Holzparkhaus in Wendlingen am Neckar
Brauchen wir heute überhaupt noch Parkhäuser oder müssten wir den Individualverkehr nicht konsequenter aus den Städten verbannen? Von der frühen Faszination für diese Bauaufgabe ist jedenfalls schon lange nicht mehr viel zu spüren. Dass man Parkhäuser jedoch ganz anders denken und entwerfen kann, zeigt ein Holzparkhaus in Wendlingen am Neckar.
Brauchen wir heute überhaupt noch Parkhäuser oder müssten wir den Individualverkehr nicht konsequenter aus den Städten verbannen? Von der frühen Faszination für diese Bauaufgabe ist jedenfalls schon lange nicht mehr viel zu spüren. Dass man Parkhäuser jedoch ganz anders denken und entwerfen kann, zeigt ein Holzparkhaus in Wendlingen am Neckar.
Gut siebzig Jahre ist es her, dass in Deutschland die ersten Parkgaragen entstanden sind und eine der schillerndsten davon war sicher die 1952 erbaute Haniel Garage in Düsseldorf von Paul Schneider von Esleben. Er schuf den Autos etwas vollkommen Neues, wählte dazu eine auffallend filigrane, transparente Architektur mit einer umlaufenden, gläsernen Haut und einer Zufahrtsrampe, die höchst elegant an dünnen Stahlseilen vom Betonrahmen des auskragenden Daches hing. Fast schon greifbar wurde hier die Faszination des Architekten für diese streng funktional geprägte Bauaufgabe. Von dieser Euphorie für die Parkgaragen ist jedoch sehr schnell nur noch wenig geblieben: Spätestens seit den 1960er und 1970er Jahren mutierten Parkhäuser zu oft brutalistischen, in Beton gegossenen, gesichtslosen Zweckbauten. In jeder deutschen Metropole sind in diesem Stil – angetrieben vom Leitbild der autogerechten Stadt – unzählige Parkhäuser entstanden, die an der schon 1968 herausgestellten »Unwirtlichkeit unserer Städte« nicht ganz unbeteiligt waren. Und bis heute hat sich an deren Ästhetik nichts Entscheidendes geändert: Hier und da findet man zwar kosmetisch aufgehübschte Parkhausfassaden, oder gerne auch Stahl- statt Betonkonstruktionen, doch vielerorts sind es jene banalen, altvertrauten Funktionsbauten geblieben. Nein, eine Königsdisziplin ist der Entwurf eines Parkhauses für Architekt:innen schon lange nicht mehr, zumal der private Individualverkehr in den Stadtzentren zunehmend kritisch betrachtet und damit auch der Bautyp per se infrage gestellt wird.
Zukunftsfähiger Stadtbaustein
Umso erfreulicher, dass mit dem Holzparkhaus in Wendlingen – rund 30 km von Stuttgart – ein Neubau entstanden ist, der zeigt, wie diese Bauaufgabe auch komplett neu und anders gedacht werden kann. Dieser hat tatsächlich das Potenzial, den Bautyp Parkhaus aus seiner Agonie herauszulösen und zu einem überraschend flexiblen, zukunftsfähigen Stadtbaustein werden zu lassen. Der Ort, an dem das neue Parkhaus errichtet wurde, könnte nicht passender sein: Flankiert von einer mächtigen Hochstraße, dem nahegelegenen Bahnhof, einer Tankstelle und dem ehemaligen Industrieareal einer Weberei, auf dem in den kommenden Jahren ein Wohnquartier (OTTO-Areal) entstehen soll, trifft man hier auf so ziemlich alles, was den verzwickten Städtebau eines kleinstädtischen Ortes ausmacht. Die Stimmung, die dieser Ort verströmt, lässt einen eher denken: Besser schnell vorbeigehen! Doch statt ins »Business as usual« zu verfallen, ist es herrmann+bosch Architekten gelungen, dieses gut 18 m hohe Parkhaus in einen Grund zum Stehenbleiben zu verwandeln. Auf fünf Ebenen bietet das neue Haus insgesamt 349 Stellplätze für Autos, 20 Ladestationen für E-Autos und E-Bikes sowie 200 Fahrradstellplätze. Und schon bei der ersten Annäherung fällt es durch seine ovale Form und die Präsenz seiner sichtbaren Holzkonstruktion auf. Alles wirkt irgendwie anders: offener, großzügiger, einladender.
Überraschend offen und atmosphärisch anders
Der Startschuss für den Holzhybridbau fiel vor rund vier Jahren: Nach einem VgV-Verfahren im September 2020 wurde zunächst einmal geprüft, ob nicht ein Stahl- oder Betonparkhaus die kostengünstigere Variante wäre. Aber auch hier konnte die deutlich nachhaltigere Konstruktion aus BrettsperrholzDecken und Brettschichtholz-Stützen überzeugen. In Zusammenarbeit mit den Ingenieur:innen von knippershelbig wurde für die Konstruktion ein modulares System gewählt, das einen hohen Vorfertigungsgrad besitzt und sich an gängigen Stahlparkhäusern orientiert. Nur die Rampen in der Mitte des Parkhauses sowie die beiden dezentralen, als Fluchtwege konzipierten Treppenhäuser erinnern jetzt noch an das »Betonzeitalter« – sie wurden aus Gründen der Statik und des Brandschutzes in Beton ausgeführt. Bezogen auf die gesamte Kubatur ergibt sich ein Verhältnis von nur einem Drittel Beton zu zwei Dritteln Holz. Zusammen mit den beiden Erschließungskernen sorgen die L-förmigen Brettschichtholz-Stützen für die erforderliche Queraussteifung des fünfgeschossigen Hauses. Überraschend offen und großzügig wirken die Parkebenen, denn störende, direkt an den Stellplätzen positionierte Stützen, sucht man vergeblich. Die 108 cm hohen Träger aus Brettschichtholz, die über Steckverbindungen auf den L-förmigen Stützen aufliegen, überspannen vom Zentrum aus eine Länge von beachtlichen 16 m. Auf diesen dominanten Hauptträgern liegen die Geschossdecken aus 12 cm starkem Brettsperrholz, die mit einem 3,5 cm starken Fahrbahnbelag aus Gussasphalt belegt wurden. Da sämtliche Verbindungen gesteckt oder geschraubt sind, könnte das Parkhaus auch leicht wieder demontiert werden. Zudem wurde der Holzhybrid als sortenreine Konstruktion ohne Verbundmaterialien entwickelt. Dass Holz als nachwachsender Baustoff CO2 einspart und bindet, ist hinlänglich bekannt. Erstaunlich ist die im Vergleich zu Stahl und Beton merklich andere räumliche Atmosphäre, die sich auch in diesem, nur aus Holzstützen und -trägern konstruierten Parkhaus entfaltet: Die Haptik durch die sichtbar belassenen Oberflächen, die spürbar andere Wärme, die mit dem Material Holz einhergeht und sein »Schmeicheln der menschlichen Sinne«1 können auch hier nachempfunden werden.
Flexibilität und Klarheit in der Nutzung
Im Parkhaus angekommen, nimmt man schnell die klare innenräumliche Orientierung wahr, die sich aus der stützenreduzierten Konstruktion ergibt. Und man spürt auch, wie die bewusst gewählte, lichte Raumhöhe von 2,35 m anstelle der üblichen 2,10 m erstaunlich großzügige Räume für die Autos schafft – zwischen den Trägern sind es sogar rund 3,40 m. Doch auch diese größere Höhe hat ihren Grund. Nicht etwa, weil es in Wendlingen besonders hohe SUVs geben würde, sondern weil sich das Parkhaus zu einem Wohn- oder Bürohaus wandeln kann. Für diese möglichen Umnutzungen können die zentralen Rampen entfernt und durch einen großzügigen Innenhof, der die angrenzenden Räume mit Tageslicht versorgt, ersetzt werden. Dieses Konzept einer vollkommen neuen, flexiblen Nutzung bietet großes Potenzial und stärkt den Ansatz der nachhaltigen Holzbauweise. Könnte das nicht eine Referenz für viele andere Parkhäuser sein? Gewiss, die trapezförmigen Stellplätze, die aus der ovalen Form resultieren, sind etwas gewöhnungsbedürftig – schließlich ist die Einfahrt in manche Plätze durch diese Geometrie etwas schmal. Doch es ging hier natürlich auch darum, möglichst viele Stellplätze unterzubringen. Die besondere Form, so argumentieren die Architekten, würde sich aus dem spezifischen Kontext heraus ergeben. Aber genau dieser Punkt lässt sich – angesichts dieses »zerfahrenen« Ortes – recht schwer nachvollziehen. Vielmehr könnte diese wohldurchdachte und elegante Form samt ihrer Konstruktion zur Nachahmung an einer beliebig anderen Stelle inspirieren. Das spezifische Reagieren auf den Ort kann dann gerne die Fassade übernehmen. Auch in Wendlingen sorgt schließlich die individuell gestaltete Fassade dafür, dass die geplante Wohnbebauung vorausschauend durch transluzentes Profilglas an dieser Parkhausseite vor blendenden Scheinwerfern und neugierigen Blicken geschützt wird, dass sich das Parkhaus in Verlängerung der Rampe großzügig zur Stadt öffnet und dass es zur Seite der Hochstraße ein Edelstahl-Seilnetz als Rankgerüst für Kletterpflanzen gibt. Mit diesen einfachen Mitteln reagiert das Haus ganz unprätentiös auf seinen schwierigen Kontext, verankert sich auf seinem Grundstück – und wirkt überdies auch noch als willkommener Lärmschutz für die geplante Wohnbebauung.
Für das »Haus ohne Vorbilder« war nicht nur Überzeugungsarbeit beim Bauherrn erforderlich – insbesondere auch beim Thema Brandschutz –, sondern v. a. auch Mut für das Neue. Nur so konnten herrmann+bosch architekten zu dieser zukunftsfähigen Lösung gelangen. Nicht ohne Grund wurde das Wendlinger Holzparkhaus bereits 2023 als offizielles Projekt der IBA’27 in Stuttgart ausgewählt, als »Brücke in eine Zukunft für weniger Autos«. Den Geist, der sich aus diesem Parkhaus herauslesen lässt, hat Hermann Hesse trefflich beschrieben: »Es darf uns nicht daran liegen, das Vergangene zu halten oder zu kopieren, sondern wandlungsfähig das Neue zu erleben und mit unseren Kräften dabeizusein.«²
db, Di., 2024.10.01
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