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01. Oktober 2024Hans-Jürgen Breuning
db

Holzparkhaus in Wendlingen am Neckar

Brauchen wir heute überhaupt noch Parkhäuser oder müssten wir den Individualverkehr nicht konsequenter aus den Städten verbannen? Von der frühen Faszination für diese Bauaufgabe ist jedenfalls schon lange nicht mehr viel zu spüren. Dass man Parkhäuser jedoch ganz anders denken und entwerfen kann, zeigt ein Holzparkhaus in Wendlingen am Neckar.

Brauchen wir heute überhaupt noch Parkhäuser oder müssten wir den Individualverkehr nicht konsequenter aus den Städten verbannen? Von der frühen Faszination für diese Bauaufgabe ist jedenfalls schon lange nicht mehr viel zu spüren. Dass man Parkhäuser jedoch ganz anders denken und entwerfen kann, zeigt ein Holzparkhaus in Wendlingen am Neckar.

Gut siebzig Jahre ist es her, dass in Deutschland die ersten Parkgaragen entstanden sind und eine der schillerndsten davon war sicher die 1952 erbaute Haniel Garage in Düsseldorf von Paul Schneider von Esleben. Er schuf den Autos etwas vollkommen Neues, wählte dazu eine auffallend filigrane, transparente Architektur mit einer umlaufenden, gläsernen Haut und einer Zufahrtsrampe, die höchst elegant an dünnen Stahlseilen vom Betonrahmen des auskragenden Daches hing. Fast schon greifbar wurde hier die Faszination des Architekten für diese streng funktional geprägte Bauaufgabe. Von dieser Euphorie für die Parkgaragen ist jedoch sehr schnell nur noch wenig geblieben: Spätestens seit den 1960er und 1970er Jahren mutierten Parkhäuser zu oft brutalistischen, in Beton gegossenen, gesichtslosen Zweckbauten. In jeder deutschen Metropole sind in diesem Stil – angetrieben vom Leitbild der autogerechten Stadt – unzählige Parkhäuser entstanden, die an der schon 1968 herausgestellten »Unwirtlichkeit unserer Städte« nicht ganz unbeteiligt waren. Und bis heute hat sich an deren Ästhetik nichts Entscheidendes geändert: Hier und da findet man zwar kosmetisch aufgehübschte Parkhausfassaden, oder gerne auch Stahl- statt Betonkonstruktionen, doch vielerorts sind es jene banalen, altvertrauten Funktionsbauten geblieben. Nein, eine Königsdisziplin ist der Entwurf eines Parkhauses für Architekt:innen schon lange nicht mehr, zumal der private Individualverkehr in den Stadtzentren zunehmend kritisch betrachtet und damit auch der Bautyp per se infrage gestellt wird.
Zukunftsfähiger Stadtbaustein

Umso erfreulicher, dass mit dem Holzparkhaus in Wendlingen – rund 30 km von Stuttgart – ein Neubau entstanden ist, der zeigt, wie diese Bauaufgabe auch komplett neu und anders gedacht werden kann. Dieser hat tatsächlich das Potenzial, den Bautyp Parkhaus aus seiner Agonie herauszulösen und zu einem überraschend flexiblen, zukunftsfähigen Stadtbaustein werden zu lassen. Der Ort, an dem das neue Parkhaus errichtet wurde, könnte nicht passender sein: Flankiert von einer mächtigen Hochstraße, dem nahegelegenen Bahnhof, einer Tankstelle und dem ehemaligen Industrieareal einer Weberei, auf dem in den kommenden Jahren ein Wohnquartier (OTTO-Areal) entstehen soll, trifft man hier auf so ziemlich alles, was den verzwickten Städtebau eines kleinstädtischen Ortes ausmacht. Die Stimmung, die dieser Ort verströmt, lässt einen eher denken: Besser schnell vorbeigehen! Doch statt ins »Business as usual« zu verfallen, ist es herrmann+bosch Architekten gelungen, dieses gut 18 m hohe Parkhaus in einen Grund zum Stehenbleiben zu verwandeln. Auf fünf Ebenen bietet das neue Haus insgesamt 349 Stellplätze für Autos, 20 Ladestationen für E-Autos und E-Bikes sowie 200 Fahrradstellplätze. Und schon bei der ersten Annäherung fällt es durch seine ovale Form und die Präsenz seiner sichtbaren Holzkonstruktion auf. Alles wirkt irgendwie anders: offener, großzügiger, einladender.
Überraschend offen und atmosphärisch anders

Der Startschuss für den Holzhybridbau fiel vor rund vier Jahren: Nach einem VgV-Verfahren im September 2020 wurde zunächst einmal geprüft, ob nicht ein Stahl- oder Betonparkhaus die kostengünstigere Variante wäre. Aber auch hier konnte die deutlich nachhaltigere Konstruktion aus BrettsperrholzDecken und Brettschichtholz-Stützen überzeugen. In Zusammenarbeit mit den Ingenieur:innen von knippershelbig wurde für die Konstruktion ein modulares System gewählt, das einen hohen Vorfertigungsgrad besitzt und sich an gängigen Stahlparkhäusern orientiert. Nur die Rampen in der Mitte des Parkhauses sowie die beiden dezentralen, als Fluchtwege konzipierten Treppenhäuser erinnern jetzt noch an das »Betonzeitalter« – sie wurden aus Gründen der Statik und des Brandschutzes in Beton ausgeführt. Bezogen auf die gesamte Kubatur ergibt sich ein Verhältnis von nur einem Drittel Beton zu zwei Dritteln Holz. Zusammen mit den beiden Erschließungskernen sorgen die L-förmigen Brettschichtholz-Stützen für die erforderliche Queraussteifung des fünfgeschossigen Hauses. Überraschend offen und großzügig wirken die Parkebenen, denn störende, direkt an den Stellplätzen positionierte Stützen, sucht man vergeblich. Die 108 cm hohen Träger aus Brettschichtholz, die über Steckverbindungen auf den L-förmigen Stützen aufliegen, überspannen vom Zentrum aus eine Länge von beachtlichen 16 m. Auf diesen dominanten Hauptträgern liegen die Geschossdecken aus 12 cm starkem Brettsperrholz, die mit einem 3,5 cm starken Fahrbahnbelag aus Gussasphalt belegt wurden. Da sämtliche Verbindungen gesteckt oder geschraubt sind, könnte das Parkhaus auch leicht wieder demontiert werden. Zudem wurde der Holzhybrid als sortenreine Konstruktion ohne Verbundmaterialien entwickelt. Dass Holz als nachwachsender Baustoff CO2 einspart und bindet, ist hinlänglich bekannt. Erstaunlich ist die im Vergleich zu Stahl und Beton merklich andere räumliche Atmosphäre, die sich auch in diesem, nur aus Holzstützen und -trägern konstruierten Parkhaus entfaltet: Die Haptik durch die sichtbar belassenen Oberflächen, die spürbar andere Wärme, die mit dem Material Holz einhergeht und sein »Schmeicheln der menschlichen Sinne«1 können auch hier nachempfunden werden.
Flexibilität und Klarheit in der Nutzung

Im Parkhaus angekommen, nimmt man schnell die klare innenräumliche Orientierung wahr, die sich aus der stützenreduzierten Konstruktion ergibt. Und man spürt auch, wie die bewusst gewählte, lichte Raumhöhe von 2,35 m anstelle der üblichen 2,10 m erstaunlich großzügige Räume für die Autos schafft – zwischen den Trägern sind es sogar rund 3,40 m. Doch auch diese größere Höhe hat ihren Grund. Nicht etwa, weil es in Wendlingen besonders hohe SUVs geben würde, sondern weil sich das Parkhaus zu einem Wohn- oder Bürohaus wandeln kann. Für diese möglichen Umnutzungen können die zentralen Rampen entfernt und durch einen großzügigen Innenhof, der die angrenzenden Räume mit Tageslicht versorgt, ersetzt werden. Dieses Konzept einer vollkommen neuen, flexiblen Nutzung bietet großes Potenzial und stärkt den Ansatz der nachhaltigen Holzbauweise. Könnte das nicht eine Referenz für viele andere Parkhäuser sein? Gewiss, die trapezförmigen Stellplätze, die aus der ovalen Form resultieren, sind etwas gewöhnungsbedürftig – schließlich ist die Einfahrt in manche Plätze durch diese Geometrie etwas schmal. Doch es ging hier natürlich auch darum, möglichst viele Stellplätze unterzubringen. Die besondere Form, so argumentieren die Architekten, würde sich aus dem spezifischen Kontext heraus ergeben. Aber genau dieser Punkt lässt sich – angesichts dieses »zerfahrenen« Ortes – recht schwer nachvollziehen. Vielmehr könnte diese wohldurchdachte und elegante Form samt ihrer Konstruktion zur Nachahmung an einer beliebig anderen Stelle inspirieren. Das spezifische Reagieren auf den Ort kann dann gerne die Fassade übernehmen. Auch in Wendlingen sorgt schließlich die individuell gestaltete Fassade dafür, dass die geplante Wohnbebauung vorausschauend durch transluzentes Profilglas an dieser Parkhausseite vor blendenden Scheinwerfern und neugierigen Blicken geschützt wird, dass sich das Parkhaus in Verlängerung der Rampe großzügig zur Stadt öffnet und dass es zur Seite der Hochstraße ein Edelstahl-Seilnetz als Rankgerüst für Kletterpflanzen gibt. Mit diesen einfachen Mitteln reagiert das Haus ganz unprätentiös auf seinen schwierigen Kontext, verankert sich auf seinem Grundstück – und wirkt überdies auch noch als willkommener Lärmschutz für die geplante Wohnbebauung.

Für das »Haus ohne Vorbilder« war nicht nur Überzeugungsarbeit beim Bauherrn erforderlich – insbesondere auch beim Thema Brandschutz –, sondern v. a. auch Mut für das Neue. Nur so konnten herrmann+bosch architekten zu dieser zukunftsfähigen Lösung gelangen. Nicht ohne Grund wurde das Wendlinger Holzparkhaus bereits 2023 als offizielles Projekt der IBA’27 in Stuttgart ausgewählt, als »Brücke in eine Zukunft für weniger Autos«. Den Geist, der sich aus diesem Parkhaus herauslesen lässt, hat Hermann Hesse trefflich beschrieben: »Es darf uns nicht daran liegen, das Vergangene zu halten oder zu kopieren, sondern wandlungsfähig das Neue zu erleben und mit unseren Kräften dabeizusein.«²

db, Di., 2024.10.01



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db 2024|10 Mobilität

06. September 2006Hans-Jürgen Breuning
db

Wohn- und Bürohaus in Basel

Eine Baulücke mit einem dahinter liegenden bauhistorischen Kleinod war die Herausforderung, vor die sich die Architekten gestellt sahen. Sie verbanden Neubau und Bestand zu einem harmonischen Ganzen und gaben diesem zur Straßenseite ein neues eigenständiges Gesicht – mit Respekt vor der Substanz.

Eine Baulücke mit einem dahinter liegenden bauhistorischen Kleinod war die Herausforderung, vor die sich die Architekten gestellt sahen. Sie verbanden Neubau und Bestand zu einem harmonischen Ganzen und gaben diesem zur Straßenseite ein neues eigenständiges Gesicht – mit Respekt vor der Substanz.

»Wenn dein Haus gute Nachbarn hat, bist du zu gleicher Güte verpflichtet, sind sie aber schlecht und aufgeblasen, so kann es nur durch Vornehmheit, die immer in schlichter Größe liegt, gegen jene bestehen.«[1] Diesen wichtigen Hinweis für eine gute Nachbarschaft gab Paul Schmitthenner schon vor mehr als siebzig Jahren. Doch was ist zu tun, wenn sich vor einem historischen Altbauensemble eine äußerst schmale Baulücke auftut? Sollte man auch diese Fuge mit schlichter Größe schließen, um gegen die Nachbarn zu bestehen? Mitten in Basels Altstadt, gegenüber dem Gerichtshof, standen Diener & Diener Architekten genau vor dieser Frage: Ein Haus, dessen lange Geschichte mehr als 700 Jahre zurückreicht, sollte mit zeitgemäßen Mitteln umgebaut und erweitert werden. Die hochaufragenden Brandwände der betagten Nachbarn gaben jedoch nur noch eine knapp acht Meter breite Lücke frei – dazwischen musste mit dem Bestand des historischen Gebäudes ein modernes Wohn- und Bürohaus entstehen. Und die konzeptionelle Herausforderung begann gleich vorne an der Schauseite zur Straße: Das zurückgesetzte Haus wurde dort kaum mehr wahrgenommen, weil ein zweigeschossiger Vorbau aus dem 19. Jahrhundert die Straßenflucht säumte und die schmale Lücke wenig elegant vernähte. Vorne eine große Vitrine, dahinter versteckt die gotische Fassade des Altbaus. Diese merkwürdige Fügung machte schon auf den ersten Blick neugierig: Es schien ein Haus zu sein, das noch mehr Überraschungen bereithielt und immer noch -hält. Heute fällt schon beim Näherkommen in der Bäumleingasse auf, mit welchem Selbstverständnis sich die Architekten dieser diffizilen Bauaufgabe stellten. Eine plastisch gefügte Konstruktion aus braunem, durchgefärbtem Beton bildet den ruhigen homogenen Rahmen der neuen Fassade und schließt den Straßenraum bündig ab. Die farbliche Analogie zu den dunklen Sandsteinbauten der Altstadt trägt mit dazu bei, dass sich der Neubau wie selbstverständlich einfügt. Raumhohe Verglasungen, die den leichten Knick der Bäumleingasse nachempfinden, machen gleichwohl deutlich, dass es sich hier um ein modernes Haus handelt. Der neue, schlichte Baukörper stellt sich vor den 1461 errichteten, mittelalterlichen Teil des Hauses. Erst dahinter liegt der »Nukleus«, ein einst dreigeschossiger Wohnturm aus dem 13. Jahrhundert.

Beim Betreten des Gebäudes treten immer wieder Spuren aus dem Hoch- und Spätmittelalter hervor – auch eine barocke Treppe kann man noch entdecken. Patinierter Kalkputz, Holzdielenboden und Deckenbalken aus Tannenholz dominieren die warme Materialität der Innenräume. Ein schmaler Flur führt durch den historischen Kern des Hauses. Ihm folgt ein kleiner, nur vier Meter breiter Erschließungsbau, der die neue Treppe und den Fahrstuhl aufnimmt und Platz für einen Patio lässt. Dahinter fügten die Architekten einen Baukörper, dessen raumhohe Verglasungen mit dem Vorbau an der Bäumleingasse korrespondieren, passgenau in die Baulücke ein. Während sich im Erdgeschoss an der Straßenseite ein Laden befindet, sind alle weiteren Räume von Büros und zwei großzügig geschnittenen Wohnungen genutzt. Trotz der stets klar begrenzten Raumkanten hat man jedoch nie das Gefühl, dass hier der Denkmalschutz das Alte zwanghaft vor dem Abbruch bewahrt hat, dass ein dunkles, kaum nutzbares Haus entstanden ist. Im Gegenteil, das Miteinander von Alt und Neu wirkt erstaunlich großzügig.

Die Komposition der Räume auf der schmalen Parzelle ist konsequent und schlüssig. Sie lebt von der Dialektik der historischen Schichten des Ensembles. Das Neue geht nicht auf Distanz zur Geschichte, es arbeitet nicht mit Trennungsfugen, die das additive Fügen betonen. Die Architekten bauen vielmehr im Dialog mit dem Alten, ohne dabei einem Historismus zu verfallen. Mit ihrer klaren reduzierten Sprache formulieren sie einen spannungsreichen Kontrast zur Kleinteiligkeit und Detailverliebtheit des Alten: Hier die solide Lochfassade mit den tiefen Fensterlaibungen, die florale Motivik der historischen Stuckdecken und die freigelegten, bemalten Deckenbalken – dort die filigrane Glasfassade, der gefärbte Hartbetonbelag und die homogen verputzten Oberflächen. Dies alles ohne Berührungsängste miteinander verbunden und die Durchgänge nur dort verändert, wo es erforderlich war.

Kein Zweifel, neben der privilegierten Lage in der Stadt verfügt das Haus auch über hohe gestalterische Qualitäten. Kritisch könnte man allenfalls das komplette Verpacken des historischen Kerns betrachten, da dessen Fassade nur noch vom Patio erlebbar wird. Doch beim Blick aus dem Straßenraum blieb der über Jahre leer stehende und marode gewordene Altbau ohnehin schon lange versteckt. Die entscheidende Frage, wie man mit alter Bausubstanz umgeht, wie man diese weiterbaut, ohne mit der Vergangenheit zu kokettieren, wurde überzeugend umgesetzt. Wenngleich die Nachbarn weder schlecht noch aufgeblasen sind, besticht dieses Gebäude durch »schlichte Größe«: Die Schauseite wirkt unprätentiös und zurückhaltend und lässt die Passanten nur erahnen, dass es sich hier um ein ganz besonderes Haus handelt.

db, Mi., 2006.09.06



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Wohn- und Bürohaus in Basel



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db 2006|09 Lücken in der Stadt

Presseschau 12

01. Oktober 2024Hans-Jürgen Breuning
db

Holzparkhaus in Wendlingen am Neckar

Brauchen wir heute überhaupt noch Parkhäuser oder müssten wir den Individualverkehr nicht konsequenter aus den Städten verbannen? Von der frühen Faszination für diese Bauaufgabe ist jedenfalls schon lange nicht mehr viel zu spüren. Dass man Parkhäuser jedoch ganz anders denken und entwerfen kann, zeigt ein Holzparkhaus in Wendlingen am Neckar.

Brauchen wir heute überhaupt noch Parkhäuser oder müssten wir den Individualverkehr nicht konsequenter aus den Städten verbannen? Von der frühen Faszination für diese Bauaufgabe ist jedenfalls schon lange nicht mehr viel zu spüren. Dass man Parkhäuser jedoch ganz anders denken und entwerfen kann, zeigt ein Holzparkhaus in Wendlingen am Neckar.

Gut siebzig Jahre ist es her, dass in Deutschland die ersten Parkgaragen entstanden sind und eine der schillerndsten davon war sicher die 1952 erbaute Haniel Garage in Düsseldorf von Paul Schneider von Esleben. Er schuf den Autos etwas vollkommen Neues, wählte dazu eine auffallend filigrane, transparente Architektur mit einer umlaufenden, gläsernen Haut und einer Zufahrtsrampe, die höchst elegant an dünnen Stahlseilen vom Betonrahmen des auskragenden Daches hing. Fast schon greifbar wurde hier die Faszination des Architekten für diese streng funktional geprägte Bauaufgabe. Von dieser Euphorie für die Parkgaragen ist jedoch sehr schnell nur noch wenig geblieben: Spätestens seit den 1960er und 1970er Jahren mutierten Parkhäuser zu oft brutalistischen, in Beton gegossenen, gesichtslosen Zweckbauten. In jeder deutschen Metropole sind in diesem Stil – angetrieben vom Leitbild der autogerechten Stadt – unzählige Parkhäuser entstanden, die an der schon 1968 herausgestellten »Unwirtlichkeit unserer Städte« nicht ganz unbeteiligt waren. Und bis heute hat sich an deren Ästhetik nichts Entscheidendes geändert: Hier und da findet man zwar kosmetisch aufgehübschte Parkhausfassaden, oder gerne auch Stahl- statt Betonkonstruktionen, doch vielerorts sind es jene banalen, altvertrauten Funktionsbauten geblieben. Nein, eine Königsdisziplin ist der Entwurf eines Parkhauses für Architekt:innen schon lange nicht mehr, zumal der private Individualverkehr in den Stadtzentren zunehmend kritisch betrachtet und damit auch der Bautyp per se infrage gestellt wird.
Zukunftsfähiger Stadtbaustein

Umso erfreulicher, dass mit dem Holzparkhaus in Wendlingen – rund 30 km von Stuttgart – ein Neubau entstanden ist, der zeigt, wie diese Bauaufgabe auch komplett neu und anders gedacht werden kann. Dieser hat tatsächlich das Potenzial, den Bautyp Parkhaus aus seiner Agonie herauszulösen und zu einem überraschend flexiblen, zukunftsfähigen Stadtbaustein werden zu lassen. Der Ort, an dem das neue Parkhaus errichtet wurde, könnte nicht passender sein: Flankiert von einer mächtigen Hochstraße, dem nahegelegenen Bahnhof, einer Tankstelle und dem ehemaligen Industrieareal einer Weberei, auf dem in den kommenden Jahren ein Wohnquartier (OTTO-Areal) entstehen soll, trifft man hier auf so ziemlich alles, was den verzwickten Städtebau eines kleinstädtischen Ortes ausmacht. Die Stimmung, die dieser Ort verströmt, lässt einen eher denken: Besser schnell vorbeigehen! Doch statt ins »Business as usual« zu verfallen, ist es herrmann+bosch Architekten gelungen, dieses gut 18 m hohe Parkhaus in einen Grund zum Stehenbleiben zu verwandeln. Auf fünf Ebenen bietet das neue Haus insgesamt 349 Stellplätze für Autos, 20 Ladestationen für E-Autos und E-Bikes sowie 200 Fahrradstellplätze. Und schon bei der ersten Annäherung fällt es durch seine ovale Form und die Präsenz seiner sichtbaren Holzkonstruktion auf. Alles wirkt irgendwie anders: offener, großzügiger, einladender.
Überraschend offen und atmosphärisch anders

Der Startschuss für den Holzhybridbau fiel vor rund vier Jahren: Nach einem VgV-Verfahren im September 2020 wurde zunächst einmal geprüft, ob nicht ein Stahl- oder Betonparkhaus die kostengünstigere Variante wäre. Aber auch hier konnte die deutlich nachhaltigere Konstruktion aus BrettsperrholzDecken und Brettschichtholz-Stützen überzeugen. In Zusammenarbeit mit den Ingenieur:innen von knippershelbig wurde für die Konstruktion ein modulares System gewählt, das einen hohen Vorfertigungsgrad besitzt und sich an gängigen Stahlparkhäusern orientiert. Nur die Rampen in der Mitte des Parkhauses sowie die beiden dezentralen, als Fluchtwege konzipierten Treppenhäuser erinnern jetzt noch an das »Betonzeitalter« – sie wurden aus Gründen der Statik und des Brandschutzes in Beton ausgeführt. Bezogen auf die gesamte Kubatur ergibt sich ein Verhältnis von nur einem Drittel Beton zu zwei Dritteln Holz. Zusammen mit den beiden Erschließungskernen sorgen die L-förmigen Brettschichtholz-Stützen für die erforderliche Queraussteifung des fünfgeschossigen Hauses. Überraschend offen und großzügig wirken die Parkebenen, denn störende, direkt an den Stellplätzen positionierte Stützen, sucht man vergeblich. Die 108 cm hohen Träger aus Brettschichtholz, die über Steckverbindungen auf den L-förmigen Stützen aufliegen, überspannen vom Zentrum aus eine Länge von beachtlichen 16 m. Auf diesen dominanten Hauptträgern liegen die Geschossdecken aus 12 cm starkem Brettsperrholz, die mit einem 3,5 cm starken Fahrbahnbelag aus Gussasphalt belegt wurden. Da sämtliche Verbindungen gesteckt oder geschraubt sind, könnte das Parkhaus auch leicht wieder demontiert werden. Zudem wurde der Holzhybrid als sortenreine Konstruktion ohne Verbundmaterialien entwickelt. Dass Holz als nachwachsender Baustoff CO2 einspart und bindet, ist hinlänglich bekannt. Erstaunlich ist die im Vergleich zu Stahl und Beton merklich andere räumliche Atmosphäre, die sich auch in diesem, nur aus Holzstützen und -trägern konstruierten Parkhaus entfaltet: Die Haptik durch die sichtbar belassenen Oberflächen, die spürbar andere Wärme, die mit dem Material Holz einhergeht und sein »Schmeicheln der menschlichen Sinne«1 können auch hier nachempfunden werden.
Flexibilität und Klarheit in der Nutzung

Im Parkhaus angekommen, nimmt man schnell die klare innenräumliche Orientierung wahr, die sich aus der stützenreduzierten Konstruktion ergibt. Und man spürt auch, wie die bewusst gewählte, lichte Raumhöhe von 2,35 m anstelle der üblichen 2,10 m erstaunlich großzügige Räume für die Autos schafft – zwischen den Trägern sind es sogar rund 3,40 m. Doch auch diese größere Höhe hat ihren Grund. Nicht etwa, weil es in Wendlingen besonders hohe SUVs geben würde, sondern weil sich das Parkhaus zu einem Wohn- oder Bürohaus wandeln kann. Für diese möglichen Umnutzungen können die zentralen Rampen entfernt und durch einen großzügigen Innenhof, der die angrenzenden Räume mit Tageslicht versorgt, ersetzt werden. Dieses Konzept einer vollkommen neuen, flexiblen Nutzung bietet großes Potenzial und stärkt den Ansatz der nachhaltigen Holzbauweise. Könnte das nicht eine Referenz für viele andere Parkhäuser sein? Gewiss, die trapezförmigen Stellplätze, die aus der ovalen Form resultieren, sind etwas gewöhnungsbedürftig – schließlich ist die Einfahrt in manche Plätze durch diese Geometrie etwas schmal. Doch es ging hier natürlich auch darum, möglichst viele Stellplätze unterzubringen. Die besondere Form, so argumentieren die Architekten, würde sich aus dem spezifischen Kontext heraus ergeben. Aber genau dieser Punkt lässt sich – angesichts dieses »zerfahrenen« Ortes – recht schwer nachvollziehen. Vielmehr könnte diese wohldurchdachte und elegante Form samt ihrer Konstruktion zur Nachahmung an einer beliebig anderen Stelle inspirieren. Das spezifische Reagieren auf den Ort kann dann gerne die Fassade übernehmen. Auch in Wendlingen sorgt schließlich die individuell gestaltete Fassade dafür, dass die geplante Wohnbebauung vorausschauend durch transluzentes Profilglas an dieser Parkhausseite vor blendenden Scheinwerfern und neugierigen Blicken geschützt wird, dass sich das Parkhaus in Verlängerung der Rampe großzügig zur Stadt öffnet und dass es zur Seite der Hochstraße ein Edelstahl-Seilnetz als Rankgerüst für Kletterpflanzen gibt. Mit diesen einfachen Mitteln reagiert das Haus ganz unprätentiös auf seinen schwierigen Kontext, verankert sich auf seinem Grundstück – und wirkt überdies auch noch als willkommener Lärmschutz für die geplante Wohnbebauung.

Für das »Haus ohne Vorbilder« war nicht nur Überzeugungsarbeit beim Bauherrn erforderlich – insbesondere auch beim Thema Brandschutz –, sondern v. a. auch Mut für das Neue. Nur so konnten herrmann+bosch architekten zu dieser zukunftsfähigen Lösung gelangen. Nicht ohne Grund wurde das Wendlinger Holzparkhaus bereits 2023 als offizielles Projekt der IBA’27 in Stuttgart ausgewählt, als »Brücke in eine Zukunft für weniger Autos«. Den Geist, der sich aus diesem Parkhaus herauslesen lässt, hat Hermann Hesse trefflich beschrieben: »Es darf uns nicht daran liegen, das Vergangene zu halten oder zu kopieren, sondern wandlungsfähig das Neue zu erleben und mit unseren Kräften dabeizusein.«²

db, Di., 2024.10.01



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db 2024|10 Mobilität

06. September 2006Hans-Jürgen Breuning
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Wohn- und Bürohaus in Basel

Eine Baulücke mit einem dahinter liegenden bauhistorischen Kleinod war die Herausforderung, vor die sich die Architekten gestellt sahen. Sie verbanden Neubau und Bestand zu einem harmonischen Ganzen und gaben diesem zur Straßenseite ein neues eigenständiges Gesicht – mit Respekt vor der Substanz.

Eine Baulücke mit einem dahinter liegenden bauhistorischen Kleinod war die Herausforderung, vor die sich die Architekten gestellt sahen. Sie verbanden Neubau und Bestand zu einem harmonischen Ganzen und gaben diesem zur Straßenseite ein neues eigenständiges Gesicht – mit Respekt vor der Substanz.

»Wenn dein Haus gute Nachbarn hat, bist du zu gleicher Güte verpflichtet, sind sie aber schlecht und aufgeblasen, so kann es nur durch Vornehmheit, die immer in schlichter Größe liegt, gegen jene bestehen.«[1] Diesen wichtigen Hinweis für eine gute Nachbarschaft gab Paul Schmitthenner schon vor mehr als siebzig Jahren. Doch was ist zu tun, wenn sich vor einem historischen Altbauensemble eine äußerst schmale Baulücke auftut? Sollte man auch diese Fuge mit schlichter Größe schließen, um gegen die Nachbarn zu bestehen? Mitten in Basels Altstadt, gegenüber dem Gerichtshof, standen Diener & Diener Architekten genau vor dieser Frage: Ein Haus, dessen lange Geschichte mehr als 700 Jahre zurückreicht, sollte mit zeitgemäßen Mitteln umgebaut und erweitert werden. Die hochaufragenden Brandwände der betagten Nachbarn gaben jedoch nur noch eine knapp acht Meter breite Lücke frei – dazwischen musste mit dem Bestand des historischen Gebäudes ein modernes Wohn- und Bürohaus entstehen. Und die konzeptionelle Herausforderung begann gleich vorne an der Schauseite zur Straße: Das zurückgesetzte Haus wurde dort kaum mehr wahrgenommen, weil ein zweigeschossiger Vorbau aus dem 19. Jahrhundert die Straßenflucht säumte und die schmale Lücke wenig elegant vernähte. Vorne eine große Vitrine, dahinter versteckt die gotische Fassade des Altbaus. Diese merkwürdige Fügung machte schon auf den ersten Blick neugierig: Es schien ein Haus zu sein, das noch mehr Überraschungen bereithielt und immer noch -hält. Heute fällt schon beim Näherkommen in der Bäumleingasse auf, mit welchem Selbstverständnis sich die Architekten dieser diffizilen Bauaufgabe stellten. Eine plastisch gefügte Konstruktion aus braunem, durchgefärbtem Beton bildet den ruhigen homogenen Rahmen der neuen Fassade und schließt den Straßenraum bündig ab. Die farbliche Analogie zu den dunklen Sandsteinbauten der Altstadt trägt mit dazu bei, dass sich der Neubau wie selbstverständlich einfügt. Raumhohe Verglasungen, die den leichten Knick der Bäumleingasse nachempfinden, machen gleichwohl deutlich, dass es sich hier um ein modernes Haus handelt. Der neue, schlichte Baukörper stellt sich vor den 1461 errichteten, mittelalterlichen Teil des Hauses. Erst dahinter liegt der »Nukleus«, ein einst dreigeschossiger Wohnturm aus dem 13. Jahrhundert.

Beim Betreten des Gebäudes treten immer wieder Spuren aus dem Hoch- und Spätmittelalter hervor – auch eine barocke Treppe kann man noch entdecken. Patinierter Kalkputz, Holzdielenboden und Deckenbalken aus Tannenholz dominieren die warme Materialität der Innenräume. Ein schmaler Flur führt durch den historischen Kern des Hauses. Ihm folgt ein kleiner, nur vier Meter breiter Erschließungsbau, der die neue Treppe und den Fahrstuhl aufnimmt und Platz für einen Patio lässt. Dahinter fügten die Architekten einen Baukörper, dessen raumhohe Verglasungen mit dem Vorbau an der Bäumleingasse korrespondieren, passgenau in die Baulücke ein. Während sich im Erdgeschoss an der Straßenseite ein Laden befindet, sind alle weiteren Räume von Büros und zwei großzügig geschnittenen Wohnungen genutzt. Trotz der stets klar begrenzten Raumkanten hat man jedoch nie das Gefühl, dass hier der Denkmalschutz das Alte zwanghaft vor dem Abbruch bewahrt hat, dass ein dunkles, kaum nutzbares Haus entstanden ist. Im Gegenteil, das Miteinander von Alt und Neu wirkt erstaunlich großzügig.

Die Komposition der Räume auf der schmalen Parzelle ist konsequent und schlüssig. Sie lebt von der Dialektik der historischen Schichten des Ensembles. Das Neue geht nicht auf Distanz zur Geschichte, es arbeitet nicht mit Trennungsfugen, die das additive Fügen betonen. Die Architekten bauen vielmehr im Dialog mit dem Alten, ohne dabei einem Historismus zu verfallen. Mit ihrer klaren reduzierten Sprache formulieren sie einen spannungsreichen Kontrast zur Kleinteiligkeit und Detailverliebtheit des Alten: Hier die solide Lochfassade mit den tiefen Fensterlaibungen, die florale Motivik der historischen Stuckdecken und die freigelegten, bemalten Deckenbalken – dort die filigrane Glasfassade, der gefärbte Hartbetonbelag und die homogen verputzten Oberflächen. Dies alles ohne Berührungsängste miteinander verbunden und die Durchgänge nur dort verändert, wo es erforderlich war.

Kein Zweifel, neben der privilegierten Lage in der Stadt verfügt das Haus auch über hohe gestalterische Qualitäten. Kritisch könnte man allenfalls das komplette Verpacken des historischen Kerns betrachten, da dessen Fassade nur noch vom Patio erlebbar wird. Doch beim Blick aus dem Straßenraum blieb der über Jahre leer stehende und marode gewordene Altbau ohnehin schon lange versteckt. Die entscheidende Frage, wie man mit alter Bausubstanz umgeht, wie man diese weiterbaut, ohne mit der Vergangenheit zu kokettieren, wurde überzeugend umgesetzt. Wenngleich die Nachbarn weder schlecht noch aufgeblasen sind, besticht dieses Gebäude durch »schlichte Größe«: Die Schauseite wirkt unprätentiös und zurückhaltend und lässt die Passanten nur erahnen, dass es sich hier um ein ganz besonderes Haus handelt.

db, Mi., 2006.09.06



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Profil

Studium der Architektur und Stadtplanung in Karlsruhe, Stuttgart und Florenz. 1992-1998 war er wissenschaftlicher Assistent an der Universität Stuttgart und 1999-2001 an der TU Graz. Lehrtätigkeit an der TH Karlsruhe (2002-2003) und der Hochschule für Technik in Stuttgart (seit 2004). Nach einer Vertretungsprofessur im Fach Architekturgeschichte (2011-2013) an der Fakultät für Architektur und Gestaltung der Hochschule für Technik in Stuttgart wurde Hans-Jürgen Breuning 2016 zum Honorar-Professor ernannt. Neben seiner Mitarbeit in den Architekturbüros Lederer Ragnarsdóttir Oei (2000-2013), wulf architekten (2013-2018) und Bez+Kock Architekten (seit 2019) in Stuttgart ist er als freier Architekturjournalist tätig und veröffentlichte zahlreiche Beiträge zur zeitgenössischen Architektur, insbesondere in der db Deutsche Bauzeitung, dem Baumeister und dem Feuilleton der Stuttgarter Zeitung.

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