine Gratwanderung gewesen sein. Gelohnt hat sie sich aber. Das Ergebnis kann sich nicht nur sehen lassen, man muß es gesehen haben. Hier wurde atmosphärisch etwas - nicht bewahrt, sondern nach langer Zeit wieder hergestellt, was man zu AKH-Zeiten schon längst nicht mehr wahrnehmen konnte. Diese sehr schlichten, schmalen, niedrigen Bauten haben ihren ganz eigenen Reiz. In den Höfen herrscht eine Stimmung wie außerhalb der Zeit, ruhig, unprätentiös - einfach gelassen. Und diese Stimmung teilt sich heute, nach der Öffnung des Areals und all den zeitgenössischen Interventionen, stärker mit als je zuvor.

Nichts gegen rahmenlose Punktverglasungen. Nichts gegen diffizile, minimierte Leichtkonstruktionen. Nichts gegen geschliffenen Sichtbeton. Aber es geht auch ohne. Das Resultat mag der trendigen Ästhetik vom Ende der neunziger Jahre nicht entsprechen. Man wird es langfristig dennoch anschauen können. Es ist klar, wie die Architekten in diesem Fall gestalterisch vorgehen mußten: Nachdem das Raum- und Funktionsprogramm festgelegt war, nachdem geklärt war, welche Sanierungsmaßnahmen in den einzelnen Bauten unumgänglich waren, ging es darum, eine definierte Palette an Materialien, Oberflächenqualitäten, Farben, Beleuchtungssystemen et cetera festzulegen, die in die jeweils unterschiedlichen räumlichen Situationen des Bestandes implantiert werden konnten, die aber doch Einheitlichkeit, einen „Raumfluß“ herstellten.

Wie gesagt: Rahmenlose Verglasungen wird man hier nicht finden. Friedrich Kurrent hat zwar ein System verglaster „Pawlatschen“ zur Relativierung der geringen Trakttiefen entwickelt, das in den Höfen zwei, acht und neun auch tatsächlich realisiert wurde, aber es ist sehr viel pragmatischer und ökonomischer, als das irgendein Architekt mit High-Tech-Anspruch heute machen würde. Er nennt diese Zubauten „Vorgelege“, und sie beinhalten eine großzügige Erschließungszone, über die in die angrenzenden Räume immer noch genug Tageslicht fällt.

Ästhetisch reizvoll ist das Fassadenbild dieser gläsernen „Vorgelege“. Durchsichtige Glasflächen wechseln mit grünlich-opaken ab, die zu öffnenden Glasteile stechen rot hervor, textile weiße Jalousien sorgen für einen zusätzlichen Akzent. Auch das Problem des Anschlusses dieser „Vorgelege“ an die angrenzenden Fassaden ist ausgezeichnet gelöst. Sie rücken geringfügig davon ab, wobei das Ende der Glashaut durch ein „Einschubelement“ mit Eternitverkleidung ganz unauffällig formuliert ist.

Sehr reizvoll ist auch, daß die Architekten das Motiv der unterschiedlichen Stiegenlösungen im Bestand aufgegriffen und weitergeführt haben. Der Einbau der vorgeschriebenen Fluchtstiegenhäuser wurde statementhaft und formal differenziert gelöst, wodurch diese in einer zeitgenössischen Interpretation der Besonderheit dieser Substanz umso besser entsprechen.

Alle formalen Maßnahmen im neuen Alten AKH sind sehr einfach, wenngleich keinesfalls ruppig. Die Galerieeinbauten in den hohen Räumen sind zwar letztlich anspruchslos ausgefallen, meist mit simplen Stahlprofil-Konstruktionen, in selteneren Fällen (Brandschutz) mit Stahlbeton. Aber selbst in den WC-Anlagen wurde auf eine Verlegung der Fliesen geachtet, die geeignet ist, das Manko der „unregelmäßigen“ Bausubstanz wieder auszugleichen.

Der inhaltliche Wert dieses Projekts, soviel steht jedenfalls fest, ist nicht nach den gängigen Mustern der heutigen Architekturkritik zu beschreiben. Denn es hat nichts Spektakuläres an sich, kein angestrengtes Suchen nach Innovation in welcher Richtung auch immer.

Hier geht es um die Anstrengung, historischer Bausubstanz mit Respekt und Einfühlung zu begegnen und die heutige Neunutzung mit zeitgemäßen Mitteln auszudrücken, aber auch unter ökonomischen Bedingungen, die so hart waren, daß man sich fragen muß, ob sich die Universität Wien - deren Repräsentanten sich gern als Bannerträger der Kultur sehen - als Bauherr ihrer Rolle als Beförderer der (Bau-)Kultur in diesem Land überhaupt bewußt gewesen ist.

Daß dieses Projekt einfach richtig, stimmig und eben angemessen ist, muß man allein dem Konto der Architekten gutschreiben. Man muß es ihrer Haltung gutschreiben, daß mit fast nichts ein qualitativer Mehrwert hergestellt wurde, dem jede Anerkennung gebührt.

Damit haben sie aber auch uns, den Architektur-Freaks, eine Lektion erteilt. Denn wenn wir nicht nur oberflächlich und unreflektiert von zeitlosen Gestaltungsqualitäten reden wollen, wenn wir solche Qualitäten ernst nehmen und tatsächlich schätzen, dann müssen wir zugeben, daß wir ihnen beim Alten AKH begegnen. Und dann müssen wir eben Farbe bekennen. Reden wir nur so dahin von den nicht trendigen, zeitlosen Qualitäten - oder meinen wir es auch?

Vieles ist übrigens noch ungelöst im Alten AKH. Der Narrenturm steht nach wie vor unrestauriert da, noch ist keine Nutzung dafür festgelegt. Der Kindergarten, der in der Nähe des Narrenturms geplant war, wurde ebenfalls nicht gebaut. Genauso steht der Einbau eines großen Hörsaals im zweiten Hof, der nicht nur für den Universitätsbetrieb, sondern auch im Hinblick auf ein „Zentrum“ des neuen Campus notwendig wäre, noch in den Sternen.

Und Friedrich Kurrents Lieblingsidee, im sechsten Hof einen „Monotheistenplatz“ - mit ehemaliger Spitalskapelle, bestehender (aber noch nicht instand gesetzter) kleiner Synagoge und einer (ebenfalls kleinen) Moschee - zu errichten, ist vorläufig ebenfalls gescheitert.

Sagen wir es so: In der Causa Universitätscampus Altes AKH sind noch einige letzte Worte ausständig. Aber vielleicht sagt sie ja eines schönen Tages noch jemand.

Spectrum, Sa., 1998.10.10



verknüpfte Bauwerke
Universitätscampus Altes AKH - Umbau und Adaptierung

03. Oktober 1998Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Von den Details zur Hauptsache

Eben erst mit dem höchstdotierten Architekturpreis ausgezeichnet, dominiert Peter Zumthor auch den einschlägigen Bücherherbst. Weiters herausragend: Monographien über Joseph Frank und Franz Baumann sowie ein sorgfältigst dokumentierter Band über M.Breuer.

Eben erst mit dem höchstdotierten Architekturpreis ausgezeichnet, dominiert Peter Zumthor auch den einschlägigen Bücherherbst. Weiters herausragend: Monographien über Joseph Frank und Franz Baumann sowie ein sorgfältigst dokumentierter Band über M.Breuer.

Es ist der Bücherherbst des Peter Zumthor. Denn von ihm beziehungsweise über ihn stapeln sich derzeit gleich drei Publikationen auf den Tischen der Fachbuchhändler. Bei Lars Müller erschien eine erste repräsentative und umfassende Monographie. Sie trägt den bescheidenen Titel „Häuser“ und ist mit den ungewöhnlich delikaten Architekturphotos von Hélène Binet illustriert. Natürlich vor allem schwarzweiß - die Farbaufnahmen sind ganz bewußt eingesetzt und meistens kleinformatig - und natürlich brillant gedruckt.

Man kann die Art und Weise, wie Zumthor seine Bauten dokumentiert, nur „erlesen“ nennen. Wobei dieses Adjektiv wohl auch seine Architektur nicht verfehlt, und nicht zuletzt deswegen hat er, so steht zu vermuten, gerade den Carlsberg-Architekturpreis bekommen, die höchstdotierte einschlägige Auszeichnung überhaupt.

Zumthors Architektur wird nicht jedem liegen, dafür zelebriert er sie vermutlich zu sehr, bis hin ins scheinbar nebensächliche Detail, das bei ihm eben durchaus zur Hauptsache wird. Dafür läßt sich der Grad an Perfektion, in dem die Materialien in seinen Bauten verarbeitet sind, nicht überbieten. Eine noch aufwendigere Schlichtheit ist praktisch nicht vorstellbar.

Außerdem existiert der Anspruch des „zeitgemäßen“ oder gar „fortschrittlichen“ Bauens in seiner Architektur als Thema nicht. Er nützt, was es gibt und was er brauchen kann, um sicher etwas Neues zu kreieren, aber irgendwo bleibt seine Architektur durch eine auch noch so dünne Nabelschnur dennoch mit archetypischen Vorstellungen von (Bau-)Körpern, Räumen und den Verhaltensweisen der Menschen darin verbunden.

Genau darüber gibt das zweite, ebenfalls bei Lars Müller erschienene, Buch, „Architektur denken“, Auskunft. Es enthält Texte (Vorträge, Aufsätze) aus der Feder Zumthors, in denen nicht sachlich stichhaltig von Bauwerken die Rede ist, sondern von einem Architektur-„Feeling“, von einer Bedeutungsebene, die über oder zwischen den Ebenen des Faktischen angesiedelt ist. Diese Texte sind - wie immer bei Zumthor - sehr persönlich formuliert, man liest sie mit Genuß. Aber auch für sie gilt, was man Zumthors Architektur nachsagen muß: nicht jedermanns Sache.

Das dritte Buch ist in der sehr spezifischen und spannenden kleinen Buchreihe des Kunsthauses Bregenz erschienen und macht ebendieses zum Gegenstand einer sehr ausführlichen Dokumentation und Erläuterung. Edelbert Köb nimmt in diese Buchreihe nur solche Bauten auf, in denen der Zwischenbereich „zwischen Kunst und Architektur“ auf besondere Weise manifest wird. Und was diesen Anspruch betrifft, ist das Kunsthaus Bregenz ja gleich mehrfach codiert.

Bei einem anderen neuen Band der Reihe „Werkdokumente“ scheinen die Verhältnisse auf den ersten Blick klarer: Denn die Architektur der „Nachtwallfahrtskapelle Locherboden“ stammt von Gerold Wiederin, der künstlerische Beitrag dazu - farbige Glasbrocken in der Wand hinter dem Altar - von Helmut Federle. Erst der zweite Blick zeigt, daß auch hier zwischen Architektur und Kunst keine eindeutige Grenzziehung möglich ist, weil die strenge Rationalität dieser Pavillonarchitektur mit den Glasbrocken, die das Licht filtern und färben, eben doch kippt, transzendiert. Für das Bauwerk gilt dasselbe wie für die Publikation: sehr schön, besonders.

Eine wichtige Neuerscheinung für Architekten: der „Glasbau Atlas“ des Birkhäuser Verlages, der so ziemlich alles abdeckt, was es rund um dieses wichtigste Material der zeitgenössischen Architektur zu wissen gibt. Die Autoren arbeiten seine Geschichte und seine Anwendungsmöglichkeiten auf, sie behandeln aber vor allem die heutigen Glasbautechnologien in breiter Ausführlichkeit. Welche Glasart welche Eigenschaften hat, welches Glas für welche Aufgabenstellung geeignet ist - hier erfährt man es. Der Band führt in einer Vielzahl von Zeichnungen auch zahlreiche Konstruktionstechniken vor, die heute zur Verfügung stehen. Außerdem dokumentiert und analysiert er eine ganze Reihe realisierter Bauten, in denen Glas beispielhaft eingesetzt wurde. Noch ein zweites thematisch angelegtes Buch ist - allerdings nicht nur Architekten, sondern vor allem auch potentiellen Bauherren - nachdrücklich zu empfehlen. Es wurde vom britischen Architekten David Lloyd Jones verfaßt und stellt zeitgenössische bioklimatische Bauten vor. „Architektur und Umwelt“ behandelt also ein sehr zeitgeistiges Thema des heutigen Bauens, das zwar ohne Zweifel bedeutsam, dabei aber sehr ambivalent besetzt ist, weil das Verhältnis zwischen (technischem, finanziellem) Aufwand und („ökologischem“) Effekt nicht immer stimmt. Jones rückt da etwas zurecht, weil den Bauten, die er beispielhaft vorstellt, komplexe Konzepte zugrunde liegen, die auf einer Vielzahl von Einzelmaßnahmen basieren, und diese erst im Zusammenwirken dieser unterschiedlichen Komponenten ihre Wirksamkeit entfalten.

Sehr interessant ist auch, wie Jones im historischen Teil mit den Vorwürfen aufräumt, die gegen die Bauten der klassischen Moderne so gern erhoben werden: daß diese sich nicht um Umweltfragen bekümmert und jeglichen Naturbezug zugunsten eines einmal festgeschriebenen Formenvokabulars aufgegeben habe. Nach Jones hat das zwar für die Achse Gropius - Mies van der Rohe - Breuer einige Geltung, nicht aber für die Bauten eines Corbusier, Wright oder Aalto.

Unter den zahlreichen monographischen Publikationen der letzten Zeit haben vor allem zwei besondere Aufmerksamkeit verdient, weil sie österreichischen Architekten dieses Jahrhunderts gewidmet sind. Maria Welzig legt im Böhlau Verlag eine längst überfällige, fundierte und umfassende Arbeit über das Werk von Josef Frank vor. Und bei Folio ist ein Band über den viel zuwenig bekannten Tiroler Architekten Franz Baumann erschienen, dessen Bauten für die Nordkettenbahn zwar viele kennen, aber ohne etwas über ihren Schöpfer und sein sonstiges, sehr eigenständiges Werk zu wissen. Beiden Büchern sind zahlreiche Leser zu wünschen.

Wer sich für das schier unerschöpfliche Thema der internationalen klassischen Moderne interessiert, der sollte zum Band „Marcel Breuer - Die Wohnhäuser 1923 bis 1973“ von Joachim Driller greifen. Darin finden sich Entwürfe aus Breuers Zeit in Deutschland, aber auch Arbeiten, die in Partnerschaft mit Alfred und Emil Roth in Zürich, mit F. R. S. Yorke in England und mit Walter Gropius in den USA entstanden.

Driller hatte Zugang zum Nachlaß Breuers und kann daher auch Material vorlegen, das bisher noch nie veröffentlicht wurde. Seine Arbeit ist durchaus dazu geeignet, das Bild, das es von Breuers Bedeutung innerhalb der modernen Bewegung gibt, zu bereichern, wenn nicht zu vervollständigen. Breuer hatte ja leider nie Gelegenheit, Wohnbau im „großen Stil“ zu betreiben. Er projektierte und realisierte vor allem Einfamilienhäuser und Villen sowie kleine Apartmenthäuser, obwohl sich auch interessante Studien zum Thema Kleinsthaus in Vorfabrikation - etwa das „Kleinmetallhaus“ aus den zwanziger Jahren - aufspüren lassen.

Die Projekte sind durchwegs sehr sorgfältig dokumentiert, ihre Entwurfsgeschichte ist geradezu minuziös aufgearbeitet. Neben einem sehr verdienstvollen kommentierten Werkverzeichnis ist vor allem ein wohltuend sachlicher Exkurs zur strittigen Frage der Zuordnung von Projekten aus der Zeit der Partnerschaft mit Gropius hervorzuheben.

Peter Zumthor - Häuser 1979 - 1997 320 S., zahlreiche Abbildungen, zum Teil in Farbe, geb., S 934, Euro 67,7 (Verlag Lars Müller, Ennetbaden)

Peter Zumthor Architektur denken 64 S., Schwarzweißabbildungen, Hardcover, S 248, Euro 18 (Verlag Lars Müller, Ennetbaden)

Peter Zumthor: Kunsthaus Bregenz Texte von Friedrich Achleitner und Peter Zumthor, 108 S., 63 Abb., davon 15 in Farbe, brosch., S 184, Euro 13,3 (Verlag Gerd Hatje, Ostfildern) Gerold Wiederin, Helmut Federle: Nachtwallfahrtskapelle Locherboden 80 S., 41 Abb., davon 32 in Farbe, brosch., S 145, Euro 10,5 (Verlag Gerd Hatje, Ostfildern)

Schittich, Staib, Balkow, Schuler, Sobek Glasbau Atlas 328 S., 120 Farb-, 980 Schwarzweißabbildungen, geb., S 1446, Euro 104,8 (Birkhäuser Verlag, Basel)

David Lloyd Jones Architektur und Umwelt 256 S., 320 großteils farbige Abbildungen, Hardcover, S 1168, Euro 84,6 (Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart) Maria Welzig Josef Frank (1885 - 1967) Das architektonische Werk, 280 S., zahlreiche Abb. in Farbe und Schwarzweiß, geb., S 980, Euro 71 (Böhlau Verlag, Wien)

Horst Hambrusch, Joachim Moroder, Bettina Schlorhaufer Franz Baumann - Architekt der Moderne in Tirol 240 S., Abb., brosch., S 530, Euro 38,4 (Folio Verlag, Wien)

Joachim Driller Marcel Breuer Die Wohnhäuser 1923 - 1973, 240 S., 333 Schwarzweißabbildungen, S 1168, Euro 84,6

Spectrum, Sa., 1998.10.03

12. September 1998Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Geht's ohne Portal?

Gänge, hinter den Fassade liegende Büros, eine unterschiedlich genutzte Mittelzone: einfach ein Bürohaus. Doch das von ATP gebaute Verwaltungs- und Betriebscenter der Tyrolean Airways zeigt zudem, dass auch trendige Materialien kreativen Spielraum bieten.

Gänge, hinter den Fassade liegende Büros, eine unterschiedlich genutzte Mittelzone: einfach ein Bürohaus. Doch das von ATP gebaute Verwaltungs- und Betriebscenter der Tyrolean Airways zeigt zudem, dass auch trendige Materialien kreativen Spielraum bieten.

In Österreich geht alles, was mit Flughäfen zusammenhängt, gern schief. - Daraus spricht zwar eine gewisse Wiener Überheblichkeit, die das städtebauliche und architektonische Debakel des Schwechater Flughafenareals nicht nur der Bundeshauptstadt, sondern am liebsten ganz Österreich anlasten möchte. Andererseits kennen wir innerhalb der Landesgrenzen tatsächlich nur einen einzigen, dafür umso bemerkenswerteren gebauten Tatbestand, der aus dieser Pauschalbeobachtung eklatant ausschert: das Grazer Flughafengebäude von Florian Riegler und Roger Riewe.

Nun geht es hier nicht um ein Flughafengebäude, sondern um das Verwaltungs- und Betriebsgebäude einer Fluglinie - der Tyrolean Airways - , allerdings befindet sich dieses Gebäude unmittelbar „am“, sprich neben dem Flughafenareal. Das heißt, es geht um ein Gebäude, dem zwar nicht auf der Nutzungsebene - letztlich ist es ein Bürohaus - , ganz bestimmt aber auf einer übergeordneten Bedeutungsebene mehr Gewicht zukommt als einem beliebigen Verwaltungsbau: Wer in Österreich nach Tirol fliegt, der landet auf dem Innsbrucker Flughafen, und wer in Innsbruck gelandet ist, der war zuvor mit Tyrolean Airways unterwegs.

Es geht also „nur“ um ein Haus an der städtischen Peripherie, das aber dennoch Imageträger für ein ganzes Bundesland ist. Die Situation gleicht - von der spektakulären Landschaftskulisse abgesehen - anderen Stadtrandlagen. Das Bild wird von einer überaus heterogenen Bebauung dominiert: im Westen der Flughafen, im Osten die Stadt, im allernächsten Umfeld Geschoßwohnungsbau, niedriger Siedlungsbau, Gewerbebauten, teilweise grün durchmischt, alles dicht an dicht. Wie verhält man sich in einer solchen Situation? Und wie geht man mit der Aufgabe um, eine Behausung für eine Fluglinie zu schaffen, die ein Land erschließt, von dem die ganze Welt ein Bild von Traditionalismus, Rustikalität und Bodenständigkeit konserviert?

Das Tyrolean Verwaltungs- und Betriebscenter ist ein großstädtisches, ein zeitgemäßes Gebäude, obwohl es subtil auf sein Umfeld reagiert und weder „aus dem Maßstab fällt“ noch durch Material- oder Formenwillkür provoziert. Es ist gleichzeitig selbstbewußt und selbstverständlich, in seiner Reduktion elegant, in seiner physischen Präsenz ein Statement, das man gern zur Kenntnis nimmt, ohne sich bedrängt zu fühlen.

Das einzige Problem, das man damit haben könnte: Es stammt von ATP, also von Achammer-Tritthart & Partner, und das ist bekanntlich ein - weit über Österreich hinaus operierendes - Großbüro (wobei sich insbesondere Borisav Ilic und Hannes Unterluggauer für dieses Projekt engagierten, zwei junge ATP-Mitarbeiter, die sich mittlerweile als „Teamwerk“ selbständig gemacht haben). Der Architektenjargon bedenkt solche Büros mit dem Adjektiv „kommerziell“. Letzteres hat hierzulande einen negativen Beigeschmack, weil ein Großteil der allerschlimmsten Bausünden der Nachkriegszeit auf das Konto solcher Unternehmen geht.

Städtebaulich war ohnehin viel festgelegt. Denn die Formulierung „Tor zur Stadt“ trifft hier in all ihrer Banalität einfach den Punkt. Es ging darum, mit diesem einen Bauwerk und an diesem spezifischen Ort sowohl das Ende des Flughafenareals zu definieren als auch eine Geste in Richtung Stadt zu formulieren.

Das langgestreckte, dreigeschoßige Haus wendet dem Flughafen eine ziemlich harte, dennoch gegliederte Fassade zu. Dahinter liegen Büros, und die Architekten sahen keinen Anlaß, die Achsenwirklichkeit dieses Innenlebens zu verschleiern. Durch die Lichtbänder oben und die Lichtschlitze seitlich der Betonelemente, die hier den Rhythmus der Fassade angeben, sind sie jedenfalls wunderbar belichtet. Die Betondecken schieben sich aus dem Baukörper als scheinbar „überzogene“ Geste überdeutlich heraus, was die horizontale Gliederung des langgestreckten Gebäuderiegels betont. Obendrein ist dieser scheinbare Ästhetizismus auch ganz pragmatisch begründet: Er bietet ein Minimum an Beschattung und löst die Vorgaben der Feuerpolizei in bezug auf den Brandüberschlag ein.

Die der Stadt zugekehrte Gebäudeseite ist komplexer: Da schiebt sich ein eigener Gebäudeteil aus dem Haus heraus, im übrigen signalisiert ein Glashaus Transparenz, Offenheit, also ganz das heute gängige Vokabular. Wir verlassen den trendigen Jargon bei diesem Bau nicht, er erfährt aber hier eine eigenständige, spannende Interpretation. Die Glashaut zum Beispiel erstreckt sich fast über die gesamte Länge des Riegels. Diese Maßnahme nimmt zwar nur unmerkbar, aber umso delikater räumliche Gestalt an. Denn eine spezifische Formulierung des Eingangs, ein Portal oder ein Vordach, haben sich die Architekten so erspart. Man versteht allein durch die Architektur, wo es hineingeht.

Der Weg hinter der - auch als Klimahaut funktionierenden - Glasfassade führt an fremdvermieteten Büros vorbei, hin zum Haupteingang der Tyrolean. Dort betritt man einen Raum, in dem ein gebäudehoher, dunkel verglaster Würfel alle Aufmerksamkeit auf sich zieht. Darin spiegelt sich nicht nur die Nordkette, sondern er beherbergt auch Seminar- und Schulungsräume und auf der obersten Ebene ein Café. Davon abgesehen, teilt sich schon hier ganz unvermittelt mit, worauf es den Architekten ankam: auf eine rigorose Vereinheitlichung, die mit wenigen Materialien und Farben auskommt.

Sichtbeton beherrscht sehr weitgehend das Bild, bei den betonierten Erschließungs- und Naßelementen ist er allerdings gelb lasiert; auf dem Boden liegen anthrazitfarbene Teppiche und Holz, durchwegs vom Birnbaum, was etwa die Liftkabine zu einer besonders reizvollen Box macht.

Der Lift ist hinter minimalistisch formulierten, anthrazitfarbenen Metall-Schiebeelementen verborgen und nur durch die Knöpfe „Hinauf“ und „Hinunter“ als Lift ausgezeichnet. Das Gestaltungsunwesen in puncto Lift im Hinterkopf, ist zu attestieren, daß das die bei weitem eleganteste Lösung ist.

Auf großen Detailreichtum haben die Architekten offenbar keinen Wert gelegt. Sie haben sich auf die Wirkung der Wiederholung gleicher Elemente verlassen. Diese Wiederholung setzt sich sogar bis in die konstruktive Ebene fort. Zum Beispiel wurde nur eine Schalung für die betonierte Treppe gemacht, die dann 18mal verwendet wurde, in allen drei Stiegenhäusern, über alle Geschoße.

Noch ein Wort zu diesen Stiegenhäusern: Sie haben ein Geländer, das aus einer einzigen, durchgehenden Stahlplatte besteht, die den Stufen 1:1, sozusagen „nach der Natur“, angepaßt wurde; diese Platten wiegen jeweils ungefähr eine Tonne und wurden durch ein nur zehn Zentimeter breites Stiegenhausauge hindurchgefädelt und montiert. Auch andere „Kleinigkeiten“ fallen auf: etwa die großen, raumhohen Sicherheitsglasscheiben im Format 3,30 mal 2,80 Meter, die in den Stiegenhäusern verwendet wurden und eigens aus Spanien angeliefert werden mußten.

Der Bauteil, der in den Riegel beziehungsweise „Bügel“ - wie die Architekten die mit einer Metallgitterhaut bekleidete äußerste Schicht des Gebäudes nennen - hineingeschoben ist, beherbergt die EDV-Zentrale, die Flugleitzentrale (mit Sichtverbindung zum Flugfeld) und die Vorstandsetage. Er ist mit seiner Lamellenhaut in einer so gängigen, „zeitgeistigen“ Ästhetik formuliert, daß einem fast schon Bedenken kommen. Diese Lamellen sind fix, aber vor den Fenstern in verstellbare, verschiebbare Elemente aufgelöst, sodaß es zu einem reizvollen Spiel an der Fassade kommt. Von weitem löst sich die Lamellenhaut überhaupt auf, sie wird unsichtbar. Und das gab für die Architekten den Ausschlag.

Das „baukünstlerische“ Fazit aus diesem Haus: Auch trendige Materialien und Lösungen bieten einen kreativen Spielraum. Die Bilanz auf einer anderen, viel wichtigeren Ebene: Die Tyrolean Airways haben mit ihrem neuen Bau einiges von dem Schaden wettgemacht, den der Fremdenverkehr in Tirol angerichtet hat.

Spectrum, Sa., 1998.09.12



verknüpfte Bauwerke
Verwaltungs- und Betriebscenter Tyrolean Airways

22. August 1998Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Wirklich weh tut's keinem

Demokratisch, offen, anonym: Architektenwettbewerbe sind auf den ersten Blick der ideale Modus der Projektfindung. Aber nicht immer - wie das Siegerprojekt des Wettbewerbs zum „Museum der Moderne auf dem Mönchsberg“ zeigt.

Demokratisch, offen, anonym: Architektenwettbewerbe sind auf den ersten Blick der ideale Modus der Projektfindung. Aber nicht immer - wie das Siegerprojekt des Wettbewerbs zum „Museum der Moderne auf dem Mönchsberg“ zeigt.

Wettbewerbe sind eine Einrichtung gegen die sich schwer argumentieren läßt. Dieser demokratische Modus zur Projektfindung, bietet Architekten eine Chance, sich zu profilieren, vor allem den jungen. Und er ist nicht selten der konkrete Anlaß, auch einmal solche Aufgaben konkret durchzuarbeiten, die im beruflichen Alltag ansonsten nicht vorkommen. Ohne Wettbewerbe käme es zu einer Verarmung der architektonischen Vielfalt und zu einer Austrocknung des architektonischen Berufsfeldes.

Man kommt nicht umhin, sich diese Tatsachen ins Bewußtsein zu rufen, wenn man über den Ausgang des europaweiten, einstufigen, offenen, anonymen baukünstlerischen Realisierungswettbewerbes zum „Museum der Moderne auf dem Mönchsberg“ nachdenkt. Vorneweg: Stürme der Begeisterung über das zur Realisierung empfohlene Siegerprojekt der jungen Münchner Architektengemeinschaft Stefan Zwink, Stefan Hoff und Klaus Friedrich sind nicht angesagt. Dabei hätte man sich genau die gewünscht.

Es ist die altbekannte und sehr österreichische Zwickmühle: Über irgendein Bauvorhaben wird so lange gestritten und diskutiert, bis es zu einer Zwangslösung kommt, von der vor allem die fachlich qualifizierten Diskutanten nur mit großen Einschränkungen überzeugt sind. Aber diese Einschränkungen lassen sich hierzulande ab einem gewissen Stand der öffentlichen Erörterung nicht mehr artikulieren, denn sie würden der falschen Seite zugeschlagen; sie würden, schlimmer noch, nicht die beabsichtigte, sondern eine gegenteilige Wirkung erzielen.

Salzburg hat in dieser Hinsicht viel mit Wien gemein. Und dort steht das wahrscheinlich prominenteste Bauvorhaben der Zweiten Republik, das sich einer vergleichbar ausweglosen Situation verdankt: das Haas-Haus von Hollein. Auch damals hat die qualifizierte Fachöffentlichkeit genau gewußt, daß das Projekt in seiner Endfassung weder städtebaulich noch in seiner architektonischen Durchbildung optimal ist. Aber auf dieser sachlichen Ebene hätte man öffentlich nicht operieren können, ohne sich unversehens im falschen politischen Lager zu finden beziehungsweise das Projekt grundsätzlich in Frage zu stellen. Und beides wollte wirklich keiner.

In Salzburg sind die Weichen ebenfalls in diese Richtung gestellt, obwohl kein prominenter Architekt im Spiel ist, nur ein prominenter Bauplatz. Salzburg hat jahrzehntelange Diskussionen über das Café Winkler und das inzwischen verwaiste Casino auf dem Mönchsberg hinter sich, es hat unbedingt diskussionswürdige Projekte - Sizá, Hollein - nicht weiterverfolgt, aber es hat mit einem demokratischen, offenen, anonymen Verfahren einen neuen Anlauf genommen. Und jetzt ist der politische Wille wirklich da, das von einer höchst qualifizierten Fachjury - Vorsitz: Snozzi; Mitglieder: unter anderem Achleitner, Schweighofer, Schattner, Czech - gekürte Siegerprojekt zu realisieren.

Aber man wird darüber nicht froh. Und gleichzeitig getraut man sich kaum, seine Vorbehalte zu formulieren. Denn man kann ja nicht sagen, daß das Siegerprojekt schlecht ist. Alle 145 Wettbewerbsbeiträge sind öffentlich ausgestellt. Aber es ist mir praktisch nicht passiert, daß ich innegehalten hätte, weil ein inhaltliches Konzept, eine formale Lösung so beeindruckend gewesen wäre, daß ich mehr hätte wissen wollen.

In dieser Ausstellung bleibt man stehen, weil man den Namen eines Architekten kennt und erfahren will, was er vorgeschlagen hat. Und weil man sich fragt, ob man auch ohne Kenntnis seines Namens (es geht um ein anonymes Verfahren) auf diesen Vorschlag reagiert hätte oder es nur tut, weil man jetzt weiß, von wem er ist? Im Angesicht des Krischanitz-Projektes, um die Sache zu konkretisieren, bin ich selbst zu keiner Antwort gekommen. Der Kommentar eines Jurors, daß es Krischanitz sehr geschadet habe, daß er „Museum“ auf sein Haus geschrieben hat (Frage: Was ist das für ein Haus, das so etwas nötig hat?), kann mich allerdings auch nicht zufriedenstellen.

Es ist nicht so, daß man der Jury nachsagen könnte, sie habe das entscheidende Projekt mißachtet. Wer will schon in das weitgehend vorgegebene Bauvolumen eine Adaption der Guggenheim-Spirale implantiert sehen? Oder aus dem Berg Schlitze herausgeschnitten, die dann oben auf dem Hang als Stelen aufgerichtet sind? Raimund Abraham hat einen gewaltigen „Drachen“ auf den Mönchsberg gestellt, dem man allerdings eine Qualität nicht absprechen kann: Er hat die (Ausschreibungs-)Diktion vom Umbau ernst genommen und sehr viel mehr von der Bausubstanz erhalten als die meisten anderen Mitbewerber, ohne daß die Stringenz seiner Architektur darunter gelitten hätte. Insofern wäre sein Projekt preiswürdig, zumindest ankaufwürdig gewesen.

Andererseits erstaunlich, daß etwa ein Antonio Citterio ein Projekt vorschlägt - Naturstein-Mauerwerk in Verbindung mit leichter Konstruktion - , das in Süditalien angemessen sein mag, aber - bei aller Präsenz einer gewissen Italianità - in Salzburg? Und Ben van Berkel hat sich eigentlich um überhaupt nichts gekümmert, er hat einfach seine ureigene Entwurfshaltung auf den Mönchsberg verpflanzt - ohne Rücksicht auf Verluste, ohne Rücksicht auf spezifische Anforderungen.

Man kommt nicht umhin: Es bleibt (fast) nur das Siegerprojekt übrig. Aber das ist leider eine ziemlich flaue Angelegenheit: Der Hauch der Inspiration weht einem jedenfalls nicht entgegen.

Es ist brav: Oberirdisch zwei Geschoße, flach hingeduckt, eine Terrasse zur Stadt und ein gewaltiges Panoramafenster, eine Steinfassade (Niederfluh, das Konglomerat des Mönchsberges). In das oberirdische Gebäudevolumen eingeschnitten sind zwei hofartige Räume, sodaß für natürliche Belichtung gesorgt ist. Diese Räume sind zwar nur etwa sieben Meter breit (Länge des Baus: circa 35 Meter), aber zumindest im einen Fall liefern sie letztlich die Rechtfertigung für jene übergebührliche, sentimentale, aber auch von der Jury sanktionierte Berücksichtigung des Wasserturms neben dem jetzigen Café Winkler. Wer künftig durch das Museum geht, hat diese architektonische Belanglosigkeit sozusagen als Orientierungspunkt vor Augen.

An dieser Stelle ist ein Brückenschlag zu meinen Eingangsbemerkungen angebracht: Wettbewerbe. Anonyme Wettwerbe. Das heute so viel geschmähte Café Winkler verdankt sich einem solchen Verfahren. Es wurde seinerzeit von jungen Architekten gewonnen, der erste und der zweite Preis wurden zusammengespannt, was dabei herauskam, das sieht man.

Auch aus dem jetzigen anonymen Wettbewerbsverfahren sind Sieger hervorgegangen, die niemand kennt; die noch nie gebaut haben. Man muß es ihnen gönnen. Es gibt keinen Grund, sie zu beflegeln. Aber auf das Urteil der Jury fällt doch ein Schatten: Gut, die Münchner haben einen niedrigen Bau vorgeschlagen, eine Terrasse zur Stadt, ein Panoramafenster, eine Steinfassade; ihre Haupterschließung des Gebäudes schraubt sich schneckenartig, serpentinenartig in die Höhe, zum Licht. Die Ausstellungsräume sind ruhig, zurückhaltend, aber sicher geeignet für die adäquate Präsentation auch konventioneller Kunst. All das tut keinem weh.

Die Fassadenlösung der Münchner hat trotzdem niemand gelobt. Und bei genauer Analyse kommt man nicht umhin, sogar funktionelle Mängel zu konstatieren. Denn um vom Museum ins Restaurant zu kommen, muß man das Gebäude verlassen. Das ist schon recht merkwürdig. Und die Schauräume des Museums und die temporären Ausstellungen sind nicht praktikabel getrennt. Und diese Argumentation ließe sich fortsetzen.

Nein, ein massiver Protest gegen den Salzburger Jury-Entscheid ist nicht angebracht. Nur der Hinweis, daß zum Beispiel gerade das, was am Projekt des Zweitgereihten, Ortner & Ortner, beanstandet wurde, eine konkrete Aussage über die Fassade, im Siegerprojekt nicht standhält. Denn Niederfluh oder Untersberger Marmor - das wird, das darf es ja wohl nicht sein? Oder ist wirklich keiner der Salzburger Juroren je am Bodenseeufer gestanden und hat die Delikatesse der Zumthor-Fassade bewundert?

Tatsächlich enthält das Ortner-Projekt keine lesbare Aussage über die Fassade. Andererseits: Funktionell ist es dem Siegerprojekt bei weitem überlegen. Bleibt die Frage: Wenn die Fassade überarbeitet werden muß, wenn auch die Erschließung überarbeitet werden muß und wenn - ganz unpragmatisch gesehen - auch die Inspiriertheit des Projekts im luftleeren Raum hängenbleibt, was von diesem Projekt hält sich dann überhaupt noch?

Die Antwort: der offene, anonyme, einstufige, baukünstlerische Wettbewerb. - Was aber, wenn das in diesem sehr speziellen und wohl auch für Österreich bedeutenden Fall das falsche Verfahren gewesen ist? Da sind wir wieder bei der Zwangslage, und um die kommen wir hierzulande bei den wirklich entscheidenden Bauvorhaben offenbar nicht herum.

Spectrum, Sa., 1998.08.22



verknüpfte Bauwerke
Museum der Moderne

18. Juli 1998Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Je technischer, desto schöner

Obwohl per Volksbefragung abgesegnet, wurde der Bau der Donau-Staustufe Freudenau mehrfach gestoppt. Ein Architekt, ein Wasserbauer und zwei Landschaftsplaner haben nun geschafft, was niemand für möglich hielt: ein „umweltverträgliches“ Kraftwerk.

Obwohl per Volksbefragung abgesegnet, wurde der Bau der Donau-Staustufe Freudenau mehrfach gestoppt. Ein Architekt, ein Wasserbauer und zwei Landschaftsplaner haben nun geschafft, was niemand für möglich hielt: ein „umweltverträgliches“ Kraftwerk.

Das Votum der volksbefragten Wiener fiel 1991 zwar eindeutig zugunsten des Kraftwerks in der Freudenau aus, trotzdem hat der Bau dieses letzten Donaukraftwerkes seit dem aufwendigen Wettbewerbsverfahren „Chancen für den Donauraum“ Diskussionen - bis hin zu mehrfachen Baustopps - ausgelöst. Heutzutage ist es schwer: Alle sind - vernünftigerweise - gegen Atomkraftwerke, aber sehr viele sind trotzdem nicht bereit, dem Bau eines Donaukraftwerkes zuzustimmen. Das macht die Frage der Energieversorgung kompliziert. Denn mit den dümmlichen (und miserabel designten) Windrädern, die neuerdings die flacheren Gegenden besiedeln, ist es nicht getan.
Wie auch immer: Das Kraftwerk steht praktisch fertig da, und der Stau im Vorfeld des Kraftwerks hat die Donaulandschaft nicht einmal marginal verändert.

Das Donaukraftwerk Freudenau wurde von den Technikern der „Donaukraft“ gemeinsam mit einem interdisziplinären Team - dem Architekten Albert Wimmer, dem Wasserbauer Herwig Schwarz und den Landschaftsplanern Gottfried und Anton Hansjakob - realisiert. Wollte man es in seiner vollen Ausdehnung besichtigen, man müßte Stunden dafür aufwenden, denn seine Dimensionen sind außergewöhnlich. Wimmer: „Der Maßstab ist gewöhnungsbedürftig, man hat keine Erfahrung damit.“

Es gab ein paar Leitgedanken, die für die jetzige Ausbildung des Kraftwerks entscheidend waren. Dazu gehört zum Beispiel die Anbindung des Baus an die Uferzonen - also an das rechte Donauufer und linker Hand an die Donauinsel - , die so weit wie möglich freigespielt werden sollten, sodaß sie nicht zu Industriearealen verkommen. Es gehörte aber auch das „Bild“ des Kraftwerksbaus im Strom dazu. Nur wo es unbedingt erforderlich war, wurde auf massiven Beton zurückgegriffen. Das dritte Planungsziel galt der Vermittlung: der Verständlichmachung und Lesbarkeit für das Publikum, für die Passanten.

Es ist ein extrem niedriges Bauwerk geworden, das nun die beiden Uferzonen verbindet. Es wirkt wie hingeduckt in den Strom. Und was sich da an baulichen Massen über dem Wasserspiegel sichtbar abbildet, ist eben nicht massiv, sondern beinahe filigran aufgelöst.

Das setzte allerdings gigantische bauliche Anstrengungen voraus: In der - an dieser Stelle etwa 250 Meter breiten - Donau mußte eine Insel aufgeschüttet werden, die etwa einen Kilometer lang und rund 60 Meter breit ist; auf diese Insel wurde all das ausgelagert, was zu einer solchen Industrieanlage dazugehört: vom großen Verwaltungsbau bis zur LKW-Zufahrt in die Werkshalle. Ein Brückenbauwerk, über das selbst Schwerfahrzeuge vom Donauufer auf die Kraftwerksinsel kommen, war notwendig. Der Aufwand hat sich gelohnt: Die Uferzone ist weitgehend frei. Und Fußgängern und Radfahrern wird sogar die Möglichkeit geboten, von dort über Rampen und Stiegen auf den Kraftwerksbau hinauf und über die volle Länge der Anlage hinüber zur Donauinsel zu gelangen - im Turbinenbereich über eine elegante, glasgedeckte Passage, im Wehrfeldbereich über eine offene.

Das Kraftwerk ist folgendermaßen strukturiert: Zwischen dem rechten Donauufer und der neuen Kraftwerksinsel wurden zwei Schleusen für die Schiffahrt errichtet. Die „Kommandozentrale“ für den Schleusenbetrieb ragt in Sichtweite über die Kraftwerksanlage hinaus. (Geradezu fellinesk mutet es an, wenn man auf der Kraftwerksinsel steht und ein Schiff passiert: Es scheint, als fahre es über das Festland - vollkommen irreal.)

Dann kommt die Kraftwerksinsel, wo sich die Einfahrt in die große Werkhalle und ein ausgesprochen „besonders“ formulierter Verwaltungsbau mit der Schaltwarte, Werkstätten, aber auch öffentlichen - beziehungsweise Informationsbereichen sowie Seminarräumen befinden.

Daran schließen die Turbinen an. Es sind nur sechs, das ist - verglichen mit den jeweils neun der anderen Donaukraftwerke - ein Novum, dafür sind diese Turbinen mit einem Durchmesser von siebeneinhalb Metern größer. Auf dem Trennpfeiler zwischen dem Turbinen- und dem Wehrbereich wird noch ein Radarturm - ebenfalls in Verbindung mit einer Aussichtsplattform, dem höchsten Punkt der Anlage - errichtet, dann kommen die vier Wehrfelder.

Auf der Donauinsel-Seite ist die Ufergestaltung fast südländisch-pierartig formuliert, also teilweise befestigt, aber so, daß sich das Flanieren lohnt. Ein ebenfalls neu angelegter Umgehungsbach dient als Fischaufstieg; Treppenanlagen zur Donau hin sind für die Paddler gedacht, die hier an Land gehen können. Die Anbindung an das „Hinterland“ der Donauinsel wurde mit neu errichteten Brücken über den Umgehungsbach sichergestellt.

Wimmer hat eine sehr wichtige Entscheidung getroffen: Er hat nur das in Beton ausgeführt, was unbedingt notwendig war. Was sich sichtbar über der Donau erhebt, ist aufgelöster Stahlbau, ganz hell, sodaß sich die Anlage bei schlechtem Wetter reizvoll gegen den dunklen Himmel abhebt.

Sogar der hoch aufragende, wuchtige Portalkran, der üblicherweise ein Stahlbeton-Monster ist, wurde als Fachwerkträger ausgebildet. Die Werkhalle über dem Turbinenbereich hätte Wimmer gern als transparente Stahl-Glas-Konstruktion ausgeführt. Damit ist er jedoch gescheitert: Jetzt sind nur noch relativ schmale Glasschlitze in der Gebäudehaut da. Das Risiko, daß vom Portalkran etwas herunterfällt und die Glashaut durchschlägt, war einfach zu groß, und die Kosten-Nutzen-Rechnung hätte wohl auch nicht gestimmt.

Das Verwaltungs- und Betriebsgebäude auf der Insel präsentiert sich nach außen hin in dunkelgrauem, oberflächenbehandeltem Beton, der leicht speckig wirkt, ein wenig wie Stuccolustro. Man kommt hinein, die Trennung zwischen öffentlichem und Sicherheitsbereich ist mit einer Glaswand zwar klar definiert, aber nicht aufdringlich in Szene gesetzt.

Zu den Büros geht es über eine Laubengangerschließung, Seminarräume sind im obersten Geschoß, ein öffentlich zugänglicher Ausstellungsraum liegt unterirdisch im Atrium; eine Verglasung im Boden weist darauf ganz nebenbei hin. Ein - sehr schönes - „Zimmer im Freien“, eine durch „Mauern“ und „Fenster“ gefaßte Terrasse, erlaubt reizvolle Ausblicke auf Donau und Kraftwerk und ließe sich gut für Veranstaltungen nutzen.

Im übrigen gibt es in diesem Bauwerk auch etwas, was nicht der rein pragmatischen Funktion dient. Es ist eine hoch aufragende Wand in Verbindung mit einem schmalen Wasserbecken, die beide klarmachen, daß sich hier Wesentliches unter dem Wasserspiegel abspielt und daß es vor allem um ein vertikales Kräfteverhältnis geht: Von oben nach unten wirken die gewaltigen Lasten, die der Portalkran transportiert, von unten nach oben geht es - wenngleich auf mehrfach übersetzte Weise - , wenn die Turbinen die gewaltige Spannung erzeugen.

Eine solche Kraftwerksanlage ist ein ausgesprochen faszinierendes Bauwerk. Wenn man etwa über die Wartungsstege unter den Turbinen geht - sie sind übrigens feucht, denn selbst drei, vier Meter dicke Betonfundamente weisen in solcher Tiefe Trocknungsrisse auf, die Wasser eintreten lassen - , dann sieht man über sich die fast furchterregend riesigen Turbinen und schaut hinauf in einen beeindruckenden, über dreißig Meter hohen Raum. Hinzu kommt ein weiteres Moment: „Je technischer es wird, desto schöner werden eigentlich die Formen“ (Wimmer).

Auch die große Werkhalle im Turbinenbereich vermittelt ei- nen starken Eindruck. Sie ist sehr, sehr lang und hoch, auch disparat. Denn sie enthält mit den sogenannten „Erregerräumen“ - ihre Funktion ist es, die Generatoren zu erregen - fast plastisch-organisch formulierte Elemente, die einen spannenden Gegensatz zur linearen Struktur der Halle darstellen. Die Belegschaft im Kraftwerk hat sie mit dem Spottwort „Riesentoaster“ belegt, der architektonisch Vorbelastete assoziiert möglicherweise Kiesler damit. Zur Stromlinienform würde das jedenfalls passen.

Wenn man hier durchgeht, dann versteht man auch, wie Wimmer mit Materialien und Farben umgegangen ist. Alle beweglichen Maschinenbauteile und elektrotechnischen Einrichtungen sind gelb, die hydraulischen Einrichtungen und die Funktionsbereiche der Vernetzung sind blau.

Grauer Beton ist das Material, das das Kraftwerk beherrscht; Holz gibt es im Verwaltungsbereich, also dort, wo man sich aufhält, wo gearbeitet wird; Stahl ist hell gehalten und betont damit die Filigranform der Konstruktion.

Alle Maßnahmen aufzuzählen, die getroffen wurden, um dieses Kraftwerk nach heutigen Vorstellungen „umweltverträglich“ zu machen, würde zu weit führen. Eine Unzahl von Bäumen und Sträuchern wurde gesetzt; die künstliche Insel wurde begrünt; es wurden hochwachsende Alleen gepflanzt, durchgrünte Bodentexturen durchgesetzt, die im Zusammenhang mit Industriearealen nicht Usus sind.
Das hat zwar hohe Kosten verursacht, andererseits aber auch ein Bauwerk zur Folge, von dem man sich vorstellen kann, daß es langfristig seinen Stellenwert behaupten wird, daß es in der sensiblen Donaulandschaft einen bleibenden, spannungsreichen Mehrwert darstellt.

Spectrum, Sa., 1998.07.18



verknüpfte Bauwerke
Kraftwerk Freudenau

27. Juni 1998Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Flimmerndes Freizeitvergnügen

Es ist kein Innenraum, es ist kein Außenraum, es ist etwas dazwischen, etwas Flüssiges, das auf den Punkt der Kristallisation gebracht wurde: der Dresdner UFA-Kinopalast von „Coop Himmel- b(l)au“ - ein Raumspektakel mit kleinen Mängeln.

Es ist kein Innenraum, es ist kein Außenraum, es ist etwas dazwischen, etwas Flüssiges, das auf den Punkt der Kristallisation gebracht wurde: der Dresdner UFA-Kinopalast von „Coop Himmel- b(l)au“ - ein Raumspektakel mit kleinen Mängeln.

Wolf D. Prix und Helmut Swiczinsky, haben endlich einmal wirklich gebaut. Nichts Kleines, nichts Feines, sondern einen „Kinopalast“, der zwar nach außen gläsern-kristallin auftrumpft, aber drinnen und an der Straßenfront auch eine ganz schön rauhe Sprache spricht. Sagen wir es trotzdem gleich vorneweg: Dieser Bau ist ihnen tatsächlich gelungen. Es ist den beiden gelungen, ihren publizistisch und strategisch überaus geschickt erkämpften internationalen Ruf durch ein richtiges Bauwerk zu bestätigen. Und das ist etwas, was man anerkennen muß.

Schauplatz Dresden: Die Baukräne ragen hoch in den Himmel, die budgetären Ressourcen sind längst tief im Keller. Aber es wird immer weiter gebaut, obwohl die Bürohäuser leer stehen und die kilometerlangen neuen Geschäftszonen ungenutzt sind. Wer möglicherweise verdient, das ist die dritte Garnitur von Bauträgern und Architekten aus dem Westen. Die zieht hier eine grauenvolle Burg nach der anderen hoch, der Mut könnte einen verlassen.

Ganz unpolemisch gesprochen: Außer einer Schule von „Behnisch & Partner“ gibt es an zeitgenössischer Architektur derzeit so gut wie nichts in Dresden, das sich zu besichtigen lohnt. Wollte man die interessanten zeitgenössischen Bauten an einer Hand abzählen, man bräuchte sicher nicht alle fünf Finger. Und dann, in diesem Umfeld, der neue UFA-Kinopalast der „Coop Himmelb(l)au“, dieses unleugbar einprägsame, spektakuläre Bauwerk: ein Monument des Dekonstruktivismus, wenn man so will; man kann es aber auch anders sehen, man kann es als die einzig legitime Form einer qualitativ, einer künstlerisch ernstzunehmenden Alternative zur verkitschten Erlebnisarchitektur von Hundertwasser und Konsorten werten.

Der neue UFA-Kinopalast in Dresden ist tatsächlich ein aufregender, ein emotional aufgeladener Ort. Man merkt es an den Kids, die dort bis spät in die Nacht unterwegs sind. Aber man spürt es, davon ganz abgesehen, auch am eigenen Leib. Es ist einfach viel spannender, die Passage durch die „Vorhalle“ zu den Kinos zu durchqueren als den Weg entlang der bestehenden Straße zu nehmen.

Im Wettbewerb vor rund fünf Jahren war das überhaupt die städtebauliche Königsidee der „Coop“. Damals ging es um eine Neuordnung des Bereichs um die maßstablose Prager Straße herum, eines öffentlichen Raums, gesäumt von gigantischen Einkaufspalästen und Hotels und dimensioniert nach den sattsam bekannten Aufmarschmustern der ehemaligen DDR; und in diesem Zusammenhang ging es auch um die Standortbestimmung für einen weiteren, den neuen UFA-Kinopalast, dessen Wahlverwandtschaft mit dem bestehenden „Rundkino“ vom Anfang der siebziger Jahre aber nicht geleugnet werden sollte. Es hat wenig Sinn, Straßennamen ins Treffen zu führen, um den raffinierten Vorschlag des „Coop“-Projekts damit zu legitimieren; den Stadtplan von Dresden haben hierzulande nur die wenigsten im Kopf. Tatsache ist: Der Bau steht in Sichtweite des „Rundkinos“ an der vielbefahrenen Petersburger Straße auf der einen Seite, zu der der ziemlich geschlossene Kinoblock Front macht; auf der anderen, der kristallinen Seite ist ein unglaublich gewaltiger Wohnblock zwischen den neuen Kino-Vorplatz und die stark frequentierte Prager Straße geschoben.

Prix spricht vom „Hinterhof“ der Prager Straße, wenn er vom Standort des Kinozentrums redet. Und er spricht davon, daß es auf künftige städtebauliche Maßnahmen ankommen wird, um die Bedeutung des Neubaus als urbane Drehscheibe weiterzuentwickeln. Das wäre tatsächlich mit einer relativ einfachen Maßnahme zu bewerkstelligen: Der Wohnblock, der den Kinostandort von der Prager Straße isoliert, steht auf Pilotis; darunter sind Einbauten, etwa eine Post, geschoben. Hier könnte man ganz leicht öffnen und damit für Durchlässigkeit zur beliebtesten Einkaufsstraße der Dresdner sorgen. Und das würde diesem städtischen Bereich sicher guttun.

Das Kino: Es ist eigentlich nach einem simplen Strickmuster organisiert. Der Petersburger Straße wendet es einen sehr langen und extrem schmalen Betonblock zu, der gerade so tief wie ein Kino ist. Acht solche Kinos unterschiedlicher Größe - mit 600 bis 200 Sitzplätzen - sind hier übereinander gestapelt, jeweils in direkter Verbindung mit den Vorführkabinen.

Dem Sichtbetonblock vorgeblendet ist eine Streckmetallhaut, hinter der die Fluchtstiegen verborgen sind. Diese Fluchtstiegen erfüllen gleichzeitig eine zweite Funktion: An „starken“ Tagen können die Besucher auch auf diesem Weg, jeweils durch die verglaste Box einer räumlichen Schleuse, die Kinosäle verlassen. Daß die Art, wie diese Stiegen fast diagonal über die Fassade geführt sind, deutliche Züge der himmelblauen Kunst des Fabulierens trägt, sollte kein Nachteil sein.

Der Kinoblock ist nicht nur simple Box. Denn an der einen Schmalseite kragt er weit aus, darunter ist er „aufgerissen“ wie ein Trichter: Und damit wird er zur gebauten Einladung an die Passanten, den Weg durch den kristallinen Teil des Gebäudes zu nehmen, die spektakulär verglaste Halle als Passage zu nutzen. Prix nennt sie einen „transitorischen Raum“. Das Haus hat somit zwei Eingänge: einen an der Schmalseite, wo sich darüber die Gebäudeauskragung in den Luftraum wuchtet, einen, nennen wir ihn den Haupteingang, an der anderen Schmalseite, von wo man hinüber zum „Rundkino“ sieht.

Wer hier in die Halle tritt, dem eröffnet sich das Raumspektakel in seiner vollen Wirkung. Da durchschneiden Stiegen und Brücken den rundum verglasten, mehrfach gebrochenen Raum, geknickte, gedrehte Betontürme (für Projektionen, für den Lift) ragen auf; ganz oben ist der Doppelkegel eines Cafés in den Raum gespannt, und eine Stiege führt schräg weiter hinauf - nach nirgendwo. Prix, nicht ohne Selbstironie: „Die Stiege der Architekten.“

Der kristalline, verglaste Teil des Gebäudes hat also in erster Linie die Funktion des Verteilers und Foyers beziehungsweise im Erdgeschoß auch der gedeckten Passage. Während der Kinoblock klimatisiert ist, herrschen hier fast Bedingungen wie in einem Außenraum, nur eben wettergeschützt. Es gibt keine Rolltreppen, was mit den rigorosen Kostenbeschränkungen zu tun hat: Mehr als ein „normales“ Kino durfte der Bau nicht kosten. Deshalb gibt es auch nur sehr einfache Materialien: viel Sichtbeton, verzinktes Blech, Asphalt - und natürlich Glas.

Bei der Materialgüte waren die Architekten übrigens eher schnoddrig: Der Sichtbeton hat wahrhaftig keine Tadao-Ando-Qualität, und die verzinkten Stiegenwangen und Brüstungen - die sind manchmal auch aus Glas, damit man ungehindert bis hinauf sieht - , die spielen ein schlieriges Farbspiel der besonderen Art. Auch sonst ließe sich allerhand bemängeln: Wenn man zum Beispiel auf einem der Brückenzugänge zu den Kinos steht, und die Besucher einer Vorstellung kommen gerade heraus, dann ist man mitunter versucht, sich an der Brüstung festzuhalten, weil diese Stege so sehr vibrieren. Prix: „Reine Absicht.“

Besser, man unterläßt es, solche Details zu hinterfragen. Besonders da doch die Raumqualität für sich spricht. Es ist kein Innenraum, es ist kein Außenraum, es ist etwas dazwischen, etwas Flüssiges, das auf den Punkt der Kristallisation gebracht wurde. Etwas im höchsten Maß Urbanes. Auch etwas Dynamisches. Gebauter emotionaler Mehrwert. Wenn man als Wiener in diesem Dresdner Kinopalast steht, dann kommt man unweigerlich ins Sinnieren: Auch wenn es eigentlich nie eine gute Idee war, „Coop Himmelb(l)au“ den Umbau eines alten Wiener Theaters planen zu lassen - aber was hätte aus dem Ronacher werden können? Man fragt sich allerdings auch: Ist die Idee gut, „Coop Himmelb(l)au“ mit gefördertem Wiener Wohnbau zu beauftragen?

Die Qualität des Dresdner Hauses besteht darin, daß es in eine architektonische Sprache übersetzt, worum es drinnen geht: flimmerndes Freizeitvergnügen für den Städter. Die Kinos selbst sind dabei ganz uninteressant, nichts als UFA-Standard. Was vorher passiert, darauf kommt's an. Man kauft Karten, man wartet auf die Vorstellung und schaut sich um, man konsumiert etwas. Genau dafür hat „Coop Himmelb(l)au“ eine Bühne geschaffen, die ihresgleichen sucht.

Freizeit im ausgehenden 20. Jahrhundert, bevor die Wirklichkeit aus- und der Breitwandfilm eingeblendet wird, ein Raumerlebnis, wie man es davor nie hatte. Das können sie, Wolf D. Prix und Helmut Swiczinsky, und das können sie auch überzeugend mit dem Stadtgefüge verweben. So außergewöhnlich das Haus ist, jetzt steht es ganz selbstverständlich da. Die alteingesessenen Dresdner mögen vielleicht schimpfen, die Kids haben es längst in Besitz genommen.

Spectrum, Sa., 1998.06.27



verknüpfte Bauwerke
UFA Kinopalast

16. Mai 1998Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Nur ein Arbeitstisch, that's it

Salzburg, Moosstraße. Vorher: ein riesiges Satteldach, eine Laderampe. Nach Umbau, Sanierung und teilweisem Abriß unter der Ägide von Robert Wimmer: ein aus versetzten Kuben und Quadern gebildeter Baukörper, so scharfkantig wie funktional.

Salzburg, Moosstraße. Vorher: ein riesiges Satteldach, eine Laderampe. Nach Umbau, Sanierung und teilweisem Abriß unter der Ägide von Robert Wimmer: ein aus versetzten Kuben und Quadern gebildeter Baukörper, so scharfkantig wie funktional.

Bei diesem Umbau handelt es sich um einen typischen Fall von „vorher/nachher“. Denn das Haus, das sich Robert Wimmer in der Moosstraße in Salzburg gekauft hat, muß man auch im ursprünglichen Zustand gekannt haben, um seine architektonische Metamorphose wirklich gebührend schätzen zu können. Jedenfalls dürfte es früher einmal so ziemlich das häßlichste Haus in einer an baukünstlerischen Juwelen ohnehin nicht reichen Gegend gewesen sein. Das läßt sich allerdings jetzt am Objekt selbst nicht mehr nachvollziehen.

Man könnte auch sagen, daß es ein Haus üblichen Zuschnitts war, also mit einem gewaltigen Satteldach - und in diesem Fall auch mit einer Laderampe und im übrigen partiell in so schlechtem Zustand, daß an Sanierung und Umbau von vornherein nur teilweise zu denken war. Das hat der Sache aber nicht geschadet. Im Gegenteil: Wo abgerissen und neu gebaut werden mußte, ist nun das Büro des Architekten untergebracht, und gerade dieser Bauteil stellt gemeinsam mit dem zurückgesetzten zweiten Obergeschoß, das an die Stelle des früheren Satteldaches getreten ist, jetzt auch das Besondere des Hauses dar.

Man glaubt es kaum, was da ein wenig abgerückt von der Moosstraße steht: ein scharfkantiger, aus versetzten Kuben und Quadern gebildeter Baukörper, dessen schwarzes Mauerwerk in der Sonne irritierend flimmert und glitzert. Die weißen Begrenzungsmauern zweier uneinsehbarer räumlicher Einheiten setzen sich davon ab und geben keinen Aufschluß darüber, was sich dahinter verbirgt: Mülltonnen? Geparkte Autos? Ganz oben schimmern die Blechpaneele an der Fassade des neu hinzugekommenen Obergeschoßes, das wie ein Penthouse formuliert ist.

Man kann dem Architekten Glauben schenken, wenn er berichtet, daß der Instanzenweg durch die verschiedenen Salzburger Magistratsabteilungen mühsam und langwierig gewesen ist. Und das umso mehr, als auch Anrainereinsprüche im Spiel waren.

Das gehört heutzutage zwar fast schon dazu, wenn einer bauen will, trotzdem gibt es im vorliegenden Fall einen gravierenden, möglicherweise sogar entscheidenden Unterschied zu einem herkömmlichen Baubewilligungsverfahren. Denn hier war der Architekt sein eigener Bauherr, und in dieser Eigenschaft hat er mit Zähigkeit, Entschlossenheit und Geduld all das erkämpft und erstritten, was ein fremder Auftraggeber an Ansprüchen nur allzu schnell fahren läßt, sobald er erkennt, daß es Schwierigkeiten gibt.

Wahrscheinlich ist das Projekt auf Grund dieses speziellen Umstandes so gut gelungen. Es stand jemand dahinter, der nicht nachgegeben hat. Und das ist - abgesehen vielleicht vom Bundesland Vorarlberg - eher die Ausnahme als die Regel. Das Bauen muß so schnell und unkompliziert wie möglich sein, sonst verliert der Bauherr kurzfristig vielleicht sogar Geld, und längerfristig können Bauherren meistens nicht denken.

Wimmer hat von der Substanz das beibehalten und in einer radikal umgedeuteten Version benützt, was sinnvoll war, alles andere hat er geopfert, geändert, durch Neues ersetzt. Das Haus gliedert sich jedenfalls in zwei Teile: in einen vermieteten Bereich mit eigenem Zugang, den umgebauten Bestand, wo Wohnungen und Büros untergebracht sind; und in jenen Teil, der abgebrochen und neu gebaut werden mußte. Der hat ebenfalls einen eigenen Zugang und umfaßt nun als wesentlichste Einheit, praktisch auf der Ebene des ersten Untergeschoßes und im Erdgeschoß, das Büro des Architekten, darüber liegen ebenfalls vermietete Einheiten.

Diese Bürolösung auf zwei Ebenen ist hervorragend gelungen, obwohl sie allerhand Kunstgriffe erfordert hat. Denn Wimmer hat seinen Mitarbeitern natürlich nicht zugemutet, daß sie im neuen Büro ein Kellerdasein führen müssen (was arbeitsrechtlich in Österreich auch gar nicht gestattet ist). Also hat er, um in diesem Bereich des Hauses zwei volle Geschoße unterzubringen und trotzdem nicht den Anschein von Kelleratmosphäre aufkommen zu lassen, das Gelände vor seinem Büro abgegraben. Entstanden ist vor dem nach Süden orientierten Büro, im sogenannten Untergeschoß, kein alibihafter Tageslichtgraben, sondern ein angenehmer Freiraum. Und gerade in diesen Tagen, an der Schnittstelle vom Frühjahr zum Sommer, wird sich diese Annehmlichkeit für die Mitarbeiter womöglich gewinnbringend bemerkbar machen.

Die Glasfassade des Büros schaut also nach Süden. Sie ist selbstverständlich durch automatische Jalousien „abgesichert“, man erstickt oder verbrutzelt auch bei Sonne nicht in den Arbeitsräumen. Überhaupt ist das Büro räumlich so organisiert, daß alle erdenklichen funktionellen Kriterien bestens erfüllt sind.

Der Besucher betritt diesen Bereich des Hauses durch den separaten Eingang und kommt in eine Raumschicht, die ausschließlich den Besuchern gewidmet ist. Vom Besprechungszimmer über die Teeküche bis zu den Naßräumen ist alles da, was den möglichen Auftraggeber davon abhalten könnte, ins Herz des Büros vorzudringen und die Projekte, die dort in Arbeit sind, allzu neugierig in Augenschein zu nehmen. Daß ein Architekt nicht unbedingt begeistert ist, wenn potentielle Bauherren Projekte zu Gesicht bekommen, die erst im Entwicklungsstadium sind, ist verständlich. Dieser kritischen Zwangslage entzieht sich Wimmer mit seiner Raumstruktur unangestrengt und bravourös.

Hinter dieser Besucher-Raumschicht sind verschiedene Arbeitsbereiche situiert, darunter auch der Arbeitsraum des Architekten: Er ist allerdings nicht repräsentativ angelegt - die Repräsentation findet eben tatsächlich in der räumlichen Schicht davor statt - , sondern besteht aus einem unglaublich großen Arbeitstisch, that's it.

Von dieser Erdgeschoßebene wendelt sich eine - übrigens sehr schön detaillierte - Treppe hinunter ins ehemalige Untergeschoß. Das hat unter den Bürobereichen darüber normale Raumhöhe, aber auf einer beachtlichen Raumtiefe bis zur Glasfassade ist es dann zweigeschoßig. Das ist zum einen für das Raumklima dieses südseitig orientierten Bauteils nicht unwichtig, es vermittelt andererseits aber auch eine räumliche Großzügigkeit, die man dankbar zur Kenntnis nimmt.

Wimmer hat im adaptierten Altbau Wohnungen und Büros untergebracht. Auch da beherrschen fließende Grundrisse die Szene, sofern das unter der Vorgabe der Verwert- sprich: Vermietbarkeit eben möglich war. Und es sind im Grunde simple Maßnahmen, die für atmosphärische Frische sorgen. Die Erschließung, das Stiegenhaus, hat zum Beispiel einen neuen Bodenbelag und unterschiedliche, unifarbene Wandanstriche erhalten, mehr nicht. Mehr Aufwand ist in Wirklichkeit gar nicht angebracht. Schließlich bewegt man sich durch ein ganz normales Haus, in dem Büro- und Wohnnutzungen gemischt sind, das aber nicht den Ansprüchen eines öffentlichen Gebäudes genügen muß.

Insofern war Luxus hier also nicht angesagt. Es ging vielmehr um eine ökonomische und zweckmäßige Lösung, die aber - und das ist der Punkt - in formaler Hinsicht auf einem Niveau angesiedelt ist, das nicht hochgeschraubten materiellen, sondern explizit ideellen Ansprüchen so weit wie eben machbar genügt.

Apropos ideell: Wimmer konnte es sich nicht verkneifen, etwas bei diesem Projekt zu realisieren, was der Bauherr herkömmlichen Zuschnitts so gut wie immer rigoros verweigert. Er hat - wie soll man sagen: sinnlose?, nutzlose?, jedenfalls unverwertbare - Freibereiche geschaffen. Sie verbergen sich hinter den eingangs erwähnten weißen Umfassungsmauern und schließen nicht Mülltonnen oder Parkplätze ein, sondern im einen Fall die „natürliche“ Skulptur eines 30jährigen Nußbaumes, im andern die „künstliche“ eines von Francis Valentiny geschaffenen Bronzekopfes, der auf einem Podest plaziert ist.

Es sind zwei Höfe, mit denen man nichts anfangen kann; außer eintreten, sich hinsetzen und möglicherweise nachdenken - oder auch nur schauen. Der Nußbaum wächst inmitten eines mit Steinen ausgelegten Hofes, der Sockel mit der Skulptur wächst aus einer Wasserfläche heraus. Wie wichtig und außergewöhnlich es doch ist, wenn man räumlich einmal auf etwas trifft, was auf keinen vordergründigen, wie pragmatisch auch immer angelegten Zweck ausgerichtet ist! In diesen unseren Zeiten haben wir auf solche Möglichkeiten - und auf deren Qualitäten - fast schon vergessen.

Eine letzte Anmerkung betrifft den schwarzen Putz des Mauerwerks. Der war für die Anrainer natürlich ein Schock. Aber er hat mit der Umgebung etwas zu tun: Denn dort gibt es nicht nur alte Scheunen und Stadel in Holz, das im Lauf der Jahrzehnte eine fast schwarze Färbung angenommen hat, dort wird auch Torf gestochen - siehe Adresse: Moosstraße - , und der ist bekanntlich auch annähernd schwarz. Wimmer hat diese Schwärze allerdings gebrochen, oder soll man sagen: ins Irreale umgedeutet? Überhöht? Er hat dem Putz Glimmer beigemengt, und deswegen flimmert und schimmert und glitzert das Haus jetzt so. Aber ganz ehrlich: Es steht ihm zu.

Spectrum, Sa., 1998.05.16



verknüpfte Bauwerke
Büro- und Wohnhaus Moosstraße

25. April 1998Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Know-how aus dem Ländle

Kostengünstig bauen und dabei sehr hohe Wohn- und gestalterische Qualität erzielen - daß das möglich ist, beweisen Carlo Baumschlager und Dietmar Eberle: Ihre zwei Baukörper sind zudem robust genug, um sich an der Innsbrucker Peripherie zu behaupten.

Kostengünstig bauen und dabei sehr hohe Wohn- und gestalterische Qualität erzielen - daß das möglich ist, beweisen Carlo Baumschlager und Dietmar Eberle: Ihre zwei Baukörper sind zudem robust genug, um sich an der Innsbrucker Peripherie zu behaupten.

Zum Thema Wohnbau kann man den beiden Vorarlberger Architekten Carlo Baumschlager und Dietmar Eberle nichts erzählen. Dafür beschäftigen sie sich schon zu lange damit: Zuerst waren es noch kleine Siedlungen im verdichteten Flachbau, die teilweise in Eigenleistung der Bauherrn errichtet wurden; dann waren es Geschoßwohnungsbauten und teilweise auch recht große Wohnanlagen, denn im Ländle, wo immer noch jeder vom Einfamilienhaus träumt, wird der Boden knapp. Die beiden Wohnhäuser, um die es hier geht, wurden allerdings nicht in Vorarlberg realisiert. Sie stehen vielmehr in einer nicht sonderlich attraktiven Gegend von Innsbruck, ganz in der Nähe des Flughafens, nicht weit von der Autobahn jenseits des Inns und in einer heterogenen Umgebung, die die typischen Merkmale der Peripherie aufweist.

Baumschlager & Eberle haben Die 60 Wohneinheiten, die sie für einen Tiroler Bauträger geplant haben, auf zwei Baukörper verteilt, wobei es sie heute noch schmerzt, daß das niedrigere Haus nicht ein Geschoß mehr haben durfte. Städtebaulich wäre es besser gewesen, auch die Gegend hätte es vertragen, und die größere Dichte hätte sich auch kostenmäßig –gefordert war übrigens ein mit 12.500 Schilling (893 Euro) sehr niedriger Quadratmeterpreis –positiv ausgewirkt. Die Innsbrucker Stadtplanung war trotzdem dagegen, wiewohl jetzt, im nachhinein, dem Vernehmen nach doch so manchem Beamten ein Licht aufgegangen ist...

Die Häuser können aber ohnehin sehr viel. Sie weisen zum Beispiel ein höchst komplexes Haustechnikkonzept auf. Jede Wohnung verfügt etwa über eine kontrollierte Wohnraumlüftung mit Wärmerückgewinnung, wobei die Frischluft im Erdkollektor vorgewärmt und über ein dezentrales,individuell steuerbares Lüftungsgerät eingebracht wird; mit einem Nachheizregister und über den Raumthermostat kann die Temperatur dann noch zusätzlich nachgeregelt werden; und die verbrauchte Luft wird abgesaugt, über das Lüftungsgerät geführt und schließlich über Dach ausgeblasen.

Eine Solaranlage, die jeweils auf den (extensiv begrünten) Flachdächern der Häuser installiert und seriengeschaltet (20 Prozent Mehrleistung!) ist, dient zur Warmwasseraufbereitung, gerechnet wird dabei mit einem Deckungsgrad von rund 70 Prozent. Und das Regenwasser wird in einem Betonspeicher gesammelt und für die WC-Spülung genutzt. Auch hier ist der voraussichtliche Deckungsgrad beachtlich: 75 Prozent.

Die Architekten mußten alle diese Einrichtungen in Zusammenarbeit mit Fachplanern exakt vorausberechnen, ehe sich der Bauträger darauf einließ. Und sie mußten nachweisen, welche zusätzlichen, bauseitigen Maßnahmen notwendig sein würden, um einen hohen Wirkungsgrad zu erzielen: Zu diesen Maßnahmen zählt etwa die besonders hohe Wärmedämmung (24 Zentimeter an den Außenwänden, 30 Zentimeter im Bereich des Daches), dazuzählt aber auch der genau festgelegte Anteil der Öffnungen – Fenster, Balkontüren – in der Fassade.

Aber auch wenn man das alles nicht weiß – und man sieht es den Häusern ja nicht an, was sie in Wirklichkeit zu bieten haben –, bleibt auf der architektonischen Ebene immer noch genug, über das sich gerade imTiroler Umfeld diskutieren läßt. Denn in Tirol steht ein Haustyp dieses Zuschnitts gewissermaßen als Unikat da: kubische, äußerst kompakt organisierte Baukörper, die zentral erschlossen und einfach in jeder Hinsicht sehr, sehr ökonomisch sind – also nicht nur was die Baukosten betrifft, sondern vor allem auch im Hinblick auf die Betriebskosten.

Städtebaulich läßt sich mit diesen Bauten zwar nur bedingt auf das konkrete Umfeld reagieren, aber wenn man etwa an Stadtrandgebiete denkt, die sich ja überall mehr oder weniger gleich präsentieren–heterogen, ungeordnet, unmaßstäblich –, dann ist dieser Haustyp robust genug, trotz widriger Umstände eine gewisse Präsenz zubehaupten, und flexibel genug, durch eine jeweils anders gelöste „Karosserie“ auch immer wieder anders auszusehen.

Die Häuser der Wohnanlage Mitterweg zum Beispiel haben Eine Holzfassade. Das stimmt allerdings nicht ganz: Denn die äußerste Gebäudehülle besteht zwar aus einem Rost aus Eichenholz, aber diese semitransparente Schicht schirmt nur eine Art Pufferzone mit den Balkonen ab, die jeder Wohnung zugeordnet sind. Die Hauptfassade, die man von außen mehr spürt, als daß man sie sieht, liegt in einer zweiten Schicht dahinter.

Man könnte einwenden, daß Holz kein sonderlich urbanes Material ist. Aber merkwürdigerweise greift dieser Einwand hier nicht. Die Häuser büßen nichts von ihrer städtischen Gestik ein, dafür nimmt ihnen das Holz mit seinen haptischen Qualitäten etwas von der Härte, die diesen recht beachtlich dimensionierten Baukörpern eben doch auch innewohnt.

Diese zweite, äußere Schicht ist nicht nur aus formalen Gründen da.Sie dient auch als Schutzschild gegenüber den Emissionen der Umgebung, und sie schützt gewissermaßen die Architektur. Und zwar schützt sie diese vor den – nennen wir es: gestalterischen Übergriffen der Bewohner. – Man kennt das von vielen Wohnanlagen. Da plant der Architekt strenge, disziplinierte Häuser, und dann kommen die Mieter und richten sich auf den Balkonen, Loggien, Terrassen ein; und was daraus resultiert, das ist eine Baumarkt-Ästhetik aus Schilfmatten, bunten Sichtschutzplanen, Sonnenschirmen, Plastiksesseln und sonstigen einschlägigen Accessoires der Selbstverwirklichung. In der Regel heißtes: Gute Architektur muß das aushalten. Und es heißt auch: Man kann den Mietern nicht vorschreiben, wie sie wohnen. Beides ist richtig.

Andererseits: Wenn man sich diese beiden sehr stark geometrisierten Baukörper ansieht – und in formaler Hinsicht sind sie ja sehr schlicht, Wirkung entfalten sie vor allem durch ihre Fassadengeometrie –, dann muß man einräumen, daß von der Architektur nicht viel übrigbliebe, wäre sie solcher üblichen Individualisierung ausgesetzt. Die Lösung, durch einen Eichenholzrost die Fassade zu vereinheitlichen, ohne aber die Bewohner daran zu hindern, von ihren Freibereichen beliebigen Gebrauch zumachen, ist insofern berechtigt – und intelligent.

Übrigens ist es verblüffend, daß trotz des niedrigen Quadratmeterpreises und der vielen zusätzlichen Einrichtungen ein so teures Material wie Eiche überhaupt möglich war. Aber die billigere Lärche wäre am Mitterweg ein Risikofaktor gewesen, weil die Häuser keinen Dachvorsprung haben, das Holz der Witterung also besonders ausgesetzt ist. Und da zum umfassenden Konzept dieser Wohnanlage Auch die Frage der Nachhaltigkeit zählte, war die Eiche gegenüber dem Bauträger zu argumentieren.

Überhaupt muß darauf hingewiesen werden, daß die Häuser keineswegs einen billigen Eindruck machen, sie sehen nicht nach einer Sparvariante von Wohnbau aus. Eher schon liefern sie den Beweis, daß man sehr kostengünstig bauen und doch sehr hohe Qualität erzielen kann.

Die verwendeten Materialien, die Oberflächenqualitäten sind nicht schlechter als anderswo – bis hin zu den Parkettböden in den Wohnungen oder akustischen Maßnahmen im Stiegenhaus. Letzteres verdient, eigens erwähnt zu werden: Denn es ist mit seinem elliptischen Zuschnitt wirklich von unvermuteter Großzügigkeit und Eleganz, sodaß es als sehr angenehmer Raum und nicht bloß als Weg, als Erschließung empfunden wird.

Detail am Rande: Die Wohnungseingänge sind paarweise und über Eck organisiert und zwar jeweils in einer Nische, die man als räumliche Schichtung auffassen könnte; das Stiegenhaus selbst–halböffentlich, die Nische vor den Wohnungstüren –halbprivat.

Carlo Baumschlager und Dietmar Eberle – Dietmar Steiner zufolge die Shooting-Stars der Vorarlberger Szene –haben im Bereich des Wohnbaus ein Niveau erreicht, das wohl nicht so leicht jemand überbietet. Und sie sind längst nicht mehr nur in Vorarlberg tätig: In der niederösterreichischen Landeshauptstadt etwa haben sie eine Wohnanlage gebaut, die so gut angekommen ist, daß es eine Fortsetzung geben wird; in Tirol folgt der Wohnanlage Mitterweg bald eine zweite, viel größere; auch in der Schweiz hat sich das Know-how der Vorarlberger Architekten herumgesprochen.

Man wundert sich, daß gerade in der österreichischen Bundeshauptstadt, wo man auf die Qualität des Wohnbaus doch soviel Wert legt, die Meinung vorzuherrschen scheint, die Vorarlberger Baukunst sei eine vernachlässigbare Größe. Aber Wien hält sich nach wie vor bedeckt.

Spectrum, Sa., 1998.04.25



verknüpfte Bauwerke
Wohnanlage ´Mitterweg´

28. März 1998Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Sandwich mit Aluminiumfülle

Einheitlichkeit bei den Materialien, Verzicht auf jedes inhaltlich nicht begründete „Detail“, vorgefertigte Elemente: von diesen Grundsätzen ließen sich Markus Geiswinkler und Kinayeh Aziz beim Umbau einer Galerie in der Wiener Innenstadt leiten.

Einheitlichkeit bei den Materialien, Verzicht auf jedes inhaltlich nicht begründete „Detail“, vorgefertigte Elemente: von diesen Grundsätzen ließen sich Markus Geiswinkler und Kinayeh Aziz beim Umbau einer Galerie in der Wiener Innenstadt leiten.

Eigentlich geht es um einen Laden, nicht einmal nur um eine Galerie. Obwohl - es sind beide Funktionen gemischt. Es geht um einen Laden, in dem Postkarten, Poster, Kunstdrucke verkauft werden, auch die dazu gehörigen Rahmen; es geht aber ebenso um eine Galerie, in der diese Ware adäquat präsentiert werden sollte. Insofern also doch ein Ausstellungsraum. Und zwar einer in einer wahrhaftig speziellen Lage: Man kommt durch die Wiener Innenstadt bergauf an der Synagoge vorbei und auf den Platz vor der Ruprechtskirche - links das Restaurant „Salzamt“ von Hermann Czech, rechts die Galerie der Geiswinklers.

Städtebau ist ein großes Wort, speziell wenn es um eine so kleine Bauaufgabe geht. Andererseits: Als das Haus in den siebziger Jahren gebaut wurde - man merkt es ihm übrigens kaum an, denn es „historisiert“ ausgesprochen konsequent - , hat man daran gedacht, den Blick auf die Ruprechtskirche immerhin so in Szene zu setzen, daß er sich auch schon von weitem eröffnet. Daher gab es eine durchlässige Arkade, die allerdings nun, nach dem Umbau, flächenmäßig der Galerie zugeschlagen ist.

Das hätte zu einer städtebaulichen Schwachstelle werden können. Aber Markus Geiswinkler und Kinayeh Geiswinkler-Aziz haben dieses Problem mit einem unauffälligen, umso raffinierteren Kunstgriff gelöst. Sie haben die Arkaden verglast, wobei die Arkadenbögen außen unangetastet blieben und sich von innen die neu eingesetzten großen Glasscheiben als orthogonale Einheit abbilden. Ungewöhnlich: Das Lokal hat nicht einen, sondern zwei Eingänge, die an den Zugängen zur ehemaligen Arkade plaziert und in der warmen Jahreszeit vollständig zu öffnen sind: eine Aufforderung an die Passanten, einfach durchzugehen und einen Eindruck vom Verkaufsangebot der Galerie Image mitzunehmen.

Man könnte sagen, die Galerie ist eine Art Loggia, die in den Bestand, in die Potemkinsche Fassade dieses Siebziger-Jahre-Baus hineingesetzt wurde. Tagsüber besticht sie durch Leichtigkeit und Transparenz, nachts verwandelt sie sich in ein leuchtend-kristallines Gebilde.

Das war natürlich nicht ohne konstruktiven Kunstgriff zu erreichen. Denn im Bestand gab es eine tragende Stütze, die den Innenraum praktisch in vier Teilbereiche gegliedert hat. Aber was können gute Statiker - in diesem Fall heißen sie Gmeiner und Hafner - nicht alles erreichen! Daher gibt es den massiven, 60 Zentimeter dicken Pfeiler jetzt nicht mehr, an seiner Stelle ist nun eine nur noch 15 Zentimeter starke Stahlstütze, die auf einem nicht einmal zigarettenschachtelgroßen Auflager ruht und immerhin 90 Tonnen trägt.

Die Frage des Umgangs mit einer bislang offenen Arkade, die zur räumlich, aber nicht visuell geschlossenen „Loggia“ uminterpretiert ist, war ein Hauptthema. Ein zweites Thema wird in der innenräumlichen Lösung offenbar. Auf einen kurzen und bündigen Nenner gebracht: ein Raum wie ein Sandwich.

Anders gesagt: Die Architekten haben Boden und Decke - beides Holz - spiegelbildlich formuliert. In der Diktion der Architekten: Die Decke anders, das wäre schon ein Element zuviel gewesen. Und zwischen beide haben sie genau jene Einbauten hineingesetzt, die für den Geschäftsablauf der Galerie notwendig sind. Dazu gehören: Präsentationswände, auf denen sich Kunstdrucke et cetera magnetisch beliebig fixieren lassen; auffaltbare Paneele, die sich ganz spielerisch handhaben lassen und das ganze Rahmen-Sortiment übersichtlich präsentieren; ebenso große horizontale Präsentationsflächen, unter denen vorhandene Ladenschränke eingeschoben sind; schließlich eigene, schmale Wandelemente für die optimale Darstellung des Postkarten-Angebots.

Die räumliche Strukturierung ist so simpel - und praktikabel - wie möglich. Der eigentliche Galerie- beziehungsweise Verkaufsraum mit seinen beiden Eingängen hat die Form eines Rechtecks, an dessen hinterer Längsseite die multifunktionale, dreischichtige Präsentationswand als Hauptelement plaziert ist. Sie erfüllt übrigens eine zusätzliche Funktion, denn sie deckt gleichzeitig einen kleinen Arbeitsplatz auf der einen Seite und auf der anderen Stau- und Technikraum, Teeküche und das WC ab. Diese dienenden Bereiche sind dabei als sehr schlichte Box formuliert, die in den Raum hineingestellt wurde.

Neben der Funktionalität ist vor allem auf die Materialwahl hinzuweisen: Auffallend sind schon einmal die beiden Sandwich-Ebenen aus Buchensperrholz, die so umgesetzt sind, daß sie sich - eine Reminiszenz an Scarpa? - von der Substanz absetzen. Und dann gibt es die „Fülle“ dazwischen, die aus Aluminium besteht oder - aus ökonomischen Gründen - in Nebenbereichen auch aus MDF-Platten, die im gleichen Farbton und irgendwo in der Art einer Autokarosserie gespritzt wurden; sofern es um vorhandenes Mobiliar ging - etwa die Posterständer oder die Planschränke - , ist dieses nun in Schiefergrau gehalten.

Die Idee, die diesem Innenausbau zugrunde liegt, basiert nicht auf handwerklicher Arbeitsweise, nicht darauf, daß ein „Meister“ kommt und anfängt zu basteln, sondern auf vorfabrizierten Elementen, die per LKW angeliefert und auf der Baustelle nur noch montiert werden. Anders ausgedrückt: Geiswinkler und Aziz träumen den alten Traum der Moderne von der industriellen Bauweise, die - ist das am Ende des 20. Jahrhunderts womöglich recht und billig? - das kostspielige und zeitaufwendige Handwerk ablöst. Geiswinkler: „Auch Rolls Royce denkt schließlich daran, weniger mit der Hand und mehr mit Robotern zu arbeiten.“

Tatsächlich lassen sich mit dieser Methode - im Gegensatz zu den Pioniertagen - ausgezeichnete Ergebnisse erzielen. Sie haben allerdings eines zur Voraussetzung: sehr viel und sehr genaue Planungsarbeit. Und bei einem Umbau vorhandener Bausubstanz stößt man damit möglicherweise immer wieder an Grenzen, weil es dabei zu unvorhersehbaren Schwierigkeiten, zu Unregelmäßigkeiten kommt. Darauf muß man dann flexibel und rasch reagieren. Die Wandpaneele zwischen den Arkadenpfeilern etwa sind alle vorgefertigt und gleich dimensioniert, die Pfeiler selbst - wiewohl aus den siebziger Jahren - sind das nicht. Daher gibt es stellenweise einen kleinen Überstand, der den Eindruck erweckt, diese Paneele seien verschiebbar. Das ist ein Effekt, der den Betrachter in die Irre leitet und keineswegs reizlos ist. Oder: Der neue, durch eine Fuge vom Bestand abgesetzte Sperrholzboden wurde über den alten gebaut und mußte durch eine minimale Schräge auf das Niveaugefälle zum Gehsteig draußen übergeleitet werden. Schließlich sind plötzlich Kellerbelüftungen aufgetaucht, die in keinem Plan verzeichnet waren und nun als „neue“ Elemente in „alter“ (aber nicht historisierender, sondern eher selbstverständlicher) Manier in die Fassade integriert sind, einfach so, als wären sie immer schon da gewesen.

Der Fassadenbestand sollte prinzipiell nicht angetastet werden. Und mit einer geringfügigen, eigentlich vernachlässigbaren Einschränkung ist das auch gelungen. Ursprünglich wollten sie die Fassade nicht einmal neu malen, aber durch die Bauarbeiten kam es doch zu kleinen Beschädigungen, sodaß ein neuer Anstrich notwendig wurde. Davon wird man allerdings (Umweltverschmutzung hat in Ausnahmefällen offenbar auch positive Seiten) bald gar nichts mehr merken.

Wichtig bei diesem Umbau ist vor allem die grundlegende architektonische Strategie: rigorose Einheitlichkeit bei der Verwendung der Materialien, Verzicht auf jedes inhaltlich nicht begründete „Detail“, Vorfertigung der einzelnen Elemente, keine Ressentiments gegenüber vorhandenem Mobiliar und - der Blick dafür, worauf es langfristig wirklich ankommt und was von sekundärer Bedeutung ist, weil es sich bei Gelegenheit ganz leicht modifizieren läßt. Also: Ob die (schon vorhandenen) Ständer für die Poster designerisch auf dem letzten Stand sind oder nicht, das hat die Architekten zuletzt beschäftigt: Sie sind nicht umwerfend gut, sie sind auch nicht schlecht, sie sind einfach ganz normal. Und gegebenenfalls kann man sie immer noch austauschen.

Das darf man als Architekt im Dienst eines privaten Bauherrn gerade bei kleineren Bauaufgaben nicht aus dem Auge verlieren. Es ist, bei strengen ökonomischen Vorgaben, viel Leistung gefragt, und da kann es nicht um den Entwurf einer neuen Türschnalle gehen. Geiswinkler und Aziz haben an diesem kleinen Projekt zwei Jahre gearbeitet und dabei eng mit dem Bauherrn kooperiert, um dahinterzukommen, worin die substantiellen Anforderungen einer solchen Galerie bestehen. Und sie waren dabei selbst nicht so eitel, jedes Detail neu erfinden zu wollen. Für das Logo der Galerie haben sie den Graphiker Schedle beauftragt, für die Lichtplanung - und die spielt bei einer Galerie eine ganz besondere Rolle - wandten sie sich an Zumtobel. Wir können das alles selber, sagen die Architekten, aber in solchen Spezialbereichen gibt es eben Leute, die können es noch besser.

Spectrum, Sa., 1998.03.28



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Umbau Galerie Image

21. März 1998Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Graphische Lärmerregung

Ob Prag oder Paris, Spanien oder die Schweiz: der Markt für touristische Architekturführer boomt. Ob Renzo Piano oder Frank O. Gehry: Werkmonographien zählen zu den Highlights der Architekturbuch-Saison. Warnungen und Empfehlungen.

Ob Prag oder Paris, Spanien oder die Schweiz: der Markt für touristische Architekturführer boomt. Ob Renzo Piano oder Frank O. Gehry: Werkmonographien zählen zu den Highlights der Architekturbuch-Saison. Warnungen und Empfehlungen.

Prag ist zweifellos eine Architekturreise wert. Und neuerdings stehen dem interessierten Stadtflaneur dabei sogar zwei handliche Führer zur Seite. Den einen hat der Linde Verlag herausgebracht, er ist auf das Prag des 20. Jahrhunderts beschränkt und stellt 220 Bauten vor. Der zweite ist bei Hatje erschienen und behandelt die Prager Stadtgeschichte vom Mittelalter bis zur Gegenwart.

Dieser gewaltige Zeitraum führt zwangsläufig dazu, daß nur die allerwichtigsten historischen Baudenkmäler, an denen Prag bekanntlich nicht arm ist, vorgestellt werden können. Und da überdies ein inhaltlicher Schwerpunkt auf dem 20. Jahrhundert liegt, läßt sich guten Gewissens eigentlich nicht empfehlen, beide Publikationen im Reisegepäck mitzuführen: Es gibt zu viele Überschneidungen.

Wer sich für die höchst interessante, noch immer weitgehend unbekannte Prager Moderne interessiert, der wird vom Linde Verlag eindeutig besser bedient. Außerdem ist das Buch praktikabler aufbereitet, es ist übersichtlich gegliedert und enthält ausklappbare Stadtpläne, die das Auffinden der einzelnen Objekte erleichtern.

Architekturführer scheinen in diesem Frühjahr überhaupt Saison zu haben: Hatje legt einen neuen durch Paris vor, der ebenfalls nach dem Schema aufgebaut ist, „das ganze Paris“ quer durch die Jahrhunderte zu behandeln, und daher den gleichen Makel wie die Prag-Publikation hat. Für Architekturinteressierte bieten diese schmalen Bände zuwenig.

Die Architekturführer des Birkhäuser Verlages decken zwar jeweils ein ganzes Land ab, sind also nicht für den Städtetouristen gemacht, aber im Fall von Spanien oder der Schweiz - um die zwei neuesten Bücher der Reihe zu nennen - konzentrieren sich die Autoren auf den Zeitraum 1920 bis 1999 beziehungsweise auf das 20. Jahrhundert; man findet also auch die wichtigen aktuellen Bauten. Außerdem enthalten die Bände thematische Aufsätze - so komprimiert wie möglich und so informativ wie nötig - , in denen Basisinformationen zu Regionen und Entwicklungen geliefert werden, deren Lektüre für ein vertieftes Verständnis unerläßlich ist.

Zu den Highlights in den Verlagsprogrammen des Frühjahrs 1998 zählen Monographien. Allen voran der dritte Band des Gesamtwerks von Renzo Piano: ein mächtiges Werk und daher nicht gerade billig, aber auf einer „Weltrangliste“ der zeitgenössischen Architekten würde Piano nach wie vor ganz an der Spitze rangieren, möglicherweise nur überholt von Rem Koolhaas.

Der Band ist nicht nur ein schönes Bilderbuch, Peter Buchanan versucht auch inhaltliche, also konzeptuelle, und konstruktive Aspekte in Wort und Bild - es gibt zahlreiche Pläne und Konstruktionszeichnungen - herauszuarbeiten. Er bildet textlich aber auch die Arbeitsweise des „Building Workshop“ ab, und die ist als dynamischer Gemeinschaftsprozeß schon ungemein spannend. Die Projekte, um die es in diesem Band geht, reichen von der Renovierung des Lingotto-Werks in Turin über Arbeiten „in progress“ bis zum Kansai International Airport Terminal in Japan.

Und wenn wir schon bei Werkmonographien sind: Im Gebr. Mann Verlag ist kürzlich ein repräsentativer Band über die Bauten und Projekte von Jürgen Sawade erschienen, einer der renommiertesten Berliner Architekturgrößen. Das Buch ist ebenfalls nicht gerade billig, es kommt ausschließlich mit - sollte man sagen: modischen? - Schwarzweißabbildungen aus (gedruckt in novatone, also wirklich erstklassig) und dokumentiert die Arbeiten Sawades zwischen 1970 und 1995. O. M. Ungers hat einen „Prolog“ zum Buch geschrieben, damit ist schon viel gesagt; Sawade selbst stellt seinen Aufsatz „Großstadtarchitektur: Programmatik und Philosophie“ unter das Motto „Weniger ist mehr, weniger ist besser, weniger ist alles“. Ich selbst bewahre mir seit einigen Jahren eine gewisse Distanz gegenüber der Lochfassaden-Ästhetik, die den „Berliner Block“ ausmacht. Aber in dieses Schema paßt die Architektur Sawades nur zum Teil, da gibt es schon auch ganz andere Bilder. Und deswegen ist die Auseinandersetzung mit seiner Arbeit doch lohnend.

Trotzdem weht einem aus den Birkhäuser-Bänden etwa über Erick von Egeraat ein frischerer Geist entgegen. Wobei es auch da zu differenzieren gilt. Denn die „Sechs Anmerkungen zur Architektur“ des Holländers stellen zwar äußerst interessante Bauten vor, aber insgesamt ist das Buch schlichtweg unerträglich. Da hat Rem Koolhaas mit seinem graphischen Konzept für „S, M, L, XL“ einiges angerichtet, denn seither glauben Architekten, unbedingt auf der Höhe der Zeit sein zu müssen, indem sie kein weißes Fleckchen mehr auf einer Buchseite zulassen, alles muß „flächig“ sein.

Bei van Egeraat führt das dazu, daß es überhaupt keinen durchgängigen Seitenumbruch mehr gibt. Jede Seite ist farblich anders unterlegt, auch die Schrift ist farbig, die Spaltenbreite variiert, es gibt laufend Bilder im Bild und darüber noch eine Schicht feinster Strichpläne, die man überhaupt nicht mehr lesen kann. Dabei wäre das erstaunlich umfangreiche Werk des „Mecanoo“-Mitbegründers qualifiziert genug, um ohne solche Attitüden auszukommen. Es gibt ein Kapitel „Stille“ in diesem Buch. Und dann diesen graphischen Lärm.

Dem Zeitalter der Architekturbücherflut verdanken wir auch immer wieder mehr oder weniger umfangreichen Publikationen über ein einzelnes Bauwerk. Hier seien zwei genannt: jene über das Bilbao-Museum von Frank O. Gehry und über die Commerzbank in Frankfurt von Norman Foster. Letztere ist in der Edition Axel Menges erschienen und ein Bildband der üblichen Art, der auch jede Menge Pläne enthält - wie soll man sonst 80 eher großformatige Seiten mit einem einzigen Haus füllen? - und einen Einleitungsessay von Volker Fischer; aber man erfährt nichts, was über das in Zeitschriften Publizierte wesentlich hinausginge.

Auch beim Bilbao-Museum von Gehry muß es - via Guggenheim - so zugegangen sein. Und dieses Buch hat, wie gesagt, auch noch einen ziemlichen Umfang. Komischerweise wird einem trotzdem nicht langweilig. Man muß Coosje van Bruggen zugute halten, daß sie die Projektgeschichte so strukturiert hat, daß man einfach weiterlesen möchte. Außerdem sind Gehrys Handskizzen, und davon zeigt das Buch sehr viele, unglaublich reizvoll.

Ein Buch aus der Fülle des Frühjahrsangebots sollte man vielleicht noch speziell erwähnen. Es stammt von Sabine Kraft und heißt „Gropius baut privat“. Der textlastige Band, dem es um Inhalt geht, hat Gropius' eigene Wohnhäuser in Dessau (1925 bis 1926) und in Lincoln/Massachusetts (1938) zum Gegenstand. Kraft analysiert die Wohnhausentwürfe, die Gropius für sich selbst entwickelt hat, sie wirft aber auch die Frage auf, inwieweit Gropius bei seinen eigenen Wohnhäusern den sozialen Ansprüchen, die er in Fragen des Wohnbaus artikuliert hat, selbst gerecht wird.

Dramatisch könnte man sagen: Für sich selbst hat er Villen gebaut, privilegierte Wohnstätten für einen Reichen. Aber mit solchen „kleinen“ Abweichungen von den hehren Zielen der Moderne muß man offenbar leben.

Prag - Architektur des XX. Jahrhunderts
198 S., brosch., S 348, Euro 25 (Linde Verlag, Wien)

Radomira Sedlákova
Hatje Architekturführer Prag
148 S., brosch., S 227, Euro 16,3 (Hatje Verlag, Ostfildern)

Heinfried Wischermann
Hatje Architekturführer Paris
148 S., brosch., S 227,Euro 16,3 (Hatje Verlag, Ostfildern)

Mercedes Daguerre
Birkhäuser Architekturführer Schweiz
20. Jahrhundert, 448 S., geb., S 497, Euro 35,8 (Birkhäuser Verlag, Basel)

Ignasi de Solà-Morales, Antón Capitel, Peter Buchanan und andere
Birkhäuser Architekturführer Spanien
1920 bis 1999, 416 S., geb., S 497, Euro 35,8 (Birkhäuser Verlag, Basel)

Peter Buchanan
Renzo Piano Building Workshop
Sämtliche Projekte, Band 3, 240 S., geb., S 934, Euro 67,2 (Hatje Verlag, Ostfildern)

Wolfgang Schäche (Hrsg.)
Jürgen Sawade - Bauten und Projekte 1970 bis 1995
290 S., geb., S 1445, Euro 104 (Gebrüder Mann Verlag, Berlin)

Erick van Egeraat
Sechs Anmerkungen zur Architektur
172 S., geb., S 716, Euro 51,5 (Birkhäuser Verlag, Basel)

Sir Norman Foster and Partners
Commerzbank, Frankfurt am Main
80 S., geb., S 569, Euro 40,9 (Edition Axel Menges, London)

Coosje van Bruggen
Frank O. Gehry - Guggenheim Museum Bilbao
208 S., geb., S 569, Euro 40,9 (Hatje Verlag, Ostfildern)

Sabine Kraft
Gropius baut privat
120 S., brosch., S 277, Euro 20

Spectrum, Sa., 1998.03.21

30. Januar 1998Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Schamrot-Weiß-Schamrot

Frisch eingeflogenes Hochquellwasser, ein Modell des Hundertwasser-Thermalbads Blumau, auf den Boden projizierte Wellen: das fiel den Gestaltern des Österreich-Pavillons der Lissaboner Expo 98 ein. Kein Scherz! - Eine Empörung.

Frisch eingeflogenes Hochquellwasser, ein Modell des Hundertwasser-Thermalbads Blumau, auf den Boden projizierte Wellen: das fiel den Gestaltern des Österreich-Pavillons der Lissaboner Expo 98 ein. Kein Scherz! - Eine Empörung.

Die nächste Weltausstellung steht vor der Tür. Sie findet in Lissabon statt, das 1992 den Zuschlag vor Toronto erhalten hatte. Als Thema hat man „Die Ozeane - Ein Erbe für die Zukunft“ gewählt, weil Vasco da Gama vor 500 Jahren den Seeweg nach Indien um das Kap der Guten Hoffnung entdeckt hat. Am 22. Mai 1498 legte sein Schiff an der indischen Westküste an, auf den Tag genau 500 Jahre danach, am 22. Mai 1998, werden sich die Pforten der Expo 98 öffnen. Es wird die letzte Weltausstellung in diesem Jahrtausend sein, und wie so oft bei derartigen Anlässen überschlägt sich die Statistik schon im vorhinein mit neuen Rekorden.

Das Ausstellungsgelände liegt im Osten der Stadt, am Tejo, und war bisher Standort von Raffinerien, Lagerhallen und Hafenanlagen. Es umfaßt eine Fläche von 60 Hektar und soll später das Zentrum eines neuen Wohn- und Geschäftsviertels mit einer Ausdehnung von 350 Hektar bilden.

Soviel haben die portugiesischen Veranstalter von den leer stehenden Expo-Ruinen der Spanier immerhin gelernt: daß man sich schon vorher sehr genau überlegen muß, was man nachher mit dem Ausstellungsgelände macht.

Denn allein um die Besuchermassen - in Portugal rechnen die Veranstalter mit rund 15 Millionen Menschen - bewältigen zu können, gilt es aufwendige und kostenintensive Verkehrsmaßnahmen zu treffen. Im konkreten Fall sorgt ein neuer Expo-Bahnhof - geplant von Santiago Calatrava - in Verbindung mit einem Verkehrsknotenpunkt für die gute Erreichbarkeit des Areals.

Dieser Bahnhof bleibt selbstverständlich auch nach der Weltausstellung bestehen, ebenso wie die Hauptgebäude - darunter das schwimmende Ozeanarium mit flossenartig auskragenden Glasdächern von Peter Chermayeff sowie der silbrig glänzende, spektakuläre Utopia-Pavillon von SOM - und die vier Hallen mit den Länder-Pavillons. Letztere basieren auf einem Modulsystem - pro Aussteller stehen ein bis fünf solche Module zur Verfügung - , das sich auch nach der Expo nutzen läßt: als neues Messegelände der Stadt.

149 Staaten und internationale Organisationen nehmen an dieser Weltausstellung teil; damit ist sie die größte, die es jemals gegeben hat. Auch Österreich ist unter den Ausstellern. Aber da wir als Binnenland zum Thema „Ozeane“ nicht viel vorzuweisen haben, wurde das Expo-Motto für unsere Zwecke ein wenig modifiziert. „Österreich - Land gesunder Wasser“ steht über der heimischen Präsentation, denn wir wollen natürlich versuchen, uns „von den übrigen Teilnehmerländern abzuheben“ (Pressemappe). Das dürfte auch gelingen.

Denn was ist den verantwortlichen Herrschaften an Beiträgen eingefallen? - Hundertwasser. Ausgerechnet! Der hat nämlich irgendwann etwas für eine portugiesische U-Bahn-Station geplant, und da ist ihm ein Fries mit dem Titel „Atlantis“ übriggeblieben. Den hat er für die Außengestaltung des zwei Module großen österreichischen Pavillons kostenlos zur Verfügung gestellt.

Allerdings: Der Fries sollte in Keramik ausgeführt werden, aber das können wir uns nicht leisten. Also wurde auf photographischem Weg eine Reproduktion hergestellt, und die pappte man - in Verbindung mit „zwei typischen Hundertwasser-Torbögen“ (Pressemappe) - auf die Fassade.

Drinnen stehen uns auf mehreren Ebenen insgesamt 885 Quadratmeter zur Verfügung. Für die Gestaltung dieser Ausstellungsfläche hat es angeblich einen Wettbewerb gegeben - hat je irgend jemand davon gehört? - , den ein gewisser Franz Grossruck gewonnen hat, der mit seinen Ausstellungsgestaltungen für die Wirtschaftskammer anscheinend schon öfter nicht aufgefallen ist.

Für die Expo hat sich Herr Grossruck folgendes einfallen lassen: Im Inneren ist unser Pavillon dunkel gehalten; ein Mediamix aus Rauminstallation, Projektion und Geräuschkulisse beherrscht die Szene. „Der Besucher taucht in eine futuristisch anmutende Bild- und Klangwelt ein“ (Pressemappe). Diese österreichische Variante des Futurismus besteht aus Lichtprojektionen auf Nesselvorhängen, sodaß es zu „interessanten Raumperspektiven“ kommt; sie besteht aus einer Projektion von Wasserwellen auf den Hallenboden; und sie setzt „teilweise spitz nach oben hin verlaufende architektonische Gestaltungsmittel“ ein, durch die „Österreichs Bergwelt abstrahiert symbolisiert“ werden soll.

Auch sonst entsprechen diverse gestalterische Details dem Thema Wasser. Das Informationspult präsentiert sich mit seiner geschliffenen, geschwungenen, wasserumspülten Marmorplatte als „Info-Welle“; im Hintergrund schirmt eine wellenförmige Wand die Nebenräume und die VIP-Lounge vom Ausstellungsbereich ab.

Apropos VIPs: Denen bieten wir etwas ganz Besonderes - zeitgenössische österreichische Kunst! Sie wird - nein, nicht von Hundertwasser, sondern von einem Herrn Wassermann und einem Herrn Newrkla stammen (hat diese Namen eigentlich schon jemals irgendein Kunstexperte gehört?) und durch Wasserobjekte der Firma Art Aqua ergänzt.

Sollte hier der Eindruck entstehen, daß es sich bei meiner Schilderung nur um einen verfrühten April-Scherz handeln kann, so darf ich versichern: Das Gegenteil ist der Fall. Die Sache ist todernst. Die Ausstellung spielt sich auf verschiedenen Ebenen ab, die durch Rampen mit integriertem Lichtleitband rollstuhlgerecht miteinander verbunden sind. Hauptattraktion auf der untersten Ebene sind das Modell des Blumauer Thermalbads von Hundertwasser, ein sogenanntes Internet-Café und ein drei Meter hoher Lapislazuli-Brunnen (der Stein stammt aus Chile und soll der größte Lapislazuli sein, der jemals gebrochen wurde) - den wer künstlerisch gestaltet hat? - Der Wiener Brunnen-Muhr!

Und so geht es weiter: Auf der nächsten Ebene, die als Aussichtsplattform gestaltet ist, wird eine sogenannte „Drop-in- Bar“ installiert, wo wir österreichisches Wasser kostenlos an die Besucher ausschenken. Es wird österreichisches Mineralwasser sein, aber auch frisch eingeflogenes Hochquellwasser. Über dieser Wasserbar setzt Herr Grossruck mit einem überdimensionalen, glitzernden, gläsernen Wassertropfen einen zusätzlichen, allgemein verständlichen Gestaltungsakzent.

Und das ist noch lange nicht alles. Wir haben noch viel mehr zu bieten: Bilder aus unseren Naturparks zum Beispiel; Bilder österreichischer Schlösser einschließlich eines Replikats der Wasserspiele von Hellbrunn aus dem 16. Jahrhundert; die Salinen Austria stellen Salzobjekte aus; die Besucher können auf den Internet-Seiten der heimischen Wirtschaft wasserbezogene Informationen abrufen; sie können aber auch eine Wasserdrehorgel manuell bedienen und selbst Wasserfiguren erzeugen.

Ein besonders bewegendes Ereignis wird schließlich der Österreich-Tag (jeder Expo-Teilnehmer kann sich an einem Tag speziell präsentieren) sein. Man stelle sich vor: Auftritt des Damenorchesters „Walzerperlen“, des K & KString Quartetts, einer Blasmusik- beziehungsweise Trachtenkapelle, und die Wiener Symphoniker spielen Strauß.

Ach ja, etwas Wichtiges hätte ich beinahe vergessen. In der Ausstellung rücken wir selbstverständlich auch die österreichischen Leistungen auf dem Hochtechnologie-Sektor ins rechte Licht. Wir tun das mit einem Kalkschutzgerät, das ein heimisches Unternehmen entwickelt hat. Punktum.

Was soll man dazu sagen? Wie kommt man als gebürtiger Österreicher eigentlich dazu, sich durch solchen Unfug international repräsentiert zu sehen?

Irgendwer wird auswandern müssen: entweder die Mehrheit, nämlich all jene, die versuchen, irgend etwas zu tun, was diesem sehr kleinen Land trotzdem einen internationalen Stellenwert sichert - und dazu gehören die österreichischen Künstler an vorderster Stelle, aber es gehören bestimmt auch profilierte Firmen dazu, denn so ist es ja nicht, daß wir die nicht hätten - , oder die Minderheit der Expo-Verantwortlichen, die sich in ihrer schier grenzenlosen Einfalt anschickt, unser aller Ansehen nachhaltig zu ruinieren.

Es ist schlichtweg unfaßlich. Es ist so unbegreiflich, was da passiert ist, daß einem die Worte fehlen. Wenn Kultur Chefsache ist und wenn die Kultur dieser Chefsache so aussieht, dann kann nur der Chef falsch sein. Ein anderes Resümee ist weder möglich noch zulässig. Diese Expo-Präsentation kann jedem halbwegs vernünftigen Österreicher einfach nur die Schamesröte ins Gesicht treiben.

Und da sage niemand, es waren lediglich 15 Millionen Schilling Budget da, mehr kann man damit nicht machen. Wenn es wirklich so wäre, dann hätte man eben nichts machen dürfen. Aber es ist nicht so. Es gibt genug Geld in diesem Land. Und es gibt auch genug qualifizierte Leute, die verantwortlich und auf höchstem Niveau damit umgehen könnten. Nur die selbsternannten Chefs an den Schaltstellen, die können es nicht. Das ist unser Drama.

Nachsatz: Das Genre der Polemik ist in unseren Tagen in Mißkredit geraten, zumindest wird es nicht mehr gepflegt. Das ist ein Verlust. Denn immer wieder haben wir es mit Phänomenen zu tun, die in ihrer abgründigen Eindeutigkeit nicht nach sachlicher Argumentation verlangen, sondern nach Empörung schreien. Und ich bin empört.

Spectrum, Fr., 1998.01.30

27. Dezember 1997Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Flanieren unter Glaswolken

Normalerweise sind Einkaufszentren öde Schachteln, phantasielos in die Landschaft gestellt. In Salzburg Kleßheim hat Massimiliano Fuksas ein etwas anderes „EKZ“ errichtet. Begegnung mit einem Architekturspektakel.

Normalerweise sind Einkaufszentren öde Schachteln, phantasielos in die Landschaft gestellt. In Salzburg Kleßheim hat Massimiliano Fuksas ein etwas anderes „EKZ“ errichtet. Begegnung mit einem Architekturspektakel.

Es zählt zu den unverständlichen Phänomenen, daß Einkaufszentren im Normalfall eine vernachlässigbare architektonische Größe darstellen. Sie wirken durchwegs billig, haben auch räumlich nichts zu bieten. Man fragt sich, warum man sein Geld dort ausgeben soll. Es gibt nur ein einziges Argument, das für Einkaufszentren spricht: Man kann dort relativ viel auf relativ kurzem Weg erledigen. Aber zum qualitativen „Freizeiterlebnis“ wird Shopping an solchen Orten nicht.

Oder doch? An der Autobahnabfahrt Salzburg-Kleßheim steht neuerdings ein Einkaufszentrum, das den Gegenbeweis liefert. Es wurde im Auftrag der Spar-Gruppe errichtet und ist das Resultat eines Gutachterverfahrens, zu dem drei Architekten geladen waren: der Salzburger Robert Wimmer, der Wiener Adolf Krischanitz und der Römer Massimiliano Fuksas. Letzterer erhielt den Zuschlag. Und er hat ein Einkaufszentrum hingestellt, über das man reden muß.

Das Haus ist riesig. Es ist 320 Meter lang und 140 Meter breit und wurde in zwei Etappen errichtet. Auf dem Gelände stand ein „alter“ Spar, der erst weggerissen wurde, nachdem die erste Bauphase abgeschlossen war. Fuksas hatte eine geniale Ausgangsidee: Er hat dem Gebäude eine zweischalige Glasfassade angemessen, die vom Schriftzug des Gebäudenamens - Europark - lebt. In großen Lettern zieht sich dieser Name um das Haus herum, in leicht verschobenen Rasterpunkten auf beide Fassadenschalen aufgebracht, sodaß sich eine plastische, fast holographische Wirkung einstellt.

Die Gebäudehülle fungiert so zwar als Werbeträger, aber ohne das unsägliche Chaos, das üblicherweise durch die verschiedenen Geschäftslogos entsteht. Diese Architektur leistet genau das, was man von einem Einkaufszentrum erwartet: Sie ist signifikant. Und sie verspricht jenes zusätzliche Erlebnis, das man wohl einfordern darf, wenn man dort schon sein Geld ausgeben soll.

Es hat sich aber auch der Bauherr angestrengt: Er hat - auf eigene Rechnung - eine ampelfreie Zufahrt mit Kreisverkehr geschaffen, und er hat zumindest versucht, das öde Parkplatz-Meer zu verhindern, von dem solche Häuser normalerweise umgeben sind, indem er 2300 Parkplätze zum Teil auf dem Dach, zum Teil unterirdisch einrichtete.

Der Architekt wußte auch diese Anforderung zu einer räumlichen Qualität umzumünzen: Die Tiefgarage ist farblich und typographisch so gelöst, daß man sich auf Grund des ornamentalen Einsatzes der Platzbeschriftungen hervorragend orientieren kann. Und die Auffahrt zum Parkdeck auf dem Dach schiebt sich als Spirale plastisch aus dem Gebäude heraus - eine Art Guggenheim-Museum ohne Außenhaut - und führt auf eine Dachlandschaft, die von einer leuchtend roten Streckmetallgitter-Welle überspannt ist und einen Ausblick bietet, der, ohne Übertreibung, einfach phantastisch ist.

Fuksas hat diesen Ausblick natürlich „inszeniert“. Er hat einen Aussichtsturm auf das Gebäude gesetzt, nutzlos, sinnlos, wenn man so will. Aber zum Erlebniswert des Hauses trägt diese Nutzlosigkeit, diese Sinnlosigkeit ohne Zweifel bei. Und auf dieser Basis funktioniert sozusagen die gesamte Anlage.

Auch die seichten schwarzen Wasserbecken, die sich um das Gebäude ziehen, sind irgendwo - nutzlos. Aber der optische Effekt, der vor allem bei Dunkelheit entsteht, wenn sich das Gebäude im Wasser spiegelt, ist großartig. Man meint, vor einem Abgrund zu stehen, dabei sind die Becken vielleicht zehn Zentimeter tief.

Fuksas hat das Haus drinnen ganz einfach organisiert. Es ist zweigeschoßig, und die Geschäfte sind um großzügige, von oben belichtete Malls angeordnet. Man findet sich zurecht, die Erschließung ist auf Anhieb verständlich. Es gibt natürlich alles: von den verglasten Liften über Rolltreppen bis zu Stiegen. Und es gibt jede Menge Anlässe, sich über das „Shopping“ hinaus hier aufzuhalten, weil es auch ein differenziertes gastronomisches Angebot gibt: von der kleinen Bar, dem Café über das Pub bis hin zum Restaurant mit großer Terrasse und eigenem Aufgang, auch noch nach Ladenschluß.

Das Haus lädt zum Flanieren ein. Es ist lichtdurchflutet und freundlich, was sicher auch dem Bartenbach LichtLabor angerechnet werden muß, das ein erstklassiges Lichtkonzept entwickelt hat. Es bietet aber andererseits auch etwas, was für ein Einkaufszentrum eine Art Basisqualität darstellt: Es bietet sehr unterschiedliche Raummilieus. Und die machen einen neugierig, sie sind quasi das Argument, daß man weitergeht, daß man alles sehen will.

Ein besonders wichtiger Punkt ist auch, daß es überall Durchblicke und Ausblicke gibt. Man fühlt sich nie eingesperrt in eine Schachtel. Diese Beengtheit, die in vergleichbaren Häusern so stört, stellt sich im „Europark“ einfach nicht ein, selbst wenn viele Leute da sind. Das konnte man bei der Eröffnung sehr gut überprüfen.

Apropos Eröffnung: Fuksas stand bei dieser Gelegenheit vor seinem Haus und hat festgestellt, daß es überhaupt nicht wie ein Einkaufszentrum aussieht. Da hat er recht. Dabei wurde nichts weggelassen, was für solche Orte charakteristisch ist. Selbst der unvermeidliche Brunnen ist da. Aber er wurde von Fuksas selbst entworfen, und daher ist er besser als vergleichbare. Wie hier überhaupt alles besser ist, weil es ein qualifizierter Architekt gemacht hat.

Zum Beispiel das angesprochene Gastronomieangebot: Es ist durch farbige Glaswolken-Formationen kenntlich gemacht, nicht aufdringlich, aber doch so, daß man es von weitem sieht. Denn Fuksas hat der Ausbildung der Decke besondere Aufmerksamkeit geschenkt: Er hat eigene Aluminiumpaneele entwickelt und damit eine elegante Beruhigung im Raum hergestellt, die nur durch die Glaswolken „gestört“ wird.

Eleganz muß man auch dem Bodenbelag attestieren, einem hellen - und teuren - Granit (Kashmir white). Und wo Holz verwendet wurde, sind es Doussié-Parketten. Keine Frage, hier wurde wirklich kein Aufwand gescheut.

Speziell auf die Kunst- und Tageslichtsituation trifft das in höchstem Maße zu. Das Bartenbach LichtLabor hat auf diesem Gebiet Außerordentliches geleistet. Durch die Oberlichtverglasungen kommt schon ausreichend Tageslicht herein, Blendschutz-Screens bieten aber auch die Möglichkeit, diese Verglasung zu beschatten. Nur: Zwischen den einzelnen Screens kommen auf jeden Fall einzelne Sonnenstrahlen herein und bilden sich als Sonnenflecken in der Mall ab.

Diesem Tageslichtszenarium entspricht auch die Kunstlichtsituation. Strahler werfen das Licht an die Decke, die es gleichmäßig und blendfrei im Raum verteilt. Die Glaswolken in den Gastronomiebereichen sind auch als Lichtwolken aufgefaßt, die Rolltreppenantritte sowie die Ausgänge zur Tiefgarage und zum Parkdeck sind aber von der Beleuchtung her spezifisch interpretiert. Und was ganz wichtig für die Raumdynamik ist: Es gibt einen rhythmischen Wechsel zwischen helleren und dunkleren Zonen.

Licht spielt beim „Europark“ nicht nur drinnen eine Rolle. Denn was dieses Einkaufszentrum von außen zum Architekturspektakel macht, ist seine Fassade. Fuksas hat eine zweischalige Glasfassade entwickelt, die bei Tag und bei Nacht gleichermaßen spektakulär ist: Bei Tag, weil sie durch den gebäudehohen Schriftzug „Europark“ als Werbeträger fungiert; bei Nacht, weil dann das Gebäude geradezu kristalline Eigenschaften annimmt und die Fassade eine Lebendigkeit entwickelt, die ihresgleichen sucht. Denn zwischen den Fassadenschichten ist eine Beleuchtung installiert, der man zumindest eine gewisse Theatralik attestieren muß. Aber braucht es die nicht, wenn ein Einkaufszentrum die Aufmerksamkeit auf sich ziehen will?

Natürlich ist mit Architektur allein der Erfolg eines Einkaufszentrums nicht herzustellen. Es muß auch auf einer anderen, mehr profanen Ebene etwas bieten. Es mag ein Glücksfall sein, aber selbst das ist in Salzburg-Kleßheim gelungen. Nur: Damit wird das architektonische Outfit dem inhaltlichen Angebot auch gerecht.

Man mag darüber streiten, ob es wirklich nötig ist, vom Kinderspielplatz bis zum Biotop alle Dinge anzubieten, die „zeitgeistig angesagt“ sind, aber möglicherweise nicht sonderlich begründet. Und man kann vor allem darüber streiten, ob es sehr fair war, den Architekten nach der ersten Bauetappe mehr oder weniger auszubooten und den Bau zwar nach seinen Plänen - und sehr, sehr sorgfältig überwacht von einem asiatischen Generalunternehmer - , aber praktisch ohne ihn, ohne den Autor selbst, zu vollenden.

Oder vielmehr: Über diese Vorgangsweise kann man eigentlich nicht streiten.

Spectrum, Sa., 1997.12.27



verknüpfte Bauwerke
Einkaufszentrum Europark

29. November 1997Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Und was hilft hier wem wieso?

Ein heikles Projekt, politisch wie gestalterisch: Mit österreichischen Entwicklungshilfe-Geldern sollte in einem desolaten nepalesischen Königspalast ein Museum installiert werden. Jetzt sind Zweifler eines Besseren belehrt: Götz Hagmüllers Patan-Museum.

Ein heikles Projekt, politisch wie gestalterisch: Mit österreichischen Entwicklungshilfe-Geldern sollte in einem desolaten nepalesischen Königspalast ein Museum installiert werden. Jetzt sind Zweifler eines Besseren belehrt: Götz Hagmüllers Patan-Museum.

Entwicklungshilfe hat üblicherweise mit sozialen Maßnahmen zu tun, mit der Gesundheitsproblematik, mit Bildungsfragen. Kulturelle Projekte werden aus Mitteln der Entwicklungshilfe dagegen nur in Ausnahmefällen unterstützt. Genau das aber war im Katmandutal, in Nepal, beim Patan-Museum der Fall.

Die Vorgeschichte dieses Unternehmens reicht gut 20 Jahre zurück. Damals engagierten sich mit Carl Pruscha und Eduard Sekler zwei Österreicher für den tatsächlich höchst bemerkenswerten Bestand an Baudenkmälern, den es hier, im Schatten des Himalaya, trotz permanenter Erdbebengefahr und heftiger Regenfälle zur Zeit des Monsuns auch heute noch gibt.

Dieses Engagement zeitigte zweierlei Folgen: Erstens wurden die historischen Platzensembles mit den Königspalästen der Städte Katmandu, Patan und Bhaktapur auf die Liste des Weltkulturerbes gesetzt, und zweitens wurde mit der Renovierung eines Teils des Königspalastes von Patan und seiner Umnutzung als Museum von österreichischer Seite ein wirklich beispielhaftes Projekt realisiert.

Die Voraussetzungen dafür waren allerdings ungewöhnlich günstig. Denn mit Götz Hagmüller lebte schon ein österreichischer Architekt auf dem Projektschauplatz, sodaß sich die 14jährige Geschichte, des Projekts, das phasenweise nur sehr langsam voranzutreiben war, nicht über Gebühr auf das Budget ausgewirkt hat. Und mit 12,5 Millionen Schilling für Sachwerte und lokale Arbeitskräfte und 9,5 Millionen Schilling an Personalkosten (Architekt, Projektleiter, Museumsdidaktik) hält sich der Aufwand ja auch wahrlich in Grenzen.

Das Museum belegt rund ein Viertel des Bauvolumens eines Königspalastes aus dem Jahre 1734, der die Front zu einem der schönsten Plätze Nepals bildet. Dieses Viertel - im wesentlichen in vier Trakten um einen zentralen Innenhof organisiert - war genau wie der verbleibende größere Rest in einem höchst bedenklichen Bauzustand, außerdem abgewirtschaftet, verkommen, verschandelt. Beim großen Erdbeben von 1934 sind Teile des Bauwerks überhaupt eingestürzt, die Art und Weise, wie sie wieder aufgebaut wurden, erschien problematisch.

Wie geht man mit einem solchen, nur in Fragmenten „authentischen“ Bauwerk architektonisch um? Welche Sprache ist in diesem Fall richtig? Götz Hagmüllers Antworten auf diese Fragen fielen differenziert aus, obwohl er sich - streng genommen - gegen die „Charta von Venedig“ versündigte. Denn die schreibt zwingend vor, daß jeder neue Eingriff in die historische Substanz mit zeitgenössischen Mitteln zu erfolgen hat.

Dieser Vorgabe hat sich Hagmüller aber widersetzt. Und das ist auch gut so. Denn eine deklarierte zeitgenössische Intervention hätte in diese unheimlich reiche, starke Architektur bestenfalls einen falschen Ton hineingetragen. So ist hingegen alles wieder da, wie es - vermutlich - einmal war: die Sichtziegelfassaden, das ziegelgedeckte Dach, die aufwendigen, unerhört kunstvollen Schnitzereien, der wunderbare Innenhof mit der rundumlaufenden Galerie aus Holz.

Nur an der Gartenseite, wo nach dem Erdbeben von 1934 aus einem einhüftigen Trakt ein zweihüftiger gemacht worden war, dem damals eine eher schlichte, neoklassizistische Fassade vorgestellt wurde, zeichnen sich Hagmüllers Eingriffe ein wenig dezidierter ab. Da darf dann sogar Stahl sichtbar in Erscheinung treten - wenn auch in Gestalt und Proportion den historischen Holzbalken angeglichen - , da treten kleine Erkernischen plastisch aus der Fassade hervor, da nimmt es Hagmüller mit dem „Historisieren“ nicht so genau.

Die Umnutzung eines Königspalastes zum Museum hat natürlich bauliche Eingriffe zur Voraussetzung. Und für einen nepalesischen Königspalast gilt das vielleicht sogar in einem besonderen Ausmaß. Denn erstens sind hier die Raumhöhen und damit auch die Türen extrem niedrig - über nahezu jeder nepalesischen Tür hängt das Schild „Mind Your Head“ - , zweitens sind die Treppen extrem steil und schmal, und drittens sind die Trakttiefen nicht größer als 2,60 Meter. - Hagmüller hat aus diesen Nöten Tugenden gemacht: Er hat zum Beispiel die Eingangssituation und den Weg durch das Haus durchlässiger gemacht. Wenn man jetzt im Innenhof steht, sieht man durch eine breite Arkadenöffnung bis nach hinten zum Gartenhof mit dem Gartenrestaurant. Das Hauptstiegenhaus ist flacher und bequemer geworden, über eine neue, große Öffnung in der Fassade zum Garten kommt außerdem Licht herein. Am Zuschnitt der Ausstellungsräume selbst war nicht zu rütteln: Es sind lange, eher schmale Galerien, die sich für die thematische Gliederung des Museumsbestandes aber ganz ausgezeichnet eignen.

Das Haus ist der nepalesischen Kunst und Kultur gewidmet. Sein Sammlungsbestand umfaßt rund 1500 Objekte, die eine etwas eigentümliche Geschichte haben. Denn es handelt sich durchwegs um Kunstgegenstände, die illegal außer Landes geschafft werden sollten und vom nepalesischen Zoll beschlagnahmt wurden.

Die wissenschaftliche Bearbeitung dieser Sammlung hat die amerikanische Nepal-Spezialistin Mary Slusser vorgenommen. Sie hat auch die 200 Exponate ausgewählt, die jetzt im Museum gezeigt werden, und sie hat das didaktische Ausstellungskonzept erarbeitet. Dieses Konzept ist wichtig: Denn den Touristen, die in dieses Museum kommen, wird hier wirklich eine anschauliche, verständliche Lektion über hinduistische und buddhistische Kultur erteilt. Und dieses Basiswissen braucht man, um wenigstens annähernd begreifen zu können, was einem draußen, im großen Freiluftmuseum des Katmandutales, eigentlich vor Augen steht.

Man kann von diesem Museum sicher nicht nur nach architektonischen Parametern reden. Dazu sind die nepalesischen Randbedingungen einfach zu speziell. Worauf es hier ankam, war ja nicht nur die Erhaltung von Bausubstanz, nicht nur die Einrichtung eines Museums. Wichtig war auch, wie, mit welchen Materialien und Technologien das geschieht. Denn mit Vitrinen auf dem letzten technischen Stand zum Beispiel kämen die Nepalesen bestimmt nicht zurecht, ebensowenig mit einer aufwendigen Lichtinstallation.

Wenn man andere Museen im Land besucht, dann weiß man, wovon hier die Rede ist: Kaputte Glühbirnen werden nicht ausgetauscht, heruntergefallene Beschriftungen nicht erneuert, Glasscheiben nicht geputzt, von Sauberkeit hält man in öffentlichen Gebäuden generell nicht sehr viel.

Alles das galt es bei der Realisierung des Projekts zu berücksichtigen. Hagmüller hat etwa die Vitrinen selbst entworfen und sie aus ganz einfachen Stahlprofilen gemacht. Dabei wurde zwar darauf geachtet, sie möglichst dicht zu bekommen, aber technisch sind sie so simpel wie möglich, damit es bei ihrer Wartung nicht zu Schwierigkeiten kommt.

Auch das Farbkonzept im Haus verdankt sich solchen Überlegungen: Zu den Materialfarben von Ziegel, Terrakotta und Holz treten nur noch ein ziegelfarbener Wandanstrich und das dunkle Rostbraun der sichtbaren Stahlteile hinzu, die mit einem ganz gewöhnlichen, handelsüblichen Rostschutz gestrichen wurden, den es in jedem nepalesischen Farbengeschäft gibt.

Trotz dieses wirklich sehr reduzierten Spielraums bei Gestaltungsfragen ist Götz Hagmüller - und seinem Bauleiter Thomas Schrom - atmosphärisch, infrastrukturell und organisatorisch ein Haus geglückt, das weit über Nepal hinaus seinesgleichen sucht. Denn hier gibt es einfach alles, was ein Museum braucht, damit es funktionieren kann: vom Museumsshop mit einer eigenen Produktpalette über eine ausgezeichnete Sammlungspräsentation bis hin zum Gartenrestaurant und zwei kleinen Gästestudios, die vermietet werden.

Dieser westliche Standard ist dabei in eine Material- und Gestaltungssprache übersetzt, die an nepalesischem Lokalkolorit nichts vermissen läßt. Und das Schöne dabei: Das Unternehmen hat beste Aussichten, daß es in dieser Qualität längerfristig überleben kann. Denn es ist zwar Eigentum der nepalesischen Regierung, aber organisatorisch ist es nach dem österreichischen Modell der Teilrechtsfähigkeit strukturiert. Und das bedeutet, daß es seine Einnahmen - aus Eintrittsgeldern und den Mieten für Museumsshop, Restaurant und Studios - selbst verwalten und in den eigenen Betrieb investieren kann.

Noch ist das Museum in keinen Reiseführer aufgenommen, noch steht es auf keinem Besichtigungsprogramm eines Reisebüros. Aber die Besucherzahlen sind schon jetzt beachtlich, und zwar sowohl an Nepalesen als auch an ausländischen Touristen.

Sicher kann man die Frage stellen, ob Entwicklungshilfe in die Unterstützung eines Kulturprojekts fließen soll. Aber wenn wir das „Weltkulturerbe“ als etwas Bedeutendes betrachten und wenn bei der Realisierung eines solchen Projekts die Frage des lokalen Interesses konsequent im Vordergrund steht, dann ist nur schwer dagegen zu argumentieren.

Denn ein ökonomischer Multiplikator ist das Patan-Museum allemal. Es zieht Geld ins Land, es schafft Arbeitsplätze. Es leistet Überzeugungsarbeit im Dienst nepalesischer Kunst und Kultur. Und wenn sich die österreichische Seite noch zu ein, zwei Jahren Projekt-Nachbetreuung aufraffte, dann könnte das Patan-Museum diese Aufgabe auf allerhöchstem Niveau auch langfristig erfüllen.

Spectrum, Sa., 1997.11.29



verknüpfte Bauwerke
Patan-Museum

03. Oktober 1997Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Große Geste mit grüner Linse

Sanierung alter Umweltsünden mit architektonischem Zusatzprofit: Auf einer Industriebrache im deutschen Ruhrgebiet haben die Grazer Architekten Michael Szyszkowitz und Karla Kowalski eine beispielhafte Wohnanlage errichtet.

Sanierung alter Umweltsünden mit architektonischem Zusatzprofit: Auf einer Industriebrache im deutschen Ruhrgebiet haben die Grazer Architekten Michael Szyszkowitz und Karla Kowalski eine beispielhafte Wohnanlage errichtet.

Mit dem Ruhrgebiet werden gemeinhin rauchende Schlote, schlechte Umweltqualität und große Dichte assoziiert. Daß das in dieser Form nicht stimmt, nimmt man erst wahr, wenn man sich diese Region etwas genauer ansieht. Ein Großteil der Kohlezechen, denen das Ruhrgebiet sein schwärzliches Image verdankt, mußte seit Anfang der achtziger Jahre ohnehin geschlossen werden; und die Fabrikschlote, die rauchen auch längst nicht mehr so, und wenn, dann außerhalb der dicht verbauten Wohngebiete.

Überhaupt bedarf die Vorstellung, daß es hier so besonders dicht zugeht, einer Korrektur: Dicht ist es schon, aber es ist eine durchgrünte Dichte, es ist mehr eine Art städtebaulicher Einheitsbrei, der eigentlich ohne tradierte, wirklich dicht verbaute städtische Zentren auskommt.

Der inhaltliche Schwerpunkt des 1989 begonnenen Umbauprogramms, das unter dem Namen Internationale Bauausstellung (IBA) Emscherpark das Ruhrgebiet durch eine strukturelle Reparatur in eine Art Landschaftspark verwandeln soll, der hat unter diesen Vorzeichen jedenfalls seine Berechtigung. Und er hat dazu geführt, daß neue Grünzüge angelegt oder bestehende komplettiert wurden und eine Vielzahl anderer ökologischer Maßnahmen heute schon Realität ist. Man hat sich aber auch auf den Wert vorhandener Industrieobjekte besonnen, man hat sie nach denkmalschützerischen Kriterien saniert und - nach den Möglichkeiten des jeweiligen Standortes - sogar neue Nutzungen dafür entwickelt. Und es wurde neu gebaut.

Eines dieser Neubauvorhaben haben die Grazer Architekten Michael Szyszkowitz und Karla Kowalski realisiert. Es handelt sich um eine Wohnanlage am Rand von Gelsenkirchen, die ein Haus mit Altenwohnungen und einen integrativen Kindergarten einschließt und mehr als 200 Wohnungen umfaßt. Das Besondere im Rahmen der Flächensanierung durch die IBA Emscherpark ist dabei: Die Wohnanlage wurde auf dem Gelände einer Industriebrache errichtet, wo früher einmal ein Betrieb der Firma Küppersbusch stand. Diese Fabrik war schon 15 Jahre davor abgesiedelt worden, trotzdem hatte sich für das sieben Hektar große Areal nie eine neue Nutzung gefunden.

Aus gutem Grund: Denn unter der Erdoberfläche lag hier eine dicke Schicht Bauschutt verborgen, die erst einmal entsorgt werden mußte. Aber genau diese Art von „Reparatur“ gehört ja zum Maßnahmengeflecht, das bis 1999 im Rahmen der IBA Emscherpark einem Areal von beachtlichen 300 Quadratkilometern zugute gekommen sein wird.

Im konkreten Fall heißt das: Bevor überhaupt gebaut werden konnte, mußte erst einmal das gesamte Erdreich auf dem Gelände ausgetauscht werden. Bis zu sieben Meter tief wurde abgegraben und mit guter Erde wieder aufgefüllt. Das belastete Material hat man dabei - durch dicke Folien gesichert, entsprechend abgedeckt und begrünt - zu einer Hügellandschaft aufgeschichtet, die sich nun entlang einer alten Gleisanlage hinzieht. Beim Lokalaugenschein stellt sich das als sehr sinnvolle Maßnahme heraus, denn jenseits der Gleisanlagen ist ein riesige Mülldeponie, und die wäre für die Wohnanlage ohnehin kein sehr reizvoller Anblick.

Das Projekt von Michael Szyszkowitz und Karla Kowalski greift die inhaltlichen Vorgaben der Situation auf, es thematisiert sie auf ganz besondere Weise. Städtebaulich haben die Grazer Architekten ihre Wohnanlage in vertretbarer und sinnvoller Dichte auf das langgestreckte Grundstück komponiert. Zur Bahn hin schotten, wie gesagt, die künstlich angelegten Hügel die Wohnanlage ab. An der Seite Richtung Stadt formieren sich die Wohnhäuser um drei kleinere, aber urbane Plätze, von denen der mittlere eine Geschäftszone einschließt. Hierher ist übrigens auch das Haus mit den Seniorenwohnungen orientiert. Und der Kindergarten liegt ganz am Ende, an einer Schmalseite des Terrains, nahezu unsichtbar eingegraben in die aufgeschichteten Hügel, mit einem großen Freibereich dahinter.

Wichtig ist das Zentrum der Anlage: Es ist ein linsenförmiger Freibereich, umgeben von einer Promenade und einer Arkade, auf die man sich zunächst keinen Reim zu machen vermag. Auch die etwas abgesenkte grüne Linse mit den merkwürdigen „Schikanen“, die sie zerschneiden, ist nicht gleich lesbar. Szyszkowitz und Kowalski haben hier, unter den besonderen Umständen des Ortes, das Wasser und seine ökologische Bedeutsamkeit thematisiert. Alles Regenwasser wird von den Dächern der Häuser - und zwar nach dem Prinzip der Verlangsamung - in diese Mitte geleitet und teilweise über Regenrinnen in vier Meter Höhe zur zentralen Linse geführt und zum Versickern gebracht. Dieses Konzept ist so angelegt und berechnet, daß auch in Zeiten großer Regenfälle, wie das im vergangenen Juli der Fall war, kaum mehr als zwei, drei „Becken“ in der Linse unter Wasser stehen. In der gegebenen Situation wird den Bewohnern damit sehr anschaulich und tagtäglich vor Augen geführt, was sozusagen „Gold“ wert ist - reines Wasser.

Grundsätzlich vermittelt die Wohnanlage den Eindruck großer Geschlossenheit. Sie ist - und das unterscheidet sie von der Wiener Praxis der Portionierung in viel zu kleine architektonische Scheibchen - aus einem Guß. Das ist bemerkenswert, weil es sich um eine eigentlich sehr detailreiche Architektur handelt, die ihr raffiniertes Spiel mit der Plastizität der Baukörper treibt, voller dynamischer Vor- und Rücksprünge und der reizvollen Abfolge durchsichtiger, durchscheinender und geschlossener Flächen, mit der ausdrucksstarken Differenzierung von Fenstergrößen, auch mit der Staffelung von Gebäudehöhen.

Andererseits haben sich Michael Szyszkowitz und Karla Kowalski sowohl bei der Farbgebung als auch bei den verwendeten Materialien eine ziemlich rigorose Selbstbeschränkung auferlegt, sodaß allein schon dadurch zwischen den vielen relativ kleinen Einzelteilen, aus denen eine solche Wohnanlage besteht, ein Zusammenhalt hergestellt wird.

Es gibt einen „gemeinsamen Atem“, der diese Häuser und ihre Bewohner spürbar miteinander verbindet. Und genau darauf kommt es an: Unter dem Strich steht so einfach mehr da als nur die Summe der errichteten Wohneinheiten.

Die Häuser haben durchwegs schlichte Putzfassaden, alle in einem grünstichigen Türkis, das nur an einer Schmalseite der Bebauung einen etwas kräftigeren Ton anschlägt. Einen zweiten Farbakzent setzen die gelben Türen. Balkonbrüstungen sind aus Lochblech, im Haus mit den Altenwohnungen aus Glas. Die Stiegenhäuser - teils mit Profilitfassade, teils durchsichtig verglast - wirken wie Schnitte durch die Baukörper. Und das reiche Freiraumangebot - von den Mietergärten zu ebener Erde über große Balkone und Loggien bis hin zu den Terrassen auf den begrünten Flachdächern - bringt Leben, bringt Bewegung in diese Architektur.

Formenvielfalt ist hier kein leeres Wort. Auch räumliche Vielfalt nicht. Das beginnt schon draußen, vor den Häusern. Da gibt es die drei harten urbanen Plätze und die große Geste der grünen Linse, es gibt schmale Erschließungswege, wo der Eindruck städtischer Dichte aufkommt, es gibt den fast intimen Spazierweg über die Hügel, der über breite Kaskadentreppen auch wieder zum Zentrum führt, und es gibt die weitläufige, öffentliche Promenade.

Diese Differenzierung des Angebotes setzt sich in den Häusern und bei den sehr unterschiedlichen Wohnungsgrundrissen weiter fort. Michael Szyszkowitz und Karla Kowalski halten nämlich nicht viel davon, allen Leuten gleichartige beziehungsweise gleichwertige Wohnungen anzubieten.

Die Wohnanlage ist übrigens nur teilweise für den Verkehr gesperrt, und es gibt keine Tiefgarage. Die Autos werden entweder in „Taschen“ unter den Wohnhäusern abgestellt oder unter recht plastisch formulierten Flugdächern zwischen den Wohnbauten. Das mag auf Anhieb problematisch klingen. An Ort und Stelle merkt man aber, daß die Wohnqualität darunter nicht leidet.

Ein besonders gelungenes architektonisches Element haben Michael Szyszkowitz und Karla Kowalski an einer Schmalseite der Anlage plaziert: den Kindergarten. Die räumliche Struktur dieses Baus erscheint ausgesprochen reizvoll. Er entwickelt sich unter sechs schalenförmigen Dachelementen, die ein wenig gegenläufig angeordnet sind und unterschiedliche Zonen definieren.

Eine sehr gut nutzbare, breite innere Erschließung fungiert als das Rückgrat des Baus, und da, wo sich die „Schalen“ des Daches überschneiden, ergeben sich jeweils ziemlich enge, hofartige Stellen, an denen die Architekten einzelne Bäume gepflanzt haben, fünf insgesamt. Den Kindern wird in diesem Haus allerhand geboten.

Sicher könnte man anmerken, daß im Rahmen einer Bauausstellung andere, besondere Regeln gelten, die mit dem Normalfall des täglichen Wohnbaus nicht zu vergleichen sind. Das trifft in Gelsenkirchen auf den Aufwand zur Sanierung des Areals bestimmt zu. Trotzdem muß man der IBA Emscherpark attestieren, daß sie eine beispielhafte Anstrengung darstellt, Umweltsünden der Vergangenheit auszumerzen. Solche Anstrengungen werden in Zukunft in vielen Industriezonen nötig sein. Daß - wie nebenbei - im Zuge dieser Anstrengung eine beispielhafte Wohnanlage entstanden ist, schlägt als architektonischer Zusatzprofit zu Buche.

Spectrum, Fr., 1997.10.03



verknüpfte Bauwerke
Wohnüberbauung ehem. Küppersbuschgelände

20. September 1997Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Man baut, was man braucht

Denkbar klein war der Spielraum, den technische und räumliche Vorgaben ließen: Um einen 60-Tonnen-Generator war auf einem winzigen Grazer Bauplatz ein Kraftwerk zu errichten. Konrad Frey zog sich mit Anstand aus der Affäre.

Denkbar klein war der Spielraum, den technische und räumliche Vorgaben ließen: Um einen 60-Tonnen-Generator war auf einem winzigen Grazer Bauplatz ein Kraftwerk zu errichten. Konrad Frey zog sich mit Anstand aus der Affäre.

Industrieareale haben in aller Regel etwas zufällig Gewachsenes: Man baut, was man braucht und wo man es braucht, das firmeneigene Gelände wird maximal ausgenutzt. Aber der architektonische Anspruch ist dabei marginal. Auch das Areal der Steyr-Daimler-Puch Fahrzeugtechnik (SFT) in Graz vermittelt diesen Eindruck; man muß es nicht gesehen haben.

Nun hat aber auf diesem Gelände das Grazer Architekturbüro Konrad Frey ein kleines Kraftwerk realisiert. Und das ist bemerkenswert, weil es technisch viel kann. Es ist bemerkenswert, weil es - trotz seiner Kleinheit - ein gutes Beispiel dafür ist, wie heute komplexe, multinationale Planungs- und Bauprozesse vor sich gehen. Und dann zeigt es, mit allem Anstand, die Grenzen der Möglichkeiten der architektonischen Profession.

Das Kraftwerk ist eine sogenannte Cogenerationsanlage. Sie stellt das Brauchwasser her, das die SFT in ihren Produktionsstätten nötig hat. Bisher wurde dieses Brauchwasser in einem alten, mit Erdgas betriebenen Kesselhaus relativ aufwendig, vor allem nicht sehr effizient erhitzt. Jetzt geschieht das mit Hilfe des Kraftwerks. Und dazu kann dieses Kraftwerk noch zweierlei: Es erzeugt zusätzlichen Strom, der ins Netz der Grazer Stadtwerke eingespeichert wird, und es nutzt die Sekundärwärme und speist sie ins Netz der Steirischen Fernwärme.

Das ist eine sehr sinnvolle Vorgangsweise. Denn die Brauchwasser-Erzeugung kann dadurch wesentlich ökonomischer erfolgen, außerdem weist die Anlage einen sehr hohen, fast 90prozentigen Ausnutzungsgrad auf, und obendrein hat sie minimale Abgaswerte, fährt also äußerst umweltschonend. Und daß sich durch die Dreifachnutzung die Investition für den Betreiber relativ schnell amortisiert, ist wahrscheinlich auch nicht uninteressant.

Stellt sich die Frage: Was tut der Architekt dabei? Der erste Eindruck sagt dem Betrachter: nicht viel. Denn Konrad Freys Kraftwerk ist eine ziemlich simple Schachtel, die an das alte Kesselhaus darangestellt wurde. Sie hat eine Blechfassade und - einzige „Besonderheit“ - eine außenliegende, mit Kunststoff ganz unprätentiös überdachte Stiege, die aber in erster Linie als Besucherstiege fungiert. Die Leute, die hier arbeiten, gehen unten hinein. An der Nordfassade, wo die Frischluft angesaugt wird, treten die Installationen als plastische Elemente sichtbar in Erscheinung. Und sichtbar sind auch alle Leitungen geführt: Man sieht den Mast, wo der Strom über das Netzt weggeht, man sieht im Süden auch die Ausleitung für die Fernwärme, die dann etwas weiter weg unter der Autobahn verschwindet.

Nun ist nichts dagegen zu sagen, daß sich der Architekt, der eine solche Anlage - unter rigorosen Kostenauflagen - plant, einer reduzierten und sehr industriellen Sprache bedient. Im Gegenteil, alles andere wäre hier ganz bestimmt unangemessen.

Es ist auch nichts dagegen zu sagen, daß das Kraftwerk eine simple Schachtel mit den Abmessungen zehn mal 30 Meter ist: Beim Bauen ist die Schachtel immer noch die weitaus preisgünstigste Baukörperform.

Und genau solche Überlegungen hatte der Architekt bei seiner Planung anzustellen. Konrad Frey, ein Funktionsanalytiker aus Überzeugung, vergleicht den Planungsprozeß für diese Anlage gern mit dem Planungsprozeß für die Motorhaube eines Autos. Auch dort überschneiden sich ja sehr verschiedene Überlegungen. Wie sie aussieht, verdankt sich zwar auch formalen Kriterien, darüber hinaus muß sie aber zum Beispiel aerodynamischen Anforderungen genügen, es müssen die technischen Einrichtungen darunter optimiert werden, Erreichbarkeit, Austauschbarkeit und Funktionalität der technischen Teile spielen eine Rolle, und die Ökonomie ist sowieso immer eine eigene Größe.

Ganz ähnlich die „architektonischen Randbedingungen“ für diesen Kraftwerksbau. Da gab es zwar sehr genau definierte technische Kernbereiche und einen exakt festgelegten, nur minimalen Bauplatz, aber was es über weite Strecken des Planungsprozesses nicht gab, das war die Gewißheit, daß es überhaupt möglich sein würde, bei solchen räumlichen Vorgaben diese Anlage zu realisieren. Denn die „Kernbereiche“ waren für den Architekten unantastbar, die hatte er zu akzeptieren. Möglichkeiten der Optimierung und modifizierenden Organisation boten sich lediglich in den „komplettierenden Bereichen“ an.

Im wesentlichen besteht die Anlage aus einer mit Gas betriebenen Turbine, die im Längsteil des Baukörpers liegt, und dem Filterhaus im Norden, wo die Frischluft angesaugt und durch die Turbine geführt wird. Durch die Rotationsbewegung der Turbine wird schließlich ein Generator angetrieben. Dabei entstehen große Wärmemengen - es geht um Temperaturen zwischen 600 und 700 Grad - , die in drei verschiedenen Kesselbereichen und über sehr lange Metallrohrschlaufen entsprechend genutzt werden. Die Aufgabe des Architekten bestand vor allem darin, die verschiedenen Anforderungen zu koordinieren und ihre konkrete Realisierbarkeit an Ort und Stelle im Auge zu behalten. Denn die Anlagenbauer selbst waren auf aller Herren Länder verteilt: Aus Deutschland kamen die Kessel, aus den USA stammt die Turbine, Frankreich steuerte den Generator bei. Letzterer wiegt übrigens beachtliche 60 Tonnen und wurde als fertiges Element, in einem Block, auf dem schwierigen Werksgelände angeliefert und von Italienern montiert. Es war notwendig, auf den Zehntelmillimeter genaue Stahlbetonfundamente für die Anlagenteile zu errichten. In stundenlangen Sitzungen mit den Technokraten schob man eine einzelne Mauer immer wieder fünf Zentimeter vor und zurück.

Die Stellung des Architekten in einem solchen Planungsprozeß ist zweifellos schwierig. Denn allein von der Auftragssumme her ist er das kleinste Rädchen im Getriebe. Das Sagen haben die Anlagenbauer. Andererseits kam ihm im konkreten Fall aber doch eine wichtige Rolle zu, weil die Durchführbarkeit des Gesamtprojekts an seinem (räumlichen) Organisationsgeschick hing.

Das war für Konrad Frey eine Herausforderung. Als Strukturdenker, dem es um Abläufe sehr viel mehr geht als um das formale Detail, hat er sich auf das Spiel mit solchen Zwängen und Anforderungen gern eingelassen. Daß die Containerstadt für das Kraftwerk in der Bauphase mindestens so groß war wie das Kraftwerk selbst, daß die Faxe mit den Besprechungsnotizen und Detailanforderungen von seiten der Anlagenbauer nur noch in Kilogrammen zu messen waren, hat das Büro verkraftet.

Der „andere“ Blick des Architekten, der Blick aus der Distanz des Nicht-Technikers, dem die Strukturierung und Organisation der Anlagenteile ein Schwerpunkt seines Engagements ist, hatte hingegen Maßnahmen zur Folge, die den Technikern nicht eingefallen wären, die sich nun aber wohltuend bemerkbar machen. Wobei der wichtigste Beitrag des Architekten wahrscheinlich in der Einführung einer Installationszone besteht, die über die ganze Höhe zwischen der bestehenden Mauer des alten Kesselhauses und dem Neubau reicht und die ohnehin „überinstallierten“ Innenräume ganz wesentlich entlastet; abgesehen davon, daß die Übersichtlichkeit und Zugänglichkeit dieser Installationen eine Qualität darstellt, die allen Beteiligten an diesem Projekt etwas brachte.

Im Innenraum zeigen sich dann aber auch die Grenzen der Eingriffsmöglichkeiten des Architekten. Er kann in den „komplettierenden Bereichen“ zwar ordnend intervenieren und einen gewissen Druck auf die Techniker ausüben, er kann gegensteuern und sie zwingen, ihre eigene gedankliche Trägheit zugunsten der Gesamtorganisation zumindest in Teilbereichen zu überwinden - wenn man wirklich nachfragt, stellt sich nämlich schnell heraus, daß manche Anforderungen der Technik nur scheinbar logisch begründet sind - , trotzdem ist das Scheitern in gestalterischen Details irgendwo vorprogrammiert.

Dabei spürt man beim Betreten des Hauses sofort, daß hier ein Architekt die Hand im Spiel hatte. Es ist einfach alles soviel strukturierter und organisierter, soviel übersichtlicher, als es normalerweise der Fall ist, daß man instinktiv weiß: Darauf hat hier jemand viel Wert gelegt. Aber der rote Anstrich im Stiegenhaus, der graue Anstrich bei den Untersichten der Treppenläufe, das sind dann doch zu billige Lösungen, als daß man sie einem qualifizierten Architekten anlasten möchte. Und tatsächlich ist es auch so, daß natürlich Sichtbeton vorgesehen war, den die Baufirma aber so verdorben hat, daß ihn der Generalunternehmer nicht akzeptierte.

Und leider hat er die unkonventionellen Vorschläge des Architekten zur Lösung des Problems auch nicht akzeptiert: Frey wollte die „Nester“ im Sichtbeton mit einer Art färbigem Giraffenmuster überziehen. So kam es zum roten Anstrich. Daß dann auch die Treppenuntersichten nicht in nacktem Beton sein durften, sagt einiges über das gespaltene Verhältnis von Industrieanlagenbauern und Generalunternehmern zu ihrer eigenen Profession aus. Die industriellen Geister, die sie gerufen haben, die werden sie nun nicht los. Und man hat das Gefühl, sie selbst fürchten sich davor am meisten.

Spectrum, Sa., 1997.09.20



verknüpfte Bauwerke
Kraftwerk Cogenerationsanlage SFT

30. August 1997Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Japanische Meditation in Tirol

Mit Skepsis wurde die transparente Gebäudeschachtel in Zams-Schönwies anfänglich betrachtet. Mittlerweile sind alle Beteiligten froh, daß Johann Obermosers Altenpflegeheim sich der verkitschten Gemütlichkeit strikt verweigert, in der „Senioren“ sich angeb

Mit Skepsis wurde die transparente Gebäudeschachtel in Zams-Schönwies anfänglich betrachtet. Mittlerweile sind alle Beteiligten froh, daß Johann Obermosers Altenpflegeheim sich der verkitschten Gemütlichkeit strikt verweigert, in der „Senioren“ sich angeb

Die Kulisse ist spektakulär, die Gegend ist ländlich: Mitten in einem Tal in den Tiroler Bergen liegt Zams- Schönwies. Architektonisch ist man mit dem üblichen Einerlei konfrontiert, mit einer wuchernden Satteldach-Wirklichkeit, die sich unmerklich die Hänge hinaufschleicht, und Nachkriegsbauten der ausnahmslos eher gewöhnlichen Art; es ist alles da: Dorfkirche, Schipiste, Eislaufplatz - eben alles, was ins Bilderbuch der Tiroler Bergwelt immer schon gepaßt hat.

Und dann, unvermittelt, ein neuer Ton, ein anderes Bild: Es hat die Anmutung einer kühlen, gläsernen Schachtel, steht mitten auf der grünen Wiese und läßt auf Anhieb keinen Schluß darauf zu, was drinnen Sache ist.

Tatsächlich ist es ein Haus für alte Leute, für Pflegefälle aus der unmittelbaren Umgebung. Und es fügt sich mit seiner architektonischen Sprache in eine Gesamtentwicklung ein, die erfreulicherweise darauf abzielt, mit all diesen längst überholten Vorstellungen von einer verkitschten Gemütlichkeit aufzuräumen, die es angeblich braucht, damit sich „Senioren“ wohl fühlen. Klaus Kada hat in der Steiermark ein Altenpflegeheim gebaut, das ebenfalls eine solche Sprache spricht; in Vorarlberg finden sich gleich mehrere Häuser dieser Art - etwa von Gohm & Hiessberger, von Rainer Köberl, von Noldin & Noldin.

Das Haus wurde auf der grünen Wiese errichtet. Unweit davon verläuft ein Bahndamm, der allernächste Nachbar ist ein Kindergarten. Städtebaulich hat sich der Innsbrucker Architekt Johann Obermoser auf diesen Nachbarn ausdrücklich bezogen. Denn seine L-förmige Bebauung, die einen grünen Freiraum definiert, nimmt zwar im Sockelgeschoß die Achse der Grundstücksgrenze auf, in den zwei vorspringenden Geschoßen darüber folgt sie hingegen der Baulinie des Kindergartens.

Das hat eine gewisse Verdrehung des Baukörpers in sich zur Folge. Aber gerade die stellt sich als raffinierte Maßnahme heraus: Denn Obermoser hat in den beiden Wohngeschoßen an der Außenseite seines Hauses einen Wintergarten geplant, der sich durch diese Verdrehung von einer Gangbreite von 1,50 Metern auf 4,50 Meter erweitert und so von einer bloßen Erschließung zum vielfältig nutzbaren Aufenthalts- und Kommunikationsraum mutiert. Im Knickpunkt dieses Raums, wo der zweite Schenkel des L mehr oder weniger im rechten Winkel ansetzt, sind jeweils die Schwesternstationen situiert, dann geht es weiter und schließlich über eine Freitreppe hinaus ins Grüne.

Nach außen also: eine Glasschachtel für alte Leute, die sich zwar mit Hilfe von Lamellenjalousien auch vollständig verschließen läßt - aber immerhin. Die vorsichtige Skepsis des Bauherrn kann man verstehen: So viel nüchternes, „kaltes“ Glas für Senioren mitten in einer kleinen ländlichen Gemeinde in Tirol? Er hat das Projekt des Architekten letztlich aber doch und praktisch sogar unverändert akzeptiert, worüber jetzt alle Beteiligten froh sind. Denn was bleibt, wenn für jemanden nur noch das Altenpflegeheim bleibt? Helle, freundliche, angenehme Wohn- und Aufenthaltsräume, eine sinnvoll organisierte Differenzierung zwischen Individual- und Gemeinschaftsbereichen, überschaubare, für die alten Leute auch leistbare Wegführungen und - die Möglichkeit des Beobachtens, was „draußen“ geschieht, die Sichtbeziehung zum Ort, wo man früher gelebt hat.

Johann Obermoser ist auf diese Vorgaben städtebaulich mit viel Bedacht eingegangen, sodaß sein Haus durch vielfältige Blickbezüge in den Ort, in die vertraute Umgebung einbezogen ist. Der Ausblick auf die Berge ist sowieso überwältigend; auf den Hängen kann man die grasenden Kühe beobachten, im Winter sieht man das Treiben auf der Schipiste; im Tal den vorbeifahrenden Zug; man kann hinüber zur Dorfkirche und zum Eislaufplatz schauen; und unmittelbar vor Augen hat man den Kindergarten, dessen Gelände an den Freibereich des Altenpflegeheims direkt angrenzt, wenn auch, ein Dorn im Auge des Architekten, durch einen Zaun davon abgetrennt. - Von der Nutzung her ist das Haus so organisiert: Im Sockelgeschoß sind die Verwaltungsräume, die Küche und Gemeinschaftsbereiche wie Speisesaal und Café. Wobei das Personal einen separaten Eingang benützt, der an der Schmalseite des L Richtung Kindergarten liegt. Ebenfalls im Erdgeschoß: die öffentliche Bibliothek, die relativ zentral situiert und durch Glaswände zwar abgetrennt, aber trotzdem gut einsehbar ist, sodaß sich auch hier die Möglichkeit des Beobachtens bietet und die Verbindung zum „wirklichen“ Leben aufrecht bleibt.

Die Haupttreppe liegt zwischen Speisesaal und Café und ist fast wie ein Schnitt durch das Gebäude aufgefaßt. Es gibt natürlich auch einen behindertengerechten Lift, aber der wurde ein wenig versteckt, einfach um die alten Leute zum Treppensteigen - als Bewegungstherapie - zu motivieren.

Sie können von hier aus einen Rundumweg absolvieren: hinauf in den Wintergarten, den Wintergarten entlang, wieder hinaus ins Freie und über den grünen Hof und die Terrasse zurück ins Haus.

Die Fassade an der Innenseite des L hat Obermoser beinahe kontrapunktisch zur gläsernen Außenhaut gelöst. Denn hier liefert er mit einer Holzriegelbauweise jene „Wärme“ nach, die man im Zusammenhang mit Senioren so gern einfordert.

Die Bewohner kommen über die Haupttreppe und den Wintergarten zu ihren Zimmern, die sehr großzügig dimensioniert sind, Balkon oder französische Fenster haben und so konzipiert sind, daß das Bett sowohl hinten im Raum als auch vorne beim Fenster stehen kann. Im Fall der Bettlägrigkeit eines Bewohners wird sich diese Voraussicht bewähren. Es sind durchwegs Einzelzimmer, einige davon sogar mit eigenem Küchenblock, wobei aber alle doppelt installiert sind, sodaß im Notfall auch zwei Leute in einem solchen Raum untergebracht werden können.

Obermoser hatte das Privileg, die Einrichtung weitgehend selbst zu entwerfen. Das macht sich in den Zimmern sehr wohltuend bemerkbar, weil es dadurch praktische, kleine Raffinessen gibt, die das Leben erleichtern - von der Lösung des Schuhschranks bis zur schwenkbaren Lampe, die auch sehr unterschiedlichen Plazierungen des Bettes gerecht wird. Im Wintergarten stößt man zum Beispiel auf einzelne „Möbelobjekte“, die sehr viel können: Sie enthalten auch ausklappbare Paraventelemente, mit denen sich quasi temporäre Räume bilden lassen, etwa für ein individuelles kleines Fest. - Der Architekt hat sein besonderes Augenmerk auf die Lichtführung gerichtet. Zu allen Tageszeiten fällt direkt oder indirekt Sonnenlicht ein, es kommt zu reizvollen Schattenspielen an Decken und Wänden. Und im Wintergarten soll mit stündlich regulierten Spiegeln sogar noch eine Art „Sonnenuhr“ installiert werden.

Natürlich braucht ein Altenpflegeheim auch Therapieräume, einen Bewegungsraum. Diese Einrichtungen hat Johann Obermoser in einem eigenen kleinen Baukörper untergebracht, einem schwungvoll gerundeten, beinahe organisch geformten Element, das unter den zweiten, teilweise aufgeständerten Schenkel des L geschoben ist. Architektonisch ist das eine sehr reizvolle Lösung, weil sie Spannung in die ansonsten so schlichte Gebäudeschachtel bringt. Und innenräumlich ist dieser kleine Baukörper auch sehr schön: Er schaut weitgehend nach Süden, hat eine opake Glashaut, die durch außenliegende Screens beschattbar ist, und liefert atmosphärisch einfach etwas Besonderes mit.

Deswegen wurde in diesem Baukörper zusätzlich auch noch ein Meditationsraum - keine Kapelle - untergebracht, ein Bereich, in dem es nichts gibt als die aufschiebbaren Tafeln eines Kunstwerks und zwei schmale, spartanische Bänke. Wenn man hier sitzt, kann man das Kunstwerk studieren - es thematisiert die Geschichte des Ortes - , man kann aber auch hinausschauen, hinüber zum anderen Trakt des Pflegeheims oder einfach nur auf den Freibereich unmittelbar vor dem Pavillon.

Die Gestaltung dieses Freibereichs, der ja unter dem einen Wohntrakt liegt, war ein gewisses Problem. Solche Resträume können ganz schnell zu etwas Unangenehmem verkommen. Dem hat eine Künstlerin etwas entgegenzusetzen gewußt: Denn vor dem Meditationsraum gibt es eine gewissermaßen „japanisierende“ künstlerische Arbeit mit Wasser, Sand, Steinen und Pflanzen, die sehr stimmungsvoll ist.

Abgesehen von der überzeugenden räumlichen Organisation besticht an diesem Altenpflegeheim vor allem auch die rigorose materielle Umsetzung des Konzepts. Da gibt es die „kühle“ und transparente Glasfassade nach außen, die aber auch völlig verschließbar ist; und es gibt die „warme“ Holzfassade an der Innenseite des L, wo die Zimmer zum Grünraum schauen. Was drinnen aus Holz ist, wurde aus Lärche gemacht, nur der Boden ist ein Eschen-Lamellenparkett. Es gibt viel Glas - durchsichtig und opak, und gelegentlich taucht die Farbe Blau auf.

Diese Eleganz der Ausstattung, auch die Sorgfalt im Detail sind wirklich bemerkenswert. Aber sie halten andererseits auch die Balance. Einschüchternd wirken sie nicht. Man kann sich gut vorstellen, daß die Bewohner der Häuser oben auf dem Hang auf dieses Haus hinunterschauen und sich gar nicht davor fürchten, selbst einmal dort Einzug zu halten.

Spectrum, Sa., 1997.08.30



verknüpfte Bauwerke
Altenpflegeheim

09. August 1997Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Parabeln, Prismen, Plexiglas

Zwischen den unwirtlichen Baumassen des Stadterweiterungsgebietes Leberberg behauptet das Pfarrzentrum St. Benedikt von Michl, Zehetner und Zschokke eigenen Ort. Raum-, Licht- und Farbwirkung schaffen Atmosphäre einer „anderen“ Welt.

Zwischen den unwirtlichen Baumassen des Stadterweiterungsgebietes Leberberg behauptet das Pfarrzentrum St. Benedikt von Michl, Zehetner und Zschokke eigenen Ort. Raum-, Licht- und Farbwirkung schaffen Atmosphäre einer „anderen“ Welt.

Das kleine Pfarrzentrum St. Benedikt am Leberweg hat es nicht leicht. Denn schräg gegenüber haben zwar Henke/Schreieck ihre schöne Schule gebaut, und die evangelische Kirche (Architekt: Christoph Tetter) unmittelbar daneben nimmt langsam auch verheißungsvolle Gestalt an, aber die sechsgeschoßigen Trutzburgen des Herrn Krawina, der sich hier auf dem Leberberg städtebaulich und architektonisch gleichermaßen disqualifiziert hat, rücken dem recht bescheiden hingeduckten Ensemble aus Gemeindezentrum mit Pfarrsaal und Jugendräumen, einem zweigruppigen Kindergarten, dem Pfarrhaus und der Kirche schon recht bedrohlich nahe.

Eine der wichtigsten Maßnahmen der Architekten Walter Hans Michl, Wolfgang Zehetner und Walter Zschokke galt denn auch diesem Umstand: Durch die signifikante Figur einer linear ansteigenden Mauer schirmt sich das Pfarrzentrum gegenüber der Unwirtlichkeit seiner Umgebung und der vorbeiführenden Straßenbahnlinie ab, es schafft sich einen eigenen Raum. Diesem Raum gibt einerseits der Schwung der Mauer seine Fassung, andererseits ist er durch die verschiedenen Baukörper und eine Art Arkade, einen gedeckten Gang, der diese miteinander verbindet, in Form gebracht. Das hat eine atmosphärische Beruhigung auch schon im Vorfeld der Kirche zur Folge, eine Ruhe, die sich mit kontrapunktischer Nachdrücklichkeit gegen die unglaublichen Baumassen rundherum zu behaupten weiß.

Von außen ist es vor allem die schwungvoll gekrümmte, von zweieinhalb auf acht Meter ansteigende Mauer, die diesem Pfarrzentrum Identität verleiht und im übrigen auch den Kirchenraum selbst definiert. Ihre Form leitet vom Kreisbogen in eine mathematische Parabel über, wobei im Scheitel der Parabel eine exakt nach Osten orientierte Ellipse herausgeschnitten wurde - dort befindet sich der Altarraum.

Leicht schräg versetzt ragt hier auch der gedrungene Turm auf, über dessen Glockenraum ein Mauersegel mit durchbrochenem Kreuz die Blicke auf sich lenkt. Detail am Rande: Im Zuschnitt des Mauersegels ist eine unaufdringliche Lektion zum Thema Formgenerierung verborgen: Denn er entspricht exakt dem aus der Parabel herausgeschnittenen Mauerteil, nur daß er abgehoben, hochgehoben wurde.

Der Kirchenraum weist mehrere Besonderheiten auf. Eine davon ist die durchgehende Holzkassettendecke, die wie ein Tuch über den Raum gespannt scheint, bis hinaus ins Freie. Der Eindruck des Textilen hat damit zu tun, daß sie eben nicht flach wie ein Deckel ausgeführt ist, sondern zur Mitte hin um ungefähr acht Zentimeter durchhängt.

Konstruktiv steckt in dieser Decke einiges an Entwicklungsarbeit. Gebaut wurde das hölzerne Flächentragwerk auf dem Boden und als Ganzes mit zwei Kränen in seine endgültige Position gehievt. Die Verschalung aus schlichtem Fichtenholz ist nicht nur schön, sondern auch statisch wirksam (und obendrein gut für die Raumakustik).

Mit einer zweiten Besonderheit ist man abends, wenn die Kirche innen beleuchtet ist, auch schon von draußen konfrontiert; tagsüber wirkt sie vor allem nach innen. Dabei handelt es sich um eine Art steinernen Paravent, der wie eingeschnitten in die Eingangsfassade hineingestellt ist. Tatsächlich besteht diese Fassade aus einer Stahl-Glas-Konstruktion, die aber bis auf schmale Rundstreifen aus klarem Glas mit hauchdünnen Natursteinplatten aus Carraramarmor hinterlegt ist. Die Platten sind nur neun Millimeter stark und an der Rückseite durch ein Glasfasergeflecht in einer Schicht Epoxidharz verstärkt. Nur dadurch sind Plattengrößen von 1,20 mal drei Metern überhaupt möglich.

Der Effekt des lichtdurchlässigen Materials ist jedenfalls enorm. Die Wand wirkt wie ein lebendig-bewegtes Bild, gleichzeitig filtert sie das Tageslicht, und sie umschließt auch schützend den Raum hinter den Kirchenbänken im Rücken der Gemeinde.

Die dritte Besonderheit spürt man zunächst mehr, als man sie sieht. Es fällt zwar gleich auf, daß der Altar ein wenig schräg zur Gemeinde aufgestellt ist, aber da die Kirchenbänke auf den Altar ausgerichtet sind, scheint die Achsialität gewahrt. Ist sie aber nicht. Etwas spießt sich: Die Parabelachse ist nicht auf den Altar, sondern auf den Tabernakel ausgerichtet. Und der wiederum ist im einen Brennpunkt der Ellipse des Altarraumes plaziert, während im anderen Brennpunkt der Ambo steht.

Man muß schon ziemlich genau hinschauen, um dieses raffinierte Spiel mit räumlichen Wirkungen zu durchschauen. Aber vielleicht ist das ja gar nicht wichtig. Der Irritationseffekt eines immateriellen Kräftefeldes teilt sich auch so mit.

Ein Detail im Altarraum sollte man noch erwähnen: Hier fällt durch quadratische Plexiglasprismen Tageslicht ein. Wenn man im richtigen Winkel durch die 1,20-Meter-Prismen schaut, kann man sogar einen Blick auf den Glockenturm erhaschen. Diese Prismen sind in einem unregelmäßigen Muster in die Decke eingelassen - ein Ornament, das aber nicht beliebig ist. Denn es basiert auf einem Muster, das Albrecht Dürer aus Fünfecken und Rhomben entwickelt hat, wobei immer dort, wo der Rhombus sein sollte, das Glasprisma plaziert ist. - Konzeptuell nicht uninteressant: Der Altarraum wird durch wandhohe Sitzelemente begrenzt, die sich verschieben lassen, sodaß sich der Altarraum unversehens zur kleinen Werktagskapelle wandelt.

Ein Element für sich: die frei im Raum aufgestellte Empore, die wie ein großer, aber minimierter Tisch wirkt, der aus der Mitte in Richtung Wand geschoben wurde. Die Untersicht dieser sehr nüchternen, sehr sachlichen Konstruktion zeigt rohen Ortbeton, auf dem Boden liegen Schwarzkieferbretter.

An dieser Stelle eine vorsichtige Anmerkung: Man könnte den Architekten Michl, Zehetner und Zschokke nachsagen, daß sie bei der Wahl der Materialien nicht eben zimperlich gewesen sind. Zurückhaltung in Sachen Materialvielfalt war ihnen kein Anliegen: Auf dem Boden durchgehend Kehlheimer Platten; beim Altar auch Sandstein aus St. Margarethen; und Marmor an der Fassade. Und an Hölzern kommt überhaupt einiges zusammen: Da gibt es Fichte an der Decke und Tanne bei den Kirchenbänken, es gibt Kirsche und Buche und Ahorn und Birke und auf dem Emporenboden auch noch Schwarzkiefer, den bewährten Bühnenboden, der nicht knarrt. - Das ist sicherlich eine Grundsatzfrage, die man stellen kann. Aber die Antwort darauf kann nicht pauschal formuliert sein. Gerade bei einer Kirche kommt es in erster Linie auf die spirituelle Stimmung im Raum an, und die setzt sich aus Farb- und Lichtwirkungen zusammen; zu ihr gehören Oberflächentexturen, das Zusammenspiel von Materialqualitäten und noch vieles mehr.

Und in dieser Kirche ist es einfach so, daß die Raumwirkung durch einige wenige Elemente entscheidend geprägt ist. Da ist einmal die große Dominante des raumgreifenden Materials und des Zuschnitts der Holzkassettendecke; dann der steinerne Fassadenparavent; schließlich wird die Szene auch noch von der langen, ansteigenden Südwand mit den kleinen, unregelmäßig gesetzten Fensteröffnungen bestimmt, die von links nach rechts die Stationen des Kreuzwegs versinnbildlichen.

Und diesen hochrangigen Elementen ordnet sich die übrige Ausstattung der Kirche in einer - allerdings hierarchischen - Differenzierung ganz selbstverständlich unter. Das heißt, die zweifellos vorhandene Materialvielfalt macht sich nicht unangenehm bemerkbar, sie fügt sich eben doch zu einem stimmigen Gesamtbild.

Es erwies sich als großer Vorzug, daß die Architekten auch die Ausstattung der Kirche entwerfen konnten und nicht auf Fertigprodukte zurückgreifen mußten. Im Fall der Beleuchtung war dieser Vorzug sogar höchst bedeutungsvoll. Denn irgendwelche abgehängten Lampen hätten die Wirkung der Holzdecke mit Sicherheit zerstört. So konnte man zu einer maßgeschneiderten Laternenlösung greifen, zu Leuchten, die aus dem Boden „herauswachsen“, sodaß die Großzügigkeit des Zeltdaches nicht durch eine zusätzliche horizontale Ebene beeinträchtigt wird.

Inmitten der Unwirtlichkeit des Stadterweiterungsgebietes Leberberg schafft sich das Pfarrzentrum seinen eigenen Ort. Es ist städtebaulich so plaziert, daß die alte Wegspur des Leberweges, aus dem Park hinter der Schule von Henke/Schreieck kommend, über den Kirchenplatz führt und weiter zu den Wohnbauten von Krawina.

Und es ist in sich differenziert: Das schlichte Pfarrhaus mit dem Lärchenholz an der Fassade steht zwar relativ nahe bei der Kirche, hält sich im architektonischen Ausdruck aber so weit zurück, daß seine dienende Rolle auf Anhieb verständlich ist. Überhaupt sind die anderen Baukörper in ihrem architektonischen Habitus der Bedeutung der Kirche nachgeordnet, was im Fall des Gemeindezentrums eine heikle Gratwanderung war, weil der relativ große Gemeindesaal im Obergeschoß eine relativ große Gebäudehöhe erforderlich machte.

Es ist ein in sich geschlossenes Ensemble. Wer hier eintritt, die Bilder von draußen womöglich noch im Gedächtnis, der kommt in eine andere Welt.

Spectrum, Sa., 1997.08.09



verknüpfte Bauwerke
Pfarrzentrum St. Benedikt

15. Juli 1997Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Soll man da boshaft sein?

Maßstabsprengende Wohnbauten auf der grünen Wiese, schlechte Anbindung an den öffentlichen Verkehr, keine Infrastruktur: Bei der Stadterweiterung werden heute alle Fehler der siebziger Jahre wiederholt. Ein Augenschein in Wien-Eßling.

Maßstabsprengende Wohnbauten auf der grünen Wiese, schlechte Anbindung an den öffentlichen Verkehr, keine Infrastruktur: Bei der Stadterweiterung werden heute alle Fehler der siebziger Jahre wiederholt. Ein Augenschein in Wien-Eßling.

Stadterweiterung ist ein schlimmes Wort. Es meint Wohnbauten, die weit vom Zentrum entfernt, auf der grünen Wiese errichtet werden, ohne daß von dieser „grünen Wiese“ am Ende der Bautätigkeit noch irgend etwas Nennenswertes übrig wäre; es meint eine dichte Ansammlung von Häusern, ohne daß damit Stadt gebaut wäre; es meint eine schlechte Anbindung an den öffentlichen Verkehr; es meint im Grund eine bebaute Gegend, in der es keine infrastrukturellen Einrichtungen gibt und in den öffentlichen Bereichen nichts passiert. Wer's nicht glaubt, der braucht sie nur in Augenschein zu nehmen, die neuen Stadterweiterungsgebiete Wiens: den Leberberg, die Erzherzog-Karl-Stadt, Eßling

Dabei hätte gerade Eßling insofern eine Ausnahme von dieser traurigen Regel sein können, als es sich hier um Neubaugebiete handelt - es sind zwei, eines im Umfeld der Schule von Günther Domenig, ein zweites, das sogenannte Europan-Gebiet, auf der anderen Seite des alten Eßling - , die um einen zwar transformierten, aber intakten historischen Ortskern herum angesiedelt sind. Das heißt, infrastrukturell geht den neuen Bewohnern hier nichts ab, weil jede Menge Lokale und Geschäfte vorhanden sind, weil es eigentlich alles gibt. Man hätte sich also auf das konzentrieren können, was ohnehin das einzige ist, um das es in Stadterweiterungsgebieten geht: auf das Wohnen. Trotzdem ist das Ergebnis furchtbar ausgefallen.

Nehmen wir nur das Europan-Gebiet: Da türmen sich Geschoßwohnungsbauten in einer Dichte auf, die jeder Beschreibung spottet. Und da steht natürlich wieder, wie in jedem Neubaugebiet, das elegante städtische Wohnhaus (von Albert Wimmer) neben der architektonischen Banalität, neben dem gestalterischen Unikum. Und da trifft man auf Abstrusitäten, die wirklich jeder Beschreibung spotten: kleine Mietergärten zu ebener Erde etwa, durch die mitten hindurch ein Zaun läuft; man begreift es zunächst gar nicht, was dieser teilende Zaun zu bedeuten hat, bis man eine Außentreppe in den Oberstock des Hauses - zu einer zweiten Wohneinheit - bemerkt. Da hat sich doch tatsächlich ein Architekt etwas Besonderes einfallen lassen. Denn er hat einen Mietergarten bescheidener Größe in zwei grüne Mini-Miniaturen geteilt und allen Ernstes dem Bewohner vom Oberstock eine Treppe ins vordere Quadrat'l gebaut: Es soll dessen Mietergarten sein - monströs, kriminell.

Aber auch wenn man von solcher Roßtäuscherei absieht, wird man der neuen Wohnanlage nicht froh. Sie liegt unmittelbar an der Stadtgrenze, wenn man den Blick schweifen läßt, sieht man das Glashaus einer Gärtnerei und Landschaft, sonst nichts. Es wäre also naheliegend gewesen, diesem Umstand mit einer niedrigen Bebauung Rechnung zu tragen, auf den Grünraum überzuleiten.

Aber nein, Geschoßwohnungsbau türmt sich hier auf, hier wird „städtische Straße“ gespielt, die doch nur Abstellfläche für Autos zwischen hermetischen Wohnhäusern ist. Und diese falsche Rhetorik, die manche der Wohnhäuser an den Tag legen! Sie trumpfen mit einer Wuchtigkeit auf, die hier, am äußersten Rand der Stadt, wahrhaftig nichts verloren hat - unangemessen, maßstabsprengend. Die Frage ist wirklich angebracht, warum jemand so weit hinausziehen soll, wenn er dann eine solche Umgebung vorfindet, wenn er dann so systematisch um die Vorteile dieser Grünlage gebracht wird.

Man muß schon sehr suchen, um in diesem gebauten Wald den Baum überhaupt wahrzunehmen. Aber es gibt ihn, es gibt ihn tatsächlich. Und irgendwie möchte man erleichtert aufatmen, wenn man von Norden kommend der drei niedrigen, schlichten, ruhigen Wohnzeilen von Leopold Dungl ansichtig wird. Es stimmt der Maßstab, der sich mehr auf den alten, dörflichen Ortskern von Eßling sowie auf die Gärtnerei und die freie Landschaft im Süden bezieht als auf die unmittelbare Umgebung; es stimmt die formale Lösung, die nicht mit aufgesetztem gestalterischem Aufwand operiert; und das wichtigste dabei: Es stimmt das inhaltliche Konzept.

Dungls Wohnzeilen bestehen aus jeweils fünf Häusern und sind nach Süden, Richtung Gärtnerei, orientiert. Der Haustyp, den der Architekt für seine Bebauung entwickelt hat, sieht im Erdgeschoß jeweils eine Wohnung mit einem 50 Quadratmeter großen Garten vor und im Obergeschoß eine Wohnung mit einer 15 Quadratmeter großen Terrasse, wobei die Wohnungen jeweils umgekehrt orientiert sind. Das brachte den Vorteil, daß sich der Mieter im Erdgeschoß von oben uneingesehen in seinem Garten aufhalten kann; und es brachte den Vorteil, daß sich im Erdgeschoß zwischen Eingangssituation und Wohnbereich eine Raumschicht mit den Sekundärräumen einschieben ließ, was atmosphärisch ohne Zweifel etwas bringt.

Bei den Wohnungen im Obergeschoß denkt Dungl dieses Konzept konsequent weiter: Hier ist die Schicht der Sekundärräume zur Gartenseite hin orientiert, der L-förmige Grundriß mit dem plastischen, scheinbar hermetischen Wohnraumkubus an der Eingangsseite umschließt eine Terrasse. Genau gegenüber dieser Terrasse, bei der nächsten Häuserzeile, ist ebenfalls ein solcher plastischer, hermetischer Wohnraumkubus situiert. Der Clou dabei: Dungl hat durch das leichte Versetzen von geschlossenen Kuben und offenen Terrassen Intimräume geschaffen, man sieht sich nicht direkt gegenseitig in die Terrasse hinein, es gibt nur eine diagonale Sichtverbindung, also eine Sicht auf Distanz. Natürlich pflastern die Bewohner die gläsernen Terrassenbrüstungen trotzdem mit Schilfmatten unterschiedlicher Höhe zu. Aber der Architekt hat inzwischen eine relativ preisgünstige, etwas spezifischere und flexible Sichtschutzvariante gefunden, die bei aller farblichen Individualität doch eine gewisse Einheitlichkeit bringen würde, und die versucht er nun nachträglich noch anzubieten.

Dungl geht auch an der Gartenseite strategisch vor. So wie die Terrassen an der Eingangsseite schauen hier die Gärten zueinander. Sie sind durch einen nur 1,20 Meter breiten Wirtschaftsweg getrennt.

Leicht vorspringende, wiederum versetzt plazierte Gerätehäuschen schieben sich dabei schützend vor die Terrassen, sodaß auch hier der direkte Einblick verwehrt ist. Die schlichte Stülpschalung der Zäune und der Gerätehäuschen besteht aus unbehandeltem Fichtenholz, das schon anfängt, einen schönen silbrig-grauen Farbton anzunehmen.

Dungls Konzept ist zweifellos rigoros. Er spielt mit seinen kleinen weißen Baukörpern ein System durch und versucht erst gar nicht, diese Tatsache zu verschleiern. Aber es wird einem nicht langweilig, dieses System, weil durch das Versetzen der signifikanten Wohnraumkuben eben doch Spannung aufkommt. Außerdem geben die schmalen Einschnitte zwischen den Baukörpern - mit dem Stiegenaufgang und der ganzen technischen Infrastruktur - einen ganz eigenen Rhythmus vor. Diese Einschnitte sollten ursprünglich nur mit Glasschuppen gedeckt, also relativ offen sein; das sind sie jetzt zwar nicht, aber auch mit geschlossenem Glasdach bleiben sie hell und freundlich und ein transparenter, dematerialisierter Kontrapunkt zwischen den Baukörpern.

Gerade an diesen Eingangsbereichen merkt man übrigens, daß die Sorgfalt des Architekten dem Detail galt, man könnte auch sagen: der Schadensbegrenzung. Jeder Eingang ist durch eine Scheibe markiert, die Beleuchtung, Hausnummer und Briefkasten aufnimmt, wodurch die Beunruhigung durch allzu selbständige Accessoires wirksam vermieden ist.

Hier, zwischen den Häusern, ist auch der Ausstieg für den Rauchfangkehrer. Er erfolgt über einen leicht auskragenden Balkon und über eine Leiter hinauf auf eine Brücke, die die Dächer verbindet - auch das ist sehr reduziert gelöst, aber so formuliert, daß der signifikante Schlitz zwischen den Häusern einen adäquaten Abschluß findet.

Das sind wirklich Häuser, die man anschauen und die man komfortabel bewohnen kann. Denn das größte Problem solcher Neubaugebiete, diese relative Dichte, diese Nähe der Wohnungen zueinander, die den möglichen Vorteil eines Freiraumangebotes wieder zunichte macht, das hat Dungl raffiniert entschärft.

Außerdem stimmt bei diesen Häusern einfach der Maßstab: So muß die Dimension sein, um an der äußersten Peripherie, am Übergang zur Landschaft Angemessenheit zu bewahren. Vier- oder gar fünfgeschoßige Wohnbauten haben in einer solchen Lage einfach nichts verloren. Das sollte zwar eine Lektion sein, die wir nach jahrzehntelangen Wohnbau-Diskussionen beherrschen müßten, aber man sieht es nahezu überall, wo neuer Wohnbau in Wien passiert: Gebaut wird entgegen dieser Einsicht.

Und insofern braucht man sich auch nicht zu grämen, daß unheimlich viel Geld in diese Stadterweiterungsgebiete hineingepumpt wird, aber die Wohnungen schwieriger und immer schwieriger loszuwerden sind, wie das Beispiel des Leberberges beweist, wo sich sogar ohne den berüchtigten Vormerkschein keine Abnehmer finden wollen.

Soll man boshaft sein? Soll man sagen: Geschieht denen ganz recht, die all die Fehler der siebziger Jahre heute wider besseres Wissen wiederholen? Oder fängt eine neue Wohnbau-Debatte an - getreu dem Motto: Immer zwei Schritte vor und dann drei oder vier zurück.

Spectrum, Di., 1997.07.15



verknüpfte Bauwerke
Europan - Wohnanlage

28. Juni 1997Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Architektur, die man nicht sieht

Großzügig, weitläufig, übersichtlich: Das österreichische Team Jabornegg/Palffy hat die Räume der diesjährigen Documenta gestaltet. Vom Nutzen einer Ausstellungsarchitektur, die sich in den Dienst der Kunst und der Besucher stellt.

Großzügig, weitläufig, übersichtlich: Das österreichische Team Jabornegg/Palffy hat die Räume der diesjährigen Documenta gestaltet. Vom Nutzen einer Ausstellungsarchitektur, die sich in den Dienst der Kunst und der Besucher stellt.

Architektur ist unsichtbar: Wer sich in diesen Tagen auf den Weg nach Kassel macht, um die zehnte Documenta in Augenschein zu nehmen, kommt um diese Erkenntnis nicht herum. Das österreichische Architektenteam Jabornegg/Palffy, das von Catherine David ausgewählt wurde, das Museum der 100 Tage samt seinen 100 Gästen gestalterisch zu versorgen, bringt die Frage nach der Angemessenheit architektonischer Inszenierungen von Kunstpräsentationen auf einen Punkt: Ausstellungsarchitektur ist überflüssig.

Das kann man so natürlich nicht unkommentiert stehen lassen. In Wahrheit haben Jabornegg/Palffy nicht nur aus einem Jahrhundertwendebau am Kasseler Hauptbahnhof den „Kulturbahnhof“ gemacht, sondern auch im Fridericianum, dem traditionellen Hauptschauplatz der Documenta, durch intelligente Maßnahmen für ein neues Raumklima gesorgt. Letzteres wird allerdings nur jemandem auffallen, der schon früher einmal bei der Documenta war. Da gab es Kojen und Boxen, zugestellte Fenster, Einbauten aller Art, Unübersichtlichkeit, Orientierungslosigkeit und speziell an den Preview-Tagen, an denen sich die internationale Kunstszene in Kassel trifft, eine fürchterlich aufgeheizte Atmosphäre in bedrückend engen Räumen.

Damit haben Jabornegg/Palffy aufgeräumt. Genauer gesagt: Sie haben ausgeräumt. Denn ihre erste und wichtigste Maßnahme bestand darin, die Einbauten der Vorgänger-Documenten restlos zu entfernen. Jetzt sieht man sie wieder, die glasgedeckte Rotunde aus den siebziger Jahren, die zuvor immer mit Gipskarton zugenagelt war. Und jetzt sind sie wieder groß, großzügig und weitläufig, die Ausstellungsräume des Fridericianums. Die Architekten haben sich damit begnügt, eine weiße Schale vor Wand und Fenster zu stellen, um so für ausreichende Hängeflächen zu sorgen. Sie waren sich aber auch bewußt, daß das Resultat dieser einfachen Maßnahme zwangsläufig der berühmt-berüchtigte „white cube“ sein würde.

Eine weiße Schachtel ist aber in Wahrheit kein angenehmer, eher ein diffuser Raum. Um diesen Effekt zu relativieren, hat man die neue Schale an den Schmalseiten jeweils aufgeschnitten und verglast. Durch diese opaken Glasflächen fällt nun etwas Tageslicht ein, und vor allem erlauben sie dem Besucher eine Minimalorientierung: Er weiß zumindest, daß er ist nicht im Keller ist.

Die wichtigste Maßnahme von Jabornegg/Palffy zielte aber auf eine Verbesserung des Raumklimas ab. Es handelt sich um ein ganzes Maßnahmenpaket: Die Fenster haben einen reflektierenden Anstrich, so daß ein gut Teil der Hitzelast abgewendet wird; dann sorgen Luftschlitze dafür, daß die Luft im Raum nicht „steht“; und über die geöffneten Brandschutzklappen in den Fluchttreppenhäusern kommt sogar eine Art Luftaustausch zustande. Schließlich ist die Fußbodenheizung mit Kaltwasser gefüllt. Sie ist mit einem Wärmetauscher an das Brauchwasser angeschlossen, dessen Kälte in die Fußbodenheizung umgeleitet wird. Das heißt: Je mehr Leute drinnen sind, desto stärker muß man zwar kühlen, es fällt aber auch mehr Brauchwasser an, so daß der Kreislauf aufrecht bleibt.

Wie gesagt, Jabornegg/Palffy haben keine Hasenställchen gebaut, wie man sie von den früheren Documenten kennt, sie haben vielmehr den Räumen ihren ursprünglichen Zuschnitt zurückgegeben. Kleine Kabinette, die vorhanden waren, wurden als Projektionsräume für „moving images“ genutzt.

Stellwände, mit einer Fuge vom Boden abgesetzt und so als temporäre Einbauten kenntlich gemacht, haben grundsätzlich eine relativ großzügige Dimension und sind eher in der Mitte der Räume plaziert, aber so, daß zumindest diagonale Durchblicke nicht verstellt sind. Die temporären Einbauten in den meist sehr großen Ausstellungsräumen des Fridericianums erzeugen eine Art Wechsel zwischen kleinerer und größerer Sequenz, was dem Gang durch die Ausstellung atmosphärisch sicher guttut.

Aber auf das Erzeugen von Atmosphäre verstehen sich Jabornegg/Palffy auch sonst. Das kann man im „Kulturbahnhof“, dem neuen, zusätzlichen Schauplatz der zehnten Documenta, vielleicht noch anschaulicher erleben. Der Sichtziegelbau flankiert den Regionalbahnhof Kassels: Unmittelbar vor dem Haus verläuft ein stillgelegtes Gleis, das übrigens Gegenstand einer künstlerischen Intervention von Lois Weinberger ist; auf den anderen Gleisanlagen ist der Betrieb aufrecht.

Dieser Sichtziegelbau steht in einer recht „peripheren“ Gegend Kassels, ein Umstand, der auch drinnen, in der Ausstellung selbst, aufgenommen wird. In der Lesart von Catherine David findet jedenfalls hier, am ausgefransten Rand der Stadt, im Kulturbahnhof, der Auftakt zur Documenta statt. Ihr Konzept sieht ja einen „Parcours“ vor, der quer durch Kassel führt und den Besucher wie nebenbei nicht nur mit den hermetischen Documenta-Schauplätzen, sondern auch mit der Stadt selbst konfrontiert.

Das Gebäude beherbergte jedenfalls zuletzt eine Postpaketierungsanlage und war vollkommen devastiert. Die Architekten entfernten zuallererst die bestehenden Einbauten, also alles, was nicht zur Substanz des Hauses gehört; nur kleine Hinweise auf die Reparaturen nach dem Zweiten Weltkrieg blieben erhalten, weil auch diese zur Geschichte des Hauses gehören. Die denkmalgeschützte Außenfassade wurde zwar gereinigt, darüber hinaus blieb sie unberührt. Hingegen verlangte der Eigentümer, die Deutsche Bahn, einer der Hauptsponsoren der diesjährigen Documenta, im Inneren einen maßgeblichen Eingriff: Es sollten drei Stiegenhäuser eingebaut werden.

Die liegen jetzt mittig und an den Seiten und sind so ausgeführt, daß es zu einem reizvollen Materialspiel zwischen den betonierten Untersichten der Treppe und dem schimmernden Stahlblech des Geländers kommt. Wobei die dritte Treppe hinter einer signifikanten Sichtbetonscheibe versteckt liegt, unmittelbar bei den Fluchttüren auf den Bahnsteig, und als einzige einläufig geführt ist. Hier, an der Schmalseite des Hauses, findet sich auch die einzige Stelle, an der sich die Eingriffe von Jabornegg/Palffy nach außen sichtbar ausdrücken: Die beiden Fluchttüren aus Stahl und ein bündig in der Fassade sitzendes, fix verglastes Fenster vom Treppenpodest fügen sich hier zu einer strengen, aber unaufdringlichen Geometrie.

Jabornegg/Palffy haben ihre ganze Aufmerksamkeit auf den Verkehrsstrom der Besucher und die Blickrichtung konzentriert. Man betritt den Raum und kann sich sofort orientieren, weil man das Haus praktisch in seiner vollen Länge - immerhin 80 Meter - überblickt. Die Architekten waren dabei nicht zimperlich: Sie haben sich nicht daran gestoßen, wenn ein Künstler sein Kunstwerk in der Sichtachse plazierte, sie haben sich auch nicht gegen temporäre Einbauten verwahrt. Unterschwelliges Motto: Zur Documenta fährt man wegen der Kunst, die Architektur hat in den Hintergrund zu treten.

Und da bleibt sie auch, im Hintergrund. Nur atmosphärisch macht sie sich angenehm bemerkbar, wenn man sich auf den drei Ebenen des Hauses bewegt und wenn man zum Beispiel hinausschaut und das, was man draußen sieht, mit dem, was man drinnen gerade gesehen hat, in Verbindung bringt.

Auch funktionell geht die Rechnung der Architekten auf: Der Verkehrsfluß funktioniert reibungslos, und offenbar stimmt auch die Orientierung, denn selbst wenn man die Treppen nicht sieht, findet man sie mühelos. Nein, es ist keine Übertreibung, Jabornegg/Palffy machen unsichtbare Ausstellungsarchitektur. Die Beleuchtung bei den Treppen etwa ist hinter Gläsern versteckt - auf diese Weise sind selbst kleine Konfliktpunkte vermieden, wie sie aus der Entscheidung für ein bestimmtes Lampendesign leicht resultieren. Die Räume sind weiß, die spärlichen Einbauten sind es auch, nur die Sichtbetonscheibe an der Schmalseite hat einen warmen Ton. Denn auch hier, im Kulturbahnhof, haben die Architekten darauf geachtet, den White-cube-Effekt zu brechen.

Als sehr reizvoll erweist sich auf der obersten Ebene die Entscheidung, den Ausblick in einen Teil des alten Dachgeschoßes zuzulassen. Nur eine minimale Barriere grenzt den neu ausgebauten Teil von der „Substanz“ ab, eine kleine Irritation, ein Kippen von Neu zu Alt. Hier genießt man auch das Eigentümliche dieser Situation eines Ausstellungsortes, der mitten in einem intakten Bahnhofsgelände liegt. Es funktioniert nicht immer, wenn alte Häuser „umgenutzt“, speziell wenn sie für Kunst genutzt werden; gerade bei Industriebauten wird die Metamorphose zum Ausstellungsort oft von einem Zu-Tode-Restaurieren begleitet. Jabornegg/Palffy jedoch haben intelligente Ausstellungsarchitektur gemacht, die auf die Glätte geschönter Räume nicht angewiesen ist. Und wenn man hinausschaut, sind ja die Züge da, und die fahren weiter.

Spectrum, Sa., 1997.06.28



verknüpfte Bauwerke
Ausstellungsarchitektur Dokumenta X

31. Mai 1997Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Haute Couture mit Mehrwert

Die Vorgabe: eine Baulücke im Zentrum Prags mit einer schmalem Front zum Wenzelsplatz und Bauauflagen sonder Zahl. Die Lösung des Wiener Architektenteams BKK-2: ein maßgeschneiderter, unkonventioneller Nutzungsmix.

Die Vorgabe: eine Baulücke im Zentrum Prags mit einer schmalem Front zum Wenzelsplatz und Bauauflagen sonder Zahl. Die Lösung des Wiener Architektenteams BKK-2: ein maßgeschneiderter, unkonventioneller Nutzungsmix.

Bisher gab es zwar nur wenig Anlaß für die Verdächtigung, dem Wiener Bürgermeister Häupl könnte die zeitgenössische Architektur ein Anliegen sein, aber Verhaltensweisen ändern sich, wenigstens vorübergehend. Und wenn sich anläßlich eines Wien-Gastspiels an der Moldau die Gelegenheit dazu ergibt, warum nicht? Also nicht nur Österreicher-Ball und dergleichen Festivitäten, auch ein Eckchen „Kultur“ durfte mit hinein in die donaublaue Bonbonniere, die gerade erst in Prag vorbeigebracht wurde.

„Eckchen“ ist in diesem Zusammenhang übrigens nicht ganz zutreffend, weil es sich genaugenommen um eine Baulücke handelt. Die Baulücke - noch ist sie nicht wirklich eine, denn noch steht ein belangloses Gebäude dort - befindet sich jedenfalls auf dem Wenzelsplatz, der den Pragern bekanntlich so lieb ist wie den Wienern der Stephansplatz. Und beplant wurde sie ausgerechnet von einem Wiener Architekten-Team, das nicht gerade im Ruf steht, besonders zimperlich zu sein. Am Freitag wurde das Projekt des BKK-2 - flankiert unter anderem von Vertretern des „offiziellen“ Wien und dem Investor - in Prag präsentiert.

Dieses Projekt führt uns zunächst die wohlbekannte Investoren-Wirklichkeit von heute vor Augen: Ein rares, teures Grundstück im historischen Zentrum von Prag, wie es so bald nicht wieder zu haben ist, aber schiefwinkelig, mit einer ganz schmalen Front zum Wenzelsplatz (nur 25 Meter), dafür der beachtlichen Tiefe von 90 Metern, was in dieser Situation - eingeklemmt zwischen einer bestehenden Bebauung - für jede Art Haus zur Folge haben muß, daß es nur sehr teilweise tagesbelichtet sein kann. Dazu rigorose Denkmalschutz-Auflagen; dazu die Vorschrift, daß unbedingt auch Wohnungen integriert sein müssen; dazu die Auflage, daß die Bebauungshöhe des Wenzelsplatzes eingehalten werden muß, daß die Lichthofstruktur der Nachbarbauten aufgenommen werden muß - und noch viel mehr.

Es führt uns aber auch vor Augen, daß sich wirklich intelligente Architektur an solchen Voraussetzungen reibt, so lange reibt, bis kreative Funken sprühen und aus einer Notlösung etwas Besonderes geworden ist.

Was kann man in einem Bauwerk, das kommerziell verwertbar sein muß, wiewohl es zu einem großen Teil ohne Tagesbelichtung ist, überhaupt machen? Die Antwort kennt praktisch keine Alternative: ein Kaufhaus. Und da Investoren, wenn sie relativ viel Geld in ein Projekt stecken, ungern auf ein einziges Pferd setzen, ist auch das Nutzungsgespann schnell definiert, das den Wagen sonst noch zieht: Büros, Wohnungen, Gastronomie.

Die Gastronomie ist natürlich oben, mit Blick auf den Wenzelsplatz. Darunter, dahinter liegen die tagesbelichteten Büros und Konferenzräume. Die Wohnungen haben ihren eigenen Trakt und sind - eingedenk der vorgeschriebenen Hofstruktur - ebenfalls ausreichend tagesbelichtet. Das Kaufhaus entwickelt sich von der Erdgeschoßzone weg in zwei Untergeschoßen und auf vier Obergeschoß-Ebenen, wobei es darauf ankam, architektonisch das Argument zu entkräften, daß die Publikumsfrequenz in einem Kaufhaus in der Erdgeschoßzone am höchsten ist.

Die Lösung des BKK-2 sieht so aus: Sie haben einen langen „Erlebnisweg“ durch das Haus gelegt, der oben beginnt. Und hinauf kommt man über eine lange, lange Rolltreppe, so lang etwa wie die längste Rolltreppe in der Wiener U-Bahn-Station Karlsplatz und wie dort ganz ohne Unterbrechung. Es ist durchaus vorstellbar und nachvollziehbar, daß es für das Publikum, das ins künftige „Diamant“ hineinkommt, zur Verlockung wird, einmal mit dieser Rolltreppe zu fahren, die Aussicht auf den Wenzelsplatz vor Augen, und wie nebenbei einen Eindruck auf diesem „langen Weg“ mitzunehmen, was das Kaufhaus darüber hinaus zu bieten hat. Natürlich gibt es auch Lifte und Treppen, aber das Spektakel des Besuches im Kaufhaus „Diamant“ wird diese Rolltreppe sein.

Und von dort, wo sich der Raum schon in die richtige Richtung neigt, geht es weiter: Ein Rampensystem macht das Haus zu einem Raumkontinuum, in dem die Levels beinahe verwischt sind, sodaß man kaum merkt, daß man hinuntergeht, daß man Wendepunkte passiert. Der Einwand, daß man dann auch nicht weiß, wo man ist, dürfte in diesem Fall nicht greifen: Es gibt Orte, wo es ziemlich egal ist, ob man weiß, daß man auf dem zweiten, dritten, vierten Obergeschoß ist, vorausgesetzt, sie haben etwas zu bieten. Diese Kaufhaus-Wirklichkeit drückt sich überdies an der Fassade zum Wenzelsplatz sichtbar aus. Da wird sozusagen das Innenleben des Hauses zum Erscheinungsbild nach außen. Auch das eine Verlockung für das Publikum.

Und dann noch ein wichtiger konstruktiver Aspekt: Die Räume im Kaufhaus werden stützenfrei sein. Es ist zwar nicht so, daß sich das BKK-2 je durch besonderen bautechnologischen Ehrgeiz ausgezeichnet hätte - das britische High-Tech liegt ihm fern - , aber ein so weit gespannter und tiefer stützenfreier Raum hat atmosphärisch zweifellos etwas zu bieten. Und genau darauf kommt es bei einer solchen Aufgabenstellung an, und genau deswegen hat sich das BKK-2 in diesem Fall auch über die Konstruktion ausgiebig Gedanken gemacht.

Sie wird hauptsächlich in Stahlbeton ausgeführt, wobei die Decken in Verbundbeton gespannt sind, mit 60 Zentimeter starken Stahlträgern und einer 50 Zentimeter starken Betondecke darüber. Das heißt, es stehen 60 Zentimeter zur Verfügung, um alle Installationen zu führen und die von der Bauordnung vorgeschriebene Raumhöhe von drei Metern doch einzuhalten, obwohl das Haus mit nutzbarer, verwertbarer Kubatur so dicht vollgepackt ist wie nur möglich.

Das gehört zum Erfolgsrezept des BKK-2: Mehr Kubatur erzeugen, Dichte erzeugen, die dem Bauherrn nützt, der Architektur nicht schadet und urbane Lebendigkeit provoziert. „Urban“ und „dicht“, das sind überhaupt die Schlüsselwörter zu den Bauten und Projekten des BKK-2. Das Team setzt auf eine Vermischung, auf eine Vernetzung von Funktionen, von Nutzungen, nicht auf das übliche Auseinanderdividieren von Wohnen und Arbeit und Freizeit und Konsum. Und es setzt auf maßgeschneiderte Lösungen - für die jeweilige Situation, für den jeweiligen Ort.

Es ist keine Frage, daß das Projekt „Kaufhaus Diamant“ der tradierten Kaufhaus-Typologie zuwiderläuft. Denn die sieht so aus: Man nehme ein Gebäude, schneide in die Mitte ein Loch hinein und arrangiere drumherum die Geschoße. Selbst Jean Nouvel hat das bei seinen Berliner „Galeries Lafayette“ so gemacht, nur daß bei ihm in der Mitte der gläserne Trichter ist, den einfach jeder sehen will. Darüber hinaus kann man sich auch bei Nouvel schwer orientieren: Man sieht zwar den Trichter, man weiß ungefähr, wo man ist, aber die Rolltreppen ins nächste Geschoß, die muß man suchen. Das wird im Prager Kaufhaus nicht so sein. Man wird in einen Sog gezogen werden, den allein schon die Architektur mit ihren Einblicken, Ausblicken und Wendepunkten erzeugt.

In einer Projektphase war übrigens davon die Rede, dem Haus einen Turm aufzusetzen. Das ist in Prag - einer Stadt der Türme, nicht nur der Kirchtürme - naheliegend. Das BKK-2 wollte in diesem Turm ein Restaurant-Konzept umsetzen, das aus „Zellen“ bestanden hätte, die jeweils separat nutzbar gewesen wären und die jedem Besucher den spektakulären Blick auf den Wenzelsplatz und über Prag geboten hätten. Auch das eine wichtige, für das BKK-2 typische Überlegung: Was nützt ein Restaurant mit Ausblick auf Prag, wenn man diesen Ausblick nur von den paar Tischen genießen kann, die vorne an der Glasscheibe plaziert sind? Im Haas-Haus ist es so, daß die Auserwählten vorne wirklich etwas davon haben, daß sie oben und am Stephansplatz sind, während es für alle anderen - und das ist die überwiegende Mehrheit der Gäste - eigentlich egal ist, weil sie ohnehin nichts sehen.

Leider ist der Turm auf dem Kaufhaus „Diamant“ gefallen, eine auf dem ursprünglichen Grundkonzept basierende Überhöhung an anderer Stelle wurde jedoch zugesagt.

Es gibt übrigens einen tschechischen Partner des BKK-2 - das Team A.D.N.S. - , der das Projekt vor Ort betreibt, und es gibt einen österreichischen Investor, für den der Notfall durch die architektonische Lösung möglicherweise zum Glücksfall geworden ist. Wenn der eintritt, dann bedeutet das, daß gebaute Haute Couture für alle einen Mehrwert bringt - für die Investoren und Betreiber einen ökonomischen, für das Publikum und die Nutzer einen emotionalen. Der Beweis steht zwar noch aus, aber der Versuch ist jedenfalls lohnend.

Spectrum, Sa., 1997.05.31



verknüpfte Bauwerke
Kaufhaus „Diamant“

10. Mai 1997Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Das Haus, das zu atmen beginnt

Ein flexibler Grundriß, der einzig die Naßgruppen fixiert und die Nutzung der einzelnen Räume offenläßt: Mit diesem Konzept erfüllt Helmut Wimmer heutige Ansprüche an das Wohnen im städtischen Raum.

Ein flexibler Grundriß, der einzig die Naßgruppen fixiert und die Nutzung der einzelnen Räume offenläßt: Mit diesem Konzept erfüllt Helmut Wimmer heutige Ansprüche an das Wohnen im städtischen Raum.

Unter den Wiener Wohnbauern hat Helmut Wimmer schon lange einen guten Namen. Erinnert sei hier nur an sein Haus auf dem Wienerberg, vor allem aber an seinen Wohnbau in der Brünner Straße mit der durchgängigen Passage auf dem Niveau des ersten Obergeschoßes.

Und jetzt gibt es zwei neue Wohnhäuser dieses Architekten. Das in der Grieshofgasse ist mit neun Wohnungen besonders klein, das in der Wulzendorfstraße hat mit 51 Wohneinheiten sozusagen „normale“ Dimensionen. Beiden gemeinsam ist ein Konzept, das drinnen zu sehr offenen Grundrissen geführt hat und draußen zu einem Erscheinungsbild, das sich mit der Nutzung und durch die Nutzer wandelt, verändert, bewegt.

Auf dieses Prinzip hat der Architekt in der Grieshofgasse mit extremer Kompromißlosigkeit gesetzt. Denn seine neun Wohnungen entsprechen dem Anspruch der Nutzungsneutralität und -flexibilität so weitgehend wie möglich. Außer der Naßgruppe ist praktisch nichts festgeschrieben, denn die vier gleichwertigen Räume sind so um eine Verteiler- beziehungsweise Servicezone angeordnet, daß sie durch das Öffnen von Schiebewänden auch miteinander verbunden werden können.

Das ist ein Grundrißkonzept, das sicher nicht für jeden ideal ist. Ein kinderloses Ehepaar etwa wird von dieser Möglichkeit weniger Gebrauch machen als eine große Familie. Aber die hat wirklich etwas davon, weil in einer solchen Wohnung eben beides möglich ist - der individuelle Rückzug und die großzügige, durchgängige Wohnfläche.

Wimmer ist im Fall der Grieshofgasse aber noch weiter gegangen. Er hat den Bewohnern sozusagen eine Möglichkeit in die Hand gespielt, sich auch nach außen sichtbar individuell auszudrücken. Das geschieht mit geschoßhohen Schiebeelementen, die in einer Art zeitgemäßem Wiener Kastenfenster, richtiger: in einer zweischaligen Glashaut stecken und von den Bewohnern nach Belieben genutzt werden können. Diese Schiebeelemente sind bunt und wurden - auf ausdrücklichen Wunsch des Architekten - von den Bewohnern teilweise bemalt, was zu einem sehr lebendigen Fassadenbild geführt hat.

Würden alle Wohnhäuser so aussehen, wäre eine „Verhundertwasserung“ der Stadt das schier unerträgliche Ergebnis. Ein so kleines Projekt rechtfertigt diese Vorgangsweise hingegen. Denn erst dadurch kann es seine Präsenz im Straßenraum wirklich behaupten.

Der mehrschichtige Fassadenaufbau - eine Isolierverglasung im Holzrahmen, die Schiebeelemente und eine Pfosten-Riegel-Konstruktion mit Einfachverglasung als letzte Schicht - wirkt sich obendrein durch den großzügigen Einsatz von Glas positiv auf die Energiekosten aus, weil die Sonnenenergie in der Übergangszeit immerhin passiv genutzt werden kann.

Helmut Wimmer - man sollte es vielleicht noch ausdrücklich betonen - ist kein Hundertwasser. Das heißt, es geht ihm nicht um das „Fensterrecht“ des einzelnen, es geht ihm um grundsätzliche Überlegungen zum Thema Wohnbau.

Tatsächlich haben sich die Voraussetzungen, unter denen Wohnbau heute stattfindet, seit den sechziger, siebziger Jahren wirklich grundlegend verändert. Heute geht es nicht mehr nur um ein Dach über dem Kopf, und die Adresse, an die sich der geförderte Wohnbau richtet - von sozialem Wohnbau spricht man inzwischen schon fast nicht mehr - , wird längst von einer Mittelschicht besetzt, der man gewisse Ansprüche attestieren muß. Keiner nimmt heute „irgend etwas“, nur weil es die richtige Größe und Zimmeranzahl hat, jeder wählt aus. Und jeder wählt etwas aus, das ihm neben Anonymität auch noch die Individualität der Selbstverwirklichung und Selbstdarstellung ermöglicht.

Man muß sich nur vor Augen halten, welche Rolle heute die sogenannten Freiräume - Loggien, Terrassen, Balkone, individuelle Mietergärten, im bescheidensten Fall: ein gemeinschaftlich genutzter, begrünter Hof - spielen. Angesichts der aktuellen Quadratmeterpreise im Wohnbau und unserer klimatischen Verhältnisse sollte man meinen, daß sich der eine oder andere überlegt, ob er nicht lieber auf einen Raum verzichtet, den er nur kurze Zeit im Jahr nutzen kann - das Gegenteil ist der Fall. Und das hat sicher nicht nur mit Liebe zur Natur und der Sehnsucht nach Sonne und frischer Luft zu tun, das liegt eben doch auch an einem Bedürfnis nach Selbstausdruck.

Und diesem Bedürfnis kann man architektonisch auf verschiedene Weise entsprechen. Helmut Wimmers Strategie beim Haus in der Grieshofgasse ist dafür noch nicht einmal besonders typisch, weil es so klein und schon deswegen nicht verallgemeinerbar ist. Der Wohnbau in der architektonisch sehr unwirtlichen Umgebung der Wulzendorfstraße hat hingegen eine Dimension, die man mit Fug und Recht unter dem Aspekt des „Städtischen“ betrachten kann.

Wimmer hat auf ein ganz ähnliches Prinzip gesetzt, aber hier wurde auf jedwede, sagen wir es böse: Verniedlichung verzichtet. Es ist vielmehr eine urbane, eine elegante Lösung, die nicht nur an der Peripherie, sondern auch überall sonst in der Stadt ihren Platz behaupten könnte.

Beim Wohnungszuschnitt hat sich Wimmer wieder eines flexiblen Grundrisses bedient, bei dem nur die Naßgruppen fixiert sind. Die einzelnen Räume sind vom Zuschnitt her also beliebig nutzbar, der alte Grundsatz, daß schon von der Architektur her festgelegt ist, wo geschlafen und wo gewohnt wird, gilt in diesen Wohnungen nicht. Es gibt zwar etwas, das Wimmer das „Rückgrat“ nennt - einen durchgespannten Raum, gewissermaßen der „Ort der idealisierten Familie“ (Wimmer) - , aber durch die Auflösung der Wände in Schiebetafeln wurde ein Höchstmaß an Flexibilität erreicht.

Es geht alles. Und wenn jemand damit umgehen kann, dann hat er davon wirklich optimalen Nutzen. Denn von der Raumatmosphäre her bringt es unglaublich viel, wenn man alles öffnen und, wie gesagt, atmosphärisch erweitern, vergrößern kann.

Wimmer selbst argumentiert sein Grundrißkonzept mit der Möglichkeit zu verschiedenen Lebensweisen - über den Tag (Ausdehnung des Wohnraums in das Schlafzimmer), über das Jahr (Steuern des Lichteinfalls, der Belüftung), über die Generationen (Geburt eines Kindes, Zuzug der Oma). Wenn sich überhaupt etwas dagegen sagen läßt, dann müßte sich dieses Gegenargument vermutlich auf die Akustik beschränken, die bei Schiebeelementen naturgemäß in einem anderen Ausmaß zum Tragen kommt als bei festen Wänden.

Noch wichtiger als dieses Innenraumkonzept ist aber die Erscheinung des Bauwerks von außen. Dabei ist es so simpel, daß eigentlich jedes bedeutsame Wort zuviel erscheint. Es ist aber so wirksam, daß man eben doch darüber reden muß.

Helmut Wimmer hat den Wohnungen Rollos vorgehängt. Mehr ist im Grunde nicht da. Diese Rollos sind grau, also völlig neutral, und sie bilden die äußerste Gebäudeschicht. Da, wo normalerweise der Putz ist, ist bei Helmut Wimmer Stoff. Es ist aber fabelhaft, zu beobachten, wie sich das Haus durch diese simple Maßnahme verändern kann. „Metaphorisch“, sagt Wimmer.

Das Haus hat einen - nicht besonders großen - Innenhof, dem die Nebenräume zugeordnet sind, und an der Nordseite nimmt der Bau mit 15 Metern Höhe die zeilenförmige Bebauung der Nachbarschaft auf. Hier liegt auch ein Laubengang, der diesen Teil erschließt. Man muß dem Gebäude aber trotz dieser Einbindung in die Umgebung Solitärwirkung attestieren, es steht einfach einzeln da.

An der Fassade: eine geschoßhohe Verglasung, der ein 60 Zentimeter breiter Putzbalkon vorgelagert ist, dessen Außenhaut wiederum die erwähnten Stoffrollos bilden. Diese Stoffrollos bewegen sich, sie werden bewegt: Bei Nacht sind sie geschlossen, das Haus ist hinter einer Membran versteckt, die man im Außenraum nicht erwartet. Im Morgengrauen verändert sich dieses Bild, die Hermetik wird aufgebrochen, das Haus beginnt zu atmen, „sein Inneres wird nach außen gestülpt, das Haus tritt in den Hintergrund, seine Eingeweide überlagern sich mit den agierenden Menschen zu einer Bühne des Wohnens“ (Wimmer).

Man kann aus diesem Wohnhaus-Konzept verschiedene Rückschlüsse ziehen. Aber alle betreffen heutige Wohnerwartungen und Ansprüche an das Wohnen im städtischen Raum. Es geht nicht mehr darum, die Einzelheiten des Wohnens architektonisch vorzuformulieren, es geht um Strukturen. Und es geht um das Wohnhaus als Grundmodul in der verdichteten, geschichteten Stadt. - Metaphorisch, sagt Helmut Wimmer.

Spectrum, Sa., 1997.05.10



verknüpfte Bauwerke
Wohnhaus Wulzendorfstraße

19. April 1997Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Schotter im Wohnbaugetriebe

Besser und billiger sollte der Wiener Wohnbau in Zukunft sein - noch dazu unter objektiven Vergabemodalitäten. So weit die Theorie. Die urwienerische Praxis: Unvereinbarkeiten, fachliche Inkompetenz - und einige, die sich's richten können. Ein Zwischenruf

Besser und billiger sollte der Wiener Wohnbau in Zukunft sein - noch dazu unter objektiven Vergabemodalitäten. So weit die Theorie. Die urwienerische Praxis: Unvereinbarkeiten, fachliche Inkompetenz - und einige, die sich's richten können. Ein Zwischenruf

Es knirscht im Getriebe der Wiener Wohnbau-Maschinerie, in diesem vielteiligen Räderwerk spießt sich wieder einmal der Beziehungsschotter. Dabei ist Wohnbau-Stadtrat Werner Faymann mit einer so einleuchtenden Parole angetreten: Besserer, ökologisch richtiger und billigerer Wohnbau sollte es in Zukunft sein, der von der Stadt Wien forciert und gefördert wird, und das noch dazu unter objektivierten Vergabemodalitäten.

Das hat sich in der Tat gut angehört, und politisch ließ es sich auch gut verkaufen. Das Zauberwort heißt „Bauträger-Wettbewerb“ und beruht auf einem Wettstreit der Genossenschaften um die Zuteilung von Grundstücken, die der WBSF - der Wiener Bodenbereitstellungs- und Stadterneuerungsfonds - für geförderten Wohnbau zur Verfügung stellt.

Die Grundüberlegung war naheliegend und einleuchtend zugleich: Man nötige Bauträger zu einer Arbeitsgemeinschaft mit Architekten und Generalunternehmern, diktiere relativ rigorose Förderungsbedingungen, zwinge sie dazu, sich mit ihrer Planung einer nach allen fachlichen Gesichtspunkten abgesicherten Jury zu stellen - und herauskommen müßte eigentlich der bessere und kostengünstigere Wiener Wohnbau.

Das tut er in der Tat, und insofern ist die politische Rechnung von Werner Faymann aufgegangen. Denn das neue Verfahren soll dazu geführt haben, daß die Quadratmeterpreise bei den neueren Wiener Wohnbau-Projekten um 2000, bis sogar 3000 Schilling gesenkt werden konnten.

Das Wörtchen „soll“ hat hier eine mehrfache Bedeutung. Denn die Kostengarantie „soll“ zwar bei Strafe eingehalten werden - ein Pönale von bis zu drei Millionen Schilling steht im Raum und eine Sperre von Aufträgen der Stadt Wien bis zu fünf Jahren, was einen Bauträger ruinieren kann - , Tatsache ist aber: Es gibt noch keinen einzigen realisierten Bau aus einem solchen Bauträger-Wettbewerb.

Und wenn man nur die letzte Runde nach diesem Verfahrensmuster hernimmt - sie betrifft zwei Areale im Süden Wiens, an der U6, nahe der Perfektastraße und das Gelände „In der Wiesen“ - und wenn man sich vor Augen hält, daß diese Wohnbauten möglicherweise im Jahr 2005 fertig sind, dann „sollte“ man sich schon allerhand fragen.

Zum Beispiel, ob es denn überhaupt eine Instanz der Nachkontrolle geben wird, die überprüft, ob all die Holzfenster, die jetzt zwecks der besseren Jurierungsoptik in die Projekte hineingezeichnet sind, auch wirklich ausgeführt wurden.

Aber die Fragen, die sich heute - gerade am Beispiel des Doppelverfahrens „Perfektastraße“ und „In der Wiesen“ - wirklich zwingend stellen, betreffen viel handfestere Themen. Sie betreffen zum einen den Modus der Vergabe der Grundstücke an die Bauträger, weiters die Bedingungen, unter denen die Verbilligung und Verbesserung des Wiener Wohnbaus erreicht wird, und sie betreffen vor allem auch die Modalitäten der Jurierung.

Fangen wir in der Mitte an: Alle ächzen und stöhnen, weil sie durch die Bauträger-Wettbewerbe in die Zange genommen werden. Die Bauträger investieren pro Projekt gut und gerne eine halbe Million Schilling, ohne letztlich zu wissen, wie es dann ausgeht; die Bauwirtschaft ist gezwungen, so kostengünstig wie nie zuvor zu kalkulieren; und die Architekten liefern Projekte ab, die immerhin so genau durchgearbeitet sein müssen, daß man auf dieser Basis Kosten errechnen kann, die in der Umsetzung auch einzuhalten sind.

Der Architekt muß also eine weit umfassendere Leistung erbringen, als sie bei einem üblichen Wettbewerb gefragt ist, wiewohl die Bedingungen, zu denen er diese Leistung erbringt, völlig ungeregelt sind. Das heißt: Sie sind dem Bauträger überlassen. Die MA 24 zum Beispiel, nunmehr gezwungen, ebenfalls in die Rolle des „Bauträgers“ zu schlüpfen, entlohnt ihre projektierenden Architekten; und mancher andere Bauträger tut das nobel auch; aber es gibt eine ganze Reihe vornehmlich konservativerer Genossenschaften, die bislang auf eine 08/15-Architektur gesetzt haben und jetzt gezwungen sind, ungewohnte planerische Anstrengungen zu unternehmen - denen ist dieses Risiko zu groß.

Der bessere, billigere Wiener Wohnbau kommt also unter teilweise recht ausbeuterischen Vorzeichen zustande. Das sollte man festhalten.

Ganz problematisch wird es aber, wenn man sich das Verfahren im engen Sinn, wenn man sich die Teilnehmer und die Jurierung ansieht. Da wurde doch tatsächlich eine 17köpfige (!) Jury installiert, um die Projekte zu beurteilen. Und da gibt es zwar Bauträger-Vertreter und Fachleute aller Art, aber die Architekturspezialisten selbst sind deutlich in der Minderzahl - selbst bei relativ großzügiger Interpretation des Begriffs stößt man auf keine fünf. Das ist natürlich sehr fragwürdig. Denn die Erfüllung ökologischer Kriterien läßt sich durch Daten und Fakten argumentieren, ebenso die ökonomischen Qualitäten eines Projekts. Man bewegt sich sozusagen auf vermeßbarem Terrain.

Bei der Planung ist es hingegen viel schwieriger, Qualitäten zu beurteilen und zu argumentieren. Trotzdem stimmt aber eine Jury darüber ab, die mehrheitlich auf diesem Gebiet nicht qualifiziert ist. Und das führt zu denkwürdigen Ungereimtheiten. Ohne Namen zu nennen, hier ein paar Beispiele: Da legt ein Architekt mehrere Projekte für verschiedene Bauplätze vor, die aber alle auf dem gleichen System basieren; einmal gewinnt er, dort wird dieses System gelobt; zweimal verliert er, das gleiche System wird verdammt. Oder: Ein Siegerprojekt sieht eine gläserne Schallschutzwand vor, sie findet Anerkennung. Ein Verliererprojekt sieht für dieselbe Situation eine gläserne Schallschutzwand vor, sie wird für schlecht befunden. Oder: Einem Projektanten werden westorientierte Wohnungen und zum Laubengang hin gelegene Schlafzimmer vorgeworfen, die es in Wirklichkeit aber gar nicht gibt. Diese Aufzählung ließe sich fortsetzen.

Nun finden sich in jedem Jury-Protokoll Ungereimtheiten, das mag sein. Aber normalerweise hält sich eine Jury an die Regeln, die sie sich selbst auferlegt. In diesem Fall besteht die Regel in einem Punktesystem, nach dem jeweils die Kategorien „Ökonomie“, „Ökologie“ und „Planung“ beurteilt werden. Das - nicht erreichbare - Punktemaximum beträgt in jeder dieser Kategorien 100, wer auch nur in einer Kategorie unter 50 Punkten bleibt, scheidet aus. Der Punktedurchschnitt aus den drei Kategorien wird am Ende verglichen, wer den besten hat, der gewinnt - tut es aber nicht immer.

Denn es ist schon vorgekommen, daß die einen zwar einen besseren Punktedurchschnitt haben, aber nach einer Jury-Abstimmung trotzdem derjenige gewinnt, der einen Punkt darunter liegt. Das ist ungefähr so, als könnte der Schiedsrichter bei einem Fußballspiel, wenn es 3:0 für die falsche Mannschaft steht, einfach die Regeln ändern.

Schließlich ein letzter Punkt: Er betrifft die Teilnehmer des Verfahrens und die Zusammensetzung der Jury. Vergleichsweise harmlos ist es noch, wenn ein Architekt für einen Bauplatz ein Projekt vorlegt, für den er zuvor den städtebaulichen Masterplan entwickelt hat. Das heißt, er plant sozusagen sein eigenes Projekt weiter. Um beim sportlichen Vergleich zu bleiben: Das ist wiederum so, als würde beim 100-Meter-Lauf einem der Teilnehmer ein Vorsprung von zehn Metern eingeräumt; natürlich kann man theoretisch gegen ihn gewinnen, aber praktisch ist es unheimlich schwer.

Wie gesagt, es ist das harmlosere Problem. Daß in der Jury Leute sitzen, die selbst beim Verfahren mitmachen, das läßt sich dagegen nicht verharmlosen. Das gilt leider auch für Architekten, es gilt aber vor allem für Bauträger-Vertreter, die dann sowohl im eigenen Namen als auch über Tochterfirmen Projekte vorlegen. Wo in aller Welt hat es je eine Jury gegeben, in der eine solche Vorgangsweise für zulässig erachtet worden wäre?

Kein Wunder, daß manche Bauträger immer erfolgreich sind - und andere nie. Kein Wunder auch, daß manche Architekten sagen, eigentlich kann man auch ein leeres Blatt abgeben, wenn nur der Name des richtigen Bauträgers draufsteht. Und da nützt auch kein Argumentieren, daß die Betroffenen bei den eigenen Projekten ja nicht mitstimmen.

Wie das läuft, wenn 17 Leute tagelang zusammensitzen und dann einer im entscheidenden Moment mit rücksichtsvoller Diskretion den Sitzungsraum verläßt, das kann man sich vorstellen, es braucht gar nicht viel Phantasie dazu.

Man kann sich aber auch vorstellen, was es heißt, wenn ein engagierter Architekt einen Bauträger von der Notwendigkeit überzeugt, konzeptiv zu denken, einen neuen, weniger ausgetretenen Weg beim Wohnbau zu beschreiten, und der Bauträger (samt Architekt) dann auf Grund solcher Mechanismen scheitert - und das nicht nur einmal.

Unter solchen Umständen kann von einem objektivierten Verfahren beim besten Willen keine Rede sein. Es mag eine andere Art von Verfahren sein, mit dem auf einer bestimmten Ebene tatsächlich Erfolge erzielt worden sind; aber auf der Ebene der Vergabe haben sich die entscheidenden Leute wieder einmal darauf verstanden, „sich's zu richten“.

Das ist ein sehr, sehr wienerischer Sachverhalt: Eine an sich vielversprechende Initiative wurde scheibchenweise, unmerklich in ihr Gegenteil verkehrt, und alle verschließen davor die Augen.

Spectrum, Sa., 1997.04.19

29. März 1997Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Im Mezzanin des k. k. Bauraths

Im gründerzeitlichen Palais Equitable am Wiener Stock-im-Eisen-Platz haben Rüdiger Lainer und Werner Silbermayr ein Stockwerk in zeitgemäße und repräsentative Büroräume verwandelt. Ein Umbau mit Mehrwert.

Im gründerzeitlichen Palais Equitable am Wiener Stock-im-Eisen-Platz haben Rüdiger Lainer und Werner Silbermayr ein Stockwerk in zeitgemäße und repräsentative Büroräume verwandelt. Ein Umbau mit Mehrwert.

Es ist schon ein ganz besonders imposantes Gebäude, das Palais Equitable des ehrwürdigen „k. k. Baurathes“ Andreas Streit auf dem Stock-im-Eisen-Platz in Wien. Nach Rüdiger Lainer bildet sich in seiner gründerzeitlichen „Kombinatorik der Stile und Stimmungen“ eine Art New Yorker Interpretation von „old Europe“ ab, denn Streit hat das Bauwerk 1888 für die amerikanische „Equitable“ Life Assurance Society geplant. Diese Lesart kann man teilen oder auch nicht, mit seinem rundum verkachelten, glasgedeckten Innenhof - einem atmosphärisch ganz und gar unwienerischen Ort - zählt es jedenfalls zu den architekturtouristischen Sehenswürdigkeiten der City.

Andererseits: So besonders ist es dann auch wieder nicht, daß ein Architekt davor zurückschrecken müßte, sich daran zu „vergreifen“. Vor die Aufgabe gestellt, das Mezzanin des Equitable in zeitgemäße, dabei repräsentative Büro- und Besprechungsräume zu verwandeln, zögerten Rüdiger Lainer und sein Partner, Werner Silbermayr, daher nicht, sogar einen ganz leisen, aber auch von außen lesbaren Hinweis auf ihre Intervention im Inneren zu liefern. Dieser Hinweis wird zwar nur abends, in der Dunkelheit sichtbar - er besteht in einer Art Lichtinszenierung, dem ein wenig irrealen Flirren und Leuchten der breit dimensionierten Fenster im Mezzanin - , aber mehr wäre auch sicher zuviel. So sticht einem, vom Stephansplatz, von der Kärntner Straße oder dem Graben kommend, das leuchtende Fensterband zwar ins Auge, aber es verstärkt eher die Wirkung der gewaltigen Baumasse, die sich darüber auftürmt, als daß es sie stört.

Es ist übrigens ein sehr einfacher Kunstgriff, dessen sich Lainer und Silbermayr bei dieser kleinen Geste nach außen bedienen: Sie haben in den Kastenfenstern links und rechts jeweils zwei Leuchtstoffröhren installiert, die ein bläulich-weißes, jedenfalls nicht gelbliches Licht geben und so für diesen unaufdringlichen Irritationseffekt sorgen.

Der Weg hinauf ins Mezzanin führt über eine Prunkstiege, die diese Bezeichnung wahrhaftig verdient. Und da, plötzlich und unvermutet: ein Moment der Überraschung, der neuerlichen Irritation. Denn der Besucher wird hier mit einer Eingangskonstellation konfrontiert, die einer Parallelaktion gleichkommt: Links ist die ein wenig schäbige gründerzeitliche Eingangstür immer noch da, rechts leuchtet eine Glastür, die eigentlich eine Art Paravent ist, ein sandgestrahltes Glaselement, das nur den Namenszug des Unternehmens zeigt, und schiebt sich lautlos auf.

Über eine Lichtschwelle im Boden geht es in den großen, dreifenstrigen Empfangsraum hinein, und wenn man hier steht, dann versteht man auch gleich das Grundprinzip der architektonischen Intervention, das bei diesem Umbau sehr konsequent durchgehalten wurde. Denn von innen betrachtet, treffen im Eingangsbereich drei höchst disparate Elemente aufeinander: ein altes Fenster in einen Lichthof, der neue Eingang und die ursprüngliche Eingangstür. Durch dieses unvermittelte Aufeinandertreffen von altem Bestand und neuen Implantaten kommt atmosphärisch gerade soviel Spannung auf, wie es braucht, um nicht in die eher fade Glätte neureicher Repräsentation zu verfallen.

Die Frage, wie man mit historischem Bestand richtigerweise umgeht, steht ja relativ häufig im Raum. Die Strategie, den Bestand einerseits nicht anzutasten, andererseits aber doch einen Kollisionskurs einzuschlagen und auf diese Weise eine neue Qualität herzustellen, geht aber trotzdem nur selten auf. Im wesentlichen bestand das Mezzanin des Equitable aus einer Abfolge großer Räume zwischen Außenfassade und Mittelmauer, wobei die Öffnungen in der Mittelmauer teilweise rechteckig, teilweise bogenförmig waren.

Zwischen der Mittelmauer und der Fassade zum Hof beziehungsweise zu den Lichthöfen waren unterschiedliche Resträume untergebracht. Diese „Resträume“ haben die Architekten entfernt und damit die Möglichkeit einer großzügigen Erschließung geschaffen. Die vorhandenen Öffnungen in der Mittelmauer blieben so, wie sie waren, auch wenn sie jetzt, nach dem Umbau, teilweise eben doch ganz anders sind.

Die extremste Umsetzung dieser architektonischen Strategie findet sich bei einem Fenster in einen Lichthof, das ganz am Ende der jetzigen Erschließungszone vorhanden war. Wie gesagt: Es war da. Es wurde zwar nicht gebraucht, aber es war da. Und da der Bestand nicht angetastet werden sollte, mußte es bleiben. Rüdiger Lainer hat sich mit vorwitzigem Esprit aus dieser Affäre gezogen: Man könnte auch sagen, er hat das Fenster weggestrichen, durchgestrichen. Denn er hat eine etwas durchscheinende Glasscheibe davorgesetzt, die das Fenster zwar nicht antastet, die es noch nicht einmal ganz unsichtbar macht, die es aber doch auslöscht.

Wenn man die breite Erschließungszone entlanggeht, stößt man unweigerlich auf eine weitere Kollision dieser Art. Zum Hof hin ist ein fast möbelartiges, mit seinem leichten Schwung auch sehr elegantes Raumelement mit Garderoben und ähnlichem da, das sich hinter einer Leuchtwand des Künstlers Michael Kienzer tatsächlich zu einem Raum mit kleiner Küche weitet. Auf der gegenüberliegenden Seite ist die Mittelmauer mit ihren unterschiedlichen Öffnungen zwar unberührt geblieben, aber wo es gebraucht wurde, wurde auch ganz rücksichts-, aber nicht reizlos eine neue Schicht davorgesetzt.

Wie gesagt, dem Bestand ist nichts passiert. Aber die Architekten drücken doch unmißverständlich aus, wenn sie etwas in der vorhandenen Form eigentlich nicht brauchen. Und dann aber auch gleich wieder die architektonische Gegenrede: Die neuen Zwischenwände, die ein Büro vom anderen trennen, machen zum Beispiel respektvoll einen Schritt vor der Außenmauer halt. Das heißt, sie berühren die Außenmauer an keiner Stelle; ein verglaster Schlitz zeigt die volle Länge des jeweiligen Geschoßteils sogar sehr effektvoll auf.

Grundsätzlich hat sich Rüdiger Lainer für eine relativ puristische Materialsprache entschieden. Auf dem Boden durchgehend der warme Farbton von Doussie-Parkett - wohl eine Art Tropenholz - , ansonsten viel und ganz unterschiedliches Glas, schließlich ebenfalls ganz unterschiedliche Weißtöne und Materialqualitäten bei den Oberflächen von Wänden, eingeschobenen Raumelementen und eingebautem Mobiliar.

Da trifft man auf einen scheinbar rauhen Anstrich in der Art einer Grundierung, man trifft auf die grobe Handschriftlichkeit des Pinselstrichs von Michael Kienzer bei der Leuchtwand, aber auch auf die edle und aufwendige Technik des glatten, ein wenig glänzenden Stucco lustro.

Ganz ähnlich ist es beim Glas: Es kann durchsichtig sein oder nur durchscheinend, sandgestrahlt oder sogar verspiegelt, wie im Fall des Ornamentglases an den Wänden der Waschräume.

Lainer hat einige sehr schöne Möbel entworfen. Besonders im Eingangsbereich sind ihm mit einem flexiblen, würfel- oder modulartigen System Ausstattungselemente gelungen, die gleichzeitig frei aufgestellte Objekte und doch vielfältig nutzbare Einrichtungsgegenstände sind.

Eine ausgetüftelte weiße Schrankwand ist von einer rechtwinkeligen Struktur verschieden großer Felder (den Türen) überzogen und hat Lainer selbst zu einem treffenden Kommentar inspiriert: Mondrian meets Ryman.

Ein sehr großer, in einer schwungvollen Kurve geformter Konferenztisch aus Stahl wirkt wie das programmatische Gegenstatement dazu. Er ist aus mehreren Einzeltischen zusammengesetzt und derzeit gerade Gegenstand „gestalterischer“ Experimente, denn die Tischplatte soll mit Leder überzogen werden. Aber welches nimmt man? Rüdiger Lainer wurde von der jähen Einsicht überwältigt, daß der Größe von Tierhäuten ein natürliches Limit gesetzt ist und die Wahlmöglichkeit daher recht beschränkt.

Unter dem Strich ist es ein höchst bemerkenswerter Umbau geworden, den Lainer und Silbermayr im Mezzanin des Equitable realisiert haben. Auch wenn man sagen kann, daß ein neuer Innenausbau im Haus des Andreas Streit leichter zu rechtfertigen - und wohl auch lockerer zu handhaben - ist als etwa in einem Gebäude von Wagner oder Loos, bleibt immer noch der Anspruch des besonderen Ortes, hier, im Mittelpunkt der Innenstadt.

Und es bleibt eine Gefahr, die immer häufiger auch sehr anspruchsvolle Umbauten zur Strecke bringt, nämlich die eines uninteressanten, langweiligen, weil allzu vordergründigen und modischen Purismus. Gerade der wurde aber äußerst erfolgreich vermieden. Denn Purismus war zwar - schon auf Grund der umfangreichen und spektakulären Kunstsammlung des Bauherrn, die in den Räumen präsentiert wird - ein Thema, durch die Art des Umgangs mit dem Bestand hat er aber Irritationen erfahren, die einen atmosphärischen Mehrwert bedeuten.

Spectrum, Sa., 1997.03.29



verknüpfte Bauwerke
Palais Equitable - Umbau Mezzanin

08. März 1997Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Modellversuch im Sonnenbad

Sonnenkollektoren, optimale Gebäudehüllen, intelligente Haustechnik: Ökologisches Bauen senkt den Energieverbrauch um bis zu 75 Prozent. Für ein Wohnhaus in Felixdorf, Niederösterreich, entwickelte Atelier 4 ein maßgeschneidertes Konzept.

Sonnenkollektoren, optimale Gebäudehüllen, intelligente Haustechnik: Ökologisches Bauen senkt den Energieverbrauch um bis zu 75 Prozent. Für ein Wohnhaus in Felixdorf, Niederösterreich, entwickelte Atelier 4 ein maßgeschneidertes Konzept.

Ob Sonnenkollektoren auf dem Dach zur visuellen Verbesserung unserer Umwelt beitragen, darüber kann man durchaus streiten. Die Vision einer Stadtlandschaft, deren fünfte Fassade von diesen silbrig schimmernden Gerätschaften besetzt ist, kann jedenfalls nicht wirklich reizen. Aber im niederösterreichischen Felixdorf hält man den leicht technoiden Touch dieser Dachszenerie aus, da wirkt sie sogar erfrischend.

Es ist nur ein kleines Wohnhaus mit 37 Wohnungen, das dem Bauträger, der Wien-Süd, und seinen Architekten, dem Atelier 4 - das sind Peter Scheufler, Zachari Vesselinov, Manfred Hirschler und Peter Erblich - , den Versuch wert war, ein ausgefeiltes Energiekonzept umzusetzen. Wobei die Bezeichnung „Versuch“ eigentlich in die Irre führt, denn ausprobiert wurde hier nichts, ganz im Gegenteil: Man hält sich sogar ausdrücklich etwas darauf zugute, daß es eben kein Pilotprojekt, sondern ein Wohnhaus ist, bei dem ausschließlich bewährte Technologien eingesetzt wurden, aber mit dem eindeutigen Ziel der Energiekostensenkung.

Fangen wir trotzdem mit der Architektur an: Das Solar-Energiesparhaus des Atelier 4 gibt sich zwar nicht ländlich, wie das in Felixdorf vielleicht naheliegend wäre, sondern tritt mit einer gewissen städtischen Noblesse auf, aber Geschoßwohnungsbau ist nun einmal keine sehr dörfliche Wohnform, und wenn dann die Adresse noch dazu Fabriksgasse heißt . . .

Die leuchtendweißen, sehr kompakten dreigeschoßigen Baukörper setzen jedenfalls ein unübersehbares Signal. Eine gelbe Mauerscheibe mag für manche als der allzu buchstäbliche Hinweis auf das Energiekonzept lesbar sein, weniger mißtrauischen Zeitgenossen erscheint sie wahrscheinlich nur als freundlicher und durchaus angenehmer Farbakzent. Auf den ersten Blick auffallend: der ziemlich verschwenderische Einsatz von Glas und die geringe Trakttiefe.

Letztere kommt einer Reverenz der Architekten vor den baulichen Gegebenheiten des Ortes gleich. Sie fügen sich maßstäblich ins Umfeld ein, aber ohne gleich ihre Architektenhaut zu Markte zu tragen: Jede weitere Anpassung haben sie sich glücklicherweise versagt.

Das Konzept dieses Energiesparhauses ist einleuchtend einfach. Zwei versetzte schmale Baukörper mit West-Ost-Orientierung sind jeweils über eine gemeinsame Stiegenhaushalle in der Mitte erschlossen. Diese Halle ist ein wichtiges architektonisches Element, denn durch die großzügige Verglasung herrschen drinnen wunderbare Lichtverhältnisse, und der Gang zur Wohnung wird zum differenzierten räumlichen Ereignis: Erst geht es durch das transparente Stiegenhaus, dann über einen verglasten Laubengang, und erst danach tritt man in den geschlossenen „Mauerwerksteil“ ein, in die eigene, individuelle Wohnzelle. Der Hinweis auf die Beschaffenheit des Weges zur Wohnung ist sicher keine Neuigkeit. Und doch muß man die Bedeutung solcher kleinen Maßnahmen gerade im Geschoßwohnungsbau immer wieder betonen: Denn der Spielraum für „Halböffentlichkeit“, für Kommunikation und Begegnung ist in unseren Wohnhäusern ohnehin sehr klein. Eine architektonische Geste, die diese unvermeidliche Minimalisierung des Gemeinschaftsbereiches wieder relativiert, hat deshalb besonderen Wert. Und obendrein könnte man diese verglasten Elemente mit Fug und Recht auch schon dem Energiemaßnahmen-Paket zuschlagen, weil sie als Zusatzschicht und Pufferzone fungieren.

Die Architekten haben bei der Planung dieser Wohnanlage nicht auf die Solarzellen allein gesetzt, sie haben auch auf die Kompaktheit der Baukörper geachtet und darauf, daß nicht gerade nach Norden die größten Glasflächen oder auch nur Fassadenteile orientiert sind. Außerdem wurde bei der Gebäudehülle auf die Wärmedämmung größter Wert gelegt, ebenso auf die Nutzung der passiven Sonnenenergie.

Aber was bringen nun die Sonnenkollektoren? Insgesamt wurden 236 Quadratmeter davon installiert, und sie sollen immerhin soviel Energie liefern, daß mehr als die Hälfte, nämlich 65 Prozent, des Energieverbrauchs für das Warmwasser damit abgedeckt werden kann und überdies auch noch ein fünf- bis zehnprozentiger Grundlastenanteil der Heizenergie.

Weitere „umweltfreundliche“ Maßnahmen: Über Wärmerückgewinnung wird die Energie aus den Abgasen des Heizkessels genützt; das Regenwasser wird über Sickerschächte dem Grundwasser zugeführt, es kommt also nicht ins Kanalnetz; und bei den WC-Spülungen wird Trinkwasser eingespart. Zitat aus einer kleinen Broschüre der Architekten: „Ökologischer Wohnbau kann geringfügig höhere Herstellungskosten (bessere Wärmedämmung und Verglasung, haustechnische Maßnahmen, Sonnenkollektoren et cetera) verursachen, ermöglicht aber niedrigere Gesamtwohnkosten als ein ähnlicher Standardwohnbau ohne energiesparende Maßnahmen.“

Das angeführte Zahlenmaterial läßt den Schluß zu, daß hier eine spürbare Senkung der Energie- beziehungsweise generell der Betriebskosten für den einzelnen Mieter erreicht wurde, wiewohl die Baukosten um rund 1,2 Millionen Schilling höher als im herkömmlichen Wohnhausbau sind ( Preis pro Quadratmeter: 16.843 Schilling).

Insofern ist also nichts gegen das Solar-Energiesparhaus einzuwenden. Und die Zeiten, als Architekten solche Wohnhäuser gebaut haben und dabei nichts als die Energiefrage im Sinn hatten, sodaß die Architektur auf der Strecke blieb, die sind ja heute vorbei.

Wenn bei solchen Bauten dennoch Fragen offenbleiben, dann bestimmt nicht auf der Ebene der Kostenersparnis, sondern bei der behaupteten Umweltverträglichkeit, der Ökologie. Denn es ist zwar gut und schön, wenn das Regenwasser versickert, aber - um es ganz simpel zu argumentieren - eine echte Hochrechnung, wieviel Material und wieviel Energie bei der Herstellung der Sonnenkollektoren verbraucht wird und wieviel sie kosten, um dann dem privaten Haushalt die Energiekosten zu senken, sollte man wohl besser nicht versuchen. Da würde eine Kosten-Nutzen-Rechnung vielleicht ganz schnell obsolet.

Gegen das Solar-Energiesparhaus des Atelier 4 ist dabei sicher nichts zu sagen: Es ist ein Haus, das seinen Bewohnern angenehme, intelligent organisierte Grundrisse bietet: mit einer zentralen Naßeinheit, flexiblen Individualräumen und einem großzügigen Wohnbereich, zu dem auch die Küche orientiert ist. Es ist in Formen- und Materialsprache ein schlichtes, aber nobles und, was seine Maßstäblichkeit betrifft, vorstädtisches Wohnhaus.

Und bei seiner Planung wurden gewisse Grundsätze beachtet, die man auch jedem Wohnhaus wünschen würde, das nicht unter dem Titel „Energiesparhaus“ errichtet wird: daß das Haus gut wärmegedämmt ist, daß das Regenwasser versickert, daß die passive Sonnenenergie genutzt wird und sich das Haus nach Norden eher verschließt.

Ob die doch recht aufwendige Installation von Sonnenkollektoren über den Modellversuch hinaus eine Zukunftsperspektive hat, ist aufgrund der bescheidenen Größenordnung des Felixdorfer Projekts nicht zu entscheiden. Aber die Entwicklung geht weiter: Die Vorarlberger Architekten Carlo Baumschlager und Dietmar Eberle etwa haben erst kürzlich in Wien ein Projekt vorgestellt, das sie in Innsbruck realisieren werden. Dabei handelt es sich um 600 Wohnungen, die ebenfalls unter dem Titel besonderer Ökonomie und Ökologie geplant werden, mit Sonnen- und Erdwärmekollektoren, Gründächern, einer optimierten Gebäudehülle, intelligenter Haustechnik - und einem um 75 Prozent geringeren Energieverbrauch (bei einem Netto-Quadratmeterpreis unter 16.000 Schilling).

Und das Atelier 4 selbst durfte seine Felixdorfer Erfahrungen ja nun auch im größeren Rahmen in Wien einbringen: bei der sogenannten Sun-City an der Donaufelder Straße: Bei dieser Wohnanlage hat das Atelier 4 das städtebauliche Leitprojekt für immerhin 700 Wohnungen entwickelt und auch selbst einen Teil davon (rund 100 Wohnungen) gebaut, der unmittelbar vor der Fertigstellung steht. Die Orientierung der Baukörper wurde von vornherein so geplant, daß sie weitgehend nach Süden schauen, südorientierte, vorgelagerte Pufferzonen dienen der Nutzung der passiven Sonnenenergie, Solaranlagen sollen bis zu 50 Prozent der Energie für die Warmwasserbereitung bringen, Nutzwasser wird für die Gartenbewässerung und die WC-Spülungen eingesetzt.

Allerdings hat kürzlich eine Untersuchung - zumindest vorläufig - ergeben, daß in diesem fernwärmeversorgten Gebiet eine Energieversorgung der Heizung durch Sonnenkollektoren nur in Ausnahmefällen und bei dezentraler Anwendung sinnvoll erscheint. Da relativiert sich also in Einzelaspekten selbst ein sehr komplexes und maßgeschneidertes Energiesparkonzept auch wieder.

Trotzdem: Angesichts der Kostenexplosion, die in den letzten Jahren im Bereich des Wohnens stattgefunden hat, kann man solche Versuche gar nicht ernst genug nehmen. Allerdings wird man sie auch sehr gewissenhaft prüfen müssen: Denn zwischen Wunsch und Wirklichkeit tun sich manchmal auch Abgründe auf.

Spectrum, Sa., 1997.03.08



verknüpfte Bauwerke
Wohnhaus

15. Februar 1997Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Doppelschwung mit Augenmaß

Noch rümpft man im Vorarlberger Dorf Satteins die Nase über die neue Bankfiliale von Markus Gohm und Ulf Hiessberger. An die klare architektonische Sprache dieses Musterbaus wird man sich aber noch gewöhnen.

Noch rümpft man im Vorarlberger Dorf Satteins die Nase über die neue Bankfiliale von Markus Gohm und Ulf Hiessberger. An die klare architektonische Sprache dieses Musterbaus wird man sich aber noch gewöhnen.

Die Bewohner von Satteins in Vorarlberg erleben in jüngster Zeit so ihre Überraschungen. Denn neuerdings hält die zeitgenössische Architektur Einzug in ihrem Dorf. Erst wurde eine kleine Siedlung von Rudolf Wäger gebaut, dann haben Carlo Baumschlager und Dietmar Eberle ein Pfarrheim errichtet, das mit seinem massiven Bibliotheksturm und der rundum verglasten „Schachtel“ des Veranstaltungssaals auch nicht gerade gängigen Vorstellungen von „Dorf“ entspricht; und jetzt - sogar Sichtbeton, pur und nüchtern, und das an der Fassade eines kleinen, aber solitären Bauwerks, das unmittelbar vis-à-vis vom Gasthof steht. Es handelt sich um ein Bankgebäude mit drei Wohnungen im Obergeschoß, das die Architekten Markus Gohm und Ulf Hiessberger geplant haben. Und es handelt sich um ein wirklich bemerkenswertes, vielschichtiges, dabei maßstäblich richtiges Statement zeitgenössischer Architektur.

Wie das Haus an der Straße steht, daran ist nichts zu kritisieren: Es fügt sich in die Bauflucht der vorhandenen Bebauung ein, und es orientiert sich in der Gebäudehöhe an den umliegenden Häusern. Und wenn man in der Bank drinnen ist, dann merkt man auch, daß hier vielfältige Sichtbezüge aufgenommen wurden: Durch das lange, bündig in der Fassade sitzende Glasband der Straßenseite in Sichtbeton kann man hinüber zum Gasthaus schauen, durch eine große Verglasung an der Schmalseite des Baus sieht man weit in den Straßenraum hinein, bis zu einer kleinen Kapelle.

Das Haus wurde von der Raiffeisenbank errichtet und war ursprünglich Gegenstand eines Wettbewerbs. Damals sollten auch noch Teile der Gemeindeverwaltung in diesem Neubau untergebracht werden. Aber die Gemeinde besitzt das Grundstück gleich hinter dem jetzigen Neubau und hat im Anschluß an den Wettbewerb überlegt, selbst etwas zu bauen. Also mußte das Wettbewerbsprojekt unter der Vorgabe eines verminderten Raumprogramms überarbeitet werden.

Das gebaute Resultat dieser Überarbeitung steht jetzt da, wiewohl sich auch daran zu einem relativ späten Zeitpunkt etwas geändert hat. Denn eigentlich war im Obergeschoß nur gartenseitig an eine Wohnung gedacht, während zur Straße hin Büros errichtet werden sollten.

Die Architekten mußten ein relativ dichtes Raumprogramm in ihrem relativ kleinen Baukörper unterbringen. Aber dieses Problem haben sie mit Raffinesse gelöst: Hinter dem Haus wurde das Gelände großflächig abgegraben, sodaß der Schulungsraum im Untergeschoß natürlich belichtet ist und sich atmosphärisch sogar ins Freie, in den gekiesten, durch seitliche Sichtbetonwände und eine begrünte Böschung begrenzten Hof, in eine Art „Zimmer im Freien“ fortsetzt. Dieser Freibereich ist als ein höchst artifizieller Raum ausgebildet, zwar von angenehmer Großzügigkeit, aber demonstrativ künstlich: Abgesehen von der Begrünung der Böschung wächst hier nichts, und dieser Ausdruck besagt klar und deutlich, daß es eben nicht um die Schaffung eines Naturraums gegangen ist, sondern um eine Erweiterung des Gebäudes ins Freie.

Das Haus beherbergt also zu ebener Erde die Bank mit Büros an der Gartenseite, im Untergeschoß, unter dem Eingangsbereich, den Tresorraum, straßenseitig Technik- und Nebenräume, gartenseitig eine Teeküche und den Schulungsraum; und im Obergeschoß, halbgeschoßig versetzt, drei Wohnungen.

Aber bleiben wir noch an der Gartenseite. Wenn man hinter dem Haus steht, erkennt man das architektonische Verhaltensmuster von Markus Gohm und Ulf Hiessberger nämlich besonders gut: Es geht um ein Denken in Schichten, um die Staffelung differenzierter Volumina. Einerseits scheint das ganze Haus über dem Boden zu schweben, durch eine Verglasung setzt sich der straßenseitige Baukörper außerdem ein wenig ab; links und rechts geben zwei kleine Volumina mit Bruchstein-Mauerwerk an der Fassade der Gartenschicht einen stabilen Rahmen; und dazwischen ist eine vom Gebäude fast abgelöste Raumschicht mit Balkonen eingeschoben. - Obendrein ist die Ausführungsqualität etwa der Beton- und der Schlosserarbeiten sowie des Bruchstein-Mauerwerks beeindruckend. Der Sichtbeton wurde zum Beispiel durchwegs ortbetoniert, was selbst Architektenkollegen nicht glauben wollten, die das Haus besichtigten und meinten, diese Oberflächenqualität sei an Ort und Stelle nicht zu erzielen.

Der Stein für das Bruchstein-Mauerwerk stammt von einem nahe gelegenen Steinbruch in Rankweil. Er wurde am Felsen ausgesucht. Und in der Ausschreibung haben die Architekten explizit gefordert, daß dieses Mauerwerk von einem einzigen Arbeiter ausgeführt werden müsse, damit es nicht zu einer unterschiedlichen Handschriftlichkeit komme.

Und was der ortsansässige Schlosser wirklich kann, das sieht man in der Eingangszone der Bank. Hier wurde nämlich ein Warmluft-Schleier installiert, und das hatte nicht gerade kleine Gerätschaften an der Decke zur Folge. Mit der ursprünglich vorgesehenen Gipskarton-Vorsatzschale war dieses Problem also nicht zu lösen, eine „Notlösung“ war nötig. Sie schwingt sich jetzt mit elegantem Doppelschwung über den Eingang bis in den Schalterraum hinein, silbrig schimmernd, und keiner ahnt, daß hinter der Abdeckung aus Aluminiumrohren eine vom Schlosser sozusagen „freihändig“ gebogene Unterkonstruktion aus Stahl von der Decke abgehängt ist. Die Kurven des Doppelschwungs wurden tatsächlich nach Augenmaß gefertigt, das Ergebnis ist aber eine schöne Geste des Empfangs.

In der Bank selbst macht sich die Transparenz des Bauwerks angenehm bemerkbar. Wenn man vor dem langen, dunkelroten Pult der Schalter steht, sieht man durch die verglaste Trennwand der Bürozone dahinter durch bis an die Gartenseite, man genießt die Ausblicke in den Straßenraum, auf das Dorf.

Die Innenausstattung ist von zurückhaltender Noblesse. Auf dem Boden: ein grobkörniger Terrazzo, der farblich durch schwarze Zuschlagsteine dominiert wird. Nur im Schalterbereich und in den Büros, also dort, wo sich die Angestellten den ganzen Tag aufhalten, wurde ein schwarzgrauer Teppichboden verlegt.

Allerdings geht der Terrazzo unter dem Pult und dem Teppichboden durch. Mit dieser Maßnahme wurde einer ungewissen Bankenzukunft Rechnung getragen, in der die Angestellten und Pulte möglicherweise überhaupt verschwinden und nur noch Maschinen diese Arbeit tun.

Eine konstruktive Besonderheit gibt sich - indirekt - zu erkennen: Zwischen der Kundenzone und dem Bereich, in dem sich die Angestellten aufhalten, haben die Architekten die Raumhöhe differenziert. Eineinhalb Geschoße ist der eine Bereich hoch, normale Raumhöhe hat der andere, weil hier ein mächtiger Stahlbetonträger, auf dem die Decken aufliegen, für einen stützenfreien Raum sorgt.

Das hat auch Auswirkungen auf die Wohnungen darüber, die um dieses halbe Geschoß versetzt sind und durch diesen Höhensprung ein südseitiges Fensterband erlauben, das auch denen, die zur Straße hinaus wohnen, noch etwas von der schönen Aussicht und der Sonne bringt.

Es ist ein sehr sorgfältig geplantes Haus, das spürt man bis ins Detail. Wenn zum Beispiel Holz verwendet wird, dann wird eindeutig zwischen dem Holz des Mobiliars und jenem, das zum Bau gehört, unterschieden. Letzteres ist harte Eiche, ersteres feine Birke. Die Architekten haben daraus höchst schlichte Einbauschränke entworfen, ansonsten sind die Büros mit einem geradezu klassischen Möbelprogramm in Schwarz und Chrom ausgestattet. Und Eiche findet man hauptsächlich bei den Fenstern und als Anleimer bei den mit Linol belegten Türen.

Amüsantes Detail: An der Gartenseite haben Gohm und Hiessberger - nicht unten im Hof, sondern auf Geländeniveau - einen einzelnen Baum gepflanzt, eine Eiche, denn der Gärtner war der Meinung, der Natur müsse das verbrauchte Eichenholz wieder rückerstattet werden.

Eine Kleinigkeit wäre vielleicht zu kritisieren: Im Schulungsraum haben die Architekten keinerlei akustische Maßnahmen ergriffen (es gibt also auch keine Akustikdecke), und das macht sich jetzt durch ein wenig Hall bemerkbar.

Natürlich reiben sich die Dorfgeister an dieser Bank. Natürlich muß man sich an diese architektonische Sprache erst gewöhnen. Aber der Zeitpunkt, da man auf dieses kleine Gebäude stolz sein wird, ist abzusehen. Und diesen Stolz darf man auch dem Bauherrn empfehlen, denn damit ist die Raiffeisen-Landesorganisation Vorarlberg, die nach einer bemerkenswerten Filiale in Bregenz (von Baumschlager & Eberle) nun schon den zweiten Musterbau realisiert, ihren Schwesterorganisationen in den anderen Bundesländern wirklich haushoch überlegen.

Spectrum, Sa., 1997.02.15



verknüpfte Bauwerke
Raiffeisenbank Satteins

25. Januar 1997Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Drei Finger Richtung Bisamberg

Neue Wohnbauten des Büros Schwalm-Theiss & Gressenbauer in Wien zeigen: Wo die Architektur ihre Begründung aus der Lösung realer Bedürfnisse der Bewohner erfährt, verkraftet sie die Reibungsverluste durch ein schwieriges Umfeld.

Neue Wohnbauten des Büros Schwalm-Theiss & Gressenbauer in Wien zeigen: Wo die Architektur ihre Begründung aus der Lösung realer Bedürfnisse der Bewohner erfährt, verkraftet sie die Reibungsverluste durch ein schwieriges Umfeld.

Im Wiener Wohnbau gibt es einzelne wirklich spektakuläre Arbeiten - etwa das Wohnhaus in der Brunner Straße von Helmut Richter, die „Sargfabrik“ des BKK-2 oder die Wohnanlage in der Pilotengasse von Jacques Herzog und Pierre de Meuron, Adolf Krischanitz und Otto Steidle. Es gibt aber auch eine beängstigende Vielzahl an Wohnbauten, deren architektonische Qualität selbst die bescheidensten Minimalansprüche bei weitem unterschreitet. Und dazwischen findet etwas statt, was man den gehobenen Wohnstandard nennen könnte, eine Art qualifiziert gebauten Konsenses.

Er wird in der Regel von Wohnbauspezialisten ausgeführt, also von Architekten, die sich weitgehend auf die Aufgaben des geförderten Wohnbaus konzentrieren. Otto Häuselmayer zählt dazu, Helmut Wimmer - und das Büro Schwalm-Theiss & Gressenbauer.

Letzteres hat im Süden Wiens, in der Othellogasse, eine der städtebaulich wie architektonisch gelungensten Wohnanlagen der letzten Jahre realisiert, an der Süßenbrunner Straße typologisch besonders interessante Wohnhäuser sowie am Mühlgrundweg einen weiteren höchst geglückten Wohnbau. Und in Eßling, in Sichtweite der neuen Schule von Günther Domenig, und im architektonisch so unsäglichen Stadterweiterungsgebiet an der Brünner Straße, unmittelbar beim Marchfeldkanal, gibt es ebenfalls Wohnbauten dieses Büros, denen man anmerkt, daß es sich darin wohnen läßt.

An der Brünner Straße tut man sich schwer dabei, den Bau überhaupt ausfindig zu machen. Denn hier, in diesem Häusermeer, kann es einem schon passieren, daß man den Wald vor lauter Bäumen nicht sieht. Oder anders ausgedrückt: Der Blick auf die wenigen bemerkenswerten Wohnhäuser wird speziell westlich der Brünner Straße von so vielen unangenehm lauten architektonischen Absonderlichkeiten verstellt, daß man versucht ist wegzuschauen.

Das wäre im Fall der Wohnhausanlage in der Ocwirkgasse aber ein Fehler. Denn die Wohnhäuser von Schwalm-Theiss & Gressenbauer demonstrieren nicht nur eine sehr noble, dabei schlichte architektonische Haltung, sie nutzen auch in städtebaulicher Hinsicht die spezielle Lage, den schönen Blick Richtung Bisamberg und Leopoldsberg.

Direkt an die Straße wurde ein relativ tiefer Trakt gestellt, demzusätzlich zu den vier Obergeschoßen noch ein Terrassengeschoß aufgesetzt wurde. Im rechten Winkel zu diesem Trakt an der Ocwirkgasse sind drei weitere Trakte angefügt, die wie Finger ins Gelände hinausgreifen und sich mit ihren Schmalseiten und den ausladenden Terrassen ihrer Umgebung, dem landschaftlich reizvollen Ausblick fast entgegenneigen.

Alles, worauf es im Wohnbau ankommt, findet sich hier: Städtebaulich erscheint diese Baukörperkonfiguration sinnvoll.Maßstäblich ebenso. Für die nötige Durchlässigkeit haben die Architekten durch einen geschickten Kunstgriff gesorgt, indem sie den Trakt an der Ocwirkgasse im Erdgeschoß aufgerissen haben. Hier sind auch die Nebenräume - etwa ein Abstellraum für Kinderwägen und Fahrräder - situiert.

Den Clou dieser Anlage stellt aber die Erschließung dar: Denn auf der Höhe des zweiten Obergeschoßes zieht sich ein Laubengang durch alle Bauten und verbindet in Form eines Steges sogar die einzelnen „Finger“ miteinander. Diese großzügige Geste ermöglicht einerseits den Rundumgang durch die Anlage, andererseits erfahren die an einer Seite offenen Höfe durch die Verbindungsstege eine räumliche Definition.

Die Tiefgarage ist großteils unter den Gebäuden situiert, sodaß zwei Höfe nicht unterbaut sind und voll bepflanzt werden konnten, wobei sinnvollerweise auf Eigengärten verzichtet wurde: So kommen die Höfe allen Bewohnern zugute, nicht nur jenen im Erdgeschoß, und die Unsitte der Zerstückelung, der Portionierung einer ansonsten sehr angenehmen Hofsituation wurde vermieden.

Visuell gibt sich die Wohnanlage betont ruhig, zurückhaltend, dabei städtisch: Für eine Rhythmisierung sorgen in den „Fingertrakten“ die Stiegenabgänge der Wohnungen des ersten Obergeschoßes in den Hof; hier drückt sich auch der Laubengang sichtbar in der Fassade aus. Darüber hinaus herrscht eine Geometrie der Wiederholung, die deutlich signalisiert, daß hinter dieser Fassade, hinter diesen Fenstern gewohnt wird.

Von einer Besonderheit wäre vielleicht noch zu berichten: Es handelt sich um einen eher ungewöhnlichen Wohnungstyp im Terrassengeschoß an der Ocwirkgasse, der eine Mittelgangerschließung hat. Dieser Mittelgang ist glasgedeckt, sodaß nicht nur für natürliche Belichtung, sondern auch für den malerischen Ausblick in den Himmel gesorgt ist. Eine solche Grundrißlösung muß man natürlich mögen - ein Mittelgang, an dem links und rechts die Zimmer hängen, aber wenn man es mag, dann erwartet einen hier Wohnqualität vom Feinsten.

Das läßt sich von den Wohnbauten des Büros Schwalm-Theiss & Gressenbauer ja ohnehin generell sagen, wiewohl grundsätzlich die Umstände, unter denen manche Wohnbebauungen am Wiener Stadtrand zustande kommen, mehr als bloß zweifelhaft sind. Der irrationale Zeitdruck etwa, mit dem die Planungen an der Brünner Straße durchgezogen wurden - vom Projektstart bis zur Einreichung nur elf Monate! -, ist im Grunde nicht zu verantworten. Und im Fall der Wohnbauten (samt Schule und Kindergarten) in Eßling gibt es eigentlich für den Standort generell einen Erklärungsbedarf. Denn verkehrsmäßig ist diese Siedlung so weit vom Schuß - von der U-Bahn-Endstelle nach Eßling braucht ein Bus fast eine halbe Stunde -, daß hier wirklich niemand ohne eigenen Pkw auskommt.

Die Stadt „endet“ nämlich viel früher, dann folgt peripheres, sehr, sehr locker bebautes Niemandsland, das die Grundeigentümer der Stadt Wien offenbar nicht verkauft haben, und dann kommt plötzlich wieder ein Stück Stadt-– ein Stück Stadt, bei dem auf eine städtebauliche Leitplanung überhaupt verzichtet wurde. Hier besteht der Städtebau gewissermaßen in der Grundstücksaufteilung auf die Genossenschaften und im unbegründeten Vorhandensein eines Fußweges. Rundherum: Felder - und im Süden ein kleiner Park. Schwalm-Theiss & Gressenbauer haben trotz solcher Widrigkeiten versucht, eine relativ kompakte, auch urbane Wohnbebauung zu schaffen, eine autarke Einheit, die für sich selbst steht.

Direkt an der Straße sind daher vier U-förmige Gebäude situiert, westlich schließen Doppelzeilen an. Ein angerförmiger Platz mit Nord-Süd-Orientierung bildet das gemeinsame Zentrum. Die Häuser haben durchwegs drei Hauptgeschoße, da hier aber eine sehr hohe Dichte gefordert war, gibt es auch noch ein Dachgeschoß. Schwalm-Theiss & Gressenbauer haben aus der Not eine Tugend und aus diesen Dachaufbauten in Form und Oberflächentextur (Eternit-Rhomben) das signifikante Charakteristikum dieser Häuser gemacht.

Wieder muß man von dieser Stadtrandanlage sagen, daß sie ihren Bewohnern etwas zu bieten hat. Die einzelnen Baukörper sind extrem schlank - nur etwa acht Meter tief -, was zwar den Vorteil der natürlichen Belichtung sogar eines Großteils der Nebenräume mit sich bringt, aber auch den Nachteil recht geringer Gebäudeabstände.

Besondere Aufmerksamkeit widmeten die Architekten den Außenräumen beziehungsweise der Erschließung. Im wesentlichen schälten sie die Treppenhäuser aus den Gebäuden heraus, wodurch der Gang zur eigenen Wohnung sozusagen „veröffentlicht“ und damit bei aller Individualität des Wohnens doch zu einem kommunikativen Akt wird.

Das ist gerade bei einer solchen Stadtrandsiedlung eine sinnvolle Strategie, weil sie mithilft, einer drohenden Vereinzelung der Bewohner vorzubeugen.

Da die Wohnungen selbst nicht besonders groß sind, haben die Architekten auf einen offenen, flexiblen Grundriß besonderen Wert gelegt. Es gibt Schiebetüren und Faltwände, nur der U-förmige Raumteiler zwischen Wohn- und Kochbereich mußte schließlich doch fix eingebaut werden. Große Schiebefenster öffnen sich nach Süden, sodaß man die Wohnräume beinahe als loggienähnliche Freiräume auffassen kann, die sich allerdings durch Schiebeläden auch hermetisch abschließen lassen.

Egal, ob Brünner Straße oder Eßling, eines zeigen diese Wohnbauten klar: Wo die Architektur ihre Begründung aus der Lösung realer Bedürfnisse der Bewohner erfährt, da kann sie die Reibungsverluste durch ein schwieriges (gebautes) Umfeld verkraften. Wenn ihr diese Substanz abgeht, dann wäre sie besser ungebaut geblieben.

Spectrum, Sa., 1997.01.25



verknüpfte Bauwerke
Wohnhausanlage Brünner Straße

04. Januar 1997Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Anbau mit Reißverschluß

Von städtischer Eleganz, reich an Tönen und immer an der Nutzung orientiert: So lassen sich die Arbeiten von Luigi Blau charakterisieren. Jüngstes Beispiel: der Zubau zu einem Althaus in Wien-Währing.

Von städtischer Eleganz, reich an Tönen und immer an der Nutzung orientiert: So lassen sich die Arbeiten von Luigi Blau charakterisieren. Jüngstes Beispiel: der Zubau zu einem Althaus in Wien-Währing.

Wien hat die architektonische Kleinform der feinen, der speziellen Art schon Tradition. Und Luigi Blau gilt unter den Zeitgenossen als einer ihrer Meister. Geschäfte, ein Lokal, Wohnungsumbauten, Einfamilienhäuser - das sind die Arbeiten, die zum Repertoire dieses Architekten gehören, die man kennt und die man zu schätzen weiß. Da ist zwar noch der Umbau beziehungsweise die Instandsetzung des Ronacher, also eine Aufgabe, die schon allein in bezug auf die Baumasse doch eine andere Dimension aber irgendwo lasten die himmelblauen Schatten bis heute auf diesem Projekt. Und dann ist da auch noch - quasi als der architektoni-schen Kleinform - der nicht unerhebliche Beitrag von Luigi Blau zum Wiener Stadtmobiliar, seine Straßenbahn-Wartehäuschen, seine Mistkübel, die zu den erfreulichen Erscheinungen dieses ansonsten höchst unerfreulichen städtischen Terrains zählen.

Man kann die Arbeit dieses Architekten jedenfalls generell als etwas charakterisieren, was im besten Wortsinn in der Wiener Historie verankert ist: von einer gewissen städtischen Eleganz geprägt, auch von zurückhaltender, aber unübersehbarer Kultiviertheit, reich an Zwischentönen, dabei bar jeder Beliebigkeit - und immer auch am Zweck, an der Nutzung orientiert. Wohnen? Dazu braucht es architektonisch nicht einmal besonders viel: Grundlegende Regeln müssen eingehalten werden, der Rest ist räumlich-atmosphärischer Natur.

Das gilt auch für die Renovierung und den Zubau eines Einfamilienhauses in Wien-Währing, den Luigi Blau kürzlich fertiggestellt hat. Es ist ein typisches Wiener Biedermeierhaus mit schmalem Vorgarten an der Straße, gelegen in einem der noblen, durchgrünten Randbezirke von Wien.

Das Grundstück hinter dem Haus fällt recht steil ab - was für den Zubau seine Folgen hatte. Aber bleiben wir erst noch beim Altbau: Blau hat ihn nach denkmalpflegerischen Gesichtspunkten sehr liebevoll saniert und nur insofern auch architektonische Maßnahmen gesetzt, als ein neuer Keller mit Zugang zur Garage nötig war. Von der Nutzung her sind nun im Altbau eine Einliegerwohnung zu ebener Erde untergebracht und im Obergeschoß drei Kinderzimmer mit einer eigenen Naßgruppe.

Von der Straße aus sieht man den Zubau von Luigi Blau gar nicht. Er liegt hinter dem Haus, und die Nahtstelle zwischen Alt und Neu hat der Architekt wie einen Reißverschluß, als vertikales Glasband kenntlich gemacht. Natürlich spricht dieser Zubau architektonisch eine andere, eine zeitgemäße Sprache. Aber man muß auch sagen: Blau hat den Konfrontationskurs nicht absichtsvoll gesucht, er fügt dem vorhandenen Satzbau seine Formulierung eher diskret an, unterspielt, ganz so, als ob er es eigentlich nicht nötig hätte aufzutrumpfen. Und man muß sagen: Er hat es wirklich nicht nötig.

Auf den ersten Blick ist klar, worum es hier geht: erstens um die minutiöse Komposition des Anbaus auf dem Hang - und zweitens um einen Wohnraum, der einiges zu bieten hat. Etwa eine wintergartenähnliche, zweigeschoßige Verglasung, von der man auch schon außen vermutet, daß sie drinnen für sehr angenehme räumliche Verhältnisse sorgt; auch eine direkte Anbindung des Obergeschoßes an das steile Terrain, sodaß aus der Not eine höchst angenehme Tugend wird.

Der Wohnraum ist teilweise zweigeschoßig, wunderbar tagesbelichtet und durch den Verlauf der Treppe mit eingeschobenem Zwischenpodest und das teilweise galerieartige Obergeschoß in unterschiedlich hohe Bereiche differenziert. Das führt dazu, daß zum Beispiel der Eßplatz - unter dem Zwischenpodest gelegen - mit einer relativ niedrigen Raumhöhe auskommt, während man im Bereich der zweigeschoßigen Verglasung die volle, die doppelte Raumhöhe hat. Funktionell ist natürlich alles bedacht: im Erd- geschoß etwa die Verbindung zur Küche, auch im Obergeschoß, wo sich ein Gartenzimmer über eine große Terrassentüre direkt ins Freie, auf den hinter dem Haus liegenden Hang öffnet.

Luigi Blau hat besonders darauf geachtet, daß die Anbindung des Neubaus an den Altbau niveaugleich erfolgt. Das Elternschlafzimmer, im Obergeschoß Richtung Altbau gelegen, befindet sich also auf der gleichen Ebene wie die Kinderzimmer. Andererseits macht die Komposition des Zubaus auf den Hang gewisse Terrainsprünge im Haus unvermeidlich: Das ist allerdings reizvoll und teilt sich als Qualität mit. Genauso wie auch die unterschiedlichen Raumhöhen eine Qualität darstellen, denn sie sorgen für differenzierte atmosphärische Bereiche im Haus, für Intimität, aber auch für Großzügigkeit. Übrigens war es notwendig, das Gelände im unmittelbaren Vorfeld des Hauses, da, wo man von der Straße eintritt, ein wenig abzugraben, um zumindest eine relativ ebene Hoffläche zu erhalten. Ein neu angelegter Weg führt dann den Hang hinauf zu einem Schwimmbecken und einer kleinen Badehütte aus Holz. Hier, auf demhöchsten Punkt des Geländes, läßt sich ein wunderbarer Ausblick genießen.

Wie gesagt, generell hat Luigi Blau die Konfrontation mit dem Altbau nicht bewußt sucht, er hat sie keinesfalls überstrapaziert. Daher ist der Neubau in einer vergleichsweise konventionellen Technologie errichtet, in hochwärmedämmendem, 38 Zentimeter starkem Ziegelmauerwerk. Die weiß gestrichenen Holzbalkendecken drinnen treten im Obergeschoß auch außen sichtbar in Erscheinung. Die Wände sind weiß, auf dem Boden liegen im Erdgeschoß bruchrauhe Sollnhofer Platten, im Obergeschoß gebeizte Eichenparkette. Das heißt: Der Materialaufwand und die damit erzielten Effekte bewegen sich durchwegs in den Grenzen gepflegter Wohnlichkeit. Nichts Überzogenes fällt auf, die architektonischen und gestalterischen Maßnahmen sind nicht Selbstzweck, sondern bilden den räumlichen Hintergrund für etwas, was sich jenseits von Architektur und Design ereignen muß, was von den Bewohnern selbst kommen muß.

Apropos Wohnen: Das ist vermutlich das Thema, um das Luigi Blaus Überlegungen besonders ausführlich kreisen. Und wenn an dieser Stelle ein kleiner Exkurs erlaubt ist, dann müßte man davon reden, daß es fast dazu gekommen wäre, daß Blau in seiner Arbeit einen Dimensionssprung geschafft und einen ganz anders gelagerten, einen urbanen Beitrag zumThema Wohnen umsetzt. Dabei wäre es um ein Appartementhotel in Favoriten gegangen, das rund 400 Wohneinheiten zu 30 und 54 Quadratmetern umfaßt hätte, außerdem Seminarräume, Büros und ein Café. Blaus Projekt erhielt im Sommer des vergangenen Jahres die Baugenehmigung, aber dann zog sich der Investor plötzlich und unvermutet zurück; so ist diese Arbeit wohl Makulatur.

Das ist natürlich sehr schade. Denn obwohl das Projekt die Blockbebauung der unmittelbaren Umgebung aufnimmt, hätte es mit seiner sorgsam komponierten Fassade und der signifikanten Sockelzone aus Abbruchziegeln sicher einen reizvollen Beitrag in dieser heterogenen Umgebung dargestellt. Und vor allem ist Luigi Blau bei diesem Projekt etwas geglückt: Er hat das Thema der Erschließung, des tristen Hotelkorridors, anders als üblich gelöst. In einem Appartementhotel steigen die Leute ja nicht nur tageweise ab, hier wohnt man länger. Daher war die Überlegung Blaus ganz richtig, daß der Weg zum Appartement in einem solchen Haus einen großen Stellenwert hat. Und er entwickelte eine verglaste, zweiseitige Laubengangerschließung, eine großzügige, luftige, tagesbelichtete Halle, die sicher ein optisches Spektakel gewesen wäre.

Man muß es wirklich bedauern, daß die Gelegenheit ungenutzt geblieben ist, von diesem Architekten auch einmal ein größeres Bauwerk in der Stadt zu haben. Ein spekulativer Investor gibt auf - und schon verschwindet ein interessantes Bauvorhaben sang- und klanglos in irgendwelchen Schubladen. Man muß aber auch anmerken, daß dieser Vorwurf nicht allein den anonymen Investor trifft. Die Arbeit von Luigi Blau vor Augen, seine Auseinandersetzung mit der „Behausungsfrage“, kommt man nicht umhin, Richtung Stadt Wien, Richtung Wohnbauträger zu schielen und darüber zu sinnieren, wieso im Wohnbau eigentlich immer wieder drittklassige Architekten zum Zug kommen, während die erste Garnitur unbeschäftigt bleibt. Aber auf diese Frage gibt es wohl keine überzeugende Antwort.

Spectrum, Sa., 1997.01.04



verknüpfte Bauwerke
Einfamilienhaus Sch. - Umbau

14. Dezember 1996Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Kiste, Schachtel und Schatulle

Gerhard Lindners „Siemens Forum“ in Erdberg zeigt wieder einmal: Zweckbetontes verträgt sich durchaus mit architektonischen Ambitionen.

Gerhard Lindners „Siemens Forum“ in Erdberg zeigt wieder einmal: Zweckbetontes verträgt sich durchaus mit architektonischen Ambitionen.

Kiste ist nicht gleich Kiste. Das wird jeder bestätigen, der das Firmenareal von Siemens Österreich in die- sen Tagen genauer in Augenschein nimmt. Denn da türmen sich ungeheure Bürokomplexe auf - im besten Wortsinn: lauter Käse mit Löchern - und verstellen die Gegend, und sie tun es bar jeder architektonischen Ambition.

Firmenplanung heißt das im Klartext, denn Siemens Österreich hat eine eigene Bauabteilung. Aber: Neuerdings gibt es auf diesem Unternehmensgelände auch noch eine andere Art von Kiste zu besichtigen, eine Kiste, die von ihrer Größe her eigentlich mehr eine kleine Schachtel, eine Schatulle ist. Und die architektonische Botschaft, die sie verkündet, ist mit jener der Büroburg nicht zu verwechseln.

Siemens hat sich ein eigenes „Forum“ gebaut, einen Ausstellungs- und Veranstaltungsraum, der vielen Anforderungen gerecht werden muß, unglücklicherweise etwas versteckt liegt und nicht viel kosten durfte. Es gab eine Phase, sagt Architekt Gerhard Lindner aus Baden, da stand er vor der Wahl: Entweder wird das Projekt realisiert, und er muß kraß abspecken - oder das Projekt wird eben nicht realisiert.

Von außen ist das neue Siemens Forum ein sehr schlichtes Haus. Diese Schlichtheit ist dabei nicht unbedingt gewollt, vielmehr hat sie mit dem erwähnten „Abspecken“ zu tun. Vor die Alternative „Sein oder nicht sein“ gestellt, entschied sich Gerhard Lindner nämlich dafür, den Innenraum möglichst ohne Abstriche zu retten und dafür an den Fassaden zu sparen. Schon das ist eine Haltung, die auf dem weiten Feld des heutigen Bauens nicht unbedingt selbstverständlich ist. Aber es kommt noch besser.

Der Bauplatz selbst ist sozusagen ein Hoffnungsgebiet für Siemens: Denn man muß damit rechnen, daß sich in absehbarer Zeit einmal Büroetagen über der kleinen Veranstaltungskiste türmen. Trotzdem hat es Lindner geschafft, die Vorgabe einer Stützenreihe, von der dann links und rechts Büros erschlossen sind, konstruktiv so weit zu umgehen, daß zwar eine Überbauung des Hauses auch weiterhin möglich ist, der neue Veranstaltungsbau aber trotzdem räumlich völlig freigespielt bleibt.

Jetzt kommt man hinein und hat einen großzügigen, luftigen Raum vor sich, der linker Hand und an der Stirnseite in Geschoße unterteilt und rechts weitgehend verglast ist. Auf den ersten Blick rätselhaft: ein architektonisches Element, das sich über die volle Länge des Raums vom Erdgeschoß bis ins zweite Obergeschoß erstreckt. Es ist der sogenannte „lange Weg“, der von der temporären Veranstaltungsebene unten hinauf auf das Niveau des zweiten Obergeschoßes führt, wo die historischen Exponate der Siemens-Sammlung zu sehen sind.

Man könnte damit protzen, was dieses Haus in technischer Hinsicht alles kann. Denn es sind ungefähr 100 Kilometer Kabel darin verlegt, gar nicht zu reden von den höchstentwickelten elektronischen Vorrichtungen, die es enthält - es ist sozusagen alles da, vom gewöhnlichen PC bis zum Glasfaserkabel. Wobei es allein an PCs ungefähr 90 Stück auf den 1700 Quadratmetern Fläche gibt und dazu natürlich jede Menge Touchscreens, Projektionsflächen und ähnliches.

Das Ausstellungskonzept erscheint insgesamt, von der Flächenaufteilung her, zwar einfach: Auf der Erdgeschoßebene finden die temporären Veranstaltungen und Ausstellungen statt, im ersten Obergeschoß ist man mit aktuellen Entwicklungen konfrontiert, im zweiten mit der historischen Sammlung.

Aber wie dieses Konzept umgesetzt ist, das läßt durchaus Assoziationen mit gewissen Bereichen in La Villette zu. Denn dort kann man die Kids beobachten, wie sie interaktiv an einer Museumseinrichtung teilnehmen und gar nicht davon lassen können, und hier wird es einmal mit Sicherheit genauso sein.

Jeder Besucher erhält beim Eintritt Kopfhörer mit Infrarotsender beziehungsweise -empfänger und wird gleich zu Anfang identifiziert, auf Namen und andere Daten und Vorlieben abgefragt und während seines gesamten Rundgangs immer wieder persönlich angesprochen und in die Ausstellung einbezogen.

Die Eingangsfrage nach dem Lieblingsfilm - es gibt mehrere zur Auswahl - mag zunächst sinnlos erscheinen, ebenso die Frage nach Gewicht, sportlicher Betätigung und so weiter. Aber wenn man dann im Synchronstudio angelangt ist und eine Szene aus dem eigenen Lieb- lingsfilm sieht - in Verbindung mit der Aufforderung, diese Szene selbst zu synchronisieren, und der Möglichkeit, diese Synchronisation nachzubessern und zu kontrollieren -, dann erklärt sich die Technologie des Hauses wie von selbst.

Ebenso ergeht es einem, wenn man auf der Ebene der aktuellen Entwicklungen im medizinischen Bereich ankommt und auf der Basis des eigenen Körpergewichts und anderer Angaben, die beim Eintritt abgefragt wurden, eine Diagnose der individuellen Befindlichkeit erhält.

Diese Strategie zieht sich durch die ganze Ausstellung: Das Bakelit-Telephon läutet, über Display wird der Besucher namentlich aufgefordert abzuheben und erhält dann eine Nachricht; die Radios spielen und verkünden je nach der Zeit, aus der sie stammen, jeweils über Originallautsprecher eine authentische Botschaft.

Es handelt sich also um ein durch und durch interaktives Konzept, das den Besucher im echten Wortsinn zum Bestandteil der Ausstellung macht. Wie das technisch möglich ist, das wissen die Kids von heute sicher besser als ich. Ich habe nur verstanden, daß irgendwo im tiefen Keller alle Daten gespeichert sind und daß es spezielle Einrichtungen braucht, um die Verfügbarkeit dieser Daten in einem gewissen Tempo zu gewährleisten. Es scheint hier also ein gewaltiges Netzwerk zu geben - und wie es aussieht, funktioniert dieses Netzwerk.

In architektonischer Hinsicht ist wichtig, daß die räumliche Konzeption von Architekt Lindner diesen Gegebenheiten in jeder Hinsicht Rechnung trägt. Denn er hat einen sehr offenen, neutralen Raum geschaffen - nicht zuletzt im Hinblick auf künftige Umbauten, die bei einem solchen Ausstellungsgegenstand wohl gar nicht zu vermeiden sind -, und er hat die räumliche Disposition so entwickelt, daß sie auf einer anderen, eben auf der architektonischen Ebene das nachvollzieht, worum es hier inhaltlich geht.

Es gibt natürlich auch einen „kurzen“ Weg durch die Ausstellung, und jeder kann sich aussuchen, wie er die Räume passiert, aber spannend ist vor allem der „lange“ Weg. Denn er führt über die Rampe durch die volle Länge des Hauses und läßt einen schon aus der Distanz mit- und nachvollziehen, was drüben, auf den Ausstellungsflächen, passiert. Man sieht auch die anderen Besucher, man sieht, was rundherum passiert, und man gehört dazu. Und das ist sicher nicht das schlechteste Ausstellungskonzept.

Jedenfalls nicht für eine solche Ausstellung, die ja irgendwo zwischen „Technischem Museum“ und „Ars Electronica Center“ angesiedelt ist, wobei letzteres ein Vielfaches an Geld zur Verfügung hatte. Verglichen damit war Gerhard Lindner genügsam: Es gibt zwar die Tageslicht-Umleitungsprismen von Bartenbach, die Siemens ursprünglich erzeugt hat, an der Fassade; aber drinnen behilft sich Lindner mit einem von Peter Kogler entworfenen Vorhang als einfachster und preisgünstigster Maßnahme zur Abdunkelung und schalltechnischen Verbesserung des Raums.

Andererseits kann der Raum gerade in schalltechnischer Hinsicht wirklich allerhand, weil er durch ein verstellbares Lamellensystem und die Bespannung an der Decke sowohl schallweich als auch schallhart gemacht werden kann, und das in zwei Richtungen - über die gesamte Länge ebenso wie in der Breite. Kleinigkeiten fallen noch auf: Wenn Schulklassen kommen, dann finden sie Garderoben mit Schließfächern vor, die sie selbst bedienen können; wenn aber eine spezielle Veranstaltung stattfindet, dann läßt sich aus dem Garderobenbereich ein nahtlos in der Wand versenktes Pult herausziehen, hinter dem die Garderobieren agieren können. Auch Seminarräume sind da - durch Schiebewände trennbar oder eben zusammenlegbar, wie man es braucht. Das Stellwandsystem für den temporären Ausstellungsbereich ist überaus praktikabel. Und ein Abdunkelungselement an der Fassade, das die Fensteröffnungen aufnimmt und nur verschoben werden muß, stellt eine reizvoll einfache architektonische Maßnahme dar.

Daß gute Architektur nicht teuer sein muß, wäre ein lächerliches Fazit aus diesem Bau. Sinnvoller scheint es, darauf zu verweisen, daß die Einbeziehung eines freien, frei denkenden und agierenden Architekten ganz offensichtlich selbst für sol- che Unternehmen von Vorteil ist, die über eine eigene Bauabteilung verfügen.

Spectrum, Sa., 1996.12.14



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Siemens-Forum

23. November 1996Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Schwebebalken mit Rückgrat

Wer seine Bankfiliale in der Favoritenstraße vor Augen hat, wird angesichts des Grazer Universitätsneubaus überrascht sein: Günther Domenig fand für sein „Resowi“ eine disziplinierte, beherrschte Formensprache.

Wer seine Bankfiliale in der Favoritenstraße vor Augen hat, wird angesichts des Grazer Universitätsneubaus überrascht sein: Günther Domenig fand für sein „Resowi“ eine disziplinierte, beherrschte Formensprache.

Die Größe einer Bauaufgabe sei nicht von speziellem Interesse für ihn, sagt Günther Domenig, weil man bei kleineren Bauten in der Regel viel mehr riskieren könne. Das mag stimmen, und doch stimmt es auch wieder nicht: Denn in der Architektur, das müssen wir nur allzu oft leidvoll erfahren, stellt Größe im Sinn von Dimension ein gewaltiges Risiko dar. Große Bauten sind meistens eine „Garantie“ für Unmaßstäblichkeit, für Orientierungslosigkeit, für Trostlosigkeit und Langeweile.

Meistens. Mit dem Neubau der Rechts-, Sozial- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät („Resowi“) der Karl-Franzens-Universität in Graz ist Günther Domenig gemeinsam mit seinem Partner Hermann Eisenköck allerdings ein Ausnahmebau gelungen. Dabei bietet das Haus immerhin über 10.000 Studenten Platz, 33 Instituten, einer Fakultätsbibliothek, einer ganzen Reihe unterschiedlich dimensionierter Hörsäle und Sonderräume, einem EDV-Zentrum und einer gewiß nicht kleinen Cafeteria.

Das Gebäude ist beachtliche 300 Meter lang, 50 Meter breit und 30 Meter hoch, und es steht auf einem relativ schmalen, langen Grundstück gleich hinter der alten Universität.

Mit einer solchen Größenordnung und einer solchen städtebaulichen Konstellation muß man umgehen können. Und wie es geht, das führt Domenig beispielhaft vor. Er versucht erst gar nicht, diese lange, schmale Gebäudefigur irgendwie aufzulösen oder aufzubrechen. Im Gegenteil: Er hat den langen Riegel ganz lapidar und selbstverständlich auf dem Grundstück plaziert und sowohl seine Länge als auch die Gleichförmigkeit seiner Nutzung nach außen durch eine Reihe additiver Elemente provokant demonstriert. Man könnte vielleicht - in bester bildhafter Domenig-Manier - sagen, daß dieser Bau als eine Art Körper aufgefaßt ist, der ein Rückgrat hat, um das sich die Muskeln eines komplexen Raum- und Funktionsprogrammes entwickeln.

Der Haupteingang des Resowi ist ein wenig außermittig auf der Seite des Platzes zwischen altem und neuem Universitätsbau plaziert. Er markiert die Trennung der beiden Universitätsbereiche: Auf der einen Seite geht es zu den Rechts- und Sozialwissenschaftlern, auf der anderen zu den Wirtschaftswissenschaftlern.

Domenig hat sich für den Haupteingang eine deutliche, unmißverständliche architektonische Geste einfallen lassen: Hier, wo das Bauwerk durchlässig ist und man über ein paar Stufen zu den Zugängen der beiden Fakultätsbereiche kommt, hier schiebt sich linker Hand eine gewaltige plastische Form - der größte Hörsaal - aus dem Gebäude heraus und im Obergeschoß die kompliziert gekrümmte, fast muschelförmige Glasfassade des Cafés.

Hier erlaubt sich Domenig mit dem leuchtenden Rot der Konstruktion auch einen der wenigen Farbakzente, die es in diesem Haus gibt. Ein zweiter nach außen wirksamer Farbakzent prägt den oberen Abschluß des Bauwerks: der seitlich vorspringende sogenannte „Schwebebalken“ in leuchtendem Blau.

Die Betonung dieses Schwebebalkens ist kein willkürlicher gestalterischer Eingriff, sondern rückt die vielleicht wichtigste konstruktive Maßnahme bei diesem Haus ins Bild. Denn das oberste Geschoß der zweihüftigen Anlage ist selbsttragend konstruiert, und davon wiederum ist das darunterliegende Geschoß abgehängt. Das brachte für die innenräumliche Organisation einen entscheidenden Vorteil: Der Raum innen war damit konstruktiv so weit freigespielt, daß sich verschiedene räumliche, körperhafte Elemente einschieben ließen.

Bleiben wir beim Bild des Rückgrats: Denn wenn man in einen der Fakultätsbereiche hin-einkommt, wird dieses Bild au-genblicklich nachvollziehbar. Wie Wirbel sind hier die Vertikaltürme mit den Stiegenhäusern, Liften, Installationen und einem auf jedem Geschoß wiederkehrenden, schildartigen Element, hinter dem kleine Teeküchen oder Kopierräume verborgen sind, in ganz regelmäßigen Abständen aufgereiht.

Monotonie stellt sich jedoch eben deswegen nicht ein, weil Domenig durch seine konstruktive Entscheidung zugunsten des Schwebebalkens zwischen diesen Vertikalen so viel Spielraum hatte, daß es möglich wurde, sehr differenzierte räumliche Sequenzen zu formulieren. Das heißt, zwischen die Vertikalen sind jeweils Sonderelemente eingeschoben, sehr plastisch durchgebildete, autonom wirkende „Fremdkörper“, in denen die unterschiedlich großen Hörsäle und andere Sonderräume untergebracht sind.

Diese skulpturalen Körper prägen auch die Außenansicht des Bauwerks, denn sie wurden nicht nur zwischen die Vertikalerschließung eingeschoben, sondern schieben sich auch aus dem Gebäude heraus und geben der Fassadenabwicklung einen signifikanten Rhythmus. Das Thema ist klar: Es geht um die Auflösung von Masse, und drinnen geht es darum, mit leisen Mitteln für unterschiedliche Raumsituationen, für differen-zierte Stimmungen zu sorgen.

Wem immer noch die Bank in Favoriten und die Individualität ihres architektonischen Ausdrucks vor Augen steht, der wird angesichts des Resowi überrascht sein: Domenigs Sprache ist gerade bei öffentlichen Bauten heute viel weniger subjektiv verrätselt, als sie einmal gewesen ist, sie ist nicht mehr auf Konfrontationskurs angelegt. Man kommt zwar nach wie vor nicht umhin, den Kraftakt zu bewundern, der hinter der Bewältigung einer solchen Aufgabe steckt, aber diese Kraft des Ausdrucks rührt aus anderen Quellen her - aus einem beherrschten, disziplinierten Umgang mit Form, der nicht mehr um jeden Preis alle Mittel aufbieten möchte, die möglich gewesen wären.

Diese Beherrschtheit drückt sich nicht nur im formalen Aufwand aus, sondern auch im ma-teriellen. Daraus resultiert der Eindruck großer Einheitlichkeit: Es gibt Sichtbetonscheiben beziehungsweise aufgelöste Betonstützen, es gibt Betondecken, es gibt konstruktiven Stahl; die Installationen sind in glänzenden Nirosta-Röhren sichtbar geführt; es gibt viel Glas, teilweise mit fixen Aluminiumlamellen als Sonnenschutz davor; und dann gibt es die glatte Haut aus Kunststein, die den plastischen Elementen innen wie außen einen eigenen Charakter verleiht, und den Betonstein, der im Innenausbau bei den einzelnen Instituten verwendet wurde.

Domenig erwähnt zwar eine gewisse Trauer im Zusammen-ang mit diesem Haus, weil es in der letzten Realisierungsphase einen Verkleidungscharakter bekommen habe, eine Art glatte Eleganz, die er sich so nicht gewünscht hatte. Aber dieses unvermeidliche Zugeständnis an die behördlichen Auflagen muß man wohl in Kauf nehmen: Die Konstruktion ist nicht mehr ganz so fein und minimiert, wie sie ursprünglich war, weil sie ummantelt werden mußte, und das Haus suggeriert nicht mehr uneingeschränkt jene Purheit der Materialien, aus denen es gebaut ist.

Aber das dürfte sich den Nutzern des Hauses am wenigsten mitteilen. Die können sich an einer übersichtlichen und funktionellen Gebäudeorganisation erfreuen, die trotz der Größe Möglichkeiten der Orientierung bietet. Sie können sich an einer bis in die Mittelzone des Erdgeschoßes reichenden natürlichen Belichtung erfreuen, die durch die Verglasung des nach oben breiter werdenden Mittelbereichs bis nach unten geholt wird. Und sie werden auch die unterschiedlichen Raumsequenzen und die abschnittsweise differenzierte innenräumliche Atmosphäre zu schätzen wissen.

Domenig ist mit dem Außenraum sehr sorgsam umgegangen und hat gemeinsam mit einem Landschaftsplaner ein minuziöses Gestaltungskonzept dafür entwickelt, das befestigte Flächen, teilweise spitzwinkelig zugeschnittene Wasserbecken und eine eigenwillige Bepflanzung der Grünflächen einschließt.

Sehr wichtig für die Beziehung zwischen Universitätsneubau und alter Universität gegenüber - und damit für den Platzbereich dazwischen - war überdies, daß Domenig auch mit der Erweiterung der Zentralbibliothek vis-à-vis betraut wurde. Dieser Zubau besteht in einer verglasten Erweiterung eines Lesesaals, wodurch die alte Außenfassade zur Innenwand wurde, in der Ausbildung von drei vertikalen, großzügig verglasten Fassadenelementen und einer darangestellten, offenen Fluchtstiege.

Man kommt durch diese zusätzliche und sehr glückliche Maßnahme bei aller Unterschiedlichkeit der eingesetzten Formen doch nicht umhin, hüben wie drüben eine Art geistige Verwandtschaft zu konstatieren. Und die tut dieser dichten Gesamtsituation gut.

Spectrum, Sa., 1996.11.23



verknüpfte Bauwerke
Karl Franzens Universität Graz RESOWI - Zentrum

05. Oktober 1996Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Das Ende aller Architektur?

Drei Wochen ist die sechste Architekturbiennale in Venedig alt, und noch immer will sich nicht eins zum andern fügen. Was man sieht, ist so disparat, daß sich trotz längerer Reflexion keine Zusammenhänge erkennen lassen.

Drei Wochen ist die sechste Architekturbiennale in Venedig alt, und noch immer will sich nicht eins zum andern fügen. Was man sieht, ist so disparat, daß sich trotz längerer Reflexion keine Zusammenhänge erkennen lassen.

Geschafft: Jetzt gib es also eine Architekturbiennale, die dem biennalen Kunstspektakel in nichts nachsteht. Stolz gab es die Biennaleleitung, an der Spitze „unser“ Hans Hollein in seiner Eigenschaft als erster nicht-italienischer Biennaledirektor, bei einer Pressekonferenz auf den Giardini bekannt; übrigens unter der Rekonstruktion eines Zeltes, das Frei Otto 1963 für die Internationale Gartenausstellung in Hamburg entwickelt hat und das jetzt als weithin sichtbares Zeichen am Eingang zum Biennalegelände fungiert. Nach Anzahl der teilnehmenden Länder und Architekten, nach Ausstellungsfläche und Quantität an Veranstaltungen, nicht zuletzt gemessen an den Hundertschaften von Journalisten, stellt diese sechste Architektur- Biennale ihre Vorgänger zweifellos in den Schatten.

Das ist nach den Jahren der langwierigen, trägen Entwicklung in Richtung auf die Institutionalisierung einer solchen neuen, zweiten Veranstaltungschiene auf dem Gelände der Giardini immerhin bemerkenswert. Denn seit den Tagen der „Strada Novissima“ im Jahr 1980 - dem ersten massiven Auftritt der Postmodernen -, damals unter der Direktorenschaft von Paolo Portoghesi, kam es nur noch 1991 zu einer Architekturbiennale, die auch internationale Relevanz bewies. Zur Erinnerung: Bei dieser Gelegenheit wurde der neue Electa- Pavillon von James Stirling eröffnet, und die Österreicher trugen den Sieg für die beste nationale Präsentation davon.

Und jetzt also - ein Paukenschlag, der den Vorsprung der langen Tradition des Kunstevents wettmacht. Von ein, zwei Ausnahmen abgesehen, sind alle Nationenpavillons bespielt, es gibt eine umfangreiche thematische Zentralausstellung, und es findet - unter der Bezeichnung Biennale-„Patronanz“ - auch außerhalb der Giardini eine Reihe von Ausstellungen statt, wiewohl Hollein auf Grund budgetärer Kürzungen auf ein Lieblingsprojekt verzichten mußte: die Ausstellung internationaler Architekturschulen.

Es ist also viel zu sehen an der Lagune - viel und wenig zugleich. Denn die Zentralausstellung „Sensing the Future“ ist ohne Zweifel eine Enttäuschung. Was bietet sie? Eine Ansammlung vielfach publizierter Projekte, die einer illustren Autorenschaft zu verdanken ist. Aber es könnte alles über dieser Ausstellung stehen: Sie kann „Sensing the Future“ heißen, sie könnte aber auch mit „High-Tech“ oder „Postmodern“ oder „Dekonstruktivismus“ oder was auch immer überschrieben sein. Der Titel würde in jedem Fall auf einen Teil der gezeigten Arbeiten zutreffen, auf den anderen Teil eben nicht.

Man kann das Hans Hollein nicht wirklich vorwerfen - so war es immer, auch bei den Kunstbiennalen. Aber eine gewisse Enttäuschung bleibt zurück. Na schön, wir sehen das Max-Reinhardt-Haus des Peter Eisenman und das Teneriffa-Projekt von Leon Krier; wir sehen neue Arbeiten von Herzog & de Meuron und den Kansai Airport von Renzo Piano. Aber welche Botschaft nehmen wir mit?

Es gibt natürlich allerhand anzumerken, in bezug auf den Auftritt der Österreicher zum Beispiel. Der war massiv, das immerhin haben wir Hans Hollein zu verdanken. Niemals zuvor war Österreich auch nur annähernd so gut in Venedig repräsentiert. Aber Sinn hat dieser Auftritt trotzdem nur zum Teil. Denn: Unter dem Titel „Sensing the Future“ kann man die Musikergedenkstätten einer Elsa Prochazka halt nur schwer verkaufen, und zwar umso schwerer, wenn dann etwa das Jüdische Museum eines Daniel Libeskind fehlt. Und solche Ungereimtheiten gibt es zuhauf: Sir Foster ist natürlich da, aber Sir Rogers nicht - wieso eigentlich nicht? Und wieso sind ein paar mehr oder weniger belanglose Einfamilienhäuser des Ettore Sottsass einen ganzen Raum wert und so viele ungleich bedeutsamere Projekte von mindestens so illustren Autoren nicht?

Außerdem hat Hollein etwas eingeführt, was nicht gerade sympathisch ist - eine Zweiklassengesellschaft. Denn in der Zentralausstellung gibt es eine erste und eine zweite Garnitur, wobei letztere unter dem Titel „Emerging Voices“ rangiert. Im Klartext: Nummer eins sind Günther Domenig, Walter Pichler und die Coop Himmelb(l)au, zweite Kategorie sind Adolf Krischanitz, Rüdiger Lainer, Henke/ Schreieck und Elsa Prochazka. Wie gesagt, man muß Hollein zugute halten, daß mehr Österreicher denn je bei der Biennale präsent sind. Da gibt es die sieben Auserwählten im Zentralpavillon - über die Auswahl selbst kann man streiten, meinem Gefühl nach ist sie viel zu Wien-lastig -, dann gibt es in einer kleinen, komprimierten Schau über die Avantgarde der fünfziger, sechziger und beginnenden siebziger Jahre ebenfalls eine Reihe von Österreichern; im australischen Pavillon hat sich eine Ausstellung internationaler Architekturphotographen eingemietet, auch da sind mit Margherita Spiluttini und Gerald Zugmann Österreicher dabei; schließlich stößt man in der Fondazione Querini Stampaglia, im Rahmen einer Präsentation des Hombroich-Projekts, auf Raimund Abraham und auf der Giudecca gar auf die Präsentation des Pfaffenberg-Wettbewerbes, den die Hollitzer Baustoffwerke für Bad Deutsch-Altenburg ausgelobt haben.

Diese massive Präsenz der Österreicher ist sicherlich aufgefallen. Und das umso mehr als der Wiener Stadtrat Hannes Swoboda bei der Eröffnung im Österreich-Pavillon das Sakrileg beging, vor ausländischen Gästen zu behaupten, die österreichischen Architekten seien die besten der Welt. Damit macht man sich nicht beliebt.

Im übrigen: Wie bei allen derartigen Großveranstaltungen bringt einen auch eine längere Reflexionsphase inhaltlich nicht weiter. Was man sieht, ist so dis-parat und willkürlich, daß sich Zusammenhänge nur mutwillig konstruieren lassen, von selbst stellen sie sich nicht ein. Der japanische Pavillon mit seiner Botschaft „vom Ende aller Architektur“ wurde schließlich nicht zufällig Biennale-Preisträger. Im Großaufgebot nationaler Eigentümlichkeiten konnte diese architektonische Sendepause ihre Wirkung tatsächlich nicht verfehlen.

Und sie hatte ja auch ein übermächtiges Gegenüber: die Präsentation des Walt-Disney-Konzerns im amerikanischen Pavillon - Ausstellungskommissar: Thomas Krens, seines Zeichens Guggenheim-Direktor -, die jeden Architekturinteressierten das Fürchten lehrt. Die Disney- Leute selber mögen davon reden, daß sie einen Traumbauen; aber aus der Distanz betrachtet, stellt sich dieser Traum ganz schnell als beklemmende Architekturlüge heraus. Es ist ziemlich schlimm, was einem da architektonisch vorgesetzt wird. Und es ist auch ziemlich schlimm, daß keiner der großen internationalen Stars die Gelegenheit ausgelassen hat, für Disney zu projektieren. Als habe jeder - von Hollein bis Isozaki - seinen Architekturobulus an den Disney-Konzern entrichten wollen, wohl wissend, daß nur das wenigste davon jemals gebaut werden wird. Denn das Bauen, das besorgen - von Ausnahmen wie Aldo Rossi oder Frank Gehry abgesehen - eben doch die Herren Graves oder Stern und wie sie sonst heißen . . .

Normalerweise ist der Biennaledirektor gleichzeitig auch italienischer Ausstellungskommissär. Auf diese Ehre hat Hollein zugunsten von Marino Folin verzichtet. Der lieferte eine Italien- Sektion, die jeder Beschreibung spottet - dicht, dichter, am dichtesten und gruselig obendrein. Denn jeder teilnehmende Architekt hat einen Bestandteil seiner präsentierten Arbeit, wie banal der auch immer sein mag, eins zu eins nachgebaut. Die Architekturausstellung als Erlebniswelt, Disney in einer europäischen - und insofern dilettantischen - Variante, die es unmöglich macht, das Gute vom Schlechten zu scheiden.

Die Franzosen hingegen haben sich einer ähnlichen Strategie wie die Österreicher bedient und zeigen gewissermaßen eine Avantgardetradition vor, die den Bogen von den sechziger bis zu den neunziger Jahren spannt. Vor allem der Einstieg mit den fulminanten, zwischen Architektur und Skulptur angesiedelten Arbeiten von André Bloc ist faszinierend. Obendrein erwies sich die Auswahl im nachhinein als richtig: Odile Decq und Benoit Cornette, Vertreter der jüngsten Architektengeneration und auch in der Zentralausstellung präsent, konnten immerhin einen Biennale-Preis erringen. Sensing the Future? Ein wirklich neuer Ansatz scheint vorläufig nicht in Sicht. Aber das ist nicht weiter schlimm. Gute Architektur wird trotzdem gedacht und gebaut. Und das müßte eigentlich genügen.

Spectrum, Sa., 1996.10.05

14. September 1996Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Flugobjekt mit Reißverschluß

Keine Putzfassade, kein Satteldach: Mit ihrem Einfamilienhaus in Wien-Donaustadt beweisen Andreas und Gerda Gerner, dass sich eine einladende Raumatmosphäre auch ohne grossen Gestaltungsaufwand herstellen lässt.

Keine Putzfassade, kein Satteldach: Mit ihrem Einfamilienhaus in Wien-Donaustadt beweisen Andreas und Gerda Gerner, dass sich eine einladende Raumatmosphäre auch ohne grossen Gestaltungsaufwand herstellen lässt.

Die gebauten Tatsachen in diesem Viertel der Wiener Donaustadt sprechen für sich: Sie sagen uns, daß wir nicht im Cottage sind, sondern in einer Umgebung, deren Architektur vornehmlich der Nachkriegszeit zu verdanken ist. Was das für eine Gegend bedeutet, die durch Einfamilienhäuser mit Gärten charakterisiert ist, bedarf keiner Erläuterung. So viele Sattel- und Krüppelwalmdächer, so viele Plastikfenster aus dem Baumarkt, Thujenhecken . . .

Aber selbst wenn man die gestalterische Qualität außer acht läßt: Mit dem Wohnen, das zeigt sich im Einfamilienhausbau deutlicher als in der städtischen Wohnanlage, verbindet die Mehrheit der Bevölkerung zutiefst konservative Vorstellungen. Gemütlich muß es sein und so, wie man es kennt. Oder doch nicht ganz: Der Anspruch der Pflegeleichtigkeit führte zu gewissen Modifikationen ­ von den Kunststoffsprossen im Fenster bis zu den Fliesen auf dem Vorzimmerfußboden.

Und mitten in solcher Idylle ­ dieses Haus. Eine Überraschung! Es kommt einem vor, als wäre ein unbekanntes Flugobjekt hier notgelandet. Das Haus hat keine Putzfassade, kein Satteldach, keine Plastikfenster, und Thujenhecke habe ich auch keine entdeckt. Dafür zieht sich straßenseitig eine Art ãGlasbandÒ wie ein Reißverschluß die Fassade hinauf, als wäre das Haus aufgeschnitten. An der plastisch formulierten Gartenseite im Westen signalisieren große Glasschiebetüren direkten Bezug nach draußen.

Es ist ein seltener Glücksfall, wenn ein Bauherr, der vielleicht gar nichts grundsätzlich Andersartiges wollte, die Beweglichkeit aufbringt, die Vorschläge eines Architekten nicht als Gewaltakt, sondern als spannende Bereicherung aufzufassen. Natürlich tut hier eine Korrektur not: Es bedeutet einen gravierenden Unterschied, ob jemand sein Haus beim Baumeister beziehungsweise aus demKatalog bestellt oder einen Architekten beauftragt. Beim Ärzteehepaar bestand kein Zweifel: Es fand in dem jungen Architektenehepaar Andreas und Gerda Gerner einen kongenialen Partner. Dabei könnte man sich vorstellen, daß es für jemanden, der Architektur nicht zu seinem speziellen Anliegen gemacht hat, einen Schock bedeutet, beim Rohbau seines Hauses ­ statt mit einer Ziegelmauer ­ mit einem nackten Stahlskelett mit Betondecken konfrontiert zu sein. Andreas und Gerda Gerner hatten sich nicht um jeden Preis vorgenommen, einen Stahlbau zu errichten, es wurde auch über Holzbauweise nachgedacht.

Aber eines war von vornherein klar: Ihrem ersten realisierten Bauwerk sollte man anmerken, daß es ein Statement von heute ist. Doch es sollte dem Bauherrn keine Gewalt antun, weshalb Andreas Gerner auch andere, möglicherweise akzeptablere Architektennamen als Alternative ins Spiel brachte. Ein Einfamilienhaus in Leichtbauweise: oberflächlich besehen mit fast skulpturalem Charakter. Aber diese Charakterisierung stimmt nicht, denn sie würde bedeuten, daß die Formulierung des Baukörpers einer formalen Willkür unterliegt, was nicht der Fall ist. Denn der Baukörper drückt nach außen deutlich innenräumliche Qualitäten aus.

Man sollte erwähnen, daß Andreas Gerner bei Helmut Richter sein Diplom erworben hat und in dessen Büro arbeitet. Das sieht man dem Haus in mancher Hinsicht an. Dem Einfamilienhaus ist aber auch der Stempel der ernstgemeinten Auseinandersetzung mit den Vorstellungen des Bauherrn aufgedrückt. Vom Einfamilienhaus hat es immer schon geheißen, es sei die Haute-Couture-Version des Wohnbaus. Das ist beim Haus Hinterberger in besonderem Maß der Fall.

Man betritt es von der Straße im Osten und bemerkt flüchtig den verglasten ãSchnittÒ, der sich über die Fassade hinaufzieht. Welche Bewandtnis es damit hat, merkt man erst drinnen: Das Motiv des ãSchnittesÒ zieht sich über das Dach und bis zur gartenseitigen Westfassade. Das sorgt für schöne Lichtreflexe am Tag; nachts wölbt sich über dem Bett in einem der beiden Kinderzimmer der Sternenhimmel.Das Konzept des Hauses mutet auf Anhieb außergewöhnlich an. Die herkömmlichen Wohnvorstellungen sind in Frage gestellt.

Gespräche zwischen Architekten und Bauherren ergaben, daß die Sitzgruppe hauptsächlich abends genützt wird und es unsinnig wäre, ihr den prominenten Platz hinter den Glas- schiebetüren zum Garten einzuräumen. Nachts sind alle Katzen grau, der tageslichtumflutete, zum Garten hin zu öffnende Eßplatz hat hingegen eine eigene Qualität. Man betritt das Haus also von Osten, kommt an der leuchtend roten, von den Gerners minimalistisch, dabei subtil und praktikabel gestalteten Gar- derobe vorbei und sieht schon durch bis zum Garten. Man kann durchatmen, Offenheit teilt sich mit. Linkerhand die Küche, rechts, durch eine Glasschiebetür abtrennbar, der Eßbereich. Er ist ganz zum Garten, zum Licht hin orientiert ­ auch hier ermöglichen gläserne Schiebetüren Abgrenzung wie auch Öffnung hinaus zur Natur ­ und hat einen zweigeschoßigen Bereich vorgeschoben.

Das ist auf den ersten Blick eine eigenwillige Lösung, vor allem für ein Elternschlafzimmer; im Obergeschoß mündet es offen in diesen schmalen, zweigeschoßigen Raum. Aber die Direktiven des Bauherrn waren eindeutig: Er wollte ein offenes Haus. Überdies läßt sich diese ­ man könnte sagen: Schlafgalerie ­ abschließen, durch ebenfalls gläserne Schiebeelemente.

Die innenräumliche Organisation des Hauses ist ansonsten einfach und klar: Wohnen im Erdgeschoß, Schlafen und Arbeiten darüber, im zweiten Obergeschoß liegt das Refugium der Kinder. In den Kinderzim- mern fällt besonders auf, wie faul die landläufigen Vorstellungen von Gemütlichkeit sind: Hier bestehen die Decken aus Metallkassetten, also einem un- verkleideten Industrieelement, dem man eine gewisse Kühle nicht absprechen kann. Aber wie sagte schon Karl Kraus? Gemütlich bin ich selbst.

Die Gerners haben das Konzept dieses Hauses präzise entwickelt und durchgehalten. Sie haben nicht einen Stahlbau realisiert, um ihn dann zu verstecken: Die ­ äußerst minimierte ­ Konstruktion sieht man. Alle tragenden Teile im Inneren des Hauses haben einen blauen Anstrich erhalten und sind somit unaufdringlich vorgezeigt. Auch der Kamin aus Nirosta blieb unverkleidet, wiewohl das einer Sondergenehmigung bedurfte. Der Kachelofen steht natürlich im Wohnbereich, aber in die Tiefe des Hauses verlegt, dorthin, wo sich tatsächlich die Sitzgruppe befindet. Hier nimmt die sonst ganz offene und zum Garten hin orientierte Wohnebene einen atmosphärisch anderen Charakter an, der Raum vermittelt den Eindruck einer großzügigen Nische, in der man sich geborgen fühlt.

Man kann die Frage aufwerfen, was die Leichtbauweise einem Einfamilienhaus bringt ­ die Frage läßt sich aber auch be- antworten: Es ist eine sehr ökonomische Bauweise, die nur kurze Montagezeiten erforderlich macht und ein hohes Maß an Flexibilität erlaubt. Die Gerners haben sich für eine Fassade aus Holzzementplatten entschieden, ein hartes, dauerhaftes Material, das im Raster von 1,40 Metern verlegt ist. Das hat im Hinblick auf Veränderungen in der Nutzung einen großen Vorteil: Man kann innerhalb dieses Rasters jederzeit Plattenelemente herausnehmen und durch Glas ersetzen oder, umgekehrt, die bestehende Verglasung des ãSchnittesÒ wieder schließen.

Verglichen mit einer Putzfassade hat die Plattenhaut des Ge- bäudes auch noch einen anderen Vorteil: Man kann sie reinigen. Die Rundumwäsche läßt sich zwar nicht von der Hausfrau be- sorgen, dafür sind Reinigungsfirmen da, aber sie ist bei weitem nicht so kostspielig, wie man vermuten würde. Das Haus Hinterberger ist keine bescheidene Minimaleinheit des Wohnens. Mit seinen 280 Quadratmetern Nutzfläche ­ Sauna und Vorratsraum im Keller eingerechnet ­ bietet es einer vierköpfigen Familie großzügig Platz. Es zeigt aber auch, wie überflüssig, ja störend ein Zuviel an Gestaltungsaufwand im Einfamilienhausbau ist.

Hier haben sich die Architekten auf wenige Materialien und Farben beschränkt: die blaugestrichenen Stahlteile der tragenden Konstruktion, die rote Garderobe, das Ahornparkett, weiße Wän- de, das metallische Schimmern des Nirostakamins und der Dek- kenelemente ­ und viel Glas; und sie haben sich nicht auf die ãWärmeÒ von Materialien berufen müssen, um eine Wohnat- mosphäre herzustellen, in der man sich wohl fühlt. Es kommt auf andere Dinge an: auf den Bezug zum Außenraum, die fließende Grundrißorganisation, die natürliche Belichtung, auf Durchblicke und räumliche Differenzierungen. Nur wenn das stimmt, tritt jener Effekt ein, den sich jeder Hausbesitzer wünscht: eine Raumatmosphäre, die hell, einladend und großzügig erscheint. Und im Haus Hinterberger stimmt es. .

Spectrum, Sa., 1996.09.14



verknüpfte Bauwerke
hmh Einfamilienhaus

31. August 1996Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Freier Blick ins Schlafgemach

Ein Gemeinschaftsprojekt setzt in sozialer und architektonischer Hinsicht neue Maßstäbe: das „Wohnheim“ von BKK-2 auf demGelände einer alten Sargfabrik in Wien-Penzing.

Ein Gemeinschaftsprojekt setzt in sozialer und architektonischer Hinsicht neue Maßstäbe: das „Wohnheim“ von BKK-2 auf demGelände einer alten Sargfabrik in Wien-Penzing.

Das leuchtende Orange an den Fassaden des „Wohnheims“ Sargfabrik morst seine Botschaft unmißverständlich ins benachbarte Quartier: Etwas Besonderes liegt vor, und wer will, ist eingeladen, daran teilzuhaben. Man glaubt es kaum, aber auch Architektur vermag Optimismus auszustrahlen. Beim „Wohnheim“ Sargfabrik ist man direkt mit diesem Sachverhalt konfrontiert. Und diese Konfrontation ist gar nicht unangenehm, wiewohl sie einem gerade in bezug auf die „normalen“ städtischen Wohnformen zu denken gibt. Es steht einem die gebaute Frage vor Augen, ob es mit all den landläufigen Vorstellungen über das Wohnen tatsächlich seine Richtigkeit hat.

Dabei geht es dicht zu auf dem Gelände der alten Sargfabrik - und überaus urban. Trotzdem ist sofort klar, daß hier keine alltäglichen Qualitäten vorliegen. Die Devise „Gemeinschaft vor Individualität“ mag sich architektonisch nicht eins zu eins darstellen lassen, aber sie teilt sich mit, wenn sie sich nicht sogar indirekt visuell vermittelt. Wenn man das Gelände von der Goldschlagstraße her betritt, kommt man zunächst am Kaffeehaus vorbei. Es ist zweigeschoßig und vermittelt mit seiner großflächigen Verglasung einen speziellen Drive.

Dann kommt man linker Hand durch ein Foyer hinunter in einen Veranstaltungssaal. Vom Weg aus sieht man schon Laubengänge und die schräg nach außen gekippten, betonierten und an den Schmalseiten verglasten Balkonbrüstungen, die einmal zu Ikonen dieses Projekts werden dürften. Man passiert den Abgang zum Bad, das eine Palette von Möglichkeiten bietet: Schwimmkanal, Sauna, Wannen, ein türkisches Bad. Ein erster Freiraum tut sich auf: darin ein großes Wasserbecken mit zwei formal eigenwilligen Elementen - den Oberlichten des darunter liegenden Bades.

Ginge man in eines der Häuser und auf einen der Laubengänge, könnte man in das Badezimmer eines der Bewohner schauen. Oder in das Schlafzimmer. Denn es handelt sich um ein Mitbestimmungsprojekt im Wortsinn: Die beliebig addierbare zweigeschoßige Minimaleinheit - die „Box“ - wurde von den Bewohnern nach individuellen Vorstellungen interpretiert. Dabei hat man auf Architektenseite zwar darauf geachtet, daß keine funktionell falschen Grundrisse zustande kamen, aber der Spielraum für unkonventionelle Lösungen blieb.

Irgendwo ragt eine Reminiszenz an die Sargfabrik empor: das weißgestrichene Backstein-Mauerwerk des Schornsteins. Der Weg wird schmäler und breiter - wie es die Grundstücksgrenze und die Bebauung der Nachbarschaft erlauben. Schweift man ab, kommt man zu einem baumbestandenen Hof; geht man weiter, landet man hinter dem alten Zinshaus, das ebenfalls einer orangefarbenen Oberflächenbehandlung unterzogen wurde, beim Eingang in der Matznergasse.

Was man nicht sieht: Die Vorgeschichte des Projekts reicht bis in die achtziger Jahre zurück. Damals tat sich eine Gruppe von Leuten zusammen und kaufte die Sargfabrik. Eine erste Planung sah die Erhaltung der Produktionshalle vor und Wohnbauten, die in dieser mit ihrem Backsteinmauerwerk atmosphärisch reizvollen Halle hätten stattfinden sollen. Um diese zu erhalten, wurde ein entscheidender Nachteil in Kauf genommen: Die Wohnungen im hinteren Bauteil wären in die Halle hinein orientiert gewesen. Dieses ganz normale, geförderte Wohnbauprojekt wurde erst genehmigt, dann vom Verwaltungsgerichtshof beeinsprucht.

Seit Beginn der zweiten Planungsphase stellte sich die Frage, ob man die Backsteinarchitektur der Sargfabrik überhaupt erhalten solle; und es ging auch um Möglichkeiten zur Bewältigung eingefahrener Konventionen in Sachen Wohnbauförderung. So kam es zur Entwicklung einer geradezu genialen Strategie: Der Verein, die Eigentümergemeinschaft, entschied sich für die Errichtung eines „Wohnheims“. Das brachte aus herkömmlicher Sicht einen entscheidenden Nachteil: Niemand ist Eigentümer der von ihm genutzten Wohneinheit - Eigentümer ist ausschließlich der Verein. Es gab aber auch einen Vorteil: Es wurden all jene Gemeinschaftseinrichtungen gefördert, die jetzt aus dem „Wohnheim“ etwas so Besonderes machen.

Beschäftigen wir uns mit der gebauten dritten Planungsvariante. Diese macht sichtbar, was niemand wissen will: Wohnen läßt sich nicht verordnen. Die Regeln, die wir in bezug auf Grundrißlösungen für gegeben erachten, werden obsolet, wenn wir mit den Wünschen individueller Nutzer konfrontiert sind. Hier zeigt sich, daß es manchem gar nichts ausmacht, wenn sein Badezimmer direkt am Laubengang liegt; der Mehrwert, den ihm diese ungewöhnliche Grundrißorganisation bringt, ist ihm diesen Einsatz wert. Und es zeigt sich auch, daß es diesen Leuten auf etwas nur sehr nebenbei ankommt, was normalerweise zu den unantastbaren Geboten des Wohnbaus gehört - auf die verbriefte Intimität.

Frappant sind die Offenheit, die diese Architektur vermittelt, die Ungeniertheit, mit der sie Einblicke in den individuellen Wohnbereich erlaubt. In dieser Hinsicht wird mit dem Projekt nicht nur eine Lektion theoretisch formuliert, sondern auch pragmatisch umgesetzt. Zu den architektonisch wesentlichen Ausgangsüberlegungen der dritten Planungsvariante gehört, daß man weitgehend bei den Beschlüssen geblieben ist.

Und dies, obwohl die Entscheidung längst zugunsten des Abbruchs der alten Werkhalle und eines kompletten Neubaus gefallen war. Die Architekten behielten die ursprüngliche Bebauungsstruktur im großen und ganzen bei. Und damit die Stellung der Baukörper, den Raster von 4,80 Metern und die knappe Raumhöhe von 2,26 Metern. Darin drückt sich auch die bekannte Auffassung des BKK-2 aus, daß gewisse Festschreibungen der Bauordnung Richtwerte, aber keine absoluten Wahrheiten sind: Wenn man richtig damit umgeht, sind in Nebenräumen extrem niedrige Raumhöhen verkraftbar, nur müssen dafür im Wohnbereich entsprechende Lufträume für die nötige Differenzierung sorgen. Dabei ist die Raumhöhe nicht bloß ein eigenwilliges Statement der Architekten - sie hat ihre Begründung in der Ausgangsplanung: Ursprünglich sollte eine Decke der Produktionshalle erhalten bleiben - da kam eben nur eine Raumhöhe von 2,26 Metern plus Geschoßdecke in Frage. Dann entschied man sich für den Abbruch der Halle, aber vom Konzept dieser Raumhöhe wollte sich niemand mehr lösen.

Daß diese Maßnahme kein Fehler war, ist auch für den Außenstehenden überprüfbar: Atmosphärisch ist einfach alles in Ordnung. Und die Möglichkeiten, die diese Anlage ihren Bewohnern bietet, sind schlichtweg überwältigend. Mit Restaurant, Seminarräumen, Veranstaltungssaal und Bad sind 2000 Quadratmeter Gemeinschaftsfläche vorhanden. Im Bauteil an der Goldschlagstraße wurde ein Kinderzentrum eingerichtet. In der Nachbarschaft der „Heimküche“ gibt es auf knapp 400 Quadratmetern eine Wohneinheit für eine Wohngemeinschaft. Die ausgedehnte Dachbegrünung bietet vom Steingarten bis zum Gemüsebeet alles, was sich der Hobbygärtner nur wünschen kann.

Natürlich ließe sich viel über die Architektur sagen, obwohl es zu ihrem sprachlichen Ausdruck gehört, daß sie sich auf Detailmalerei erst gar nicht einläßt. In der Sargfabrik wird formal mit der Addition und Repetition gleicher Elemente Wirkung erzielt. Erwähnenswert sind die kühn nach außen gekippten Betonbrüstungen der Balkone mit verglaster Schmalseite. Das BKK-2 pflegt solche formalen Entscheidungen in der Regel nicht rein geschmacklich, sondern sachlich zu begründen. Daß die Fensterflächen bündig in der Fassade sitzen, soll dieser Lesart zufolge den Baukörper ruhiger machen. Um dieser Wirkung willen wurde eine Vielzahl von Silikonfugen riskiert, über deren Dauerhaftigkeit es unterschiedliche Auffassungen gibt. Die an den Rücklauf der Fernwärme angeschlossene Niedrigtemperatur-Wandheizung ist eine hier erstmals in großem Umfang eingesetzte Technologie. Wo inhaltlich soviel Neues dahintersteckt, sollte man auch bei der baulichen Umsetzung etwas probieren dürfen. Von der gestalterischen Lösung her zählt vor allem das Bad zum Feinsten, was diese Gegend zu bieten hat.

Mit dem „Wohnheim“ Sargfabrik wurde sowohl in sozialer und konzeptueller als auch in architektonischer Hinsicht ein neuer Maßstab in Sachen Wohnen gesetzt. Auf die künftige Entwicklung des Projekts darf man gespannt sein. Sicher scheint, daß sich schon in allernächster Zukunft Soziologen und all jene, die sich dem Thema Wohnbau forschend nähern, damit befassen werden.

Spectrum, Sa., 1996.08.31



verknüpfte Bauwerke
Sargfabrik - Wohnheim Matznergass

10. August 1996Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Haus mit Kopf und Schwanz

Erich G. Steinmayr hat dem Lustenauer Rathauskomplex einen Neubau angefügt. Einen Neubau, der trotz seiner „dienenden“ Haltung gegenüber dem Bestand seine eigene, zeitgemäße Identität behaupten kann.

Erich G. Steinmayr hat dem Lustenauer Rathauskomplex einen Neubau angefügt. Einen Neubau, der trotz seiner „dienenden“ Haltung gegenüber dem Bestand seine eigene, zeitgemäße Identität behaupten kann.

In der Architektur ist Anpassung in der Regel keine Haltung, die zu einem nennenswerten Ergebnis führt. Man weiß es von den verschiedenen Schutzzonen her: Anpassung erzeugt schwache architektonische Resultate. Daher hat sich für Erich G. Steinmayr die Frage der Anpassung auch niemals gestellt. Die Frage mußte vielmehr lauten, ob der bemerkenswerte Lustenauer Rathauskomplex vom Ende der fünfziger Jahre eine architektonische Intervention überhaupt zuläßt - und wenn, an welcher Stelle eine solche ansetzen könnte.

Unter den Vorarlberger Architekten galt dieses Problem ursprünglich als unlösbar. Aber die sachliche Bestandsanalyse brachte es an den Tag: Es gab einen Gebäudeteil mit Hausmeisterwohnung, Kohlenlager und Polizeigaragen, der zwar strukturell in Ordnung, aber letztlich ohne Schwächung des Altbaus verzichtbar war. Genau diesen Teil brach Steinmayr ab und setzte seinen Neubau an die Stelle. Und zwar unter maximaler Rücksichtnahme auf die bestehenden Vorgaben: Das heißt, das neue Haus respektiert die Maßstäblichkeit und hierarchische Gliederung des alten Baus, es ist nicht höher, es führt sogar die Geometrie der Dachform weiter, es stößt ganz selbstverständlich an eine Mauerscheibe des Bestands. Dabei führt es seine Andersartigkeit so unverkennbar vor, daß Zweifel über sein Entstehungsdatum gar nicht aufkommen können. Aber das Resultat solcher Eindeutigkeit ist nicht eine Verunklärung des Gesamtkomplexes, sondern eher seine Aufladung mit neuer Hochspannungsenergie.

Um aber das geforderte Raumprogramm unter diesen Umständen überhaupt unterzubringen, mußte Steinmayr ein zusätzliches Geschoß schaffen. Und das ist ihm letztlich gelungen, indem er nicht in die Höhe, sondern in die Tiefe gebaut hat: An der Ostseite, zur Straße hin, wo es über eine Brücke ebenerdig in den Neubau hineingeht, wurde das Terrain um etwa drei Meter abgesenkt. In diesem Untergeschoß, dem ein besonders reizvoll angelegter Grünbereich vorgeschoben wurde, sind zwei große Konferenzräume, der Seminarbereich und - vorläufig noch als räumliche Reserve -Computerarbeitsplätze untergebracht. Im Erdgeschoß hat das Tiefbauamt seine Büros, im Obergeschoß das Hochbauamt.

Die innenräumliche Struktur des Gebäudes stellt sich sehr minimiert dar, einfach und ökonomisch, wiewohl sich das Haus den Luxus der Einhüftigkeit leistet. Alle Erschließungsgänge liegen an der Westseite zum Garten hin, die Büros sind nach Osten, zur Straße hin, orientiert; hier zeichnet sich mit einem schießschartenartigen Fassadenteil auch die Lage des Archivs ab. Die Fassade - sichtbar verschraubte Aluminiumplatten, die mit Eisenglimmer beschichtet sind, Glas und simple LKW-Bretter aus Aluminium als Beschattungslamellen - gibt sich betont schlicht, dabei elegant. Trotz seiner „dienenden“ Haltung gegenüber dem Bestand kann der Neubau seine eigene und sehr zeitgemäße Identität behaupten.

Von der Straße her sieht man zunächst nur ein relativ niedriges, langgestrecktes Gebäude, einen deutlich definierten Eingang mit elegantem Vordach, zu dem man über eine Brücke gelangt, große Fensterflächen und rechts über dem Eingang das signifikante, schießschartenartig formulierte Fassadenelement vor dem Archiv. Wenn man auf den Eingang zugeht, sieht man auch hinunter in den „Graben“ - einen bepflanzten Gartenhof -, der als Freiraumschicht dem Untergeschoß vorgeschoben ist.

Diese Entscheidung, nicht in die Höhe, sondern in die Tiefe zu bauen, ist von wesentlicher Bedeutung für das gesamte Projekt. Außerdem ist der Gartenhof in drei Metern Tiefe ein besonderes Element: Eine Betonwand muß zwar erst zuwachsen, aber die Wirkung der sehr abstrakten, artifiziellen Lösung unten - mit schmalen, rechteckigen Wasserwannen und ebenso geschnittenen Buchsbaumpflanzungen - teilt sich auch jetzt schon mit. Wenn man das Haus betritt, kommt man zunächst in eine lichtdurchflutete, sehr offene Empfangszone mit Arbeitsplätzen für zwei Sekretärinnen.

Von hier geht es über einen Erschließungsgang entlang der Westfassade ebenerdig zu den Büros des Tiefbauamtes weiter, über eine Treppe hinunter ins Untergeschoß beziehungsweise hinauf zu Hochbauamt und ArchivDie Struktur ist also ganz einfach. Daß das Archiv hinter einer so besonderen Fassade situiert wurde, hat mit der Anforderung zu tun, daß es in einem Tageslichtraum untergebracht werden und doch beschattet sein sollte. Auch an der Westfassade sorgt ein Lamellenraster aus Aluminiumbrettern für die nötige Beschattung. Und am „Schwanz“ des Gebäudes im Süden, der wie ein Kasten ein wenig über dem Boden schwebt und damit ein Motiv des Altbaus aufnimmt, sorgt ein genau berechneter Rahmen für den erforderlichen Sonnenschutz der verglasten Besprechungsräume.

Für Schatten und damit ein angenehmes Raumklima wurden also die erforderlichen Vorkehrungen getroffen. Und doch: Eine Stunde am Tag fällt in verschiedenen Bereichen - in den Korridoren, im Archiv - die Sonne direkt ein, und es kommt zu jenem Phänomen, das Steinmayr „Lichtgraphik“ nennt. Die Sonne kommt, sie verschwindet wieder, für kurze Zeit erweckt sie das Gebäude an verschiedenen Stellen zum Leben. Schatten, so Steinmayr, mag eine Qualität sein, aber auch Sonnenlicht gehört in ein Haus.

Apropos Sonnenlicht: Die Lichtführung im Gebäude kommt einer minuziösen Komposition gleich. So liegen in den Erschließungsbereichen im Erdgeschoß und im Obergeschoß durchscheinende Glasplatten auf Gitterrosten. Dadurch entsteht zwar überall der Eindruck einer geschlossenen Decke, gleichzeitig verteilt sich aber das Tageslicht gleichmäßig von oben bis in das Untergeschoß. Und das Kunstlicht ist im Bereich der Stiege in den Handlauf integriert; man schaltet also bei Dunkelheit die Beleuchtung des Handlaufs im Geschoß oberhalb ein, und das Licht verteilt sich über die Decke.

Auch in den Büros sorgt indirektes, gleichmäßig verteiltes Kunstlicht für ausgezeichnete Arbeitsbedingungen. Und drei verschiedene Abschattungsmöglichkeiten - eine außen, eine innen und zusätzlich eine, die man im Computerbereich hochziehen kann - erlauben die Differenzierung der Tagesbelichtung.

Man könnte sagen, daß das Gebäude einen Kopf-, einen Mittel- und einen Schwanzteil besitzt und daß jedem dieser Bereiche spezielle Aufgaben und damit eine eigene atmosphärische Charakteristik zugeordnet wurden. Die unterschiedliche Art der Nutzung bildet sich in feinen Differenzierungen, unterspielt, aber doch lesbar, auch nach außen ab. Vordergründigkeit hat sich Steinmayr aber gerade an der Fassade in keiner Weise gestattet. Zur Straße hin gibt sich die Gebäudehaut zwar unerhört perfekt und auch ein wenig technoid - als wollte sie verständlich machen, daß dahinter eine konstruktiv ganz andere Technologie steckt als bei dem Bau der fünfziger Jahre. Und an der Gartenseite geben die Abschattungslamellen vor der Glasfassade einen gewissen Takt vor, der eigentliche Rhythmus dieses bewegten Fassadenbildes entsteht aber durch die unterschiedlichen Reflexionen der grünen Umgebung im Glas.

Steinmayr hat mit Fritz Mascher vor Jahren das Gutachterverfahren gewonnen, bei dem es um Erweiterung und Sanierung der Albertina ging. Seinem bemerkenswerten Projekt, man weiß es leider, war bisher wenig Glück beschieden. Das scheint sich in diesen Tagen zu ändern, die Realisierung einer ersten, wesentlichen Bauetappe steht unmittelbar bevor. Man kann diesem wichtigen Kulturbau in der Bundeshauptstadt höchst gelassen, ja zuversichtlich, entgegenblicken: Denn der Rathauszubau in Lustenau zeigt deutlich, daß hier jemand am Werk ist, der die Gratwanderung zwischen der Referenz vor dem historischen Baubestand und einer dezidiert zeitgenössischen technischen Lösung gepaart mit ebensolcher Materialqualität und Formensprache souverän beherrscht.

Spectrum, Sa., 1996.08.10



verknüpfte Bauwerke
Rathaus und Bauamt - Erweiterung

20. Juli 1996Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Was bleibt, wenn nichts bleibt?

Bis zum Rand sollen sie mit Nutzungen gefüllt werden, die Simmeringer Gasometer, Industriedenkmäler der Gründerzeit. Wer kann so blauäugig sein, zu glauben, daß dabei von ihren singulären Qualitäten irgend etwas erhalten bleibt? Eine Erregung.

Bis zum Rand sollen sie mit Nutzungen gefüllt werden, die Simmeringer Gasometer, Industriedenkmäler der Gründerzeit. Wer kann so blauäugig sein, zu glauben, daß dabei von ihren singulären Qualitäten irgend etwas erhalten bleibt? Eine Erregung.

Als Farce hat es begonnen, als Tragödie wird es dereinst enden, wenn all das tatsächlich gemacht werden sollte, was derzeit an Projekten für die Umnutzung der Simmeringer Gasometer auf dem Tisch liegt. Denn über eines kann es keine Unklarheit geben: Dieses „einmalige“ Industriedenkmal, das „Wahrzeichen“ von Simmering, über dessen Erhaltungswürdigkeit sich alle so einig sind und dessen Erhaltung durch die neue Nutzung ja auch finanziert werden soll, dieses Wahrzeichen und Industriedenkmal ist dann ruiniert. Und zwar für alle Zeit.

Worin besteht die besondere Qualität der vier Gasometer? Vor allem in diesem gewaltigen, leeren Raum (er hat einen Außendurchmesser von immerhin 64,9 Metern und an der höchsten Stelle eine Höhe von 72,5 Metern) - und dann auch darin, daß es sich um signifikante, intakte Beispiele für die Industriearchitektur der Gründerzeit handelt.

Genau diese beiden Qualitäten würden durch die Realisierung der jetzt vorliegenden Projekte zerstört: Der Innenraum, der so groß ist, daß das ganze Riesenrad hineinpassen würde - wie es immer wieder heißt -, der würde dann bis an den Rand mit Nutzungen gefüllt sein: mit Geschäften, Büros, Lagerräumen, Gastronomie, einem Kindergarten, einem Veranstaltungssaal für 3000 Besucher, einer „Day-Mall“, einer „Night-Mall“ (was auch immer das bedeuten soll) und mit insgesamt mehr als 900 Wohnungen. Es kann niemand so blauäugig sein, zu glauben, daß unter diesen Umständen von der innenräumlichen Qualität der Gasometer irgend etwas erhalten bleibt.

Aber auch der architektonische Wert der äußeren Erscheinung wird durch diese Art der „Revitalisierung“ nicht erhalten, sondern drangsaliert. Man braucht nämlich zusätzliche Öffnungen im Ziegelmauerwerk, das immerhin zwischen 5,4 und 1,65 Meter dick ist, weil man sonst niemals auch nur annähernd akzeptable Lichtverhältnisse erreicht. Diese Öffnungen wird man dort ins denkmalgeschützte Gemäuer schneiden dürfen, wo es „vorgegebene bauliche Vertiefungen“ gibt, etwa innerhalb der arkadenähnlichen Bogenstellungen unter dem Hauptgesims oder den darunterliegenden Konsolen; sie können aber auch „im Sinne einer architektonischen ,Schattenführung‘ entlang der strebepfeilerartigen Lisenen“ geführt werden. Die Zitate entstammen übrigens der Beschreibung des denkmalpflegerischen Konzepts in der Publikation dieses „Revitalisierungsprojekts“.

Durch diese zusätzlichen Öffnungen wird man aber noch immer bei weitem nicht genug Licht in den Innenraum holen können. Daher darf entweder „eine Öffnung der Dachfläche“ vorgenommen werden - oder es darf diese „Dachfläche in fix montierte Glaslamellen aufgelöst“ werden. Wenn also weder das markante Dach mit seiner Laterne unangetastet bleibt noch das kreisrunde Mauerwerk - was ist dann eigentlich noch übrig vom Bestand? Die Haltung des Bundesdenkmalamtes in dieser Causa wäre einen eigenen Kommentar wert. Vielleicht ist es ja auch wahr, was als Gerücht in Wiener Architektenkreisen die Runde macht: Man brauche ein Projekt nur zu „wehdornisieren“ - und schon sei es auch denkmalpflegerisch „gelaufen“.

Gegen dieses Vorhaben lassen sich allerdings keineswegs nur denkmalschützerische Argumente ins Treffen führen. Es spottet auch in anderer Hinsicht jeglicher Vernunft. Die Frage der Finanzierbarkeit zum Beispiel, die ist durchaus ein paar Überlegungen wert. Wieviel an baulichen Maßnahmen ist denn nötig, wenn man die Gasometer füllen will? Es muß die Außenfassade saniert werden, es muß die Innenfassade saniert werden. Das kuppelförmige Dach mit seiner Spannweite von 63,8 Metern muß weg und durch irgend etwas anderes ersetzt werden.

Jeder Gasometer hat im geböschten Bereich ein Wasserbassin mit einem 1,7 Meter dicken, nach oben bombierten Betonfundament. Das muß natürlich auch weg, denn man wird ein neues Fundament brauchen. Das Mauerwerk des Bestands hatte ja bisher keine wesentlichen statischen Funktionen zu erfüllen, also kann man es auch in Hinkunft nicht belasten. Die neuen Einbauten müssen daher selbsttragend sein.

Und dann das Bauen selbst: Es wird doch wohl niemand ernsthaft behaupten wollen, daß Bauen im umbauten Raum nicht wesentlich aufwendiger ist als das Bauen auf der grünen Wiese. Aber eigenartig, trotzdem soll dieses Bauvorhaben zu den Bedingungen der Wiener Wohnbauförderung realisierbar sein. Wenn das möglich ist, dann kann man daraus nur einen Schluß ziehen: Wir wurden bisher mutwillig getäuscht. Wenn das alles möglich ist, dann haben wir in den letzten zehn Jahren bei jedem einzelnen Wohnbau eine erkleckliche Summe verschwendet. Dann wäre es bei gleichem Standard auch viel billiger gegangen. Und damit kommen wir zu einem dritten Stichwort: dem Standard. Der Wiener Wohnbau hat ein hohes Niveau, und darauf hat sich die Stadt bisher auch etwas zugute gehalten. Aber wie wird das in den Gasometern sein? Bisher zum Beispiel haben Architekten die größten Anstrengungen in die Orientierung ihrer Wohnungen investiert. Eine nach Norden gerichtete Wohnung galt als Sakrileg. In den Gasometern wird es jede Menge nach Norden gerichteter Wohnungen geben. Und auch solche, die einfach nicht gut belichtet sein können, weil sie in den unteren Wohngeschossen liegen. Und sie werden alle keinen freien Ausblick haben, weil ihnen eben doch nur eine Wand mit Löchern oder der Nachbar beziehungsweise das Visavis vor Augen steht. Die jetzt publizierte Lesart dieses Faktums besagt zwar, daß gerade darin eine Qualität liege, weil die Umgebung so beschaffen sei, daß erst der fragmentierte Blick sie wirklich erträglich mache, aber wenn das nicht der schiere Zynismus ist . . .

Man muß sich auch klarmachen: Die schönen Architektenzeichnungen mit den großzügigen Innenhöfen täuschen. Und ob der Grünbereich im Projekt Wilhelm Holzbauers überhaupt machbar ist, das ziehen zumindest fachkundige Landschaftsplaner in Zweifel, weil bei dieser Gebäudekonfiguration in den Hof zuwenig Licht fallen dürfte. Dann die Akustik: In den Gasometern wird einiges an Aufwand nötig sein, damit nicht jedes Türknallen gleich eine explosionsartige Geräuschkatastrophe verursacht. Wobei es ausdrücklich festzuhalten gilt, daß es hier nicht um die Schwächen oder Mängel einzelner Projekte geht - schon der grundlegende Konzeptansatz ist falsch.

Freilich kann man den beteiligten Architekten den Vorwurf nicht ersparen, daß sie sich überhaupt auf das Ansinnen eingelassen haben, die Gasometer mit Wohnungen vollzustopfen. Natürlich ist es möglich, für historische Bauwerke neue Nutzungen zu entwickeln. Aber wenn diese Interventionen substantielle Qualitäten des Bestands zerstören, dann kehrt sich der scheinbar gutwillige und verantwortungsbewußte Akt der Erhaltung zur sinnlosen und verlogenen Alibigeste um. Und das müßten Architekten wie Jean Nouvel, Wilhelm Holzbauer, Manfred Wehdorn und die Coop Himmelb(l)au eigentlich wissen.

Die einzigen, die mit ihren Projekten so etwas wie Haltung demonstriert haben, sind Peichl & Weber und Hermann & Valentiny; sie haben immerhin darauf hingewiesen, daß man die Wohnungen genausogut oder sogar besser „draußen“ realisieren könnte. Besonders im Projekt von Hermann & Valentiny ist eine bestechende Alternative zu den Vorhaben zu erkennen, die tatsächlich gebaut werden sollen. Die beiden setzen mit ihrem „horizontal geschichteten“ Hochhaus, einer unheimlich mächtigen, die Gasometer sogar noch überragenden Gebäudewand, ein architektonischen Zeichen, das den historischen Bauwerken sozusagen die Reverenz erweist.

Die Gasometer selbst bleiben in diesem Projekt weitgehend frei: Sie sind Parkplätzen vorbehalten, die man in jedem Fall braucht, und sie bieten ein konzentriertes Angebot an Infrastruktur - von der Veranstaltungshalle bis zum Kindergarten und zur Schule. Bei einem der Gasometer wird dabei übrigens eine Glasüberdachung vorgeschlagen, die Bausubstanz also ebenfalls angetastet.

Und die Idee dahinter? Man macht drinnen 880 Stellplätze und auf diesen Stellplätzen einen Park, also in einer Höhe, in der - wie Landschaftsplaner meinen - tatsächlich etwas wachsen kann. Schließlich wird es in der Umgebung mit Freiflächen für die hier Wohnenden schwer werden: Der kontaminierte Boden des ehemaligen Gaswerks dürfte wohl kaumein guter Spielplatz sein. Bürgermeister Häupl hat in seinem Vorwort zur Publikation über das „Revitalisierungsprojekt“ Gasometer geschrieben, es gebe in Wien genug Platz für unkonventionelle Ideen. Da muß man ihn - angesichts dieses Vorhabens - korrigieren. Nein, es gibt nicht genug Platz, und es gibt auch nicht genug unkonventionelle Ideen.

Spectrum, Sa., 1996.07.20

22. Juni 1996Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Vom Anpassen und Einfügen

Unspektakulär steht er da, der Zubau zur Post- und Telegraphendirektion in Linz von Nehrer + Medek - eine solide städtebauliche Lösung. Architekturgeschichte wird er nicht machen.

Unspektakulär steht er da, der Zubau zur Post- und Telegraphendirektion in Linz von Nehrer + Medek - eine solide städtebauliche Lösung. Architekturgeschichte wird er nicht machen.

Die österreichische Post-und Telegraphenverwaltung zählt nicht zu jenen Unternehmen, die ihre Rolle als Bauherren auch als öffentlichen und kulturellen Auftrag verstehen. Anders ausgedrückt: Wenn die Post baut, dann bringt das die Architektur dieses Landes in keiner Weise weiter. Da ist schon viel eher das Gegenteil der Fall. Man muß aber auch fragen: Wo hält sich denn hierzulande überhaupt jene Bauherrschaft versteckt, die dem Architekten im Hinblick auf ein neues Konzept, auf eine zeitgenössische Sprache, möglicherweise sogar auf eine innovative Technologie etwas abverlangt? Es scheint sie in Österreich nicht zu geben - und das wiederum ist merkwürdig genug.

Nun hat also die Post- und Telegraphendirektion in Linz gebaut. Zugebaut, um genau zu sein. Und man kann sagen: Was sie gebaut hat, das wird sicher nicht die Runde durch die internationale Fachpresse machen. Dafür ist diese Architektur zu unspektakulär. Dafür bedient sie sich viel zu bescheidener, herkömmlicher Mittel. Und dafür hält sich der nun - nämlich nach dem Zubau - ziemlich gewaltige Gebäudekomplex eben doch viel zu sehr zurück, er paßt sich an, er fügt sich geradezu besorgt ein. Aber das ist - nach einem kurzen Liebäugeln mit den postmodernen Ausdrucksmöglichkeiten, das schon länger zurückliegt -, das ist nun einmal genau die Art von haltbarem, gesichertem, zeitunabhängigem Vokabelschatz, den das Wiener Architektenbüro Nehrer + Medek seit Jahren pflegt.

Der Schauplatz des architektonischen Geschehens ist relativ zentrumsnah: Hier wurde in den sechziger Jahren eine höchst ambitionierte und anständige Amtsplanung der oberösterreichischen Postdirektion realisiert, die damals noch eine eigene Bauabteilung hatte. Baudirektor Alfred Kolodejs Entwurf umfaßte ein respektables und ziemlich hohes Haus für die technischen Einrichtungen, die eine solche Telegraphendirektion in geballter Ladung braucht, und ein darangestelltes niedrigeres Verwaltungsgebäude. Später hat die Post auch die angrenzenden Grundstücke erworben, auf denen nicht nur ein denkmalgeschütztes Stöcklgebäude aus dem 19. Jahrhundert, sondern auch die Bauten einer Brauerei standen. Übrigens schließen an dieses Areal - allerdings durch eine ziemlich hohe Mauer getrennt - die ehemalige Deutschordenskirche von Lukas von Hildebrandt, das katholische Priesterseminar und die Katholisch- Theologische Hochschule von Hans Puchhammer an.

Diese städtebauliche Situation gab den Architekten einiges aufzulösen, denn die unterschiedlichen Gebäudehöhen des Priesterseminars und des etwas höheren Hauses der Post, zwischen die es die neue Eckverbauung einzufügen galt, waren nicht so leicht in den Griff zu bekommen.

Freilich: Die jetzt realisierte Lösung überzeugt umso mehr: Mit dem Denkmalamt konnten sich die Architekten einigen, daß das Stöcklgebäude verzichtbar sei, es wurde daher abgerissen. Und das Problem mit den unterschiedlichen Gebäudehöhen wurde insofern bewältigt, als ein Teil des Gebäudes in gleicher Höhe an den Baubestand der Post anschließt und in dieser Höhe übers Eck auch weitergeführt wird, allerdings ein ganzes Stück hinter der Baulinie. Davor haben die Architekten dann einen zweiten Bauteil gesetzt, der um ein Geschoß niedriger ist und die Gebäudehöhe des Priesterseminars aufnimmt. Die Verbindung zwischen diesen beiden Baukörpern wird durch eine schräge Oberlichtverglasung hergestellt, die eine allerdings schmale Erschließungshalle wunderbar belichtet. Hier geht es über Galerien und kleine Brücken zu den Büros des Trakts „in der zweiten Reihe“.

Man betritt das neue Haus an der Ecke, an der sich der höhere Bauteil hinter dem niedrigeren vorbeischwindelt. Es geht in ein rundum verglastes Foyer, das räumlich großzügig formuliert wurde. Aber da heute niemand eine großzügige freie Fläche auszuhalten scheint, wurde sie sofort vollgeräumt: mit Zwischenwänden, auf denen derzeit Aquarelle des hauseigenen Personals zu sehen sind. Da wird man auch bei der Post in Zukunft noch einiges hinzuzulernen haben. Vom Foyer geht es weiter in eine relativ große Kantine, die sich von den üblichen Ausspeisungen insofern wohltuend unterscheidet, als die Küche offen und einsehbar ist. Das wirkt nicht nur angenehmlebendig, es nötigt dem Kantinenpersonal auch ein Höchstmaß an Sauberkeit ab, und das wiederum kommt schließlich den Kantinenbesuchern zugute.

Das Treppenhaus liegt am Ende des höheren Bauteils - und zwar dort, wo dieser die Richtung wechselt, wo er einen Haken schlägt. In der Spindel des Treppenhauses ist ein Lift, aber wer ihn benützt, der bringt sich quasi selbst um das räumlche Haupterlebnis der - bei aller Enge - doch attraktiven, von oben belichteten Erschließungshalle. Die hat auf der Ebene des ersten Obergeschoßes eine zunächst rätselhafte Eigenheit in Form lochblechverkleideter Öffnungen nach unten: Es handelt sich um sogenannte Frischluftbrunnen, die die Behörde für den Brandfall vorschreibt. Im übrigen wird der nüchtern weiße Raum langsam, aber sicher von Topfpflanzen sehr unterschiedlicher Größe besiedelt. Das kann man zwar als eine Inbesitznahme der Architektur durch die Benutzer lesen, es dürfte längerfristig aber auch zu einem etwas artfremden Schrebergarteneffekt führen, den es rechtzeitig einzudämmen gilt.

Nehrer + Medek haben ihrem Bau eine extrem schlichte, weiße Putzfassade angemessen, die praktisch mit den gleichen Ausdrucksmitteln arbeitet wie der Bestand, mit Fensterbändern. Was mich daran ein wenig stört: Die heutigen Geschoßhöhen stimmen mit denen des Nachbarbaus nicht überein, daher konnten die Fensterbänder des Neubaus nicht auf der gleichen Höhe wie beim Altbestand sein. Daraus wiederum ergibt sich die Frage, ob es unter diesen Umständen wirklich zwingend ist, das Fensterbandmotiv im Neubau überhaupt aufzunehmen. Andererseits: Es ist wahrhaftig kein Sakrileg, wenn sich die Architekten dazu entschlossen haben, es doch zu tun. Der Architektur von Nehrer + Medek muß man ja generell attestieren, daß sie ohne formalistischen Schnickschnack auskommt und sich lieber auf die pragmatischen Inhalte konzentriert. Das hat in Linz dazu geführt, daß eine wirklich gute städtebauliche Lösung gefunden wurde, obwohl die Randbedingungen alles andere als einfach und ideal waren.

Auch jetzt fällt es einem nicht leicht, etwa die Mauer zur Straße hin zu akzeptieren, die den schönen Gartenhof zwischen Neubau und altem Brauereigebäude abschirmt. Oder den Umstand zu akzeptieren, daß der Blick und der Zugang zur Hildebrandt-Kirche nicht auch von dieser Seite frei sein können.

Weit hinter der Mauer zur Straße, an der Grundstückgrenze zum Priesterseminar, plustert sich, wie erwähnt, eine zweite, noch viel höhere Mauer auf, an die auf der Seite des Kirchenareals noch dazu ein niedriges Nebengebäude anschließt, das diese Barriere sozusagen unverzichtbar macht. Nein, nein, Durchlässigkeit scheint nicht gefragt, dafür ist Abgrenzung angesagt. Immerhin haben es die Architekten geschafft, das voluminöse Raumprogramm so unterzubringen, daß sich wenigstens der Blick auf den oberen Teil der Kirche, über die Mauern hinweg, frei entfalten kann.

Die Arbeitsbedingungen im neuen Haus sind sichtlich angenehm. Und die Ganganschlüsse an die anderen Geschoßhöhen des Altbestands wurden ganz selbstverständlich bewältigt. Am Bestand selbst ist nicht viel geschehen: Der Beton wurde frisch gestrichen, eine Hofeinfahrt beziehungsweise die Zufahrt zur neuen Tiefgarage in den Neubau verlegt, weil die alte Einfahrt längst zu niedrig war. Daß alle Dächer Flachdächer sind, die verordnetermaßen begrünt werden mußten, ist noch einer Erwähnung wert. Ebenso der Umstand, daß im hohen Bauteil des Bestands die Errichtung einer behördlich geforderten Fluchttreppe notwendig wurde. Die wird jetzt realisiert und soll sich um eine vorhandene Betonscheibe winden. Es ist insgesamt ein gutes Haus, im Altbestand und erst recht im Neubau. Und es ist ein sehr anständiges Haus: Denn es signalisiert zwar nach außen, worum es drinnen geht, aber ganz ohne mutwillige Absichten und ganz ohne großes Aufsehen. Das ist eine Qualität, die man schätzen kann. Man könnte sie in diesem Fall aber sicher auch in Frage stellen, obwohl dies keinesfalls zu Lasten der bauenden Architekten gehen darf. Die österreichische Post ist schließlich kein Nobody in der Welt der heimischen Unternehmen, daher wäre von ihr viel, viel mehr einzufordern. Aber da beißt sich die Katze in den Schwanz, und wir müßten eigentlich von vorn beginnen.

Spectrum, Sa., 1996.06.22



verknüpfte Bauwerke
Zu- und Umbau Fernmeldebetriebsamt

11. Mai 1996Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Riegel mit Hand, Fuß, Kopf

Ein Niedrigenergie-Bau in Schichten: Die Wohnanlage der Arbeitsgemeinschaft Reinberg-Treberspurg-Raith ist ein Lichtblick im verkehrsgeplagten Stadterweiterungsgebiet an der Brünner Straße in Wien.

Ein Niedrigenergie-Bau in Schichten: Die Wohnanlage der Arbeitsgemeinschaft Reinberg-Treberspurg-Raith ist ein Lichtblick im verkehrsgeplagten Stadterweiterungsgebiet an der Brünner Straße in Wien.

Es dürfte sich herumgesprochen haben, daß an der Brünner Straße, im Norden von Wien, eines der großen Stadterweiterungsgebiete der neunziger Jahre liegt. Tatsächlich hatte man lange Zeit das bedrückende Gefühl, hier würden sich sämtliche Baukräne Wiens ein Stelldichein geben. Dabei wurde die Brünner Straße mit der Öffnung der Grenzen zur verkehrsreichen Verbindung nach Tschechien, was der Wohnqualität der an der Straße gelegenen Bauten nicht gerade förderlich ist. Obendrein glänzt dieses auf Biegen und Brechen aus dem Boden gestampfte Areal in weiten Teilen durch die Abwesenheit jeglichen sinnvollen Städtebaus, ganz abgesehen davon, daß die baukünstlerische Qualität desaströs ist.

Und doch konnte man in den letzten Jahren die Entstehung eines Bauwerks beobachten, das Neugier provoziert. Es ist ein Wohnbau, der sich als 300 Meter langer Riegel rechts der Brünner Straße (stadtauswärts gesehen) entwickelt und der schon im Rohbau deutlich hat erkennen lassen, daß er sich von der 08/15-Architektur der Umgebung radikal unterscheidet.

Was man in der Rohbauphase von der Straße aus kaum mitbekommen hat: Das Projekt besteht nicht nur aus diesem Riegel mit einem herausgeschwenkten Kopfbau in Richtung Stadt und einem „Ausleger“ an der stadtabgewandten Seite - es schließt hinter der Abschirmung aus Kopfbau-Riegel-Ausleger auch einen freistehenden Kindergarten ein, außerdem - in zehn fast imrechten Winkel zum Riegel situierten Zeilen - Reihenhäuser, denen jeweils noch ein zusätzliches Wohngeschoß aufgesetzt ist.

Die gesamte Wohnhausanlage stammt von der Arbeitsgemeinschaft Reinberg-Treberspurg- Raith und wurde als „Niedrigenergiebau“ konzipiert. Es handelt sich um Wohnbauten, die über eine Be- und Entlüftungsanlage mit Wärmerückgewinnung und Vorwärmung der Frischluft verfügen und bei denen der Aspekt der passiven Sonnenenergienutzung besonders beachtet wurde. Die Intelligenz des Konzepts kann, gerade im Hinblick auf die problematische Lage an der Brünner Straße, wirklich überzeugen.

Vor allem die Wohnungen im Riegel profitieren von diesem Konzept. Es ist in Schichten gedacht, sodaß die Wohnungen soweit wie möglich zur ruhigen Hofseite hin orientiert sind. Die äußerste Schicht spielt sich dabei in der Fläche ab, denn sie besteht aus einem höchst signifikanten Rankgerüst.

Die zweite, schon deutlich „räumliche“ Schicht besteht aus breiten Laubengängen, die den Wohnungen Erschließungsfläche - und damit eine zusätzliche Pufferzone zwischen Straße und Wohnbereich - vorschalten. Eine dritte, wieder mehr flächige Schicht besteht in einer „Installationswand“, die alle Arten von Leitungen aufnimmt. Erst dahinter entwickelt sich das, was man individuellen Wohnraum nennt, wobei dem eigentlichen Wohnbereich noch eine Schicht vorgeschaltet ist - die Naßräume - und auf die Zone der Wohnräume eine weitere Schicht folgt, ein „Loggiengerüst“ mit nach Süden gedrehten Erkern.

Diese Wohnanlage hat wirklich Hand und Fuß und Kopf. Schon das städtebauliche Konzept ist sinnvoll: Der verdrehte Kopfbau an einem Ende des Riegels und der „Ausleger“ am anderen schirmen gemeinsam mit dem fünfgeschoßigen Riegel das dahinter liegende Areal optimal ab. Das einzige, was sich gegen die Anlage ins Treffen führen läßt, ist die Gestaltung der durchgrünten Freiflächen.

Daß das Rankgerüst an der Brünner Straße mit verschiedenen Kletterpflanzen probeweise begrünt wird, um herauszufinden, welche sich unter den konkreten Bedingungen am besten entwickeln, mag sinnvoll sein. Man kann darüber streiten, ob das für die Rankbögen über Wegen ebenfalls zutrifft. Nicht mehr streiten läßt sich über die monströsen, sündteuren „Designerbänke“. Gerade im Kontext dieser Architektur, der man eine gewisse Schärfe nicht absprechen kann, wirkt dieses gestalterische Chi-Chi abwegig.

Noch eine andere Kuriosität: Die Architekten haben in der Erdgeschoßzone ihres Kopfbaus einen Supermarkt eingeplant. Bei einer Wohnanlage mit 215 neuen Wohneinheiten und noch viel mehr längst bezogenen in den Bauten davor und gegenüber ist eine solche infrastrukturelle Maßnahme nicht überzogen. Dazu wurde hier, im Vor feld des Kindertagesheims, eine Tiefgarage mit 215 Stellplätzen situiert. Nur will sich jetzt kein Supermarkt finden, der hier Einzug halten würde. Man mag dagegenhalten, daß bei einer Anlage dieser Größenordnung nicht alles bis ins letzte Detail stimmen kann. Aber es ist für den Beobachter schwer nachzuvollziehen, warum es bei sorgfältiger Planung an manchen Punkten der Umsetzung hapert.

Der Kindergarten zum Beispiel ist als freistehender Baukörper konzipiert, mit dem Eingang an der Nordseite und einem zweigeschoßigen Wintergarten Richtung Süden. Von der Eingangshalle geht es zu zwei quadratischen Gruppenräumen und der Kleinkinderkrippe, das Obergeschoß ist durch eine interne und eine externe Stiege erschlossen. Die Details des Kindergartens sind liebevoll entwickelt. Besonders die differenzierte Belichtung der Räume wurde genau kalkuliert, den Gruppenräumen sind jeweils Rückzugsbereiche in Form von Nischen zugeordnet, man hat sich auf wenige Materialien - Holz, Putz, Linoleum, Fliesen, Glas - beschränkt. Und doch: Die in den Hauptraum integrierten Elemente wie Stiege, Galerie und Rutsche, allesamt aus Holz, wurden nicht so ausgeführt, wie es der Architekt gezeichnet hatte. Warum, weiß kein Mensch.

Die Wohnanlage von Reinberg- Treberspurg-Raith setzt dennoch Maßstäbe. Die verglasten Laubengänge im Riegel an der Brünner Straße funktionie-ren nicht nur als akustische und klimatische Pufferzone, sie sind auch großzügige räumliche Elemente. Und das zu den Reihenhauszeilen hin orientierte Loggiengerüst mit den nach Süden gewendeten Erkern stellt eine Erweiterung des Wohnbereichs dar. Klarerweise konnten die Wohnungen im Riegelbauwerk wegen der Nähe zum verkehrsreichen Straßenraum nicht querdurchlüftet werden. Das Energiekonzept ist daher gerade in dieser städtebaulichen Situation besonders berechtigt.

Im Kopfbau, der das architektonische Rufzeichen der Anlage darstellt, weil er sich dem aus der Stadt Kommenden schräg entgegenstellt, sind den Wohnungen Wintergärten vorgelagert. Auch die Reihenhäuser haben je einen zweigeschoßigen Verandenbereich. Nur die kleinen Wohnungen, die diesen Reihenhäusern übergestülpt worden sind, müssen sich mit einem schmalen Freiraumbescheiden. Es erscheint überflüssig, bei einer Wohnanlage, die inhaltliche Fragen so dezidiert in den Vordergrund stellt, auf den formalen Aspekt einzugehen. Aber zur Architektur gehört nun einmal die baukünstlerische Umsetzung. Unter diesem Vorzeichen betrachtet, kann besonders das Riegelbauwerk mit seiner zur Straße gekehrten Front überzeugen. Man liest „Rankgerüst“ und sieht in Gedanken eine ländliche Pseudoidylle vor sich. Dem ist mitnichten so! Dieses Wohnhaus gibt sich höchst städtisch, und in der seriellen Abfolge gleicher Elemente über eine so enorme Länge ist auch das Thema Geschwindigkeit ins Bild gesetzt.

Rote und blaue Akzente nach außen, gelbe in den Laubengängen: Das ausgetüftelte Farbkonzept ist nicht aufdringlich, aber doch ein Signal -ebenso die rigorose Einschränkung auf wenige Materialien. So zieht sich im Osten das Loggiengerüst aus Stahl beziehungsweise Stahlbeton-Fertigteilen über die volle Gebäudelänge, ohne die Größe des Bauwerks zu verharmlosen. Es gibt noch keine überprüfbaren Daten über den tatsächlichen Energiebedarf der Anlage, weil sie eben erst fertiggestellt worden ist. Aber die Investition in ein wohldurchdachtes Klimakonzept, das die Energiekosten beträchtlich reduzieren könnte, wird sicher Nachuntersuchungen unterzogen. Auf die Ergebnisse darf man gespannt sein.

Spectrum, Sa., 1996.05.11



verknüpfte Bauwerke
Wohnhausanlage Brünner Straße

27. April 1996Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Wer allzuviel auf einmal will

Kein Zweifel: Der Wiener U-Bahn-Bau ist in die Jahre gekommen. Die schlichte Modernität der „ersten Generation“ scheint verloren. Anläßlich der Eröffnung des neuen U6-Teilstücks: ein Vergleich.

Kein Zweifel: Der Wiener U-Bahn-Bau ist in die Jahre gekommen. Die schlichte Modernität der „ersten Generation“ scheint verloren. Anläßlich der Eröffnung des neuen U6-Teilstücks: ein Vergleich.

Anfang Mai ist es wieder soweit, ein neues Teilstück des Wiener U-Bahn-Netzes wird seiner Bestimmung übergeben. Es umfaßt sechs Stationen - Spittelau, Jägerstraße, Dresdner Straße, Handelskai, Neue Donau, Floridsdorf - und macht aus der U6 Wiens längste U-Bahn-Linie. 13 Bezirke sind nun miteinander verbunden, die Strecke ist 18 Kilometer lang, hat insgesamt 24 Stationen, und wer tatsächlich vom einen Ende zum anderen fahren will - also von Siebenhirten im Süden über die Donau bis nach Floridsdorf im Norden -, der wird das in Hinkunft in 36 Minuten schaffen. Soviel zur Statistik.

Ein solches Ereignis läßt sich auf verschiedene Weise betrachten. Zum Beispiel: retrospektiv. Kein Zweifel, der Wiener U-Bahn-Bau ist in die Jahre gekommen. Als die Architektengruppe U-Bahn - Wilhelm Holzbauer, Heinz Marschalek, Georg Ladstätter und Bert Gantar - vor 26 Jahren mit der Planung der U1 begann, da war auch die architektonische Corporate Identity dieser Verkehrsbauten noch in Ordnung. Und sie brachte dem Team keineswegs zu Unrecht viel Anerkennung und in der Folge sogar den Auftrag ein, die Stationsgebäude einer neuen Metrolinie in Vancouver zu planen. Aber inzwischen ist viel Zeit vergangen.

Wenn man die Stationsgebäude des Wiener U-Bahn-Netzes aus heutiger Sicht betrachtet, dann kommt man nicht darum herum, eine Verwässerung und Abschwächung des ursprünglichen Konzepts zu konstatieren. Bekanntlich verderben viele Köche den Brei. Und der Architektur der Wiener Stationsgebäude hat es nicht unbedingt genützt, daß der „Auftragskuchen“ mehr und mehr portioniert wurde, damit auch andere „zum Zug“ kommen. Der Architektur hat es aber auch nicht nur genützt, daß die Architektengruppe U-Bahn selbst irgendwann einmal - anläßlich der Planung der U3 - zur Einsicht gelangte, sie müsse das Ausgangskonzept ändern und sprachlich „aktualisieren“. Last, not least tut es Verkehrsbauwerken grundsätzlich nicht gut, wenn man allzuviel auf einmal von ihnen will.

Besonders für diesen letzten Aspekt liefert die Station Handelskai ein hervorragendes Beispiel. Sie wurde in eine Art städtebauliche Wüstenei gestellt. Vor Jahren gab es zwar allerhand Pläne, die dieses Gebiet aufgewertet hätten, aber nichts davon wird in absehbarer Zeit realisiert. Also: vorläufig keine Belebung des Viertels, auch keine städtebauliche Bereinigung des Areals, dafür aber eine von den Dimensionen her wirklich riesige Station in Verbindung mit allerlei baulichen Denkwürdigkeiten.

So groß ist die Station deshalb geworden, weil hier einerseits U-Bahn und S-Bahn parallel laufen und andererseits eine weitere S-Bahnlinie kreuzt. Damit nicht genug: Die Wiener Stadtpolitiker wollten gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe treffen. Und daher haben sie mit diesem Teilstück des U-Bahn-Baus auch den Anspruch verknüpft, das Fuß- und Radwegenetz über die Donau hinweg zu verlängern und zu vervollständigen. Wenn man schon eine U-Bahn-Brücke baut, so die Überlegung, dann ist der Mehraufwand für einen Steg, der Fußgängern und Radfahrern zugute kommt, verhältnismäßig gering.

So weit, so gut. Doch wo ist der Steg für Fußgänger und Radfahrer? Oben, auf Höhe der Bahnsteige. Und wo sind die Straßen, von denen Fußgänger und Radfahrer kommen oder zu denen sie wollen? Die sind natürlich unten, auf Bodenniveau. Es galt also einen Niveausprung zu bewältigen, und das hat auf-wendige bauliche Maßnahmen nach sich gezogen. Zusätzlich zur ohnehin gewaltigen Station gibt es daher noch runde, turmartige Rampenbauwerke, mit deren Hilfe das Gefälle sowohl von den Radfahrern als auch von Kinderwagen schiebenden Fußgängern in weitschweifigen Serpentinen überwunden werden kann.

U-Bahn und die parallele S-Bahnlinie sind im Bereich Handelskai in Hochlage geführt. Um der Sache mehr räumliche Spannung zu verleihen, verläuft die U-Bahn-Trasse dabei nicht exakt parallel zur Bahn, sondern schwingt sich in einer sanften Kurve an das Stationsgebäude heran. Das hat wiederum zur Folge, daß nicht nur unter den beiden Trassen „Restraum“ entsteht, sondern auch dazwischen. Überhaupt kommt es hier durch die Vielzahl der notwendigen baulichen Maßnahmen zu „Resträumen“ verschiedenster Art. Man hat sich zwar Mühe gegeben: Zwei solche Resträu-me wurden zum Beispiel mit jeweils drei Pappeln bepflanzt. Aber die Tatsache, daß hier ein unheimlich kompliziertes und überdimensioniertes Verkehrsbauwerk entstanden ist, die läßt sich nicht so leicht kaschieren. (Es scheint überhaupt ein Trend zu sein, daß die Stationsgebäude immer größer werden.)

Derzeit wird in den sechs neuen Stationen nach wie vor auf Hochtouren gearbeitet, und wenn man die Baustellen inspiziert, dann weiß man, daß bis zur Eröffnung am 4. Mai bestimmt nicht alles fertig sein wird. Aber immerhin, die Züge der U-Bahn fahren schon, wenn auch einstweilen nur im Probebetrieb. Eine Station, die fast in Sichtweite des Handelskais - nur die Donauinsel schiebt sich dazwischen - und ebenfalls in Hochlage errichtet wurde, liegt an der „Neuen Donau“. Sie steht auf der Eindeckung der Donauufer-Autobahn und enthält eine kleine, bescheidene EXPO-Reminiszenz in Form eines Parkplatzes: Hier hätte der EXPO-Shuttle seinen „Bahnhof“ haben sollen. Die Lage dieses Stationsgebäudes ist recht spektakulär: Man hat einen wundervollen Ausblick auf das Kleingartengebiet, auf die „Neue Donau“ und hinüber zur Donauinsel. Die Station „Neue Donau“ demonstriert alle Merkmale des aktuellen U-Bahn-Konzepts in Reinkultur: Die Primärkonstruktion ist ein Stahlbauskelett aus mächtigen Raumfachwerksträgern, die sowohl im Bereich der 115 Meter langen Seitenbahnsteige außen liegen (da sind sie am Bahnsteigtragwerk befestigt) als auch im Bereich des Aufnahmegebäudes (da stehen sie vor der Fassade). Im übrigen gibt es viel Glas.

Das Aufnahmegebäude liegt zentral, die Erschließung der Bahnsteige erfolgt jeweils über eine breite Stiege und durch einen 20-Personen-Lift, der rundum verglast ist, um das Sicherheitsrisiko zu minimieren. Das Paneelsystem an Wänden und Decke ist inzwischen bewährt und bekannt, ebenso das frei abgehängte Leitsystem. Die „Möblierung“ ist durchaus sinnvoll in Gruppen konzentriert und überaus solide. Man hat weder Kosten noch Mühen gescheut, um dieses Bauwerk und natürlich auch die Gestaltung der von den Bauarbeiten arg in Mitleidenschaft gezogenen Umgebung so auszuführen, daß sich darin ein materieller Qualitätsanspruch adäquat ausdrückt. Es ist keine Frage, daß es mit dieser sprachlichen Gestik zu tun haben muß, wenn die Wiener U-Bahn-Bauten nicht so sehr von Vandalismus und Schmierereien betroffen sind, wie man sie aus anderen Städten nur zu gut kennt.

Hier wurde nicht am falschen Platz gespart wie bei der U6-Süd, wo aus Kostengründen teilweise auf die Überdachung der Bahnsteige verzichtet wur-de; und hier sind auch die Leitungen nicht sichtbar und sperrig zwischen den Gleisen geführt, als gelte es, Zäune aufzurichten. Insofern stimmt alles. Freilich: Die schnittige Präzision der ersten Generation von U-Bahn-Bauten, die das Thema der Bewegung und Geschwindigkeit architektonisch aufgenommen haben - man denke an die U1-Station „Alte Donau“ -, die hat mittlerweile einer Art von Repräsentation Platz gemacht, die einem auch zuviel werden kann, weil sie einem heutigen Verkehrsbauwerk - im Gegensatz zu den Zeiten Otto Wagners - zumindest nicht in dieser Formentspricht.

Wenn man die Stationen „Alte Donau“ und „Neue Donau“ - und letztere ist die mit Abstand am besten gelungene des neuen Teilstückes - miteinander vergleicht, dann kommt es einem vor, als sei damals, beim Bau der U1, die Sprache der U-Bahn-Bauten eher auf der Höhe der Zeit gewesen, als sie es heute ist. Zumindest war sie selbstverständlicher und nicht ganz so eitel und prächtig. Damit soll der Wiener U-Bahn nichts Schlechtes nachgesagt sein. Das Grundkonzept hat sich längst als richtig erwiesen. Aber die eher schlichte Modernität der „ersten Generation“, die ist verloren.

Spectrum, Sa., 1996.04.27



verknüpfte Bauwerke
U6 Teilstück Spittelau - Floridsdorf

20. April 1996Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Die Freiheit der Bezüge

Offiziell firmieren Gustav Peichl und Roland Rainer als „Autoren“ des Neubaus neben der Wiener Secession. Freilich: Die Architektursprache verrät Rainer als bestimmende Kraft.

Offiziell firmieren Gustav Peichl und Roland Rainer als „Autoren“ des Neubaus neben der Wiener Secession. Freilich: Die Architektursprache verrät Rainer als bestimmende Kraft.

Wir haben versucht zu zeigen, was wir unter moderner Architektur verstehen." Roland Rainers Credo zum Thema „Bauen in der Altstadt“ hat weitgehend Gestalt angenommen, das Haus an der Ecke Friedrichstraße- Getreidemarkt wird Anfang Juni eröffnet. Der Bauplatz an der Grenze des ersten Bezirks verdankte sich ursprünglich dem U-Bahnbau: Weil darunter eine U-Bahntrasse verläuft, mußte die Stadt Wien das Grundstück erwerben, und das alte Haus, das darauf stand (übrigens mit dem legendären Gasthaus „Zum Grenadier“, in dem Holzmeister und Wotruba gern gesehene Gäste waren), wurde abgerissen.

Das Grundstück blieb viele Jahre leer, bis unter Bürgermeister Zilk daraus ein Geburtstagspräsent wurde: Die Stadt Wien schenkte den prominenten Bauplatz der benachbarten Akademie der bildenden Künste zu deren 300. Geburtstag, wobei es der Akademie freistand, wie und wofür sie ihn nutzen wollte. Sie hätte dort selbst bauen können, sie durfte ihn aber auch verkaufen. Letzteres ist dann geschehen - eine Bank und ein privater Investor teilen sich nun in den Besitz -, und mit der Kaufsumme wurde der Erwerb von akademieeigenen Ausstellungsräumen und den neuen Räumen für das Kupferstichkabinett finanziert.

Aber das ist schon der letzte Stand. Davor gab es noch eine Phase, in der die Akademie das Haus mehr oder weniger allein nutzen wollte, und in dieser Phase wurden Roland Rainer und Gustav Peichl beauftragt, ein erstes Projekt zu entwickeln, das allerdings nur sehr schwer finanzierbar gewesen wäre. Übrigens firmieren offiziell auch beim jetzt realisierten Projekt Rainer und Peichl als „Autoren“; andererseits - so Roland Rainer - „wurde das gesamte Gebäude bis ins letzte Detail in meinem Büro gezeichnet“. Und das sieht man dem Haus auch an: Es ist architektursprachlich so formuliert, daß man es Roland Rainer zuordnen muß.

Worum geht es? Um ein Haus, das letztlich die Grenze der Wiener Innenstadt markiert, das dem über die Westeinfahrt nach Wien Kommenden ein Signal entgegenmorst, das der „Gegend“ des Karlsplatzes gegenübertritt und die Nachbarschaft zu Secession und Akademie pflegt. Es geht aber auch darum, sehr Verschiedenes unter einem Dach zu vereinen: Auf der Erdgeschoßebene sind kommerzielle Nutzungen angesiedelt - es gibt eine Geschäftspassage, die von der Akademieseite zur Friedrichstraße und zum Karlsplatz führt; hier ist auch der U- Bahnabgang ins Gebäude integriert, und auf einem gedeckten Vorplatz werden gleich drei gastronomische Einrichtungen zu finden sein.

Auf der Ebene des ersten Obergeschoßes - eingeschlossen ein Zwischengeschoß - ist die kulturelle Nutzung durch die Akademie angesiedelt, darüber, auf vier Geschoße verteilt, befinden sich Büros - und ganz oben noch zwei Wohngeschoße, wobei das letzte zurückversetzt ist, sodaß den Wohnungen Terrassen vorgelagert werden konnten.

Es gehört zu Roland Rainers Credo vom „Bauen in der Altstadt“, vom „Bauen in der Großstadt“ und vom „Bauen für die postindustrielle Gesellschaft“, daß sich diese unterschiedlichen Funktionen nach außen sichtbar ausdrücken. Daher war Rainer an der Basis Schwere wichtig, darüber sollte es leicht sein, schweben, und ganz oben kam es darauf an, die Masse des Bauwerks zu relativieren. Diese Nutzungsvorgaben im Verein mit dem spezifischen Standort führten zu einer Fassadenlösung, die Einheitlichkeit bewußt vermeidet. Unten: Steinverkleidungen in Granit, im Arkadenbereich in schwarzem Labrador; darüber ein durchgehendes, schmales Fensterband, das wie ein dunkler Schlitz wirkt und von dem sich der „schwebende“ Kubus des Bürokomplexes mit seiner Haut aus Glas deutlich absetzt.

Bei dieser Fassade handelt es sich um gebrochen grün unterlegte Glasflächen, die durch Fensterbänder mit vorgeschalteten Glasschuppen zum Schutz gegen Schmutz, Staub und Lärm eine horizontale Gliederung erfahren. Die beiden Wohngeschoße heben sich davon durch stark individualisierte Fensterlösungen, durch Loggien und Terrassen ab.

Man sieht, wie sich Roland Rainer ein Haus im großstädtischen Bereich vorstellt. Und man sieht - vis-à-vis von Secession und Akademie - den Unterschied von 100 Jahren. Es gibt keine Achsen, keine Symmetrie, das Haus ist kein Solitär und auch nicht in sich abgeschlossen. Es nimmt Bezüge auf und verwirklicht einen Lieblingsgedanken Rainers: Es setzt die Grenze zwischen öffentlichem Raum und Bauwerk außer Kraft. Das geschieht Richtung Karlsplatz durch die gedeckte Piazza mit dem U-Bahnabgang, es geschieht durch den Arkadengang um die Ecke zum Getreidemarkt. Und an der Seite zur Akademie, wo die Geschäftspassage für eine direkte Verbindung Richtung Karlsplatz sorgt und der Zugang zur „Kulturebene“ liegt, da geschieht es durch einen - über eine Freitreppe erschlossenen - gedeckten Vorplatz im ersten Obergeschoß. Über diesen Vorbereich geht es, an den Garderoben vorbei und unter der Brückenverbindung zum Kupferstichkabinett durch, in die große, zweigeschoßige Ausstellungshalle. Dort bemerkt man zunächst einige Säulen, die zum Teil statische Notwendigkeit waren, zum Teil auch die Ableitungen des Büro- und Wohnkomplexes enthalten. Und es fällt eine schöne Oberlichtverglasung auf, durch die man jetzt noch den „Hof“ darüber sehen kann; später, wenn hier der Ausstellungsbetrieb aufgenommen ist, wird diese Verglasung abgedeckt.

Der von der Akademieseite bis zum Karlsplatz durchgehende Raum hat imposante Dimensionen. Er ist trotzdem nicht bloß eine Schachtel für die Präsentation von Kunst, denn er hat Nischen und niedrigere Raumteile, es gibt eine Galerie - auf die man über eine transparente Holztreppe kommt -, und vor allem gibt es sorgsam inszenierte Bezüge zur Umgebung: zur Karlskirche, zum Naschmarkt, zur Secession, zur Akademie. Die Glasflächen sind in die massiven Wände minuziös hineinkomponiert, sodaß die verschiedenen Öffnungen für jeden Ausblick maßgeschneidert erscheinen, aber immer noch reichlich Wandfläche für die Präsentation von Bildern vorhanden ist.

Durch eine der Glasflächen hat man einen besonders schönen Blick auf die Secession. Von dort ist sie fast schon zum Angreifen nahe. Und tatsächlich hat Roland Rainer ja früher einmal ein Konzept entwickelt, das den Verkehr, der jetzt zwischen Secession und dem neuen Akademiehaus so reichlich fließt, endgültig verbannt. Statt dessen sollte eine verkehrsfreie Piazza zwischen den beiden Häusern vermitteln. Nun, dieses Konzept wird so bald nicht Wirklichkeit werden, die Fußgängerzone zwischen Akademie und dem neuen Haus wird es hingegen bald. Und man darf annehmen, daß viele, die vom Schillerplatz kommen und Richtung Karlsplatz oder U-Bahn streben, die Möglichkeit der Abkürzung durch die Geschäftspassage zu schätzen wissen.

Das Haus hat 300 Millionen Schilling gekostet, das ist keineswegs besonders viel. Rainer hat sich auch relative Zurückhaltung auferlegt, denn es gibt nur eine sehr begrenzte Anzahl unterschiedlicher, dabei keinesfalls luxuriöser Materialien - Glas (durchsichtig und unterlegt), Stein (Granit und Labrador), Metall (Stahl und Aluminium), Sichtbeton und im Innenausbau wenig Holz.

Das Haus - so will es der Architekt, und so soll es wohl auch sein - artikuliert seinen großstädtischen Anspruch in aller Deutlichkeit. Nur: Was sich heute gelegentlich großstädtisch aufplustert, ist eines, was Roland Rainer darunter versteht, etwas anderes: Lebendigkeit, Offenheit, der Kontrast zwischen Schwere und Leichtigkeit, das gewichtslose Schweben, der Bruch mit der Symmetrie - und daß sich die architektonische Rede nicht am überholten (hermetisch verschlossenen) Solitär festmacht, sondern an der freien und freiwilligen Bezugnahme auf das städtische Umfeld; das könnte man als die Quintessenz dieses Statements von Roland Rainer bezeichnen.

Spectrum, Sa., 1996.04.20



verknüpfte Bauwerke
Akademiehof Karlsplatz

30. März 1996Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Der Sieg über das Satteldach

Nobel und unspektakulär steht sie da, die Musterwohnhausanlage von Helmut Christen in St.Pölten - realisiert gegen den ursprünglichen Widerstand der Bauträger. Chronik eines Langzeitprojekts.

Nobel und unspektakulär steht sie da, die Musterwohnhausanlage von Helmut Christen in St.Pölten - realisiert gegen den ursprünglichen Widerstand der Bauträger. Chronik eines Langzeitprojekts.

Man kann über die niederösterreichischen Bauaktivitäten vieles sagen, aber sicher nicht, daß der Wohnbau ein architektonisch relevantes Thema sei. Die Satteldachwirklichkeit läßt sich nicht wegzaubern. Das hat auch Architekt Helmut Christen vom Wiener „Atelier in der Schönbrunner Straße“ zu spüren bekommen, als es um die Realisierung einer Musterwohnhausanlage in St. Pölten ging. Christen hat den zweistufigen, landesweit offenen Wettbewerb für diese Wohnanlage im Frühsommer 1992 für sich entschieden. Nur war damit noch nichts gesagt: Denn erst danach, im Kampf um die möglichst ungeschmälerte Realisierung, nahm das Leiden für Architekt und Mitarbeiter so richtig seinen Anfang.

Die erste Runde ging an die Bauträger: Ursprünglich waren es vier, weil die Tiefgarage aber einem Parkplatz weichen mußte, reduzierten sich auch der Baugrund und in der Folge die Anzahl der Bauträger - am Ende waren derer nur noch drei. Und alle drei erklärten unisono: Das ist sehr schön, Herr Architekt, was Sie da geplant haben - aber bauen kann man das natürlich nicht.

Was ist es, was man so gar nicht bauen kann? Es ist eine Wohnanlage auf der grünen Wiese, die in ihrer endgültigen Form 147 Wohnungen umfaßt, davon 40 Apartments, in einem städtebaulich als Rückgrat der Anlage ausgebildeten Block, und 107 Wohnungen - zwischen 50 und 90 Quadratmetern. Was die Bauträger am meisten schockierte: Die Häuser haben keine Satteldächer, sondern Flachdächer, außerdem erreicht Christen durch das Herauslösen der Stiegenhäuser aus seinen Wohneinheiten eine lebendige Gliederung.

Christen zielte auf zweierlei: Erstens sollten alle Wohnungen gleichwertig sein; das wurde durch die konsequente Ost-West-Orientierung erreicht. Die Eingangsbereiche und Schlafräume sind stets im Osten gelegen, nach Westen orientieren sich die individuellen Freiräume und die Wohnbereiche. Zweitens sollte es, auch als Gegensatz zur Gleichwertigkeit der Wohnungen, eine Differenzierung in der Bedeutung der Freiflächen im Siedlungskörper geben. Christen macht die Aufschließung sichtbar: wie einer nach Hause kommt, weggeht, den Kinderwagen vor der Tür abstellt. Der Grundgedanke war, daß durch die Darstellung solcher Funktionen in den Gassenräumen der Siedlung Leben und Kommunikation entstehen könnten.

Christen relativierte den reinen architektonischen Raum, wie er zwischen den rhythmisierten Einzelgebäuden besteht, zu einer Art kollektivem Wahrnehmungsraum. Man müßte viel ausführlicher vom Entstehungsprozeß dieser Anlage reden: davon, daß mehr als ein Jahr über Wohnungsgrundrisse und Materialien diskutiert wurde; davon, daß eine eigene Errichtungsgesellschaft gegründet werden mußte, weil klar war, daß die Wohnbauträger, auf sich gestellt, das Projekt zu Fall bringen würden; davon schließlich, daß am Ende der pensionierte Landeshauptmann Siegfried Ludwig zum Repräsentanten des größten Wohnbauträgers mutierte und in dieser Eigenschaft die Realisierung forcierte, indem er ultimativ auf einem Entweder-Oder bestand.

Man glaubt all das kaum, wenn man St. Pöltens Musterwohnhausanlage jetzt betrachtet - sie gibt sich so nobel und unspektakulär, so gar nicht laut oder aufdringlich. Der Hauptzugangssituation in die Anlage ist ein signifikantes, zweigeschoßiges Parkdeck vorgeschoben, das nur durch ein transparentes Flugdach gedeckt ist: Nachdem die Tiefgarage gefallen war, mußten 150 Parkplätze geschaffen werden. Christen: „Die Gefahr war groß, daß das Ganze zum Parkplatz mit Häusern wird.“ Ein Großteil der Autos ist nun wirklich auf einem Parkplatz untergebracht, der kleinere Teil steht im zweigeschoßigen Parkdeck.

Gleich hinter diesem öffnet sich eine der Gassen, die Christen als Wegesystem durch seine Anlage gelegt hat. Sie führt entlang des Rückgrats dieser Siedlung: Es ist der Apartmentblock, der massiv dasteht, nur durch drei Einschnitte gegliedert. Christen hat sich für eine Laubengangerschließung entschieden. Und er hat die Erdgeschoßzone des Apartmentblocks frei gelassen. Im Wettbewerb wurde diese Zone noch als „überdachter Marktplatz“ tituliert; damals wurden für ihre Nutzung eine Sauna, ein Café und ein Kinderhäuschen vorgeschlagen. Nichts davon wurde realisiert, aber die baulichen Vorkehrungen dafür wurden getroffen, sodaß die Mieter einen Entwicklungsspielraum vorfinden, den sie nach Belieben nützen können. Rechter Hand vom Apartmentblock öffnet sich der gedeckte Marktplatz auf einen dreieckigen grünen Platz, der prädestiniert ist als Spielfläche für Kinder.

Der Apartmentblock ist nicht exakt in der Mitte in die Anlage hineingeschoben, sondern asymmetrisch. So ergeben sich links und rechts davon unterschiedlich ausgedehnte Wohnhausformationen, die durch die offenen Stiegenhäuser, die betonten Eingangssituationen und die deutlich erkennbaren Freiflächen, die jeder Wohnung zugeordnet sind, eine spezielle Charakteristik erhalten.

Ursprünglich war jeder Wohnung ein Freibereich zugeordnet, doch dann kam es in Niederösterreich zu einer Änderung der Wohnbauförderung, sodaß die 110-Quadratmeter-Wohnungen, die Christen teilweise vorgesehen hatte, nicht mehr finanzierbar waren. Man teilte die Wohneinheiten jeweils in eine Wohnung mit zirka 70 und eine „Einliegerwohnung“ mit etwa 50 Quadratmetern, wobei letztere keine Freiflächen hat. Wichtig ist, daß die angebotenen Freiflächen auch sinnvoll genutzt werden können. So ein Mietergarten in der Erdgeschoßzone ist zwischen 40 und 50, eine Terrasse 25 bis 30 Quadratmeter groß. Die Mieter sind im Spätherbst oder Winter in die Anlage eingezogen. Viele von ihnen kommen aus Wien oder jedenfalls aus einem herkömmlichen Geschoßwohnungsbau, in dem der Hausmeister für einen schneefreien Gehsteig zu sorgen hat. Die offenen Stiegenhäuser müssen vom Schnee gereinigt werden, aber den Hausmeister, der den Bewohnern diese Arbeit abnehmen würde, gibt es hier nicht. Es ist wirklich wie auf dem Land: Dort schaufelt auch jeder vor seiner eigenen Tür.

Aus architektonischer Sicht vermitteln die Häuser in mehrfacher Hinsicht einen angenehmen Eindruck: Erstens scheinen sie modulartig aufgebaut und nach oben „ausgedünnt“; das legt die Vermutung nahe, die Häuser könnten in Skelettbauweise errichtet sein. Tatsächlich war es ursprünglich so gedacht; doch die Ziegellobby ist hierzulande unschlagbar. So bestehen die Häuser jetzt aus 25 Zentimeter starkem Hohlblockmauerwerk. Ein zweiter Aspekt, der die Häuser angenehm erscheinen läßt, ist die beschränkte Materialvielfalt. Das fängt damit an, daß Christen hauptsächlich „Nichtfarben“ wie Weiß und Grau verwendet hat - außer in den Einschnitten des Apartmentblocks, wo auch Rot und Gelb auftauchen, und bei den Beschriftungen.

Sonst sieht man nicht viel mehr als Holz (an den Fenstern, als Belag auf den Terrassen, als Abgrenzung bei den Vorgärten), Glas und verzinktes Metall. Christens Wohnanlage ist dabei nicht minimalistisch, sie ist auch nicht puristisch. Aber sie bleibt bei der Sache.

Bei einer internen Besprechung mit seinen Mitarbeitern, erzählt Christen, sei man zum Resümee gekommen, daß man sich gut geschlagen habe: An die 95 Prozent der Zielvorstellungen seien verwirklicht worden. Außerdem habe das Büro eine Menge gelernt, zum Beispiel, wie man argumentativ gegen Vorurteile ankämpft.

Als distanzierter Beobachter tut man sich mit solchen Einsichten schwer. Man tut sich überhaupt schwer mit dem Verhalten gewisser Bauträger und fragt sich: Leben die eigentlich auf dem Mond? Wieso kann eine Wohnanlage wie die von Christen geplante zu einem derartigen Langzeitprojekt werden? Warum kann einer allen Ernstes sagen: Das ist ja sehr schön, was Sie da geplant haben, Herr Architekt, aber daß es nicht baubar ist, wissen Sie schon?!

Schauen sich Bauträger eigentlich manchmal Architekturzeitschriften an, informieren sie sich an Ort und Stelle darüber, was anderswo gebaut wird? Es bleibt zu vermuten, daß sie es nicht tun. Sonst wäre ein so absurdes Verhalten gegenüber einer absolut nicht modischen, substantiell auf die Wohnqualität hin entwickelten Architektur schwer vorstellbar. Oder ist es denkbar, daß heute jemand argumentiert, man dürfe Wohnhäuser ohne Satteldach nicht bauen?

So wird es in Wahrheit natürlich nie ausgedrückt, die Argumentationen sind viel subtiler. Trotzdem laufen sie darauf hinaus, daß ein Haus mit Flachdach und offenem Stiegenhaus nicht baubar ist. Christen hat sich mit keiner gängigen Architekturmode, er hat sich nicht mit dem Zeitgeist gemein gemacht. Er hat klar und rigoros die Schwerpunkte der Planung für sich festgelegt. Über sein Prinzip, daß alle Wohnungen gleichwertig sein müssen, könnte man streiten. Andererseits kann man dem Architekten auch wieder folgen, wenn er sagt: Wer in eine solche Wohnanlage zieht, erwartet sich, daß seine Wohnung nicht schlechter ist als jene des Nachbarn. Da ist etwas dran.

Im übrigen: Gar nicht weit entfernt von Helmut Christens Wohnanlage entsteht gerade eine zweite „Musterwohnanlage“ - von den Vorarlberger Architekten Carlo Baumschlager und Dietmar Eberle. Sie wächst in rasantem Tempo vor sich hin. Vielleicht sind - allen gegenteiligen Vermutungen zum Trotz - sogar Bauträger lernfähig?

Spectrum, Sa., 1996.03.30



verknüpfte Bauwerke
Musterwohnhausanlage

09. März 1996Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Lernen in der schönsten Blüte

Eine Sonnenblume als Schule: Klasse in Blütenblättern, Höfe und Gassen dazwischen. Zvi Hecker hat dieses kleine Wunderwerk in Berlin errichtet. Ein architektonisches Abenteuer von Seltenheitswert.

Eine Sonnenblume als Schule: Klasse in Blütenblättern, Höfe und Gassen dazwischen. Zvi Hecker hat dieses kleine Wunderwerk in Berlin errichtet. Ein architektonisches Abenteuer von Seltenheitswert.

Peter Cook erscheint es „ungeheuer wohltuend zu sehen, wie alle diese verklemmten Kritiker um die passende Kategorisierung“ des Schaffens von Zvi Hecker bemüht sind. Ihr angestrengtes Fragen, ob diese Architektur nun deutsch, jüdisch, geometrisch, dekonstruktivistisch, soziozentrisch, zersetzend, anarchisch oder vielleicht vom Mars sei, läßt den Briten mit der spitzen Feder verbale Kapriolen schlagen. Und tatsächlich: Die Architektur dieses israelischen Architekten gibt einem einiges aufzulösen.

Es geht um eine simple Schule, die in Wirklichkeit gleich in zweifacher Hinsicht ganz und gar nicht simpel ist. Erstens, weil sie architektonisch etwas so Außergewöhnliches verkörpert, zweitens, weil es sich umeine jüdische Grundschule handelt - die erste, die in Berlin gebaut wurde, seit die Nationalsozialisten die jüdischen Schulen geschlossen haben. Und man kommt nicht umhin, diese spezifische Bedeutung des Baus noch heute zur Kenntnis zu nehmen: Bewacher rundherum, ein hermetisch verriegelter Zugang, fünf Zentimeter dicke, kugelsichere Glasscheiben bei Türen und Fenstern.

Zvi Heckers , am Rande des Grunewalds, auf einem schönen, baumbestandenen Gelände. Schon beim Eingangsbereich grüßt ein abstraktes Signal: „Löcher“ in einer Betonscheibe, die sich schwungvoll um eine Mitte zu bewegen scheinen. Entziffern kann dieses Signal wohl nur, wer um die künstlerischen Obsessionen des Architekten weiß, der in Israel ein Spiralhaus gebaut hat, über eine Wohnanlage in der imaginierten Form von „Berliner Bergen“ nachdenkt und seine Schule als gebaute Transformation einer Sonnenblume bezeichnet.

Ein Haus wie eine Sonnenblume, eine Sonnenblume wie ein verschachtelter Komplex von Baukörpern, durch die sich eine Schlange (die Erschließungsgänge) windet, die an einer Stelle einen Berg berührt - eine kleine, autonome Stadt, gemacht für kleine, neugierige und abenteuerlustige Städter. Hekker sagt zwar von seiner Schule, daß sie nicht groß sei. Aber wer dieses Gebäude kennt, gewinnt den gegenteiligen Eindruck.

Das hängt damit zusammen, daß die verschiedenen Funktionen des Hauses auseinanderdividiert sind, daß sie in der Breite beziehungsweise im Kreis eines zur Straße hin ein wenig abge-blätterten Blütenblattstandes arrangiert scheinen. Zwischen diesen schwungvoll gekrümmten, spitzwinkligen Blütenblättern lassen sich Höfe, Gassen, Schluchten entdecken und völlig neue, gewandelte Bilder der Architektur.

Es sind sechs separate Baukörper, die eine als Platz formulierte Mitte umkreisen und durch einen wild geschlängelten Erschließungsgang miteinander verbunden sind. Die einzelnen Baukörper scheinen auf dieser silbrig glänzenden Schlange - sie hat eine Haut aus Trapezblech -aufgefädelt zu sein, sie dringt in die Körper auf der einen Seite ein und kommt auf der anderen wieder heraus, und so geht es einmal fast rundum.

Das von außen sichtbare Resultat dieses Konzepts ist dramatisch. Vor- und Rücksprünge, Durchdringungen, Überschneidungen bilden sich ab, frappierende Nähe, dann wieder Zwischenraum, der schon reizvoller Raum ist. Hecker hat rohen Beton, Trapezblech, weißen Putz und einiges mehr an den Fassaden kollidieren lassen, immer wieder unterbrochen von den rotbraunen, plastisch ausgebildeten Fenstern und Türen.

Im Haus selbst: Klassenzimmer - mit angeschlossenen Freizeiträumen, weil es sich um eine Ganztagsschule handelt -, von denen keines dem anderen gleicht; ein Veranstaltungssaal - er kann auch als Synagoge dienen - in der Form einer Geige; ein räumlich extrem zugeschnittener Medienraum; ein Turnsaal, der unter Niveau abgesenkt ist und auf einen ebenfalls abgesenkten Freibereich hinausführt; ein Speisesaal mit angrenzender koscherer Küche. Überhaupt ist es eine sehr gut ausgestaltete Schule - eine jüdische Schule, die aber offen ist für Schüler anderer Konfessionen.

Zvi Heckers architektonischer Ansatz ist zweifellos extrem. Hecker ist kein Architekt, der Konfektion auch nur in Erwägung ziehen, auch keiner, der sich mit der Wiederholung einer einmal entwickelten Lösung begnügen würde. Seine Architektur erscheint vor dem Hintergrund des aktuellen Baugeschehens als ein gedankliches, ein künstlerisches Abenteuer, das mit unerhörter Konsequenz vorangetrieben wird. Seine Architektur ist die Ausnahme von der gebauen Regel.

Das Haus ist gewissermaßen eine räumliche Skulptur. Und wenn man es mit Hecker selbst besichtigt, ist er es, der einen auf so manche Ungereimtheit aufmerksam macht: „Das ist ein Fenster zum Studium des Korrosionsprozesses“, sagt er mit trockenem Humor über eine Situation, in der Schlange und Baukörper beinahe kollidieren. Hecker reagiert gelassen, wenn man ihn auf die unglaubliche Qualität des rohen Betons anspricht. Nein, den Preis für Sichtbeton habe man sich nicht geleistet. Aber nicht aus Geiz, sondern weil rasch klar wurde, daß die beauftragte Firma nicht in der Lage war, Sichtbeton in einer Qualität zu liefern, die den entsprechenden Aufpreis gerechtfertigt hätte.

Heckers Entscheidung fiel radikal aus: dann eben nur ganz gewöhnlicher Beton, dessen Oberfläche man allerdings in ihrer ganzen Unvollkommenheit sieht. Er ist wirklich so roh und ungeschönt, daß er Bände spricht. Eine Erzählung handelt davon, daß nicht alles, was heutzutage baulich hochgezogen wird, von Maschinen hergestellt werden kann; hier ist die Rede von menschlicher Handarbeit mit all ihren Unzulänglichkeiten. Tatsächlich geht man stellenweise unter den Betondecken durch wie unter einem tachistischen Kunstwerk, in das sich der Rost der Eisenbewehrung für alle Zeiten eingeschrieben hat. Zvi Hecker: „Architekten tun sich in der Regel schwer damit, Künstler weniger.“

Natürlich ist eine solche Architektur nicht zu verallgemeinern. Hecker ringt um eine Baukunst jenseits modischer Aktualitäten, die getragen ist von subjektiven Obsessionen, dabei aber doch Nutzungsansprüchen genügt. Es braucht Zeit, bis man sich in diesem Bauwerk zurechtfindet, und ein Bewußtsein der Möglichkeiten des Besonderen in der Architektur, um sich generell damit anzufreunden.

Gerade weil es der erste jüdische Bau nach so langer Zeit in Berlin ist, waren alle Beteiligten bereit, ein architektonisches, baukünstlerisches Risiko einzugehen - allerdings nur mit Abstrichen: Hecker mußte überarbeiten, verändern, nicht zuletzt um den rigorosen Baubestimmungen einigermaßen zu entsprechen. Im Martin-Gropius-Bau war kürzlich eine Ausstellung zu sehen, die den Prozeß der Entstehung dieser Schule und die verschiedenen Planungsphasen dokumentierte: Bände von Tagebüchern, in denen die gedanklichen Kreise Heckers um seinen Schulbau verzeichnet sind, verschiedene Modelle, Photographien.

Fast zeitgleich mit der Eröffnung des Hauses ist im Wasmuth Verlag, Tübingen, ein Buch über die Schule erschienen. Es enthält nicht nur Material zur Architektur, sondern gibt auch Aufschluß darüber, welche Bedeutung diesem Gebäude in der deutschen Metropole beigemessen wird. Doch das spannendste Ereignis bleibt die Architektur. In der heutigen Zeit ist es immer aufregend, wenn jemand die Kraft aufbringt, die geltenden Regeln - Kosten, Nutzen, Funktionalität, Effizienz - zu durchbrechen und auf der Seite zu agieren, wo Bauen noch etwas mit echter, authentischer Kunst zu tun hat, wo Bauwerke noch abenteuerliche, nie zuvor gesehene Räume eröffnen und wo es um die außergewöhnliche Erfahrung der Begegnung mit der Kunst des Raumes geht. Man mag sich der Architektur noch so pragmatisch annähern, irgendwo gibt es ihn doch, diesen Qualitätshorizont jenseits des Herkömmlichen.

Wenn es jemandem gelingt, auf dieser anderen Seite zu agieren, dann gilt nichts mehr, was man sonst an Maßstäben anlegt. Merkwürdig und denkwürdig dabei ist, daß auf dieser Ebene die innovative technologische, konstruktive Leistung, die eher meßbar ist, nicht höher rangiert als der individuelle künstlerische Ausdruck, mag dieser noch so traditionell, so handgestrickt realisiert sein. Es ist wie mit dem Bild, der Skulptur und dem medialen, interaktiven Konzept: Letzteres mag ein intellektuelles Spektakel sein - Francis Bacon hat seine Bilder im Vergleich dazu herkömmlich produziert; trotzdem werfen sie einen um. Mit der Architektur von Zvi Hecker ist es nicht anders.

Spectrum, Sa., 1996.03.09



verknüpfte Bauwerke
Heinz-Galinski-Schule

17. Februar 1996Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Kautschuk und Sichtkontakt

Wie zeitgemäß darf die Architektur eines Bauwerks der Gemeinde Wien sein? Markus Geiswinklers Kindergarten im Stadterweiterungsgebiet Brünner-Straße-Ost: ein Nachruf auf eine bessere Vergangenheit?

Wie zeitgemäß darf die Architektur eines Bauwerks der Gemeinde Wien sein? Markus Geiswinklers Kindergarten im Stadterweiterungsgebiet Brünner-Straße-Ost: ein Nachruf auf eine bessere Vergangenheit?

Wie zeitgemäß darf die Architektur eines Bauwerks sein, das im Auftrag der Gemeinde Wien geplant wird? Die Frage stellt sich neuerdings mit unangenehmer Dringlichkeit: im Bereich des Schulbaus, aber auch bei den Kindergärten. Verglasungen? Womöglich geklebt? Leichtbauweise? Vorfertigung? Beton? Oh nein, all das kann, darf und soll in Wien künftig nicht mehr sein. Hier haben Glasscheiben von dicken Rahmen gehalten zu werden und Wände aus Ziegeln gemauert zu sein.

Unter diesen Vorzeichen betrachtet, nimmt sich der gerade fertiggestellte Bauteil eins eines Kindergartens im 21. Bezirk als architektonischer Nachruf auf eine bessere Vergangenheit aus. Geplant wurde das Bauwerk von Markus Geiswinkler. Er zählt zu den wenigen Vertretern einer jüngeren Wiener Architektengeneration, die das Glück haben, gelegentlich zumBauen zu kommen, obwohl sie erfrischend transparente, leichte Architekturvorstellungen haben - und nicht massiv geziegelte. In diesem Sinn ist auch Geiswinklers Mehrzwecksaal im Hof des Bezirksamts von Favoriten sofort aufgefallen.

Genauso verhält es sich nun beim neuen Kindergarten. Dieser gehört zum großen Stadterweiterungsgebiet Brünner-Straße-Ost, liegt aber an der rückwärtigen Kante der Bebauung. Das bedeutet für ein ambitioniertes architektonisches Unternehmen an sich nichts Gutes, denn die neue Wohnbebauung rundherum ist ein baukünstlerischer Schandfleck von Wien. Wettgemacht wird die Misere nur durch die schöne Lage am Marchfeldkanal.

Jedenfalls soll der Kindergarten einmal acht Gruppen- und zwei Bewegungsräume umfassen, aber weil zu Beginn der Planung ein fünf Meter breiter Streifen des vorgesehenen Areals noch nicht im Besitz der Gemeinde Wien war, mußte das Bauwerk so geteilt werden, daß der jetzt bezogene Bauteil gegebenenfalls auch allein stehen könnte.

Von außen und von der Straße aus betrachtet, ist das ebener- Haus von fast strenger Schlichtheit und Modernität. Die Glasflächen sind nicht einmal besonders groß, die Wände aus Beton, nur ein Rundumlauf aus Holzbohlen im Dachbereich könnte einem wie ein materialmäßiger und ästhetischer Bruch des Gesamtbildes erscheinen. In einem verglasten Einschnitt in dieser Südfassade führt eine gewendelte Metallstiege, offenkundig ein Industrieprodukt, zum Dach hinauf, was irgendwie neugierig macht.

Die östliche Ecke des Bau- werks ist besonders formuliert. Hier geht es zum Eingang über einen überdachten Vorplatz hinweg, der einen deutlich ins Gebäude hineinzieht, weil der Kautschukboden, der auch in der großzügigen Erschließungshalle liegt, bis hier heraus verlegt ist. Unter dem Vordach: drei Stützen, von denen die beiden leicht schräg gestellten reine Zugstäbe sind, sodaß nur die senkrechte wirklich „trägt“. An der westlichen Gebäudeecke liegt der Bewegungsraum, der vorläufig, solange der zweite Bauteil nicht realisiert ist, als provisorische Heimstatt der allerkleinsten Kinder dient. Von hier gibt es an der Nordseite, über Rampen, einen direkten Ausgang in den Garten.

Die Nordseite öffnet sich mit ihrer großzügigen Verglasung zum Garten und zum Marchfeldkanal. An zwei Stellen sind überdachte Loggien in diese Fassade eingeschnitten. Geiswinkler hat für die Gruppenräume, die hier nebeneinander angeordnet sind, eine Leimbinderkonstruktion gewählt. Die drückt sich nach außen sichtbar aus, sorgt für einen schönen, geordneten, keinesfalls lauten Rhythmus und macht die Raumabfolge ablesbar. In der warmen Jahreszeit werden diese Gruppenbereiche für die Kinder wundervoll nutzbar sein, im Winter tröstet der Ausblick zum Grünufer des Marchfeldkanals.

In einer Ecke des Gartens steht ein recht spartanisches, ganz und gar nicht niedliches kleines Gebäude: Es wird einmal Gartenund Spielgeräte aufnehmen. Außerdem führt auch hier, an der Gartenseite, vom Dach ein direkter Abgang herunter. Die Geschichte mit dem Dach hat mit dem noch nicht realisierten Bauteil zu tun: Geiswinkler fand enge Platzverhältnisse vor. Aufgrund der vorgegebenen Baufluchtlinien war es ausgeschlossen, die acht Gruppen- und zwei Bewegungsräume mit all den Nebenräumen, die ein Kindergarten braucht, ebenerdig zu planen.

Für die Kinder wäre ein direkter Zugang zum Garten zwar am schönsten, aber es ging nun einmal nicht. Daher wird der zweite Bauteil zweigeschoßig sein. Die benachteiligten Kinder, deren Gruppenräume oben liegen, werden über eine kleine Brücke auf das Dach von Bauteil eins hinüberwechseln können und dort einen befestigten Spielplatz mit Sandkiste und eine richtige Wiese vorfinden.

Der Rundumlauf aus Holzbohlen, den man von der Straße aus sieht, hat mit dieser Lösung zu tun. Die Kinder können vom Obergeschoß von Bauteil zwei hinüber auf ihren eigenen Dachgarten; sie können von dort direkt in den Garten hinunter und über die Wendeltreppe direkt in die große Erschließungshalle bziehungsweise zum Bewegungsraum und wieder in den Garten. Diese geschickte Durchwegung des Hauses ist jetzt schon eine große Qualität; wenn der zweite Bauteil realisiert ist, wird sie für die Kinder ein spannendes Raumerlebnis sein.

Das Konzept dieses Bauwerks besticht durch seine unauffällige, aber irgendwie zwangsläufige Präzision. Die „dienenden“ Bereiche des Hauses sind zur Straße, zur Wohnbebauung, nach Süden orientiert. Dieser Teil ist in Massivbauweise - in Beton - ausgeführt. Die Gruppenräume mit der schönen Leimbinderkonstruktion, die eben diese Durchgängigkeit von innen nach außen möglich macht, schauen nach Norden.

Deshalb ist auch kein Sonnenschutz erforderlich, und der wunderbare Ausblick kommt voll zum Tragen. Und doch - auch eine kleine Besonderheit an diesem Konzept - liegen die Gruppenräume nicht vollständig im Schatten. Im Gegenteil: Betritt man sie an einem sonnigen Tag, ist man von der Lichtstimmung in diesen Räumen beeindruckt - und von den Sonnenstrahlen, die durch schmale Oberlichtbänder ganz oben und an der Südwand hereinfallen.

Kleinigkeiten fallen auf: wie durch die Verglasung des Einschnitts in der Südfassade, wo die Wendeltreppe ist, zusätzlich Licht ins Haus hereingeholt wird; oder wie in der Überdachung der beiden Loggien zum Garten zusätzlich ein Oberlicht plaziert ist. Höchst angenehm macht sich bemerkbar, daß nur wenige verschiedene Materialien in diesem Haus verwendet worden sind. Der graue Kautschukboden zieht sich durch alle Räume, bis hinaus auf den Vorplatz; eine Differenzierung gibt es insofern, als er in den stärker beanspruchten Bereichen, etwa der Erschließungshalle, genoppt und in den Gruppenräumen glatt ist.

Es gibt viel Glas in diesem Haus - übrigens auch solches, das „nur“ geklebt ist. Dadurch kommt eine Vielzahl von Durchblicksmöglichkeiten und Ausblicken hinaus zum Garten zustande, und das Gebäude ist lichtdurchflutet. Selbst in der zentralen Erschließungshalle, von der es links zu den Nebenräumen und rechts zu den Gruppenräumen geht, ist es hell. Das hat auch damit zu tun, daß alle Wände zu dieser Halle Oberlichten haben. Sichtkontakt besteht außerdem zwischen den einzelnen Gruppenräumen. Sie sind durch Leichtbauwände voneinander abgetrennt, aber durch eine auf die kindliche Augenhöhe abgestimmte Verglasung wieder miteinander verbunden.

Natürlich konfrontiert die heutige Pädagogik den Architekten, gerade wenn es um sehr kleine Kinder geht, mit einem scheinbar unumstößlichen Anforderungsprogramm. Für den Nichtpädagogen ist schwer nachvollziehbar, warum zum Beispiel ein Gruppenraum nicht in erster Linie großzügig sein und Raum zum Spielen bieten soll, sondern unbedingt Nischen haben muß. Geiswinkler hat sich diesem Problem gleichzeitig gestellt und gefinkelt entzogen: Er hat einen mobilen, 2,20 mal 2,20 Meter großen und wegen der Belichtung nach oben offenen Container entwickelt, in dem nicht nur verstaut werden kann, was gerade nicht gebraucht wird, sondern der sich auch nach Wunsch verschieben und aufstellen läßt. So entstehen die Nischen von selbst, dem Raum aber ist nichts von seiner Großzügigkeit genommen.

An dieser Stelle wird ein Exkurs unvermeidlich. Er bezieht sich auf das Mobiliar, auf das der Architekt selbstverständlich keinen Einfluß nehmen durfte. Etwas so Absurdes wie die Möblierung dieses Hauses sieht man selten. Auf der einen Seite ein Architekt, der sich bemüht, großzügige Flächen anzubieten, damit sich die Kinder rühren können; auf der anderen Seite Kindergärtnerinnen - oder Magistratsbeamte, wer weiß das schon so genau -, die alles mit Möbeln vollstopfen, sodaß nicht der kleinste durchgehende Freiraum bleibt, weil man überall an Sessel, Tische und Regale stößt.

Es ist unglaublich, wie vollgerammelt dieses Haus ist. Topfpflanzen, Matratdige zen, runde Tische, eckige Tische, halbrunde Tische, Regale an der Wand, freistehende Stellagen, unsägliche, völlig unterschiedlich gemusterte Stoffe und in der großen Halle wahre Ungetüme von Sitzgeräten, die so tun, als wären sie Korbmöbel, in Wirklichkeit aber wahrscheinlich aus nicht wiederverwertbarem Plastik sind.

Das ist eines der Dramen in der heutigen Architektur von Kindergärten und Schulen: daß der Architekt mit einer vernünftigen, schlüssigen Überlegung antritt, aber einer Phalanx von „Fachleuten“ gegenübersteht, die aus einer festgefahrenen Position heraus argumentieren. Geiswinklers Kindergarten hat zweifellos das Prädikat „gute Architektur“ verdient. Der kulturelle Anstoß, der er für die Kinder sein könnte, findet trotzdem nur in abgeschwächter Weise statt. Kindergärtnerinnen wolnen len es niedlich.

Spectrum, Sa., 1996.02.17



verknüpfte Bauwerke
Kindertagesheim Gschweidlgasse

27. Januar 1996Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Feine Würze fürs Entree

Es geht auch ohne Humus auf dem Dach: der Neubau von Oswald Oberhuber und Margarethe Cufer an der Wienzeile - ein „Künstlerhaus“ der anderen Art.

Es geht auch ohne Humus auf dem Dach: der Neubau von Oswald Oberhuber und Margarethe Cufer an der Wienzeile - ein „Künstlerhaus“ der anderen Art.

Wien und seine „Künstler-“ beziehungsweise „Malerhäuser“ - dieses Kapitel sollte eigentlich abgehandelt sein. Die Fassaden schreien es laut heraus: Hier geht es um Kitsch, nicht um Kunst, um Kommerz, nicht um Konzepte. Man nehme eine Wasserpfütze, lege einen Gitterrost darüber, sage Teich dazu - schon ist die Simulation architektonischer Alternativen perfekt.

Neuerdings gibt es ein „Künstlerhaus“ mehr in Wien. Es steht im Wiental und markiert die Ecke Esterh´ azygasse/ Linke Wienzeile; wie die anderen seiner Art verdankt es die Existenz der Zusammenarbeit zwischen einem Architekten - in diesem Fall Margarethe Cufer - und einem Künstler - hier Oswald Oberhuber.

Wer nicht weiß, daß dieses Haus ein „Künstlerhaus“ ist, dem wird es der Anblick der Eckverbauung nicht auf Anhieb suggerieren. Überdies verfügt es weder über einen Kleintierstall noch über einen Teich im Hinterhof, es hat keine Humusschicht auf dem Dach und keine buckligen Fußböden, auch schillert es nicht in allen Farben, und es kommt ganz ohne keramischen Zierat aus. Es ist ein städtisches Haus, mehr will es anscheinend nicht sein.

Die Frage, die man sich im Zusammenhang mit unseren „Künstlerhäusern“ - unabhängig von ihrer künstlerischen Qualität - stellen müßte, läßt sich angesichts all der Bauten von Hundertwasser, Brauer und Kumpf nur schwer unpolemisch formulieren. Wenn wir es trotzdem versuchen, lautet die Frage ungefähr so: Was bringen diese in der Regel überfinanzierten Statements für die Architektur einer Stadt? Anders ausgedrückt: Sieht man von den Autobusladungen von Touristen einmal ab - was läßt sich inhaltlich aus solchen Bauten herausdestillieren, das man verallgemeinern könnte? Ein Kuriosum in die Stadtwelt zu setzen war noch nie ein Problem. Aber etwas zu planen, was nachhaltig wirksame Bewegungen und Veränderungen zur Folge hat, ist nicht so einfach.

Cufer und Oberhuber haben ihr Projekt von vornherein unter grundsätzlich anderen Vorzeichen, aber auch mit einer ganz anderen Strategie realisiert. Beides wurde in diesem Fall in den Medien anerkennend vermerkt: Denn erstens wurde das Projekt zu den ganz normalen finanziellen Konditionen der Wiener Wohnbauförderung errichtet; zweitens ist es keine aufdringliche visuelle Peinlichkeit geworden. Überhaupt zeigt es nach außen nicht überdeutlich vor, welchen Anteil der Künstler an der Planung hatte und welchen der Architekt.

Tatsächlich ist es eine sehr signifikante „Ecklösung“, von der wir hier reden: Allein die verschiedenen Fenster erwecken den Eindruck, als hätte jemand einfach eine Handvoll Fenstergrößen gegen die Fassade geworfen - und dort picken sie jetzt.

Außerdem ist die Ecke besonders formuliert, denn mit ihren Erkern, die in Wirklichkeit ja bloß „Zierglieder“ sind - Cufer/Oberhuber hatten nämlich Erkerverbot (das gibt es wirklich!) -, ist diese Fassade an der richtigen, der einzig möglichen Stelle, und zwar an der abgeschrägten Ecke zum Wiental hin, plastisch durchformuliert. Dabei wurde hoch oben auf dem Dach das Motiv des gründerzeitlichen Eckaufbaus variiert, aber nicht irgendwie und schon gar nicht rückwärtsgewandt oder historisierend, sondern in einer gerade noch erkennbaren, zeitgenössisch transzendierten Interpretation als filigrane - immerhin fünf Meter hohe - Pergola aus Stahl.

An der Seite Esterházygasse sind durch eine großflächige Verglasung die Dreifachparker zu sehen: Das Haus wurde auf einem nur 318 Quadratmeter großen Grundstück errichtet, es umfaßt 16 Wohnungen und 1405 Quadratmeter Nutzfläche, was bedeutet, daß für eine Tiefgarage mit Abfahrtsrampe nicht genügend Platz da war. Die kleine Geste drückt diesen Sachverhalt nach außen nachvollziehbar aus, sie wird so aber auch zu einer Art spielerischen Lektion in Sachen Autofetischismus.

Das Haus ist ganz in „Nichtfarben“ gehalten, zurück bleibt der Eindruck von Weiß und Grau. Damit hebt es sich zwar von seiner abgasgeschwärzten Umgebung ab - immerhin handelt es sich ja um einen Neubau -, aber nicht prinzipiell: Denn Grau war früher einmal die dominierende Farbe der zur Wienzeile hin geschlossenen gründerzeitlichen Umgebung (in die der Zahn der Zeit manche Lücke gebrochen hat). Wenn man nun durchs Eingangstor vorne an der abgeschrägten Ecke eintritt, ist man tatsächlich mit Kunst konfrontiert. Und zwar mit ganz „herkömmlicher“, wie man sie auch in Galerien antrifft: Oberhuber hat eine figurative Drahtplastik gestiftet, eine Art feierliche Würze für ein eigentlich traditionelles Wiener Entree. Vor 100 Jahren hätte man zur Erzielung eines ähnlichen Effekts wahrscheinlich das Kunstmittel des bunten Glasfensters gewählt. Außerdem hängen, fein gerahmt, ein paar Reminiszenzen des ursprünglichen Bestands dieser städtischen Baulücke an der Wand - hier war früher ein Bad - und verweisen darauf, daß der Ort geschichtsträchtig ist.Dieser ein wenig banale Verweis erfährt in der Architektur eine weniger banale Auflösung: Das Thema des kreisrunden Treppenhausturms, das sich aus den aufgehängten Plänen des früheren Baubestands herauslesen läßt, findet sich im Neubau wieder.

Das hat zwar nicht viel zu besagen, es könnte eine mehr zufällige Wahlverwandtschaft sein; wichtig ist, daß hier auch in Zeiten des Lifts das Stiegenhaus als halböffentlicher Bereich und hausinterner Kommunikationsraum ernst genommen wurde.

Das Stiegenhaus endet bei einer Gemeinschaftsterrasse von sehr angenehmem Zuschnitt. Dort gibt es zwar weder Bäume noch Gras, aber Sonnenbädern und Grillfesten dürfte das keinen Abbruch tun. Die Wohnungen sind von der Größe her recht unterschiedlich: Die schönste ist zweigeschoßig und natürlich ganz oben, wo die „Zierglieder“ sind und die Aussicht über die Stadt ein stimmungsvolles Plus darstellt. Aber auch in den Regelgeschoßen sind die Grundrisse wohlüberlegt und erlauben eine von Fall zu Fall unterschiedliche Nutzung der Räume. Es ist also vom Wohnungszuschnitt her nicht zwingend vorgeschrieben, wo jemand sein Wohnzimmer hat.

Voilà, das ist es auch schon, viel mehr hat dieses Haus nicht zu bieten. Kleinigkeiten wären noch erwähnenswert, etwa die kreisrunde Verblechung im Stiegenhaus rund um den Lift oder die Art, wie Glasbausteine das Tageslicht gleichmäßig streuen.

„Am Anfang dieses Projekts stand die Idee einer neuen Form des Zusammenwirkens von Kunst und Architektur“, heißt es in einem gemeinsamen Statement von Cufer und Oberhuber. „Nicht die Dekoration der Fassade eines ansonsten langweiligen Hauses war das Ziel, sondern eine Durchdringung von Kunst und Architektur. Kunst verstanden als eine besondere Sicht der Gesamtproblematik, die in einen Dialog tritt mit der professionellen Kenntnis der Architektur des sozialen Wohnbaus und seiner restriktiven Bedingungen.“

Tatsächlich muß die Konfrontation mit der Wiener Bauordnung für Oberhuber eine Schlüsselerfahrung gewesen sein. Ich erinnere mich, wie er in der Anfangsphase des Projekts - 1993 - immer wieder kopfschüttelnd, manchmal auch wütend darauf zu sprechen kam, wie wenig Spielraum dem Architekten im Dickicht der Vorschriften für seine kreative Arbeit bleibt. Dieser Spielraum ist tatsächlich knapp; durch die finanziellen Vorgaben der Wiener Wohnbauförderung wird die Situation nicht gerade entschärft. Ob Kooperation Künstler-Architekt oder nicht - es ist ein anständiges und sehr städtisches Haus geworden. Es ist nicht unscheinbar, fällt aber nicht über Gebühr auf. Dafür bietet ein Wohnhaus auch gar keinen Anlaß.

Die Oberhubersche Handschrift läßt sich zwar an der Fassade - bei den unterschiedlichen Fenstern und der plastischen Lösung an der Ecke - und oben - beim turmartigen Aufbau - unzweifelhaft erkennen; und es mag durchaus sein, daß in Gesprächen zwischen Künstler und Architekt inhaltliche Schwerpunkte gesetzt wurden, die man in der Planung auch berücksichtigt hat. Insofern ist diese Kooperation offenbar sehr gut verlaufen.

Trotzdem läßt sich auch bei diesem gelungenen Beispiel eines „Künstlerhauses“ kein Hinweis darauf aufspüren, daß die „andere Sichtweise“ des Künstlers zwangsläufig eine „andere“ Wohnhausarchitektur zur Folge hätte. Die Architektur unserer „Künstlerhäuser“ ist und bleibt ganz normal, sie ist einmal besser, wie an der Wienzeile, öfter schlechter. Der Beitrag der Künstler zum Wiener Wohnbau geht über die Aufprägung ihrer Handschrift nicht hinaus. Die kann man mögen oder ablehnen. Sie kann reizvoll sein oder lästig. Mehr steckt nicht dahinter.

Spectrum, Sa., 1996.01.27



verknüpfte Bauwerke
Wohnhaus Esterhazygasse

06. Januar 1996Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

In der Zelle des guten Willens

Wieviel Individualraum braucht der Mensch? 2,30 mal 2,80 mal 3 Meter, lautet Anton Schweighofers Antwort, zu sehen in einem Studentenwohnheim in Wien-Favoriten. Zum Leben genug? Eine Nachfrage.

Wieviel Individualraum braucht der Mensch? 2,30 mal 2,80 mal 3 Meter, lautet Anton Schweighofers Antwort, zu sehen in einem Studentenwohnheim in Wien-Favoriten. Zum Leben genug? Eine Nachfrage.

Die Frage ist: Wieviel Individualraum braucht man wirklich? Anton Schweighofers Antwort darauf fiel ziemlich radikal aus. Denn wenn es nach ihm geht, dann kann der räumliche Rucksack, in den jemand sein allerpersönlichstes, intimstes Ich hineinpackt, auch karg bemessen sein, beschränkt auf eine Minimaleinheit mit den Abmessungen 2,30 mal 2,80 Meter Grundfläche und einer Höhe von drei Metern; beschränkt auch auf eine Minimalausstattung, die Tisch und Sessel, Schrank und Stockbett umfaßt, mehr nicht.

Anton Schweighofer hat also im zehnten Wiener Gemeindebezirk ein Studentenheim gebaut. Und wie er mit dieser Aufgabe umgegangen ist, darüber darf man getrost streiten. Denn konventioneller Wohnraum stand ihm dabei offensichtlich nicht vor Augen. Was ihm vorschwebte, war eher eine Modifizierung des Wohngemeinschaftsgedankens, wie er normalerweise nur im Altbau seine praktische Umsetzung erfährt.

Aber fangen wir beim Anfang an: Das Haus wurde auf einem Eckgrundstück in einer Favoritner Wohngegend errichtet. Es steht am Erlachplatz, mit Ausblick auf einen schönen, grünen Parkraum. Daß es sich um kein „gewöhnliches“ Wohnhaus handelt, signalisiert der Bau auf ausgesprochen spektakuläre Weise. Denn er gibt sich „verschleiert“, also gleichzeitig bedeckt und dennoch transparent. Schweighofer hat sein Haus nämlich in Baustahlgitter verpackt. Dieses Baustahlgitter fügt sich nahtlos an die umliegenden Fassaden an und bildet eine fein säuberliche, rechtwinklige Ecke. Das Haus hinter dieser Gitterhaut stellt ein verhältnismäßig normales, wenn auch blaßrosa Putzgesicht zur Schau.

Dazwischengeschoben ist eine Laubengangerschließung, zu deren Sicherung - Schweighofer spricht von „Körperschutz“ im Gegensatz zum Sicht- oder Lärmschutz - das Baustahlgitter dient. Und die Ecke des Baukörpers hinter dem Gitter ist schräg abgeschnitten, sodaß hier ein größerer, frei nutzbaren „Spielraum“ entsteht: ein Treffpunkt? Vielleicht eine Kommunikationsfläche? Darüber läßt sich bei winterlichen Temperaturen noch nicht viel sagen. Halten wir fest: Dieses Haus fällt aus dem Rahmen der umliegenden, überaus heterogenen Bebauung.

Im Inneren, wie gesagt, hat sich Schweighofer eine Neubauvariante des alten Wohngemeinschaftsflairs zum Ziel gesetzt. Das ist nicht einfach - kann es gar nicht sein, wenn man an die Förderungsrichtlinien denkt und daran, daß es bei einem Studentenheim vor allem auch darum geht, daß es preisgünstigen Wohnraum auf Zeit zur Verfügung stellt.

Schweighofer entwickelte also eine individuelle Minimaleinheit in Form einer Koje aus Akustikbetonsteinen, die innen, in der Eremitenzelle, zwar verputzt und weiß gefärbelt, außen aber nackt und roh geblieben sind. Diese Kojen sind auf den jeweiligen Geschoßen zwanglos und unregelmäßig plaziert, sodaß dazwischen viel freie Fläche mit allerhand Winkeln und Ecken übrigblieb.

Ein Gang? Das kann man nicht sagen, denn dann hätte sich der Architekt ja die Laubengangerschließung ersparen können. Außerdem: Für einen Gang ist diese Fläche denn doch zu breit. Nein, hier handelt es sich um jene Neuinterpretation des Gemeinschaftsbereichs, den im Altbau in der Regel das Wohnzimmer und die Küche darstellen. Und tatsächlich sind pro Geschoß jeweils auch gleich mehrere Kücheneinheiten eingebaut, denen jeweils auch mehrere Tische mit Sitzgelegenheiten zugeordnet sind. Das heißt, pro Geschoß wurde die Anzahl der vorhandenen Individualkojen in kleinen Gruppen zusammengefaßt, zu denen immer auch eine solche Küche, eine Naßeinheit und die entsprechende Freifläche gehören. Wo die eine WG aufhört und die nächste anfängt, ist dabei nicht genau auszumachen, Schweighofer hat diese Grenze absichtlich nicht definiert, die Möglichkeit zur räumlichen Teilung ist aber da.

Das Haus umschließt übrigens auch einen kleinen Gartenhof, zu dem auf allen Geschoßen angenehme Loggien orientiert sind. Und im Dachgeschoß gibt es einen sehr gut nutzbaren Gemeinschaftsraum, der allen im Haus zur Verfügung steht. Dort oben wurde das Konzept Schweighofers im Wohnbereich am konsequentesten und daher auch räumlich am interessantesten umgesetzt, weil es von der Wohnebene bis zum Dach praktisch zweigeschoßig durchgeht.

Es ist klar, worauf es dem Architekten bei dieser Arbeit ankam: Er wollte preisgünstige Wohnmöglichkeiten für ein junges Publikum schaffen, ein Raumangebot, das eine mehr unkonventionelle, nicht unbedingt an kleinfamiliären oder gar bourgeoisen Wohnvorstellungen orientierte Nutzung zumindest zuläßt, wenn nicht sogar provoziert. Ein Problem bei diesem Konzept: In einer Wohngemeinschaft tun sich die Leute mehr oder weniger freiwillig zusammen. Und wenn einer auszieht, dann sehen sich die verbliebenen Mitglieder denjenigen genau an, der neu einzieht. Das zweite Problem: Im Altbau sind die Räume wesentlich größer.

Was kann denn so eine Koje wirklich? Sie hat ein Fenster nach draußen, zur Straße, sie hat aber auch eines nach drinnen, zum Gemeinschaftsbereich. Diese Fenster können durch Rollos abgeschottet werden und, denkwürdig genug, sie sind es schon jetzt - und zwar selbst dann, wenn der Bewohner gar nicht drinnen ist. Denn vor die Wahl gestellt, was schwerer wiegt, die Möglichkeit, auch vom Studierplatz aus verfolgen zu können, was draußen geschieht, oder die Unliebsamkeit des ungewollten Einblicks, haben die ersten Bewohner des Hauses ihre Entscheidung auf Anhieb getroffen: gegen den Einblick. Außerdem: So eine Koje ist halt sehr klein, fast unmenschlich klein. Der Tisch steht beim Außenfenster; es gibt Anschlüsse für Telephon, Computer. Aber dieser Komfort täuscht nicht darüber hinweg, daß der Tisch aus seiner Position eigentlich nicht verrückt werden kann, weil das der Minimalzuschnitt des Raumes nicht zuläßt.

Die Koje hat weiße Wände, einen Holzfußboden und an der Wand zum Gemeinschaftsraum einen ein Meter tiefen Einbauschrank, der relativ viel Stauraum bietet. Vor dem Fenster nach drinnen ergibt sich dadurch eine breite Abstellfläche, über dem Fenster ist das Stockbett. Man kann mit Fug und Recht sagen: Noch weniger ginge gar nicht; aber kann man auch sagen: Dieses Wenige ist erträglich?

Das architektonische Konzept ist bestechend, konsequent, rigoros. Und die Atmosphäre auf den einzelnen Wohnetagen hat eine besondere, durchaus rauhe und doch sehr angenehme, freundliche Note: Die Leitungen wurden sichtbar geführt, die Betonsteine der Kojenwände blieben unverputzt, die Betonstützen sind roh; dadurch stellt sich ein durchaus liebenswürdiger Werkstattcharakter ein, alles gibt sich so unprätentiös wie möglich.

Wo Süden ist, da ist der Gartenhof, da sind auch die Loggien. Wo der Platz ist, da sind die Treppen zu den Laubengängen; wo die abgeschnittene Ecke ist, da könnten sich - mit Ausblick auf den Park - spontan Nutzungen entwickeln; und wo die Laubengänge sind, da wird man gesehen und man sieht hinaus, während man geschützt über seinen eigenen, „privaten Gehsteig“ (Schweighofer) zu seinemZimmer geht.

Aber gerade da spießt es sich: Was Schweighofer gebaut hat, das ist eben kein Zimmer. Man muß es Koje nennen - will man nicht bei der Bezeichnung Zelle landen. Und steckt dieses Haus nicht tatsächlich hinter Gittern? Diese letzte Frage ist nicht polemisch gemeint. Etliche der derzeitigen Bewohner tun sich mit der Vergitterung des Lau-benganges schwer. Sie fühlen sich ein wenig wie im Käfig, was so ziemlich das Gegenteil von dem ist, was Schweighofer errei-chen wollte: Er hat Transparenz geplant und für die bauliche Realisierung nach einem preisgünstigen Material gesucht; er hat Signifikanz angestrebt und eine Aussage formulieren wollen, die lesbar macht, daß sein Bau nicht einfach irgendein Wohnhaus ist; diese Intentionen Schweighofers sind architektonisch umgesetzt.

Und doch ist irgendwo Sand in dieser architektonischen Mechanik: Die Reibegeräusche rühren einerseits von der Ahnungslosigkeit der unvorbereiteten Studenten her, für die Gitter keine Schleier und Gitterstäbe kein „Körperschutz“ sind; und sie rühren von der Ahnungslosigkeit des Architekten, für den Studenten aufgeschlossene junge Leute sind, die sich gegen die Konvention wehren und vorurteilslos und risikofreudig ins Abenteuer neuer Lebensformen stürzen. Das ist mitnichten so. Leider.

Spectrum, Sa., 1996.01.06



verknüpfte Bauwerke
Studentenwohnheim

16. Dezember 1995Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Mit Rotstift und Wortbröseln

Kann man über Schulbau nur auf Basis von Kosten-Nutzen-Rechnungen diskutieren? Und ist die „Einheitsschule“ wirklich billiger als individuelle Planung? Anmerkungen zu einer unsachlichen Debatte in Wien.

Kann man über Schulbau nur auf Basis von Kosten-Nutzen-Rechnungen diskutieren? Und ist die „Einheitsschule“ wirklich billiger als individuelle Planung? Anmerkungen zu einer unsachlichen Debatte in Wien.

Nicht zu fassen, welche obskure rhetorische Stilblüten die Sparbudgethysterie in Wahlkampfzeiten hervorbringt. Bei sich selbst fängt zwar keiner an, rigoros den Rotstift anzusetzen, dafür weiß jeder (Politiker) ganz genau, wo der andere (Politiker) Millionenbeträge zum Fenster hinauswirft. Die wortgewaltige Wadelbeißerei spielt sich neuerdings selbst unter Parteigenossen im grellen Licht medialer Öffentlichkeit ab. Wer mit dem Rücken zur Wand kämpft, dem bleibt offenbar keine Wahl. Jeder verbale Untergriff scheint recht.

Grete Laska kontra Hannes Swoboda: die Wiener Vizebürgermeisterin und Stadträtin für Jugend, Familie, Soziales und Sport kontra den Stadtrat für Stadtentwicklung und -planung. Swoboda hat mit dem „Schulbauprogramm 2000“ eine der bemerkenswertesten und langfristig sinnvollsten Initiativen für die Baukultur in der Bundeshauptstadt gesetzt. Laska stellt der Initiative nicht etwa eigene konstruktive Aktivitäten zur Seite, sondern sagt ihr den Kampf an, frei nach dem Motto: von der Architekturschule zurück zur Baumschule. Sie proklamiert die sogenannte Einheitsschule: ein Stück Schule mal – Hausnummer – 25. Offensichtliches Ziel der Proklamation: daß der Name der Vizebürgermeisterin möglichst oft auf den Chronikseiten der Tagespresse genannt wird.

So lange schon werden in Wien Schulen gebaut, aber bis auf diese liebe Frau hat noch niemand eine zündende Idee gehabt, wie sich mir nichts, dir nichts 100 Millionen Schilling einsparen ließen, ohne daß einer (oder mehrere) jener Werte, auf die wir uns bisher etwas zugute gehalten haben, einbrechen würde: die Unterrichtskultur, die Baukultur oder das Kulturbewußtsein der Schüler von heute und somit der Erwachsenen von morgen. In Wahlkampfzeiten interessiert eine solche Argumentationsebene grundsätzlich nicht. Und eine Partei, die so sehr im ungewissen darüber ist, auf welche Werte sie in Zukunft überhaupt setzen will, befindet sich in solcher Zeit naturgemäß erst recht im (kulturellen) Ausnahmezustand.

Arme Architekten! Sie kommen aus dem Staunen nicht heraus. Denn es will ihnen partout nicht eingehen, daß so viel Bauernfängerei kein lautes Rauschen im Blätterwald, kein elektronisches Protestflirren und auch sonst keinerlei massive Abwehrreaktionen zur Folge hat.

W as sie bisher nicht wußten: Wenn gar nichts mehr geht, geht alles. Dann ist kein Trick zu primitiv, kein Bluff zu vordergründig. Vielleicht fällt Otto Normalverbraucher doch darauf herein! Ein Stück Schule mal x ist gleich y minus 100 Millionen Schilling. Diese neue Gleichung möchte man sich aufs Kopfkissen sticken lassen oder zeitgemäßer: als Pauseneinlage der heimischen PC-Software einverleiben. Hat sich wirklich keiner von denen, die einfach gedankenlos nachplappern, was Frau Laska von sich gibt, jemals angeschaut, was das eigentlich für Schulen beziehungsweise Programme sind? Und auf welchen Grundstücken die Schulen gebaut werden?
Wie soll es jemals möglich sein, unter den vielfältigen und differenzierten Realbedingungen dicht verbauter Stadt von heute – und im Hinblick auf die von Quartier zu Quartier völlig unterschiedlichen Anforderungen – einen architektonischen „Prototyp“, um es freundlich zu formulieren, auch nur als gebaute „Kleinserie“ aufzulegen? (Dabei ist die auch nicht unwichtige Frage noch völlig ausgeklammert, ob sich eine „Kleinserie“ überhaupt rechnen würde.)

Arme Architekten! Sosehr sie im Normalfall zu egoistischer Eigenbrötelei neigen – jeder einzelne gegen alle anderen –, so sehr tendieren sie auch dazu, substantiellen Krisen nicht mit wütender Polemik und Empörung zu begegnen, auch nicht mit dem nachhaltigen Hinweis auf den eigenen kulturellen Auftrag (und den der Stadt!), sondern mit sachlicher Argumentation, die sich darum bemüht, politische Stellungskriege zu vermeiden und alles auszublenden, was auch nur den geringsten Verdacht erzeugen könnte, man bewege sich womöglich nicht ausschließlich auf dem Niveau reinen Kosten-Nutzen-Denkens.

Das zeugt natürlich von bodenloser Naivität. Denn es mag wahr sein, daß die Wiener Schulen nicht auf der grünen Wiese gebaut werden, sondern dort, wo man sie braucht – und das ist nun einmal das dicht verbaute städtische Wohngebiet; es mag auch stimmen, daß dort die Grundstücke knapp, die Grundstückspreise gigantisch und die Grundstücksgrößen in der Regel ohnehin zu klein, auf jeden Fall aber vom Zuschnitt her sehr unterschiedlich sind; und ganz sicher stimmt es, daß auf diesen potentiellen Bauplätzen jeweils nicht nur sehr verschiedene Schultypen – Volksschulen, Hauptschulen, Sonderschulen, Berufsschulen –, sondern auch sehr verschiedene Schulgrößen (sechs bis 27 Klassen) gefordert sind. Aber wer will davon in Wahlkampfzeiten etwas wissen?

Frau Laska jedenfalls nicht. Sie tut, als wäre ein Einheitsschultyp von zehn Klassen problemlos auf 20 erweiterbar. Als wäre es gleichgültig, wo welche Himmelsrichtung ist. Und als wäre es mit ein, zwei „Prototypen“ getan, wo sie mit zehn nicht auskommen kann. Was Frau Laska postuliert, entbehrt jeder realen Basis. Im Grunde suggeriert sie mit ihrem Vorschlag zur vermeintlichen Reduzierung der Planungskosten einem fachlich unkundigen Publikum, daß die Architekten ein unbegründet hohes Honorar für ihre Arbeit erhalten, weshalb es gerechtfertigt sei, gerade beim Planungshonorar zuallererst einzusparen.

Sie sagt nicht dazu, daß die bauliche Vervielfältigung eines Prototyps nach wesentlich größeren Grundstücken verlangt, was bei den heutigen Preisen jede mögliche Einsparung bei den Planungskosten – sie betragen fünf bis sechs Prozent der Herstellungskosten und ließen sich durch die „Einheitsschule“ um maximal ein Drittel senken – augenblicklich wieder ad absurdum führt.

Sie sagt auch nicht dazu, daß unter den realen Bedingungen in der Bundeshauptstadt jeder Schulprototyp einen so großen Umplanungsaufwand zur Folge haben muß, daß auch von daher individuelle Planung viel wirtschaftlicher ist als jede „Einheitsschule“. Rätselspiel für den Leser: Warum sagt sie es nicht? Weil sie uns täuschen will? Weil sie es nicht weiß? Weil Wahlkampf ist?

Ginge es sachlich zu, wären die Vorschläge unserer lieben Frau aus dem Rathaus schnell wieder weggefegt worden. Weil die Zeitläufe momentan aber unsachlich, emotional aufgeladen und gar nicht redlich sind, kann Frau Laska ihre kecken Wortbrösel unaufgeräumt herumliegen lassen; am Ende bleiben tatsächlich häßliche akulturelle Flecken auf dem Wiener Schulbauprogramm 2000 zurück. Zu leiden haben darunter jene (Architekten), die jetzt, nach Czech, Lainer, Podrecca, Richter & Co, im Begriff sind, ihre Planungen durchzuboxen. Denen ergeht es schlecht. Zum Teil sogar sehr schlecht.

Es war immer schon ein grundlegender Fehler, wenn sich in einem Disput zwischen zwei Parteien der eine Kontrahent auf das Niveau des anderen (hinunter)begeben hat. Er gibt sein ureigenstes Terrain auf und bewegt sich auf fremdem. Das ist von Nachteil. Genau diesen Fehler machen unsere Architekten, wenn sie gegen die Vorschläge der Frau Laska antreten – auf einem Niveau, in dem zwar Frau Laska heimisch ist, nicht aber ein Architekt, der etwas auf sich und die Baukunst hält.

Was ist das eigentlich für eine Ungeheuerlichkeit, daß wir über Schulbau, der unter dem Vorzeichen architektonischen Anspruchs passiert, plötzlich nur noch auf einer Kosten-Nutzen-Ebene diskutieren? Solche Debatten mögen im sozialen Wohnbau gerechtfertigt sein: Dieser bildet die Hintergrundkulisse jedes städtischen Gefüges und muß für die Bevölkerungsgruppe, für die er geschaffen wird, auch bezahlbar sein. Er muß ein Optimum an Wohnkomfort bieten und trotzdem mit dem Titel Architektur belegbar sein.

Aber selbst in diesem Bereich kann und soll es, was Aufwand und Anspruch betrifft, immer wieder auch Ausnahmen geben: Nur so bringen wir die Dinge voran, nur so ist Entwicklung möglich. Wer hingegen jedes Risiko meidet und auf der Stelle tritt, dem wird schnell und zu Recht das Etikett des Banausen verpaßt. Im Schulbau geht es um etwas anderes. Denn er ist öffentlicher Bau und in jedem Quartier auch ein Zeichen, das über den pragmatischen Nutzen hinausweist.

D amit wird er zu einem Teilstück jenes kulturellen Fortschritts, den es zu verteidigen gilt. Wer sich auf dem Sektor Schulbau in die Schere von reinen Kosten-Nutzen-Rechnungen begibt, gibt grundsätzliche kulturelle Ansprüche preis, die bisher in unseren Breiten verbindlich waren. Vor allem darum geht es. Architekten tun schlecht daran, sich so bereitwillig auf andere Argumentationsebenen zu begeben.

Eine Zukunftsperspektive: Alle Architekten, die jetzt Schulbauten zu planen haben, werden hart kämpfen müssen. Und wenige werden ihre Vorstellungen ohne substantielle Abstriche durchbringen. Frau Laska, sofern es sie in der politischen Zukunft noch gibt, wird ihre „Einheitsschule“ ausprobieren. Und die wird sicher ein Flop. Beamte werden es errechnen und beweisen, der Versuch der „Einheitsschule“ wird sang- und klanglos abgebrochen werden. Zu einem Zeitpunkt an dem kein (medialer) Hahn mehr danach kräht. Unsere liebe Frau im Rathaus kommt mit dem Schrecken davon, der Schwarze Peter bleibt den Architekten.

Spectrum, Sa., 1995.12.16

02. Dezember 1995Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Kinderwelt mit Blechvorhang

Kein „Architekturfetisch“ sollte er werden, aber auch kein verkitschtes Zwergerlidyll: Johann Georg Gsteus Kindergarten im Zentrum des Wiener Neubaugebiets „Brünner Straße West“ - ein Haus als Weg und Platz.

Kein „Architekturfetisch“ sollte er werden, aber auch kein verkitschtes Zwergerlidyll: Johann Georg Gsteus Kindergarten im Zentrum des Wiener Neubaugebiets „Brünner Straße West“ - ein Haus als Weg und Platz.

Das große Neubaugebiet an der Wiener Brünner Straße, unmittelbar vor Stammersdorf gelegen, also dicht an der Stadtgrenze, geht in rasantem Tempo seiner Fertigstellung entgegen. Aber vor allem wenn man den Blick auf jenen Bauteil lenkt, der sich „Brünner Straße West“ nennt, wird man darüber nicht froh. Denn im Vorüberfahren und aus der Ferne gewinnt man den deprimierenden Eindruck, daß hier Häuser, hauptsächlich Wohnhäuser, einfach abgestellt worden sind. Man könnte es auch die „Abwesenheit“ von Städtebau nennen.

Man muß schon sehr viel näher treten und in der Anlage herumflanieren, um dahinterzukommen, daß es zumindest einen Ort gibt, der als Zentrum, als städtebauliche Mitte, definiert ist. An diesem Platz kreuzen sich zwei Fußwege, die das Areal erschließen – einer davon wird über einen Steg, der hier gebaut werden soll, die beiden durch die unverbaute „grüne“ Mitte des Marchfeldkanals getrennten Bauteile miteinander verbinden. Um diesen Platz sind aber auch jene Bauten organisiert, die gewisse öffentliche Funktionen erfüllen: Otto Häuselmayers Kirche, eine große Schule der Architekten Hübner und Leibetseder – und jetzt auch ein Kindergarten von Johann Georg Gsteu.

Der Kindergarten befindet sich unmittelbar neben der Kirche und gegenüber der Schule, wobei Gsteu auf die städtebaulichen Vorgaben der konkreten Situation mit einer leichten Schrägstellung jenes Baukörpers, der die Verwaltungsräume enthält, reagierte.

Dadurch gelingt es ihm, den urbanen, gepflasterten Platz visuell in seinen Kindergarten hereinzuholen, was der Situation insgesamt guttut. Denn im Unterschied zu den beliebigen, irgendwie kleinlichen Abstandsflächen zwischen der Wohnbebauung im Hintergrund ist die Platzsituation davor nicht nur sehr klar definiert, sondern auch großzügig.

Der Kindergarten ist ein weißer Mauerwerksbau, der dem Platz eine sehr ruhige, sachliche Fassade zukehrt. Hier liegt der niedrigere, leicht schräg gestellte Verwaltungstrakt, hier ist der Eingang, und von hier sieht man auch schon die lange, geschwungene Rampe, die aus dem Obergeschoß einen direkten Austritt in den Garten ermöglicht.

Schließlich – und das ist wichtig: Der Kindergarten ist von einer großen, gegliederten, in der Hauptsache nach Süden zum Marchfeldkanal orientierten Grünfläche umgeben. Nach Süden schaut daher auch die – wenn man so will: spektakuläre – Hauptfassade des Bauwerks. An ihr fällt sofort die ungewöhnliche Lösung mit zwei semitransparenten „Blechvorhängen“ auf, die sich vom Dachbereich bis zum Boden herunterziehen, jeweils abgestützt durch einen blau gestrichenen Träger und mit einer Art „Fensteröffnung“ in der Mitte. Und es fallen drei unterschiedliche Fenstergrößen an dieser Fassade auf, die sich in schöner Regelmäßigkeit wiederholen. Was es damit auf sich hat, ist schnell beschrieben: Hinter dem Blechvorhang – es handelt sich um Aluminiumlochblech – liegt im Obergeschoß jeweils eine große, gedeckte Terrasse, also ein zusätzliches Freiraumangebot. Und hinter den scheinbar willkürlich verwendeten unterschiedlich großen Fenster liegen die Gruppenräume, in denen Gsteu durch Abtrennung verschiedener Nebenräume (etwa Abstellflächen) keine durchgehend gleiche Raumtiefe erzielt.

Das drückt sich auch nach außen sichtbar aus: Wo die Gruppenräume die geringste Raumtiefe haben, ist das kleinste Fenster. Man betritt das Haus an der Nordseite, vom Vorplatz her. Durch die Schrägstellung des Verwaltungstraktes ergeben sich Richtung Westen zwischen Verwaltung und eigentlichem Kindergartentrakt ein kleiner offener Hof und im Osten eine einladende Eingangshalle.

In der Eingangshalle ist man auch zum ersten Mal mit einer Besonderheit des Hauses konfrontiert, die sich ebenfalls aus der Schrägstellung des einen Baukörpers erklärt. Man schaut geradewegs in einen Gang hinein, der konisch schmäler wird. Durch diese Verengung erreicht Gsteu eine spannende perspektivische Tiefenwirkung, die durch ein besonders formuliertes Fenster auch jeweils einen adäquaten Abschluß erhält: Denn der Gang ist zwar zu Ende, aber der Blick kann noch sehr viel weiter schweifen. Noch eine zweite Besonderheit, die Gsteu im ganzen Haus konsequent durchgezogen hat, wird gleich beim Betreten sichtbar: die abgehängten Decken, die überall aus Aluminiumtrapezlochblech bestehen.

Genau wie bei den Stationsgebäuden der U 6 hat der Architekt sich auch hier wieder für das sogenannte Einziehverfahren entschieden, mit dem man die Blechbahnen beliebig, aber sehr exakt biegen kann. Das führt zum Beispiel in den konischen Gängen zu interessanten Detaillösungen, fast zu einer Art Ornamentik, die aber nicht bloßer Dekor, sondern durch die Verarbeitungstechnologie begründet ist.

Überhaupt war die markante Lösung dieser abgehängten Decken kein bloßer Willkürakt: Abgehängte Decken sollten es allein schon deshalb sein, um einen Zugang zu den dahinter geführten Leitungen zu erhalten. Zusätzlich ist die Wahl dieses Materials aber auch als Akustikmaßnahme begründet. Denn das Lochblech, hinter dem sich obendrein noch eine Akustikmatte verbirgt, hat durch seine Oberflächenstruktur ganz ähnliche Eigenschaften wie die herkömmlichen Lochpaneele, die normalerweise in einem solchen Fall verwendet werden. Gsteu sagt ja von seinem Haus, daß es „kein Architekturfetisch“ werden sollte, andererseits aber auch keine verkitschte Zwergerlwelt. Mit dem Hinweis auf den Architekturfetisch meint er wohl, daß es ihm nicht darum ging, ein Architekturstatement in nur eine Richtung abzugeben. Das heißt: Nach einer spektakulären Glasfassade wird man hier genauso vergeblich suchen wie nach irgendeinem demonstrativen konstruktiven Detail – oder was immer es an selbstzweckhaften

Möglichkeiten in der Architektur heute sonst noch gibt. Gsteu hat also absichtsvoll alles vermieden, was sein Bauwerk über die zeitgemäße Lösung hinaus in den Verdacht des Modischen bringen könnte.

Sein Hauptaugenmerk galt wohl eher der sinnvollen, brauchbaren, dabei aber abwechslungsreichen, spannenden räumlichen Organisation. Allein schon die Erschließung durch ein Treppenhaus, in dem Podeste auch zum Aufenthalt auffordern, in dem sich eine Vielzahl von Durch- und Ausblicksmöglichkeiten ergibt, ist angewandter Josef Frank: das Haus als Weg und Platz. In den Gruppenräumen kommt es durch die räumlichen Abtrennungen zu Nischenbildungen, Ecken und Winkeln, ohne daß die großzügigen Räume dadurch beengt oder gar kleinlich würden.

Das wiederum hat damit zu tun, daß die abgetrennten Raumteile oben verglast sind, sodaß immer auch die ganze räumliche Figur spürbar, ablesbar bleibt. In einer Raumecke dieser Gruppenbereiche hat sich Gsteu übrigens an der Decke ein einziges Mal wirklich ein „Ornament“ erlaubt, indem er die Verlegerichtung des Trapezlochblechs wechselt und so mit einer Eigenschaft dieses Materials – es suggeriert eine Richtung und damit auch Tempo, Geschwindigkeit – fast ein wenig spielt.

Zwergerlwelt gaukelt uns dieser Kindergarten jedenfalls keine vor. Und auch keine Bunte-Bildchen-Seligkeit: Das Haus selbst ist weiß; abgesehen von der Aluminiumfarbe des Trapezlochblechs gibt es im Inneren nur die Farbe Blau – etwa bei manchen Lampen oder beim Stiegengeländer –, außen kommen noch grüne Farbtupfer dazu. Gsteu hat die Aufgabe, für Kinder zu bauen, nicht einseitig behandelt, sondern auf angenehme Weise ernst genommen. Daher ist das Resultat auch nicht niedlich oder bieder ausgefallen, sondern vernünftig, funktionell und vor allem intelligent.

Das Angebot, das Betreuern und Kindern mit diesem Haus unterbreitet wird, ist unerhört vielfältig. Und dann kommen zu den Gruppenräumen und den zusätzlichen räumlichen Aufforderungen zum Aufenthalt ja noch die großzügigen, gedeckten Freiflächen im Obergeschoß und natürlich der Garten. Dadurch, daß dieser zum Grünbereich des Marchfeldkanals orientiert und nur durch einen Gitterzaun begrenzt wurde, wirkt er noch größer, als er in Wahrheit ist. Unter der geschwungenen Rampe, die zwar zum Teil geböscht, zum Teil aber auch aufgeständert ist, ergeben sich Schlupfwinkel für die Kinder.

Es gibt ein – allerdings eher unwesentliches – Detail an diesem Haus, über dessen formale Ausbildung man streiten kann: Gsteu hat außen über den Fenstern Jalousiekästen angebracht, an denen das Motiv des gebogenen Trapezblechs wiederholt wird.

Und das heißt: Die Biegung hat nur einen ziemlich kleinen Radius und – bedingt durch die Biegetechnik – entsprechend dichte Druckstellen, die diesen ohnehin schmalen Blechstreifen sehr kleinteilig ornamentieren. Von der Anwendung her ist diese Lösung zweifellos konsequent, formal überzeugen kann sie wohl nicht: Sowohl Material als auch Verarbeitungstechnologie sind für „größere“ Flächen besser geeignet, bei den Jalousiekästen wirken sie ein wenig verspielt. Da hätte es eine simple, eher strenge Vorrichtung auch getan.

Trotzdem: Für die städtische Mitte der gewaltigen Wohnbebauung an der Brünner Straße West hat Gsteu nach Häuselmayer, Hübner und Leibetseder mit seinem Kindergarten einen wichtigen Beitrag geleistet. Denn er hat gezeigt, daß sich Signifikanz in der Architektur nicht nur durch die gewollte formale Lösung, sondern auch durch ein komplexes räumliches Konzept realisieren läßt.

Spectrum, Sa., 1995.12.02



verknüpfte Bauwerke
Kindertagesheim

18. November 1995Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Fadesse mit Nudelsieb

Nicht einmal empören kann man sich darüber: das Maculan-Haus in der Singerstraße, auf dem „allerletzten“ Bauplatz der Wiener Innenstadt – Architektur zum Vergessen.

Nicht einmal empören kann man sich darüber: das Maculan-Haus in der Singerstraße, auf dem „allerletzten“ Bauplatz der Wiener Innenstadt – Architektur zum Vergessen.

Schlechte Architektur verbal anzuprangern – wie einfach das im Grunde ist! Aber die Aufgabe, sich zum neuen Maculan-Haus zu äußern, ist eine schwierige, verzwickte Angelegenheit: Denn soviel gebaute Banalität macht stumm. Und ratlos. Wieder einmal handelt es sich um den allerletzten Bauplatz der Wiener Innenstadt. Er ist rund 650 Quadratmeter groß und an der Ecke Singerstraße/Riemergasse gelegen. Während der jahrzehntelangen Debatten um seine mögliche Verbauung wurde er von der Finanzprokuratur als Parkplatz genutzt; das Grundstück gehörte dem Bund. Dann, eines schönen Tages, wurde es an den Bestbieter, den Wiener Baulöwen Maculan, für sage und schreibe 220.000 Schilling pro Quadratmeter verkauft.

Maculan verbaute nun dieses Grundstück nicht etwa mit einem Bürohaus, wie das an dieser Stelle naheliegend, aber auch herkömmlich wäre. Er stellte auch kein neues Innenstadthotel an diese Ecke. Er dachte sich etwas Spezifisches aus: ein Appartementhotel (77 Appartements) mit drei Geschäften unten und vier Penthauswohnungen oben. Letztere sind noch im Bau und waren lange Zeit Gegenstand grundsätzlicher Überlegungen: Sollte man sie vermieten oder verkaufen? Wären sie verkauft worden, hätte die größte (160 Quadratmeter) und luxuriöseste, mit zwei Terrassen, von denen eine einen wundervollen Blick über Wien bietet, beachtliche 16 Millionen Schilling gekostet. Und sie hätte sofort einen Käufer gefunden.

Aber diese vier Penthauswohnungen sollen vermietet werden. Aus gutem Grund: Die Errichtung dieses Objekts war so teuer, daß es sich selbst bei voller Auslastung nicht rechnet – oder nur so langfristig rechnet, daß es kommerziell nicht interessant genug erscheint. Daher wurde von vornherein, also schon vor Fertigstellung, an den Wiederverkauf gedacht. Und wo ein Investor gesucht wird, da soll es ja bekanntlich der Situation nicht sehr förderlich sein, wenn es schon Teileigentümer gibt.

Nun ist damit noch nichts über die Architektur ausgesagt. Aber ehrlich: Was könnte einem zu einer solchen gebauten Banalität groß einfallen? Dabei muß Maculan mit diesem Hausbau ursprünglich doch eine gewisse Ambition verbunden haben, sonst hätte er sich nicht Ernst Hoffmann als Architekten genommen. Hoffmann ist bestimmt nicht der Architekt, den sich jemand aussucht, der nur schnell und billig bauen will. Aber der Regierungssitzbauer von St. Pölten, der scheint für dieses Objekt nur sehr wenig Zeit aufgebracht zu haben (hoffen wir mit den Niederösterreichern, daß er sie wenigstens in das St. Pöltner Unternehmen investiert hat). Und daher steht jetzt ein Ding da, dessen auffällige Einfallslosigkeit einen schlichtweg mundtot macht.

Was gäbe es in architektonischer Hinsicht über diesen „letzten“ Innenstadtbau zu vermelden? Er hat eine Geschäftszone im Erdgeschoß, die durch eine graue Steinverkleidung von der weißen Putzfassade abgehoben ist. Dann kommt eine gewöhnliche Lochfassade, die durch eine vertikale Reihe von Bullaugenfenstern eine gewisse Differenzierung erhält. Der Differenzierung soll offenbar auch eine vertikale Reihe winzigster Ausblicksbalkone über dem Eingangsbereich dienen. Und in eine schmale Seitengasse an der Rückseite des Hauses schauen französische Fenster. In der Singerstraße schwingt sich im oberen Bereich eine unverständliche Hutkrempe über die Fassade. Das ist es auch schon.

Die Gaupen im ausgebauten Dachgeschoß sind gerade auf einem Haus, das sich doch städtisch geben will, besonders lächerlich; andererseits: Soviel schlimmer als die vielen Gaupen, die es überall sonst in der Wiener Innenstadt gibt, sind sie auch wieder nicht. Und die durch Terrassen wild zerklüftete Dachlandschaft kann man von unten ohnehin nicht sehen.

Das Haus ist als Appartementhotel geführt – das hat für sein Innenleben naturgemäß Folgen: Man betritt zwar eine Art Empfangshalle, ein Foyer, das mit einer Rezeption ausgestattet ist, aber was sonst an infrastrukturellen Einrichtungen zu einem Hotelbetrieb gehört, all das fehlt hier. Von der Rezeption geht es zum Lift und vom Lift direkt zu den Appartements. Diese werden nur mindestens wochenweise vermietet, sind verschieden groß und komplett ausgestattet – bis zum Nudelsieb und zur Schere. Außerdem haben sich die Innenausstatter Mühe gegeben, den Eindruck von Gediegenheit zu vermitteln. Das ist ihnen durch den Einsatz von Wittmann-Polstermöbeln, allerlei Designerkrimskrams und Marmorbäder auch gelungen, allerdings auf einer unvorstellbar trivialen Ebene.

Das Merkwürdige an diesem Haus ist: Man kann sich darüber nicht wirklich empören. Es ist einfach nur fad und nichtssagend. Nun war Ernst Hoffmann auch bisher nicht gerade ein Architekt, dessen Bauten das Architekturgeschehen bewegt oder gar weitergebracht hätten. Aber einen Mindestanspruch an architektonischer Ambition kann man ihnen auch wieder nicht absprechen. Nicht von ungefähr führt Hoffmann ein gutgehendes Architekturbüro und ist bei Wettbewerben recht erfolgreich: Seine Architektur läßt dem Bauherrn die Illusion, etwas „Modernes“ zu bauen, das aber doch nirgends aneckt, nicht ungebührlich auffällt und daher auch keinen schmerzt. Anders ausgedrückt: Hoffmanns architektonisches Kredo ist ein todsicheres kommerzielles Erfolgsrezept.

An diesem Punkt stellen sich dann doch Emotionen ein: Je länger man über dieses fade Eckhaus und seinen Architekten nachdenkt, desto ärgerlicher erscheint die ganze Causa. So ärgerlich, daß man anfängt, sich nach der alten, von der Gewista zuplakatierten Planke zurückzusehnen, denn solange die stand, war dieser „letzte“ Bauplatz der Wiener Innenstadt wenigstens noch ein Hoffnungsgebiet. Irgendwie will es in Wien nicht gelingen, daß von privater Seite etwas gebaut wird, das mehr als durchschnittlich wäre. Nicht, daß es bei den Bauten der Stadt soviel besser wäre – eine gute Initiative wie das Schulbauprogramm 2000, das tatsächlich zu architektonischen Besonderheiten führte, ist ganz schnell wieder zu Ende. Aber bei den privaten Bauherren, auf Seite der Investoren, kommt es nicht einmal zu ansatzweisen Initiativen.

Was sind das auch für Voraussetzungen, wenn man an den konkreten Fall des Maculan-Hauses denkt? Wenn einer einen Bauplatz kauft, von dem er von vornherein weiß, daß er zu teuer ist, was soll dort entstehen? Es kann nur eine austauschbare architektonische Beliebigkeit sein. Denn er ist ja von dem Gedanken beflügelt, das Ding so rasch wie möglich gewinnbringend zu verscherbeln. Unter solchen Umständen läßt sich keine wagemutige architektonische Deklaration realisieren, denn die muß einer schon wirklich wollen. So entstehen Häuser, die eine auf den größtmöglichen gemeinsamen Nenner gebrachte Unkultur charakterisiert.

Mit solchen Häusern ist die Wienerstadt vollgestellt. Man braucht sich nur die neu gebauten Innenstadthotels anzuschauen: Sie übertreffen einander in ihrer Scheußlichkeit. Es gibt auch keinen bemerkenswerten Bürohausbau oder Firmensitz. Die Neubauten sind durch die Bank banal bis erbärmlich. Eine deprimierende Bilanz, vor allem auch, weil höchst ungewiß ist, wann wieder ein „letzter“ Bauplatz zur Verbauung ansteht.

Man muß sich fragen, was im Kopf eines Investors von heute so anders läuft als in den Köpfen der Bauherren von früher. Denn gerade wenn man durch die Wiener Innenstadt geht, wird man laufend mit den gebauten Ambitionen früherer Auftraggeber konfrontiert. Und auch die konnten schließlich rechnen. (Aber ums Rechnen geht es ja in Wahrheit gar nicht.)

Es irritiert im Fall des Maculan-Hauses noch zusätzlich, daß jemand einerseits eine Architekturgalerie betreibt, in der immer wieder ein interessantes Ausstellungsangebot zu sehen ist, und insofern Interesse an Architektur bekundet, und daß dieselbe Person dann andererseits, gar nicht weit entfernt, einen solchen Bau errichtet. Wobei das Ärgernis auch darin besteht, daß es leicht gewesen wäre, etwas wirklich Besonderes zu machen: Gerade in Wien sind die Architekten da, die so etwas können, man muß sie nur beauftragen. Aus anderen Städten weiß man längst, daß bei einem Hotel die architektonische und designerische Besonderheit als kommerzieller Faktor ernst genommen werden muß. Es ist also, abgesehen von allen anderen Aspekten dieses Bauwerks, überhaupt nicht zu verstehen, weshalb die architektonische Strategie hier so kleinlich bemessen wurde.

Nein, es ist genauso wie eingangs postuliert: Beim besten Willen läßt sich gegen dieses Haus keine polemische Attacke reiten. Es bietet keinerlei Anlaß für verbale Ereiferung. Es ist so furchtbar langweilig und uninteressant, daß man seine Existenz nur schulterzuckend zur Kenntnis nehmen und dann ganz schnell wieder vergessen, verdrängen kann.

Spectrum, Sa., 1995.11.18

07. Oktober 1995Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Bauten, wie sie im Buch stehen

Architektur- und Designbücher können eine Plage sein: Man möchte sie alle haben. Dabei weiß man doch, daß gerade auf diesem Sektor die Bücherflut des letzten...

Architektur- und Designbücher können eine Plage sein: Man möchte sie alle haben. Dabei weiß man doch, daß gerade auf diesem Sektor die Bücherflut des letzten...

Architektur- und Designbücher können eine Plage sein: Man möchte sie alle haben. Dabei weiß man doch, daß gerade auf diesem Sektor die Bücherflut des letzten Jahrzehnts auch wenig erfreuliche Nebenwirkungen zeitigte: dicke Bände, teilweise mit unerhörtem graphischen Aufwand gemacht, aber wenig Substantiellem zwischen den Buchdeckeln.

Aus der Produktion dieses Herbsts mag das eklatanteste Beispiel dafür der Band „Television at the Crossroads“ sein – ein Designbuch, das unweigerlich lockt: ein schöner Umschlag und ein edles Vorsatzpapier, nur – es ist wirklich nicht mehr dahinter als ein Seminar mit Studenten, das erstaunlich banale Kreationen zum Thema Fernseher zur Folge hatte. Das können sie gut, die italienischen „Stardesigner“: einen betuchten Sponsor auftreiben und einen vierfarbig schillernden Bluff produzieren, der dann in den Fachbuchhandlungen ganz Mitteleuropas aufliegt. Als Auslagendekoration ist der Band vielleicht gar nicht schlecht.

Stefano Marzano, Alessandro Mendini, Andrea Branzi: „Television at the Crossroads“, 168 S., Ln., S 663 (Academy Group, London).

Wenden wir uns trotzdem zwei seriöseren Produkten zu. Im Einleitungsessay zu „Architecture and Water“ taucht Aaron Betsky tief in die Geschichte des Wassers in der Architektur ein und spürt allen erdenklichen Spielarten dieser Beziehung nach – dem Wasser als einer Art „natürliches“ Artefakt, sei es als Brunnen, Pool oder Spiegelfläche für das „gebaute“ Artefakt, Wasser als klimatische Maßnahme, aber auch als integrierender Bestandteil des architektonischen Environments wie in Venedig oder Holland.

Vieles kennt man, etwa den Wassertempel von Tadao Ando oder den britischen Expo-Pavillon für Sevilla von Nicholas Grimshaw, das Stretto-Haus von Steven Holl oder das Solana-Projekt von Ricardo Legorreta. Außerdem ist es ein wenig ärgerlich, wenn in einer Fachpublikation Bauten und Projekte teilweise so fragmentarisch dargestellt sind, daß man bestenfalls einen flüchtigen Eindruck gewinnt. Andererseits ist die Auswahl so international, daß man dem Buch einen gewissen Informationsgehalt nicht absprechen kann.

„Architecture and Water – Architectural Design No. 113“, 120 S., brosch., S 308 (Academy Group, London).

Schwieriger ist es mit dem Band „The Power of Architecture“. Denn über den Zusammenhang zwischen politischer Macht und Architektur gibt es längst eine Reihe von Untersuchungen: die russische Revolution und deren Architektur, Mussolini und die italienischen Futuristen, Hitler und Albert Speer. Kein Zweifel: Architektur vermag Macht auszudrücken und unter Umständen zu befördern. Trotzdem macht es einem der vorliegende Band nicht leicht, weil so viele Aspekte des Themas angesprochen sind. Natürlich ist die Hongkong-und- Shanghai-Bank des Norman Foster ein Machtsymbol, und auch die „Grands Projets“ des François Mitterrand und die Projekte zum Berliner Reichstag-Wettbewerb drücken Macht aus; und wer in der Architekturszene wüßte nicht, daß auch in einer Persönlichkeit wie Philippe Johnson, in dessen Leben und Werk, Macht zum Ausdruck kommt. Aber ist es nicht doch ein wenig gewollt, Johnson im selben Atemzug mit der – übrigens äußerst bemerkenswerten – Gefängnisarchitektur eines Remy Butler in Brest, Frankreich, abzuhandeln?

„The Power of Architecture – Architectural Design Profile 114“, 120 S., geb., S 680 (Academy Group, London).

Ein besonders interessanter Bildband ist die große, repräsentative Dokumentation eines der spektakulärsten Bauten in der Seine-Metropole, der „Bibliothèque nationale de France“ von Dominique Perrault. Diese Bibliothek schafft Raum für 17 Millionen Bücher und 3600 Leseplätze. Auch die Architektur ist eindrucksvoll: Vier hohe, jeweils einen rechten Winkel bildende Türme – sie gleichen aufgeschlagenen Büchern – umschließen eine riesige Platzfläche.

Perrault war erst 36 Jahre alt, als er 1989 den Wettbewerb für die Bibliothek gewann, weshalb auch Zweifel laut wurden, ob er eine derartige Aufgabe überhaupt würde lösen können. Aber er konnte: Fünf Jahre später war der Bau fertiggestellt.

Das Buch dokumentiert alle Stadien der Entstehung des Projekts, wobei die Baustellenphotos vielleicht sogar am aufregendsten sind, obwohl andererseits die vier Türme in ihrer Einfachheit und Ruppigkeit, eine Kraft demonstrieren, der man sich schwer entziehen kann. Perrault selbst sieht seinen Bau als „minimalistisches“ Kunstwerk. In einem in dem Band wiedergegebenen Gespräch sagt Perrault ganz unverhohlen und für einen Franzosen eigentlich überraschend, daß ihn Le Corbusier nie so fasziniert habe wie etwa Louis Kahn oder Mies van der Rohe. Tatsächlich scheint diese Architektur aus einem Stoff gemacht, dessen städtebauliche Kraft und atmosphärische Wirkung sich aus anderen Quellen nährt als den französischen Klassikern der Moderne.

„Bibliothèque nationale de France 1989-1995 – Dominique Perrault, architecte“, 232 S., Ln., S 1077 (Birkhäuser Verlag, Basel).

Zu den Usancen der Architekturverlage zählt, daß sie manchmal interessante Ausstellungskataloge als Hardcoverausgaben herausbringen. Auf zwei sei hier verwiesen: Bei Prestel ist der Katalog „The Architecture of Bruce Goff 1904-1982“ erschienen, der ursprünglich zur großen Goff-Retrospektive des Art Institute of Chicago herausgekommen ist, bei Ernst & Sohn der Katalog zur vielgerühmten Taut-Ausstellung des Sezon-Museums, Tokio – unter dem Titel „Bruno Taut: Natur und Phantasie 1880 bis 1938“. Goff war eine der faszinierendsten Gestalten der amerikanischen Architekturszene, eine Dreifachbegabung – Maler, Komponist und Architekt – und ein Besessener, dessen Vorstellungen von einer „absoluten Architektur“ zu denkwürdigen Bauten führten. Auch Taut war ein Multitalent: Dieser Katalog enthält viele bisher unbekannte Arbeiten – Entwürfe für das Theater, für Gebrauchsgegenstände und Siedlungen.

Pauline Saliga, Mary Woolever (Hrsg.): „The Architecture of Bruce Goff 1904-1982 – Design for the Continuous Present“, 120 S., Ln., S 609 (Prestel Verlag, München).

Manfred Speidel (Hrsg.): „Bruno Taut – Natur und Phantasie 1880 bis 1938“, 344 S. geb., S 764 (Verlag Ernst & Sohn, Berlin).

Eines der schönsten Bücher dieses Herbsts ist „Das moderne Haus“. Was John Welsh hier vorlegt, ist mehr als bloß eine Aneinanderreihung von Häusern. Der Versuch einer thematischen Gliederung in „ideale Villa“, „konstruktive Lösungen“, „organische Häuser“ und „Kompromisse in der Stadt“ ist zwar ebenso anerkennenswert wie der Versuch, die historischen Entwicklungslinien dieser verschiedenen Themenkreise nachzuzeichnen. In Wirklichkeit aber frappiert vor allem die Konzentration und Konsistenz dieser so unterschiedlichen architektonischen Statements.

Ein wenig nachdenklich mag einen stimmen, daß Österreich, das sich auf seine Einfamilienhausarchitektur soviel zugute hält, mit keinem einzigen Beispiel vorkommt. Andererseits – die breit gefächerte Internationalität des Bandes entschädigt dafür. Überrascht es jemanden, daß die beiden außergewöhnlichsten Häuser – die „Zero-Kosmologie“ in Sichtbeton von Masaharu Takasaki und das „Kubistische Haus“ aus Glas von Shinichi Ogawa – in Japan stehen? Auch die leuchtend farbige kalifornische Kulissenarchitektur „The Monument“ von Joshua Schweitzer oder die australischen Bauten „St. Andrew Haus“ von Nonda Katsalides und das „Haus Cowes“ von Barry und Denton Corker Marshall fallen aus dem Rahmen üblicher Einfamilienhausarchitektur und verdichten sich zu spannenden Aussagen.

John Welsh: „Das moderne Haus“, 240 S., geb., S 998 (Verlag Ernst & Sohn, Berlin).

Bleibt noch ein letzter, ein wenig abseitiger Buchtip für jene, die der Auseinandersetzung mit Baukunst der herkömmlichen Lesart müde sind: „Thomas Bernhards Häuser“ beschert den Freunden von Literatur und Baukunst gleichermaßen Freude – und die Möglichkeit zur stimmungsvollen Gedankenreise durch einen ganz anderen architektonischen Kontinent.

Wieland Schmied, Erika Schmied: „Thomas Bernhards Häuser“, 160 S., geb., S 680 (Residenz Verlag, Salzburg) .

Spectrum, Sa., 1995.10.07

01. Oktober 1995Liesbeth Waechter-Böhm
newroom

Architektur und Kunst

Im Jahr 1977 fand die erste einer geplanten Reihe von Veranstaltungen am Linzer Donauufer statt: „Forum Metall“. Aus diesem Anlaß wurden 13 internationale...

Im Jahr 1977 fand die erste einer geplanten Reihe von Veranstaltungen am Linzer Donauufer statt: „Forum Metall“. Aus diesem Anlaß wurden 13 internationale...

Im Jahr 1977 fand die erste einer geplanten Reihe von Veranstaltungen am Linzer Donauufer statt: „Forum Metall“. Aus diesem Anlaß wurden 13 internationale und österreichische Künstler und Architekten eingeladen, Beiträge für diesen spezifischen Standort am Fluß zu erarbeiten; die ortsansässige Stahlindustrie wollte sich aktiv an deren Verwirklichung beteiligen. Bei dieser Gelegenheit erblickte unter anderem die Linzer „Nike“ das Licht der Welt: eine Kreation von Haus-Rucker-Co, die vom Dach des rechten der beiden symmetrischen, unter Hitler errichteten Brückenkopfgebäude, die den Hauptplatz an seiner Nordseite fassen, weit in den Straßenraum hinausragte. In dem Haus ist sinnigerweise die Linzer Kunsthochschule untergebracht. Was lag da näher, als mit der „Nike von Samothrake“ ein Stück klassisches, antikes Griechenland in die Gegenwart herüberzuholen.

Sicher ist: Ein solches Konzept wäre damals wohl niemand anderem in Österreich eingefallen. Und ebenso sicher ist, daß es auch niemand pointierter, schärfer hätte umsetzen können als eben die Haus-Rucker-Co. Sie hat praktisch ein fotografisches - graubraun eloxiertes - Abbild der antiken Nike auf 7,5 Meter vergrößert und in Form zweier spiegelbildlich verkehrter, aus silbrig schimmernden Aluminiumtafeln zusammengesetzter Paneele auf einem sieben Meter langen, schräg nach oben weisenden Stahlgitterträger montiert. Soweit, so signifikant.

Lassen wir offen, was in dieser Arbeit inhaltlich alles angesprochen ist. Worum es hier in erster Linie geht, ist die öffentliche/mediale Reaktion. Die Linzer Nike wurde schnell zum Stein des Anstoßes. Eine gewisse, nämlich die breite Öffentlichkeit - geschürt von den konservativen Medien - zeigte sich empört. Lautstarker Tenor: „Die Nike muß weg.“

Natürlich stand auch damals schon dieser breiten eine qualifizierte Öffentlichkeit gegenüber. Und die versuchte nach Kräften, sich ebenfalls bemerkbar zu machen. Speziell Heinz Baumüller (heute: Werkstatt Kollerschlag) organisierte in einer fast schon zukunftweisenden Aktion - dergleichen gab es seither öfters - Protestschreiben von Künstlern und Kunstvermittlern internationalen Ranges. Aber im Endeffekt hat alles nichts genützt. Ein Volksfest war’s und gleichzeitig ein Trauerspiel: Am 22. November 1979, knapp vor Mitternacht, wurde die Linzer Nike demontiert. Und in der Folge, auch das nicht untypisch für den österreichischen Kulturklimapegel, wurde sie exportiert: Nach Frankfurt, ans Museumsufer, wo sie vor dem Deutschen Architektur-Museum ein Zeichen setzen sollte, was ihr aber auch dort nicht vergönnt war.

So könnte man das Geschehen rund um die Linzer Nike unter die Eckdaten der schier unendlichen Geschichte jener glücklosen Beziehung zwischen Architektur und Kunst einreihen, wie sie sich in der österreichischen Nachkriegszeit so facettenreich entwickelt hat.
Das war vor und zwischen den Kriegen noch anders. Architektur, die etwas auf sich hielt, schmückte sich oft und gern mit Kunst. Eines der schönsten Beispiele für diese selbstverständliche Beziehung steht in der Wiener Innenstadt und stammt von Joz?e Plec?nik: Es ist das sogenannte Zacherl-Haus, errichtet 1903-1905, dessen graue Granitfassade in der Zone des Dachgesimses in einer Reihe riesiger Atlanten des Bildhauers Franz Metzner ihren monumentalen Abschluß findet. (Der Erzengel Michael, der heute die Fassade schmückt und nach einem Entwurf Plec?niks von dessen Freund Ferdinand Andri zunächst in Holz geschnitzt wurde, später in Kupfer getrieben, wurde erst 1909 angebracht.)

Ein anderes hervorragendes Beispiel für das Zusammenwirken von Architektur und Kunst befindet sich auf dem Gelände des psychiatrischen Krankenhauses in Wien und stammt von Otto Wagner. Es ist seine Kirche „Am Steinhof“, errichtet 1905-1907. Die Kirche ist gewissermaßen als secessionistisches Gesamtkunstwerk angelegt: Kolo Moser entwarf die Glasfenster, Rudolf Jettmar und Leopold Forstner fertigten die Altarmosaiken aus Email, Glas, Keramik und Marmor, die Heiligenstatuen auf den beiden Türmen stammen von Richard Luksch und die Engel der Eingangszone sind von Othmar Schimkowitz. (Letzterer schuf übrigens auch die vier Meter hohen Aluminiumgüsse der Engelsfiguren auf Wagners Postsparkasse, 1903-06, 1910-12.)

Architektur ohne Kunst war bei öffentlichen und bei Repräsentationsbauten praktisch undenkbar. Und in der Zwischenkriegszeit, als die Sozialdemokratie im „Roten Wien“ ihr gewaltiges Wohnbauprogramm realisierte, hielt die Kunst dann sogar in den neuen „Arbeiterpalästen“ Einzug. Bemerkenswert daran ist aber nicht einmal so sehr die Tatsache, daß es überhaupt Kunst gab; viel bemerkenswerter ist nämlich, welche Art von Kunst das war - eine letztlich höchst konservative, die selbst vor dem guten, alten Putto nicht zurückschreckte - siehe dazu: Otto Prutschers Lorens-Hof von 1927, wo an der Gebäudeecke über dem Erdgeschoßbereich ein Putto des Bildhauers Rudolf Schmidt überrascht; Skulpturengruppen, wie jene von Leopold Hohl über dem Eingang zum Gall-Hof von Heinrich Schopper und Alfred Chalusch, 1924, mit dem sinnreichen Titel „Kraft und Fruchtbarkeit“ waren nicht selten; und auf „Zierbrunnen“ stieß man in jedem größeren Hof. Da kam der künstlerischen Qualität der Plastiken eines Anton Hanak, etwa über dem Eingangsportal zum Klose-Hof von Josef Hoffmann (1924), schon eher der Rang einer Ausnahme zu.

Dieses Manko sollte die „Kunst am Bau“ im wesentlichen auch noch zumindest die ersten drei Nachkriegsjahrzehnte hindurch charakterisieren. Die sattsam bekannte „Eisbären-Zeit“, die vor jedem größeren Gemeindebau eine Tierplastik zur Folge hatte - bei kleineren tat es auch nur ein Mosaik -, währte noch bis in die siebziger Jahre hinein. Und zumindest im Wohnbaubereich der Bundeshauptstadt wurde sie auch dann nicht etwa durch Besseres abgelöst, sondern genau genommen durch (fast) gar nichts. Mit anderen Worten: Aus dem kommunalen Wohnbau hat sich die Kunst heute weitestgehend verabschiedet, sie wurde praktisch ersatzlos gestrichen.

Das ist beim Bundeshochbau nicht der Fall: Da gibt es das berüchtigte Kunst-Prozent und seit Mitte der achtziger Jahre auch einen Beirat „Kunst und Bau“, der über Verfahrensweise (Direktauftrag, geladener Wettbewerb, offener Wettbewerb) und Vergabe entscheidet. Das heißt: Schulen und Universitäten, Kasernen und Ämter werden seither mit Kunst ausgestattet, auch wenn es dabei nicht immer ganz reibungslos zugeht. Wenn nämlich ein Bau - wie etwa der Neubau der Technischen Universität in Wien - teurer ist als geplant, dann wird die Gefahr akut, daß sich automatisch das Kunst-Prozent verflüchtigt, zumindest aber empfindlich reduziert.

Doch die eigentliche Gretchenfrage in bezug auf das Thema „Kunst und/am Bau“ tut sich jenseits solcher Verfahrens- und Finanzierungsfragen auf: Sie ist inhaltlicher Natur und hat - siehe Einleitung - bis heute mit dem krassen Informationsdefizit zu tun, das sich zwischen der breiten und einer qualifizierteren Öffentlichkeit kluftartig auftut; sie hat mit dem entfremdeten Verhältnis zwischen Architekten und Künstlern zu tun und damit, daß Künstler von ihrer Ausbildung her auf die spezifischen Bedingungen einer Kunst im architektonischen oder stadträumlichen Kontext nicht vorbereitet sind; last not least betrifft sie sicher auch das aktuelle Anforderungsprofil und die geltende Durchführungspraxis, die beide weit hinter den tatsächlichen Entwicklungen im Kunstbereich hinterherhinken. Die verordnete Usance will nämlich nach wie vor, daß Kunstwerke fest mit dem Bau verbunden und daß sie pflegeleicht bzw. nach Möglichkeit wartungsfrei sein müssen. Da kann es schon vorkommen, daß eine minimalistische Stahlskulptur, die für die Rasenfläche vor einer Schule in Oberösterreich realisiert wurde, nicht an der knappen Million Schilling Kosten, sondern am Veto des Schulwarts scheitert, dem es zu umständlich ist, um das Objekt herumzumähen.

In der Steiermark, die als einziges österreichisches Bundesland ein eigenes Kunst-am-Bau-Büro unterhält und in diesem Bereich relativ konsequent und engagiert tätig ist, gibt es schon eine deutlich größere Bandbreite an Möglichkeiten. Sogar die Niederösterreicher und die Salzburger halten sich auf ihre „Kunst am Bau/Kunst im öffentlichen Raum“ immerhin soviel zugute, daß sie sie in umfangreichen Bänden publizieren. Das wird auf Bundesebene vielleicht auch noch einmal der Fall sein, aber was Wien selbst anbelangt, sollte man ein solches Vorhaben getrost noch eine Weile vertagen. Nur als Beispiel: Bei der „künstlerischen Ausschmückung“ des riesigen Komplexes des Allgemeinen Krankenhauses etwa scheute man nicht davor zurück, Einheitsgrößen von Rahmen zu verwenden, für die Künstler dann eine passende Bildspende abliefern durften.

Aber Wien ist ja überhaupt ein eigenes - „anderes“ (Anm.: „Wien ist anders“ - heimischer Werbeslogan der Zilk-Ära) - Kapitel: Es hat seinen Friedensreich Hundertwasser, seinen Arik Brauer und seinen Karl Hodina (für Nicht-Wiener: ein Heurigensänger, der auch malt) und verfügt damit, nach dem Willen seines ehemaligen Bürgermeisters Helmut Zilk, über eine sehr individuell-symbiotische Lesart von Künstler-Architektur, die sich nach Wohnhäusern und Fernheizwerk inzwischen auch entlang der Autobahnen (Raststätten) ausbreitet und selbst vor Kirchen (Ernst Fuchs in der Steiermark) nicht halt macht. Diese ungebremste Karnevalisierung von Stadt und Land grassiert mittlerweile mit der Vehemenz einer seuchenartigen Immunschwäche und ist an Perfidie kaum noch zu überbieten: Denn alle diese Malerarchitekten - sie bauen natürlich zu Sonderkonditionen, die keinem Architekten je zugestanden würden - treten mit dem Anspruch auf, als könnten sie - wenn schon nicht die Kunst, so wenigstens das Bauen besser...

Dabei, und das muß einem doch zu denken geben, hat Österreich in den sechziger und siebziger Jahren eine wirklich spannende Hochblüte architektonisch/künstlerischer Konzepte erlebt. Das fing schon seinerzeit mit Hans Hollein und Walter Pichler an, die ja ein gutes Stück Weg gemeinsam gegangen sind und beide scharf an der Grenze zwischen Kunst und Architektur agierten - „Architektur“ war schließlich auch der Titel einer Gemeinschaftsausstellung der beiden in der Wiener „Galerie nächst St. Stephan“. Nicht von ungefähr entwirft Walter Pichler heute im burgenländischen St. Martin Häuser für seine Skulpturen und baut an seinem eigenen „ruralen“ Gesamtkunstwerk. Und nicht von ungefähr schuf Hollein noch Jahre nach Fertigstellung des Museums Abteiberg in Mönchengladbach mit der „Turnstunde“ (1984) eine Installation ganz und gar künstlerischer Provenienz.

In diesem Zusammenhang wäre auch noch ein anderer Vertreter dieser Künstler-Architekten-Generation zu nennen, der Österreich allerdings bald nach seinen ersten Bauerfahrungen - Mitte der sechziger Jahre - verlassen und dann, in New York, auf das Bauen jahrzehntelang verzichtet hat: Raimund Abraham. Ist es Architektur, was sein Bleistift auf dem Papier realisiert - er würde sagen, ja. Aber man kann sicher darüber diskutieren, wieweit diese Architektur nicht auch oder vor allem Kunst ist.

Zu einer geradezu hektischen Aktivitätsfülle im Berührungsbereich Architektur und Kunst kam es aber dann Ende der sechziger, Anfang der siebziger Jahre, als die Architektengruppen wie Pop-Bands aus dem Boden schossen - Haus-Rucker-Co, Coop Himmelblau, Salz der Erde, Zünd up etc. - und das amüsierte Publikum mit pneumatischen Wohnräumen, die irgendwo aus den Fenstern hingen (Haus-Rucker-Co), vergnüglichen „Riesenbillards“ (Haus-Rucker-Co) und „Stadtfußbällen“ (Coop Himmelblau) unterhielten und möglicherweise auch provozierten. Das kreative Potential dieser Jahre war kaum noch zu überbieten und strahlte weit über die Landesgrenzen aus.

Dagegen hat sich im Kunstbereich im engen Sinn zur gleichen Zeit viel weniger getan, das über den Galerie- und Museumskontext hinaus öffentlich wirksam und sichtbar geworden wäre. Die vermutlich beste und signifikanteste Arbeit eines Künstlers im Architekturkontext stammt von dem Vorarlberger Gottfried Bechtold; sie wurde aber nicht in Österreich realisiert: Es ist sein „Betonporsche“ aus dem Jahr 1971, der seither auf dem Parkplatz der Universität Konstanz für Aufsehen sorgt und im übrigen 1996 sein 25jähriges Jubiläum feiert. Gottfried Bechtold aus Vorarlberg, Richard Kriesche aus Graz, Waltraud Cooper aus Linz - das sind schon einige der wichtigsten Künstler, die die Arbeit im architektonischen Kontext bzw. auch im öffentlichen Raum zu ihrem Anliegen gemacht haben. Sie mußten ziemlich lange durchhalten, bis sie größere Konzepte umsetzen konnten, und dabei kämpferische Strategien entwickeln, die weit über den Rahmen üblicher Durchsetzungsmuster hinausgehen.

Aber letztlich waren sie doch erfolgreich: Waltraud Cooper konnte in einem der neueren Grazer Universitätsbauten eine ihrer medialen Licht-Ton-Arbeiten realisieren und hat später auch den Wettbewerb für die wichtigste künstlerische Arbeit im Austria Center Vienna für sich entschieden - übrigens eine jener zahlreichen Gelegenheiten, bei denen man sich fragen muß, inwieweit die künstlerische Ambition zum Tragen kommen kann, wenn die architektonische derartig ausläßt.

Gottfried Bechtold hat im vergangenen Jahr im Kontext eines Schulbaus von Ernst Giselbrecht in Kaindorf/Steiermark eine der bemerkenswertesten und signifikantesten „Kunst und Bau“-Arbeiten seit Jahren realisiert: Einen weithin sichtbaren, hohen Leuchtturm, spitz wie eine Nadel, eine filigrane technische Skulptur, die sich auch auf dem Boden breit macht, bis ins Gebäudeinnere fortsetzt und dort, proportional zur schulischen Betriebsamkeit, für differenzierte Lichtsituationen sorgt. Das heißt, wenn die Schule geschlossen ist, strahlt der Leuchtturm am stärksten, ist die Schule in Betrieb, wird das äußere Licht quasi nach innen gesogen. Außerdem haben die Schüler über einen Terminal die Möglichkeit zu spontanen, zeitlich begrenzten Eingriffen (eine Möglichkeit, die allerdings mehr theoretisch existiert, weil sich der neue Schuldirektor mit der Arbeit von Bechtold nach wie vor nicht angefreundet hat und daher den Terminal gern unter Verschluß hält).

Die Probleme im Umgang mit „verordneter“ Kunst am Bau sind, wie man an solchen Beispielen sehen kann, noch lange nicht ausgeräumt. Alle Vorstöße in unbekanntes, unerprobtes Terrain müssen daher vorläufig punktuell bleiben. Das liegt teilweise durchaus auch am System:
Da werden Aufträge - zum Beispiel für Amtsgebäude - vergeben, kaum weiß man, wie; und dann wird ein sorgfältiges, minutiös durchgespieltes Verfahren in die Wege geleitet, um das bestmögliche Kunstkonzept zu erlangen. Daß architektonische Belanglosigkeit und forcierter zeitgenössischer Kunstanspruch nicht in Deckung zu bringen sind, sollte - oder könnte - man zumindest wissen.

Im architektonischen Kontext ist zwar heute längst auch eine jüngere und sehr professionelle Künstlergeneration am Werk, die in den letzten Jahren eine ganze Reihe interessanter Arbeiten realisiert hat. Aber die wirklich bedeutsamen Schöpfungen, in denen sich Kunst und Architektur vorsichtig berühren, verdanken sich nach wie vor öfter anderen, nicht-verordneten Umständen und Initiativen und sind schon von daher - aber nicht nur deswegen - singulär. Die Kraft, die Günther Domenigs „Steinhaus“ am Ossiacher See innewohnt, wird kein Nur-Architekt und kein Nur-Künstler seiner Arbeit so schnell einhauchen können: Eine solche Haus gewordene Skulptur - oder ist es umgekehrt? - verdankt sich nicht einfach einem Baukünstler im herkömmlichen Sinn, sie braucht den Künstler-Architekten. (A propos Künstler-Architekt: Daß sich Günther Domenig auch gerne als Objektkünstler versucht, hat er u.a. 1983 mit seinem Vogel „Nix-Nuz-Nix“ bewiesen. Das Objekt wurde ursprünglich für eine Bank entworfen und später von Domenig zurückgekauft.)

Ganz anders angelegt, aber von vergleichbarer Konzentration ist auch Cornelius Koligs „work in progress“, „Das Paradies“ im Kärntner Gailtal: Es hat 1980 mit der sogenannten Roten Grube begonnen und wurde im Lauf der Jahre zu einer architektonisch und konzeptionell komplexen Anlage, die sich immer weiter ausdehnt und verändert. Vom Aufbau her könnte man einen basilikalen Grundriß - zwei Türme, kapellenartige Zubauten - konstatieren, der aber durch die einfachen Materialien - unverputzte Hohlblocksteine, Sichtbeton, unbehandeltes Holz, Aluminium - aufgebrochen, ambivalent wird.

Geradezu konträr ist die Haltung eines Adolf Krischanitz. Er baut nicht etwa an seinem eigenen Gesamtkunstwerk, aber er arbeitet mit Künstlern seiner eigenen Wahl zusammen, wenn es um die Farbkonzepte seiner Bauten geht. Von den Einfamilienhäusern bis zu den Reihenhäusern in der Wiener Pilotengasse hat diese maßgeschneiderten farbigen Kleider zumeist Oskar Putz entworfen, zuletzt, beim Kindergarten „Neue Welt Schule“, stammte das Farbkonzept von dem in Wien lebenden Schweizer Künstler Helmut Federle. Es hat diese letzte Auffassung sicher nichts mit den Projekten eines Günther Domenig oder eines Cornelius Kolig zu tun - sie ist aber bemerkenswert, weil sie gewissermaßen eine deklariert zeitgenössische Lesart der tradierten Allianz zwischen Architekt und Künstler darstellt, wie sie früher einmal die Wiener Moderne so sehr geprägt hat.
Picasso is watching us: Robert Adrian X, seit langem in Wien lebender Kanadier, hat eine gigantische Vergrößerung von „Picassos Auge“ so auf einem Gebäude angebracht, daß jeder, der die Reichsbrücke Richtung Innenstadt überquert, in den Sog dieses suggestiven Blicks gerät. Bild gewordene Allmachtsphantasie eines Künstlers? Oder Ikone - aber wovon und für wen?

Vielleicht ist es dem österreichischen Biennale-Kommissär Peter Weibel im Sommer 1995 am besten gelungen, die neuen - medialen - Schnittstellen zwischen Architektur und Kunst sichtbar zu machen: „Mit dem Wandel des Bildes und seinem Wandern von der Malerei zu den Medien hat sich auch die Schnittstelle zwischen Kunst und Architektur gewandelt: von der Malerei zu den Medien. Die dreidimensionale und die zweidimensionale Kunst ändern sich mit ihren Trägermedien, mit ihrer Technologie (...) Daher bilden die Medien heute die dominante Schnittstelle zwischen Architektur und Kunst, zwischen Baukunst und Bildkunst. Die technische Transformation des Bildes hat also auch die Gleichung zwischen Kunst und Architektur transformiert“ (Weibel).

In diesem Sinn war Österreichs Biennale-Pavillon in Venedig - mit seiner spektakulären Überformung des Hoffmann-Baus durch Coop Himmelblau und seinem nicht weniger spektakulären, flirrenden, weil medial vermittelten Bildinhalt (von Peter Kogler, Richard Kriesche, Constanze Ruhm, Peter Sandbichler, Eva Schlegel und Ruth Schnell) ein zukunftweisendes Statement für die von Peter Weibel apostrophierte „neue Gleichung zwischen Kunst und Architektur“.

newroom, So., 1995.10.01

02. September 1995Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Ohne Schlagobers

Franz E. Kneissls Bauten schlagen einen herben Ton an. Die rüde Demonstration architektonischer Pragmatik hat fast schon den Charakter eines Manifests.

Franz E. Kneissls Bauten schlagen einen herben Ton an. Die rüde Demonstration architektonischer Pragmatik hat fast schon den Charakter eines Manifests.

In der Arbeit von Franz E. Kneissl gibt es schon seit langem ein durchgehendes Thema: Man könnte es die Abwesenheit der Architektur nennen. Das fing mit den frühen Mehrzweckhallen des damaligen Teams Appel, Kneissl, Prochazka an und setzt sich nahtlos und noch schärfer in den beiden jüngsten kleinen Arbeiten von Kneissl fort. Sowohl der Umbau des „Literarischen Quartiers“ in der Alten Schmiede in Wien als auch der temporäre Pavillon des „Architektur Zentrums Wien“ im Museumsquartier liefern Beispiele für den Gestaltungsunwillen dieses Architekten. Man muß sie gesehen haben.

Kneissl hat den neuen Pavillon unmittelbar vor das „Architektur Zentrum“ in einen Hof des Museumsquartiers gebaut, also nicht mitten hinein, sondern in eine Ecke. Damit wird gleich klargestellt, daß es sich nicht um ein solitäres Bauwerk handelt, sondern um eines, das als vorübergehende Erweiterung der Ausstellungsräume des AZW dient. Während des großen Architekturfestivals „80 Tage Wien“, das uns diesen Herbst mit seinem dichten Programm außer Atem bringen wird, kann sich der Ausstellungsbesucher dort einen aktuellen Programmüberblick verschaffen, seinen Kaffee trinken, Bücher kaufen und überhaupt an Veranstaltungen aller Art – vom Diavortrag bis zur Diskussionsrunde – teilnehmen.

Der Pavillon ist eine schlichte Stahl-Glas-Konstruktion, ein Quader mit Trapezblecheindeckung und asphaltiertem Fußboden. An der südlichen, dem Hof zugewandten Längsseite hat er einen Sonnenschutz. Als Verdunkelung bei Diavorträgen, die am Tag stattfinden, dürfte diese Jalousie aber nicht ausreichen: Da werden die Scheiben mit Folie beklebt. Außerdem ist der Pavillon beheizbar (eine Gasheizung, die die warme Luft von der Decke in den Raum bläst).

Der Pavillon steht auf einem ganz simplen Fundament. Es wurde aus dem Asphalt des Hofes ein Rechteck ausgeschnitten, eine Betonplatte eingefügt und darüber wieder asphaltiert. Auf diesem Fundament ist der Pavillon festgeschraubt – das heißt, er kann jederzeit demontiert und zerlegt werden und bekommt später, lange nach Ende der „80 Tage Wien“, auch tatsächlich einen neuen Aufstellungsort: im Bereich des neugestalteten Wiener Gürtels, wo es offenbar Bedarf für eine solche kleine Halle gibt.

Kneissl hat die beiden Eingänge in seinen Pavillon an die dem Hof abgekehrte Längsseite verlegt. Das ist auf den ersten Blick eine überraschende Maßnahme, weil der Ankommende dadurch vor einer zwar transparenten, aber hermetisch abgeschlossenen Box steht. Die einladende Geste weit geöffneter Türen hat sich der Architekt aber versagt, weil es ihm darum ging, die Störung des Hofes durch diesen Einbau so gering wie möglich zu halten – daher auch kein Terrassencafé, das dann mit Tischen und Stühlen über die Platzfläche des Hofes wuchert.

Die einzige Raumausstattung, die er seinem Pavillon mitgegeben hat – Tische und Stühle waren vorhanden –, besteht aus zwei tiefen Regalen, die jeweils an den Schmalseiten des Hauses direkt an die Glashaut geschoben sind. Sie sind so dimensioniert, daß man dort von der Tonanlage bis zum Diaprojektor alles mögliche plazieren und obendrein vorübergehend nicht gebrauchtes Mobiliar darin verstauen kann.

Kneissls Pavillon ist ein bemerkenswertes Gebilde. Man schaut ihn an und gewinnt den Eindruck, daß man ihn schon viele Male gesehen hat. Ihm fehlt einfach jegliche Besonderheit. Ihm fehlt das raffinierte, das delikate Detail. Ihm fehlt die individuelle architektonische Geste. Und letztlich drückt er nicht einmal die Ambition des Architekten aus, wenigstens die Konstruktion soweit zu minimieren, daß eben wirklich nur ein Hauch von Stahl und Glas dasteht. Diese rüde Demonstration architektonischer Pragmatik hat fast schon Manifestcharakter. Und der Titel dieses Manifests müßte eigentlich lauten: arme Architektur.

Auch der Umbau des „Literarischen Quartiers“ läßt sich unter diesem Vorzeichen betrachten. Der Veranstaltungssaal dieser Institution liegt ja, von der Straße aus unsichtbar, in einem Hinterhof der Wiener Innenstadt und war früher, vor Kneissls Intervention, zwar nicht reizlos, aber doch arg beengt. Von den räumlichen Voraussetzungen her – knappe 120 Quadratmeter Veranstaltungsraum und ein Vorraum – war dem Architekten ein denkbar enges Limit gesetzt. Viel konnte er hier von vornherein nicht machen; die Schwierigkeit war, das wenige so zu tun, daß die Beengtheit der Situation funktionell und atmosphärisch relativiert wird.

Kneissl schuf einen ganz neuen und sehr puren, aber transparenten Eingangsbereich mit Windfang und erreichte durch eine Reihe kleiner Maßnahmen, daß der Vorraum als Gelenk zwischen außen und innen, als Durchgangszone, aber auch als Aufenthaltsraum besser funktioniert. Gleich links vom Eingang ist in einer Nische ein Tisch plaziert, auf dem Bücher verkauft werden können; hier geht es dann weiter zu den Garderoben; gegenüber: Informationswände für Plakate und Programme, darunter schmale Stehpulte.

Der Zugang zum Veranstaltungssaal ist als Schiebewand formuliert, die man ganz öffnen kann, sodaß bei großem Publikumsandrang die Leute auch draußen im Vorraum stehen können und doch noch etwas sehen und hören. Die Sitzreihen laufen – entlang der Wände – rundherum. Kneissl hat drei Sitzreihen übereinandergestaffelt, eine offene Tribüne, durch die man bis zur Wand durchsieht: Das war ein wichtiger Kunstgriff, denn ein geschlossener, kastenartiger Tribüneneinbau hätte den Raum verkleinert.

Die Tribünenkonstruktion selbst ist eine „Maßanfertigung“ aus Stahl, die Sitzflächen sind ein Fertigprodukt aus gepreßten, an der Vorderkante leicht gebogenen Sperrholzpaneelen. Daß Stufen eingeschnitten werden mußten, wiewohl keiner sie benutzt, fällt ebenso unter die behördlich verordneten Zwänge wie die Haltegriffe, die angeblich der Sicherheit dienen; auch die Fluchttüre zählt dazu, die jetzt – ein Kuriosum eigentlich – in die Schiebewand integriert ist und mit dieser weggeschoben werden kann. Was zwischen den Zeilen dieser knappen Schilderung lesbar werden sollte: Genau wie der Pavillon des „Architektur Zentrums Wien“ ist dieser Umbau durch – man kann es kaum anders benennen – den Verzicht auf jegliche Art von verselbständigtem architektonischen Gestaltungswillen charakterisiert.

Beim Pavillon, der ja ein Neubau und nicht ein maßgeschneiderter Umbau in alter Substanz ist, tritt die Armut dieser Architektur naturgemäß noch viel eklatanter in Erscheinung. Kneissl hat die Konstruktion der Halle nicht selbst entwickelt: Es handelt sich vielmehr um ein Fertigprodukt, eine preiswerte Industriehalle, die man „nach Maß“ bestellen kann; sie könnte genausogut eine Haut aus Trapezblech haben und würde sich dann nicht wesentlich von den vielen Industriehallen unterscheiden, wie sie in den Betriebsbaugebieten an der städtischen Peripherie zu Dutzenden herumstehen.

Diese Entscheidung für ein Industrieprodukt hat dabei in bezug auf die Delikatesse des Bauwerks weitreichende Folgen. Denn die Konstruktion ist so ausgelegt, daß damit Spannweiten bis zu 35 Metern bewältigt werden können. Das heißt: Bei geringeren Spannweiten sind gewisse Konstruktionsteile zwangsläufig überdimensioniert. Auch die Dimensionierung des gesamten Bauwerks ist letztlich nicht nur Resultat einer Überlagerung von architektonischen Maßnahmen und funktionellen Vorgaben, sondern auch von sehr pragmatischen Preis-Leistungs-Überlegungen.

Die Entscheidung für Glas läßt sich begründen: Es ist ein gut wärmedämmendes Material, sorgt für natürliche Belichtung im Pavillon selbst und entmaterialisiert den Einbau soweit, daß die Hofsituation nicht beeinträchtigt wird. Aber Glas in großen Paneelen ist teuer. Wenn man eine bestimmte Größe überschreitet, vervielfachen sich die Glaspreise explosionsartig. Kneissl hat die ursprüngliche Überlegung, den Pavillon zehn mal 20 Meter zu machen, bedenkenlos modifiziert: Er nahm den größten Scheibenzuschnitt, der noch in die Niedrigpreiskategorie fällt, als „Modul“ – zwei mal drei Meter – und kam so auf Abmessungen von neun mal 18 Meter.

In der heutigen Architektur gibt es das Schlagwort vom Minimalismus. Aber dieser Minimalismus ist ein artifizielles Konstrukt, das in Bauten resultiert, die wie Bilder funktionieren. Eine solche Stilisierung würde sich Kneissl niemals durchgehen lassen. Seine Haltung ist viel härter. Und seine Bauten funktionieren, sie sind benutzbar, aber da ihnen das „Schlagobers“ (Kneissl) fehlt, schlagen sie einen herben Ton an. Zweifellos, Kneissls arme Architektur ist gewöhnungsbedürftig.

Spectrum, Sa., 1995.09.02



verknüpfte Bauwerke
Pavillon ´80 TAGE WIEN´

26. August 1995Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

An einem Bächlein helle

Reduziert – und doch nicht monoton: das Schulgebäude von Ines und Reinhold Bösch in Koblach, Vorarlberg. Mit einem Energiekonzept, das Zukunft hat. Ein Schulversuch.

Reduziert – und doch nicht monoton: das Schulgebäude von Ines und Reinhold Bösch in Koblach, Vorarlberg. Mit einem Energiekonzept, das Zukunft hat. Ein Schulversuch.

Schon die Baustelle war spektakulär. Denn als die Realisierung des Schulgebäudes der Architekten Ines und Reinhold Bösch auf der grünen Wiese im Zentrum von Koblach in Angriff genommen wurde, gab es zunächst nichts zu sehen als die 20 jeweils zehn Meter hohen, betonierten Pfeiler, die jetzt das Rückgrat des Hauses bilden – ein Stonehenge der neuzeitlichen Art.

Diese Sichtbetonpfeiler haben die Installationen und Lüftungsführungen aufgenommen, gemeinsam mit den Sichtbetonträgern bilden sie die primäre Tragstruktur des Hauses. Der Klassentrakt, der insgesamt drei Ebenen umfaßt, besteht im wesentlichen aus drei aufeinandergestapelten, 90 Meter langen Hallen, die nach den Vorgaben der Schulbehörde und unter Ausnutzung des Konstruktionsrhythmus der Fertigteildecken (nicht aus Beton, der Akustik wegen) in die verschiedenen Klassenzimmer und Nebenräume unterteilt sind. Alle Trennwände sind dabei nichttragende Gipsständerwände, sodaß Nutzungsänderungen jederzeit ohne großen Aufwand berücksichtigt werden können.

Aber fangen wir außen an. Denn der mehrteilige Gebäudekomplex von Ines und Reinhold Bösch mit Klassentrakt und Dreifachturnsaal, mit einem eigenen kleinen Verwaltungsbau und einer öffentlichen Bücherei steht zwar auf einem großen, langgestreckten und durch den Lauf eines Baches romantisch grünen Grundstück – aber eben doch mitten im „Ländle“. Und was das vom Maßstab der umliegenden Bebauung her bedeutet, weiß man: Einfamilienhäuser überall. Es hätte also auch sehr schiefgehen können, eine so große Schule dazwischen hineinzubauen (wiewohl es manchmal auch gut tut, einen etwas massiveren städtebaulichen Akzent in einer so orientierungslosen Gegend zu haben).

Ines und Reinhold Bösch haben sich um Vermittlung bemüht. Erstens haben sie das Gebäude so geschickt auf dem Grundstück plaziert, daß keine unbenützbaren Restflächen entstanden sind; zweitens haben sie vor dem Eingangsbereich einen großen, eigentlich urbanen Vorplatz geschaffen; drittens blieb noch genug Raum für großzügige Sportanlagen im Freien; und last not least kommen nur die Schmalseiten des Komplexes der kleinteiligen Wohnbebauung nahe.

Die Situierung des Gebäudekomplexes ist wesentlich durch den geschwungenen Bachverlauf bestimmt und durch die Nord-Süd-Orientierung des Hauses. Eines der Kriterien im Gutachterverfahren von 1990 war nämlich ein wirtschaftliches und umweltfreundliches Energiekonzept. Die Architekten haben sich daher für passive Sonnenenergienutzung entschieden, alle Klassen ausnahmslos nach Süden orientiert und den Turnsaal nach Norden. Im Norden liegt auch der große Vorplatz mit Parkplätzen, Fahrradabstellraum und Haupteingang. Ein zweiter Zugang führt von der Bushaltestelle im Osten über eine kleine Brücke am Verwaltungsgebäude vorbei.

Dieser Zugangsbereich ist durch die skulpturale, ein wenig spitz zulaufende Durchbildung des Verwaltungsbaus mit der Bücherei und der separat erschlossenen Schulwartwohnung sehr deutlich und einladend formuliert. Überdies fallen auf den beiden Wegen hin zum Eingang zwei kleine Besonderheiten auf: Einmal – von der Haltestelle kommend – die sehr minimierte Brücke, deren Tragkonstruktion das Geländer bildet, während man auf dem Steg über hängende Holzbohlen geht. Die zweite Besonderheit sind lange, offene Sitztribünen in der Nähe des Eingangs, die auf Vorplatz und Parkplatz schauen und unter denen die Fahrradständer verborgen sind; übrigens ein durchaus spannender Raum, wenn durch die Schlitze zwischen den Stufen das Sonnenlicht in schmalen Streifen einfällt. Und man kann sich gut vorstellen, daß die Schüler in der warmen Jahreszeit von dieser Aufenthaltsmöglichkeit gern Gebrauch machen.

Die Architekten versichern, daß sie keine minimalistische Blackbox bauen wollten. Wenn man vor den 90 Meter langen, betont flächigen und geometrisierten, nur auf der Addition gleicher Teile basierenden Hauptfassaden steht, kommen einem daran Zweifel. Denn wovon sonst sollte man sprechen als von einem rigorosen Verzicht auf das nichtbegründete Detail und in diesem Sinn eben doch einer Minimalisierung? Wichtig ist vor allem, daß trotz solcher Reduktion keine Monotonie aufkommt; und die etwas schiefe, zum Bach ausgreifende Stellung des kleineren Verwaltungsbaus – in Ziegelmauerwerk und Ortbeton ausgeführt – gibt der Anlage jenen leichten Dreh, der eine spannende Situation entstehen läßt.

Man wird wie selbstverständlich hineingeführt in das Haus und erlebt auf dem Weg zu den Klassenzimmern differenzierte Raumschichten. Das ist offensichtlich eines der Themen der Architekten gewesen, da sie zunächst eine innenräumliche Situation schaffen, in der man „gleichzeitig innen und außen“ ist. Erster wichtiger Raumeindruck: ein verglastes Foyer, das sich durch das Öffnen einer Schiebewand mit dem angrenzenden Musikraum verbinden läßt und bei Veranstaltungen auch mit Speisesaal und Küche. Spektakulärstes innenräumliches Erlebnis: Die glasgedeckte Zwischenzone, die sich rund um die Turnhalle und von Eingang zu Eingang entwickelt und aus den drei Geschoßen des Hauses eine Raumeinheit macht.

Der Trick dieser dreigeschoßigen Erschließungszone, die den Turnsaal durch eine 45 Meter lange und sechs Meter hohe Glaswand optisch einbezieht, liegt darin, daß sie sich durch einen Luftraum von den Klassen absetzt, daß sie eine gewisse Distanz hält zum eigentlichen Unterrichtsraum. In den gelangt man über gläserne Brücken – nicht durchsichtig, nur durchscheinend –, was das Betreten des Klassenzimmers sicher zur bewußten und besonderen Handlung werden läßt.

Wichtig auch, daß es architektonisch in einer Schule nicht bloß dekorativ, sondern konsequent und substantiell zugeht. Und das ist hier ganz sicher der Fall: Die Schüler sind durch die Konsequenz der Architektur, die die konstruktive Struktur als Gestaltungsmittel einsetzt, einfach aufgefordert, über die Logik und Intelligenz des Bauwerks nachzudenken.

Das räumliche und konstruktive Gerippe der Schule beruht auf einem Modul von 4,2 Metern, das in den verschiedensten Unterteilungen und Vervielfachungen den Zuschnitt fast aller Räume bis hin zu den konstruktiven Bauteilen ergibt. Die Pfeilerstruktur mit ihren 2,80 Metern Breite ist außerdem durch Verglasungen geschlossen, sodaß ein ganz neues Bild von Unterricht entsteht: Das Klassenzimmer ist nicht die isolierte Zelle, in die keiner hineinschauen soll oder darf, sondern sie wird zum integralen Organ des lebendigen Organismus Schule.

Ines und Reinhold Bösch haben beim Turnsaal etwas eigenwillige Vorstellungen realisiert. Denn die Architekten sind der Ansicht, da man sich dort wohler und sicherer fühlt, wenn die Wände senkrecht und Boden und Decke parallel und waagrecht sind. Richters bemerkenswerter Turnsaal mit seiner schrägen Verglasung paßt insofern nicht ganz in ihr Konzept, ebensowenig der Turnsaal von Fellerer und Vendl in Graz.

Bei ihrem eigenen Bau ergab sich daraus aber ein konstruktives Problem, denn sie mußten einen speziellen Stegträger entwickeln, der zwischen der Vier-Grad-Neigung des Schuldaches und der 24-Grad-Neigung über Foyer und Gang vermittelt. Das haben die Architekten mit Hilfe eines speziellen Holzleimbinders erreicht, der in eine minimierte Stahlkonstruktion und in das Glasdach überleitet, sodaß sie ihr eigenes Kriterium einer bodenparallelen Unterkante der Konstruktion erreicht haben.

Energiebewußt wurde unter allen Fundamenten und den Boden berührenden Bauteilen und auch bei den Wänden für eine verstärkte Wärmedämmung gesorgt. Luftkollektoren sorgen für eine Erwärmung der Frischluft, und Wärmeüberschuß wird über Wasserspeicher weiterverwendet, ebenso die warme Klassenabluft.
Man darf vermuten, daß dieses ausgetüftelte Energiekonzept nicht das Hauptanliegen der Architekten war. Es wird aber sicher in Zukunft noch an Bedeutung gewinnen. Für den Augenblick sind die Intelligenz und der Einfallsreichtum der architektonischen Lösung und auch die unvoreingenommene inhaltliche Auseinandersetzung von Ines und Reinhold Bösch mit dem Thema Schule überzeugend genug.

Spectrum, Sa., 1995.08.26



verknüpfte Bauwerke
Hauptschule Koblach

29. Juli 1995Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Atemlos am Rand der Stadt

Es gibt Wohnanlagen, an denen beeindruckt vor allem die Statistik. Beispiel Wien-Süßenbrunn: Auf mehr als einem Kilometer Länge 900 Wohnungen, an denen elf Architekten und Teams geplant haben. Das Ergebnis: viel Architektur zum Wegschauen.

Es gibt Wohnanlagen, an denen beeindruckt vor allem die Statistik. Beispiel Wien-Süßenbrunn: Auf mehr als einem Kilometer Länge 900 Wohnungen, an denen elf Architekten und Teams geplant haben. Das Ergebnis: viel Architektur zum Wegschauen.

Es gibt Wohnanlagen, an denen beeindruckt zunächst und vor allem die Statistik. Wenn so eine Stadtrandsiedlung schon einmal von sich behaupten kann, daß sie allein an Länge mehr als einen Kilometer aufzuweisen hat, das ist doch was! Auch der Flächenverbrauch kann sich sehen lassen: immerhin 17 Hektar. Und der Anzahl der Wohnungen – rund 900 – entspricht in diesem Fall nicht nur die zahlreich gerade Einzug haltende Bewohnerschaft – es sind an die 2600 Menschen –, nein, „östlich der Süßenbrunner Straße“ waren auch gleich sieben „Bauherren“ (sprich: Bauträger, Genossenschaften) am Werk und nicht weniger als elf Architekten und Teams.

Und diese Statistik läßt sich, ganz ohne alle Ironie, noch fortsetzen. Otto Häuselmayer wurde im Sommer 1991 beauftragt, ein städtebauliches Leitprojekt und einen Strukturplan zu entwickeln, der die Grundlagen für eine Änderung des Flächenwidmungs- und Bebauungsplanes liefern sollte; im Herbst 1991 waren schon alle beteiligten Architekten fleißig am Entwerfen; im Wiener Gemeinderat ging der Beschluß des Flächenwidmungs- und Bebauungsplanes im Frühjahr 1992 über die Bühne; im Sommer und Herbst desselben Jahres waren alle behördlichen Einreichverfahren abgewickelt; Anfang 1993 wurde mit der Realisierung begonnen; jetzt schreiben wir Sommer 1995, und die Wohnanlage ist bewohnt.

Derart zügig wurde selten etwas dieser Größenordnung aus der grünen Wiese der Wiener Peripherie gestampft. Und das kann wiederum nur heißen: Wenn bloß die richtigen Leute in der Wiener Stadtpolitik etwas Bestimmtes wollen, dann kommt es blitzartig zustande.

„Östlich der Süßenbrunner Straße“: Das ist nicht weit von Wiens großer Mülldeponie, die Gegend ist also keine Sensation. Die neue Wohnanlage schließt an ein recht wild und sehr heterogen gewachsenes Siedlungsgebiet an, das sich bis zum Badeteich von Hirschstetten erstreckt. Dieser einzigen „Besonderheit“ weit und breit, diesem immerhin so etwas wie Identität stiftenden Merkpunkt in der Landschaft trägt das städtebauliche Leitprojekt von Häuselmayer Rechnung. Die „Mitte“ seiner Anlage ist aus der tatsächlichen Mitte asymmetrisch verrückt, wodurch eine direkte Verbindung zum Teich entsteht.

Diese Mitte kann sich übrigens sehen lassen: Sie ist um eine „harte“, städtische Platzfläche organisiert, auf der temporär auch ein Markt abgehalten werden soll, und um einen Grünbereich – einen „Stadtpark“, wie es in den frühen Projektbeschreibungen etwas dramatisch heißt. Rund um diese Freiflächen sind nicht nur kleine Geschäfte und Gastronomie angesiedelt, sondern auch eine Schule des „Ateliers 4“ und ein Kindergarten von Melicher/Schwalm-Theiss mit Gressenbauer – womit auch schon die meisten architektonischen Highlights dieser Anlage genannt sind. Damit sind wir bei jenem gravierenden Problem, das vielen größeren Wiener Wohnanlagen der letzten Jahre gemeinsam ist. Es steckt oft (nicht immer, siehe Brünner Straße) echte Ambition im Städtebau, in der überlegten Differenzierung zwischen öffentlichen und halböffentlichen Bereichen, in der Definition von Freiflächen und Höfen. Es wird an eine Bereicherung des Wohnkomforts durch kleine Gärten, Terrassen, Balkone, Loggien gedacht. Es herrscht Ruhe, weil Fußläufigkeit die Regel ist, sodaß auch von daher der Wohnwert stimmt. Aber es ist und bleibt schier unbegreiflich, wieso es immer die falschen Architekten sind, die die dicksten Aufträge an Land ziehen.

Dabei hat Häuselmayer sein städtebauliches Konzept für diesen Ort, der ja kein Ort im engen Sinn, sondern bloß Gegend war, maßgeschneidert. Die Anlage ist links und rechts eines viereinhalb Meter breiten Fuß- und Radwegs entwickelt, der sich mit mildem Schwung über das Areal schlängelt. Entlang der Süßenbrunner Straße blocken massive Riegel das dahinter liegende Wohngebiet wie ein Schutzwall ab.

Die Bebauungsstruktur selbst ist innerhalb eines sinnvollen, fußläufigen Erschließungsnetzes abwechslungsreich gestaltet. Die gesamte Bebauung ist dreigeschoßig gehalten – es gibt also keine Lifte – und gerade so dicht, daß sie sich eindeutig als urbanes Wohngebiet ausweist und doch noch soviel Privatheit auch in Freiräumen bietet, wie man für ein angenehmes Wohnen an der Peripherie beanspruchen kann.

Häuselmayer ist natürlich weder als Städtebauer noch als Architekt jemand, der das riskante, womöglich innovative, jedenfalls auffällige Statement sucht. Das mag nicht jedermanns Sache sein. Aber wenn man Wohnbau als den durchgehenden Hintergrundprospekt der Bühne Stadt betrachtet – das schließt einzelne Akzente keineswegs aus –, von dem sich öffentliche oder sonstwie speziell bedeutsame Gebäude abheben, dann kommt gerade seinen Arbeiten eine nicht zu unterschätzende Bedeutung zu.

Das demonstriert er mit seinen eigenen Wohnhäusern „östlich der Süßenbrunner Straße“ (ingesamt 70 Wohnungen) souverän. Sicher, er erlaubt sich keinen zeitgeistigen Schnörkel und kein modisches Aperçu. Die Häuser sind sehr schlicht, sehr zurückhaltend, dabei auf eine ernsthafte Weise modern.

Die interne Erschließung eines Wohnhauses – jenes Bereiches, in dem immerhin noch so etwas wie Gemeinschaft stattfinden mag – hat Häuselmayer zur hohen Kunst entfaltet. Last, not least: In diesen Häusern, die wirklich zum Besten gehören, was sich „östlich der Süßenbrunner Straße“ aufspüren läßt, wurde auch bei den Grundrissen nicht geschludert. Und das ist sicher mehr, als sich von vielen anderen Wohnbauten dieser Anlage sagen läßt.

Es ist keine Übertreibung: Was hier an Architekturderivaten versammelt ist, das kann einem den Atem rauben. Nichts gegen die ein wenig skandinavisch angehauchten „Solarhäuser“ von Rudolf Guttmann. Nichts auch gegen die Wohnbauten und den Kindergarten von Melicher/Schwalm-Theiss mit Gressenbauer – einem im Wohnbau schon sehr erprobten Team. Dann gibt es, wie gesagt, noch die Schule des „Ateliers 4“. Beim – gewaltigen! – Rest dieser Wohnanlage aber würde man am liebsten wegschauen.

Rhetorisch gefragt: Wie geht das zu? Immerhin wurden diese Wohnbauten von einem Fachgremium abgesegnet, dem unter anderen die Architekten Hufnagl und Wimmer und die Stadträte Swoboda und Edlinger angehörten. Andererseits: Ein junger, sehr ambitionierter Architekt hat mir einmal erzählt, er habe bei der Stadt Wien angefragt, ob es nicht einen kleinen Wohnbau, eine Baulücke für ihn gebe. Der betreffende Magistratsbeamte habe darauf sinngemäß geantwortet: Jetzt habe er – Hausnummer – 30 Architekten beigebracht, wie man für die Stadt Wien baue. Einem 31. bringe er es nicht mehr bei. Wie es zugeht? Offenbar gerade so.

Spectrum, Sa., 1995.07.29

17. Juni 1995Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Wo der Strom mit Freuden fließt

Ein Raum – eigentlich mehr ein Saal, eine Halle – ohne Außenbezug, ganz künstlich belichtet: An Wänden, Boden und Decke die Farben Ultramarin und Kobaltblau,...

Ein Raum – eigentlich mehr ein Saal, eine Halle – ohne Außenbezug, ganz künstlich belichtet: An Wänden, Boden und Decke die Farben Ultramarin und Kobaltblau,...

Ein Raum – eigentlich mehr ein Saal, eine Halle – ohne Außenbezug, ganz künstlich belichtet: An Wänden, Boden und Decke die Farben Ultramarin und Kobaltblau, nur die gelb gestrichene Kranbahn zeichnet quasi über die volle Länge eine Art Leuchtspur hinein, in der Mitte die eindrucksvollen Maschinen einer 110-Kilovolt-Schaltanlage. Architektur, so die Architekten Marie-Claude Bétrix und Eraldo Consolascio, die unabhängig von Wetter und Tageszeit existiert, mit dem Einschalten des Kunstlichts erscheint und mit dem Ausschalten verschwindet.

Das neue Umspannwerk der Salzburger Elektrizitätswerke liegt auf einer großen Industrieparzelle inmitten der Stadt, an der Salzach. Seinerzeit, im Jahr 1956, als dort ein Heizkraftwerk errichtet wurde, hagelte es Proteste. Denn längst hatte das städtische Wachstum der Stadt den früher einmal peripheren Standort überwuchert. In innerstädtischer Lage sieht man derartiges aber nicht gern: Heizkraftwerk, Umspannwerk, Entschwefelungsanlage – und was da sonst noch alles zusammenkommt.

1987 wurden die Schweizer Architekten Bétrix und Consolascio hier ein erstes Mal aktiv, als sie die neue Entschwefelungsanlage planten. Jetzt folgte das Umspannwerk Mitte. Das dringend erneuerungsbedürftige Heizkraftwerk müßte und sollte eigentlich der nächste Bauabschnitt sein. Hier an der Salzach ist also die „fortschreitende ästhetische Reparatur eines Unortes“ (Friedrich Achleitner) angesagt.

Und ästhetisch hat das neue Umspannwerk allerhand zu bieten. Man glaubt es kaum, ist doch ein Umspannwerk ein Gebäude, das nicht in erster Linie für Menschen, sondern für Maschinen gemacht ist. Aber das hat die Architekten anscheinend nicht tangiert, wenn man davon absieht, daß sie die Schaltanlagenräume – wohl auch aus Sicherheitsgründen – im Kern des Hauses plaziert haben, also ohne Außenzugänge und Tageslicht.

Neben den Technikräumen enthält das Haus zur Straße hin ein Geschäftslokal, das einstweilen noch ungenutzt ist und von dem man sich wünschen würde, daß es keiner kommerziellen, sondern einer kulturellen Nutzung zugute kommt (geradezu ideale Räume für eine Galerie!); es enthält Werkstätten; es enthält Büroflächen; es enthält eine kleine Wohnung für den jeweils am Wochenende diensttuenden Ingenieur; und es hat zwei Dachgärten.

Fangen wir oben, bei den Dachgärten an: Des Esseintes, der Held von Joris-Karl Huysmans' Roman „A Rebours“, hätte seine Freude daran, denn so künstlich wie hier ist Natur selten. Kleine Pflänzchen in zwei verschiedenen Farbtönen – silbrig und grün – formieren sich zu einer Art aufgerollter Streifentapete, ganz systematisch in Reih und Glied, mehr einem abstrakten Bild verwandt als einem Dachgarten.

Oder fangen wir unten an, bei der Treppe: Sie bildet das Herzstück des Gebäudes und ist als eine Art begehbare Skulptur, als ein räumliches Kunstwerk formuliert, in den Farben des Rohbetons und in einem schrillen Safrangelb. Der Verlauf dieser Treppe kennt keine Geometrie, und nach oben zu wird sie nicht perspektivisch schmäler, sondern breiter.

Wenn es in diesem Haus ein unübertreffliches architektonisches Spektakel gibt, dann ist es diese Treppe. Ein Haus – gedacht als ein Körper mit Schichten: So teilt sich das architektonische Konzept nach außen mit. In diesem Fall wurde der Körper dabei relativ kompakt und geschlossen formuliert, wobei sich an der Hauptfassade eine dunkle Schicht vor eine helle schiebt und diese Fassade in schmalen Streifen wie aufgeschnitten wirkt.

Dort sitzen die Glasflächen, große Schiebefenster, von denen die Architekten sagen, daß es irreführend wäre, sie als Bandfenster zu bezeichnen. Drei statische Elemente – Quadersäule, Würfel, Pendelstütze – treten nur für den Spezialisten sichtbar in Erscheinung, weil sie bis zur Unkenntlichkeit – fast bis zum Kunstwerk – umgedeutet sind.

Bétrix und Consolascio hatten bei diesem Haus, das sie unter Mitarbeit von Eric Maier planten, eine Art Heimvorteil: Seit dem Bau der Entschwefelungsanlage erfreuen sie sich ganz offensichtlich des uneingeschränkten Vertrauens ihres Bauherrn. Und das muß dazu beigetragen haben, daß sie eben nicht einfach nur ein Haus planen durften, sondern daß sie sehr viel mehr tun konnten, auch bis hin zum kleinsten Detail der Ausstattung. Das führt beim Rundgang durch das Gebäude zu einer unerhörten Erlebnisdichte noch im verstecktesten Winkel, und es schafft eine räumliche Atmosphäre der erlesensten Art.

Wer hier arbeitet, den kann man nur unverhohlen beneiden, weil es solchen ästhetischen Luxus heute einfach ganz, ganz selten gibt. Dabei hat das Gebäude eine sehr rigorose, bis zum Äußersten getriebene Logik. Diese hat mit seiner Lage auf dem Grundstück zu tun sowie mit dem Raumprogramm, das sich in genau bezeichneten Schichten entwickelt; und sie setzt sich fort bis in die verwendeten Materialien und bis hin zu den Oberflächen.

Was zum Beispiel letztere betrifft, war es das erklärte Ziel der Architekten, die nachträgliche „dekorative“ Oberflächenbehandlung so weit wie möglich zu vermeiden. Das heißt, die Beschaffenheit der Oberflächen sollte sich dem Herstellungsprozeß selbst verdanken.

So wurden etwa an einem Teil der Fassade vor dem endgültigen Abbinden die Betonfeinanteile an der Wandoberfläche entfernt. Das geschah mit Hilfe eines farblosen Hydrophobierungsmittels, das aber durch die erhöhte Kapillarität der Wand den Beton dunkel färbte. – Bei der Raumbehandlung gingen die Architekten von zwei Extremen aus: Von den völlig abgekapselten Technikräumen im Gebäudeinneren, die jeweils in eine einzige Farbe getaucht sind; und vom tageslichtdurchfluteten Bürogeschoß, in dem Sichtbeton und Akazienholz das Bild beherrschen und Innen- und Außenraum kunstvoll miteinander verschränkt sind.

Zwischen diesen beiden extremen Polen wickelt sich ein „geschichtetes“, formal differenziertes Raumprogramm ab. Man muß natürlich schon Fundamentalist sein, um überhaupt eine solche Qualität – auch Ausführungsqualität – zu erzielen. Aber das ist bei Bétrix/Consolascio ganz offenkundig der Fall. Oder hat man je von einem anderen Architekturbüro gehört, das wie dieses den Handwerkern Eins-zu-eins-Pläne von jeder einzelnen Tür vorlegt?

Die „ästhetische Reparatur“ eines Unortes: In Angriff genommen wurde sie noch unter Voggenhuber, als der Gestaltungsbeirat ein Gutachterverfahren für die Entschwefelungsanlage verlangte. Die Salzburger Stadtwerke waren damals nicht gerade begeistert. Aber wie gesagt, das hat sich seither dramatisch geändert. Bétrix/Consolascio haben nicht nur das neue Umspannwerk gebaut. Sie arbeiten bereits an der Planung des neuen Heizkraftwerks als nächster Stufe der baulichen Verbesserung dieser städtischen Industrieparzelle an der Salzach. Im Norden von Salzburg wird außerdem gerade ein ganz „besonderes“ Fernheizwerk dieses Architektenehepaares fertig.

Man kann wahrscheinlich ohne Übertreibung sagen, daß mit diesen Bauten von Bétrix/Consolascio eine neue Dimension im Industriebau Einzug gehalten hat. Sie betrifft die formalen Qualitäten dieser Gebäude, sie betrifft aber auch die konzeptuelle Folgerichtigkeit, die sich darin ausdrückt. Denn Industriebauten sind heute nur zu oft bloße Hüllen für Technik, für Maschinen. Menschen halten sich darin bestenfalls temporär auf. Und das hat üblicherweise die Auffassung zur Folge, daß man sie architektonisch vernachlässigen darf.

Der gedankliche Ansatz von Bétrix/Consolascio verläuft umgekehrt: Die Technikräume sind das, worum es im neuen Salzburger Umspannwerk Mitte im wesentlichen geht. Und dieser Bedeutung trägt die Architektur Rechnung. Das tut sie zwar ohne Prahlerei und Verschwendung, aber mit einer selbstverständlichen Ernsthaftigkeit und einer eben auch ästhetischen Erlesenheit, die ihresgleichen suchen. Und daran werden sich andere orientieren müssen, wenn sie im Industriebau architektonische Maßstäbe setzen wollen.

Spectrum, Sa., 1995.06.17



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Umspannwerk Salzburg Mitte

01. April 1995Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Understatement, die Perfektion des Wenigen

Die EA-Generali-Foundation hat mitten in Wien ein Haus für Kunst und Künstler gebaut. Christian Jabornegg und András Pálffy haben auratische Räume erdacht, in denen sich nichts finden läßt, was stört.

Die EA-Generali-Foundation hat mitten in Wien ein Haus für Kunst und Künstler gebaut. Christian Jabornegg und András Pálffy haben auratische Räume erdacht, in denen sich nichts finden läßt, was stört.

In seiner Eröffnungsrede anläßlich der „Inauguration“ des neuen Hauses der EA-Generali-Foundation zitierte der Brüsseler Architektur- und Kunstkritiker Moritz Küng einen umwerfenden Werbeslogan der Gebrüder Saatchi für das Victoria & Albert Museum in London: „An ace caff with quite a nice museum attached“ (Ein irres Café mit einem netten Museum dabei). Besser kann man die heutige Museumslandschaft gar nicht charakterisieren. Sie ist zum Unterhaltungs- und Freizeitgelände verkommen.

Eines muß man also gleich sagen: Da weht einem in der Wiedner Hauptstraße in Wien, auf den Gründen der ehemaligen Hutfabrik Habig, schon ein ganz anderer Hauch entgegen. Küng hat die architektonische Intervention von Christian Jabornegg und András Pálffy (mit Georg Schönfeld) „bescheiden“ genannt. So würde ich sie nicht titulieren. Denn sie tritt mit einer Konzessionslosigkeit und Härte in Erscheinung, die großen konzeptuellen und formalen Anspruch vermuten lassen.

Von der Straße aus ist das Gebäude unsichtbar. Nur das alte Geschäft der ehemaligen Hutfabrik gibt es noch, es ist aber nicht hergerichtet. Später soll ein Kaffeehaus daraus werden, das möglicherweise mit Möbeln von Franz West und Künstlerfreunden eingerichtet wird. Beim gründerzeitlichen Hauseingang zeigt also nur ein Schild an, daß es hier zu den neuen Räumen der EA-Generali-Foundation, sprich: zu zeitgenössischer Kunst, vornehmlich österreichischer Skulptur der Gegenwart, geht.

Soviel darf man zuversichtlich prophezeien: In diesen Räumen werden die Künstler und die Kunstwerke unserer Gegenwart schon bald auf ganz unproblematische Weise heimisch sein. Denn sie haben es in dieser Architektur zwar mit einem durchaus auratischen Raum zu tun, aber nicht mit einem eitlen. Die Architekten haben alle ihre Maßnahmen klar deklariert. Da weist einen schon im Zugangsbereich ein Materialwechsel von Putz und Stuck zu Nirosta und Beton darauf hin, daß es „neu“ weitergeht. Und weitergehen möchte man: Ein lichtdurchfluteter, durch eine 30 Meter lange, schräge Sichtbetonwand schmal zulaufender Ausstellungsraum lockt, in dem außer den scharfen Kanten der rohen Betonwand „fugenlose“ Flächigkeit herrscht. Man könnte auch Glätte sagen, wäre dieses Wort nicht negativ besetzt. Für den spiegelblanken Industriebelag auf dem Fußboden würde es sogar besonders gut passen.

Jetzt, solang es noch keine Kunst an den Wänden oder im Raum gibt, wird das Auge unweigerlich zur Lichtdecke dirigiert. Dabei ist die Decke über diesem Ausstellungshaus in einem beengten Gründerzeithof nicht einmal irgendwie besonders. Es handelt sich um eine ganz normale Industriedecke, die außen mit einem Lamellensystem ausgestattet ist, so daß kein direktes Südlicht einfallen kann, wodurch eine problematische Klimalast auf ganz simple Weise ausgeblendet wurde. Und Tageslicht fällt trotzdem ein.
Man muß von einem der Obergeschosse des fünfstöckigen Hauses in den Hof hinunterschauen, damit man die Dimension und die Lage des neuen Ausstellungsbaus wirklich erfaßt. Er ist regelrecht eingezwängt zwischen dem Gründerzeitbau und einer alten Ziegelmauer, die einen wundervoll bepflanzten Biedermeiergarten begrenzt, der übrigens drei Meter höher liegt.

Dieser Garten ist für die Architekten der Wermutstropfen: Ihren Planungen kann man entnehmen, daß ursprünglich an einen direkten Ausgang vom Ausstellungsraum in diese Idylle gedacht war. Aber letztlich war der Eigentümer doch nicht einverstanden. Baulich ist trotzdem alles so vorbereitet, daß sich unter geänderten Vorzeichen dieser Ausgang auch nachträglich problemlos installieren läßt.

Wenn man innen im Ausstellungsraum steht, sieht man von den Deckeninstallationen nichts. Nicht das Kunstlicht, das es hier selbstverständlich gibt, auch sonst keine technischen Einbauten. Was man sieht, ist eine in großen Feldern (5 mal 2 Meter) gespannte, weiße Kunststoffmembran. Das ist schon ein phantastisches Material: Es stammt von einer Firma, die zum Beispiel mit Frei Otto beim Olympia-Stadion in München zusammengearbeitet hat oder mit Renzo Piano beim Fußballstadion in Bari. Die Bahnen dieses Materials werden stoßgeschweißt, sodaß die Nähte so fein sind wie bei einem Strumpf. Was damit erreicht wurde, ist – abgesehen davon, daß es den hierzulande ja besonders rigorosen Brandschutzbestimmungen entspricht – ein unheimlich gleichmäßiges, angenehmes, blendfreies Licht, das diesem Raum eine ganz eigentümliche Leuchtkraft verleiht.

Die Frage, welche Art von Räumen zeigenössische Kunst braucht, steht ja in Wien seit langem unbeantwortet zur Diskussion. Daß sie in barocken Palais nur allzu leicht zum Sperrmüll degeneriert, sollte sich herumgesprochen haben. Nun darf man darüber nachdenken, wie sich dieses neue, ungemein spannende Ausstellungshaus im Verhältnis zu Krischanitz' Container-Architektur auf dem Karlsplatz bewährt.

Aber natürlich ist die Nutzung in der EA-Generali-Foundation auch anders. Denn hier sollen in Zukunft zwei- oder dreimal im Jahr temporäre Ausstellungen zu sehen sein, die übrige Zeit geht es vor allem um die Präsentation der eigenen Sammlung. Letztere ist seit 1988, dem Gründungsjahr der Foundation, tatsächlich zu einer sehr feinen Skulpturenkollektion angewachsen.

Und man geht auch entsprechend damit um: Das zeigt ein Blick auf die Einrichtungen, die es neben dem Ausstellungsbau noch gibt. Direkt unter der Ausstellungshalle liegt eine Tiefgarage, und noch ein Geschoß tiefer liegt ein Tiefspeicher mit anschließender Werkstätte, wo die Sammlungsstücke fachgerecht gelagert werden können.

Der Studiensaal und die Verwaltungsräume sind im Obergeschoß des Gründerzeitbaus untergebracht, etwa auf der Höhe der Decke über dem Ausstellungssaal. Hier kommt man über eine neue, unbedingt sehenswerte Treppe hinauf. Und hier zeigt sich auch, mit welchem Geschick die Architekten mit dem gründerzeitlichen Grundriß zurechtgekommen sind. Da fahren zwei nackte schwarze Wände mit einem gewissen Tempo durch die historische Bausubstanz und bilden einen schmalen, sehr langen, von oben künstlich belichteten Korridor, der eine angenehm praktikable Mittelerschließung darstellt. Hier, im Studiensaal und in den Verwaltungsräumen, haben die Architekten auch Teile der Einrichtung entworfen. Aber designerische Geschwätzigkeit ist ihre Sache nicht, es geht vom Konzept her äußerst fein durchdacht zu, der formale Wortschatz bleibt wohltuend knapp.

Was am neuen Haus der EA-Generali-Foundation so beeindruckt, ist die sehr weit getriebene Beschränkung der Mittel, die sich die Architekten auferlegt haben. Es ist eine ganz andere Art von Minimalismus als die heute übliche. Hier geht es nicht um das gesuchte architektonische Bild, um den Aha-Effekt. Die räumliche Wirkung ist zwar ebenfalls superb, aber sie verdankt sich eigentlich einer gegenläufigen Strategie. Hier spielt sich der Minimalismus in Flächen ab, die nach Möglichkeit fugenfrei und ohne irgendeine Detaillierung sind; und es geht um die Beschränkung auf ganz wenige Materialien und ganz wenige Farben.

Jabornegg/Pálffy haben natürlich trotzdem einen riesigen Aufwand getrieben: Mit einer einfachen und kostengünstigen Lichtlösung einen Effekt zu erzielen, als befände man sich in einem High-Tech-Bau, das gelingt nicht von ungefähr; auch die Klimatechnik im Haus ist unheimlich raffiniert, weil es ja auch darauf ankam, selbst bei Veranstaltungen mit zwei- oder dreihundert Leuten ein gleichmäßiges Raumklima zu halten; das ist hier mit einem Bimetall-System gelungen, das auf die jeweilige Raumtemperatur reagiert und sich umstellt, sodaß seitlich von der Decke entweder gekühlte oder warme Luft in den Raum eingeblasen wird.

Vom Material her dominieren in den öffentlichen Bereichen eigentlich der „scharfkantige“ rohe Beton, dem man kaum ansieht, daß es Ortbeton ist; die weiße Kunststoffmembran, das Grau des Industriebodens; hinter der schrägen Wand sind in der Decke runde Oberlichten, die mit Industriedrahtglas fix verglast wurden. Im Eingangsbereich kommen Glas und mehrfach Nirosta vor (übrigens sind auch die WCs – von außen bis innen – an den Wänden mit Nirostapaneelen ausgestattet: sehenswert!). Wirklich, man kann diesen „unsichtbaren“ Ausstellungsraum in jede Richtung durchstreifen, es läßt sich nichts finden, was irgendwie stört. Es ist ein Bau für Kunst und Künstler, dessen Understatement in der Perfektion des wenigen liegt.

Spectrum, Sa., 1995.04.01



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EA - Generali Foundation

18. Februar 1995Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Für Grubenhunt und Ofensau

Beinahe hätte es gar keine Architektur gegeben. Gegen massiven Widerstand hat Hüttenberg doch noch ein anspruchsvolles Haus für die Kärntner Landesausstellung '94 bekommen - erdacht von Günther Domenig.

Beinahe hätte es gar keine Architektur gegeben. Gegen massiven Widerstand hat Hüttenberg doch noch ein anspruchsvolles Haus für die Kärntner Landesausstellung '94 bekommen - erdacht von Günther Domenig.

Der Ort ist magisch wie Stonehenge. Und tatsächlich wird das sichtbare Bild der Hüttenberger Heft ja auch heute noch von toten Steinen dominiert. Von toten Steinen, die zu denkwürdigen Gebilden formiert sind, die wiederum denkwürdige Namen tragen: Gebläsehaus, Gichthaus, Kohlebarren, Erzbarren, Maschinenhaus, Hochofen.

Der Schauplatz liegt in Kärnten, in der sogenannten norischen Region, noch genauer: im Mosinzgraben, zwei Kilometer von Hüttenberg entfernt; rundherum Berge, durchlöchert von Stollen, wir sind also mitten in einem Bergbaugebiet. Der letzte Hochofen Kärntens ging zwar 1908 aus, aber die mächtigen Ruinen montanistischer Tradition holen hier die Vergangenheit doch sehr unmittelbar in die Gegenwart herauf. Im heurigen Sommer soll dieser Umstand auch Gegenstand einer Landesausstellung sein: „Grubenhunt & Ofensau“ wird vom Reichtum der Erde Kärntens berichten und wohl auch davon, wie er versiegte.

Soll man an dieser Stelle auf die bewegte, ja dramatische Vorgeschichte dieses Unternehmens überhaupt eingehen? Man vergißt darauf, wenn man den Schauplatz selbst aufsucht. Man vergißt sogar dann darauf, wenn man die Abstriche und Einsparungen kennt, die Günther Domenig in Kauf nehmen mußte.

Domenigs Architektur war nie besonders zimperlich. Das ist sie auch in diesem Fall nicht. Aber mit der Kraft eines solchen montanhistorischen Baudenkmals muß sich ein zeitgenössischer Architekt erst einmal messen. Und er muß diese Kraftprobe bestehen, ohne Schaden anzurichten, auch ohne selbst Schaden zu nehmen. Beides ist hier wunderbar gelungen. Wenn man sich der Anlage von Hüttenberg aus nähert, dann sieht man zuallererst jenen Bauteil, wo Domenig am massivsten eingegriffen hat: Man sieht ein vorkragendes, verblechtes Volumen, das irgendwie über der Straße schwebt, und noch weiter darüber eine ebenfalls kühn auskragende, schlauchartige Eisenkonstruktion. Rätselhaft.

Diese architektonische Maßnahme klärt sich erst auf, wenn man den neuen Bauteil umrundet hat. Dann steht man vor dem eigentlichen Haupteingang zur kommenden Ausstellung, dann überblickt man die nach oben, den Hang hinauf leicht abgetreppte, historische Anlage, und man ist ein erstes Mal mit Domenigs neuer, in gewisser Weise messerscharfer Intervention konfrontiert. Natürlich ist der Schlauch ein Stollen, und dieser Stollen schwebt. Er fährt wie ein Hochgeschwindigkeitszug über die ganze Anlage hinweg, funktioniert gleichzeitig auch als eine Art Klammer, die die Einzelteile des Areals zusammenhält, und er gibt eine Richtung an.

Was macht's - oder tut es dem Ganzen womöglich sogar gut? -, daß die Verglasung aus Kostengründen reduziert werden mußte, überhaupt, daß der Stollen sozusagen im Unfertigen endet, als würde er noch irgendwann weitergebaut (oder richtiger: geschlagen). Worauf es hier ankommt, das sind die Perspektiven, die einem diese Passage eröffnet: Sie rückt den Bestand näher, sie läßt ungewohnte Aus- und Einblicke zu, die Landschaft ebenso wie die von Domenig so genannten „toten Steine“ ziehen wie ein Film vorbei, jede Sequenz spannender als die vorherige.

Der Hauptzugang zur künftigen Landesausstellung erfolgt über das Gebläsehaus. Nachdem die Weichteile der Bauten alle längst verschwunden sind, steht auch dieses Haus ohne Tür, ohne Fenster, ohne Dach da. Daran hat Domenig im Grunde nicht gerührt. Maueröffnungen sind mit ganz einfachen, lapidaren Verglasungen geschlossen. Eine Betonscheibe, die das Haus vor dem Auseinanderbröckeln rettet, ist sichtbar eingezogen. Das fehlende Satteldach wurde nicht ersetzt, hinter dem Giebel ist es scheinbar leer. Erst wenn man drinnen ist, realisiert man das Flachdach, das Domenig eingezogen hat. Durch schmale, verglaste seitliche Oberlichtbänder fällt hier auch von oben etwas Licht ein, ansonsten ist das Dach aus Blech.

Mag sein, diese Einsparung schmerzt den Architekten: Er hatte ursprünglich ein Glasdach projektiert, das sicher eine schönere Lichtsituation zur Folge gehabt hätte. Auch dieser Abstrich ist jedoch verschmerzbar: Die schöne Rampe vor Augen, die hinauf zum späteren Mehrzwecksaal führt, möchte man ohnehin nur weitergehen.

Der Mehrzwecksaal selbst befindet sich in jenem organisch geformten, verblechten Baukörper, der einem schon von weitem Besonderheit signalisiert. Domenig, der ja auch der Ausstellungsarchitekt der kommenden Landesschau ist, wird hier seinen „Crocodile Dundee“ präsentieren. In diesem Raum wird Kärnten, das bekanntlich die Form eines aufgerissenen Krokodilrachens hat, durch seine Gebirgsformationen dargestellt. In verschweißten Eisenplatten nachgebaut und ein wenig überzeichnet werden Kärntens Berge über den Köpfen der Besucher schweben. Darunter das, was einmal in der Erde war - allerdings in seiner edelsten und kostbarsten Form; und darüber an einer Schmalseite eine Galerie, von der der Besucher quasi einen Blick auf das ganze Bundesland riskieren kann.

Die „organische“ Form des Saales hat viel mit der Galerie zu tun. In diesem Bereich hat Domenig eine größere Raumhöhe gebraucht. Die leicht gekrümmte Dachhaut und eine Verjüngung des Baukörpers nach vorne, zur Straße hin, sind die Folge.

In den Saal geht es übrigens nicht nur über die Rampe hinauf. Über einen zweiten Eingang und durch ein neues, sehr sachliches Stiegenhaus gibt es auch einen kürzeren Zugang, der später, in der Nachnutzung, vielleicht noch wichtig sein wird. Hier im Stiegenhaus ist außerdem der Zugang zum Lift, der einmal fix installiert sein sollte und jetzt bloß temporär an das Gebäude darangestellt ist. Es ist ein simpler Baulift, zugelassen für sechs Monate, der während der Landesausstellung Behinderten dient. Domenig spricht immer von „toten Steinen“, wenn von den alten Gebäuden der Heft die Rede ist. Er spricht auch davon, daß es keine Architekturen sind, sondern rein funktional begründete Bauwerke. Und dann wieder fallen Sätze über die archaische Kraft des Bestands, über seine skulpturale Stärke. Der kann man sich wirklich nicht entziehen, etwa wenn man die Hochöfen passiert oder das Maschinenhaus. Zwei der Hochöfen sind noch erhalten, einen dritten gibt es als Rudiment. „Kathedralen“ nennt sie Domenig und liegt damit sicher nicht falsch. Er ließ sie unberührt und griff in die Substanz des Maschinenhauses - jetzt, in der Sparvariante - ebenfalls nicht ein. Das heißt: die zwei Ebenen, die hier eingezogen werden sollten, damit auch aus diesem dachlosen Gemäuer ein winterfester Bereich wird, die gibt es nun ebensowenig wie die vorgesehene Treppe; was es gibt, sind lediglich oben zwei kleine Balkone, die man von den verschiedenen Erschließungsebenen erreicht und die wiederum einen spektakulären Ausblick erlauben.

Das trifft generell auf Domenigs Umgang mit dem Bestand zu: Seine Maßnahmen sind durchwegs selbstbewußt formuliert; aber der Zweck, der seine Mittel heiligt, liegt in den alten Bauteilen und darin, wie man sie ihrer Bedeutung gemäß zur Geltung bringt. Hier ergänzen einander alt und neu nicht, sie widersprechen einander aber auch nicht. Dafür ist jede einzelne Nahtstelle zwischen alt und neu demonstrativ vorgezeigt; die Ebene der Distanz, die alt und neu unmerklich trennt - tatsächlich kommt es zwischen beiden nur selten zu Berührungen -, schafft Respekt. Und was nur sehr selten gelingt: Die neuen Bauteile steigern die atmosphärische Wirkung des Alten.

Domenig hat sich natürlich selbst rigorose Beschränkungen auferlegen müssen - womit wir nun doch noch bei der dramatischen Vorgeschichte sind, in der ein vorübergehender Standortwechsel ein völlig neues Projekt erzwungen hat; in der ein massentouristisches Megaprojekt des Herrn Rogner für Aufregung sorgte; in der sich aufgebrachte Hüttenberger durch das Domenig-Projekt um 300.000 Besucher im Jahr und 150 Arbeitsplätze gebracht sahen („Wir wollen Arbeitsplätze und keine Kunst, Domenig-Projekt umasunst“ - Aufschrift auf einem Transparent); in der am Ende fast schon der Verzicht auf jegliche Form von „Architektur“ stand; und in der sich der Architekt auf den halsbrecherischen Drahtseilakt einlassen mußte, durch eine Sparvariante des Ausgangsprojekts seine Konkurrenzfähigkeit mit der architekturlosen Adaptierungsversion zu beweisen, um damit schließlich den fatalen Lauf der Dinge doch noch zu stoppen.

Das Resultat hat darunter trotzdem nicht gelitten. Die jetzige pure, industrielle, arme Version, in der roher Beton und gestrichenes Eisen, außerdem Blech, Glas und Materialien wie Terrazzoplatten oder überhaupt nur Kies eine Rolle spielen, kommt dem Charakter dieser Industrieruine sogar entgegen.

Auch die zurückhaltende Farbigkeit der neuen Bauteile tut gut: Es gibt das Grauschwarz der gestrichenen Konstruktionsteile, die Sepiatöne des winterfest gemachten Gebläsehauses, die Farben des Betons, die Schattierungen von Kies. Was es nicht mehr gibt, ist die zweite Rampe des ursprünglichen Projekts, die durchgehende Verglasung des schwebenden Stollens und, wie gesagt, das winterfest gemachte Maschinenhaus. Diese ganze Komposition und Verschränkung der neuen Maßnahmen mit den alten - das ist auf sehr stille Weise spektakulär.

Der Mehrzwecksaal etwa schwebt genau in der Achse des Gichthauses. Und die Stelle, wo man ins Freie hinaustritt, ist als Kreuz formuliert. Über Stiegen kommt man hinauf auf die Ebene des Kohlebarrens, der Teil des Ausstellungsbereichs ist. Über allem: Der lange, horizontale, schwebende Stollen, die eigentliche Attraktion.

Domenig sagt, diese Ruinen erzählen eine Geschichte, die sich mit heutiger Architektur nicht mitteilen läßt. Darüber müßte man nachdenken: Welche Arten von Geschichte zeitgenössisches Bauen erzählt. Domenig, der gebürtige Kärntner, sagt außerdem, daß er die Kärntner Landschaft liebt und daß er die Kärntner haßt, weil sie Verhinderer jeglicher kreativer Potenz seien. Darüber müßte man auch nachdenken.

Spectrum, Sa., 1995.02.18



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Die Heft in Hüttenberg

28. Januar 1995Liesbeth Waechter-Böhm
Spectrum

Glaspalast im Niemandsland

Nach nur 20 Monaten Bauzeit steht die Eishalle in Wien-Donaustadt: ein Nutzbau, klar und nüchtern, der den Besucher visuell nicht drangsaliert.

Nach nur 20 Monaten Bauzeit steht die Eishalle in Wien-Donaustadt: ein Nutzbau, klar und nüchtern, der den Besucher visuell nicht drangsaliert.

Am Anfang war ein Wettbewerb. Aber die internationalen Architekturstars, die zum offenen Verfahren des Jahres 1990 zugeladen waren, die haben letztlich nicht abgegeben. Eine Eishalle bloß mittlerer Größe war anscheinend nicht interessant genug. Was macht's! Jetzt, wo die Eishalle fertig ist, darf man getrost konstatieren: Dieses Wettbewerbsdefizit war verschmerzbar. Denn das gebaute Ergebnis ist auch ganz ohne Prominenz und Internationalität spektakulär.

Die neue Anlage in Wien-Donaustadt besteht genaugenommen aus zwei gleich großen Eisflächen, eine davon in einer großen Halle mit 4350 Sitz- und Stehplätzen, die andere in einer kleinen, als Tonne formulierten Halle. Beide sind zweifach miteinander so verbunden, daß man auf kurzem (auch überdachtem) Weg hinüberwechseln kann. Die Gegend ist nicht gerade superb. Verkehrsmäßig war die Standortwahl zwar richtig - die Endstelle der U1 ist ganz in der Nähe - , aber das Umfeld mit seiner völlig disparaten, heterogenen Verbauung kann man eigentlich nur als dringliches Hoffnungsgebiet für die Stadtentwicklung bezeichnen. Was Architekt Sepp Müller gemeinsam mit Alfred Berger und Werner Krismer ursprünglich für einen anderen Standort geplant hatte, ließ sich jedenfalls problemlos in diese undefinierte Gegend transferieren. Oder noch besser: Jetzt gibt es dort wenigstens einen ersten Akzent, der immerhin so viel architektonische Gewichtigkeit demonstriert, daß eigentlich nicht mehr allzuviel schiefgehen kann.

Sepp Müller, das weiß man spätestens seit seinem Stiegenhauszubau zum österreichischen Museum für angewandte Kunst, ist für eine deklariert industrielle Lösung immer gut. Er setzt nicht auf formale Eigenwilligkeit oder eine irgendwie handschriftliche Geste, er bringt die gedankliche Disziplin auf, ein komplexes Programm mit dem geringsten architektonischen Aufwand optimal umzusetzen.

Das hat zur Folge, daß man sich nicht an irgendeinem besonderen Detail delektieren kann, daß man aber insgesamt von einer Atmosphäre eingehüllt wird, die erfrischend und angenehm selbstverständlich ist. Die Halle wurde im wesentlichen aus Stahlbeton, Stahl und Glas gebaut. Und im Grunde sind alle Funktionen, die es zu erfüllen galt, ganz pur und industriell dargestellt.

Der räumliche und architektonische Eindruck, der auf diese Weise erzeugt wird, ist dennoch: dicht. Von außen macht vor allem die weithin sichtbare Primärkonstruktion einen imposanten Eindruck. Denn ein gewaltiger Stahlfachwerkrahmen - äußere Abmessung: 83 Meter -, dessen Fundierung außerhalb der Halle liegt, überragt den ganzen Bau. An diesem Rahmen hängt nicht nur das ganze Dach, sondern teilweise auch die Sekundärstruktur und der oberste Teil der Gebäudehülle. Der größere untere Teil der Fassade „steht“ auf einem Sockel aus Stahlbeton. Diese konstruktive Lösung ist begründet: Verformungen im Dachbereich - durch Sturm oder Schneelasten - können sich so nicht bis in die Fassade auswirken.

Die gläserne Hülle der Halle spielt jedenfalls alle Stück'ln. Und sie zeigt, was den Architekten ein Hauptthema war: das Licht und die Ausblicks- und Durchblicksmöglichkeiten. Das mag bei einer großen Publikumsveranstaltung nicht besonders wichtig sein. Aber die Sportler, die hier trainieren, werden Luftigkeit und Transparenz des Baus zu schätzen wissen. Licht in einer Eishalle ist gar nicht so selbstverständlich. Denn Sonneneinstrahlung auf der Eisfläche wäre natürlich kontraproduktiv. Dieses Problem kann man heute durch eine entsprechende Verglasung ohne weiteres lösen. Bei der Eishalle ist daher nur ein Teil der Scheiben durchsichtig, der andere Teil, vor allem im oberen Bereich, ist mit Litex beschichtet, sodaß wohl Licht hereinfällt, aber die Sonnenstrahlen abgeschirmt werden.

Die Architekten hatten ein recht vielfältiges Programm zu bewältigen. Davon merkt man als Besucher nicht viel, weil zum Beispiel durch die rigorose Abschottung der Betriebsanlagen von der aufwendigen Kühltechnik nichts als die Schneegrube mit den zwei Eishobel-Fahrzeugen sichtbar ist. Aber wenn man sich genauer umschaut, dann merkt man doch, daß da viele verschiedene Funktionen - von den öffentlichen bis hin zu Trainingseinrichtungen aller Art - unter einem Dach vereint sind.

Man kommt hinein und passiert schon einmal die Cafeteria und eine kleine Sportboutique. Es sind ein paar Verwaltungsräume da und die verglaste Kabine der Hallenaufsicht. Hier muß man sich dann auch entscheiden, ob man zur Eisfläche beziehungsweise den Tribünen will oder hinunter zu den Kegelbahnen, die es ebenfalls gibt. Geht man zur Eisfläche, dann ist der Rundumblick schon sehr „besonders“, gerade weil alles so nackt und industriell ist. Ringsum ragen die Tribünen steil auf - die letzte Reihe befindet sich immerhin auf einer Höhe von rund 13 Metern - , darunter verborgen sind Garderoben und andere notwendige Einrichtungen, darüber ist die Dachhaut frei gespannt. Einen willkommenen Akzent in dieser schönen Regelmäßigkeit setzt nur die sogenannte Medienbrücke, wo auch die VIP-Logen sind. Ansonsten: Es herrscht eine Atmosphäre kühler, technischer Präzision, die sich aber nicht vordrängt.

Die Installationen sind sichtbar geführt, doch wird damit kein inszenatorischer Aufwand getrieben. Den Architekten scheint es im Gegenteil eher darum gegangen zu sein, jede gröbere „Unruhe“ im Raumbild zu vermeiden. So haben sie zum Beispiel die gesamte Klimatechnik nach außen verlagert, sodaß nur die Frischluftdüsen sichtbar sind, mit denen die Luft 35 Meter weit in den Raum eingeblasen wird.

Auch die Akustikmaßnahmen nimmt man nur als dunklere Streifen an der Decke wahr. Dabei war gerade die Bewältigung des Akustikproblems ein unkalkulierbares, letztlich unberechenbares Risiko. Daß es so gut ausgehen würde, konnte vorweg nicht bewiesen werden.

Was aber vielleicht am wichtigsten ist: Schon beim Eintreten ist man irgendwie aufgefordert zum Flanieren, ein rundumführender Wandelgang lädt dazu ein. Das Gefühl einengender Beschränkung kommt also gar nicht erst auf.

Ganz anders die kleine Halle, die an zwei Stellen an die große angedockt ist und erst nach dem Wettbewerb hinzukam. Sie hat zwar eine exakt gleich große Eisfläche, trotzdem ist sie bei weitem nicht so spektakulär: Man könnte sie als langgestreckten Schlauch beschreiben, der an den Schmalseiten schräg abgeschnitten ist. Im Gegensatz zur großen Halle mit ihrer demonstrativen Offenheit herrschen hier Introvertiertheit und auch Intimität.

Die beiden Bauwerke konkurrenzieren einander letztlich überhaupt nicht, sie sind vom industriellen Grundton her aufeinander eingestimmt und ansonsten so unterschiedlich ausformuliert, daß dadurch sogar eine gewisse Spannung entsteht. Die Kleinheit der einen Halle steigert die Wirkung der großen. Dabei hatte ursprünglich, nach dem Wettbewerb, ein Kritiker geschrieben, daß das Projekt zwar sehr schön, aber die Konstruktion nicht realisierbar wäre. Dieses Urteil straft der Bau umso mehr Lügen, als die Konstruktion nicht nur machbar, sondern verglichen mit dem Wettbewerb auch noch minimierbar war. Alles ist ein wenig feiner, ein wenig dünner und noch viel eleganter geworden als seinerzeit geplant. Die ästhetische Kraft des Baus rührt von der Schlüssigkeit des Konzepts her und von einer sehr weit vorangetriebenen Klarheit bei der konstruktiven und architektonischen Umsetzung. Die Architekten haben sich nicht in Nebensächlichkeiten verloren. Es ist ein Haus geworden - praktisch ohne Details. Dadurch kommt auch diese Luftigkeit und Weite zustande, wo einen visuell nichts drangsaliert. Das kommt einer Wohltat gleich.

Es lassen sich zwar immer wieder faszinierende Bilder ausmachen: Etwa die schöne Regelmäßigkeit der „sieben magischen Treppen“ (Architekt Berger) an der Nordfassade; oder die Differenzierung in der Fassade durch das unterschiedliche Glas; auch daß der „industrielle“ Grundton bis hin zur Möblierung konsequent durchgezogen ist, tut gut - selbst wenn hier die Sitze nicht weich gepolstert sind, sondern aus Metall.

Die neue Donaustädter Eishalle ist ein Glaspalast geworden mit einem Sockel aus Stahlbeton. Errichtet in einer Bauzeit von nur 20 Monaten. Bemerkenswert.

Spectrum, Sa., 1995.01.28



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