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Die 60er Jahre weitergestrickt

»Lubetkin Apartment« nennt das STUDIO NAAMA seinen Umbau einer Wohnung in einem Hochhaus von Berthold Lubetkin. Ist dieser Name gerechtfertigt? Tatsächlich greift die Neugestaltung zahlreiche Merkmale des Bestands auf und entwickelt sie subtil weiter.

»Lubetkin Apartment« nennt das STUDIO NAAMA seinen Umbau einer Wohnung in einem Hochhaus von Berthold Lubetkin. Ist dieser Name gerechtfertigt? Tatsächlich greift die Neugestaltung zahlreiche Merkmale des Bestands auf und entwickelt sie subtil weiter.

Das Projekt für den Umbau einer Dreiraumwohnung in Sivill House war bereits in Planung, als das Gebäude unter Denkmalschutz gestellt wurde. Mitte der 60er Jahre hatten prominente Architekten der englischen Vor- und Nachkriegsmoderne, Skinner, Bailey und Lubetkin, das Hochhaus als sozialen Wohnungsbau in Ostlondons trendiger Columbia Road errichtet; nun stand dem eleganten, 20-geschossigen Wohnturm eine plumpe Modernisierung mit doppelt verglasten Kunststofffenstern bevor, deren Gestaltung deutlich vom Original abwich. Dies rief die Twentieth Century Society and architekturverliebte Nachbarn auf den Plan, die für einen Eintrag in die Denkmalliste plädierten. Historic England und die Zentralregierung stimmten zu und Sivill House wurde 2020 auf der niedrigsten Denkmalstufe, Grade II, in die Liste eingetragen. Die Wohnungen selbst sind davon nicht betroffen und können im Innern prinzipiell ohne denkmalrechtliche Genehmigung verändert werden. Dennoch reichten die Architekt:innen Natalie Savva und Mark Rist von Studio NAAMA einen Bauantrag ein, v. a. um ihre Bauherren abzusichern, denn ein Bruch des Denkmalgesetztes ist in England strafbar.

Mehr Licht, mehr Durchblick, mehr Stauraum

Die Wohnung liegt im 12. OG des Hochhauses. Aufgrund des ungewöhnlichen Gebäudegrundrisses mit zwei Flügeln, die durch einen zentralen runden Treppenturm verbunden und in vier Einheiten pro Geschoss aufgeteilt sind, bietet sie Ausblick nach drei Seiten. Trotz der dadurch möglichen Helligkeit waren die Räume nicht gerade lichtdurchflutet, zudem wirkte die Dreizimmerwohnung auf insgesamt 65 m² eher kompakt. Die jungen Architekt:innen entfernten daher eine Reihe nichttragender Wände zugunsten von möbelartigen Einbauelementen, die mehr Stauraum, Durchblick und Lichteinfall ermöglichen. Die Wand zwischen dem Wohnzimmer und größerem Schlafzimmer wurde durch ein Regal inklusive einer mehrteiligen Schiebetür ersetzt. Die Wand zwischen Hauptschlafzimmer und Flur machte in ähnlicher Weise Platz für ein Regal. Das kleinere Schlafzimmer avancierte zum Mehrzweckraum: An der Wand befindet sich ein ausklappbares Bett, das in neu entworfenen Einbauschränken verschwindet, wenn das Zimmer als Büro oder Fahrrad-Trainingsraum benutzt wird. Einen ursprünglich kleinen Einbauschrank im Flur ließ STUDIO NAAMA vergrößern, um darin die Bikes der fahrradbegeisterten Bauherren verstauen zu können. Die spartanisch ausgestattete Küche wiederum wurde von einem geschlossenen Element vor dem beinahe bodentiefen Fenster befreit und mit einer minimierten Spüle versehen, um möglichst wenig Ausblick und Licht zu verlieren – eine neue frei stehende Frühstücksbar bietet gleichzeitig einen Essplatz. Der Flur schließlich erhielt ein frei stehendes Garderobenmöbel mit einer verspiegelten Seitenfläche, um den kleinen Raum optisch zu vergrößern, und einer Rückwand aus transluzentem Polycarbonat, um Licht zu streuen.

Der Bestand als Leitschnur

Ein Ziel des Umbaus war es, die Materialität des 60er-Jahre-Hochhauses aufzugreifen. Die Wohnung selbst hatte keine erhaltenswerten originalen Elemente, aber die spektakuläre Haupttreppe im Zentrum des Gebäudes und der Fußbodenbelag im Gemeinschaftsflur dienten als Inspiration für neue Materialien in der Wohnung: So erhielt die Küche einen grünen Terrazzoboden, der dem im Aufzugsflur ähnelt, und viele der Einbauelemente, etwa die Frühstücksbar und Garderobe, sind aus gebogenen Metallrahmen konstruiert, die an das Treppengeländer von Skinner, Bailey und Lubetkin erinnern. In Anlehnung an andere Interieurs der 60er Jahre bestehen die Einbaumöbel aus dem preiswerten Material Sperrholz. Alle Türen wurden gegen moderne Exemplare mit Holzrahmen und Glasfüllung ausgetauscht, da die vorherigen Bewohner pseudoviktorianische Modelle eingebaut hatten.

Trotz dieser zahlreichen Veränderungen war es den Architekt:innen wichtig, den Originalbau nicht komplett unter neuen Elementen verschwinden zu lassen. Betonunterzüge etwa wurden freigelegt und sichtbar belassen und unterbrechen die hölzerne Wandpaneelierung – auch dies eine Referenz an die Gestaltung der Gemeinschaftsflächen des Gebäudes, verleiht doch eine Betonstruktur dem Haupteingang im EG besonderen Charakter.

Handwerklich, preiswert, nachhaltig

Das Rastermaß aller Einbauten war durch den Bestand vorgegeben: Der Aufzug, dessen Benutzung für einen Umbau im 12. OG unabdingbar war, ist klein; er erlaubte nur den Transport schmaler und flach verpackter Elemente und diktierte somit einen Rhythmus von 600 mm breiten Bekleidungen und anderen Einbauten. Sie wurden vom Bauunternehmer montiert, der das kleinere Schlafzimmer während des Umbaus zur Werkstatt umfunktionierte . Diese handgefertigte Herangehensweise liegt Mark Rist und Natalie Savva am Herzen: Besonders sie entwirft viel Ausstellungsdesign und Bühnenbilder, oft für kleine Budgets, die eine volle Konzentration auf das Essenzielle und Wirkungskräftigste im Entwurf verlangen, manchmal mit den alltäglichsten Materialien. Bei der Neugestaltung der Wohnung setzten die beiden u. a. auf einfache Metallrohre, die in abgesägter Form als Griffmuscheln der Einbauschränke dienen und die Verwendung teurer Beschläge überflüssig machten.

Eines der wichtigsten Kriterien der Bauherren für den Umbau war eine nachhaltige Energieversorgung. Die bestehende Erdgasleitung wurde daher gekappt. Die naheliegende Installation einer Luftwärmepumpe als Ersatz kam nicht infrage, da der Balkon der Wohnung, der einzige zugängliche Außenraum, außen verglast ist und eine sichtbare Pumpe nicht den Denkmalkriterien entsprochen hätte. Stattdessen baute man in die Küche einen 210 l fassenden Wärmespeicher ein, der sich nachts über Ökostrom auflädt und tagsüber die Wohnung sowohl mit Warmwasser versorgt als auch die Heizung bedient.

Sind solche Aspekte nachhaltigen Bauens etwas, das den Architekt:innen schon an der Universität vermittelt wurde? Beide erzählen, dass dieses Themenfeld während ihres eigenen Studiums vor wenigen Jahren noch eine geringe Rolle spielte, doch dass die Lehre sich seither rapide verändert habe. Heute unterrichten beide an der Oxford Brookes Universität und die Ausbildung sei inzwischen klar auf Nachhaltigkeit als einen der wichtigsten Aspekte des Entwerfens und Bauens orientiert. Für Mark Rist ist gerade in diesem Bereich, der sich sehr dynamisch entwickelt, das Prinzip des lebenslangen Lernens von größter Bedeutung.

db, Di., 2023.08.01



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08. Dezember 2020Christian Schönwetter
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Frischer Schwung fürs Lernen

Auf einem Kasernengelände in Karlsruhe ist die Bundesrepublik ihrer Vorbildfunktion als öffentlicher Bauherr gerecht geworden. Für ehemalige Zeitsoldaten hat sie eine Ausbildungsstätte errichtet, die neue Standards im Schulbau setzt.

Auf einem Kasernengelände in Karlsruhe ist die Bundesrepublik ihrer Vorbildfunktion als öffentlicher Bauherr gerecht geworden. Für ehemalige Zeitsoldaten hat sie eine Ausbildungsstätte errichtet, die neue Standards im Schulbau setzt.

In einer etwas abgelegenen Ecke von Karlsruhe versteckt sich eine militärhistorische Besonderheit: Ganz im Norden der Stadt, zwischen einer kleinen Teppichsiedlung und dem Waldrand, findet man den ersten Stützpunkt der deutschen Luftwaffe nach der Wiederbewaffnung. 1959 errichtete die Bundeswehr dort die Kirchfeldkaserne. Wer sie heute besucht, versteht, warum die Presse dem Areal damals »ein beinahe ziviles Gesicht« attestierte. Dreigeschossige Mannschaftsgebäude verteilen sich wie mit lockerer Hand hingestreut über weitläufige Grünflächen, wobei die fächerförmige Anordnung der Bauten dem annähernd dreieckigen Grundstück folgt – keine Spur jedenfalls von der strengen Orthogonalität früherer Kasernenhöfe.

An der Spitze des Fächers, wo lange das Offizierskasino stand, hat die Bundeswehr nun eine Schule gebaut, in der ehemalige Zeitsoldaten auf den Wiedereinstieg ins Berufsleben vorbereitet werden. Sie können hier Abschlüsse bis hin zur Fachhochschulreife nachholen oder ihr altes Schulwissen auffrischen, um besser für ein Studium gewappnet zu sein. Das Bauwerk, das v-architekten dafür entworfen haben, ist perfekt auf seinen Standort abgestimmt. Zunächst einmal setzt es ganz offensichtlich darauf, sich den zivilen Charakter des parkartigen Geländes zunutze zu machen. Die Unterrichtsräume liegen in den oberen Stockwerken und bieten durch vollverglaste Fassaden einen entspannenden Blick in die Baumkronen, während das EG Verwaltung, Lehrerzimmer, Bibliotheken und Vortragsräume aufnimmt. Auf den dreieckigen Grundstückszuschnitt wiederum reagiert das Gebäude mit drei Flügeln, die sich um ein zentrales Atrium gruppieren, gleichzeitig jedoch vor den alten Bäumen zurückweichen. Wer will, kann in der Grundrissfigur, die sich daraus ergibt, einen Propeller erkennen – und damit einen Verweis auf die Geschichte des Orts. Obwohl diese Assoziation vom Architektenteam gar nicht beabsichtigt war, wird sie von den stromlinienförmigen Rundungen der umlaufenden Wartungsbalkone ebenso unterstützt wie von der Leichtigkeit der Gebäudeflügel, an deren Enden die oberen Stockwerke weit auskragend über dem Gelände zu schweben scheinen.

InnenRäume Auf klugem Grundriss

Man betritt die Schule über den Nordflügel, der sich den anderen Gebäuden auf dem Kasernengelände zuwendet. Sogleich findet man sich in einem außergewöhnlich hellen Atrium wieder. Das Licht zieht den Blick nach oben, wo man ein zartes ETFE-Membrandach entdeckt. Statt einer aufwendigen Stahlkonstruktion und einer gerahmten Verglasung, die bei anderen Atrien meist einen unruhigen Schattenwurf erzeugen, überspannen hier nur drei gewölbte Rundträger den Raum und transluzente Foliennähte sorgen für einen gleichmäßigen Sonneneinfall. Ungestört kommt daher die präzise Ausführung der weiß verputzten Brüstungen zur Geltung, die auf den oberen Etagen in sanftem Schwung um die Ecken gleiten.

Weil ein großer Teil der Unterrichtsräume direkt über die Haupttreppe und die Galerien des Atriums zugänglich ist, reichen relativ kurze Stichflure aus, um die übrigen Räume zu erschließen. Die Gänge weiten sich von den Enden zur Mitte hin auf, sodass sie durch die perspektivische Verzerrung sogar noch kürzer wirken. Außerdem sind sie somit um genau jenes Maß verbreitert, das nötig ist, damit man in den Pausen gerne für einen Plausch stehen bleibt. V. a. aber bekommen sie als Teil einer einbündigen Erschließung seitliches Tageslicht, Aussicht ins Freie und damit eine Aufenthaltsqualität, die man bei den hochkompakten Schulgrundrissen unserer Tage nur selten antrifft.

Am Ende der Gänge liegen die Fluchttreppen. Sie eignen sich als »Shortcuts« zwischen den Etagen – weil sie direkt zu den Bibliotheken im EG führen, ergibt sich eine Schule der kurzen Wege. Auch bei der Nutzungsflexibilität wurde ein vernünftiges Maß gefunden. Während die Flurwände tragend ausgebildet sind, lassen sich die Leichtbau-Trennwände zwischen den Unterrichtsräumen einfach entfernen, ermöglichen eine Anpassung des Grundrisses und verlängern damit potenziell die Lebensdauer des Gebäudes.

Die Innenräume sind geprägt von Oberflächen, deren handwerkliche Verarbeitung einen angenehmen Kontrast zu der industriell anmutenden Alu-Glas-Fassade bildet: naturbelassenes Eichenholz auf den Brüstungen, hellbeiger Terrazzo am Boden des EGs, Beton mit dem Abdruck einer senkrechten Bretterschalung an den Wänden. Von gestalterischer Raffinesse zeugt eine leuchtende Fuge zwischen Wand und Decke, die den Beton in Streiflicht taucht und seine Struktur besonders hervorhebt. Alle verbauten Materialien unterliegen mindestens dem Umweltprüfzeichen »Blauer Engel«.

Wie sinnvoll ist eine Schule aus Glas?

Waren die großen transparenten Fassadenflächen zunächst rein konzeptionell bedingt, so erwiesen sie sich im Planungsverlauf auch als vorteilhaft für das Energiekonzept, berichtet das Architektenteam. Zunächst einmal verbessern sie natürlich die Tageslichtnutzung und minimieren den Strombedarf für künstliche Beleuchtung. Im Winter fallen die Wärmeverluste durch die Dreischeibenverglasung nicht sonderlich ins Gewicht. Zum einen reicht die abgestrahlte Körperwärme der Schüler bei dem ansonsten gut gedämmten Gebäude aus, um die Unterrichtsräume angenehm zu temperieren. Zum anderen sind für den Energieverbrauch von Ausbildungsstätten weniger die Verluste durch Transmission als durch Lüftung entscheidend: In Schulbauempfehlungen und der EN 13779 wird für die dicht besetzten Klassenzimmer ein dreifacher Luftwechsel pro Stunde vorgeschlagen, also sechsmal mehr als im Wohnungsbau. Alle Aufenthaltsräume der Karlsruher Schule werden daher mechanisch be- und entlüftet. Ein Plattenwärmetauscher gewinnt dabei 85 % der Abwärme zurück, ohne Zu- und Abluft zu vermischen. Zusätzlich lassen sich in den Unterrichts-, Büro- und Besprechungsräumen die Fenster bei Bedarf öffnen, was die Nutzerakzeptanz erhöht.

Im Sommer schützen Lamellenraffstores vor einer übermäßigen Sonneneinstrahlung, im Süden unterstützt von den Wartungsbalkonen. Eine Teilklimaanlage mit adiabatischer Verdunstungskühlung senkt die Temperaturen zusätzlich. Dank der großen Glasflächen kühlt das Gebäude nachts schneller aus als ein Haus mit hochgedämmten opaken Wänden. Die Erschließungsflächen werden, falls nötig, automatisch über Glaslamellenfenster in den Flurfassaden und Rauchabzugsöffnungen unter dem Atriumdach mit kühler Nachtluft durchspült. Bei der Besichtigung an einem hochsommerlichen Mittag im September scheint dieses Konzept zu funktionieren – selbst in den Fluren an der Südseite herrschen angenehme Temperaturen.

Konsequent bis ins Detail

Beim Verlassen des Bauwerks fällt der Blick noch einmal auf die Freibereiche unter den auskragenden Enden der drei Flügel. Für die erwachsenen Schüler unterbreitet jede dieser Zonen ein anderes Angebot. Boxsack, Reckstange und Ringe stehen zur sportlichen Aktivität bereit, hängende Sessel zum »Chillen« und Stahlbügel zum unkomplizierten, regengeschützten Anschließen von Fahrrädern. Die daneben stehende Sitzbank aus Faserbeton zeigt, obwohl sie aus dem Katalog stammt, die gleichen abgerundeten Ecken wie die Balkone und zeugt damit von der Konsequenz, mit der der hohe Gestaltungsanspruch bis ins Detail durchgehalten wurde.

Was hat nun dazu beigetragen, dass sich dieser Schulbau von vielen seiner Artgenossen abhebt? Die Architekten betonen die ausgezeichnete Zusammenarbeit mit dem Bauherrn, dem Staatlichen Hochbauamt Karlsruhe, das sie in schwierigen Abstimmungsrunden mit vielen Beteiligten aus Bundeswehr und Verteidigungsministerium stets unterstützt habe. Auch dass die Oberfinanzdirektion für das Projekt von Anfang an kein allzu knappes Budget vorgesehen hatte, mag geholfen haben: Mit 2.390 Euro brutto/m² BGF lag es über dem BKI-Durchschnitt für Schulbauten (und wurde exakt eingehalten). Sofern wie hier kein Luxus entsteht, darf es einer Gesellschaft ruhig ein paar Euro wert sein, bei Bauten für ihre ehemaligen Soldaten nicht zu knausern, sondern ihnen für die Rückkehr ins zivile Leben anständige Ausbildungsräume zur Verfügung zu stellen. Umso besser, wenn dabei anspruchsvolle Architektur herauskommt, mit der die öffentliche Hand die Baukultur fördert.

db, Di., 2020.12.08



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db 2020|12 Redaktionslieblinge

06. November 2020Christian Schönwetter
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Mitten am Rand

In der Gemeinde mit mehreren etwa gleichwertigen Teilorten gab es bislang nur zaghafte Versuche, eine Mitte zu bilden. Die enorm starke Setzung des neuen Rathauses bietet mit ihren klar gegliederten Fassaden aus Dämmbeton zwar keinerlei gestalterischen Bezug zur Umgebung, durch Struktur, Ausrichtung, Platzgestaltung und unterschiedliche Angebote hingegen umso mehr Anknüpfungspunkte – und mit den beiden gegensätzlichen Prinzipien von Solitärbildung und Einbindung auf verschiedenen Ebenen Möglichkeiten zur Identifikation.

In der Gemeinde mit mehreren etwa gleichwertigen Teilorten gab es bislang nur zaghafte Versuche, eine Mitte zu bilden. Die enorm starke Setzung des neuen Rathauses bietet mit ihren klar gegliederten Fassaden aus Dämmbeton zwar keinerlei gestalterischen Bezug zur Umgebung, durch Struktur, Ausrichtung, Platzgestaltung und unterschiedliche Angebote hingegen umso mehr Anknüpfungspunkte – und mit den beiden gegensätzlichen Prinzipien von Solitärbildung und Einbindung auf verschiedenen Ebenen Möglichkeiten zur Identifikation.

Wer mit der Bahn von Stuttgart nach Karlsruhe fährt, bekommt wenig Landschaft und viel Zersiedelung zu sehen. Kurz nach Pforzheim hält der Zug noch einmal in Remchingen, einer Gemeinde, die als Paradebeispiel für das Phänomen »Zwischenstadt« dienen könnte: Mit ihrer guten S-Bahn-Anbindung eignet sie sich als preiswerte Wohnalternative zu den nahe gelegenen Großstädten und zählt inzwischen 12.000 Einwohner, ihr Charakter lässt sich schwer einordnen, sie ist weder Dorf noch Vorort noch Stadt. Die siedlungstypologische Unbestimmtheit rührt aber auch wesentlich von der Geschichte her, denn Remchingen entstand erst ab 1973 im Zuge der baden-württembergischen Gebietsreform als Zusammenschluss dreier kleinerer Gemeinden. Baulich sind sie über die Jahrzehnte enger zusammengewachsen, ohne jedoch ein richtiges Zentrum auszubilden. Wer hier aus dem Zug steigt, landet zunächst in einer Art Niemandsland zwischen den beiden Ortsteilen Wilferdingen und Singen. Die frühere Randlage lässt sich an den eingeschossigen Gewerbebauten einer Tankstelle und eines Pflanzenmarkts ablesen, ergänzt durch eine Kulturhalle und ein Seniorenheim, das noch immer Aussicht in die freie Landschaft bietet. Ein Blick auf den Stadtplan zeigt jedoch, dass der Bereich vor dem Bahnhof gleichzeitig so etwas wie die geografische Mitte der Gesamtgemeinde darstellt. Remchingen möchte hier ein neues Zentrum etablieren und hat zunächst mit der gezielten Ansiedlung von Einzelhandel begonnen. Ein Discounter und ein Drogeriemarkt verbessern seit Kurzem die Nahversorgung und locken einige Kundschaft an. Als weit ausgreifende Flachbauten mit großem Parkplatz errichtet, lassen sie allerdings eher an ein Gewerbe­gebiet denken als an ein verdichtetes Ortszentrum.

Ganz anders der jüngste Baustein, der zur Belebung der neuen Mitte beitragen soll: Das Rathaus präsentiert sich als hochkompakter Körper, dessen vier Geschosse schon eher eine gewisse Zentralität suggerieren. Damit überragt es fast alle anderen Bauten der Umgebung, markiert das neue Herz Remchingens sinnfällig in der Stadtsilhouette und strahlt ein Selbstvertrauen aus, das einem öffentlichen Gebäude gut zu Gesicht steht – endlich ist das größte Haus im Ort einmal nicht die Bank. Dass die Gemeinde sich hier mit einem so voluminösen Bauwerk darstellen kann, ist der Integration weiterer Nutzungen zu verdanken, die das Rathaus zu einem Multifunktionsbau machen. Nicht nur der Sitzungssaal und diverse Ämter, die sich bislang über den gesamten Ort verteilten, sind darin zusammengeführt, sondern auch die Polizeistation und eine öffentliche Bibliothek. Und nicht zuletzt findet im EG ein Brauhaus Platz – quasi als Ersatz für einen traditionellen Ratskeller.

Außenraum und Außenhaut

Geschickt wurde die konzeptionelle und gestalterische Setzung eines solcherart erweiterten Verwaltungszentrums genutzt, um die diffuse stadträumliche Situation zu klären. Standen die Kulturhalle und das Seniorenheim als Solitäre bislang beziehungslos nebeneinander, so werden sie jetzt durch den Neubau zu einem Ensemble ergänzt, das einen gut proportionierten Platz rahmt. Er eignet sich für Open-Air-Veranstaltungen im Zusammenhang mit der Halle, aber auch für Adventsmärkte o. Ä. Im Westen öffnet er sich zur Landschaft, im Osten schirmt das Rathaus ihn von der angrenzenden Bundesstraße ab. Um ihn dadurch jedoch nicht zum Hinterhof zu degradieren, erhebt sich das Gebäude auf einem fünfeckigen Grundriss, sodass zur Rechten und Linken ausreichend breite Freiräume verbleiben, die – trichterartig zulaufend – den Blick von der Straße gleichsam einsaugen und in Richtung des Platzes lenken. Auf die Lage zwischen diesen öffentlichen Räumen reagiert das Bauwerk folgerichtig mit dem Verzicht auf eine eindeutige Vorder- oder Rückfront und auf einen klaren Haupteingang. Vielmehr sind alle Fassaden gleichwertig ausgebildet und im EG markieren drei tiefe Einschnitte an verschiedenen Seiten die Zugänge: einer vom Platz, die übrigen beiden näher an der Straße, aus Richtung Bahnhof und aus Richtung des historischen Dorfkerns von Wilferdingen.

Eine schwere Hülle aus Sichtbeton lässt das Rathaus fest mit dem Ort verwurzelt erscheinen. Als Dämmbetonkonstruktion erstellt, ermöglichte sie einen komplett mineralischen Wandaufbau, der sich im Falle eines Abbruchs voll recyceln lässt. Sie verleiht dem Gebäude einen massiven, monolithischen Charakter, ein Eindruck, den die tiefen Laibungen und die Attika ohne Blech unterstreichen. Quadratische Fensteröffnungen perforieren die Hülle in einem regelmäßigen Raster. Im EG sind sie verlängert und reichen bis auf Straßen­niveau hinab, ohne jedoch die strenge Tektonik der Fassaden zu stören. Wie ein großer Fels steht der Bau auf dem Platz und strahlt in seinem disparaten Umfeld eine unerschütterliche Ruhe aus. Insgesamt wirkt er solide und wertig.

Allerdings nur, solange man ihn aus der Nähe betrachtet. Tritt man ein paar Schritte zurück, wird auf dem Dach ein wildes Durcheinander aus Anlagentechnik und Lüftungsleitungen sichtbar. Das fast schon dekonstruktivistische Tohuwabohu will so gar nicht zu den ruhigen disziplinierten Fassaden passen. Eine nachträgliche Einhausung sei bereits in Planung, ist auf Nachfrage bei den Architekten zu erfahren, und man fragt sich, wie das dafür benötigte, nicht gerade geringe Volumen wohl die Gesamterscheinung des Bauwerks beeinflussen wird.

Wie aus einem Fels geschlagen

Doch erst einmal siegt die Neugier auf die Innenräume. Den Eintretenden empfängt ein imposantes Sichtbeton-Atrium über vier Geschosse. In Serpentinenmanier führt eine Treppe nach oben, von Stockwerk zu Stockwerk weiter zurückspringend, wie aus einem massiven Fels geschlagen. Ein großer Teil der Verwaltungsräume ist direkt von den Galerien des hellen Atriums zugänglich, sodass relativ kurze Flure ausreichen, um die übrigen Büros zu erschließen. Im 1. OG liegt der Trausaal mit einer vorgelagerten Loggia für einen kleinen Umtrunk nach der Zeremonie. Im 2. OG deutet eine im Grundriss gezackte Wand an, dass sich dahinter ein besonderer Raum befinden muss. Es ist der zweigeschossige Ratssaal, dem die Wand zu einer besseren Akustik verhilft. Auf der gegenüberliegenden Seite öffnet er sich mit einer Vollverglasung zur Dachterrasse und bietet einen entspannenden Blick über den Platz in die Landschaft.

Ein wenig suchen muss man die Gemeindebibliothek im 3. OG, deren Eingang sich kaum von denen der Verwaltungsräume unterscheidet. Auch an der Fassade macht sie sich nicht bemerkbar, sondern versteckt sich geradezu hinter normalen Bürofenstern. Schade, dass sie nicht gut auffindbar im Eingangsgeschoss liegt und dass sie keine Ein- und Ausblicke vom öffentlichen Raum gestattet. Da die Entscheidung, die Bibliothek im Rathaus unterzubringen, erst sehr spät fiel, ließ sich die Planung nicht mehr ändern. Aber Schwamm drüber. Alles in allem überwiegt beim Schlendern durchs Gebäude der Eindruck eines offenen, einladenden Rathauses, in dem die Bürger willkommen sind. Stellvertretend für die Nutzer zeigt sich die Dame im Bürgerbüro hochzufrieden mit der großzügigen, lichten Atmosphäre.

Bleibt die Frage, ob es dem Bauwerk gelingt, trotz seiner Randlage der neuen Mitte Remchingens Leben einzuhauchen. Beim Besuch an einem Donnerstagnachmittag im September zumindest scheint dies zu funktionieren. Auf der Terrasse des Brauhauses sitzen einige Gäste, der ein oder andere Bürger besucht die Ämter, die Wasserspiele des Platzes locken Kinder an und auf den Bänken ruhen sich Senioren aus, wenn dort nicht gerade ein paar Jugendliche »abhängen«. Das Konzept der Nutzungsmischung scheint aufzugehen und Personen aus allen Generationen anzuziehen. Besonders die Integration des gastronomischen Angebots erweist sich für die Vitalisierung von Gebäude und Platz als hilfreich. Letztlich kommt es offenbar nicht darauf an, ob die Gestaltung nun bis ins letzte Detail gelungen ist, vielmehr bestätigt sich wieder einmal die alte Stadtplaner-Weisheit: Urbanität erzielt man nicht mit Steinen, sondern mit Menschen.

db, Fr., 2020.11.06



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db 2020|11 Peripherie

09. Dezember 2019Christian Schönwetter
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Sprechender Zeitzeuge

Manchmal sind Entstehungsprozess und Hintergrund eines Projekts fast wichtiger als das architektonische Ergebnis. So auch beim White City Center in Tel Aviv. Aus einem Wohnhaus wurde ein Informationszentrum für das UNESCO-Welterbe Weiße Stadt. Vor allem aber schlägt sich an diesem Gebäude die besondere Beziehung zwischen Deutschland und Israel nieder – von der NS-Zeit bis heute.

Manchmal sind Entstehungsprozess und Hintergrund eines Projekts fast wichtiger als das architektonische Ergebnis. So auch beim White City Center in Tel Aviv. Aus einem Wohnhaus wurde ein Informationszentrum für das UNESCO-Welterbe Weiße Stadt. Vor allem aber schlägt sich an diesem Gebäude die besondere Beziehung zwischen Deutschland und Israel nieder – von der NS-Zeit bis heute.

Wer durch die Straßen von Tel Aviv schlendert, wird ein klassisches Zentrum vergeblich suchen. Während sich die europäische Stadt zum Kern hin immer stärker verdichtet, zeigt sich Tel Avivs Mitte kräftig durchgrünt: offene Bauweise statt kompaktem Block, Mehrfamilienhäuser zwischen Bäumen statt komplett bebauter Grundstücke. An wenigen Orten der Welt wurde die Gartenstadtidee so konsequent umgesetzt wie hier, wo sie tatsächlich zu einer ganz eigenen, ausgewogenen Mischung aus Wohnen, Arbeiten und Handel geführt hat – deutlich urbaner als etwa be deutschen Gartenstädten, aber eben auch deutlich aufgelockerter als bei hiesigen Zentren. Es ist dieses besondere Gefüge, das neben der weltweit größten Ballung von rund 2 000 Gebäuden des internationalen Stils dazu geführt hat, dass der Kern von Tel Aviv, die Weiße Stadt, inzwischen zum UNESCO-Welterbe zählt.

Inmitten des geschützten Gebiets hat die Kommune nun ein Informationszentrum eingerichtet. Das White City Center klärt Touristen und Architekturinteressierte über die Geschichte der Weißen Stadt auf, betreibt Forschung und dient als Beratungsstelle für Eigentümer, die ihre denkmalgeschützte Immobilie sanieren wollen. Untergebracht ist die Institution in einem ehemaligen Wohnhaus unweit von architektonischen Attraktionen wie dem Rothschild Boulevard oder dem Dizengoff Square, wenn auch etwas versteckt in einer der ruhigeren Seitenstraßen. Geradezu beispielhaft eignet sich das denkmalgeschützte Bauwerk dazu, die Besonderheiten der Weißen Stadt zu veranschaulichen: 1936 errichtet, entstand es genau zu der Zeit, als viele Juden aus Deutschland nach Palästina auswanderten und Tel Aviv explosionsartig wachsen ließen, allein von 1931-38 von 46 000 auf 150 000 Einwohner. Der deutsche Arzt Max Liebling finanzierte das Haus und bezog eine der sechs großzügigen Vierzimmer-Wohnungen selbst. Daher legte er bei seinem Gebäude Wert auf repräsentative, anspruchsvolle Architektur. Die lieferte Dov Karmi. Wie viele seiner Kollegen in Tel Aviv schuf er eine regionale Spielart des Internationalen Stils, die an das subtropische Klima angepasst ist.

Ganz typisch an seinem Entwurf ist etwa die Grundrissfigur aus zwei gegeneinander verschobenen Volumina. Sie erzeugt einen kleinen schattigen Vorplatz auf dem Grundstück, der den Eingang betont, gleichzeitig erhöht sie die Zahl der Eckzimmer, die sich mit zwei Fenstern nach verschiedenen Seiten gut durchlüften lassen. Um die Innenräume vor der gleißenden Sonne zu schützen, setzte Karmi nicht auf die großen Glasflächen der europäischen Moderne, sondern auf die ortsüblichen kleineren Öffnungen. Und Le Corbusiers programmatisches Bandfenster transformierte er in eine schmale langgezogene Öffnung, die teils Fenster, teils schattenspendende Loggia ist, aber selbstverständlich ums Eck geführt wird, um der Straßenfront eine schwebend leichte Erscheinung zu geben. Der Vorgarten sorgt auch in den straßenseitigen Räumen des EGs für ein ausreichendes Maß an Privatsphäre.

Gemeinschaftsprojekt

Bis 1990 wurde das Haus bewohnt, dann an die Stadt vererbt, die im EG eine Kita und in den oberen Geschossen Büros einrichtete. Weil deutsche Einwanderer sowohl in der Geschichte des Gebäudes als auch der Weißen Stadt eine bedeutende Rolle gespielt hatten, entstand die Idee einer deutsch-israelischen Kooperation, als es nun um die Umnutzung des Hauses zum White City Center ging. Die Bundesregierung, vertreten durch das Amt für Bundesbau, unterstützte das Vorhaben finanziell, aber auch mit bauhistorischer Expertise, da es in Israel wenig Erfahrung im Umgang mit Denkmalen der Moderne gibt. Mit der Stadt Tel Aviv etablierte man für das Gemeinschaftsprojekt einen wissenschaftlichen Beirat mit Vertretern aus beiden Staaten, von deutscher Seite brachte etwa Winfried Brenne sein Wissen ein (siehe auch Seite 92-98). Die Planung des Umbaus übernahm das ortsansässige Büro von Dov Karmis Tochter Ada Karmi-Melamede. Im September fand die feierliche Eröffnung statt.

Besucher betreten das Gebäude durchs Treppenhaus, passieren die alten hölzernen Briefkästen und dürfen sich fühlen wie die Mieter von 1936 auf dem Weg in ihre Wohnung. Ein barrierefreier Zugang zum Hochparterre wurde unauffällig an der Rückseite im Garten angelegt. Dort erschließt ein neuer, vor die Fassade gestellter Aufzugsturm alle Geschosse. Weil er das gleiche beigeweiße Putzkleid wie der Altbau trägt, ist er allerdings nicht eindeutig als Bauteil unserer Tage zu identifizieren; vielleicht hätte sich ein anderes Material, z. B. entsprechend eingefärbter Sichtbeton, besser geeignet, um den Aufzug dezent als nachträglichen Anbau an das Denkmal kenntlich zu machen.

Neues Innenleben

Die stärksten Veränderungen erfuhr das EG. Hier lässt sich die Dauerausstellung besichtigen, in der die Geschichte der Weißen Stadt chronologisch erzählt wird. Um dafür einen ausreichend großen Raum zu schaffen, wurden einige Wände entfernt, ebenso für das Café. Die Abbruchkanten sind an Decke, Wand und Boden sichtbar belassen, verweisen auf den baulichen Eingriff und die ursprüngliche Grundrissaufteilung. Auch die Ausstellungsgestaltung deutet die frühere Nutzung als Wohnhaus an – vor den Wänden stehen Schubladen-Vitrinen in Form von Sideboards, darüber hängen Informationstafeln wie gerahmte Erinnerungsfotos.

Durchs Treppenhaus geht es weiter nach oben. An zwei Stellen fehlen die originalen Wandfliesen. Als sie vor vier Jahren abfielen und auf der Rückseite der eingeprägte Schriftzug »Villeroy & Boch« sichtbar wurde, stellte sich heraus, dass sie zu den unzähligen Baumaterialien gehören, die von 1933–39 nach Palästina verschifft wurden – als Teil des sogenannten Transferabkommens zwischen Deutschland und Palästina: Juden, die vor dem Nationalsozialismus flohen, wurden bei der Ausreise verpflichtet, an ihrem neuen Wohnort deutsche Waren zu importieren. Auf diese Weise kurbelte das NS-Regime die eigene Wirtschaft an und sicherte sich Devisen.

An vielen 30er-Jahre-Häusern im Zentrum Tel Avivs finden sich daher deutsche Bauprodukte. Weil das Gebäude auch in dieser Hinsicht typisch für die Weiße Stadt ist, wurden die Treppenhausfliesen nun besonders inszeniert. Per 3D-Druck fertigte man farbig abgesetzte Replikate an und setzte sie mit dem Schriftzug nach außen in die beiden Fehlstellen, sodass sie nun als neue Schicht von der deutsch-israelischen Vergangenheit erzählen.

Für die oberen Etagen fand man eine Nutzung, die sich bestens für die vorgefundene Raumstruktur eignet. Eine der beiden Wohnungen im 1. OG nimmt die Verwaltung auf, in der anderen ist die Forschungsabteilung mit Archiv untergebracht. Im 2. OG angekommen, können Besucher erneut das Wohngefühl der 30er Jahre nachempfinden. Die vordere Vierzimmer-Einheit zeigt sich im ursprünglichen Grundriss und wurde mit einigen originalen Möbelstücken eingerichtet. Besonders gut erhalten sind Bad und Küche mit alten Waschtischen, Armaturen und Fliesen. Die hintere Wohnung bietet heute Platz für Wechselausstellungen.

Sanierungsfall Fassade

Während sich die ehemaligen Wohnräume im gesamten Haus in einer Art Rohbauzustand ohne Tapeten oder Anstriche präsentieren, bekamen die maroden Fassaden ein erneuertes Putzkleid und zeigen nun wieder das Erscheinungsbild von 1936. Weil in Israel kaum ein Handwerker traditionelle Techniken der Restaurierung beherrscht, erfolgte auch das Wiederherstellen des Putzes als deutsch-israelische Gemeinschaftsarbeit. Azubis des Stuckateur- und Malergewerks aus beiden Ländern sanierten zusammen unter fachkundiger Führung die Gebäudehülle. Das Amt für Bundesbau bat hierzu die Sto-Stiftung um fachliche und finanzielle Unterstützung für die Entsendung der angehenden Handwerker nach Tel Aviv. Je eine Woche arbeiteten die gemischten Teams auf dem Gerüst und tauschten ihr Wissen aus, bevor die nächste Schicht anrückte. Um den Generalunternehmer des Umbaus von der Haftung zu entbinden, wurde die Fassadeninstandsetzung als eigenes »Projekt im Projekt« durchgeführt.

Inzwischen erstrahlt das Gebäude in jenem makellosen Glanz, den man gemeinhin mit der »Weißen Moderne« assoziiert. Aus seiner grauen Umgebung, in der viele Denkmale offensichtlich schon lange auf eine Sanierung warten, sticht es deutlich hervor. Man kann nur die Daumen drücken, dass das White City Center tatsächlich den beabsichtigten Impuls für die denkmalgerechte Erneuerung der Weißen Stadt gibt. Und hoffentlich findet es v. a. bei den Besuchern Anklang – statt bei den berüchtigten Fledermäusen, die in der Gartenstadt Tel Aviv überall in den Bäumen leben und im Nachtflug noch fast jede neue Putzfassade in kurzer Zeit mit ihren Hinterlassenschaften in ein bräunlich gesprenkeltes Action-Painting verwandelt haben.

db, Mo., 2019.12.09



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db 2019|12 Redaktionslieblinge

03. Dezember 2018Christian Schönwetter
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Vorhof zum Himmel

In einer Stadtrandsiedlung hat die evangelische Gemeinde einen einprägsamen Ort der Begegnung geschaffen. Um einen zentralen Hof gruppieren sich eine Kirche mit wunderbarer Lichtwirkung und ein Café, das dazu beiträgt, das ruhige Viertel zu beleben. Für den neuen Stadtbaustein fand Peter Krebs genau das richtige Maß zwischen Einpassen und Zeichensetzen.

In einer Stadtrandsiedlung hat die evangelische Gemeinde einen einprägsamen Ort der Begegnung geschaffen. Um einen zentralen Hof gruppieren sich eine Kirche mit wunderbarer Lichtwirkung und ein Café, das dazu beiträgt, das ruhige Viertel zu beleben. Für den neuen Stadtbaustein fand Peter Krebs genau das richtige Maß zwischen Einpassen und Zeichensetzen.

Es wirkt wie eine gebaute Trotzreaktion: Obwohl Deutschlands Kirchen seit Jahren sinkende Mitgliederzahlen vermelden müssen, leisten sie sich immer wieder ambitionierte neue Gotteshäuser. Was auf den ersten Blick unvernünftig erscheinen mag, entspringt jedoch häufig einer nüchternen Logik des Sparens. So auch in der Karlsruher Nordweststadt, einer sehr ruhigen, sehr grünen, sehr aufgelockerten Nachkriegssiedlung, in der anno 2010 zwei schrumpfende evangelische Gemeinden zusammengelegt wurden: Petrus und Jakobus. Ihre beiden Kirchen waren in die Jahre gekommen und hätten eine aufwendige Sanierung erfordert. Weil sie zudem heutigen Vorstellungen eines zeitgemäßen Gottesdienstes nicht mehr entsprachen, wurden beide abgebrochen und das eine Grundstück verkauft, um auf dem anderen ein modernes Kirchenzentrum finanzieren zu können. Der Neubau ist nun exakt auf den Bedarf der fusionierten Gemeinde zugeschnitten: ein einladender Ort mit niederschwelligen Angeboten an das Quartier – und mit einem Kirchenraum, der genau jenen sakralen Charakter zeigt, der vielen protestantischen Räumen der Nachkriegszeit fehlt. Entworfen hat ihn der Karlsruher Architekt Peter Krebs.

Geschickt nutzt das Kirchenzentrum die Vorteile seines Standorts. Es liegt am Walter-Rathenau-Platz, der so etwas wie die Mitte des Wohnviertels darstellt: Zweimal pro Woche findet hier ein kleiner Markt statt. Die Petrus-Jakobus-Gemeinde betreibt daher ein Café, das allen Interessierten offensteht. So wird das Kirchenzentrum stärker belebt, umgekehrt bietet es aber auch einen attraktiven Treffpunkt für das Quartier und sorgt für ein bisschen Leben auf dem Platz, wenn kein Markt stattfindet.

Kirche und Gemeindehaus mit Café bilden eine bauliche Einheit, eine langgestreckte Raumspange, die dem Platz eine klare Kante nach Süden gibt. Dachflächen, die mehrfach abknicken und die Neigung wechseln, verleihen dem Gebäudeensemble eine markante Silhouette und erzeugen exakt das Maß an formaler Eigenständigkeit, das nötig ist, um das Kirchenzentrum als Sonderbaustein im städtischen Gefüge zu kennzeichnen. Die Fassaden aus geschlämmtem Sichtmauerwerk halten das Ganze gestalterisch zusammen. Natürlich sind sie nur vorgeblendet, doch der übliche Eindruck einer steinernen Tapete stellt sich hier nicht ein. Schwere Stürze über Fenstern und Türen machen das Prinzip von Tragen und Lasten anschaulich und geben – gepaart mit großen Laibungstiefen – den Wänden einen Ausdruck von Massivität, Ruhe und Beständigkeit. Ein sympathisch handwerkliches Erscheinungsbild wiederum erhält die Gebäudehülle durch die weiße Schlämme, welche die Ziegel mal stärker, mal weniger stark durchscheinen lässt. Gleichzeitig korrespondiert sie mit den verputzten Wohnbauten der Umgebung.

Gestaffelte Raumschichten

Vom Platz aus tritt man durch eine Pfeilerreihe zunächst in einen Vorhof, der Kirche und Gemeindehaus verbindet. An seiner Rückseite gibt er gleich wieder den Durchgang zur angrenzenden Wohnbebauung frei. Diese Möglichkeit der Durchwegung trägt wesentlich dazu bei, das Zentrum Petrus Jakobus mit dem Quartier zu verzahnen. Im Sommer bietet der Hof einen angenehmen Rahmen für Gemeindefeste. Sowohl der Kirchenraum als auch der Gemeindesaal lassen sich mit breiten Glastoren öffnen, sodass bei Bedarf eine durchgehende Fläche entsteht.

Hier kommt der gut durchdachte Grundriss zum Tragen, der sehr stringent in drei Raumschichten zoniert ist. Zum Platz hin bilden die Hauptnutzflächen ein zusammenhängendes Band aus Kirchenraum, Hof und Gemeindesaal. Es folgt eine Erschließungszone als durchlaufende Achse: Sie beginnt im Gemeindehaus als Flur, setzt sich im Hof unter einem eleganten, papierdünnen Vordach fort, das es erlaubt, trockenen Fußes hinüber zur Kirche zu gelangen, und mündet dort in einen inneren Weg, der schnurgerade bis zum Tauf­becken am Ende des Raums führt. Im Süden schließlich liegt die dritte Zone. Sie besteht aus untergeordneten Räumen – im Gemeinde­zentrum Küche, Haustechnik und Treppe, in der Kirche Sakristei und ein Andachtsraum – aufgelockert von kleinen Gartenhöfen, die mit buschartigen Ahornbäumen bepflanzt sind. Aus Kirche und Andachtsraum fällt der Blick in diese Patios, die einen Puffer zum direkt angrenzenden öffentlichen Weg und zur Wohnbebauung im Süden bilden. Da die Hofmauern bis zur Dachkante reichen und die Patios dadurch als Teil des umbauten Volumens erscheinen, wirkt das Kirchenzentrum größer als es tatsächlich ist und kann sich besser gegen die achtgeschossigen Wohnblocks in der Umgebung behaupten.

Natürlicher Materialkanon im Sakralraum

Über ein schweres Portal aus Eiche betritt man den Kirchenraum, ganz klassisch von Westen. Das Dach steigt allmählich an, um über dem Altar an der Ostseite in einen hohen Lichtraum zu münden, der diesen Bereich betont und effektvoll ausleuchtet. Sonne fällt hier – passend zum Hauptgottesdienst am Sonntagvormittag – durch Fenster in der Ost- und in der Südwand. Was ­sofort auffällt, ist die angenehme Akustik. An der Decke sorgen zarte Leisten aus Birken-Multiplex dafür, dass Töne kurz im Raum nachklingen, ohne sich in der endlosen Halligkeit zu verlieren, wie man sie etwa von gotischen Domen kennt.

Die glatt verputzten Wände tragen einen gebrochen weißen Anstrich aus antistatischer Silikatfarbe, die verhindert, dass sich Rußpartikel der Kerzen dort ablagern und mit den Jahren einen Grauschleier bilden. Am Boden liegen Platten aus hellem, grob geschliffenem Juramarmor. Als sakraler Brennpunkt setzt sich der Altarbereich mit zwei Treppenstufen vom restlichen Raum ab. Weil die Architekten auch die Prinzipalstücke entwerfen durften, wirkt alles wie aus einem Guss: Altar, Kanzel und Taufbecken bestehen aus dem gleichen Stein wie der Boden und ruhen als schwere Blöcke auf weiß gekalkten Eichengittern.

Dass die Orgel von einer der beiden Vorgängerkirchen übernommen wurde, ist ihr ihr nicht anzusehen, mit ihrer neuen weißen Lackierung passt sie sich unauffällig der Architektur an. Auch Teile der alten Kirchenfenster wurden wiederverwendet. In die Nordwand zum Platz sind zwölf kleine quadratische, rote Glasscheiben eingelassen, die aus der ehemaligen Petruskirche stammen, während sich an der Westwand über der Chorempore ein groß­flächiges, blau-gelbes Fenster aus der früheren Jakobuskirche findet. So lebt die Erinnerung an die aufgegebenen, vertrauten Gotteshäuser der beiden ­Gemeinden weiter und die Fusion schlägt sich symbolisch im Kirchenraum nieder. Wer nicht um diese Vorgeschichte weiß, wird kaum erraten, dass es sich bei den Fenstern um Spolien handelt. Sie fügen sich mit einer solchen Selbstverständlichkeit in den neuen Kirchenraum ein, als seien sie speziell für ihn geschaffen worden. Hut ab vor dieser gestalterischen Integrationsleistung!

Was hingegen den harmonischen Gesamteindruck stört, ist die Bestuhlung, die mit chromglänzenden Beinen und blauen Polstern dem Seminarraum eines Kongresshotels entstammen könnte. Der Architekt seufzt. Die Stühle waren erst kurz vor Planungsbeginn angeschafft worden, sodass die Gemeinde jetzt nicht in neue Kirchenbänke investieren wollte. Bleibt die Hoffnung, dass sie dies in ein paar Jahren nachholt.

Im Gemeindehaus auf der anderen Seite des Hofs wirken die Räume weniger sakral. Das Stäbchenparkett im großen Gemeindesaal, der sich bei Bedarf auch teilen lässt, verbreitet eine beinahe wohnliche Atmosphäre. Die eingestellte schwarze Miniküche wird für den Cafébetrieb genutzt. Stauraum für Geschirr und Ähnliches ist in Form von Einbaumöbeln in die Westwand integriert, sodass hier besonders tiefe Fensternischen entstehen, die das Bild solider Massivität der Fassaden verstärken.

Über den Hof gelangt der Besucher wieder hinaus auf den Walter-Rathenau-Platz. Lässt man nach dem Rundgang das Gesehene noch einmal Revue passieren, bleibt v. a. ein Eindruck großer Stimmigkeit im Gedächtnis haften. Nichts wirkt aufgesetzt oder manieriert, alles fügt sich mit großer Selbstverständlichkeit zueinander. Meisterhaft hält das Zentrum die Balance zwischen geschlossenem Erscheinungsbild und räumlicher Durchlässigkeit, zwischen strengem Grundriss und frei komponiertem Aufriss, zwischen Anpassen an die Wohnhäuser der Umgebung und Herausstechen als Gemeinschaftsbau. In seiner Ausgewogenheit lässt es einen ausgesprochen harmonischen Ort entstehen. Was will man mehr von einer Kirche?

db, Mo., 2018.12.03



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01. Dezember 2017Christian Schönwetter
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Elektrisierendes Engagement

Obwohl sie das Gesicht unserer Städte entscheidend mitprägen, sind Technikgebäude selten ein Spielfeld für große Architektur. Das Umspannwerk Schwabing hingegen zeigt, wie sich auch vermeintlich einfache Bauaufgaben mit hohem Gestaltungsanspruch lösen lassen.

Obwohl sie das Gesicht unserer Städte entscheidend mitprägen, sind Technikgebäude selten ein Spielfeld für große Architektur. Das Umspannwerk Schwabing hingegen zeigt, wie sich auch vermeintlich einfache Bauaufgaben mit hohem Gestaltungsanspruch lösen lassen.

Das neue Umspannwerk für den Stadtteil Schwabing ist bereits von Weitem zu ­sehen. Wer von den Münchner Pinakotheken kommt und die kerzengerade Arcisstraße nach Norden nimmt, fährt minutenlang durch eine gründerzeitliche Blockstruktur immer schnurstracks auf das Gebäude zu. Kurz vor ihrem Ende schwenkt die Straße leicht nach links – und genau in der Kurve steht das städtische Technikbauwerk und bildet den Schlusspunkt der Sichtachse. Ein solch markanter Standort verlangt nach anspruchsvoller Architektur und so war klar, dass hier kein reiner Zweckbau entstehen konnte. Auch der benachbarte Elisabethplatz, ein wichtiger Treffpunkt in Schwabing mit Marktständen und öffentlicher Grünfläche, verleiht dem Bau eine besondere Bedeutung im urbanen Gefüge.

Die Stadtwerke München beauftragten daher die Architekten Hild und K mit einer Studie für das neue Umspannwerk. Aufgabe war, eine ältere Anlage auf dem gleichen Grundstück zu ersetzen, die den gesamten Stadtteil mit Strom versorgt. Der technische Fortschritt ermöglichte dabei ein deutlich kleineres Werk, sodass Platz für Wohnungen und Büros frei wird. Diese werden bald in einem separaten Bauabschnitt nach einem Wettbewerbsentwurf von Bruno Fioretti Marquez Architekten entstehen.

Für das Umspannwerk selbst galt es eine Hülle zu finden, die technische Notwendigkeiten mit den repräsentativen Anforderungen in Einklang bringt, die sich aus der prominenten Lage ­ergeben. Der Körper, den Hild und K entwarfen, steht direkt am Bürgersteig und folgt dem leicht gekurvten Straßenverlauf in elegantem Schwung.

Dass man es mit einem Infrastrukturbauwerk zu tun hat, lässt die Fassade aus unbekleidetem rohem Beton erahnen. Gegliedert wird sie von drei großen Toren, hinter denen die Transformatoren in getrennten Kammern ihre Arbeit verrichten. Weil dabei viel Wärme entsteht, die abgeführt werden muss, weichen die Tore nach hinten zurück und geben in der Laibung Platz für Öffnungen frei. Über sie kann kühle Zuluft einströmen, die in den Kammern allmählich nach oben steigt und dann durch fensterähnliche Fas­sadenöffnungen oberhalb der Tore wieder austritt. Im Regelfall reicht dafür die natürliche Thermik, nur an heißen Sommertagen müssen Ventilatoren zugeschaltet werden. Im Innern sind die Wände rund um diese Öffnungen mit Schallschutzelementen bedeckt, um der Nachbarschaft den Lärm zu ersparen.

Die großen Tore tragen eine Bekleidung aus Kupfer. Sinnfällig verweist das für die Stromversorgung typische Material auf die Funktion des Gebäudes. Gleichzeitig erzeugt es die geforderte hochwertige Anmutung, weshalb es auch für die Türen und für die Streckmetallgitter vor den Lüftungsöffnungen verwendet wurde.

Obwohl die Fassade an keiner Stelle Einblicke ins Innere gewährt, haben Hild und K das Kunststück vollbracht, sie nicht abweisend wirken zu lassen. Das ist nicht zuletzt drei Sitzstufen zu verdanken, die in den Toröffnungen Platz gefunden haben. Weil Großtransformatoren mit dem Schwerlaster angeliefert werden und sich ­wegen ihres immensen Gewichts nur niveaugleich von der Ladefläche an ­ihren endgültigen Standort wuchten lassen, bekamen die Architekten die ­Vorgabe, dass die Trafokammern exakt 50 cm über Gehwegniveau liegen müssen – zufällig genau die übliche Sitzhöhe. Die Planer haben den Boden der Kammern einfach nach außen in die Toröffnungen weitergeführt und somit aus der Fassade eine informelle Sitzgelegenheit modelliert. Sie bereichert den öffentlichen Raum und wird häufig von Schülern des gegenüberliegenden Gymnasiums in Beschlag genommen.

Halbfertig vollständig

Etwas bizarr mutet zunächst der zinnenartige Dachabschluss des Bauwerks an. Er resultiert aus der verworrenen Planungs­geschichte. Um das wertvolle innerstädtische Grundstück voll ­auszunutzen, sollten über den Trafokammern zunächst zwei ­Bürogeschosse entstehen. Die Architekten entwarfen ein entsprechendes Gebäude, das sich an den Traufkanten der Nachbarhäuser orientierte. Doch ausgerechnet für das Areal des Umspannwerks gab ein alter Bebauungsplan eine niedrigere Höhe vor – die Stadt hätte also einen neuen aufstellen müssen. Da der Bauherr ein so langwieriges Verfahren nicht abwarten wollte, beschnitten die Architekten das geplante Gebäude auf der vorgeschriebenen Höhenlinie; und weil dort die Bürofenster lagen, hat das Haus nun vorläufig Zinnen, bis die beiden Geschosse ergänzt werden. Einem Bauwerk der öffentlichen Hand mag man eine solche Extravaganz zugestehen.

Auch das eigenwillige Betonband, das ein paar Zentimeter aus der Fassade vorspringt und um die oberen Lüftungsöffnungen mäandert, geht auf die ­Planungshistorie zurück. Im Unterschied zu den unbeheizten Trafokammern werden die Büroetagen einen Wärmeschutz benötigen. Das Band soll dann als Auflager für eine Dämmung und Vormauerung dienen, die sich von den oberen beiden Stockwerken 1 m die Fassade hinabziehen, um eine Wärmebrücke an der Geschossdecke zu verhindern.

Solange das Auflager auf seine endgül­tige Bestimmung wartet, dient es als ornamentales Element, das der Fassade mit seinem lebendigen Schattenwurf zusätzliche Plastizität beschert.

An Details wie diesem zeigt sich die große Sorgfalt, mit der das Umspannwerk geplant ist. Die Architekten haben nicht nur einen End-, sondern auch einen Zwischenzustand entworfen und darauf geachtet, dass schon das halbfertige Gebäude eine gute Figur macht. Lobenswert ist auch das Engagement der Stadtwerke München, die ihre Vorbildfunktion als öffentlicher Bauherr hier ernst genommen haben und bereit waren, ein paar Euro mehr als üblich zu ­investieren. Für die Bauaufgabe Umspannwerk haben alle Beteiligten einen neuen Standard gesetzt.

db, Fr., 2017.12.01



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10. Januar 2017Christian Schönwetter
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Modul als Modell?

Werner Sobek hat gemeinsam mit den fischer-Werken ein Unternehmen gegründet, das vorgefertigte Wohnboxen ­anbietet. Die Module sind leicht, sollen schnell und preiswert zu errichten sein und lassen sich komplett recyceln. Das erste realisierte Projekt, eine Flüchtlingsunterkunft, zeigt das große Potenzial dieses ­Bausystems. Aber auch seine Grenzen.

Werner Sobek hat gemeinsam mit den fischer-Werken ein Unternehmen gegründet, das vorgefertigte Wohnboxen ­anbietet. Die Module sind leicht, sollen schnell und preiswert zu errichten sein und lassen sich komplett recyceln. Das erste realisierte Projekt, eine Flüchtlingsunterkunft, zeigt das große Potenzial dieses ­Bausystems. Aber auch seine Grenzen.

Wer einmal ein Zementwerk besichtigt hat, das Sprengen des Kalks im Steinbruch erlebt und die Hitze des Brennofens gespürt hat, begreift sofort, warum das Bauen mit Beton und Mörtel so energieintensiv ist. Allein die Produktion von Zement verursacht etwa 5 % des CO2-Ausstoßes aller Industrie- und Verbrennungsprozesse weltweit.

Beim Transport zur Baustelle und bei Umbau oder Abbruch der schweren Verbundkonstruktionen aus diesen Materialien werden erneut große Energiemengen verbraucht. Hinzu kommt: Auf deutschen Mülldeponien nimmt mineralischer Bauschutt den größten Anteil der Abfälle ein. Seit Langem arbeitetet Werner Sobek daher an Prototypen vorgefertigter Häuser in Leichtbauweise – für ihre Herstellung ist nur ein Bruchteil der üblichen Energie nötig, sie lassen sich sortenrein zerlegen und vollständig recyceln. Letztes Beispiel war das Gebäude »B10« in der Stuttgarter Weißenhofsiedlung.

Um diesen Ansatz in die Breite zu tragen, hat er nun mit den fischer-Werken das Unternehmen »aktivhaus« ins Leben gerufen. Es bietet schlüsselfertige Wohnboxen, die mit rund 380 kg /m² Grundfläche so wenig wiegen, dass sie sich in einem Stück mit dem LKW transportieren lassen. Konstruiert sind sie in ressourcenschonender Holzständerbauweise, gedämmt mit einer 28 cm ­dicken Schicht aus Holzfaserplatten, bekleidet mit einer hochdruckimprägnierten Lärchenschalung unter Verwendung von Holz aus zentraleuropäischem Anbau. Auf Verbundstoffe wird komplett verzichtet. In der Basisvariante der »Serie 700« erfüllen die Wohnmodule die Anforderungen der EnEV, lassen sich aber mit Photovoltaik auf dem Dach zu Plusenergiehäusern nachrüsten. Die Verwendung des energieintensiven Baustoffs Beton beschränkt sich auf ein Minimum: die Fundamente.

Damit man auf unterschiedliche Wohnbedürfnisse eingehen und eine große Vielfalt an Gestaltungsvarianten anbieten kann, basiert das Bausystem nicht auf dem Prinzip gleicher Teile, sondern gleicher Fügungen. Einzelne Ele­mente können also in ihren Abmessungen erheblich variieren, aber die Verbindungstechnik ist immer dieselbe. Es ist möglich, Fenster verschiedener Breite an der jeweils gewünschten Stelle zu platzieren, andere Fassadenbekleidungen oder Innenraumoberflächen gegen Aufpreis zu wählen oder auch einzelne Wände zu entfernen, etwa wenn nachträglich zwei ­Module zu einer größeren Einheit zusammengelegt werden sollen.

Das Unternehmen verspricht günstigen Wohnraum zum Fixpreis. Der Vorfertigungsgrad ist extrem hoch: Die Boxen werden komplett im Werk zusammengefügt, inklusive Fußbodenheizung, Elektrik, sämtlicher Raumoberflächen, Bad- und Küchenausstattung bis hin zum einzelnen Lichtschalter. Bevor sie die Halle verlassen, werden wie bei einem Flugzeug-Check alle Funktionen geprüft. Die einzigen Arbeiten, die noch auf der Baustelle stattfinden, sind im Vorfeld das Herstellen der Fundamente und des Hausanschlusses und nach Anlieferung der Module das Anbringen von Vordächern, Treppen oder Dachterrassen. Um den Installationsaufwand zu verringern, wurde ein eigenes Verbindungselement in Boden und Dach entwickelt, das alle Leitungen für Frisch- und Abwasser, Strom, Heizung und Medien bündelt. Es dient dem schnellen Anschluss auf dem Grundstück, aber auch der Leitungsführung beim Stapeln mehrerer Module. Geheizt wird mit Fernwärme oder, falls nicht verfügbar, mit einer Gastherme.

Jenseits der Standards

Den ersten Praxistest muss das System derzeit im schwäbischen Winnenden bestehen. Am Ortsrand wurde eine Wohnanlage errichtet, die der Gemeinschaftsunterbringung von Flüchtlingen dient. Für die ersten drei Jahre sollen dort bis zu 200 Menschen leben, bevor die Häuser Bürgern mit geringem Einkommen zur Verfügung gestellt werden – dann jedoch nur noch mit einer Belegung von knapp 100 Personen. Aufgestellt wurden 38 Module, 34 davon dienen Wohnzwecken, eines als Technikzentrale mit Waschküche und drei bilden einen Gemeinschaftsraum. Vier Monate nach Erteilung der Baugenehmigung konnten die ersten Nutzer einziehen. Die Nettokosten lagen bei 1735 Euro/m² BGF, inklusive Lieferung, Montage und Sonderleistungen wie Dachterrassenbeläge und -geländer, Vordächer, Brandschutzschotts fürs Stapeln und Absturzsicherung für das 1. OG. Nicht in den Kosten enthalten sind die Fundamente und Treppen.

Durch die von Anfang an geplante Nachnutzung ließ sich ein höherer Wohnwert erzeugen als bei den meisten Flüchtlingsheimen der ersten Generation, die landauf landab aus Stahlcontainern entstanden sind. Was sofort angenehm auffällt, ist die aufgelockerte Anordnung der Baukörper. Das Verschieben der Boxen gegeneinander und der Wechsel von Ein- und Zweigeschossigkeit lassen ebenso wenig Monotonie aufkommen wie die relativ frei über die Fassaden verteilten Fenster. Der serielle Charakter der Module ist zwar unverkennbar, wird aber so variantenreich überspielt, dass sich der Eindruck einer Massenunterkunft nicht einstellt. Da die Bauten Höhe und Dachform mit den Häusern des benachbarten Wohngebiets aus den 60er Jahren gemein haben, fügen sie sich auch städtebaulich gut ein. Auf viele Betrachter wirken sie wegen des sympathischen Fassadenmaterials Holz sogar attraktiver als der umgebende Bestand. All dies mag dazu beigetragen haben, die Akzeptanz der Unterkunft bei den Anliegern zu steigern: Bedenken, die bei einer Bürgerversammlung im Vorfeld geäußert wurden, seien nach Baubeginn verstummt, berichtet aktivhaus-­Geschäftsführerin Stephanie Fiederer.

Tageslicht und Privatsphäre

Jedes Modul beherbergt eine eigene abgeschlossene Wohngemeinschaft. Die kleineren Einheiten des OGs bieten auf 45 m² BGF Platz für bis zu vier (später dann zwei) Personen, die sich eine Küche, ein Bad, einen Wohn- und einen Schlafraum teilen. In den größeren Einheiten des EGs kommt ein zweiter Schlafraum hinzu, der die BGF auf 60 m² erhöht, sodass sich hier bis zu acht (später vier) Menschen unterbringen lassen. Trotz einer sehr einfachen Ausstattung wirken die Räume recht wohnlich. Das ist nicht nur der guten Proportion auf nahezu quadratischem Grundriss zu verdanken, die man im kostengünstigen Wohnungsbau selten findet, sondern auch der Wand- und ­Deckenbekleidung aus Fichte-Dreischichtplatten, die nach frischem Holz duften. Dennoch schwankt die Aufenthaltsqualität der Räume erheblich. Denn durch die gewählte Ausrichtung der Module auf dem Grundstück orientieren sich rund 40% der Wohn- und Schlafzimmer nach Norden. Die Nutzer der EG-Einheiten genießen zudem nur eine eingeschränkte Privatsphäre, da die Wege ohne jeglichen Puffer direkt an den Fassaden mit ihren bodentiefen Fenstern entlangführen. Beides ließe sich bei Folgeprojekten leicht vermeiden: Mit einer um 90 Grad gedrehten Anordnung der Boxen und ein paar anders platzierten Fenstern könnte der Anteil der Nordzimmer auf Null sinken. Und wenn der Außenraum mit einer günstigeren Wegeführung so zoniert würde, dass unterschiedliche Stufen der Privatheit entständen, sei es durch Terrassen, vorgelagerte Höfe oder Gärten, würde die Anlage bei gleichem Flächenbedarf gängigen Prinzipien des Wohn- und Siedlungsbaus gerecht. Schwieriger zu lösen ist da schon die Frage, wo man die Außentreppen sinnvoll platziert. In Winnenden stehen sie als leichte Stahlkonstruktion jeweils direkt vor einem Schlafraumfenster, was bei temporärem Flüchtlingswohnen verschmerzbar sein mag, bei dauerhaften Mietern jedoch kaum Akzeptanz finden wird.

Vor- und Nachteil zugleich

Eine besondere Stärke des Bausystems ist gleichzeitig seine besondere ­Schwäche: Beim back-to-back-Verbund zweier Module ergibt sich eine Gebäudetiefe von nur 8,6 m. Sie lässt zwar außergewöhnlich gut belichtete Innenräume entstehen, jedoch eignet sie sich nur bedingt für verdichtetes Wohnen, wie es in Ballungsräumen unumgänglich ist. Dort erfordern die extrem hohen ­Bodenpreise kompaktere Baukörper größerer Tiefe, die jeden Quadratmeter nutzen. Ein wirtschaftlicher Grundriss, der die Möglichkeiten eines Grundstücks optimal ausreizt, lässt sich mit dem weitmaschigen Raster der Module nur schwer verwirklichen. Dem kostengünstigen Bauen sind damit ausgerechnet dort Grenzen gesetzt, wo es am dringendsten gefragt ist. Hinzu kommt, dass mit steigender Gebäudehöhe zunehmende Brandschutzanforderungen die Module verteuern.

Ihre Stärken kann die Serie 700 viel eher bei aufgelockerter Bebauung auf preiswerteren Grundstücken ausspielen – dort bietet sie die Chance, schnell und mit überschaubarem finanziellen Aufwand Wohnraum zu schaffen, der ökologisch vorbildlich ist. Künftig werden weitere Qualitäten hinzukommen, denn nach den Erfahrungen aus dem Pilotprojekt in Winnenden überarbeitet aktivhaus die Module. Man gibt den Boxen eine schlankere Dachkante, was beim Stapeln zu filigraneren Fugen und einem eleganteren Erscheinungsbild führt; die Planer feilen noch ein wenig am Grundriss, um die Schlafräume zu vergrößern; und die Konstruktion wird so angepasst, dass bodengleiche ­Duschen barrierearmes Wohnen im EG ermöglichen. Ein Folgeprojekt in der Nachbargemeinde Kernen ist bereits in Planung. Nach seiner Fertigstellung gilt es dann, das System noch einmal neu zu bewerten.

db, Di., 2017.01.10



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05. Dezember 2016Christian Schönwetter
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Gewinnen durch verzichten

Die Kleinstadt Waldkirch hat ihr Freibad komplett ­umgestaltet. Ein skulpturales Eingangsbauwerk mit ­Liegewiese auf dem Dach modelliert die Landschaft und harmoniert mit den nahegelegenen Hängen des Schwarzwalds. Die hohe Qualität der Architektur ließ sich nur dank einer klugen Entscheidung des ­Gemeinderats verwirklichen.

Die Kleinstadt Waldkirch hat ihr Freibad komplett ­umgestaltet. Ein skulpturales Eingangsbauwerk mit ­Liegewiese auf dem Dach modelliert die Landschaft und harmoniert mit den nahegelegenen Hängen des Schwarzwalds. Die hohe Qualität der Architektur ließ sich nur dank einer klugen Entscheidung des ­Gemeinderats verwirklichen.

Ein wenig irritiert schauen mich die beiden Damen im Bikini an. Wie ich mit Sonnenbrille vor dem Zaun stehe und von außen das Freibadgelände mustere, muss in der Tat einen befremdlichen Anblick bieten. Dabei war es wirklich nur die eigenwillige Architektur, die meine Aufmerksamkeit geweckt hat, als ich auf einer Radtour entlang des Flüsschens Elz zufällig hier vorbeigefahren bin. Damit die beiden Frauen sich wieder entspannen, drehe ich mich weg und werfe einen Blick aufs Smartphone; es verrät mir, dass die Anlage erst vor Kurzem von den Architekten Kauffmann Theilig & Partner fertiggestellt worden ist. Also nach Hause, Badesachen holen und wiederkommen.

Zwei Stunden später stehe ich vor dem Eingangsbauwerk. Im Grunde ist es kein Gebäude, sondern ein Stück modellierter Landschaft. In sanftem Schwung wölbt sich das Gelände zu einem begrünten Hügel empor, der den Vorbereich mit Fahrradständern und Parkplätzen von den Liegewiesen und Becken trennt. Er nimmt die Kasse auf, aber auch Umkleiden, Duschen, Toiletten, Bademeisterraum und natürlich die Technikzentrale. Der Zugang für die Badegäste führt in einer weiten Kurve durch den Hügel, beinahe wie ein Tunnel – eine Assoziation, die durch den Boden aus betongrauem Guss­asphalt noch unterstrichen wird. Da dieser Belag sich bis in die Duschen ­hineinzieht, verwischen die Grenzen zwischen innen und außen. Bei einem unbeheizten, ungedämmten Bauwerk ohne Aufenthaltsräume leuchtet mir dieser Gestaltungsansatz ein, zumal er sich in einem solchen Fall ohne baukonstruktive Klimmzüge verwirklichen lässt.

Spätestens wenn man das Badegelände betritt, wird klar, dass das Verschmelzen von Landschaft und Bauwerk hier kein entwerferischer Selbstzweck ist, sondern v. a. dazu dient, zusätzliche Liegewiesen auf dem begrünten Dach zu erzeugen. An einem flirrend heißen Sonntag im August, an dem sich die Gäste Handtuch an Handtuch drängen, werden diese Flächen in der Tat dringend benötigt.

Keine halben Sachen

Inzwischen habe ich mich in der Lokalpresse über die Vorgeschichte des ­Projekts informiert. 2008 waren die beiden Freibäder Waldkirchs so marode, dass jeweils eine aufwendige Sanierung anstand. Beide stammten aus der Nachkriegszeit, waren aber über die Jahre immer wieder verändert worden und ­boten keinen besonderen Reiz. Nach einigem Hin und Her beschloss die Stadt, nicht zwei halbherzige Modernisierungen durchzuführen, sondern das eine Bad ganz aufzugeben und die Mittel zu bündeln, um bei dem anderen Bad einen richtigen Neuanfang zu ermöglichen. Durch diesen Verzicht ­konnte bei der verbleibenden Anlage aus dem Vollen geschöpft werden: Sie bietet jetzt alles, was 2016 zu einem ordentlichen Spaßbad gehört: gleich drei verschiedene Wasserrutschen, einen Strömungskanal mit integrierten Sitzbänken, eine Sprudelanlage, Massagedüsen, Nackenduschen und diverse Wasserspiele. Aus wirtschaftlichen und ökologischen Gründen wurden vom Bestand aus dem Jahr 1968 das vorhandene 50-m-Becken und das Kinderplanschbecken weitergenutzt. Sie erhielten eine Auskleidung aus Edelstahl über den vorhandenen Fliesen, sodass sich aufwendige Abbrucharbeiten erübrigten. Neu sind das Sprung- und das Nichtschwimmerbecken.

Unikat mit Charakter

Durch die Konzentration auf nur ein Freibad ließ sich auch eine anspruchsvolle Gestaltung umsetzen. Das große »Spaßbecken« in Form dreier sich schneidender Kreise reagiert auf die weichen Rundungen des Grundstücks, das sich in eine Kurve der Elz schmiegt. In freiem Schwung legen sich Wege und die Badeplatte um die Becken und setzen deren geometrisches Spiel im Detail fort: Das kleinteilige Betonpflaster folgt den Rundungen ebenso wie der Besenstrichbeton, den das Bauunternehmen nicht mit der üblichen parallelen, sondern mit einer leicht radial zulaufenden Rillenstruktur versehen hat. Hut ab vor dieser handwerklichen Leistung! Die Oberflächen fühlen sich barfuß zudem äußerst angenehm an, v. a. im Kontrast zu dem rauen 70er-Jahre-Knochensteinplaster im Freibad der Nachbargemeinde, das mir am Vortag ein fakirhaftes Lauferlebnis beschert hat.

Auch die Sprungtürme sind nicht von der Stange, sondern wurden eigens nach einem Entwurf der Architekten gefertigt. Die Projektleiterin holte testweise von der Rohbaufirma ein Angebot ein, das glücklicherweise nicht höher lag als die Angebote von Standard-Schwimmbad-Ausstattern. Also konnte man individuelle Türme verwirklichen, die sich in Form und Material harmonisch in das Gesamtkonzept integrieren. Besonders elegant wirken die Stufen aus schwarz durchgefärbtem Sichtbeton.

Das Gelände ist nach allen Seiten außenräumlich gefasst. An den Eingangs­hügel im Norden schließt westlich eine Struktur aus senkrechten Holzlamellen an, die als Abgrenzung zum benachbarten Sportareal dient. Im Südwesten geht sie in die sogenannte Lounge über: Diese überdachte Konstruktion ist über Holzdecks errichtet, die einen geschützten Aufenthalt im Freien ermöglichen. Nach außen mit Wänden geschlossen, in Richtung Becken aber geöffnet, schirmt sie an kühleren Tagen den Westwind ab, spendet an heißen Schatten und bietet bei Regenschauern einen Unterstand. Gleichzeitig sorgt sie für den nötigen Schallschutz zum angrenzenden Wohngebiet. Nach Südosten und Osten schließlich erhebt sich der Elzdamm, dessen frisch angelegte ­Hecken in einigen Jahren neugierige Blicken von außen verhindern werden. Umgekehrt werden zwei kleine Holzdecks, die die Pflanzung unterbrechen, dann nur noch punktuell Ausblick auf das Flüsschen gestatten. Ansonsten aber blendet die durchgängige Einfassung des Badeareals die ­direkte Umgebung weitgehend aus. Stattdessen stärkt sie den Bezug zur Landschaft im Hintergrund, indem sie den Blick stets nach oben auf die grünen Hänge des Schwarzwalds lenkt.

Beliebt oder beliebig?

Die Liegewiesen profitieren außerordentlich vom alten Baumbestand, an ­dem die Landschaftsplaner zum Glück festgehalten haben. Seinen Schatten suchen v. a. Familien und Senioren. Auf dem Eingangshügel, dessen Dach sich für ­das Anpflanzen von Bäumen nicht eignet, tummelt sich dagegen hauptsächlich die sonnenhungrige Jugend. Aus den Smartphones scheppern die Sommerhits. Dass diese erhöhte Liegefläche vom Rest des Geländes schwer ein­zu­sehen ist, dürfte ihrer Beliebtheit bei den Teenagern nicht gerade abträglich sein.

Ich verlasse das Bad mit dem Eindruck, dass die Stadtväter die richtige Entscheidung getroffen haben. Der zunächst sicher unpopuläre Schritt, eines der beiden Freibäder für immer zu schließen, hat sich offensichtlich gelohnt, wenn die neue Einrichtung quer durch die Generationen so gut angenommen wird. Als funktionalistisch geschulter Architekt kommen mir manche Details zwar etwas verspielt vor und ich frage mich bei der ein oder anderen freien Form, wie sie sich wohl begründen lässt. Aber insgesamt erzeugen sie eine heitere, beschwingte Atmosphäre – für die Bauaufgabe »Freizeit- und Erlebnisbad« scheint das eine angemessene Architektursprache zu sein.

db, Mo., 2016.12.05



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Presseschau 12

Die 60er Jahre weitergestrickt

»Lubetkin Apartment« nennt das STUDIO NAAMA seinen Umbau einer Wohnung in einem Hochhaus von Berthold Lubetkin. Ist dieser Name gerechtfertigt? Tatsächlich greift die Neugestaltung zahlreiche Merkmale des Bestands auf und entwickelt sie subtil weiter.

»Lubetkin Apartment« nennt das STUDIO NAAMA seinen Umbau einer Wohnung in einem Hochhaus von Berthold Lubetkin. Ist dieser Name gerechtfertigt? Tatsächlich greift die Neugestaltung zahlreiche Merkmale des Bestands auf und entwickelt sie subtil weiter.

Das Projekt für den Umbau einer Dreiraumwohnung in Sivill House war bereits in Planung, als das Gebäude unter Denkmalschutz gestellt wurde. Mitte der 60er Jahre hatten prominente Architekten der englischen Vor- und Nachkriegsmoderne, Skinner, Bailey und Lubetkin, das Hochhaus als sozialen Wohnungsbau in Ostlondons trendiger Columbia Road errichtet; nun stand dem eleganten, 20-geschossigen Wohnturm eine plumpe Modernisierung mit doppelt verglasten Kunststofffenstern bevor, deren Gestaltung deutlich vom Original abwich. Dies rief die Twentieth Century Society and architekturverliebte Nachbarn auf den Plan, die für einen Eintrag in die Denkmalliste plädierten. Historic England und die Zentralregierung stimmten zu und Sivill House wurde 2020 auf der niedrigsten Denkmalstufe, Grade II, in die Liste eingetragen. Die Wohnungen selbst sind davon nicht betroffen und können im Innern prinzipiell ohne denkmalrechtliche Genehmigung verändert werden. Dennoch reichten die Architekt:innen Natalie Savva und Mark Rist von Studio NAAMA einen Bauantrag ein, v. a. um ihre Bauherren abzusichern, denn ein Bruch des Denkmalgesetztes ist in England strafbar.

Mehr Licht, mehr Durchblick, mehr Stauraum

Die Wohnung liegt im 12. OG des Hochhauses. Aufgrund des ungewöhnlichen Gebäudegrundrisses mit zwei Flügeln, die durch einen zentralen runden Treppenturm verbunden und in vier Einheiten pro Geschoss aufgeteilt sind, bietet sie Ausblick nach drei Seiten. Trotz der dadurch möglichen Helligkeit waren die Räume nicht gerade lichtdurchflutet, zudem wirkte die Dreizimmerwohnung auf insgesamt 65 m² eher kompakt. Die jungen Architekt:innen entfernten daher eine Reihe nichttragender Wände zugunsten von möbelartigen Einbauelementen, die mehr Stauraum, Durchblick und Lichteinfall ermöglichen. Die Wand zwischen dem Wohnzimmer und größerem Schlafzimmer wurde durch ein Regal inklusive einer mehrteiligen Schiebetür ersetzt. Die Wand zwischen Hauptschlafzimmer und Flur machte in ähnlicher Weise Platz für ein Regal. Das kleinere Schlafzimmer avancierte zum Mehrzweckraum: An der Wand befindet sich ein ausklappbares Bett, das in neu entworfenen Einbauschränken verschwindet, wenn das Zimmer als Büro oder Fahrrad-Trainingsraum benutzt wird. Einen ursprünglich kleinen Einbauschrank im Flur ließ STUDIO NAAMA vergrößern, um darin die Bikes der fahrradbegeisterten Bauherren verstauen zu können. Die spartanisch ausgestattete Küche wiederum wurde von einem geschlossenen Element vor dem beinahe bodentiefen Fenster befreit und mit einer minimierten Spüle versehen, um möglichst wenig Ausblick und Licht zu verlieren – eine neue frei stehende Frühstücksbar bietet gleichzeitig einen Essplatz. Der Flur schließlich erhielt ein frei stehendes Garderobenmöbel mit einer verspiegelten Seitenfläche, um den kleinen Raum optisch zu vergrößern, und einer Rückwand aus transluzentem Polycarbonat, um Licht zu streuen.

Der Bestand als Leitschnur

Ein Ziel des Umbaus war es, die Materialität des 60er-Jahre-Hochhauses aufzugreifen. Die Wohnung selbst hatte keine erhaltenswerten originalen Elemente, aber die spektakuläre Haupttreppe im Zentrum des Gebäudes und der Fußbodenbelag im Gemeinschaftsflur dienten als Inspiration für neue Materialien in der Wohnung: So erhielt die Küche einen grünen Terrazzoboden, der dem im Aufzugsflur ähnelt, und viele der Einbauelemente, etwa die Frühstücksbar und Garderobe, sind aus gebogenen Metallrahmen konstruiert, die an das Treppengeländer von Skinner, Bailey und Lubetkin erinnern. In Anlehnung an andere Interieurs der 60er Jahre bestehen die Einbaumöbel aus dem preiswerten Material Sperrholz. Alle Türen wurden gegen moderne Exemplare mit Holzrahmen und Glasfüllung ausgetauscht, da die vorherigen Bewohner pseudoviktorianische Modelle eingebaut hatten.

Trotz dieser zahlreichen Veränderungen war es den Architekt:innen wichtig, den Originalbau nicht komplett unter neuen Elementen verschwinden zu lassen. Betonunterzüge etwa wurden freigelegt und sichtbar belassen und unterbrechen die hölzerne Wandpaneelierung – auch dies eine Referenz an die Gestaltung der Gemeinschaftsflächen des Gebäudes, verleiht doch eine Betonstruktur dem Haupteingang im EG besonderen Charakter.

Handwerklich, preiswert, nachhaltig

Das Rastermaß aller Einbauten war durch den Bestand vorgegeben: Der Aufzug, dessen Benutzung für einen Umbau im 12. OG unabdingbar war, ist klein; er erlaubte nur den Transport schmaler und flach verpackter Elemente und diktierte somit einen Rhythmus von 600 mm breiten Bekleidungen und anderen Einbauten. Sie wurden vom Bauunternehmer montiert, der das kleinere Schlafzimmer während des Umbaus zur Werkstatt umfunktionierte . Diese handgefertigte Herangehensweise liegt Mark Rist und Natalie Savva am Herzen: Besonders sie entwirft viel Ausstellungsdesign und Bühnenbilder, oft für kleine Budgets, die eine volle Konzentration auf das Essenzielle und Wirkungskräftigste im Entwurf verlangen, manchmal mit den alltäglichsten Materialien. Bei der Neugestaltung der Wohnung setzten die beiden u. a. auf einfache Metallrohre, die in abgesägter Form als Griffmuscheln der Einbauschränke dienen und die Verwendung teurer Beschläge überflüssig machten.

Eines der wichtigsten Kriterien der Bauherren für den Umbau war eine nachhaltige Energieversorgung. Die bestehende Erdgasleitung wurde daher gekappt. Die naheliegende Installation einer Luftwärmepumpe als Ersatz kam nicht infrage, da der Balkon der Wohnung, der einzige zugängliche Außenraum, außen verglast ist und eine sichtbare Pumpe nicht den Denkmalkriterien entsprochen hätte. Stattdessen baute man in die Küche einen 210 l fassenden Wärmespeicher ein, der sich nachts über Ökostrom auflädt und tagsüber die Wohnung sowohl mit Warmwasser versorgt als auch die Heizung bedient.

Sind solche Aspekte nachhaltigen Bauens etwas, das den Architekt:innen schon an der Universität vermittelt wurde? Beide erzählen, dass dieses Themenfeld während ihres eigenen Studiums vor wenigen Jahren noch eine geringe Rolle spielte, doch dass die Lehre sich seither rapide verändert habe. Heute unterrichten beide an der Oxford Brookes Universität und die Ausbildung sei inzwischen klar auf Nachhaltigkeit als einen der wichtigsten Aspekte des Entwerfens und Bauens orientiert. Für Mark Rist ist gerade in diesem Bereich, der sich sehr dynamisch entwickelt, das Prinzip des lebenslangen Lernens von größter Bedeutung.

db, Di., 2023.08.01



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08. Dezember 2020Christian Schönwetter
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Frischer Schwung fürs Lernen

Auf einem Kasernengelände in Karlsruhe ist die Bundesrepublik ihrer Vorbildfunktion als öffentlicher Bauherr gerecht geworden. Für ehemalige Zeitsoldaten hat sie eine Ausbildungsstätte errichtet, die neue Standards im Schulbau setzt.

Auf einem Kasernengelände in Karlsruhe ist die Bundesrepublik ihrer Vorbildfunktion als öffentlicher Bauherr gerecht geworden. Für ehemalige Zeitsoldaten hat sie eine Ausbildungsstätte errichtet, die neue Standards im Schulbau setzt.

In einer etwas abgelegenen Ecke von Karlsruhe versteckt sich eine militärhistorische Besonderheit: Ganz im Norden der Stadt, zwischen einer kleinen Teppichsiedlung und dem Waldrand, findet man den ersten Stützpunkt der deutschen Luftwaffe nach der Wiederbewaffnung. 1959 errichtete die Bundeswehr dort die Kirchfeldkaserne. Wer sie heute besucht, versteht, warum die Presse dem Areal damals »ein beinahe ziviles Gesicht« attestierte. Dreigeschossige Mannschaftsgebäude verteilen sich wie mit lockerer Hand hingestreut über weitläufige Grünflächen, wobei die fächerförmige Anordnung der Bauten dem annähernd dreieckigen Grundstück folgt – keine Spur jedenfalls von der strengen Orthogonalität früherer Kasernenhöfe.

An der Spitze des Fächers, wo lange das Offizierskasino stand, hat die Bundeswehr nun eine Schule gebaut, in der ehemalige Zeitsoldaten auf den Wiedereinstieg ins Berufsleben vorbereitet werden. Sie können hier Abschlüsse bis hin zur Fachhochschulreife nachholen oder ihr altes Schulwissen auffrischen, um besser für ein Studium gewappnet zu sein. Das Bauwerk, das v-architekten dafür entworfen haben, ist perfekt auf seinen Standort abgestimmt. Zunächst einmal setzt es ganz offensichtlich darauf, sich den zivilen Charakter des parkartigen Geländes zunutze zu machen. Die Unterrichtsräume liegen in den oberen Stockwerken und bieten durch vollverglaste Fassaden einen entspannenden Blick in die Baumkronen, während das EG Verwaltung, Lehrerzimmer, Bibliotheken und Vortragsräume aufnimmt. Auf den dreieckigen Grundstückszuschnitt wiederum reagiert das Gebäude mit drei Flügeln, die sich um ein zentrales Atrium gruppieren, gleichzeitig jedoch vor den alten Bäumen zurückweichen. Wer will, kann in der Grundrissfigur, die sich daraus ergibt, einen Propeller erkennen – und damit einen Verweis auf die Geschichte des Orts. Obwohl diese Assoziation vom Architektenteam gar nicht beabsichtigt war, wird sie von den stromlinienförmigen Rundungen der umlaufenden Wartungsbalkone ebenso unterstützt wie von der Leichtigkeit der Gebäudeflügel, an deren Enden die oberen Stockwerke weit auskragend über dem Gelände zu schweben scheinen.

InnenRäume Auf klugem Grundriss

Man betritt die Schule über den Nordflügel, der sich den anderen Gebäuden auf dem Kasernengelände zuwendet. Sogleich findet man sich in einem außergewöhnlich hellen Atrium wieder. Das Licht zieht den Blick nach oben, wo man ein zartes ETFE-Membrandach entdeckt. Statt einer aufwendigen Stahlkonstruktion und einer gerahmten Verglasung, die bei anderen Atrien meist einen unruhigen Schattenwurf erzeugen, überspannen hier nur drei gewölbte Rundträger den Raum und transluzente Foliennähte sorgen für einen gleichmäßigen Sonneneinfall. Ungestört kommt daher die präzise Ausführung der weiß verputzten Brüstungen zur Geltung, die auf den oberen Etagen in sanftem Schwung um die Ecken gleiten.

Weil ein großer Teil der Unterrichtsräume direkt über die Haupttreppe und die Galerien des Atriums zugänglich ist, reichen relativ kurze Stichflure aus, um die übrigen Räume zu erschließen. Die Gänge weiten sich von den Enden zur Mitte hin auf, sodass sie durch die perspektivische Verzerrung sogar noch kürzer wirken. Außerdem sind sie somit um genau jenes Maß verbreitert, das nötig ist, damit man in den Pausen gerne für einen Plausch stehen bleibt. V. a. aber bekommen sie als Teil einer einbündigen Erschließung seitliches Tageslicht, Aussicht ins Freie und damit eine Aufenthaltsqualität, die man bei den hochkompakten Schulgrundrissen unserer Tage nur selten antrifft.

Am Ende der Gänge liegen die Fluchttreppen. Sie eignen sich als »Shortcuts« zwischen den Etagen – weil sie direkt zu den Bibliotheken im EG führen, ergibt sich eine Schule der kurzen Wege. Auch bei der Nutzungsflexibilität wurde ein vernünftiges Maß gefunden. Während die Flurwände tragend ausgebildet sind, lassen sich die Leichtbau-Trennwände zwischen den Unterrichtsräumen einfach entfernen, ermöglichen eine Anpassung des Grundrisses und verlängern damit potenziell die Lebensdauer des Gebäudes.

Die Innenräume sind geprägt von Oberflächen, deren handwerkliche Verarbeitung einen angenehmen Kontrast zu der industriell anmutenden Alu-Glas-Fassade bildet: naturbelassenes Eichenholz auf den Brüstungen, hellbeiger Terrazzo am Boden des EGs, Beton mit dem Abdruck einer senkrechten Bretterschalung an den Wänden. Von gestalterischer Raffinesse zeugt eine leuchtende Fuge zwischen Wand und Decke, die den Beton in Streiflicht taucht und seine Struktur besonders hervorhebt. Alle verbauten Materialien unterliegen mindestens dem Umweltprüfzeichen »Blauer Engel«.

Wie sinnvoll ist eine Schule aus Glas?

Waren die großen transparenten Fassadenflächen zunächst rein konzeptionell bedingt, so erwiesen sie sich im Planungsverlauf auch als vorteilhaft für das Energiekonzept, berichtet das Architektenteam. Zunächst einmal verbessern sie natürlich die Tageslichtnutzung und minimieren den Strombedarf für künstliche Beleuchtung. Im Winter fallen die Wärmeverluste durch die Dreischeibenverglasung nicht sonderlich ins Gewicht. Zum einen reicht die abgestrahlte Körperwärme der Schüler bei dem ansonsten gut gedämmten Gebäude aus, um die Unterrichtsräume angenehm zu temperieren. Zum anderen sind für den Energieverbrauch von Ausbildungsstätten weniger die Verluste durch Transmission als durch Lüftung entscheidend: In Schulbauempfehlungen und der EN 13779 wird für die dicht besetzten Klassenzimmer ein dreifacher Luftwechsel pro Stunde vorgeschlagen, also sechsmal mehr als im Wohnungsbau. Alle Aufenthaltsräume der Karlsruher Schule werden daher mechanisch be- und entlüftet. Ein Plattenwärmetauscher gewinnt dabei 85 % der Abwärme zurück, ohne Zu- und Abluft zu vermischen. Zusätzlich lassen sich in den Unterrichts-, Büro- und Besprechungsräumen die Fenster bei Bedarf öffnen, was die Nutzerakzeptanz erhöht.

Im Sommer schützen Lamellenraffstores vor einer übermäßigen Sonneneinstrahlung, im Süden unterstützt von den Wartungsbalkonen. Eine Teilklimaanlage mit adiabatischer Verdunstungskühlung senkt die Temperaturen zusätzlich. Dank der großen Glasflächen kühlt das Gebäude nachts schneller aus als ein Haus mit hochgedämmten opaken Wänden. Die Erschließungsflächen werden, falls nötig, automatisch über Glaslamellenfenster in den Flurfassaden und Rauchabzugsöffnungen unter dem Atriumdach mit kühler Nachtluft durchspült. Bei der Besichtigung an einem hochsommerlichen Mittag im September scheint dieses Konzept zu funktionieren – selbst in den Fluren an der Südseite herrschen angenehme Temperaturen.

Konsequent bis ins Detail

Beim Verlassen des Bauwerks fällt der Blick noch einmal auf die Freibereiche unter den auskragenden Enden der drei Flügel. Für die erwachsenen Schüler unterbreitet jede dieser Zonen ein anderes Angebot. Boxsack, Reckstange und Ringe stehen zur sportlichen Aktivität bereit, hängende Sessel zum »Chillen« und Stahlbügel zum unkomplizierten, regengeschützten Anschließen von Fahrrädern. Die daneben stehende Sitzbank aus Faserbeton zeigt, obwohl sie aus dem Katalog stammt, die gleichen abgerundeten Ecken wie die Balkone und zeugt damit von der Konsequenz, mit der der hohe Gestaltungsanspruch bis ins Detail durchgehalten wurde.

Was hat nun dazu beigetragen, dass sich dieser Schulbau von vielen seiner Artgenossen abhebt? Die Architekten betonen die ausgezeichnete Zusammenarbeit mit dem Bauherrn, dem Staatlichen Hochbauamt Karlsruhe, das sie in schwierigen Abstimmungsrunden mit vielen Beteiligten aus Bundeswehr und Verteidigungsministerium stets unterstützt habe. Auch dass die Oberfinanzdirektion für das Projekt von Anfang an kein allzu knappes Budget vorgesehen hatte, mag geholfen haben: Mit 2.390 Euro brutto/m² BGF lag es über dem BKI-Durchschnitt für Schulbauten (und wurde exakt eingehalten). Sofern wie hier kein Luxus entsteht, darf es einer Gesellschaft ruhig ein paar Euro wert sein, bei Bauten für ihre ehemaligen Soldaten nicht zu knausern, sondern ihnen für die Rückkehr ins zivile Leben anständige Ausbildungsräume zur Verfügung zu stellen. Umso besser, wenn dabei anspruchsvolle Architektur herauskommt, mit der die öffentliche Hand die Baukultur fördert.

db, Di., 2020.12.08



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06. November 2020Christian Schönwetter
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Mitten am Rand

In der Gemeinde mit mehreren etwa gleichwertigen Teilorten gab es bislang nur zaghafte Versuche, eine Mitte zu bilden. Die enorm starke Setzung des neuen Rathauses bietet mit ihren klar gegliederten Fassaden aus Dämmbeton zwar keinerlei gestalterischen Bezug zur Umgebung, durch Struktur, Ausrichtung, Platzgestaltung und unterschiedliche Angebote hingegen umso mehr Anknüpfungspunkte – und mit den beiden gegensätzlichen Prinzipien von Solitärbildung und Einbindung auf verschiedenen Ebenen Möglichkeiten zur Identifikation.

In der Gemeinde mit mehreren etwa gleichwertigen Teilorten gab es bislang nur zaghafte Versuche, eine Mitte zu bilden. Die enorm starke Setzung des neuen Rathauses bietet mit ihren klar gegliederten Fassaden aus Dämmbeton zwar keinerlei gestalterischen Bezug zur Umgebung, durch Struktur, Ausrichtung, Platzgestaltung und unterschiedliche Angebote hingegen umso mehr Anknüpfungspunkte – und mit den beiden gegensätzlichen Prinzipien von Solitärbildung und Einbindung auf verschiedenen Ebenen Möglichkeiten zur Identifikation.

Wer mit der Bahn von Stuttgart nach Karlsruhe fährt, bekommt wenig Landschaft und viel Zersiedelung zu sehen. Kurz nach Pforzheim hält der Zug noch einmal in Remchingen, einer Gemeinde, die als Paradebeispiel für das Phänomen »Zwischenstadt« dienen könnte: Mit ihrer guten S-Bahn-Anbindung eignet sie sich als preiswerte Wohnalternative zu den nahe gelegenen Großstädten und zählt inzwischen 12.000 Einwohner, ihr Charakter lässt sich schwer einordnen, sie ist weder Dorf noch Vorort noch Stadt. Die siedlungstypologische Unbestimmtheit rührt aber auch wesentlich von der Geschichte her, denn Remchingen entstand erst ab 1973 im Zuge der baden-württembergischen Gebietsreform als Zusammenschluss dreier kleinerer Gemeinden. Baulich sind sie über die Jahrzehnte enger zusammengewachsen, ohne jedoch ein richtiges Zentrum auszubilden. Wer hier aus dem Zug steigt, landet zunächst in einer Art Niemandsland zwischen den beiden Ortsteilen Wilferdingen und Singen. Die frühere Randlage lässt sich an den eingeschossigen Gewerbebauten einer Tankstelle und eines Pflanzenmarkts ablesen, ergänzt durch eine Kulturhalle und ein Seniorenheim, das noch immer Aussicht in die freie Landschaft bietet. Ein Blick auf den Stadtplan zeigt jedoch, dass der Bereich vor dem Bahnhof gleichzeitig so etwas wie die geografische Mitte der Gesamtgemeinde darstellt. Remchingen möchte hier ein neues Zentrum etablieren und hat zunächst mit der gezielten Ansiedlung von Einzelhandel begonnen. Ein Discounter und ein Drogeriemarkt verbessern seit Kurzem die Nahversorgung und locken einige Kundschaft an. Als weit ausgreifende Flachbauten mit großem Parkplatz errichtet, lassen sie allerdings eher an ein Gewerbe­gebiet denken als an ein verdichtetes Ortszentrum.

Ganz anders der jüngste Baustein, der zur Belebung der neuen Mitte beitragen soll: Das Rathaus präsentiert sich als hochkompakter Körper, dessen vier Geschosse schon eher eine gewisse Zentralität suggerieren. Damit überragt es fast alle anderen Bauten der Umgebung, markiert das neue Herz Remchingens sinnfällig in der Stadtsilhouette und strahlt ein Selbstvertrauen aus, das einem öffentlichen Gebäude gut zu Gesicht steht – endlich ist das größte Haus im Ort einmal nicht die Bank. Dass die Gemeinde sich hier mit einem so voluminösen Bauwerk darstellen kann, ist der Integration weiterer Nutzungen zu verdanken, die das Rathaus zu einem Multifunktionsbau machen. Nicht nur der Sitzungssaal und diverse Ämter, die sich bislang über den gesamten Ort verteilten, sind darin zusammengeführt, sondern auch die Polizeistation und eine öffentliche Bibliothek. Und nicht zuletzt findet im EG ein Brauhaus Platz – quasi als Ersatz für einen traditionellen Ratskeller.

Außenraum und Außenhaut

Geschickt wurde die konzeptionelle und gestalterische Setzung eines solcherart erweiterten Verwaltungszentrums genutzt, um die diffuse stadträumliche Situation zu klären. Standen die Kulturhalle und das Seniorenheim als Solitäre bislang beziehungslos nebeneinander, so werden sie jetzt durch den Neubau zu einem Ensemble ergänzt, das einen gut proportionierten Platz rahmt. Er eignet sich für Open-Air-Veranstaltungen im Zusammenhang mit der Halle, aber auch für Adventsmärkte o. Ä. Im Westen öffnet er sich zur Landschaft, im Osten schirmt das Rathaus ihn von der angrenzenden Bundesstraße ab. Um ihn dadurch jedoch nicht zum Hinterhof zu degradieren, erhebt sich das Gebäude auf einem fünfeckigen Grundriss, sodass zur Rechten und Linken ausreichend breite Freiräume verbleiben, die – trichterartig zulaufend – den Blick von der Straße gleichsam einsaugen und in Richtung des Platzes lenken. Auf die Lage zwischen diesen öffentlichen Räumen reagiert das Bauwerk folgerichtig mit dem Verzicht auf eine eindeutige Vorder- oder Rückfront und auf einen klaren Haupteingang. Vielmehr sind alle Fassaden gleichwertig ausgebildet und im EG markieren drei tiefe Einschnitte an verschiedenen Seiten die Zugänge: einer vom Platz, die übrigen beiden näher an der Straße, aus Richtung Bahnhof und aus Richtung des historischen Dorfkerns von Wilferdingen.

Eine schwere Hülle aus Sichtbeton lässt das Rathaus fest mit dem Ort verwurzelt erscheinen. Als Dämmbetonkonstruktion erstellt, ermöglichte sie einen komplett mineralischen Wandaufbau, der sich im Falle eines Abbruchs voll recyceln lässt. Sie verleiht dem Gebäude einen massiven, monolithischen Charakter, ein Eindruck, den die tiefen Laibungen und die Attika ohne Blech unterstreichen. Quadratische Fensteröffnungen perforieren die Hülle in einem regelmäßigen Raster. Im EG sind sie verlängert und reichen bis auf Straßen­niveau hinab, ohne jedoch die strenge Tektonik der Fassaden zu stören. Wie ein großer Fels steht der Bau auf dem Platz und strahlt in seinem disparaten Umfeld eine unerschütterliche Ruhe aus. Insgesamt wirkt er solide und wertig.

Allerdings nur, solange man ihn aus der Nähe betrachtet. Tritt man ein paar Schritte zurück, wird auf dem Dach ein wildes Durcheinander aus Anlagentechnik und Lüftungsleitungen sichtbar. Das fast schon dekonstruktivistische Tohuwabohu will so gar nicht zu den ruhigen disziplinierten Fassaden passen. Eine nachträgliche Einhausung sei bereits in Planung, ist auf Nachfrage bei den Architekten zu erfahren, und man fragt sich, wie das dafür benötigte, nicht gerade geringe Volumen wohl die Gesamterscheinung des Bauwerks beeinflussen wird.

Wie aus einem Fels geschlagen

Doch erst einmal siegt die Neugier auf die Innenräume. Den Eintretenden empfängt ein imposantes Sichtbeton-Atrium über vier Geschosse. In Serpentinenmanier führt eine Treppe nach oben, von Stockwerk zu Stockwerk weiter zurückspringend, wie aus einem massiven Fels geschlagen. Ein großer Teil der Verwaltungsräume ist direkt von den Galerien des hellen Atriums zugänglich, sodass relativ kurze Flure ausreichen, um die übrigen Büros zu erschließen. Im 1. OG liegt der Trausaal mit einer vorgelagerten Loggia für einen kleinen Umtrunk nach der Zeremonie. Im 2. OG deutet eine im Grundriss gezackte Wand an, dass sich dahinter ein besonderer Raum befinden muss. Es ist der zweigeschossige Ratssaal, dem die Wand zu einer besseren Akustik verhilft. Auf der gegenüberliegenden Seite öffnet er sich mit einer Vollverglasung zur Dachterrasse und bietet einen entspannenden Blick über den Platz in die Landschaft.

Ein wenig suchen muss man die Gemeindebibliothek im 3. OG, deren Eingang sich kaum von denen der Verwaltungsräume unterscheidet. Auch an der Fassade macht sie sich nicht bemerkbar, sondern versteckt sich geradezu hinter normalen Bürofenstern. Schade, dass sie nicht gut auffindbar im Eingangsgeschoss liegt und dass sie keine Ein- und Ausblicke vom öffentlichen Raum gestattet. Da die Entscheidung, die Bibliothek im Rathaus unterzubringen, erst sehr spät fiel, ließ sich die Planung nicht mehr ändern. Aber Schwamm drüber. Alles in allem überwiegt beim Schlendern durchs Gebäude der Eindruck eines offenen, einladenden Rathauses, in dem die Bürger willkommen sind. Stellvertretend für die Nutzer zeigt sich die Dame im Bürgerbüro hochzufrieden mit der großzügigen, lichten Atmosphäre.

Bleibt die Frage, ob es dem Bauwerk gelingt, trotz seiner Randlage der neuen Mitte Remchingens Leben einzuhauchen. Beim Besuch an einem Donnerstagnachmittag im September zumindest scheint dies zu funktionieren. Auf der Terrasse des Brauhauses sitzen einige Gäste, der ein oder andere Bürger besucht die Ämter, die Wasserspiele des Platzes locken Kinder an und auf den Bänken ruhen sich Senioren aus, wenn dort nicht gerade ein paar Jugendliche »abhängen«. Das Konzept der Nutzungsmischung scheint aufzugehen und Personen aus allen Generationen anzuziehen. Besonders die Integration des gastronomischen Angebots erweist sich für die Vitalisierung von Gebäude und Platz als hilfreich. Letztlich kommt es offenbar nicht darauf an, ob die Gestaltung nun bis ins letzte Detail gelungen ist, vielmehr bestätigt sich wieder einmal die alte Stadtplaner-Weisheit: Urbanität erzielt man nicht mit Steinen, sondern mit Menschen.

db, Fr., 2020.11.06



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09. Dezember 2019Christian Schönwetter
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Sprechender Zeitzeuge

Manchmal sind Entstehungsprozess und Hintergrund eines Projekts fast wichtiger als das architektonische Ergebnis. So auch beim White City Center in Tel Aviv. Aus einem Wohnhaus wurde ein Informationszentrum für das UNESCO-Welterbe Weiße Stadt. Vor allem aber schlägt sich an diesem Gebäude die besondere Beziehung zwischen Deutschland und Israel nieder – von der NS-Zeit bis heute.

Manchmal sind Entstehungsprozess und Hintergrund eines Projekts fast wichtiger als das architektonische Ergebnis. So auch beim White City Center in Tel Aviv. Aus einem Wohnhaus wurde ein Informationszentrum für das UNESCO-Welterbe Weiße Stadt. Vor allem aber schlägt sich an diesem Gebäude die besondere Beziehung zwischen Deutschland und Israel nieder – von der NS-Zeit bis heute.

Wer durch die Straßen von Tel Aviv schlendert, wird ein klassisches Zentrum vergeblich suchen. Während sich die europäische Stadt zum Kern hin immer stärker verdichtet, zeigt sich Tel Avivs Mitte kräftig durchgrünt: offene Bauweise statt kompaktem Block, Mehrfamilienhäuser zwischen Bäumen statt komplett bebauter Grundstücke. An wenigen Orten der Welt wurde die Gartenstadtidee so konsequent umgesetzt wie hier, wo sie tatsächlich zu einer ganz eigenen, ausgewogenen Mischung aus Wohnen, Arbeiten und Handel geführt hat – deutlich urbaner als etwa be deutschen Gartenstädten, aber eben auch deutlich aufgelockerter als bei hiesigen Zentren. Es ist dieses besondere Gefüge, das neben der weltweit größten Ballung von rund 2 000 Gebäuden des internationalen Stils dazu geführt hat, dass der Kern von Tel Aviv, die Weiße Stadt, inzwischen zum UNESCO-Welterbe zählt.

Inmitten des geschützten Gebiets hat die Kommune nun ein Informationszentrum eingerichtet. Das White City Center klärt Touristen und Architekturinteressierte über die Geschichte der Weißen Stadt auf, betreibt Forschung und dient als Beratungsstelle für Eigentümer, die ihre denkmalgeschützte Immobilie sanieren wollen. Untergebracht ist die Institution in einem ehemaligen Wohnhaus unweit von architektonischen Attraktionen wie dem Rothschild Boulevard oder dem Dizengoff Square, wenn auch etwas versteckt in einer der ruhigeren Seitenstraßen. Geradezu beispielhaft eignet sich das denkmalgeschützte Bauwerk dazu, die Besonderheiten der Weißen Stadt zu veranschaulichen: 1936 errichtet, entstand es genau zu der Zeit, als viele Juden aus Deutschland nach Palästina auswanderten und Tel Aviv explosionsartig wachsen ließen, allein von 1931-38 von 46 000 auf 150 000 Einwohner. Der deutsche Arzt Max Liebling finanzierte das Haus und bezog eine der sechs großzügigen Vierzimmer-Wohnungen selbst. Daher legte er bei seinem Gebäude Wert auf repräsentative, anspruchsvolle Architektur. Die lieferte Dov Karmi. Wie viele seiner Kollegen in Tel Aviv schuf er eine regionale Spielart des Internationalen Stils, die an das subtropische Klima angepasst ist.

Ganz typisch an seinem Entwurf ist etwa die Grundrissfigur aus zwei gegeneinander verschobenen Volumina. Sie erzeugt einen kleinen schattigen Vorplatz auf dem Grundstück, der den Eingang betont, gleichzeitig erhöht sie die Zahl der Eckzimmer, die sich mit zwei Fenstern nach verschiedenen Seiten gut durchlüften lassen. Um die Innenräume vor der gleißenden Sonne zu schützen, setzte Karmi nicht auf die großen Glasflächen der europäischen Moderne, sondern auf die ortsüblichen kleineren Öffnungen. Und Le Corbusiers programmatisches Bandfenster transformierte er in eine schmale langgezogene Öffnung, die teils Fenster, teils schattenspendende Loggia ist, aber selbstverständlich ums Eck geführt wird, um der Straßenfront eine schwebend leichte Erscheinung zu geben. Der Vorgarten sorgt auch in den straßenseitigen Räumen des EGs für ein ausreichendes Maß an Privatsphäre.

Gemeinschaftsprojekt

Bis 1990 wurde das Haus bewohnt, dann an die Stadt vererbt, die im EG eine Kita und in den oberen Geschossen Büros einrichtete. Weil deutsche Einwanderer sowohl in der Geschichte des Gebäudes als auch der Weißen Stadt eine bedeutende Rolle gespielt hatten, entstand die Idee einer deutsch-israelischen Kooperation, als es nun um die Umnutzung des Hauses zum White City Center ging. Die Bundesregierung, vertreten durch das Amt für Bundesbau, unterstützte das Vorhaben finanziell, aber auch mit bauhistorischer Expertise, da es in Israel wenig Erfahrung im Umgang mit Denkmalen der Moderne gibt. Mit der Stadt Tel Aviv etablierte man für das Gemeinschaftsprojekt einen wissenschaftlichen Beirat mit Vertretern aus beiden Staaten, von deutscher Seite brachte etwa Winfried Brenne sein Wissen ein (siehe auch Seite 92-98). Die Planung des Umbaus übernahm das ortsansässige Büro von Dov Karmis Tochter Ada Karmi-Melamede. Im September fand die feierliche Eröffnung statt.

Besucher betreten das Gebäude durchs Treppenhaus, passieren die alten hölzernen Briefkästen und dürfen sich fühlen wie die Mieter von 1936 auf dem Weg in ihre Wohnung. Ein barrierefreier Zugang zum Hochparterre wurde unauffällig an der Rückseite im Garten angelegt. Dort erschließt ein neuer, vor die Fassade gestellter Aufzugsturm alle Geschosse. Weil er das gleiche beigeweiße Putzkleid wie der Altbau trägt, ist er allerdings nicht eindeutig als Bauteil unserer Tage zu identifizieren; vielleicht hätte sich ein anderes Material, z. B. entsprechend eingefärbter Sichtbeton, besser geeignet, um den Aufzug dezent als nachträglichen Anbau an das Denkmal kenntlich zu machen.

Neues Innenleben

Die stärksten Veränderungen erfuhr das EG. Hier lässt sich die Dauerausstellung besichtigen, in der die Geschichte der Weißen Stadt chronologisch erzählt wird. Um dafür einen ausreichend großen Raum zu schaffen, wurden einige Wände entfernt, ebenso für das Café. Die Abbruchkanten sind an Decke, Wand und Boden sichtbar belassen, verweisen auf den baulichen Eingriff und die ursprüngliche Grundrissaufteilung. Auch die Ausstellungsgestaltung deutet die frühere Nutzung als Wohnhaus an – vor den Wänden stehen Schubladen-Vitrinen in Form von Sideboards, darüber hängen Informationstafeln wie gerahmte Erinnerungsfotos.

Durchs Treppenhaus geht es weiter nach oben. An zwei Stellen fehlen die originalen Wandfliesen. Als sie vor vier Jahren abfielen und auf der Rückseite der eingeprägte Schriftzug »Villeroy & Boch« sichtbar wurde, stellte sich heraus, dass sie zu den unzähligen Baumaterialien gehören, die von 1933–39 nach Palästina verschifft wurden – als Teil des sogenannten Transferabkommens zwischen Deutschland und Palästina: Juden, die vor dem Nationalsozialismus flohen, wurden bei der Ausreise verpflichtet, an ihrem neuen Wohnort deutsche Waren zu importieren. Auf diese Weise kurbelte das NS-Regime die eigene Wirtschaft an und sicherte sich Devisen.

An vielen 30er-Jahre-Häusern im Zentrum Tel Avivs finden sich daher deutsche Bauprodukte. Weil das Gebäude auch in dieser Hinsicht typisch für die Weiße Stadt ist, wurden die Treppenhausfliesen nun besonders inszeniert. Per 3D-Druck fertigte man farbig abgesetzte Replikate an und setzte sie mit dem Schriftzug nach außen in die beiden Fehlstellen, sodass sie nun als neue Schicht von der deutsch-israelischen Vergangenheit erzählen.

Für die oberen Etagen fand man eine Nutzung, die sich bestens für die vorgefundene Raumstruktur eignet. Eine der beiden Wohnungen im 1. OG nimmt die Verwaltung auf, in der anderen ist die Forschungsabteilung mit Archiv untergebracht. Im 2. OG angekommen, können Besucher erneut das Wohngefühl der 30er Jahre nachempfinden. Die vordere Vierzimmer-Einheit zeigt sich im ursprünglichen Grundriss und wurde mit einigen originalen Möbelstücken eingerichtet. Besonders gut erhalten sind Bad und Küche mit alten Waschtischen, Armaturen und Fliesen. Die hintere Wohnung bietet heute Platz für Wechselausstellungen.

Sanierungsfall Fassade

Während sich die ehemaligen Wohnräume im gesamten Haus in einer Art Rohbauzustand ohne Tapeten oder Anstriche präsentieren, bekamen die maroden Fassaden ein erneuertes Putzkleid und zeigen nun wieder das Erscheinungsbild von 1936. Weil in Israel kaum ein Handwerker traditionelle Techniken der Restaurierung beherrscht, erfolgte auch das Wiederherstellen des Putzes als deutsch-israelische Gemeinschaftsarbeit. Azubis des Stuckateur- und Malergewerks aus beiden Ländern sanierten zusammen unter fachkundiger Führung die Gebäudehülle. Das Amt für Bundesbau bat hierzu die Sto-Stiftung um fachliche und finanzielle Unterstützung für die Entsendung der angehenden Handwerker nach Tel Aviv. Je eine Woche arbeiteten die gemischten Teams auf dem Gerüst und tauschten ihr Wissen aus, bevor die nächste Schicht anrückte. Um den Generalunternehmer des Umbaus von der Haftung zu entbinden, wurde die Fassadeninstandsetzung als eigenes »Projekt im Projekt« durchgeführt.

Inzwischen erstrahlt das Gebäude in jenem makellosen Glanz, den man gemeinhin mit der »Weißen Moderne« assoziiert. Aus seiner grauen Umgebung, in der viele Denkmale offensichtlich schon lange auf eine Sanierung warten, sticht es deutlich hervor. Man kann nur die Daumen drücken, dass das White City Center tatsächlich den beabsichtigten Impuls für die denkmalgerechte Erneuerung der Weißen Stadt gibt. Und hoffentlich findet es v. a. bei den Besuchern Anklang – statt bei den berüchtigten Fledermäusen, die in der Gartenstadt Tel Aviv überall in den Bäumen leben und im Nachtflug noch fast jede neue Putzfassade in kurzer Zeit mit ihren Hinterlassenschaften in ein bräunlich gesprenkeltes Action-Painting verwandelt haben.

db, Mo., 2019.12.09



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03. Dezember 2018Christian Schönwetter
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Vorhof zum Himmel

In einer Stadtrandsiedlung hat die evangelische Gemeinde einen einprägsamen Ort der Begegnung geschaffen. Um einen zentralen Hof gruppieren sich eine Kirche mit wunderbarer Lichtwirkung und ein Café, das dazu beiträgt, das ruhige Viertel zu beleben. Für den neuen Stadtbaustein fand Peter Krebs genau das richtige Maß zwischen Einpassen und Zeichensetzen.

In einer Stadtrandsiedlung hat die evangelische Gemeinde einen einprägsamen Ort der Begegnung geschaffen. Um einen zentralen Hof gruppieren sich eine Kirche mit wunderbarer Lichtwirkung und ein Café, das dazu beiträgt, das ruhige Viertel zu beleben. Für den neuen Stadtbaustein fand Peter Krebs genau das richtige Maß zwischen Einpassen und Zeichensetzen.

Es wirkt wie eine gebaute Trotzreaktion: Obwohl Deutschlands Kirchen seit Jahren sinkende Mitgliederzahlen vermelden müssen, leisten sie sich immer wieder ambitionierte neue Gotteshäuser. Was auf den ersten Blick unvernünftig erscheinen mag, entspringt jedoch häufig einer nüchternen Logik des Sparens. So auch in der Karlsruher Nordweststadt, einer sehr ruhigen, sehr grünen, sehr aufgelockerten Nachkriegssiedlung, in der anno 2010 zwei schrumpfende evangelische Gemeinden zusammengelegt wurden: Petrus und Jakobus. Ihre beiden Kirchen waren in die Jahre gekommen und hätten eine aufwendige Sanierung erfordert. Weil sie zudem heutigen Vorstellungen eines zeitgemäßen Gottesdienstes nicht mehr entsprachen, wurden beide abgebrochen und das eine Grundstück verkauft, um auf dem anderen ein modernes Kirchenzentrum finanzieren zu können. Der Neubau ist nun exakt auf den Bedarf der fusionierten Gemeinde zugeschnitten: ein einladender Ort mit niederschwelligen Angeboten an das Quartier – und mit einem Kirchenraum, der genau jenen sakralen Charakter zeigt, der vielen protestantischen Räumen der Nachkriegszeit fehlt. Entworfen hat ihn der Karlsruher Architekt Peter Krebs.

Geschickt nutzt das Kirchenzentrum die Vorteile seines Standorts. Es liegt am Walter-Rathenau-Platz, der so etwas wie die Mitte des Wohnviertels darstellt: Zweimal pro Woche findet hier ein kleiner Markt statt. Die Petrus-Jakobus-Gemeinde betreibt daher ein Café, das allen Interessierten offensteht. So wird das Kirchenzentrum stärker belebt, umgekehrt bietet es aber auch einen attraktiven Treffpunkt für das Quartier und sorgt für ein bisschen Leben auf dem Platz, wenn kein Markt stattfindet.

Kirche und Gemeindehaus mit Café bilden eine bauliche Einheit, eine langgestreckte Raumspange, die dem Platz eine klare Kante nach Süden gibt. Dachflächen, die mehrfach abknicken und die Neigung wechseln, verleihen dem Gebäudeensemble eine markante Silhouette und erzeugen exakt das Maß an formaler Eigenständigkeit, das nötig ist, um das Kirchenzentrum als Sonderbaustein im städtischen Gefüge zu kennzeichnen. Die Fassaden aus geschlämmtem Sichtmauerwerk halten das Ganze gestalterisch zusammen. Natürlich sind sie nur vorgeblendet, doch der übliche Eindruck einer steinernen Tapete stellt sich hier nicht ein. Schwere Stürze über Fenstern und Türen machen das Prinzip von Tragen und Lasten anschaulich und geben – gepaart mit großen Laibungstiefen – den Wänden einen Ausdruck von Massivität, Ruhe und Beständigkeit. Ein sympathisch handwerkliches Erscheinungsbild wiederum erhält die Gebäudehülle durch die weiße Schlämme, welche die Ziegel mal stärker, mal weniger stark durchscheinen lässt. Gleichzeitig korrespondiert sie mit den verputzten Wohnbauten der Umgebung.

Gestaffelte Raumschichten

Vom Platz aus tritt man durch eine Pfeilerreihe zunächst in einen Vorhof, der Kirche und Gemeindehaus verbindet. An seiner Rückseite gibt er gleich wieder den Durchgang zur angrenzenden Wohnbebauung frei. Diese Möglichkeit der Durchwegung trägt wesentlich dazu bei, das Zentrum Petrus Jakobus mit dem Quartier zu verzahnen. Im Sommer bietet der Hof einen angenehmen Rahmen für Gemeindefeste. Sowohl der Kirchenraum als auch der Gemeindesaal lassen sich mit breiten Glastoren öffnen, sodass bei Bedarf eine durchgehende Fläche entsteht.

Hier kommt der gut durchdachte Grundriss zum Tragen, der sehr stringent in drei Raumschichten zoniert ist. Zum Platz hin bilden die Hauptnutzflächen ein zusammenhängendes Band aus Kirchenraum, Hof und Gemeindesaal. Es folgt eine Erschließungszone als durchlaufende Achse: Sie beginnt im Gemeindehaus als Flur, setzt sich im Hof unter einem eleganten, papierdünnen Vordach fort, das es erlaubt, trockenen Fußes hinüber zur Kirche zu gelangen, und mündet dort in einen inneren Weg, der schnurgerade bis zum Tauf­becken am Ende des Raums führt. Im Süden schließlich liegt die dritte Zone. Sie besteht aus untergeordneten Räumen – im Gemeinde­zentrum Küche, Haustechnik und Treppe, in der Kirche Sakristei und ein Andachtsraum – aufgelockert von kleinen Gartenhöfen, die mit buschartigen Ahornbäumen bepflanzt sind. Aus Kirche und Andachtsraum fällt der Blick in diese Patios, die einen Puffer zum direkt angrenzenden öffentlichen Weg und zur Wohnbebauung im Süden bilden. Da die Hofmauern bis zur Dachkante reichen und die Patios dadurch als Teil des umbauten Volumens erscheinen, wirkt das Kirchenzentrum größer als es tatsächlich ist und kann sich besser gegen die achtgeschossigen Wohnblocks in der Umgebung behaupten.

Natürlicher Materialkanon im Sakralraum

Über ein schweres Portal aus Eiche betritt man den Kirchenraum, ganz klassisch von Westen. Das Dach steigt allmählich an, um über dem Altar an der Ostseite in einen hohen Lichtraum zu münden, der diesen Bereich betont und effektvoll ausleuchtet. Sonne fällt hier – passend zum Hauptgottesdienst am Sonntagvormittag – durch Fenster in der Ost- und in der Südwand. Was ­sofort auffällt, ist die angenehme Akustik. An der Decke sorgen zarte Leisten aus Birken-Multiplex dafür, dass Töne kurz im Raum nachklingen, ohne sich in der endlosen Halligkeit zu verlieren, wie man sie etwa von gotischen Domen kennt.

Die glatt verputzten Wände tragen einen gebrochen weißen Anstrich aus antistatischer Silikatfarbe, die verhindert, dass sich Rußpartikel der Kerzen dort ablagern und mit den Jahren einen Grauschleier bilden. Am Boden liegen Platten aus hellem, grob geschliffenem Juramarmor. Als sakraler Brennpunkt setzt sich der Altarbereich mit zwei Treppenstufen vom restlichen Raum ab. Weil die Architekten auch die Prinzipalstücke entwerfen durften, wirkt alles wie aus einem Guss: Altar, Kanzel und Taufbecken bestehen aus dem gleichen Stein wie der Boden und ruhen als schwere Blöcke auf weiß gekalkten Eichengittern.

Dass die Orgel von einer der beiden Vorgängerkirchen übernommen wurde, ist ihr ihr nicht anzusehen, mit ihrer neuen weißen Lackierung passt sie sich unauffällig der Architektur an. Auch Teile der alten Kirchenfenster wurden wiederverwendet. In die Nordwand zum Platz sind zwölf kleine quadratische, rote Glasscheiben eingelassen, die aus der ehemaligen Petruskirche stammen, während sich an der Westwand über der Chorempore ein groß­flächiges, blau-gelbes Fenster aus der früheren Jakobuskirche findet. So lebt die Erinnerung an die aufgegebenen, vertrauten Gotteshäuser der beiden ­Gemeinden weiter und die Fusion schlägt sich symbolisch im Kirchenraum nieder. Wer nicht um diese Vorgeschichte weiß, wird kaum erraten, dass es sich bei den Fenstern um Spolien handelt. Sie fügen sich mit einer solchen Selbstverständlichkeit in den neuen Kirchenraum ein, als seien sie speziell für ihn geschaffen worden. Hut ab vor dieser gestalterischen Integrationsleistung!

Was hingegen den harmonischen Gesamteindruck stört, ist die Bestuhlung, die mit chromglänzenden Beinen und blauen Polstern dem Seminarraum eines Kongresshotels entstammen könnte. Der Architekt seufzt. Die Stühle waren erst kurz vor Planungsbeginn angeschafft worden, sodass die Gemeinde jetzt nicht in neue Kirchenbänke investieren wollte. Bleibt die Hoffnung, dass sie dies in ein paar Jahren nachholt.

Im Gemeindehaus auf der anderen Seite des Hofs wirken die Räume weniger sakral. Das Stäbchenparkett im großen Gemeindesaal, der sich bei Bedarf auch teilen lässt, verbreitet eine beinahe wohnliche Atmosphäre. Die eingestellte schwarze Miniküche wird für den Cafébetrieb genutzt. Stauraum für Geschirr und Ähnliches ist in Form von Einbaumöbeln in die Westwand integriert, sodass hier besonders tiefe Fensternischen entstehen, die das Bild solider Massivität der Fassaden verstärken.

Über den Hof gelangt der Besucher wieder hinaus auf den Walter-Rathenau-Platz. Lässt man nach dem Rundgang das Gesehene noch einmal Revue passieren, bleibt v. a. ein Eindruck großer Stimmigkeit im Gedächtnis haften. Nichts wirkt aufgesetzt oder manieriert, alles fügt sich mit großer Selbstverständlichkeit zueinander. Meisterhaft hält das Zentrum die Balance zwischen geschlossenem Erscheinungsbild und räumlicher Durchlässigkeit, zwischen strengem Grundriss und frei komponiertem Aufriss, zwischen Anpassen an die Wohnhäuser der Umgebung und Herausstechen als Gemeinschaftsbau. In seiner Ausgewogenheit lässt es einen ausgesprochen harmonischen Ort entstehen. Was will man mehr von einer Kirche?

db, Mo., 2018.12.03



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01. Dezember 2017Christian Schönwetter
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Elektrisierendes Engagement

Obwohl sie das Gesicht unserer Städte entscheidend mitprägen, sind Technikgebäude selten ein Spielfeld für große Architektur. Das Umspannwerk Schwabing hingegen zeigt, wie sich auch vermeintlich einfache Bauaufgaben mit hohem Gestaltungsanspruch lösen lassen.

Obwohl sie das Gesicht unserer Städte entscheidend mitprägen, sind Technikgebäude selten ein Spielfeld für große Architektur. Das Umspannwerk Schwabing hingegen zeigt, wie sich auch vermeintlich einfache Bauaufgaben mit hohem Gestaltungsanspruch lösen lassen.

Das neue Umspannwerk für den Stadtteil Schwabing ist bereits von Weitem zu ­sehen. Wer von den Münchner Pinakotheken kommt und die kerzengerade Arcisstraße nach Norden nimmt, fährt minutenlang durch eine gründerzeitliche Blockstruktur immer schnurstracks auf das Gebäude zu. Kurz vor ihrem Ende schwenkt die Straße leicht nach links – und genau in der Kurve steht das städtische Technikbauwerk und bildet den Schlusspunkt der Sichtachse. Ein solch markanter Standort verlangt nach anspruchsvoller Architektur und so war klar, dass hier kein reiner Zweckbau entstehen konnte. Auch der benachbarte Elisabethplatz, ein wichtiger Treffpunkt in Schwabing mit Marktständen und öffentlicher Grünfläche, verleiht dem Bau eine besondere Bedeutung im urbanen Gefüge.

Die Stadtwerke München beauftragten daher die Architekten Hild und K mit einer Studie für das neue Umspannwerk. Aufgabe war, eine ältere Anlage auf dem gleichen Grundstück zu ersetzen, die den gesamten Stadtteil mit Strom versorgt. Der technische Fortschritt ermöglichte dabei ein deutlich kleineres Werk, sodass Platz für Wohnungen und Büros frei wird. Diese werden bald in einem separaten Bauabschnitt nach einem Wettbewerbsentwurf von Bruno Fioretti Marquez Architekten entstehen.

Für das Umspannwerk selbst galt es eine Hülle zu finden, die technische Notwendigkeiten mit den repräsentativen Anforderungen in Einklang bringt, die sich aus der prominenten Lage ­ergeben. Der Körper, den Hild und K entwarfen, steht direkt am Bürgersteig und folgt dem leicht gekurvten Straßenverlauf in elegantem Schwung.

Dass man es mit einem Infrastrukturbauwerk zu tun hat, lässt die Fassade aus unbekleidetem rohem Beton erahnen. Gegliedert wird sie von drei großen Toren, hinter denen die Transformatoren in getrennten Kammern ihre Arbeit verrichten. Weil dabei viel Wärme entsteht, die abgeführt werden muss, weichen die Tore nach hinten zurück und geben in der Laibung Platz für Öffnungen frei. Über sie kann kühle Zuluft einströmen, die in den Kammern allmählich nach oben steigt und dann durch fensterähnliche Fas­sadenöffnungen oberhalb der Tore wieder austritt. Im Regelfall reicht dafür die natürliche Thermik, nur an heißen Sommertagen müssen Ventilatoren zugeschaltet werden. Im Innern sind die Wände rund um diese Öffnungen mit Schallschutzelementen bedeckt, um der Nachbarschaft den Lärm zu ersparen.

Die großen Tore tragen eine Bekleidung aus Kupfer. Sinnfällig verweist das für die Stromversorgung typische Material auf die Funktion des Gebäudes. Gleichzeitig erzeugt es die geforderte hochwertige Anmutung, weshalb es auch für die Türen und für die Streckmetallgitter vor den Lüftungsöffnungen verwendet wurde.

Obwohl die Fassade an keiner Stelle Einblicke ins Innere gewährt, haben Hild und K das Kunststück vollbracht, sie nicht abweisend wirken zu lassen. Das ist nicht zuletzt drei Sitzstufen zu verdanken, die in den Toröffnungen Platz gefunden haben. Weil Großtransformatoren mit dem Schwerlaster angeliefert werden und sich ­wegen ihres immensen Gewichts nur niveaugleich von der Ladefläche an ­ihren endgültigen Standort wuchten lassen, bekamen die Architekten die ­Vorgabe, dass die Trafokammern exakt 50 cm über Gehwegniveau liegen müssen – zufällig genau die übliche Sitzhöhe. Die Planer haben den Boden der Kammern einfach nach außen in die Toröffnungen weitergeführt und somit aus der Fassade eine informelle Sitzgelegenheit modelliert. Sie bereichert den öffentlichen Raum und wird häufig von Schülern des gegenüberliegenden Gymnasiums in Beschlag genommen.

Halbfertig vollständig

Etwas bizarr mutet zunächst der zinnenartige Dachabschluss des Bauwerks an. Er resultiert aus der verworrenen Planungs­geschichte. Um das wertvolle innerstädtische Grundstück voll ­auszunutzen, sollten über den Trafokammern zunächst zwei ­Bürogeschosse entstehen. Die Architekten entwarfen ein entsprechendes Gebäude, das sich an den Traufkanten der Nachbarhäuser orientierte. Doch ausgerechnet für das Areal des Umspannwerks gab ein alter Bebauungsplan eine niedrigere Höhe vor – die Stadt hätte also einen neuen aufstellen müssen. Da der Bauherr ein so langwieriges Verfahren nicht abwarten wollte, beschnitten die Architekten das geplante Gebäude auf der vorgeschriebenen Höhenlinie; und weil dort die Bürofenster lagen, hat das Haus nun vorläufig Zinnen, bis die beiden Geschosse ergänzt werden. Einem Bauwerk der öffentlichen Hand mag man eine solche Extravaganz zugestehen.

Auch das eigenwillige Betonband, das ein paar Zentimeter aus der Fassade vorspringt und um die oberen Lüftungsöffnungen mäandert, geht auf die ­Planungshistorie zurück. Im Unterschied zu den unbeheizten Trafokammern werden die Büroetagen einen Wärmeschutz benötigen. Das Band soll dann als Auflager für eine Dämmung und Vormauerung dienen, die sich von den oberen beiden Stockwerken 1 m die Fassade hinabziehen, um eine Wärmebrücke an der Geschossdecke zu verhindern.

Solange das Auflager auf seine endgül­tige Bestimmung wartet, dient es als ornamentales Element, das der Fassade mit seinem lebendigen Schattenwurf zusätzliche Plastizität beschert.

An Details wie diesem zeigt sich die große Sorgfalt, mit der das Umspannwerk geplant ist. Die Architekten haben nicht nur einen End-, sondern auch einen Zwischenzustand entworfen und darauf geachtet, dass schon das halbfertige Gebäude eine gute Figur macht. Lobenswert ist auch das Engagement der Stadtwerke München, die ihre Vorbildfunktion als öffentlicher Bauherr hier ernst genommen haben und bereit waren, ein paar Euro mehr als üblich zu ­investieren. Für die Bauaufgabe Umspannwerk haben alle Beteiligten einen neuen Standard gesetzt.

db, Fr., 2017.12.01



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10. Januar 2017Christian Schönwetter
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Modul als Modell?

Werner Sobek hat gemeinsam mit den fischer-Werken ein Unternehmen gegründet, das vorgefertigte Wohnboxen ­anbietet. Die Module sind leicht, sollen schnell und preiswert zu errichten sein und lassen sich komplett recyceln. Das erste realisierte Projekt, eine Flüchtlingsunterkunft, zeigt das große Potenzial dieses ­Bausystems. Aber auch seine Grenzen.

Werner Sobek hat gemeinsam mit den fischer-Werken ein Unternehmen gegründet, das vorgefertigte Wohnboxen ­anbietet. Die Module sind leicht, sollen schnell und preiswert zu errichten sein und lassen sich komplett recyceln. Das erste realisierte Projekt, eine Flüchtlingsunterkunft, zeigt das große Potenzial dieses ­Bausystems. Aber auch seine Grenzen.

Wer einmal ein Zementwerk besichtigt hat, das Sprengen des Kalks im Steinbruch erlebt und die Hitze des Brennofens gespürt hat, begreift sofort, warum das Bauen mit Beton und Mörtel so energieintensiv ist. Allein die Produktion von Zement verursacht etwa 5 % des CO2-Ausstoßes aller Industrie- und Verbrennungsprozesse weltweit.

Beim Transport zur Baustelle und bei Umbau oder Abbruch der schweren Verbundkonstruktionen aus diesen Materialien werden erneut große Energiemengen verbraucht. Hinzu kommt: Auf deutschen Mülldeponien nimmt mineralischer Bauschutt den größten Anteil der Abfälle ein. Seit Langem arbeitetet Werner Sobek daher an Prototypen vorgefertigter Häuser in Leichtbauweise – für ihre Herstellung ist nur ein Bruchteil der üblichen Energie nötig, sie lassen sich sortenrein zerlegen und vollständig recyceln. Letztes Beispiel war das Gebäude »B10« in der Stuttgarter Weißenhofsiedlung.

Um diesen Ansatz in die Breite zu tragen, hat er nun mit den fischer-Werken das Unternehmen »aktivhaus« ins Leben gerufen. Es bietet schlüsselfertige Wohnboxen, die mit rund 380 kg /m² Grundfläche so wenig wiegen, dass sie sich in einem Stück mit dem LKW transportieren lassen. Konstruiert sind sie in ressourcenschonender Holzständerbauweise, gedämmt mit einer 28 cm ­dicken Schicht aus Holzfaserplatten, bekleidet mit einer hochdruckimprägnierten Lärchenschalung unter Verwendung von Holz aus zentraleuropäischem Anbau. Auf Verbundstoffe wird komplett verzichtet. In der Basisvariante der »Serie 700« erfüllen die Wohnmodule die Anforderungen der EnEV, lassen sich aber mit Photovoltaik auf dem Dach zu Plusenergiehäusern nachrüsten. Die Verwendung des energieintensiven Baustoffs Beton beschränkt sich auf ein Minimum: die Fundamente.

Damit man auf unterschiedliche Wohnbedürfnisse eingehen und eine große Vielfalt an Gestaltungsvarianten anbieten kann, basiert das Bausystem nicht auf dem Prinzip gleicher Teile, sondern gleicher Fügungen. Einzelne Ele­mente können also in ihren Abmessungen erheblich variieren, aber die Verbindungstechnik ist immer dieselbe. Es ist möglich, Fenster verschiedener Breite an der jeweils gewünschten Stelle zu platzieren, andere Fassadenbekleidungen oder Innenraumoberflächen gegen Aufpreis zu wählen oder auch einzelne Wände zu entfernen, etwa wenn nachträglich zwei ­Module zu einer größeren Einheit zusammengelegt werden sollen.

Das Unternehmen verspricht günstigen Wohnraum zum Fixpreis. Der Vorfertigungsgrad ist extrem hoch: Die Boxen werden komplett im Werk zusammengefügt, inklusive Fußbodenheizung, Elektrik, sämtlicher Raumoberflächen, Bad- und Küchenausstattung bis hin zum einzelnen Lichtschalter. Bevor sie die Halle verlassen, werden wie bei einem Flugzeug-Check alle Funktionen geprüft. Die einzigen Arbeiten, die noch auf der Baustelle stattfinden, sind im Vorfeld das Herstellen der Fundamente und des Hausanschlusses und nach Anlieferung der Module das Anbringen von Vordächern, Treppen oder Dachterrassen. Um den Installationsaufwand zu verringern, wurde ein eigenes Verbindungselement in Boden und Dach entwickelt, das alle Leitungen für Frisch- und Abwasser, Strom, Heizung und Medien bündelt. Es dient dem schnellen Anschluss auf dem Grundstück, aber auch der Leitungsführung beim Stapeln mehrerer Module. Geheizt wird mit Fernwärme oder, falls nicht verfügbar, mit einer Gastherme.

Jenseits der Standards

Den ersten Praxistest muss das System derzeit im schwäbischen Winnenden bestehen. Am Ortsrand wurde eine Wohnanlage errichtet, die der Gemeinschaftsunterbringung von Flüchtlingen dient. Für die ersten drei Jahre sollen dort bis zu 200 Menschen leben, bevor die Häuser Bürgern mit geringem Einkommen zur Verfügung gestellt werden – dann jedoch nur noch mit einer Belegung von knapp 100 Personen. Aufgestellt wurden 38 Module, 34 davon dienen Wohnzwecken, eines als Technikzentrale mit Waschküche und drei bilden einen Gemeinschaftsraum. Vier Monate nach Erteilung der Baugenehmigung konnten die ersten Nutzer einziehen. Die Nettokosten lagen bei 1735 Euro/m² BGF, inklusive Lieferung, Montage und Sonderleistungen wie Dachterrassenbeläge und -geländer, Vordächer, Brandschutzschotts fürs Stapeln und Absturzsicherung für das 1. OG. Nicht in den Kosten enthalten sind die Fundamente und Treppen.

Durch die von Anfang an geplante Nachnutzung ließ sich ein höherer Wohnwert erzeugen als bei den meisten Flüchtlingsheimen der ersten Generation, die landauf landab aus Stahlcontainern entstanden sind. Was sofort angenehm auffällt, ist die aufgelockerte Anordnung der Baukörper. Das Verschieben der Boxen gegeneinander und der Wechsel von Ein- und Zweigeschossigkeit lassen ebenso wenig Monotonie aufkommen wie die relativ frei über die Fassaden verteilten Fenster. Der serielle Charakter der Module ist zwar unverkennbar, wird aber so variantenreich überspielt, dass sich der Eindruck einer Massenunterkunft nicht einstellt. Da die Bauten Höhe und Dachform mit den Häusern des benachbarten Wohngebiets aus den 60er Jahren gemein haben, fügen sie sich auch städtebaulich gut ein. Auf viele Betrachter wirken sie wegen des sympathischen Fassadenmaterials Holz sogar attraktiver als der umgebende Bestand. All dies mag dazu beigetragen haben, die Akzeptanz der Unterkunft bei den Anliegern zu steigern: Bedenken, die bei einer Bürgerversammlung im Vorfeld geäußert wurden, seien nach Baubeginn verstummt, berichtet aktivhaus-­Geschäftsführerin Stephanie Fiederer.

Tageslicht und Privatsphäre

Jedes Modul beherbergt eine eigene abgeschlossene Wohngemeinschaft. Die kleineren Einheiten des OGs bieten auf 45 m² BGF Platz für bis zu vier (später dann zwei) Personen, die sich eine Küche, ein Bad, einen Wohn- und einen Schlafraum teilen. In den größeren Einheiten des EGs kommt ein zweiter Schlafraum hinzu, der die BGF auf 60 m² erhöht, sodass sich hier bis zu acht (später vier) Menschen unterbringen lassen. Trotz einer sehr einfachen Ausstattung wirken die Räume recht wohnlich. Das ist nicht nur der guten Proportion auf nahezu quadratischem Grundriss zu verdanken, die man im kostengünstigen Wohnungsbau selten findet, sondern auch der Wand- und ­Deckenbekleidung aus Fichte-Dreischichtplatten, die nach frischem Holz duften. Dennoch schwankt die Aufenthaltsqualität der Räume erheblich. Denn durch die gewählte Ausrichtung der Module auf dem Grundstück orientieren sich rund 40% der Wohn- und Schlafzimmer nach Norden. Die Nutzer der EG-Einheiten genießen zudem nur eine eingeschränkte Privatsphäre, da die Wege ohne jeglichen Puffer direkt an den Fassaden mit ihren bodentiefen Fenstern entlangführen. Beides ließe sich bei Folgeprojekten leicht vermeiden: Mit einer um 90 Grad gedrehten Anordnung der Boxen und ein paar anders platzierten Fenstern könnte der Anteil der Nordzimmer auf Null sinken. Und wenn der Außenraum mit einer günstigeren Wegeführung so zoniert würde, dass unterschiedliche Stufen der Privatheit entständen, sei es durch Terrassen, vorgelagerte Höfe oder Gärten, würde die Anlage bei gleichem Flächenbedarf gängigen Prinzipien des Wohn- und Siedlungsbaus gerecht. Schwieriger zu lösen ist da schon die Frage, wo man die Außentreppen sinnvoll platziert. In Winnenden stehen sie als leichte Stahlkonstruktion jeweils direkt vor einem Schlafraumfenster, was bei temporärem Flüchtlingswohnen verschmerzbar sein mag, bei dauerhaften Mietern jedoch kaum Akzeptanz finden wird.

Vor- und Nachteil zugleich

Eine besondere Stärke des Bausystems ist gleichzeitig seine besondere ­Schwäche: Beim back-to-back-Verbund zweier Module ergibt sich eine Gebäudetiefe von nur 8,6 m. Sie lässt zwar außergewöhnlich gut belichtete Innenräume entstehen, jedoch eignet sie sich nur bedingt für verdichtetes Wohnen, wie es in Ballungsräumen unumgänglich ist. Dort erfordern die extrem hohen ­Bodenpreise kompaktere Baukörper größerer Tiefe, die jeden Quadratmeter nutzen. Ein wirtschaftlicher Grundriss, der die Möglichkeiten eines Grundstücks optimal ausreizt, lässt sich mit dem weitmaschigen Raster der Module nur schwer verwirklichen. Dem kostengünstigen Bauen sind damit ausgerechnet dort Grenzen gesetzt, wo es am dringendsten gefragt ist. Hinzu kommt, dass mit steigender Gebäudehöhe zunehmende Brandschutzanforderungen die Module verteuern.

Ihre Stärken kann die Serie 700 viel eher bei aufgelockerter Bebauung auf preiswerteren Grundstücken ausspielen – dort bietet sie die Chance, schnell und mit überschaubarem finanziellen Aufwand Wohnraum zu schaffen, der ökologisch vorbildlich ist. Künftig werden weitere Qualitäten hinzukommen, denn nach den Erfahrungen aus dem Pilotprojekt in Winnenden überarbeitet aktivhaus die Module. Man gibt den Boxen eine schlankere Dachkante, was beim Stapeln zu filigraneren Fugen und einem eleganteren Erscheinungsbild führt; die Planer feilen noch ein wenig am Grundriss, um die Schlafräume zu vergrößern; und die Konstruktion wird so angepasst, dass bodengleiche ­Duschen barrierearmes Wohnen im EG ermöglichen. Ein Folgeprojekt in der Nachbargemeinde Kernen ist bereits in Planung. Nach seiner Fertigstellung gilt es dann, das System noch einmal neu zu bewerten.

db, Di., 2017.01.10



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05. Dezember 2016Christian Schönwetter
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Gewinnen durch verzichten

Die Kleinstadt Waldkirch hat ihr Freibad komplett ­umgestaltet. Ein skulpturales Eingangsbauwerk mit ­Liegewiese auf dem Dach modelliert die Landschaft und harmoniert mit den nahegelegenen Hängen des Schwarzwalds. Die hohe Qualität der Architektur ließ sich nur dank einer klugen Entscheidung des ­Gemeinderats verwirklichen.

Die Kleinstadt Waldkirch hat ihr Freibad komplett ­umgestaltet. Ein skulpturales Eingangsbauwerk mit ­Liegewiese auf dem Dach modelliert die Landschaft und harmoniert mit den nahegelegenen Hängen des Schwarzwalds. Die hohe Qualität der Architektur ließ sich nur dank einer klugen Entscheidung des ­Gemeinderats verwirklichen.

Ein wenig irritiert schauen mich die beiden Damen im Bikini an. Wie ich mit Sonnenbrille vor dem Zaun stehe und von außen das Freibadgelände mustere, muss in der Tat einen befremdlichen Anblick bieten. Dabei war es wirklich nur die eigenwillige Architektur, die meine Aufmerksamkeit geweckt hat, als ich auf einer Radtour entlang des Flüsschens Elz zufällig hier vorbeigefahren bin. Damit die beiden Frauen sich wieder entspannen, drehe ich mich weg und werfe einen Blick aufs Smartphone; es verrät mir, dass die Anlage erst vor Kurzem von den Architekten Kauffmann Theilig & Partner fertiggestellt worden ist. Also nach Hause, Badesachen holen und wiederkommen.

Zwei Stunden später stehe ich vor dem Eingangsbauwerk. Im Grunde ist es kein Gebäude, sondern ein Stück modellierter Landschaft. In sanftem Schwung wölbt sich das Gelände zu einem begrünten Hügel empor, der den Vorbereich mit Fahrradständern und Parkplätzen von den Liegewiesen und Becken trennt. Er nimmt die Kasse auf, aber auch Umkleiden, Duschen, Toiletten, Bademeisterraum und natürlich die Technikzentrale. Der Zugang für die Badegäste führt in einer weiten Kurve durch den Hügel, beinahe wie ein Tunnel – eine Assoziation, die durch den Boden aus betongrauem Guss­asphalt noch unterstrichen wird. Da dieser Belag sich bis in die Duschen ­hineinzieht, verwischen die Grenzen zwischen innen und außen. Bei einem unbeheizten, ungedämmten Bauwerk ohne Aufenthaltsräume leuchtet mir dieser Gestaltungsansatz ein, zumal er sich in einem solchen Fall ohne baukonstruktive Klimmzüge verwirklichen lässt.

Spätestens wenn man das Badegelände betritt, wird klar, dass das Verschmelzen von Landschaft und Bauwerk hier kein entwerferischer Selbstzweck ist, sondern v. a. dazu dient, zusätzliche Liegewiesen auf dem begrünten Dach zu erzeugen. An einem flirrend heißen Sonntag im August, an dem sich die Gäste Handtuch an Handtuch drängen, werden diese Flächen in der Tat dringend benötigt.

Keine halben Sachen

Inzwischen habe ich mich in der Lokalpresse über die Vorgeschichte des ­Projekts informiert. 2008 waren die beiden Freibäder Waldkirchs so marode, dass jeweils eine aufwendige Sanierung anstand. Beide stammten aus der Nachkriegszeit, waren aber über die Jahre immer wieder verändert worden und ­boten keinen besonderen Reiz. Nach einigem Hin und Her beschloss die Stadt, nicht zwei halbherzige Modernisierungen durchzuführen, sondern das eine Bad ganz aufzugeben und die Mittel zu bündeln, um bei dem anderen Bad einen richtigen Neuanfang zu ermöglichen. Durch diesen Verzicht ­konnte bei der verbleibenden Anlage aus dem Vollen geschöpft werden: Sie bietet jetzt alles, was 2016 zu einem ordentlichen Spaßbad gehört: gleich drei verschiedene Wasserrutschen, einen Strömungskanal mit integrierten Sitzbänken, eine Sprudelanlage, Massagedüsen, Nackenduschen und diverse Wasserspiele. Aus wirtschaftlichen und ökologischen Gründen wurden vom Bestand aus dem Jahr 1968 das vorhandene 50-m-Becken und das Kinderplanschbecken weitergenutzt. Sie erhielten eine Auskleidung aus Edelstahl über den vorhandenen Fliesen, sodass sich aufwendige Abbrucharbeiten erübrigten. Neu sind das Sprung- und das Nichtschwimmerbecken.

Unikat mit Charakter

Durch die Konzentration auf nur ein Freibad ließ sich auch eine anspruchsvolle Gestaltung umsetzen. Das große »Spaßbecken« in Form dreier sich schneidender Kreise reagiert auf die weichen Rundungen des Grundstücks, das sich in eine Kurve der Elz schmiegt. In freiem Schwung legen sich Wege und die Badeplatte um die Becken und setzen deren geometrisches Spiel im Detail fort: Das kleinteilige Betonpflaster folgt den Rundungen ebenso wie der Besenstrichbeton, den das Bauunternehmen nicht mit der üblichen parallelen, sondern mit einer leicht radial zulaufenden Rillenstruktur versehen hat. Hut ab vor dieser handwerklichen Leistung! Die Oberflächen fühlen sich barfuß zudem äußerst angenehm an, v. a. im Kontrast zu dem rauen 70er-Jahre-Knochensteinplaster im Freibad der Nachbargemeinde, das mir am Vortag ein fakirhaftes Lauferlebnis beschert hat.

Auch die Sprungtürme sind nicht von der Stange, sondern wurden eigens nach einem Entwurf der Architekten gefertigt. Die Projektleiterin holte testweise von der Rohbaufirma ein Angebot ein, das glücklicherweise nicht höher lag als die Angebote von Standard-Schwimmbad-Ausstattern. Also konnte man individuelle Türme verwirklichen, die sich in Form und Material harmonisch in das Gesamtkonzept integrieren. Besonders elegant wirken die Stufen aus schwarz durchgefärbtem Sichtbeton.

Das Gelände ist nach allen Seiten außenräumlich gefasst. An den Eingangs­hügel im Norden schließt westlich eine Struktur aus senkrechten Holzlamellen an, die als Abgrenzung zum benachbarten Sportareal dient. Im Südwesten geht sie in die sogenannte Lounge über: Diese überdachte Konstruktion ist über Holzdecks errichtet, die einen geschützten Aufenthalt im Freien ermöglichen. Nach außen mit Wänden geschlossen, in Richtung Becken aber geöffnet, schirmt sie an kühleren Tagen den Westwind ab, spendet an heißen Schatten und bietet bei Regenschauern einen Unterstand. Gleichzeitig sorgt sie für den nötigen Schallschutz zum angrenzenden Wohngebiet. Nach Südosten und Osten schließlich erhebt sich der Elzdamm, dessen frisch angelegte ­Hecken in einigen Jahren neugierige Blicken von außen verhindern werden. Umgekehrt werden zwei kleine Holzdecks, die die Pflanzung unterbrechen, dann nur noch punktuell Ausblick auf das Flüsschen gestatten. Ansonsten aber blendet die durchgängige Einfassung des Badeareals die ­direkte Umgebung weitgehend aus. Stattdessen stärkt sie den Bezug zur Landschaft im Hintergrund, indem sie den Blick stets nach oben auf die grünen Hänge des Schwarzwalds lenkt.

Beliebt oder beliebig?

Die Liegewiesen profitieren außerordentlich vom alten Baumbestand, an ­dem die Landschaftsplaner zum Glück festgehalten haben. Seinen Schatten suchen v. a. Familien und Senioren. Auf dem Eingangshügel, dessen Dach sich für ­das Anpflanzen von Bäumen nicht eignet, tummelt sich dagegen hauptsächlich die sonnenhungrige Jugend. Aus den Smartphones scheppern die Sommerhits. Dass diese erhöhte Liegefläche vom Rest des Geländes schwer ein­zu­sehen ist, dürfte ihrer Beliebtheit bei den Teenagern nicht gerade abträglich sein.

Ich verlasse das Bad mit dem Eindruck, dass die Stadtväter die richtige Entscheidung getroffen haben. Der zunächst sicher unpopuläre Schritt, eines der beiden Freibäder für immer zu schließen, hat sich offensichtlich gelohnt, wenn die neue Einrichtung quer durch die Generationen so gut angenommen wird. Als funktionalistisch geschulter Architekt kommen mir manche Details zwar etwas verspielt vor und ich frage mich bei der ein oder anderen freien Form, wie sie sich wohl begründen lässt. Aber insgesamt erzeugen sie eine heitere, beschwingte Atmosphäre – für die Bauaufgabe »Freizeit- und Erlebnisbad« scheint das eine angemessene Architektursprache zu sein.

db, Mo., 2016.12.05



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01. Dezember 2015Christian Schönwetter
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Traditionspflege in Sichtbeton

Dass Investoren verfallene Bauernhöfe sanieren, um sie anschließend als Wohnungen zu vermieten, kommt nicht alle Tage vor. Im Münchner Stadtteil Alt-Riem hat die Firma Euroboden auf genau diese Weise ein baufälliges Denkmal vor dem Abriss gerettet. Trotz eines neuen Innenlebens aus Beton stellt das umgebaute Haus viele Bezüge zur landwirtschaftlichen Vergangenheit des Orts her.

Dass Investoren verfallene Bauernhöfe sanieren, um sie anschließend als Wohnungen zu vermieten, kommt nicht alle Tage vor. Im Münchner Stadtteil Alt-Riem hat die Firma Euroboden auf genau diese Weise ein baufälliges Denkmal vor dem Abriss gerettet. Trotz eines neuen Innenlebens aus Beton stellt das umgebaute Haus viele Bezüge zur landwirtschaftlichen Vergangenheit des Orts her.

Kein Wort mehr gegen Investorenarchitektur! Wer glaubt, dass professionelle Immobilienentwickler stets gesichtslose Allerweltsbauten planen, sieht sich beim Schusterbauerhaus in München-Riem eines Besseren belehrt. Allerdings gehört der Bauherr, die Firma Euroboden, auch zu den wenigen Ausnahmen in der Branche, die höchst individuelle Wohnprojekte verwirklichen. Zuletzt erregte das Unternehmen mit Apartments in einem umgebauten Münchner Hochbunker Aufsehen.

In Alt-Riem hatte Euroboden ein Bauernhaus aus der Mitte des 18. Jahrhunderts gekauft, das stark heruntergekommen und nur deshalb noch nicht abgebrochen war, weil es unter Denkmalschutz steht. Es gilt als letztes noch erhaltenes Zeugnis, das von der bäuerlichen Baukultur des Orts erzählt. Der Wohnteil war noch leidlich erhalten, auch wenn Teile der Ausstattung, etwa die alten Türen, während des langen Leerstands gestohlen worden waren; vom Stall- und Scheunenteil befanden sich nur noch die Außenwände in einem nutzbaren Zustand. Geschäftsführer Stefan Höglmeier heuerte daher Peter Haimerl als Architekten an, der mit seinem Projekt »Birg mich Cilly« in Viechtach bereits ein ähnlich abrissreifes Bauernhaus gerettet und umgebaut hatte. In Riem ist Haimerl nun mit einer Doppelstrategie ans Werk gegangen: im ehemaligen Wohnteil des Hauses so viel Substanzerhalt wie möglich, im stark zerstörten Stallteil ein beherzter Neuanfang. Dort stabilisiert jetzt ein eingeschriebener Betonkörper die alten Mauern und das Dach.

Kontinuität der Hülle

Das Äußere des Gebäudes bleibt davon weitgehend unberührt; zumindest an der Straßenseite ist sein landwirtschaftlicher Ursprung immer noch deutlich zu erkennen. An der Grundstücksgrenze geht es bereits los: Weil Einfriedungen für die Bauernhöfe im Münchner Umland traditionell unüblich waren, entfernte Haimerl die Gartenmauer zur Straße. Stattdessen markiert nun ein Belagswechsel von Asphalt zu Kies den Übergang von öffentlichem zu privatem Außenraum. Einen weiteren Beitrag zur Zonierung leistet die große flache hölzerne Multifunktionskiste vor dem Haus. Sie zeichnet den Grundriss des Misthaufens nach, der sich früher genau dort befand, und bietet „passenderweise“ Platz für die Mülltonnen. Außerdem verbirgt sie Fahrräder, Gartengeräte und eine Laube, deren Holzdach sich zur Seite schieben lässt.

An den Hausfassaden erzeugt ein von Hand aufgetragener Kalkputz jene unregelmäßige Oberfläche, die für das unprätentiöse ländliche Bauen der Region typisch war. Das Madonnenrelief über der Eingangstür wurde restauriert, die alten Sprossenfenster aufgearbeitet und jeweils mit einem zusätzlichen innenliegenden Isolierglasflügel unauffällig zum Kastenfenster ergänzt. Dämmung findet sich lediglich unterm Dach, weil sie sich nur dort so einbauen ließ, › › dass das tradierte Aussehen des Gebäudes nicht leidet. Statt Gauben, die zwar mehr Raum für die oberen Geschosse gebracht hätten, aber dem Typus Bauernhaus gänzlich fremd sind, verbessern Dachflächenfenster die Lichtzufuhr. Sie sind deutlich dezenter, zumal sie so eingebaut wurden, dass sie nicht wie üblich aus der Dachhaut hervorstehen, sondern bündig mit ihr abschließen. All dies dürfte das Herz von Denkmalpflegern höher schlagen lassen. Lediglich die Biberschwanzdeckung wirft Fragen auf: Warum wurde hier auf die Möglichkeit verzichtet, unter die neuen Ziegel ein paar alte aus Abbruchhäusern zu mischen? Sie hätten das Dach weniger steril wirken lassen und ihm ein bisschen Patina gegeben.

Originales Interieur

Im Gebäudeinnern finden sich nun zwei Wohnungen von je rund 150 m² die übliche Größe einer Doppelhaushälfte. Doch von symmetrischem Zwillingswohnen keine Spur: In Loos'scher Raumplan-Manier sind die beiden Einheiten komplex ineinander verschränkt, sodass auch die nördliche Haushälfte Zimmer nach Süden erhalten hat.

Wer den ehemaligen Wohnteil betritt, muss gleich hinter der Haustür zwei Stufen nach unten gehen. Denn um die sehr niedrige Geschosshöhe auszugleichen, wurde der EG-Boden moderat abgesenkt. Man gelangt in den sogenannten »Fletz«, einen Flur, der einmal quer durchs Haus führte. An seinem Ende wurde ein Raum abgetrennt, der von der Rückseite des Gebäudes zugänglich ist und anstelle eines Kellers Platz für die Haustechnik bietet. In den Zimmern linkerhand bedeckt ein heller Dielenbelag die neue Bodenplatte, die Wände tragen weißen Putz. Er verbirgt die Wandheizung, dank der es möglich war, auf Radiatoren zu verzichten, die nicht zu einem bäuerlichen Interieur gepasst hätten. Rechterhand geht es in die Wohnküche, die im ehemaligen Stall eingerichtet wurde. Nacktes Mauerwerk verweist auf die nicht-repräsentative frühere Nutzung. Um für mehr Licht zu sorgen, ließ Haimerl vier Öffnungen in die Gebäuderückseite brechen, durch ihre spielerische Anordnung geben sie sich als nachträglicher Eingriff zu erkennen.

Eine steile knarzende Holztreppe führt vom Fletz ins obere Geschoss. Hier zeigen die Räume das größte Maß an Authentizität. Genauso gedrungen wie vor zwei Jahrhunderten dienen sie als Schlaf- und als Kinderzimmer. Originale Türen mit hoher Schwelle und niedrigem, handgeschnitzten Sturz sind alles andere als barrierefrei und verlangen den Bewohnern besondere Vorsicht ab. Die Dielen des unebenen alten Bodens blieben genauso unbekleidet wie weite Teile der Holzwände, auf denen sich die Farbreste vergangener Jahrhunderte erkennen lassen.

Radikaler Eingriff

Die zweite Wohnung betritt man über das ehemalige Scheunentor. Es wurde durch ein neues ersetzt, die Öffnung dahinter vollflächig verglast. Weil die alten Holzdecken morsch waren, wurde dieser Teil des Gebäudes komplett umstrukturiert. Unter dem Dach mit seiner 45°-Neigung versteckt sich jetzt ein Betonwürfel, der um 45° gekippt auf der Kante steht. Mit seinen Oberseiten zeichnet er das Dach von innen nach, seine geneigten Unterseiten dienen mal als Treppenlauf, mal als Auflagerfläche für eine Sitzbank, mal als schräge Decke.

Ein Split-Level-Raumkontinuum zieht sich vom abgesenkten EG, in dem ein Gästezimmer untergebracht ist, über den Essplatz im helleren Hochparterre bis hinauf unters Dach, wo die Bewohner auf einer Galerie am Kamin sitzend die Weite des Wohnraums und die Lichtfülle der Dachfenster genießen können. Immer wieder wechselt die Laufrichtung, durch die zahllosen Schrägen entsteht eine große räumliche Vielfalt. Um in dem offenen Interieur die Akustik in den Griff zu bekommen, ließ Haimerl einige Wandflächen und Brüstungen mit Nadelfilz bekleiden. In der Küche interpretiert er mit einer schwarzen Herdnische, die in die Wand eingelassen ist, das verrußte »Rauchkucherl« alter Bauernhöfe auf neue Weise. Einzige sichtbare Originalbauteile sind die alten Kehlbalken.

Wie raffiniert die Räume ineinandergreifen, zeigt sich im Bad: Über eine Luke unter dem Waschbecken lässt sich Schmutzwäsche entsorgen, die dann im darunterliegenden Hauswirtschaftsraum landet. Beinahe könnte man in dieser Wohnung vergessen, dass man sich innerhalb einer historischen Hülle bewegt. Bauernhaus-Atmosphäre kommt erst wieder in den etwas schummrigen Schlafzimmern mit ihren alten kleinen Giebelfenstern auf.

Mut zum Unperfekten

Das Ungewöhnlichste an dem Haus ist, dass hier nicht etwa eine Privatperson am Werk war, die für sich selbst ein Liebhaberstück geschaffen hat, sondern ein kommerziell agierender Bauherr, der für unbekannte Nutzer plant. Schön wäre, wenn dieser Umbau auch andere Investoren ermutigen würde, sich bei Denkmalen auf Konzepte mit einer starken architektonischen Aussage einzulassen. Er zeigt, dass sich auch Immobilien an den Mann bringen lassen, die sich nicht an gängigen Standards orientieren. Teils sehr niedrige Räume, wurmstichige Holzbalken, laut knarzende Böden, bei denen man an einer Stelle sogar zwischen den Dielen ins Zimmer darunter blicken kann, aber auch Interieurs mit ruppigem Sichtbeton und Wände, die um 45° aus der Vertikalen gekippt sind – all das ist meilenweit von den Usancen heutigen Mietwohnungsbaus entfernt. Ein Markt dafür ist aber offensichtlich vorhanden: Obwohl die beiden Einheiten mit einer Monatsmiete von rund 3 000 Euro selbst für Münchner Verhältnisse kein Schnäppchen sind, waren sie innerhalb weniger Stunden sofort vergeben.

db, Di., 2015.12.01



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30. November 2014Christian Schönwetter
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Kompakt, Komplex und konsequent

Für eine der häufigsten Bauaufgaben dieser Tage, die Planung von Kindertagesstätten, haben Bruno Fioretti Marquez Architekten eine überraschende Lösung gefunden. In Karlsruhe errichteten sie einen Betonkörper, der sowohl typologisch als auch gestalterisch deutlich über die Erwartungen hinausgeht.

Für eine der häufigsten Bauaufgaben dieser Tage, die Planung von Kindertagesstätten, haben Bruno Fioretti Marquez Architekten eine überraschende Lösung gefunden. In Karlsruhe errichteten sie einen Betonkörper, der sowohl typologisch als auch gestalterisch deutlich über die Erwartungen hinausgeht.

Karlsruhe ist eine Stadt der Kindergarten-Extreme. Hier haben Planer zwei Horte errichtet, deren Architektursprache sich nicht deutlicher voneinander unterscheiden könnte. Im Vorort Wolfartsweier liegt seit 2002 eine riesige begehbare Katze auf der Pirsch, ein Gebäude in Tiergestalt, das nach einer Skizze des Illustrators Tomi Ungerer entstanden ist. Das hungrige Maul der Katze dient als Eingang, große Rundfenster wirken wie Kulleraugen und der Schwanz enthält eine Rutschbahn.

Wie ein gebautes Manifest gegen einen solchen plakativ verspielten, bildhaften Entwurfsansatz wirkt dagegen eine Kindertagesstätte, die vor einigen Monaten im Stadtzentrum eröffnet hat. Der Sichtbetonkörper ist an Klarheit und Abstraktion kaum zu überbieten. Fassaden »ohne Details«, Fenster ohne sichtbare Rahmen, Loggien ohne sichtbare Geländer treiben das Prinzip gestalterischer Reduktion auf die Spitze – der Bau bricht mit allen Traditionen der Kindergartenarchitektur. Anders als bei seinem Katzen-Pendant lässt sich seine außergewöhnliche Gestalt jedoch weitgehend rational begründen.

Schon die Ausgangslage war außergewöhnlich. Das Karlsruher Institut für Technologie wollte eine Betreuung für den Nachwuchs seiner Mitarbeiter einrichten und hatte dafür ein Grundstück auf dem Innenstadtcampus auserkoren: Es liegt am Durlacher Tor, einer der verkehrsreichsten Kreuzungen der Stadt, an der die Fahrzeuge von der Autobahn kommend ins Zentrum drängen. Ausgerechnet im Süden blickt der Bauplatz auf diesen stark befahrenen Straßenraum, während der attraktiv begrünte Campus ungünstigerweise im Norden angrenzt. Als weitere Erschwernis kam hinzu, dass das umfangreiche Raumprogramm für 115 Kinder auf einer relativ kleinen Grundfläche untergebracht werden musste.

Panzer aus Beton

Auf diese Rahmenbedingungen reagierten Bruno Fioretti Marquez Architekten mit einem äußerst kompakten Baukörper, der die Räume fünf Geschosse hoch übereinanderstapelt – eine Seltenheit bei Kindergärten. Nur so ließ sich überhaupt ein Außenspielbereich frei halten. Gleichzeitig bringt die Höhe einen städtebaulichen Gewinn, sorgt sie doch dafür, dass sich das Volumen gut in die Nachbarbebauung einpasst. Mit seiner schrägen Dachführung vermittelt es präzise zwischen den unterschiedlichen Traufhöhen der Gebäude zur Rechten und zur Linken.

Gegen den Verkehrslärm wappnet sich die Tagesstätte mit einem »Panzer« aus Beton, dessen Funktion als massive schützende Schale deutlich zum Ausdruck kommt. V. a. an den tief eingeschnittenen Fensteröffnungen lässt sich die beeindruckende Wanddicke von insgesamt 56 cm ablesen. Die abgeschrägten, sich nach innen verjüngenden Laibungen unterstreichen die Tiefenwirkung zusätzlich. Konstruiert sind die Fassaden aus Leichtbeton, der an den Innenseiten durch eine mineralische Dämmung ergänzt wurde.

Tatsächlich ist von den lauten Straßengeräuschen nichts mehr zu hören, sobald man das Innere des Gebäudes betreten hat. Der Windfang führt in einen zentralen Raum, der als Treffpunkt und Verteiler dient. Was dort ans Ohr dringt, ist lediglich das Gewirr von Kinderstimmen, das die Sauerkrautplatten an der Decke jedoch auf ein angenehmes Maß herunterdämpfen. Der Blick fällt durch große Innenfenster entweder in die Küche, in den Sportsaal, der vom Keller mit einem Luftraum bis ins EG hinauf reicht, oder in einen der beiden Gruppenräume. Hier haben die 3- bis 6-Jährigen ihr Quartier, da sie bereits alt genug sind, um selbstständig im Garten zu spielen und vom direkten ebenerdigen Zugang nach draußen zu profitieren.

Strahlend heller Kern

Beim Weg nach oben hat man die Wahl zwischen gleich zwei Treppenhäusern. Durch ihre Funktion als Fluchtweg hält sich ihr räumlicher Reiz allerdings in Grenzen. Umso größer das Aha-Erlebnis, wenn sich die Tür zum 1. OG öffnet. Mit einer solchen Lichtfülle hätte man in der Gebäudemitte nicht gerechnet. Ein kleiner Innenhof in den oberen drei Stockwerken lässt die Sonne hereinscheinen, sodass auch die nördliche Gebäudehälfte in den Genuss von Südlicht kommt. Der Hof bietet einen vom Straßenraum geschützten windstillen Außenbereich, den die Erzieherinnen u. a. gerne nutzen, um mit den Kindern im Freien Musik zu machen. Um den Patio legt sich eine ringförmige Erschließungsfläche, ein idealer Bewegungsraum für die auf diesem Stockwerk untergebrachten 0- bis 3-Jährigen, um in endlosen Runden über den Linoleumboden zu robben, zu krabbeln oder zu laufen. Vier Loggien verschaffen dem innenliegenden Raum Kontakt nach außen zur Umgebung. Außerdem können selbst die Kleinsten durch verglaste Öffnungen, die fast bis zum Boden gezogen sind, in die Gruppenbereiche schauen. Diese bestehen jeweils aus drei unterschiedlich großen Räumen – darunter einer zum Schlafen –, die zu einer blockartigen Einheit zusammengefasst sind. Während im Flur Betonwände dominieren, zeigen die Gruppenbereiche dazu passende, dezent farbige Oberflächen, die grau abgetönt wurden und den Erzieherinnen genug Freiheit lassen, die Räume nach eigenen Vorstellungen zu gestalten. Das Spielzeug bringt ohnehin viel Farbe hinein. Regale, Betten, Kletteremporen und Wickeltische, auf die Kinder über kleine Treppen kraxeln können, wurden nach Entwürfen der Architekten gefertigt. Verbindungstüren zwischen allen Einheiten, zu den Loggien und zu den Treppenhäusern erlauben es, sämtliche Räume des Stockwerks in einem einzigen Rundlauf zu durchqueren, und lassen damit eine sehr flexible Nutzung zu. Ein Elternraum, der u. a. von Müttern aufgesucht wird, um sich zum Stillen zurückzuziehen, komplettiert die Etage.
Das 2. OG ist genauso organisiert, sieht man davon ab, dass dort statt der Eltern das Personal seinen Rückzugsbereich hat. Auch sind die Blockeinheiten gegenüber dem Grundriss des 1.OGs um 90 ° gedreht. Dies wirkt sich belebend auf die Fassaden aus, an denen die Loggien und Fenster von Geschoss zu Geschoss gegeneinander verspringen, sodass sich die räumliche Komplexität des Gebäudeinneren an der äußeren Hülle abzeichnet. Im obersten Stockwerk schließlich finden eine Bibliothek und Räume für eine altersgemischte Gruppe mit Kindern von 0 bis 6 Jahren Platz, v. a. aber die großartige Dachterrasse. Sie bietet zu jeder Jahreszeit eine Außenspielmöglichkeit in der Sonne.

Passende Freianlage

Damit ergänzt sie den Garten, der im Frühling und Herbst wegen seiner Nordorientierung häufig im Schatten liegt. In den langen schwülheißen Karlsruher Sommern ermöglicht er jedoch einen angenehmen Aufenthalt im Freien.

Die Landschaftsplaner Tancredi Capatti und Matthias Staubach haben ihn im Dialog mit den Architekten als abwechslungsreichen Erlebnisraum mit zwei Rasenhügeln und großen Sandkästen gestaltet. Eine Holzwand mit integriertem Wasserspiel begrenzt ihn nach Osten und weitet sich zum räumlichen Element mit einem kleinen Freizimmer unter dem alten Baumbestand. Eine 8 m tiefe Hecke im Westen birgt runde höhlenartige Lichtungen, wie geschaffen für Versteckspiele. Geschickt täuscht die nördliche Einfriedung des Gartens über seine tatsächliche Größe hinweg: Die Mauer trägt eine Bekleidung aus spiegelnden Edelstahlplatten, die den Außenraum optisch erweitern. Beim Blick zurück auf das Gebäude fällt auf, wie gut Freianlage und Bauwerk aufeinander abgestimmt sind, wie der detailreiche Garten mit seinen weicheren, freieren Formen die passende Bühne für den strengen, kantigen Baukörper bereitet. Auf der Straßenseite jedoch, an der das Gebäude völlig unvermittelt auf den harten Bürgersteig trifft, wirkt es dann doch sehr schroff. Vielleicht hätte eine stärker plastische Gestaltung der Fassaden, etwa durch eine strukturierte Betonoberfläche schon ausgereicht, um dem Bau ein etwas freundlicheres Gesicht zu geben.

Beim Verlassen der Kindertagesstätte überwiegt jedoch Respekt dafür, dass es hier gelungen ist, mit ungewohnten Formen einem kleinen Grundstück ein Gebäude von großer Qualität abzuringen. In Erinnerung bleiben die überraschende räumliche Vielfalt innerhalb eines begrenzten Volumens, die abwechslungsreichen Aus- und Durchblicke auch über mehrere Geschosse, die Durchgängigkeit der Gestaltung bis hin zum Mobiliar. Geradezu prototypisch zeigt der Bau, was anspruchsvolle innerstädtische Kindergartenarchitektur heute sein kann: kompakt, komplex und konsequent.

db, So., 2014.11.30



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06. Juli 2014Christian Schönwetter
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Insel in Weiss

Neuanfang am Rand des Stuttgarter Talkessels: Seit anderthalb Jahren füllen sich Geschäfte, Büros, Arztpraxen, Wohnungen, eine Kita u. a. im Quartier Killesberghöhe mit Leben. Die anspruchsvolle Architektur und die hochwertig gestalteten Außenräume sind auf den ersten Blick bestechend. Doch bei Liebe auf den ersten Blick ist manchmal auch ein zweiter nötig.

Neuanfang am Rand des Stuttgarter Talkessels: Seit anderthalb Jahren füllen sich Geschäfte, Büros, Arztpraxen, Wohnungen, eine Kita u. a. im Quartier Killesberghöhe mit Leben. Die anspruchsvolle Architektur und die hochwertig gestalteten Außenräume sind auf den ersten Blick bestechend. Doch bei Liebe auf den ersten Blick ist manchmal auch ein zweiter nötig.

Es war eine Jahrhundertchance und entsprechend hoch waren die Erwartungen. Als Stuttgart 2007 seine Messe vom Killesberg vor die Tore der Stadt verlagerte, wurden auf einen Schlag 18 ha Gelände in bester Lage frei. Direkt an einem Park, der bereits Gegenstand mehrerer Gartenschauen war, und in Nachbarschaft zur Weißenhofsiedlung – die 1927 als Bauausstellung weltweit für Aufsehen sorgte – wollte man einen anspruchsvollen Neuanfang wagen.

Das größte Teilgebiet ist mittlerweile fertiggestellt und seit 18 Monaten in Benutzung – Zeit für eine Zwischenbilanz. Neben rund 100 Wohnungen des oberen Marktsegments beherbergt es ein Stadtteilzentrum, das lang ersehnt auch den bestehenden umliegenden Quartieren Einkaufsmöglichkeiten bietet. Das Gelände, auf dem das neue Quartier entstand, hat jedoch seine Tücken: Zwar grenzt es an zwei Seiten an den Höhenpark Killesberg, an den anderen beiden Seiten jedoch an stark befahrene Straßen mit bis zu sechs Spuren. Dies führt zu einer etwas isolierten, inselartigen Lage. Dennoch ist das Gebiet gut an den ÖPNV angeschlossen, so fährt die U-Bahn vor der Haustür in sieben Minuten direkt ins Zentrum von Stuttgart.

Um eine qualitätvolle Bebauung sicherzustellen, hatte die Stadt gleich zwei Wettbewerbe durchgeführt. Im ersten Verfahren – es wurde von Ackermann + Raff gewonnen – ging es um die städtebauliche Grundkonzeption. Da die Stadt das Gebiet anschließend nicht selbst entwickeln wollte, lobte sie in einem zweiten Schritt einen europaweiten Realisierungswettbewerb aus, der sich an Teams aus Bauträgern und Architekten richtete. Hier punktete der österreichische Investor Fürst Developments, indem er gleich vier international renommierte Architekturbüros hinter sich versammelte: O&O Baukunst war für die Gesamtplanung verantwortlich, entwarf das Einkaufszentrum und errichtete drei Wohnhäuser entlang der Stresemannstraße; David Chipperfield steuerte ein Wohngebäude mit angegliederter Kindertagesstätte bei und KCAP sowie Baumschlager Eberle je drei Stadtvillen.

Einheit und Vielfalt

Was zunächst auffällt, ist die wohltuende Wirkung als Gesamtensemble. Alle Gebäude sprechen die gleiche Sprache und schlagen als schlichte hellbeigefarbene Baukörper mit Flachdach eine gestalterische Brücke zum Weißenhof. Trotz dieser Einheitlichkeit kommt keine Langeweile auf, weil die Bauten sich im Detail unterscheiden. So wechseln sich die unterschiedlichen Putzarten der Fassadenflächen, ob Kratzputz oder glatt, mit hellem geschlämmtem Sichtmauerwerk ab. Mal gliedern hellgraue Betongesimse die Fassaden, mal Fenstergewände aus hellem Naturstein. Immer jedoch sind die Gebäude hochpräzise und qualitätvoll ausgeführt. Den harmonischen Gesamteindruck wird umso mehr schätzen, wer den baulichen Wildwuchs auf der gegenüberliegenden Seite des Parks erblickt. Dort entsteht auf einem anderen Teilstück des alten Messegeländes gerade ein Einfamilienhausgebiet, bei dem sich die Stadt – aus Furcht, sonst die hochpreisigen Grundstücke nicht verkaufen zu können – nicht zu stringenteren Gestaltungsregeln im Bebauungsplan durchringen konnte. Im Vergleich zu diesem Viertel zeigt sich am Quartier Killesberghöhe, dass die Vergabe an nur einen Bauträger durchaus große Vorteile haben kann und dass der Begriff »Investorenarchitektur« kein Schimpfwort sein muss.

So ist auch das Einkaufszentrum sehr diszipliniert gestaltet. Selbst die sonst üblichen schreienden Leuchtreklamen sind verbannt, stattdessen wurden alle Mieter auf einheitliche schwarzweiße Schilder eingeschworen. Die Geschäfte decken ein breites Spektrum vom Aldimarkt bis zum Feinkostladen ab, sodass dort nicht nur die Bewohner der »Premium Wohnungen«, sondern auch Studenten der nahegelegenen Kunstakademie das passende Angebot finden. Ein Restaurant und zwei Cafés sorgen zudem auch außerhalb der Einkaufszeiten für Leben auf dem Quartiersplatz. Noch allerdings stehen ein paar Geschäfte leer.

Weil sämtliche Stellplätze in einer Tiefgarage untergekommen sind, bleiben alle Wege und Plätze frei von Autos, was die Aufenthaltsqualität der Außenräume deutlich erhöht. Hinzu kommt deren sorgfältige Gestaltung, die sich selbst auf Details wie etwa die Fahrradständer erstreckt. Besonders erfreulich ist, dass eine breite Öffentlichkeit in den Genuss dieses Stadtraums kommt, obwohl es sich um privaten Grund handelt. Da in den Stadtvillen ausschließlich eine sehr gut betuchte Klientel wohnt, hätte hier schnell eine Art Gated Community entstehen können, die sich nach außen abschirmt – die Stadt hat sich jedoch das Gehrecht sichern lassen, sodass alle Wege durchs Quartier öffentlich zugänglich bleiben.

Chancen verpasst

Genau hier beginnt sich allerdings zu rächen, dass man vom ursprünglichen städtebaulichen Konzept abgewichen ist. Ackermann + Raff hatten zwei u-förmige Gebäude vorgesehen, die jeweils einen sich zum Park öffnenden Hof umschlossen, der das Freiraumangebot sinnvoll ergänzt hätte: Zusätzlich zu den öffentlichen Räumen hätte er den Bewohnern einen geschützten Außenraum bieten können. Die stattdessen realisierten Stadtvillen sind nun rundum den Blicken aus dem öffentlichen Raum ausgesetzt. Dass dies für die Wohnungen im Parterre von Nachteil ist, lässt sich dort an den fast durchgängig heruntergelassenen Rollläden ablesen. Besonders deutlich wird das an denjenigen Stellen, an denen die Wege ohne jeden halböffentlichen Puffer direkt an der Fassade entlang führen. Probleme mit mangelnder Privatsphäre scheint es auch bei den Gärten vor den EG-Wohnungen zu geben – selbst an einem frühsommerlichen Samstagnachmittag hielt sich dort kaum jemand auf. Hier wurde bei der Planung die Chance verschenkt, das sanft ansteigende Gelände so auszunutzen, dass die privaten Freiräume gegenüber den öffentlichen leicht erhöht liegen. Weil manche Gärten sogar tiefer angeordnet sind, wird man sich dort stets beobachtet fühlen.

Auch bei den beiden Straßenräumen, die das Quartier begrenzen, wirft der Umgang mit der Topografie Fragen auf. Weil die Gebäude auf einem gemeinsamen einheitlichen Plateau stehen, die Stresemannstraße im Osten jedoch stetig abfällt, müssen Passanten dort an einer bis zu 5 m hohen fensterlosen Tiefgaragenwand entlanggehen. An dieser wenig einladenden Situation kann auch die sehr sorgfältige Gestaltung mit einem plastischen Mauerwerksrelief nicht viel ändern. Nach Südwesten liegt das Plateau dann bereits unter Straßenniveau, sodass die Geschäfte dort wiederum ins Tiefparterre rutschen. Um solche »Knackpunkte« zu vermeiden, wäre sicherlich eine stärker gestaffelte Bebauung, die dem Gelände hätte folgen können, hilfreich gewesen.

Was die Nutzungsmischung im Quartier angeht, hatten Ackermann + Raff mehr vorgesehen, als nun verwirklicht wurde. Sowohl die Galerie- und Arbeitsräume für die Kunstakademie als auch die Studentenwohnungen hätten für eine größere Vielfalt gesorgt. Doch für solch wenig rentablen Nutzungen blieb dem Investor Fürst Develompents vermutlich kein finanzieller Spielraum mehr. Dieser hatte die Stadt nicht nur mit seiner architektonischen Konzeption überzeugt – sondern eben auch mit einem der höchsten Angebote für den Baugrund. Außergewöhnliche Grundrisslösungen, etwa für Cluster-Wohnungen oder Mehrgenerationen-Einheiten, die zu einer stärkeren sozialen Durchmischung hätten führen können, hatten so keine Chance. Wohngebäude, die ihrer Zeit voraus sind wie seinerzeit am Weißenhof, sucht man vergeblich. Insofern ist das selbstgesteckte Ziel, der hochkarätigen Nachbarschaft gerecht zu werden, verfehlt.

Letzte Gelegenheit

Abschließend bewerten kann man das Quartier jedoch erst, wenn auch der letzte Baustein am Killesberg fertiggestellt sein wird. Südlich der Straße »Am Kochenhof« sind in den kommenden Jahren rund 100 weitere Wohnungen geplant, die sicherlich für mehr Leben im Quartierszentrum und eine höhere Auslastung der Geschäfte sorgen werden. Der städtebauliche Wettbewerb wird dieser Tage entschieden. Erklärte Absicht ist es, auf dem neuen Baugebiet v. a. Baugruppen zum Zuge kommen zu lassen. Statt die Grundstücke jeweils an den Meistbietenden zu verkaufen, will die Stadt dazu jeweils einen Fixpreis festsetzen. Baugruppen können sich mit ihren Konzepten um die Parzellen bewerben, die dann nach ökologischen, architektonischen, sozialen – und eben nicht nach finanziellen – Gesichtspunkten vergeben werden. Damit besteht die Möglichkeit, dass wenigstens dort an das angeknüpft wird, was einst die Weißenhofsiedlung auszeichnete und Architekturgeschichte schrieb: Wohnungsbau mit Mut zum Experiment.

db, So., 2014.07.06



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db 2014|07-08 Stadt quar tiere

19. Mai 2014Christian Schönwetter
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Federleichter Hochsicherheitstrakt

Die Gorillas und die Bonobos der Stuttgarter Wilhelma haben ihr neues Zuhause bezogen: ein Bauwerk, das sich unauffällig in die Landschaft einfügt, und ein Freigehege, das von einem filigranen Edelstahlseilnetz überspannt wird. Weil Bonobos deutlich mehr Kraft haben als ein Mensch, ist die Anlage als Hochsicherheitstrakt ausgebildet – doch Ingenieurskunst sorgt dafür, dass man dies dem Bauwerk nicht ansieht. Im Gegenteil.

Die Gorillas und die Bonobos der Stuttgarter Wilhelma haben ihr neues Zuhause bezogen: ein Bauwerk, das sich unauffällig in die Landschaft einfügt, und ein Freigehege, das von einem filigranen Edelstahlseilnetz überspannt wird. Weil Bonobos deutlich mehr Kraft haben als ein Mensch, ist die Anlage als Hochsicherheitstrakt ausgebildet – doch Ingenieurskunst sorgt dafür, dass man dies dem Bauwerk nicht ansieht. Im Gegenteil.

Ein Besuch der Wilhelma gleicht einem Spaziergang durch die jüngere Baugeschichte. Seit der Botanische Garten nach dem Zweiten Weltkrieg zu einem Tierpark erweitert wurde, hat beinahe jedes Jahrzehnt anspruchsvolle architektonische Spuren hinterlassen. Die 60er Jahre etwa zeigen sich mit gut proportionierten funktionalen Pavillons für Raubtiere und Flusspferde, in den 70ern kamen skulpturale Betonbauten für Klammeraffen hinzu, in den 90ern erstellten Cheret & Bozic einen Schaubauernhof mit Elementen des modernen Holzbaus und im Jahr 2000 überwölbten Auer & Weber ihr Amazonienhaus mit einer zeittypischen Halbtonne aus Stahl und Glas. Kurz: Die Wilhelma ist nicht nur Botanischer Garten und Tierpark, sondern auch Architekturzoo. Der jüngste Neuzugang, das Haus für afrikanische Menschenaffen, versucht allerdings, sich den Blicken der Zuschauer zu entziehen. Seine Architekten Hascher & Jehle haben alles dafür getan, das Bauwerk möglichst unauffällig im üppig durchgrünten Zoogelände zu verstecken. Denn die Wilhelma und der angrenzende Rosensteinpark mit seinen teils 150 Jahre alten Bäumen stehen als Kulturdenkmal unter Schutz. Das neue Affenhaus tritt daher nicht als normales Gebäude in Erscheinung, sondern gliedert sich in Form eines erdbedeckten und bewachsenen Hügels in die Topografie ein. Auch das Außengehege für die kletterfreudigen Bonobos scheint eine Tarnkappe zu tragen. Eindrücklich führt es vor Augen, wie sich knapp 10 000 m³ umbauter Raum dezent in eine Landschaft integrieren lassen.

Neue Leichtbauvariante

Als räumliche Begrenzung des Freigeheges hatten die Architekten eine leichte, transparent wirkende Edelstahlseilnetz-Überspannung vorgesehen. An deren Planer, das Büro officium, richteten sie den Wunsch, die Konstruktion möglichst in Form sanfter Hügel auszubilden, die mit dem umgebenden Parkgelände korrespondieren. Nun sind Netztragwerke mit ihrer Zugbeanspruchung sicher nicht das erste, was einem einfällt, wenn es darum geht, eine Hügelform zu erzeugen. Druckbeanspruchte Gitterschalen lägen da näher, bieten aber bei Weitem nicht die gleiche visuelle Durchlässigkeit. Netze wiederum ermöglichen zwar die gewünschte Transparenz, werden jedoch von Pylonen aufgespannt, sodass sich immer spitze Hochpunkte ergeben, die eher an steile Felsen als an sanfte Hügel denken lassen. Daher entwarf das officium-Team eine Sonderkonstruktion. Die Pylone verzweigen sich an ihrem Kopfende jeweils wie ein Baum, werden dort von einem sphärisch gekrümmten Ring abgeschlossen und bilden flachere, weicher geformte Hochpunkte. Auf diese Weise ließ sich das zugbeanspruchte Netz an die gewünschte Hügelform annähern. An ihrem oberen Ende werden die Pylone ausschließlich vom Netz gehalten. Dass sich hier keinerlei Seile befinden, trägt zum außerordentlich luftigen Erscheinungsbild des Geheges bei.

Selten wurden Baumstützen so sinnfällig verwendet wie hier. Ihre vegetabile Gestalt erfüllt nicht nur statische Zwecke, sondern passt sich auch harmonisch in den alten Baumbestand des Parks ein. Außerdem lassen sich die Tragelemente tatsächlich wie Bäume nutzen: Die Bonobos können hinaufkraxeln, oben in den Verzweigungen wie in den Wipfeln des Urwalds sitzen und das Geschehen am Boden beobachten. Eigens angebrachte Kletterhilfen erleichtern ihnen den Aufstieg.

Auch das Edelstahlseilnetz lässt sich beklettern und ermöglicht den Tieren eine dreidimensionale Nutzung ihres gesamten Geheges. Ihnen steht jetzt 19-mal mehr Raum zur Verfügung als im alten Affenhaus aus dem Jahr 1973. Dass die gesamte Konstruktion wie eine zarte Voliere für Singvögel wirkt, täuscht darüber hinweg, dass es sich in Wirklichkeit um einen Hochsicherheitstrakt handelt. Denn obwohl Bonobos nur ungefähr halb so groß wie Menschen sind, haben sie siebenmal mehr Kraft. Das Netz setzt sich deshalb aus 3 mm dicken Edelstahlseilen zusammen, die über Pressklemmen kraftschlüssig zu rautenförmigen Maschen verbunden sind. Ihre Stabilität erhält die Netzfläche durch eine zweiachsige gegensinnige Krümmung. Die bis zu 13 m hohen Pylone innerhalb des Geheges stemmen das Netz nach oben, Randseile und niedrigere Abspannmasten außerhalb des Geheges ziehen es gleichzeitig nach unten, wodurch die Netzfläche Erhebungen und Täler ausbildet und an jeder Stelle die nötige Krümmung aufweist. Die Pylone stehen dabei leicht gekippt. Ihre Neigungswinkel wurden so bestimmt, dass die Lasten aus dem Netz entlang der Stützenachse nach unten ins Auflager fließen – dadurch werden die Pylone vorwiegend auf Druck und kaum auf Biegung beansprucht und konnten daher besonders schlank ausfallen. Das gesamte Tragwerk bildet eine flexible Konstruktion. Wenn an einer Stelle erhöhte Lasten auftreten, bewegt es sich leicht, kehrt nach der Belastung aber wieder in seinen Ursprungszustand zurück. Die Auflager der Stützen machen dies bildhaft deutlich: Während die Pylone auf Kugelgelenken ruhen, die eine Bewegung in alle Richtungen erlauben, lagern die äußeren Abspannmasten auf Bolzengelenken und sind in nur einer Ebene beweglich.

Weil die 3 500 m² große Netzfläche lediglich den oberen Raumabschluss bildet, sorgen Wandnetze für die seitliche Begrenzung des Geheges. Sie sind dezent über ein Anschlussseil mit dem Dachnetz verbunden. Damit sie nicht in der Sonne glitzern und unangenehm reflektieren, tragen alle Netze eine schwarze Beschichtung aus einem elastischen Speziallack, der auch bei Verformungen und Krümmungen nicht abplatzt. Dadurch nimmt sich der ohnehin schon filigrane Raumabschluss optisch noch weiter zurück. Je nach Blickwinkel und Lichtverhältnissen scheint er sich nahezu ganz aufzulösen und die Grenze zwischen Innen und Außen beginnt zu verschwimmen. Die Möglichkeiten des Leichtbaus, eine vermeintlich entmaterialisierte Architektur zu erzeugen, sind hier voll ausgeschöpft – nicht aus gestalterischem Selbstzweck, sondern aus zwei gut nachvollziehbaren Gründen: Der Eingriff in die denkmalgeschützte Landschaft wird optisch minimiert, v. a. aber können sich die Bonobos beinahe wie in freier Natur fühlen.

Einzige Einschränkung sind die sogenannten »Nahbegegnungszonen«. Sie wurden eingerichtet, weil eine Heckenbepflanzung außerhalb der Wandnetze für den nötigen Sicherheitsabstand zwischen Besuchern und Bonobos sorgt und gleichzeitig Bereiche schafft, in denen sich die Tiere den Blicken der Zuschauer entziehen können. An fünf Stellen werden Wandnetze und Hecken daher gezielt von torähnlichen Betonkonstruktionen unterbrochen, die eine Panoramascheibe aus 4 cm dickem Panzerglas umschließen. Hier können sich Mensch und Tier gegenseitig aus nächster Nähe betrachten. Diese Zonen lassen das filigrane Erscheinungsbild der restlichen Gehegehülle vermissen, sind aber nötig, damit Besucher künftig noch eine Chance haben, die Affen zu beobachten, wenn die Wandnetze hinter dichtem Grün verschwinden werden.

Alle zufrieden?

Ein paar Querelen gab es um die Baukosten. Zusammen schlugen Innen- und Außengehege mit 4 960 Euro pro m² Nutzfläche zu Buche – ein stolzes Budget, von dem Architekten etwa im öffentlichen Wohnungsbau nur träumen können. Allerdings muss man bedenken, dass es für die Planung von Affenhäusern kaum Erfahrungswerte gibt. Solche Anlagen werden nicht alle Tage errichtet, hilfreiche Standardraumprogramme, Neufert-Empfehlungen oder BKI-Daten existieren nicht. Das Bauwerk in der Wilhelma ist in vielerlei Hinsicht ein Prototyp, in den die neuesten Erkenntnisse der Primaten-Forschung eingeflossen sind und der nur in engem Austausch mit den Tierpflegern entwickelt werden konnte. Klettergeräte aus Holz, künstliche Lianen aus Feuerwehrschläuchen, ein Affenkino mit Naturfilmen – alles wurde als Spezialanfertigung hergestellt und dient dazu, den intelligenten, neugierigen Tieren trotz der Beschränkungen eines Zoogeheges ein möglichst abwechslungsreiches, artgerechtes Leben zu ermöglichen.

Und wie lautet das Urteil der Nutzer? Hat sich der Aufwand gelohnt? Leider kann man die Affen nicht befragen. Es gibt aber häufig einen Hinweis darauf, ob Zoobewohner sich in einer neuen Anlage wohlfühlen: vermehrte Fortpflanzung. Im kommenden Jahr dürften wir also genauer wissen, was die Bonobos von ihrer neuen Unterkunft halten.

db, Mo., 2014.05.19



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08. November 2013Christian Schönwetter
Bauwelt

Barock im Block

Ludwigsburg ist durch und durch Barock – mit dem Schloss im Zentrum. Dem Residenzbau gegenüber sollen Haus und Hof nun so erneuert werden, dass sie mit der Nachbarschaft mithalten können.

Ludwigsburg ist durch und durch Barock – mit dem Schloss im Zentrum. Dem Residenzbau gegenüber sollen Haus und Hof nun so erneuert werden, dass sie mit der Nachbarschaft mithalten können.

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19. November 2012Christian Schönwetter
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Fördern und fordern?

Wer im Gebäudebestand Energie sparen will, hat es nicht leicht. Wenn es darum geht, den Charakter eines Gebäudes zu bewahren, gleichzeitig die Ansprüche der EnEV und der Fördermittelgeber zu erfüllen und dann auch noch dafür zu sorgen, dass das Ganze bezahlbar bleibt, gerät man schnell zwischen die Fronten. An welchen Stellschrauben müsste gedreht werden, um beim Sanieren die Kombination von großen Einsparungen und gestalterischem Anspruch zu erleichtern?

Wer im Gebäudebestand Energie sparen will, hat es nicht leicht. Wenn es darum geht, den Charakter eines Gebäudes zu bewahren, gleichzeitig die Ansprüche der EnEV und der Fördermittelgeber zu erfüllen und dann auch noch dafür zu sorgen, dass das Ganze bezahlbar bleibt, gerät man schnell zwischen die Fronten. An welchen Stellschrauben müsste gedreht werden, um beim Sanieren die Kombination von großen Einsparungen und gestalterischem Anspruch zu erleichtern?

Läuft bei der energetischen Sanierung unseres Gebäudebestands alles rund? Mitnichten. Der Anteil an Bauten, die jährlich eine energetische Aufwertung erfahren, ist zu gering, statt einer Quote von 2 %, die im Rahmen der Energiewende in Deutschland angestrebt wird, erreichen wir nur rund 1 %. Und noch immer leidet dabei zu häufig das Aussehen der Gebäude, noch immer verschwinden zu viele Bauten, die einst mit Sorgfalt gestaltet wurden, hinter zumeist weniger sorgfältig gestalteten Dämmpaketen. Sowohl Quantität als auch Qualität der momentanen Sanierungspraxis lassen also zu wünschen übrig. Was lässt sich dagegen tun?

Dringend erforderlich ist zunächst einmal ein Überdenken der unausgegorenen Förderpolitik. Immer wieder ist es in den vergangenen Jahren vorgekommen, dass die Töpfe plötzlich leer waren, sodass Planer und Bauherren sich nicht darauf verlassen konnten, dass ihr Vorhaben tatsächlich bezuschusst wird. Hier brauchen wir mehr Verlässlichkeit, mehr Konstanz. Und wenn die Sanierungsquote steigen soll, wird man nicht umhin kommen, unterm Strich mehr Geld zur Verfügung zu stellen.

Auch die Frage der Wirtschaftlichkeit ist entscheidend. Nur wenn es gelingt, die Modernisierungen preiswerter zu gestalten als bisher, wird es eine neue Welle geben, mit der sich die angestrebte Quote erreichen lässt. Viele Eigentümer lassen sich von hohen Sanierungskosten abschrecken und unternehmen daher erst mal gar nichts. Hier gilt es, kleinere Brötchen zu backen und günstige Teilsanierungen stärker zu fördern. Es bringt in der Summe mehr, wenn zehn Bauherren 20 % Energie einsparen, als wenn ein Bauherr 100 % spart. Für Mietwohnungen hat die Deutsche Energie-Agentur dena untersucht, bis zu welchem Energiestandard sich Modernisierungen warmmietenneutral durchführen lassen. Eine Auswertung von 350 Projekten von Vorkriegsbauten bis zum 70er Jahre-Wohnblock ergab: Wenn ein Gebäude ohnehin saniert werden müsse, lasse sich der Energiebedarf um bis zu 75 % drosseln, ohne dass es für die Mieter teurer werde. Bis zu diesem Standard könne der Vermieter seine Kosten decken. Zwar müsse er die Kaltmiete um 0,82 Euro/m2 und Monat erhöhen, dem stünden aber Energiekosteneinsparungen von 0,92 Euro/m2 und Monat gegenüber. Die Warmmiete erhöhe sich also nicht.

Wird darüber hinaus dennoch eine Modernisierung auf Passiv- oder gar Plusenergiestandard angestrebt, lohnt es sich, verstärkt darüber nachzudenken, ob sich die Mehrkosten auffangen lassen, indem zusätzlicher Wohnraum geschaffen wird. Der Ausbau leer stehender Dachgeschosse, das Umwandeln von Loggien zu Wohnraum oder der Anbau von Balkonen erhöht die Gesamtwohnfläche eines Mehrfamilienhauses. Gerade in Großstädten mit ihren hohen Immobilienpreisen können Wohnbaugesellschaften auf diese Weise beim Umbau ihres Bestands ein Plus erzielen, mit dem sich die hohen Modernisierungskosten ausgleichen lassen, sodass sich die Mehrbelastung für Mieter in Grenzen hält. Energetische Prestigeprojekte sollten sich also auf Bauten mit solchen Raumreserven beschränken, wenn die Sanierung sozialverträglich bleiben und nicht zur Gentrifizierung beitragen soll.

Fördermittel als Problem

Während die Quantität der Sanierungen mit der Höhe der Fördermittel recht leicht gesteuert werden kann, wird es bei der Qualität schwieriger. Sie lässt sich nicht einfach per Finanzspritze erhöhen. Doch auch hier bietet die Förderpolitik Lenkungsmöglichkeiten, mit denen sich zumindest der unreflektierte Dämmwahn bremsen lässt. Der Bundesverband öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger BVS empfiehlt beispielsweise, die Bedingungen der KfW-Programme zur Energieeinsparung auf den Prüfstand zu stellen. Momentan vergebe die KfW Zuschüsse nur, wenn 15 % der Energie durch Wärmedämmung von Gebäuden eingespart werden. Der BVS schlägt stattdessen eine differenziertere Förderung von energiesparenden Maßnahmen vor: »Vielfach lässt sich eine Energieeinsparung von 15 % bereits durch sinnvolles Energiemanagement eines Bestandsgebäudes erreichen, ohne zusätzliche Dämmstoffe verbauen zu müssen. Für solche schonenden Maßnahmen wird aber keine KfW-Förderung gewährt.« So sei es aus Sicht eines Bauherrn wirtschaftlich sinnvoller, ein Gebäude neu zu dämmen, anstatt die bestehende Substanz und Haustechnik intelligenter aufeinander abzustimmen. »Es ist irrwitzig, dass der Verbau von größtenteils chemischen Dämmstoffen mit staatlichen Mitteln gefördert wird, während schonende Maßnahmen zur Erreichung des Ziels der Energieeinsparung nicht in den Förderprogrammen berücksichtigt werden.« Der Gesetzgeber sollte also das Ziel der Energieeinsparung fördern, nicht die Mittel zu dessen Erreichen. Fördern und fordern? Die detaillierten Forderungen, welche die KfW an die Vergabe der Fördermittel knüpft, sind das Problem, sie schränken Planer ein und erschweren ein flexibles Eingehen auf unterschiedliche Bauwerke. Nötig sind folglich ein größerer Spielraum und mehr Entscheidungsfreiheit bei der Frage, auf welchem Weg man die gebotenen Energieeinsparungen erzielen möchte.

Auch die Fixierung auf den Verbrauch gilt es zu hinterfragen. Bei Gebäuden mit erhaltenswerten Fassaden muss es nicht immer sinnvoll sein, den Wärmebedarf mit aller Gewalt zu senken. Warum nicht einen etwas höheren Verbrauch akzeptieren, diesen aber aus regenerativen Quellen decken, etwa mit Erdwärme? Auf diese Weise ließen sich genauso viel Gas, Öl und CO2-Emissionen einsparen wie mit einer Dämmung – aber ohne schädliche Nebenwirkungen auf die Gestalt des Gebäudes.

Und ohne all die Graue Energie, die in den Dämmstoffen steckt. Denn bislang wird nur der Energieverbrauch im laufenden Betrieb des Gebäudes betrachtet. Wie viel Energie hingegen während der Sanierung verloren geht, wenn alte Baustoffe entsorgt und neue, aufwendig produzierte Materialien eingebaut werden, findet keine Berücksichtigung in der EnEV und bei KfW-Förderprogrammen. Die Frage nach der energetischen Amortisation der eingesetzten Dämm- und Baustoffe stellt niemand – u.a., weil solche Ökobilanzen nur sehr aufwendig zu erstellen sind. Während es heute technisch kein großes Kunststück mehr ist, Gebäude so umzubauen, dass sie in der täglichen Nutzung kaum noch Energie verbrauchen, wird die nächste Herausforderung v. a. darin liegen, den Energiebedarf für die Konstruktion in den Griff zubekommen. Es geht darum, ressourcenschonende Baustoffe zu entwickeln und Planern Werkzeuge an die Hand zu geben, mit denen komplexe Ökobilanzen leichter zu beherrschen sind.

db, Mo., 2012.11.19



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07. Januar 2008Christian Schönwetter
Metamorphose

Freude am Sparen

Wann endlich erkennen Architekten die ungeheuren Chancen, die in der Energiespar-Thematik stecken? Sie erschließt nicht nur neue Geschäftsfelder, sondern sorgt auch dafür, dass baulich-architektonische Fragen wieder in den Fokus öffentlicher Aufmerksamkeit rücken. Und sie kann einer neuen regionaltypischen Architektur den Weg ebnen.

Wann endlich erkennen Architekten die ungeheuren Chancen, die in der Energiespar-Thematik stecken? Sie erschließt nicht nur neue Geschäftsfelder, sondern sorgt auch dafür, dass baulich-architektonische Fragen wieder in den Fokus öffentlicher Aufmerksamkeit rücken. Und sie kann einer neuen regionaltypischen Architektur den Weg ebnen.

Alle Welt redet vom Energiesparen, nur eine Gruppe hält sich vornehm zurück: Architekten. Dabei sitzen sie an den Schalthebeln, mit denen sich der Gesamtverbrauch deutlich verringern ließe. Rund 40 Prozent der Endenergie entfallen auf Gebäude. Die Planungsentscheidungen eines Architekten haben also nicht unwesentlichen Einfluss darauf, ob wir es schaffen, die ehrgeizigen Ziele zur Reduktion des Treibhauseffekts zu erreichen.
Gewaltige Förderprogramme unterstützen bauliche Maßnahmen zum Energiesparen, vor allem in den Bestand fließen erhebliche Summen. Hier tut sich ein ganz neues Betätigungsfeld für Architekten auf, es öffnet sich eine Tür für eine Berufsgruppe, die zuletzt nicht unbedingt unter einem Übermaß an Planungsaufträgen litt. Und ihre Kompetenz wird dringend benötigt, denn die durchschnittliche energetische Modernisierung – meist ohne Architekt durchgeführt – ist eher selten mit Gestaltverbesserungen verbunden (siehe Seite 18,19). Anspruchsvolle Lösungen, die bauhistorische, gestalterische und energetische Anforderungen gleichermaßen erfüllen, muss man suchen wie die Nadel im Heuhaufen. Es gibt noch viel zu tun.

Existenz sichern

Zugleich erlegt die Energiefrage dem Architekten jedoch eine neue gesamtgesellschaftliche Verantwortung auf. Sie ist nicht irgendeine, sondern vermutlich die entscheidende Herausforderung der Zukunft, sowohl aus Klimaschutzgründen, als auch, weil der Energiehunger immer schwerer zu stillen sein wird. Öl und Gas sind endliche Energiequellen und werden uns in absehbarer Zeit nicht mehr ausreichend zur Verfügung stehen. Schon jetzt treibt das Zusammenspiel von sinkendem Angebot und steigender Nachfrage durch die Schwellenländer den Preis in die Höhe. Für den Zeitpunkt, an dem die weltweiten Vorräte knapp werden, sagen pessimistische Stimmen gar einen Krieg um Öl voraus, ein Gemetzel um die letzten Reserven an fossilen Brennstoffen. Mag dieses Schreckensszenario gegenwärtig auch übertrieben erscheinen, so kann es nicht schaden, den Verbrauch rechtzeitig zu senken und sich ein Stück weit unabhängiger zu machen. Energieeffiziente Gebäude können dazu einen wesentlichen Beitrag leisten. Plötzlich geht es beim Bauen und Modernisieren um Existenzielles.
Bedenkt man, dass der Primärenergiebedarf Deutschlands zu 95 Prozent von fossilen Energieträgern gedeckt wird, und dass drei Viertel davon importiert werden müssen, so wird deutlich, dass sparsame Architektur auch helfen kann, unsere Abhängigkeit von jenen Staaten zu reduzieren, in denen nicht immer ganz lupenrein demokratische Verhältnisse herrschen. Salopp gesagt: Wer in einem Passivhaus wohnt, das kaum noch Heizenergie verbraucht, kann sich entspannt zurücklehnen, wenn Russland der Ukraine wieder einmal den Gashahn zudreht. Bauen erhält eine politische Komponente.
Und zu guter Letzt wird bei der energetischen Sanierung Geld für Arbeit und Ingenieurskunst im Inland, statt für Brennstoff-Importe aus dem Ausland ausgegeben. Bauen bekommt eine stärkere volkswirtschaftliche Bedeutung.
Es geht wieder um die großen Fragen in der Architektur. Die Arbeit des Architekten erhält eine Relevanz für die Allgemeinheit wie lange nicht mehr. Zuletzt hatte sie diese Bedeutung vielleicht in der Nachkriegszeit, als es darum ging, die zerbombten Städte wieder aufzubauen und Antworten auf die Frage zu geben, wie mit knappen Mitteln ausreichend Wohnraum geschaffen werden kann. Heute geht es darum, wie mit knappen Energiereserven umzugehen und der Klimawandel aufzuhalten ist. In diesem Kontext bietet sich die Chance, architektonische Debatten in die Öffentlichkeit zu tragen und damit mehr Menschen zu erreichen als bisher. Und vielleicht gelingt es, sie dabei auch für die ästhetischen und kulturellen Aspekte des Bauens zu interessieren, die bei einer ganzheitlichen Betrachtung von Gebäuden immer dazugehören, bislang aber außerhalb der Fachszene kaum Beachtung fanden.

An den Ort binden

Ein solcher Aspekt könnte die Frage sein, welche Auswirkungen das Energiesparen auf die Gestalt der Gebäude haben wird. Den Internationalen Stil und seine heutigen, späten Nachzügler müssen wir endgültig zu den Akten legen. Denn er entwickelte sich, als Energie im Überfluss vorhanden war. Die riesigen Glasflächen eines Seagram Building oder eines Farnsworth House, eine Architektur, die sich in solchem Ausmaß von den Gegebenheiten des Orts löste, wären vorher undenkbar gewesen. Jahrtausendelang bedeutete Bauen, sparsam mit Energie umzugehen, weil sie ein kostbares Gut war. Die Zeitspanne, in der wir uns keine Sorgen um die Energieversorgung machen mussten, neigt sich zu Ende und dürfte nur ein kurzes Kapitel in der Menschheitsgeschichte gewesen sein.
Energiebewusst Bauen heißt klimagerecht Bauen, und das Klima wechselt von Region zu Region. Die Architektur wird wieder stärker auf den Ort eingehen. In milden, sonnigen Gegenden wird man etwa bemüht sein, Solarenergie aktiv und passiv zu nutzen, die Gebäude können großzügig nach Süden verglast sein, und auf den Dächern lohnt es sich, Kollektoren zu installieren – Maßnahmen, die in kühlen, nebligen Gegenden mit geringerer Sonnenscheindauer weniger sinnvoll sind. Es dürfte ein neuer Regionalismus auf technisch höherem Niveau entstehen, ein Regionalismus 2.0, nicht aus Heimatschutz-, sondern aus Wärmeschutzgründen.
Nicht nur beim Neubau, auch beim Bauen im Bestand bietet die Energiefrage die Chance, Bauwerke besser zu verorten. Findet man etwa ein konventionelles Wohngebäude vor, dessen Öffnungen nach allen Himmelsrichtungen gleich gestaltet sind, so besteht die Möglichkeit, sie bei einem Umbau zu differenzieren und die Südfenster größer auszubilden. Ein Bau, der vorher möglicherweise beziehungslos auf dem Grundstück „schwamm“, wird auf diese Weise „festgezurrt“, steht in Beziehung zur Sonne, bietet Orientierung.

Neue Aufgaben angehen

Es gibt also viele Gründe, die momentan häufig noch etwas stiefmütterliche Behandlung der Energiesparthematik in der Architektur aufzugeben. Wem es als Motivation nicht ausreicht, am großen Ziel Klimaschutz mitzubauen, wird sich vielleicht für die Auseinandersetzung mit Energiefragen erwärmen können, wenn er die Aussicht hat, Formentscheidungen künftig energetisch begründen zu können und damit schlagkräftige Argumente für seine – nicht zuletzt auch gestalterisch motivierten – Konzepte in der Hand zu haben.

Metamorphose, Mo., 2008.01.07



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Metamorphose 2008/01 Energie sparen

07. Januar 2008Christian Schönwetter
Metamorphose

Denken statt Dämmen

Dass die Modernisierung bestehender Bauten entscheidend dazu beiträgt, die ehrgeizigen deutschen Energiesparziele zu erreichen, steht außer Frage. Doch ganze Stadtbilder drohen derzeit einem unreflektierten Dämmwahn zum Opfer zu fallen.

Dass die Modernisierung bestehender Bauten entscheidend dazu beiträgt, die ehrgeizigen deutschen Energiesparziele zu erreichen, steht außer Frage. Doch ganze Stadtbilder drohen derzeit einem unreflektierten Dämmwahn zum Opfer zu fallen.

Sparen, bis es quietscht. So muss man die Dämmwelle bezeichnen, die seit einiger Zeit unsere Städte überzieht. Ganze Siedlungen verschwinden hinter dicken Styroporpaketen, die den Energieverbrauch der Gebäude senken sollen. Nichts gegen das Energiesparen, aber ist es wirklich nötig, jeden freien Quadratmeter Fassadenfläche zu dämmen? Beim verputzten Teil des Gebäudebestands spricht in der Regel nicht viel dagegen, gerade bei Backsteinbauten jedoch geht die Patina, die lebendige Struktur, die handwerkliche Individualität der Fassade verloren. Entweder verschwindet sie hinter Wärmedämmverbundsystemen oder hinter neuen, industriell gefertigten und damit gleichförmigen Vormauerungen. Im günstigsten Fall versucht man sie nach dem Foto des Originals als dünne Oberflächenschicht nachzubilden – eine hohle Geste.
Mag dies bei Einzelgebäuden noch verschmerzbar sein, so wächst sich die Dämmwelle im urbanen Maßstab zum ernsthaften Problem aus. Die Backsteinstädte Norddeutschlands drohen in Thermohaut zu ersticken, das typische Stadtbild, das sich dort wesentlich über die Materialität der Fassaden definiert,bleibt auf der Strecke: ein breiter Identitätsverlust. Die Spitzenorganisationen des Denkmalschutzes wehren sich deshalb gegen den Energiepass für Baudenkmäler. Sie schlagen stattdessen eine Energieberatung vor, die auf den jeweiligen Einzelfall individuell eingehen kann. Denn auch sie befürchten, dass sonst „das Erscheinungsbild und/oder die Substanz von Baudenkmälern durch ungeeignete und unsachgemäße Wärmedämmmaßnahmen gefährdet werden“.(1) Doch Denkmäler stellen nur einen Anteil von ungefähr fünf Prozent des gesamten Gebäudebestandes. Die wirkliche Gefahr für das Stadtbild geht von der Modernisierung der übrigen 95 Prozent aus. Während Energiesparen im Bestand sowohl gesetzlich geregelt ist als auch durch staatliche Finanzspritzen gezielt gefördert wird, gilt für Gestaltanforderungen weder das eine noch das andere. Es bleibt dem Wohlwollen des Bauherrn überlassen, ob er stadtbildverträglich modernisiert oder nicht.

Genau hinschauen

Es zeichnet sich also ein Konflikt zwischen den Wächtern über das Klima und den Wächtern über die Baukultur ab. Die Klimafraktion betont dabei gerne, dass eine Reduktion des Treibhauseffekts nun einmal wichtiger sei als sentimentales Festhalten an der Originalanmutung alter Gebäude. Allerdings greift dieses Argument zu kurz. Denn schwer nachvollziehbar wird die Dämmwut an den Fassaden, wirft man einen genaueren Blick auf deren tatsächliches Energiesparpotenzial. Bei Modellvorhaben wurde der Verbrauch städtischer Mehrfamilienhäuser detailliert untersucht. Die Wohnungen im Erdgeschoss verbrauchten etwa doppelt, diejenigen im obersten Geschoss rund dreimal soviel Energie wie die in den mittleren Etagen (siehe auch Seite 52, 53). Die Verluste über die Außenwände machen also nur einen Bruchteil dessen aus, was über Kellerdecke und Dach verloren geht. Werden letztere ausreichend gedämmt, so kann man bei größeren Bestandsbauten mit anspruchsvoll gestalteter Fassade getrost auf eine außenliegende Dämmschicht verzichten und – falls überhaupt nötig – eine Innendämmung einbauen. Die erreicht zwar nicht die gleiche, aber eine immer noch ausreichende Wirkung.
Warum packt man so oft die Styroporkeule aus, ohne erst einmal darüber nachzudenken, wo sie sinnnvoll eingesetzt werden kann und wo nicht? Der Wohnungsbau der Gründerzeit etwa kann mit überraschend günstigen Verbrauchswerten aufwarten. Denn durch seine kompakten Gebäudeformen weist er ein hervorragendes A/V-Verhältnis auf. Bei einer geschlossenen Blockrandbebauung haben die Wohnungen der mittleren Geschosse kaum Wärmeverlustflächen. Boden, Decke und Seitenwände weisen zu benachbarten, beheizten Wohnungen, lediglich Straßen- und Hofseite verlieren Wärme an die Außenluft, aber eben deutlich weniger als gemeinhin angenommen. Gerade gründerzeitliche Fassaden dämmen nicht schlecht – dank ihrer üppigen Wandstärken. Allein mit neuen Fenstern und einer modernen Heizungsanlage lässt sich der Primärenergiebedarf einer solchen Mittelwohnung auf etwa 130 Kilowattstunden pro Quadratmeter und Jahr reduzieren. Das ist nur noch halb so viel, wie eine durchschnittliche Bestandswohnung verbraucht (ungefähr 250 Kilowattstunden) und entspricht immerhin dem Standard der Wärmeschutzverordnung von 1995, die wohlgemerkt für Neubauten formuliert wurde. Der reiche Fassadenschmuck solcher gründerzeitlicher Bauten sollte es verbieten, dort ein Wärmedämmverbundsystem einzusetzen, solange Dachboden und Kellerdecke, meist weniger ambitioniert gestaltet, geradezu nach einem dicken Dämmpaket schreien.

Verhältnisse verschoben

Während wir an der Fassade mit großem Aufwand um jede eingesparte Kilowattstunde ringen, verschließen wir die Augen vor anderen Energiefressern, derer man viel leichter Herr werden könnte: Seit Jahren ist bekannt, dass sich in Deutschland bei konsequentem Verzicht auf Stand-by-Schaltungen zwei Atomkraftwerke abschalten ließen. Ersatzlos. Elf Prozent des bundesweiten Stromverbrauchs gehen laut Bundesumweltamt auf das Konto von Leerlaufverlusten, 20 Milliarden Kilowattstunden im Jahr ließen sich sparen. Die ganze Absurdität des Dämmwahns wird deutlich, wenn man diese Zahlen einmal in Relation zum Energieverbrauch der oben beschriebenen Gründerzeitwohnung auf einer mittleren Etage setzt. Bei einer typischen Größe von 75 Quadratmetern verbraucht diese Wohnung gerade einmal 9.750 Kilowattstunden im Jahr. Mit der Energie, die wir bundesweit im Stand-by-Betrieb verpulvern, ließen sich über zwei Millionen solcher Wohnungen heizen. Zwei Millionen! Angesichts dieser Größenordnungen muss die Frage erlaubt sein, warum es nicht längst ein Gesetz gibt, dass den Stand-by-Betrieb bei neuen Geräten verbietet. Damit ließen sich mit geringstem Aufwand größte Einsparungen erzielen. Ohne schädliche Nebenwirkungen für Stadtbild und Baukultur.

(1) Architektenblatt 12/07, Seite 38

Metamorphose, Mo., 2008.01.07



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Metamorphose 2008/01 Energie sparen

28. September 2007Christian Schönwetter
Metamorphose

Mittagstisch statt Abendmahl

Nach mehreren Jahren des Leerstands hat die Bielefelder Martinikirche ihren Besitzer gewechselt: Ein Gastronom betreibt dort heute ein Restaurant mit Bar und Lounge. Wie verträgt sich die neue kommerzielle Nutzung mit dem Bestand?

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Metamorphose 2007/05 Sing Halleluja?

15. Juli 2007Christian Schönwetter
Metamorphose

Masse in Bewegung

Im französischen Atlantikstädtchen St. Nazaire versperrt ein riesiger U-Boot-Bunker den Weg vom Zentrum zum alten Hafen. Seit Jahren sucht die Stadt nach dem richtigen Umgang mit dem Nazi-Bauwerk. Auf dessen rohe, beeindruckende Gestalt reagieren LIN Architeken nun mit robusten Einbauten für eine kulturelle Nutzung.

Im französischen Atlantikstädtchen St. Nazaire versperrt ein riesiger U-Boot-Bunker den Weg vom Zentrum zum alten Hafen. Seit Jahren sucht die Stadt nach dem richtigen Umgang mit dem Nazi-Bauwerk. Auf dessen rohe, beeindruckende Gestalt reagieren LIN Architeken nun mit robusten Einbauten für eine kulturelle Nutzung.

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Umnutzung U-Boot-Bunker



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Metamorphose 2007/04 Beton

15. Mai 2007Christian Schönwetter
Metamorphose

Einheit und Vielfalt

Im Rahmen eines Komplettumbaus hat Max Dudler einer Hochhausscheibe im Frankfurter Westend ein neues Gesicht gegeben. Erstmals verzichtet er auf Naturstein zugunsten einer reinen Alu-Glasfassade. Das neue Kleid erhöht nicht nur den Marktwert des Gebäudes, sondern verbessert auch auf subtile Weise den Bezug zur Umgebung.

Im Rahmen eines Komplettumbaus hat Max Dudler einer Hochhausscheibe im Frankfurter Westend ein neues Gesicht gegeben. Erstmals verzichtet er auf Naturstein zugunsten einer reinen Alu-Glasfassade. Das neue Kleid erhöht nicht nur den Marktwert des Gebäudes, sondern verbessert auch auf subtile Weise den Bezug zur Umgebung.

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Metamorphose 2007/03 Bürotürme

15. März 2007Christian Schönwetter
Metamorphose

Mehr als nur Aufhübschen

Die großen Privatsender schicken immer mehr Magazine über den Äther, in denen Eigenheime auf Vordermann gebracht werden. Wir haben bei den Dreharbeiten von „Zuhause im Glück“ hinter die Kulissen geschaut. Gibt es als Architekt etwas von der populären Umbau-Sendung zu lernen? Leistet das Format einen Beitrag zur Baukultur?

Die großen Privatsender schicken immer mehr Magazine über den Äther, in denen Eigenheime auf Vordermann gebracht werden. Wir haben bei den Dreharbeiten von „Zuhause im Glück“ hinter die Kulissen geschaut. Gibt es als Architekt etwas von der populären Umbau-Sendung zu lernen? Leistet das Format einen Beitrag zur Baukultur?

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Metamorphose 2007/02 Upgrade Wohnen

28. Januar 2007Christian Schönwetter
Metamorphose

Rock im Ring

Lokomotivschuppen, Gin-Lager, legendärer Treffpunkt der Londoner Alternativkultur – das Roundhouse blickt auf eine wechselvolle Geschichte von rund 160 Jahren zurück. Nach einer langen Zeit des Leerstands beherbergt es heute ein Kultur- und Jugendzentrum. Verantwortlich für den einfühlsamen Umbau ist das Londoner Architekturbüro John McAslan Architects.

Lokomotivschuppen, Gin-Lager, legendärer Treffpunkt der Londoner Alternativkultur – das Roundhouse blickt auf eine wechselvolle Geschichte von rund 160 Jahren zurück. Nach einer langen Zeit des Leerstands beherbergt es heute ein Kultur- und Jugendzentrum. Verantwortlich für den einfühlsamen Umbau ist das Londoner Architekturbüro John McAslan Architects.

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Metamorphose 2007/01 Industrie -> Kultur

07. Dezember 2006Christian Schönwetter
Bauwelt

Vom bewohnten Ausstellungsstück zum Weißenhofmuseum. Das Haus Le Corbusier

Seit dem 25. Oktober ist das Doppelhaus, das Le Corbusier am Rande der Stuttgarter Weißenhofsiedlung errichtet hat, als Museum öffentlich zugänglich. Die...

Seit dem 25. Oktober ist das Doppelhaus, das Le Corbusier am Rande der Stuttgarter Weißenhofsiedlung errichtet hat, als Museum öffentlich zugänglich. Die...

Seit dem 25. Oktober ist das Doppelhaus, das Le Corbusier am Rande der Stuttgarter Weißenhofsiedlung errichtet hat, als Museum öffentlich zugänglich. Die eine Haushälfte fungiert dabei als begehbares Exponat und führt den Zustand des Hauses von 1927 vor, der bei der Sanierung und Teilrekonstruktion des Gebäudes unter Leitung des Büros Architektur 109, Stuttgart, gewissenhaft wiederhergestellt wurde (Heft 4). Die andere Hälfte, in der auch bauliche Änderungen erhalten blieben, die die Bewohner im Laufe der letzten 80 Jahre an dem Haus vorgenommen hatten, beherbergt jetzt eine Ausstellung über die Geschichte der Weißenhofsiedlung von 1907 bis 2007. Auf die Schwierigkeit, die Fülle an Informationen auf wenig Fläche unterzubringen, reagierte das mit der Gestaltung der Schau betraute Stuttgarter Büro space 4 mit einer gläsernen Ausstellungsarchitektur. Sie ist den Volumina der nicht mehr vorhandenen Originaleinbauten nachempfunden und verhindert dank ihrer Transparenz klaustrophobische Gefühle in den zum Teil sehr engen Räumen.

Erstmals ist nun also eines der Weißenhofhäuser auch von innen komplett zu besichtigen, erstmals lassen sich die damaligen Vorschläge für ein neuartiges Wohnen im Maßstab 1:1 erfahren – und der Besucher beginnt zu ahnen, weshalb die Gebäude zu ihrer Entstehungszeit auf wenig Verständnis stießen: Zumindest das Corbusier-Haus ist ein Beton gewordener Widerspruch in sich. Wirkt es von außen sehr großzügig, so bietet es im Inneren erstaunlich we¬nig Platz. Le Corbusier dreht die Prinzipien wirtschaftlichen Bauens um: In einem maximalen Volumen bringt er eine minimale Wohnfläche unter. Einerseits bietet er der gebildeten Mittelschicht, für die er das Haus entwarf, eine luxuriöse Terrasse auf dem Dach und ein Dienstmädchenzimmer im Erdgeschoss; andererseits mutet er ihr im mittleren Stockwerk Minimalgrundrisse zu, die noch hinter den Standard des sozialen Wohnungsbaus zurückweichen. Wo sonst misst die Breite eines Flurs weniger als 60 Zentimeter, wo sonst werden Wohn- und Schlafzimmer in einem einzigen Raum zusammengelegt? Le Corbusier entwickelt dafür ein Einbaumöbel, in dem die Betten tagsüber verschwinden sollen. Der Sinn dieses Details will sich vor Ort jedoch nicht recht erschießen. Denn der überwiegende Teil des Raums lässt sich bei Tag nur als Bewegungsfläche nutzen und gar nicht möblieren – da abends die Betten wieder aufgestellt werden müssen.

Um den nach Osten orientierten Raum großzügiger wirken zu lassen, gibt der Architekt dem angrenzenden Flur eine niedrigere Höhe und lässt den Wohn-Schlafraum mittels einer Nische oberhalb des Korridors bis an die Westfassade des Hauses reichen. Doch warum verschenkt er dann die Chance, dort Fenster anzuordnen, den Wohnraum damit von zwei Seiten zu belichten und vor allem die Abendsonne in den Hauptaufenthaltsbereich des Gebäudes scheinen zu lassen? Fiel ein solcher Ansatz vielleicht einer Sparmaßnahme zum Opfer? Auch der Umgang mit dem Bandfenster an der Ostseite wirft Fragen auf. Betritt man das Wohngeschoss, bietet das Glasband einen einmaligen Panoramablick weit über Stuttgart und das Neckartal. Doch setzt man sich an den Esstisch, ist es mit der Aussicht schnell vorbei – die Brüstung ist zu hoch. Bedenkt man, dass die Menschen 1927 durchschnittlich einige Zentimeter kleiner waren als heute, so konnten sie wahrscheinlich nur in den Himmel schauen; erst recht, wenn sie statt auf einem Esstischstuhl gar auf einem Sessel oder Sofa Platz nahmen. Hatte Le Corbusier, als er das Fenster plante, möglicherweise weniger das Wohnen im Hinterkopf als die Ausstellung über das Wohnen? Denn die halbe Million Besucher, die sich von Juli bis Ok-tober 1927 durch die Häuser der Weißenhofausstellung schoben, erlebten das Bauwerk natürlich in erster Linie im Gehen und Stehen – und nicht im Sitzen.
Die Nutzungsgeschichte des Bauwerks, das in nur acht Monaten entworfen, geplant und errichtet wurde, zeigt, dass es für eine mehrköpfige Familie letztlich unbrauchbar war, da es wegen des offenen Grundrisses keinerlei Rückzugsmöglichkeiten bot. Das Haus wurde – wie die gesamte Siedlung – gebaut, um neue Ideen vorzuführen: ein Wohnexperiment. Und Experimente dürfen scheitern.

Bauwelt, Do., 2006.12.07



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