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30. Dezember 2006Thomas Höhne
Der Standard

Wem gehört die Architektur?

Der neue Lehrter Bahnhof in Berlin zeigt das alte Dilemma zwischen Bauherren und Architekten

Der neue Lehrter Bahnhof in Berlin zeigt das alte Dilemma zwischen Bauherren und Architekten

Am 28. November 2006 gab es ein böses Erwachen für Hartmut Mehdorn, Chef der Deutschen Bahn, als das Landgericht Berlin der Klage des Architekturbüros von Gerkan, Marg und Partner stattgab, mit der die Architekten die Entfernung der umgebauten Flachdecken in den Untergeschoßen des Berliner Hauptbahnhofs verlangt hatten. Der Neubau des Lehrter Bahnhofs in Berlin war pünktlich zur Fußball-WM 2006 fertig geworden - allerdings nicht so, wie sich die Architekten das vorgestellt hatten. Wesentliches Kennzeichen der Planung war die Überdachung des Gleiskörpers über eine Länge von 450 Metern, der, in einer weiten Parabel geschwungen, von den Bahnhofsgebäuden gequert wird. Für Herrn Mehdorn reichten 320 Meter Überdachung aus - was nicht nur zur Folge hatte, dass die Relationen nicht mehr stimmten und die vormals großzügige Parabel eher an eine abgebissene Wurst erinnerte, sondern auch, dass aufgrund der Überlänge der ICE-Züge es just die Passagiere der ersten Klasse waren, die nun unbedacht der Witterung trotzen mussten, wenn sie Berliner Bahnhofsboden betraten. Die Bahn richtete daher einen Regenschirm-Dienst ein. In der Hoffnung, Schlimmeres zu verhindern, hatte von Gerkan der Dachverkürzung zugestimmt, weswegen er sich dagegen nun nicht mehr wehren kann. Die Pointe dabei: Die aufwändig hergestellten Bauteile waren bereits fertig. Jetzt liegen sie im Depot.

Von Gerkan hatte aber nicht irgendeine Überdachung geplant, sondern ein gläsernes Kreuzgratgewölbe. Herrn Mehdorn ging das zu weit: „Wir haben einen Bahnhof bestellt, keine Kathedrale“, kommentierte er und ließ eine schlichte Flachdecke einziehen. Da wäre es wohl besser gewesen, die Deutsche Bahn hätte ihre Ausschreibung auf die schlichte Formel „Wir wollen eine Schachtel, durch die die Eisenbahn durchfährt“ beschränkt. Die Bahn hatte allerdings sehr wohl eine „Kathedrale“ bestellt, hatte von Gerkan Meinhard doch nicht nur nicht verheimlicht, was er da geplant hatte, sondern dies mit der Bahn in jahrelanger Planung abgestimmt und bemustert. Der Bahn wurde der Kathedralenbau zu teuer, und Mehdorn zog die Notbremse, was allerdings fürs Erste in einem Crash für die Deutsche Bahn endete. Die Klage von Gerkans gegen diese Entstellung qualifizierte Mehdorn als „Egotrip des Architekten“. Fragt sich nur, wessen Egotrip. Von Gerkan meint, dass es Mehdorn bloß darum gehe zu zeigen, wer der Herr im Haus ist. Wer aber ist der Herr im Haus?

Darf der Bauherr die Planung über den Haufen werfen und nach Gutdünken verhunzen? Darf er nicht, sagt das deutsche Urheberrechtsgesetz, das dem Bauherrn schlechthin die Änderung des Werks verbietet. Dennoch ist der Berliner Prozess für die Architekten keine „g'mahte Wies'n“. Das zeigte schon der Prozess von Roland Rainer gegen die Stadt Bremen, als diese seine in den 50er-Jahren erbaute Stadthalle so aufstockte, dass von Rainers kühnem Wurf nur mehr eine Karikatur übrig blieb. Rainer klagte - und das Bremer Gericht gab ihm sogar schriftlich, dass hier der Tatbestand der Entstellung vorlag. Allerdings sind nach deutschem Urheberrechtsgesetz Änderungen des Werks, zu denen der Urheber seine Einwilligung nach Treu und Glauben nicht versagen kann, zulässig. Dies ist in der Praxis Einfallstor für eine weit gehende Aushöhlung des zunächst so stark scheinenden Schutzes der Baukünstler. Rainer verlor den Prozess. Umso sensationeller der Spruch des Bremer Landgerichts, der allerdings nicht das Ende vom Lied darstellt. Die Deutsche Bahn wird berufen.

Der Berliner Prozess bringt die Frage der Verantwortung der öffentlichen Hand als Bauherr auf den Punkt. Ist der Shareholder-Value nun auch im Bereich der Architektur das Einzige, was zählt? Kennt die öffentliche Hand noch so etwas wie Verantwortung für die Gestaltung der gebauten Welt, die uns umgibt?

Wie sieht es denn mit den Bauten Roland Rainers in Österreich aus? Die Böhler-Werke waren ein Bauherr nach Rainers Geschmack, ein Bauherr, der vom Architekten „ein mit sparsamen Mitteln errichtetes, aber erstklassig funktionierendes Gebäude verlangte, sich aber aller Gestaltungswünsche und -ratschläge enthielt und bereit war, auch ungewöhnliche Architektenvorschläge zu verwirklichen.“ Das Böhler-Haus in der Wiener Elisabethstraße wurde nach jahrelangem Leerstand 2003 als Teil des Hotels „Le Meridien“ revitalisiert. Und wie sieht es mit dem Flaggschiff der österreichischen Moderne, dem ORF-Zentrum am Wiener Küniglberg, aus? Das Gebäude bedarf der thermischen Sanierung, manche bezeichnen es als baufällig, es muss an neue technische Gegebenheiten angepasst werden. Die Frage, warum das Hauptgebäude des wichtigsten österreichischen Rundfunksenders in einer Wüste von Siedlungshäusern, die kaum durch öffentliche Verkehrsmittel erschlossen ist, stehen muss, ist unbeantwortet. Die Zeiten, als der Monopolist hoch vom Berge die frohe Botschaft verkündete, sind vorbei: Die Symbolsprache stimmt nicht mehr. Wenn allerdings Alexander Wrabetz den „Küniglberg“ umbauen will, hindert ihn kein Urheberrecht. Denn das österreichische Urheberrechtsgesetz trifft eine klare Entscheidung zugunsten des Bauherrn: Er kann mit der Planung des Architekten machen, was er will - was dem Architekten bleibt, ist das bescheidene Recht, ein Täfelchen mit dem Hinweis aufzustellen, dass er/sie für diese Verhunzung nun wirklich nichts kann. Bislang war das immer noch mehr, als die Praxis deutscher Gerichte hergab. Mit Berlin könnte sich dies jetzt ändern.

Wie auch immer der „Küniglberg“ in Zukunft genutzt wird, die Gefahr droht dem Eigentümer nicht vom Urheberrechtsgesetz, sondern von anderer Seite, nämlich dem Denkmalschutz. Gebäude im öffentlichen Eigentum - und dazu zählt auch das ORF-Zentrum - unterliegen per se dem Denkmalschutz. Auf den Eigentümer des ORF-Zentrums wie auch das Denkmalamt kommen schwierige Zeiten zu: Formal hat der Denkmalschutz die besseren Karten, dennoch ist Behutsamkeit von beiden Seiten gefragt, kann es doch nicht um museale Erhaltung gehen, sondern nur darum, die Sprache und Individualität des Gebäudes mit den modernen Anforderungen zu versöhnen.

Gelingt dies bei anderen Werken der österreichischen Moderne? Das Hotel Bellevue von Wolfgang und Traude Windbrechtinger wurde 1982 durch Zerstörung von der Himmelstraße in den Himmel der Architektur befördert, das Philips-Haus von Karl Schwanzer am Wienerberg hat halbwegs glücklich überlebt, ebenso der Wiener Ringturm. Und das vormalige Museum des 20. Jahrhunderts, von Karl Schwanzer als Pavillon der Weltausstellung in Brüssel 1958 gebaut, hofft auf seine Revitalisierung durch Adolf Krischanitz. Die Bewahrung des modernen Erbes der österreichischen Architektur liegt in den Händen von Bauherrn und Denkmalschutz, nicht der Gerichte. Und gerade deshalb, weil sich in Österreich die Architekten rechtlich nicht wehren können, kommt der öffentlichen Aufmerksamkeit besondere Bedeutung zu.

[ Thomas Höhne ist Rechtsanwalt in Wien, sein Buch „Architektur und Urheberrecht“ erscheint im Februar 2007 im Manz-Verlag. Geschrieben wurde es in einem wunderschönen Bau der 60er-Jahre von Jaksch/Lippert, dessen Eigentümer die kühle Aluminiumfassade in den 90er-Jahren mit braunen Plastikjalousien zu verschandeln beliebten. ]

Der Standard, Sa., 2006.12.30



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Architektur und Urheberrecht

29. Oktober 2005Thomas Höhne
Der Standard

Architektur ohne Architekten?

Der ORF hat Probleme mit seinem Zentrum am Küniglberg. „Wir müssen wegen jeder Kleinigkeit die Tochter des Architekten Roland Rainer um Erlaubnis fragen,...

Der ORF hat Probleme mit seinem Zentrum am Küniglberg. „Wir müssen wegen jeder Kleinigkeit die Tochter des Architekten Roland Rainer um Erlaubnis fragen,...

Der ORF hat Probleme mit seinem Zentrum am Küniglberg. „Wir müssen wegen jeder Kleinigkeit die Tochter des Architekten Roland Rainer um Erlaubnis fragen, weil es ja ein Kunstwerk ist“, so der kaufmännische Direktor des ORF, Alexander Wrabetz. Hätte er eine neue Rundfunkstation aufzusperren, so Wrabetz im profil, würde er einen „billigen Industriearchitekten“ beauftragen, denn „damit spart man sich später eine Menge Zores“.

Wir sehen, wir haben es mit dem wichtigsten Mann der „größten Orgel des Landes“ (Gerd Bacher) zu tun. Öffentliche Auftraggeber lassen künftig nur mehr Plattenbauten errichten und sparen so eine Menge Geld. Die Verantwortung für die Kulturlandschaft Österreich überlassen wir überspannten Häuslbauern, die so viel Geld haben, um es Architekten in den Rachen zu werfen, die glauben, „Kunstwerke“ schaffen zu müssen.

Andere Wege geht die Bundesimmobiliengesellschaft (BIG). Die ließ den Grazer Architekten Hohensinn in Leoben eine Haftanstalt bauen, bei der einem Alexander Wrabetz, denkt er an die Zukunft, das Grausen kommen müsste: Sie verdient nämlich in der Tat die Bezeichnung „Baukunst“.

Wird der Chef der BIG in zwanzig Jahren genauso stöhnen wie Wrabetz, wenn in Leoben die ersten Umbauten fällig werden?

Worum geht es? Ist der „billige Industriearchitekt“ die Lösung aller Probleme? Es geht ums Urheberrecht. Kein Verlag käme auf die Idee, ein Werk der Literatur, das sich nach 30 Jahren etwas verstaubt anfühlt, von einem jungen Autor modernisieren zu lassen. Da ist das Urheberrecht des Autors vor. In der Architektur ist das nicht anders. Architektur ist als Werk der bildenden Kunst urheberrechtlich geschützt. Alles, was ein Architekt entwirft? Nein, und insofern ist der Gedanke an den „billigen Industriearchitekten“ nicht so abwegig. Eine Lagerhalle, die nur funktionalen Anforderungen gehorcht und keinerlei individuelle Gestaltung, keine Handschrift des Planers erkennen lässt, ist kein „Werk im Sinn des Urheberrechts“ und daher auch nicht geschützt.

Es geht also um das Eigenartige, das Individuelle, das Werk, durch das die Persönlichkeit seines Schöpfers gewissermaßen durchschimmert. Genauso wenig wie jede Textzeile, jedes Gekritzel auf Papier ein Werk ist, ist auch nicht alles, was gebaut wird, urheberrechtlich geschützt. Allerdings muss Architektur nicht Kunst wollen, um geschützt zu sein - auch reine Zweckbauten können den Schutz des Urheberrechts genießen, wie etwa eine Fabrik. Diese kann „nach ihrer Gliederung, der Massenverteilung, überhaupt nach der Art, wie die wirtschaftlichen und betriebsmäßigen Aufgaben baulich gelöst sind, ein hervorragendes Kunstwerk sein“ - so schon das Oberlandesgericht Wien 1928. „Die architektonische Leistung muss jedenfalls über die Lösung einer fachgebundenen technischen Aufgabe durch Anwendung der einschlägigen technischen Lösungsmittel hinausgehen“ (Oberlandesgericht Karlsruhe 1985).

Deutsche Gerichte haben dementsprechend den Urheberrechtsschutz bejaht für ein Schwimmbad mit besonderem Zeltdach und individueller Raumaufteilung, die gelungene Anordnung eines Verwaltungsgebäudes, eine harmonisch in die Umgebung eingefügte Wohnanlage, die besondere Ausgestaltung einer Friedhofsmauer und eines Treppenhauses und schließlich die einfallsreiche und außergewöhnliche Kombination verschiedener Gestaltungselemente bei der WC-Anlage einer Autobahnraststätte.

Heißt „urheberrechtlich geschützt“ nun, dass der Eigentümer mit dem Bauwerk gar nichts anfangen darf? Es gehört ihm doch! Auch der Picasso, den Sie zu Hause hängen haben, gehört Ihnen - Sie dürfen ihn aber trotzdem weder bearbeiten noch vervielfältigen. Eigentum und Urheberrecht ist zweierlei.

Wer darf was?

Darf der Eigentümer also gar nichts? So ist es wiederum auch nicht, denn ein Bauwerk ist im Gegensatz zu anderen urheberrechtlichen Werken in hohem Maße zweckbestimmt und von den Interessen seines Eigentümers mitgeprägt. Allerdings sind schon nach dem Urheberrechtsgesetz Änderungen zulässig, „die der Urheber dem zur Benutzung des Werkes Berechtigten nach den im redlichen Verkehr geltenden Gewohnheiten und Gebräuchen nicht untersagen kann, namentlich Änderungen, die durch die Art oder den Zweck der erlaubten Werknutzung gefordert werden.“ Dazu zählen nun sicherlich Eingriffe wegen baulicher Mängel, baupolizeiliche oder gewerberechtliche Auflagen oder die Behebung technischer Probleme.

Heikel wird es bereits bei Zweckänderungen, wie man am Beispiel der „Stadt des Kindes“ in Wien-Weidlingau sieht, die von Anton Schweighofer Anfang der 70er-Jahre errichtet wurde. Heute bringt man sozial gefährdete Kinder und Jugendliche nicht mehr an einem einzigen Ort konzentriert unter, sondern verteilt sie auf Wohngemeinschaften und Wohnungen. Die „Stadt des Kindes“ ist ein architekturgeschichtliches und sozialpolitisches Dokument. Wird die Gemeinde Wien als Eigentümerin nun zum Sklaven des Architekten?

Wenn man rechtzeitig an die möglichen Probleme denkt - nämlich vor Auftragserteilung - dann helfen gut durchdachte Verträge, in denen sich der Bauherr jene Rechte einräumen lässt, die er in den kommenden Jahrzehnten brauchen wird. Auch die Vereinbarung einer mit Experten besetzten Schiedskommission für den Streitfall ist denkbar. Wenn aber weder Vereinbarungen getroffen wurden noch das Wechselspiel von Respekt des Bauherren für die geistige Leistung des Architekten und Verständnis des Architekten für die - oft wirtschaftlich diktierten, siehe ORF - Interessen des Eigentümers nicht funktioniert, wird es für den Eigentümer eng.

Nur Mut, Herr Wrabetz!

Einen schikanösen Justament-Standpunkt wird der Architekt nicht durchbringen. Stehen aber mehrere Änderungsvarianten zur Diskussion, so wird der Eigentümer jene wählen müssen, die den Charakter des Bauwerks am ehesten erhält, mag sie auch kostspieliger sein.

Und so wollen wir Alexander Wrabetz Mut zusprechen, bei allem Verständnis für seine ökonomischen Nöte. Wir wissen es zu schätzen, dass der ORF seinerzeit Roland Rainer und nicht einen „billigen Industriearchitekten“ beauftragte. Und wir wissen es zu schätzen, wenn sich der ORF seiner Verantwortung als Eigentümer dieses wesentlichen Beispiels österreichischer Baukunst bewusst ist und dieses für die Allgemeinheit bewahrt.

[ Thomas Höhne ist Rechtsanwalt in Wien, Tätigkeitsschwerpunkte Urheberrecht. ]

Der Standard, Sa., 2005.10.29



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30. Dezember 2006Thomas Höhne
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Wem gehört die Architektur?

Der neue Lehrter Bahnhof in Berlin zeigt das alte Dilemma zwischen Bauherren und Architekten

Der neue Lehrter Bahnhof in Berlin zeigt das alte Dilemma zwischen Bauherren und Architekten

Am 28. November 2006 gab es ein böses Erwachen für Hartmut Mehdorn, Chef der Deutschen Bahn, als das Landgericht Berlin der Klage des Architekturbüros von Gerkan, Marg und Partner stattgab, mit der die Architekten die Entfernung der umgebauten Flachdecken in den Untergeschoßen des Berliner Hauptbahnhofs verlangt hatten. Der Neubau des Lehrter Bahnhofs in Berlin war pünktlich zur Fußball-WM 2006 fertig geworden - allerdings nicht so, wie sich die Architekten das vorgestellt hatten. Wesentliches Kennzeichen der Planung war die Überdachung des Gleiskörpers über eine Länge von 450 Metern, der, in einer weiten Parabel geschwungen, von den Bahnhofsgebäuden gequert wird. Für Herrn Mehdorn reichten 320 Meter Überdachung aus - was nicht nur zur Folge hatte, dass die Relationen nicht mehr stimmten und die vormals großzügige Parabel eher an eine abgebissene Wurst erinnerte, sondern auch, dass aufgrund der Überlänge der ICE-Züge es just die Passagiere der ersten Klasse waren, die nun unbedacht der Witterung trotzen mussten, wenn sie Berliner Bahnhofsboden betraten. Die Bahn richtete daher einen Regenschirm-Dienst ein. In der Hoffnung, Schlimmeres zu verhindern, hatte von Gerkan der Dachverkürzung zugestimmt, weswegen er sich dagegen nun nicht mehr wehren kann. Die Pointe dabei: Die aufwändig hergestellten Bauteile waren bereits fertig. Jetzt liegen sie im Depot.

Von Gerkan hatte aber nicht irgendeine Überdachung geplant, sondern ein gläsernes Kreuzgratgewölbe. Herrn Mehdorn ging das zu weit: „Wir haben einen Bahnhof bestellt, keine Kathedrale“, kommentierte er und ließ eine schlichte Flachdecke einziehen. Da wäre es wohl besser gewesen, die Deutsche Bahn hätte ihre Ausschreibung auf die schlichte Formel „Wir wollen eine Schachtel, durch die die Eisenbahn durchfährt“ beschränkt. Die Bahn hatte allerdings sehr wohl eine „Kathedrale“ bestellt, hatte von Gerkan Meinhard doch nicht nur nicht verheimlicht, was er da geplant hatte, sondern dies mit der Bahn in jahrelanger Planung abgestimmt und bemustert. Der Bahn wurde der Kathedralenbau zu teuer, und Mehdorn zog die Notbremse, was allerdings fürs Erste in einem Crash für die Deutsche Bahn endete. Die Klage von Gerkans gegen diese Entstellung qualifizierte Mehdorn als „Egotrip des Architekten“. Fragt sich nur, wessen Egotrip. Von Gerkan meint, dass es Mehdorn bloß darum gehe zu zeigen, wer der Herr im Haus ist. Wer aber ist der Herr im Haus?

Darf der Bauherr die Planung über den Haufen werfen und nach Gutdünken verhunzen? Darf er nicht, sagt das deutsche Urheberrechtsgesetz, das dem Bauherrn schlechthin die Änderung des Werks verbietet. Dennoch ist der Berliner Prozess für die Architekten keine „g'mahte Wies'n“. Das zeigte schon der Prozess von Roland Rainer gegen die Stadt Bremen, als diese seine in den 50er-Jahren erbaute Stadthalle so aufstockte, dass von Rainers kühnem Wurf nur mehr eine Karikatur übrig blieb. Rainer klagte - und das Bremer Gericht gab ihm sogar schriftlich, dass hier der Tatbestand der Entstellung vorlag. Allerdings sind nach deutschem Urheberrechtsgesetz Änderungen des Werks, zu denen der Urheber seine Einwilligung nach Treu und Glauben nicht versagen kann, zulässig. Dies ist in der Praxis Einfallstor für eine weit gehende Aushöhlung des zunächst so stark scheinenden Schutzes der Baukünstler. Rainer verlor den Prozess. Umso sensationeller der Spruch des Bremer Landgerichts, der allerdings nicht das Ende vom Lied darstellt. Die Deutsche Bahn wird berufen.

Der Berliner Prozess bringt die Frage der Verantwortung der öffentlichen Hand als Bauherr auf den Punkt. Ist der Shareholder-Value nun auch im Bereich der Architektur das Einzige, was zählt? Kennt die öffentliche Hand noch so etwas wie Verantwortung für die Gestaltung der gebauten Welt, die uns umgibt?

Wie sieht es denn mit den Bauten Roland Rainers in Österreich aus? Die Böhler-Werke waren ein Bauherr nach Rainers Geschmack, ein Bauherr, der vom Architekten „ein mit sparsamen Mitteln errichtetes, aber erstklassig funktionierendes Gebäude verlangte, sich aber aller Gestaltungswünsche und -ratschläge enthielt und bereit war, auch ungewöhnliche Architektenvorschläge zu verwirklichen.“ Das Böhler-Haus in der Wiener Elisabethstraße wurde nach jahrelangem Leerstand 2003 als Teil des Hotels „Le Meridien“ revitalisiert. Und wie sieht es mit dem Flaggschiff der österreichischen Moderne, dem ORF-Zentrum am Wiener Küniglberg, aus? Das Gebäude bedarf der thermischen Sanierung, manche bezeichnen es als baufällig, es muss an neue technische Gegebenheiten angepasst werden. Die Frage, warum das Hauptgebäude des wichtigsten österreichischen Rundfunksenders in einer Wüste von Siedlungshäusern, die kaum durch öffentliche Verkehrsmittel erschlossen ist, stehen muss, ist unbeantwortet. Die Zeiten, als der Monopolist hoch vom Berge die frohe Botschaft verkündete, sind vorbei: Die Symbolsprache stimmt nicht mehr. Wenn allerdings Alexander Wrabetz den „Küniglberg“ umbauen will, hindert ihn kein Urheberrecht. Denn das österreichische Urheberrechtsgesetz trifft eine klare Entscheidung zugunsten des Bauherrn: Er kann mit der Planung des Architekten machen, was er will - was dem Architekten bleibt, ist das bescheidene Recht, ein Täfelchen mit dem Hinweis aufzustellen, dass er/sie für diese Verhunzung nun wirklich nichts kann. Bislang war das immer noch mehr, als die Praxis deutscher Gerichte hergab. Mit Berlin könnte sich dies jetzt ändern.

Wie auch immer der „Küniglberg“ in Zukunft genutzt wird, die Gefahr droht dem Eigentümer nicht vom Urheberrechtsgesetz, sondern von anderer Seite, nämlich dem Denkmalschutz. Gebäude im öffentlichen Eigentum - und dazu zählt auch das ORF-Zentrum - unterliegen per se dem Denkmalschutz. Auf den Eigentümer des ORF-Zentrums wie auch das Denkmalamt kommen schwierige Zeiten zu: Formal hat der Denkmalschutz die besseren Karten, dennoch ist Behutsamkeit von beiden Seiten gefragt, kann es doch nicht um museale Erhaltung gehen, sondern nur darum, die Sprache und Individualität des Gebäudes mit den modernen Anforderungen zu versöhnen.

Gelingt dies bei anderen Werken der österreichischen Moderne? Das Hotel Bellevue von Wolfgang und Traude Windbrechtinger wurde 1982 durch Zerstörung von der Himmelstraße in den Himmel der Architektur befördert, das Philips-Haus von Karl Schwanzer am Wienerberg hat halbwegs glücklich überlebt, ebenso der Wiener Ringturm. Und das vormalige Museum des 20. Jahrhunderts, von Karl Schwanzer als Pavillon der Weltausstellung in Brüssel 1958 gebaut, hofft auf seine Revitalisierung durch Adolf Krischanitz. Die Bewahrung des modernen Erbes der österreichischen Architektur liegt in den Händen von Bauherrn und Denkmalschutz, nicht der Gerichte. Und gerade deshalb, weil sich in Österreich die Architekten rechtlich nicht wehren können, kommt der öffentlichen Aufmerksamkeit besondere Bedeutung zu.

[ Thomas Höhne ist Rechtsanwalt in Wien, sein Buch „Architektur und Urheberrecht“ erscheint im Februar 2007 im Manz-Verlag. Geschrieben wurde es in einem wunderschönen Bau der 60er-Jahre von Jaksch/Lippert, dessen Eigentümer die kühle Aluminiumfassade in den 90er-Jahren mit braunen Plastikjalousien zu verschandeln beliebten. ]

Der Standard, Sa., 2006.12.30



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Architektur und Urheberrecht

29. Oktober 2005Thomas Höhne
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Architektur ohne Architekten?

Der ORF hat Probleme mit seinem Zentrum am Küniglberg. „Wir müssen wegen jeder Kleinigkeit die Tochter des Architekten Roland Rainer um Erlaubnis fragen,...

Der ORF hat Probleme mit seinem Zentrum am Küniglberg. „Wir müssen wegen jeder Kleinigkeit die Tochter des Architekten Roland Rainer um Erlaubnis fragen,...

Der ORF hat Probleme mit seinem Zentrum am Küniglberg. „Wir müssen wegen jeder Kleinigkeit die Tochter des Architekten Roland Rainer um Erlaubnis fragen, weil es ja ein Kunstwerk ist“, so der kaufmännische Direktor des ORF, Alexander Wrabetz. Hätte er eine neue Rundfunkstation aufzusperren, so Wrabetz im profil, würde er einen „billigen Industriearchitekten“ beauftragen, denn „damit spart man sich später eine Menge Zores“.

Wir sehen, wir haben es mit dem wichtigsten Mann der „größten Orgel des Landes“ (Gerd Bacher) zu tun. Öffentliche Auftraggeber lassen künftig nur mehr Plattenbauten errichten und sparen so eine Menge Geld. Die Verantwortung für die Kulturlandschaft Österreich überlassen wir überspannten Häuslbauern, die so viel Geld haben, um es Architekten in den Rachen zu werfen, die glauben, „Kunstwerke“ schaffen zu müssen.

Andere Wege geht die Bundesimmobiliengesellschaft (BIG). Die ließ den Grazer Architekten Hohensinn in Leoben eine Haftanstalt bauen, bei der einem Alexander Wrabetz, denkt er an die Zukunft, das Grausen kommen müsste: Sie verdient nämlich in der Tat die Bezeichnung „Baukunst“.

Wird der Chef der BIG in zwanzig Jahren genauso stöhnen wie Wrabetz, wenn in Leoben die ersten Umbauten fällig werden?

Worum geht es? Ist der „billige Industriearchitekt“ die Lösung aller Probleme? Es geht ums Urheberrecht. Kein Verlag käme auf die Idee, ein Werk der Literatur, das sich nach 30 Jahren etwas verstaubt anfühlt, von einem jungen Autor modernisieren zu lassen. Da ist das Urheberrecht des Autors vor. In der Architektur ist das nicht anders. Architektur ist als Werk der bildenden Kunst urheberrechtlich geschützt. Alles, was ein Architekt entwirft? Nein, und insofern ist der Gedanke an den „billigen Industriearchitekten“ nicht so abwegig. Eine Lagerhalle, die nur funktionalen Anforderungen gehorcht und keinerlei individuelle Gestaltung, keine Handschrift des Planers erkennen lässt, ist kein „Werk im Sinn des Urheberrechts“ und daher auch nicht geschützt.

Es geht also um das Eigenartige, das Individuelle, das Werk, durch das die Persönlichkeit seines Schöpfers gewissermaßen durchschimmert. Genauso wenig wie jede Textzeile, jedes Gekritzel auf Papier ein Werk ist, ist auch nicht alles, was gebaut wird, urheberrechtlich geschützt. Allerdings muss Architektur nicht Kunst wollen, um geschützt zu sein - auch reine Zweckbauten können den Schutz des Urheberrechts genießen, wie etwa eine Fabrik. Diese kann „nach ihrer Gliederung, der Massenverteilung, überhaupt nach der Art, wie die wirtschaftlichen und betriebsmäßigen Aufgaben baulich gelöst sind, ein hervorragendes Kunstwerk sein“ - so schon das Oberlandesgericht Wien 1928. „Die architektonische Leistung muss jedenfalls über die Lösung einer fachgebundenen technischen Aufgabe durch Anwendung der einschlägigen technischen Lösungsmittel hinausgehen“ (Oberlandesgericht Karlsruhe 1985).

Deutsche Gerichte haben dementsprechend den Urheberrechtsschutz bejaht für ein Schwimmbad mit besonderem Zeltdach und individueller Raumaufteilung, die gelungene Anordnung eines Verwaltungsgebäudes, eine harmonisch in die Umgebung eingefügte Wohnanlage, die besondere Ausgestaltung einer Friedhofsmauer und eines Treppenhauses und schließlich die einfallsreiche und außergewöhnliche Kombination verschiedener Gestaltungselemente bei der WC-Anlage einer Autobahnraststätte.

Heißt „urheberrechtlich geschützt“ nun, dass der Eigentümer mit dem Bauwerk gar nichts anfangen darf? Es gehört ihm doch! Auch der Picasso, den Sie zu Hause hängen haben, gehört Ihnen - Sie dürfen ihn aber trotzdem weder bearbeiten noch vervielfältigen. Eigentum und Urheberrecht ist zweierlei.

Wer darf was?

Darf der Eigentümer also gar nichts? So ist es wiederum auch nicht, denn ein Bauwerk ist im Gegensatz zu anderen urheberrechtlichen Werken in hohem Maße zweckbestimmt und von den Interessen seines Eigentümers mitgeprägt. Allerdings sind schon nach dem Urheberrechtsgesetz Änderungen zulässig, „die der Urheber dem zur Benutzung des Werkes Berechtigten nach den im redlichen Verkehr geltenden Gewohnheiten und Gebräuchen nicht untersagen kann, namentlich Änderungen, die durch die Art oder den Zweck der erlaubten Werknutzung gefordert werden.“ Dazu zählen nun sicherlich Eingriffe wegen baulicher Mängel, baupolizeiliche oder gewerberechtliche Auflagen oder die Behebung technischer Probleme.

Heikel wird es bereits bei Zweckänderungen, wie man am Beispiel der „Stadt des Kindes“ in Wien-Weidlingau sieht, die von Anton Schweighofer Anfang der 70er-Jahre errichtet wurde. Heute bringt man sozial gefährdete Kinder und Jugendliche nicht mehr an einem einzigen Ort konzentriert unter, sondern verteilt sie auf Wohngemeinschaften und Wohnungen. Die „Stadt des Kindes“ ist ein architekturgeschichtliches und sozialpolitisches Dokument. Wird die Gemeinde Wien als Eigentümerin nun zum Sklaven des Architekten?

Wenn man rechtzeitig an die möglichen Probleme denkt - nämlich vor Auftragserteilung - dann helfen gut durchdachte Verträge, in denen sich der Bauherr jene Rechte einräumen lässt, die er in den kommenden Jahrzehnten brauchen wird. Auch die Vereinbarung einer mit Experten besetzten Schiedskommission für den Streitfall ist denkbar. Wenn aber weder Vereinbarungen getroffen wurden noch das Wechselspiel von Respekt des Bauherren für die geistige Leistung des Architekten und Verständnis des Architekten für die - oft wirtschaftlich diktierten, siehe ORF - Interessen des Eigentümers nicht funktioniert, wird es für den Eigentümer eng.

Nur Mut, Herr Wrabetz!

Einen schikanösen Justament-Standpunkt wird der Architekt nicht durchbringen. Stehen aber mehrere Änderungsvarianten zur Diskussion, so wird der Eigentümer jene wählen müssen, die den Charakter des Bauwerks am ehesten erhält, mag sie auch kostspieliger sein.

Und so wollen wir Alexander Wrabetz Mut zusprechen, bei allem Verständnis für seine ökonomischen Nöte. Wir wissen es zu schätzen, dass der ORF seinerzeit Roland Rainer und nicht einen „billigen Industriearchitekten“ beauftragte. Und wir wissen es zu schätzen, wenn sich der ORF seiner Verantwortung als Eigentümer dieses wesentlichen Beispiels österreichischer Baukunst bewusst ist und dieses für die Allgemeinheit bewahrt.

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