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03. Februar 2006Olivier Aebischer
Neue Zürcher Zeitung

Verwachsen mit der Landschaft

Ein Schulhausneubau von Matthias Boegli und Adrian Kramp in Payerne

Ein Schulhausneubau von Matthias Boegli und Adrian Kramp in Payerne

Wer auf der A 1 in Richtung Lausanne fährt, nimmt neuerdings bei Payerne ein imposantes Gebäude wahr: einen trutzigen Monolith, dessen erdiges Beigebraun von gestocktem Beton herrührt. Bei dem das umliegende Territorium dominierenden Bau handelt es sich um ein Schulhaus, genauer um das erste interkantonale Gymnasium der Schweiz. Es gehört den Kantonen Waadt und Freiburg, die in der Region Broye aneinander grenzen. In zwei Jahren Bauzeit konnten die Freiburger Architekten Matthias Boegli und Adrian Kramp, 33 bzw. 34 Jahre alt, ihr siegreiches Wettbewerbsprojekt realisieren. Im vergangenen Herbst hat nun das Gymnase Intercantonale de la Broye den Betrieb aufgenommen. Bei der Vollauslastung in drei Jahren wird es rund 800 Gymnasiasten und 200 Lehrpersonen aufnehmen.

Der Grundriss der neuen Schule verkeilt sich wie ein zackiges Fragezeichen mit der Parzelle, auf der vor nicht allzu langer Zeit noch Zuckerrüben und Mais ins Kraut schossen. Der einstige Bauernhof mit dem angebauten Ökonomieteil wurde vollständig zerlegt und als Hauswartswohnung sowie «Kulturscheune» wieder aufgebaut. Am Bauernhaus und an der nun pechschwarzen Tenne kommt vorbei, wer vom Bahnhof zum Neubau hinaufsteigt, so wie dies auch für einen Grossteil der Schüler üblich ist. Nach dem Spaziergang durch eine Allee betritt man den Schulhof, der nach dem Entwurf der Freiburger Künstlerin Isabelle Krieg als stilisierter Zen- Garten angelegt wurde. Krieg interpretierte die Gebäudeflügel als Felswände einer Schlucht, auf deren Grund mit grünlicher Markierungsfarbe die Bewegung eines mäandernden Flusses eingeschrieben wurde. Schwungvoll fliessen unzählige wie mit dem Rechen gezogene Linien um Grashügel und Ginkgobäume. In diesem stimmungsvollen Kontext erscheinen die verchromten Hightech-Mülleimer, die wie überdimensionierte Lippenstifte aus dem Boden wachsen, etwas gar prosaisch.

Im Hof wirkt vor allem die asketische Strenge des Gebäudes. Nach Westen hin weitet sich der Blick dank einer räumlichen Aussparung über die Stadt Payerne und die Ebene der Broye hinweg bis zum Jura und bildet eine Art poetisches Tableau. In der Abendsonne erstrahlt dieses «Fenster auf die Landschaft» in goldenem Licht. Der Ostflügel bietet Zugang zur Turnhalle und zum Fitnessraum, aber auch zu den Büros der Administration und zur Kantine. In den beiden Obergeschossen des Ost- und des Westflügels befinden sich die 40 Schulzimmer, die dank dem Verbindungstrakt im Süden wie Perlen zu einem Collier aufgereiht sind. Ihre Ausstattung vom Eichenboden bis zum Beamer ist edel. Erreicht werden die Schulzimmer über 280 Meter lange und bis 4,5 Meter breite Gänge aus Asphaltterrazzo. Diese Gänge werden durch Aufenthaltszonen rhythmisiert, in denen Kunststoffsessel im Sechziger-Jahre-Design um wolkenförmige Tische herum zum Pausemachen einladen.

Schön gemacht sind die massiven Brüstungen der Treppenhäuser mit den im Beton eingelassenen Holzhandläufen. Da weder das Lehrer- noch das Direktorenzimmer über Fenster zum Hof verfügen, ist Überwachung hier kein Thema. Neben der funktional und ästhetisch überzeugenden Lösung der Aufgabe unterschritten Boegli & Kramp mit ihrem Projekt das Budget von 70 Millionen Franken deutlich. Gleichwohl macht sich dieser Neubau gut in der Reihe ambitionierter Schulhäuser im Kanton Waadt, zu denen unter anderem auch das Centre Marcelin bei Morges von Geninasca Delefortrie oder der Ausbau der sozialpädagogischen Schule in Lausanne durch Bonnard & Woeffray zählen.

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 2006.02.03



verknüpfte Bauwerke
Gymnase Intercantonale de la Broye

04. Juni 2004Olivier Aebischer
Neue Zürcher Zeitung

Rote Psychiatrie

In Befestigungsanlagen des Mittelalters diente meist einer der grossen Türme als Ort der Verwahrung. Dort wurden neben Personen, die als kriminell galten,...

In Befestigungsanlagen des Mittelalters diente meist einer der grossen Türme als Ort der Verwahrung. Dort wurden neben Personen, die als kriminell galten,...

In Befestigungsanlagen des Mittelalters diente meist einer der grossen Türme als Ort der Verwahrung. Dort wurden neben Personen, die als kriminell galten, auch geisteskranke Menschen eingesperrt - «versorgt», wie das heutzutage im Schweizerdeutschen heisst. Das Haus, das jene Menschen aufzunehmen hat, die psychisch krank sind, ist bis in die Gegenwart immer ein besonderes, oft sehr markantes Gebäude geblieben, das seit dem Klassizismus mehr oder weniger ausgeprägte Analogien zu Spital, Hotel oder eben auch Gefängnis aufweist. Eine wesentliche Veränderung erfuhr der Ort der psychisch Kranken, indem man diesen im Laufe der Zeit aus dem Zentrum verbannte, bevorzugt auf einen abgelegenen Hügel, wo das Klinikum nicht selten zusätzlich von Garten und Mauer abgeschirmt wurde.

Dies galt auch für die psychiatrische Klinik in Yverdon-les-Bains im Kanton Waadt, die während des letzten Jahrhunderts als «Bellevue» auf dem Montélaz in Betrieb war. Behandlung und Bedürfnisse der Psychiatrie haben sich inzwischen dahingehend verändert, dass Menschen mit einer psychischen Störung nicht mehr auf unbestimmte Zeit in einer «Irrenanstalt» untergebracht werden, sondern sich nur noch während einer kurzen Dauer in der Klinik zur Behandlung aufhalten und auch dort möglichst keine Einschränkung in ihrer Bewegungsfreiheit erfahren sollen. Diese Auffassung der «dédramatisation» in der Behandlung von psychisch Kranken hat das Centre de Psychiatrie du Nord Vaudois in Yverdon wieder in die Stadt zurückgebracht. Allerdings nicht in ein Wohnquartier, sondern ins Industriegebiet zwischen Stadtzentrum und See. An diesem Ort, wo früher der Schreibmaschinenbauer Hermes produzierte und sich heute zunehmend die Alternativkultur einrichtet, hat das Genfer Büro Devanthéry & Lamunière eine psychiatrische Klinik für 56 Patienten gebaut, die sich laut den Architekten auf den Typus des Hotels oder der Pension bezieht.

Trotzdem scheint der Komplex - zumindest auf den ersten Blick - gewisse formale Ähnlichkeiten mit einer Festung aufzuweisen. Das vierstöckige, H-förmige Gebäude könnte denn auch ursprünglich eine Burg gewesen sein, die in der Folge zu einem Palais umgestaltet worden ist. Verfügt es doch über zwei asymmetrisch organisierte Flügel, die über einen zweigeschossigen Mitteltrakt mit Hochhof miteinander verbunden sind. Ein Beispiel für den Veredelungsprozess des Gebäudes wären die «goldenen» Rahmen von Türen und Fenstern, die in Wirklichkeit aus anodisiertem Aluminium bestehen. Die vertikal gehaltenen Fenster erinnern an Türen, doch stört kein Balkon, noch nicht einmal ein Sims die monolithische Einheit der rötlichen Fassade.

Anders als diese starkfarbige Hülle wäre diejenige einer Burg grau, und Grau ist vielen die Farbe der Tristesse. Das Schwarz, das Daniele Marques jüngst für den Beton des Schulhauses «Villa Thérèse» in Freiburg gebrauchte, entspricht hingegen traditionell der Melancholie, was für die Klinik kaum in Frage gekommen wäre. Die Rotton-Pigmente - von Dunkelviolett über Bräunlichrot zu hellem Orange -, die Devanthéry & Lamunière ihrem Beton beimischten, gehen bei näherem Hinsehen wie die Farben verschiedener Gesteinsschichten eines geologischen Aufschlusses fliessend ineinander über und strahlen erdige Wärme aus, wirken in keinem Moment aggressiv, eher noch verspielt. Derweil «Rot» freilich auch als Warnfarbe verstanden werden könnte.

Ebenfalls leicht gegensätzlich wirkt die Ästhetik der kühlen Strenge, die hier auf beispielhafte Weise ihren Ausdruck findet. Sie könnte als abweisend oder ehrfurchtgebietend wahrgenommen werden, gilt aber in unseren Tagen fast schon wieder als herzliche, einladende Geste, da klare Linien, farbige Flächen und einfache Formen Auge und Geist eher beruhigen, als dass sie einen in Aufruhr oder in einen Zustand der Beklemmung versetzen würden. Weit davon entfernt, solch unangenehme Empfindungen auszulösen, wirkt die grosszügige, ebenfalls vornehmlich in Rot gehaltene Empfangshalle mit Rezeption und Lounge tatsächlich einladend. Erst im Pflegebereich herrscht klinisches Weiss vor. Die Patientenzimmer wiederum sind bei Tag in ein dezent blaues Licht getaucht, was vor allem aufgrund der blau gefärbten Fussböden zustande kommt.

Der Komplementärkontrast von Grün zum roten Gebäude ist in Form von einigen Rasenstreifen um die Klinik herum zwar vorhanden, aber selbst der Boden aus Hartbeton im Hof, den die beiden Flügel auf der der Strasse abgewandten Seite einschliessen, lässt auf Schritt und Tritt rot sehen. In der jugendlichen Umgangssprache hatten die Fahrzeuge, die einen abholen und in die psychiatrische Klinik einliefern konnten, immer eine grelle Farbe: Meist wurde mit dem «gelben Wagen» gedroht. Gut möglich, dass der markante rote Bau den Sprachgebrauch in Yverdon verändern wird; gut möglich aber auch, dass das auffällige Haus und die dazugehörigen Menschen zu einem ganz normalen Phänomen des bisweilen grauen Alltags werden.

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 2004.06.04



verknüpfte Bauwerke
Psychiatrische Klinik

06. Dezember 2002Olivier Aebischer
Neue Zürcher Zeitung

Schöne neue Schule

Ein Neubau von Giorla & Trautmann in Conthey

Ein Neubau von Giorla & Trautmann in Conthey

Die Sentenz Senecas «Nicht für die Schule, sondern fürs Leben lernen wir» gilt zweifellos auch für Architekten. Die beiden Walliser Jean Gérard Giorla und Mona Trautmann haben fürs Leben gelernt und für die Gemeinde Conthey im Unterwallis eine neue Primarschule gebaut. Jenen Ort also, in dem das institutionalisierte Lernen fürs Leben seinen Anfang nimmt. Den Wechsel vom unbekümmerten Spiel in den Alltag des Unterrichts empfinden gewiss nicht alle Kinder als «cool». Die rund 220 Schulkinder von Conthey besuchen nun die Schule in einem Haus, das durch seine strenge Linienführung besticht und einen mit den «coolen» Materialien Beton, Stahl und Glas empfängt. Dennoch ist dieser Empfang alles andere als kühl, vielmehr warm, herzlich - und sogar etwas verspielt.

Den Kontrast zwischen Strenge und Spiel bewirken zwei bunte Kuben (grün und orange), die - schräg gestellt - entlang der ebenfalls schräg verlaufenden, nach Osten orientierten Glasfront des Hauptgebäudes angeordnet und teilweise in dessen zweigeschossige Eingangshalle eingeschoben sind. In der oberen Etage dieser beiden Baukörper befinden sich Räume für den Werkunterricht, in der unteren aber Lehrer-, Sanitäts- und Materialzimmer. Auf den Kuben und auf sechs schlanken Rundpfeilern ruht das grosse Vordach des Schulhauses. An dessen nach Westen orientierter Längsseite befinden sich auf zwei Etagen je sechs Klassenzimmer, die mit ihrer roten, zur Eingangshalle und zur Galerie sich öffnenden Innenfassade für einen weiteren Kontrast sorgen. Gegen Süden wird der elegante Bau durch die Turnhalle abgeschlossen, deren Spielfläche ins Untergeschoss zu liegen kam, wodurch die einheitliche Dachhöhe eingehalten werden konnte.

Das als «fünfte Fassade» funktionierende Flachdach ist die eigentliche Pointe des in der Talebene gelegenen Schulhauses, auf das man von den höher am Hang gelegenen Dorfteilen hinunterblickt. Das Dach ist als ein 20 Zentimeter tiefes Wasserbassin ausgebildet, aus dem sich neun Oberlichter erheben. Fast überflüssig zu sagen, dass sich das Wasser neben den saisonal erwünschten thermischen Effekten auch günstig auf die Lichtverhältnisse auswirkt. Wie die kaleidoskopartigen Licht- und Schattenspiele an der Decke zustande kommen, werden die Schüler dereinst wohl im Physikunterricht erfahren.

Für Giorla & Trautmann ist der Neubau von Conthey bereits die fünfte realisierte Arbeit im Bereich des Schulhausbaus. Neben Erweiterungen in Grône und Siders ist vor allem «Trakt IV» in Zermatt zu erwähnen, wo sie 1994 etwa dasselbe Programm wie in Conthey umzusetzen hatten. Allerdings stand in Zermatt mit einem Grundstück von 1300 Quadratmetern viermal weniger Fläche zur Verfügung, was eine Lösung auf sechs Etagen erforderlich machte. Die Turnhalle befindet sich dort ganz im Untergeschoss, der Pausenplatz hingegen auf dem Dach.

Für die Erweiterung und den Umbau des Rilke-Museums im Haus Pancrace de Courten in Sierre wurden Giorla & Trautmann 1995 von der Stiftung Henri et Marcelle Gaspoz ausgezeichnet. Die beiden haben zudem mit ihren Bauten einen Teil des Stadtkerns von Siders geprägt: Begibt man sich vom Bahnhof in Richtung Zentrum, trifft man auf das 1991 fertiggestellte Wohn- und Geschäftsgebäude «La Terrasse», zwischen dessen beiden Türmen sich der Mont Bonvin erhebt. Der Bahnhof selbst, ein tief gehaltener Backsteinriegel aus dem Jahre 1996, stammt ebenfalls von Giorla & Trautmann, deren Büro sich ausserdem in diesem Bau befindet.

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 2002.12.06



verknüpfte Bauwerke
Primarschulhaus

07. Juni 2002Olivier Aebischer
Neue Zürcher Zeitung

Poetische Parallelaktion

Der Ausstellungspavillon «Artplace» des Büros :mlzd in Biel

Der Ausstellungspavillon «Artplace» des Büros :mlzd in Biel

Das junge Bieler Architekturbüro :mlzd hat im Auftrag des Bundesamtes für Sport auf einem (ruhigen) Nebenschauplatz der Expo 02 einen eleganten Pavillon gebaut. Die poetische Parallelaktion mit Namen «Artplace» befindet sich hoch über Biel im Grünen, tatsächlich an der End-der-Welt-Strasse neben der alten Sporthalle der Eidgenössischen Sportschule Magglingen, und beherbergt bis zum 19. Oktober über 20 Kunstschaffende, die abwechselnd in Zweierbesetzung zum Thema «Bewegung und Sport» arbeiten.

Der 32 Meter lange und 6 Meter breite, völlig rezyklierbare Bau besteht aus 700 Rako-Harassen, die von einer Metallumreifung zusammengehalten werden. Zwei Flügeltüren sowie Schiebewände erlauben eine mobile Aufteilung des Raums. Ein offener Innenhof in der Mitte des Pavillons integriert eine Buche sowie eine Bronzeplastik. Die transluzenten Harasse lassen das farbliche Wechselspiel der äusseren Lichtverhältnisse ins Innere fliessen, was neben dem jeweiligen Sonnenstand von dem Schatten der Bewölkung oder dem Grün der im Wind schaukelnden Äste beeinflusst wird.

Das Büro :mlzd baute in den letzten fünf Jahren in der Region Biel mehrere eigenwillige Wohnhäuser. Im Herbst beginnen die fünf um die dreissig Jahre alten Architekten Mischkulnig, Lehmann, Di Giacinto, Marbach und Tanner mit der Erweiterung des Historischen Museums Bern sowie dem Umbau der Gemeindeverwaltung Riehen. Beide Bauvorhaben sind aus Wettbewerben hervorgegangen.

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 2002.06.07



verknüpfte Bauwerke
EXPO.02 - Ausstellungspavillon «Artplace»

Presseschau 12

03. Februar 2006Olivier Aebischer
Neue Zürcher Zeitung

Verwachsen mit der Landschaft

Ein Schulhausneubau von Matthias Boegli und Adrian Kramp in Payerne

Ein Schulhausneubau von Matthias Boegli und Adrian Kramp in Payerne

Wer auf der A 1 in Richtung Lausanne fährt, nimmt neuerdings bei Payerne ein imposantes Gebäude wahr: einen trutzigen Monolith, dessen erdiges Beigebraun von gestocktem Beton herrührt. Bei dem das umliegende Territorium dominierenden Bau handelt es sich um ein Schulhaus, genauer um das erste interkantonale Gymnasium der Schweiz. Es gehört den Kantonen Waadt und Freiburg, die in der Region Broye aneinander grenzen. In zwei Jahren Bauzeit konnten die Freiburger Architekten Matthias Boegli und Adrian Kramp, 33 bzw. 34 Jahre alt, ihr siegreiches Wettbewerbsprojekt realisieren. Im vergangenen Herbst hat nun das Gymnase Intercantonale de la Broye den Betrieb aufgenommen. Bei der Vollauslastung in drei Jahren wird es rund 800 Gymnasiasten und 200 Lehrpersonen aufnehmen.

Der Grundriss der neuen Schule verkeilt sich wie ein zackiges Fragezeichen mit der Parzelle, auf der vor nicht allzu langer Zeit noch Zuckerrüben und Mais ins Kraut schossen. Der einstige Bauernhof mit dem angebauten Ökonomieteil wurde vollständig zerlegt und als Hauswartswohnung sowie «Kulturscheune» wieder aufgebaut. Am Bauernhaus und an der nun pechschwarzen Tenne kommt vorbei, wer vom Bahnhof zum Neubau hinaufsteigt, so wie dies auch für einen Grossteil der Schüler üblich ist. Nach dem Spaziergang durch eine Allee betritt man den Schulhof, der nach dem Entwurf der Freiburger Künstlerin Isabelle Krieg als stilisierter Zen- Garten angelegt wurde. Krieg interpretierte die Gebäudeflügel als Felswände einer Schlucht, auf deren Grund mit grünlicher Markierungsfarbe die Bewegung eines mäandernden Flusses eingeschrieben wurde. Schwungvoll fliessen unzählige wie mit dem Rechen gezogene Linien um Grashügel und Ginkgobäume. In diesem stimmungsvollen Kontext erscheinen die verchromten Hightech-Mülleimer, die wie überdimensionierte Lippenstifte aus dem Boden wachsen, etwas gar prosaisch.

Im Hof wirkt vor allem die asketische Strenge des Gebäudes. Nach Westen hin weitet sich der Blick dank einer räumlichen Aussparung über die Stadt Payerne und die Ebene der Broye hinweg bis zum Jura und bildet eine Art poetisches Tableau. In der Abendsonne erstrahlt dieses «Fenster auf die Landschaft» in goldenem Licht. Der Ostflügel bietet Zugang zur Turnhalle und zum Fitnessraum, aber auch zu den Büros der Administration und zur Kantine. In den beiden Obergeschossen des Ost- und des Westflügels befinden sich die 40 Schulzimmer, die dank dem Verbindungstrakt im Süden wie Perlen zu einem Collier aufgereiht sind. Ihre Ausstattung vom Eichenboden bis zum Beamer ist edel. Erreicht werden die Schulzimmer über 280 Meter lange und bis 4,5 Meter breite Gänge aus Asphaltterrazzo. Diese Gänge werden durch Aufenthaltszonen rhythmisiert, in denen Kunststoffsessel im Sechziger-Jahre-Design um wolkenförmige Tische herum zum Pausemachen einladen.

Schön gemacht sind die massiven Brüstungen der Treppenhäuser mit den im Beton eingelassenen Holzhandläufen. Da weder das Lehrer- noch das Direktorenzimmer über Fenster zum Hof verfügen, ist Überwachung hier kein Thema. Neben der funktional und ästhetisch überzeugenden Lösung der Aufgabe unterschritten Boegli & Kramp mit ihrem Projekt das Budget von 70 Millionen Franken deutlich. Gleichwohl macht sich dieser Neubau gut in der Reihe ambitionierter Schulhäuser im Kanton Waadt, zu denen unter anderem auch das Centre Marcelin bei Morges von Geninasca Delefortrie oder der Ausbau der sozialpädagogischen Schule in Lausanne durch Bonnard & Woeffray zählen.

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 2006.02.03



verknüpfte Bauwerke
Gymnase Intercantonale de la Broye

04. Juni 2004Olivier Aebischer
Neue Zürcher Zeitung

Rote Psychiatrie

In Befestigungsanlagen des Mittelalters diente meist einer der grossen Türme als Ort der Verwahrung. Dort wurden neben Personen, die als kriminell galten,...

In Befestigungsanlagen des Mittelalters diente meist einer der grossen Türme als Ort der Verwahrung. Dort wurden neben Personen, die als kriminell galten,...

In Befestigungsanlagen des Mittelalters diente meist einer der grossen Türme als Ort der Verwahrung. Dort wurden neben Personen, die als kriminell galten, auch geisteskranke Menschen eingesperrt - «versorgt», wie das heutzutage im Schweizerdeutschen heisst. Das Haus, das jene Menschen aufzunehmen hat, die psychisch krank sind, ist bis in die Gegenwart immer ein besonderes, oft sehr markantes Gebäude geblieben, das seit dem Klassizismus mehr oder weniger ausgeprägte Analogien zu Spital, Hotel oder eben auch Gefängnis aufweist. Eine wesentliche Veränderung erfuhr der Ort der psychisch Kranken, indem man diesen im Laufe der Zeit aus dem Zentrum verbannte, bevorzugt auf einen abgelegenen Hügel, wo das Klinikum nicht selten zusätzlich von Garten und Mauer abgeschirmt wurde.

Dies galt auch für die psychiatrische Klinik in Yverdon-les-Bains im Kanton Waadt, die während des letzten Jahrhunderts als «Bellevue» auf dem Montélaz in Betrieb war. Behandlung und Bedürfnisse der Psychiatrie haben sich inzwischen dahingehend verändert, dass Menschen mit einer psychischen Störung nicht mehr auf unbestimmte Zeit in einer «Irrenanstalt» untergebracht werden, sondern sich nur noch während einer kurzen Dauer in der Klinik zur Behandlung aufhalten und auch dort möglichst keine Einschränkung in ihrer Bewegungsfreiheit erfahren sollen. Diese Auffassung der «dédramatisation» in der Behandlung von psychisch Kranken hat das Centre de Psychiatrie du Nord Vaudois in Yverdon wieder in die Stadt zurückgebracht. Allerdings nicht in ein Wohnquartier, sondern ins Industriegebiet zwischen Stadtzentrum und See. An diesem Ort, wo früher der Schreibmaschinenbauer Hermes produzierte und sich heute zunehmend die Alternativkultur einrichtet, hat das Genfer Büro Devanthéry & Lamunière eine psychiatrische Klinik für 56 Patienten gebaut, die sich laut den Architekten auf den Typus des Hotels oder der Pension bezieht.

Trotzdem scheint der Komplex - zumindest auf den ersten Blick - gewisse formale Ähnlichkeiten mit einer Festung aufzuweisen. Das vierstöckige, H-förmige Gebäude könnte denn auch ursprünglich eine Burg gewesen sein, die in der Folge zu einem Palais umgestaltet worden ist. Verfügt es doch über zwei asymmetrisch organisierte Flügel, die über einen zweigeschossigen Mitteltrakt mit Hochhof miteinander verbunden sind. Ein Beispiel für den Veredelungsprozess des Gebäudes wären die «goldenen» Rahmen von Türen und Fenstern, die in Wirklichkeit aus anodisiertem Aluminium bestehen. Die vertikal gehaltenen Fenster erinnern an Türen, doch stört kein Balkon, noch nicht einmal ein Sims die monolithische Einheit der rötlichen Fassade.

Anders als diese starkfarbige Hülle wäre diejenige einer Burg grau, und Grau ist vielen die Farbe der Tristesse. Das Schwarz, das Daniele Marques jüngst für den Beton des Schulhauses «Villa Thérèse» in Freiburg gebrauchte, entspricht hingegen traditionell der Melancholie, was für die Klinik kaum in Frage gekommen wäre. Die Rotton-Pigmente - von Dunkelviolett über Bräunlichrot zu hellem Orange -, die Devanthéry & Lamunière ihrem Beton beimischten, gehen bei näherem Hinsehen wie die Farben verschiedener Gesteinsschichten eines geologischen Aufschlusses fliessend ineinander über und strahlen erdige Wärme aus, wirken in keinem Moment aggressiv, eher noch verspielt. Derweil «Rot» freilich auch als Warnfarbe verstanden werden könnte.

Ebenfalls leicht gegensätzlich wirkt die Ästhetik der kühlen Strenge, die hier auf beispielhafte Weise ihren Ausdruck findet. Sie könnte als abweisend oder ehrfurchtgebietend wahrgenommen werden, gilt aber in unseren Tagen fast schon wieder als herzliche, einladende Geste, da klare Linien, farbige Flächen und einfache Formen Auge und Geist eher beruhigen, als dass sie einen in Aufruhr oder in einen Zustand der Beklemmung versetzen würden. Weit davon entfernt, solch unangenehme Empfindungen auszulösen, wirkt die grosszügige, ebenfalls vornehmlich in Rot gehaltene Empfangshalle mit Rezeption und Lounge tatsächlich einladend. Erst im Pflegebereich herrscht klinisches Weiss vor. Die Patientenzimmer wiederum sind bei Tag in ein dezent blaues Licht getaucht, was vor allem aufgrund der blau gefärbten Fussböden zustande kommt.

Der Komplementärkontrast von Grün zum roten Gebäude ist in Form von einigen Rasenstreifen um die Klinik herum zwar vorhanden, aber selbst der Boden aus Hartbeton im Hof, den die beiden Flügel auf der der Strasse abgewandten Seite einschliessen, lässt auf Schritt und Tritt rot sehen. In der jugendlichen Umgangssprache hatten die Fahrzeuge, die einen abholen und in die psychiatrische Klinik einliefern konnten, immer eine grelle Farbe: Meist wurde mit dem «gelben Wagen» gedroht. Gut möglich, dass der markante rote Bau den Sprachgebrauch in Yverdon verändern wird; gut möglich aber auch, dass das auffällige Haus und die dazugehörigen Menschen zu einem ganz normalen Phänomen des bisweilen grauen Alltags werden.

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 2004.06.04



verknüpfte Bauwerke
Psychiatrische Klinik

06. Dezember 2002Olivier Aebischer
Neue Zürcher Zeitung

Schöne neue Schule

Ein Neubau von Giorla & Trautmann in Conthey

Ein Neubau von Giorla & Trautmann in Conthey

Die Sentenz Senecas «Nicht für die Schule, sondern fürs Leben lernen wir» gilt zweifellos auch für Architekten. Die beiden Walliser Jean Gérard Giorla und Mona Trautmann haben fürs Leben gelernt und für die Gemeinde Conthey im Unterwallis eine neue Primarschule gebaut. Jenen Ort also, in dem das institutionalisierte Lernen fürs Leben seinen Anfang nimmt. Den Wechsel vom unbekümmerten Spiel in den Alltag des Unterrichts empfinden gewiss nicht alle Kinder als «cool». Die rund 220 Schulkinder von Conthey besuchen nun die Schule in einem Haus, das durch seine strenge Linienführung besticht und einen mit den «coolen» Materialien Beton, Stahl und Glas empfängt. Dennoch ist dieser Empfang alles andere als kühl, vielmehr warm, herzlich - und sogar etwas verspielt.

Den Kontrast zwischen Strenge und Spiel bewirken zwei bunte Kuben (grün und orange), die - schräg gestellt - entlang der ebenfalls schräg verlaufenden, nach Osten orientierten Glasfront des Hauptgebäudes angeordnet und teilweise in dessen zweigeschossige Eingangshalle eingeschoben sind. In der oberen Etage dieser beiden Baukörper befinden sich Räume für den Werkunterricht, in der unteren aber Lehrer-, Sanitäts- und Materialzimmer. Auf den Kuben und auf sechs schlanken Rundpfeilern ruht das grosse Vordach des Schulhauses. An dessen nach Westen orientierter Längsseite befinden sich auf zwei Etagen je sechs Klassenzimmer, die mit ihrer roten, zur Eingangshalle und zur Galerie sich öffnenden Innenfassade für einen weiteren Kontrast sorgen. Gegen Süden wird der elegante Bau durch die Turnhalle abgeschlossen, deren Spielfläche ins Untergeschoss zu liegen kam, wodurch die einheitliche Dachhöhe eingehalten werden konnte.

Das als «fünfte Fassade» funktionierende Flachdach ist die eigentliche Pointe des in der Talebene gelegenen Schulhauses, auf das man von den höher am Hang gelegenen Dorfteilen hinunterblickt. Das Dach ist als ein 20 Zentimeter tiefes Wasserbassin ausgebildet, aus dem sich neun Oberlichter erheben. Fast überflüssig zu sagen, dass sich das Wasser neben den saisonal erwünschten thermischen Effekten auch günstig auf die Lichtverhältnisse auswirkt. Wie die kaleidoskopartigen Licht- und Schattenspiele an der Decke zustande kommen, werden die Schüler dereinst wohl im Physikunterricht erfahren.

Für Giorla & Trautmann ist der Neubau von Conthey bereits die fünfte realisierte Arbeit im Bereich des Schulhausbaus. Neben Erweiterungen in Grône und Siders ist vor allem «Trakt IV» in Zermatt zu erwähnen, wo sie 1994 etwa dasselbe Programm wie in Conthey umzusetzen hatten. Allerdings stand in Zermatt mit einem Grundstück von 1300 Quadratmetern viermal weniger Fläche zur Verfügung, was eine Lösung auf sechs Etagen erforderlich machte. Die Turnhalle befindet sich dort ganz im Untergeschoss, der Pausenplatz hingegen auf dem Dach.

Für die Erweiterung und den Umbau des Rilke-Museums im Haus Pancrace de Courten in Sierre wurden Giorla & Trautmann 1995 von der Stiftung Henri et Marcelle Gaspoz ausgezeichnet. Die beiden haben zudem mit ihren Bauten einen Teil des Stadtkerns von Siders geprägt: Begibt man sich vom Bahnhof in Richtung Zentrum, trifft man auf das 1991 fertiggestellte Wohn- und Geschäftsgebäude «La Terrasse», zwischen dessen beiden Türmen sich der Mont Bonvin erhebt. Der Bahnhof selbst, ein tief gehaltener Backsteinriegel aus dem Jahre 1996, stammt ebenfalls von Giorla & Trautmann, deren Büro sich ausserdem in diesem Bau befindet.

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 2002.12.06



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Primarschulhaus

07. Juni 2002Olivier Aebischer
Neue Zürcher Zeitung

Poetische Parallelaktion

Der Ausstellungspavillon «Artplace» des Büros :mlzd in Biel

Der Ausstellungspavillon «Artplace» des Büros :mlzd in Biel

Das junge Bieler Architekturbüro :mlzd hat im Auftrag des Bundesamtes für Sport auf einem (ruhigen) Nebenschauplatz der Expo 02 einen eleganten Pavillon gebaut. Die poetische Parallelaktion mit Namen «Artplace» befindet sich hoch über Biel im Grünen, tatsächlich an der End-der-Welt-Strasse neben der alten Sporthalle der Eidgenössischen Sportschule Magglingen, und beherbergt bis zum 19. Oktober über 20 Kunstschaffende, die abwechselnd in Zweierbesetzung zum Thema «Bewegung und Sport» arbeiten.

Der 32 Meter lange und 6 Meter breite, völlig rezyklierbare Bau besteht aus 700 Rako-Harassen, die von einer Metallumreifung zusammengehalten werden. Zwei Flügeltüren sowie Schiebewände erlauben eine mobile Aufteilung des Raums. Ein offener Innenhof in der Mitte des Pavillons integriert eine Buche sowie eine Bronzeplastik. Die transluzenten Harasse lassen das farbliche Wechselspiel der äusseren Lichtverhältnisse ins Innere fliessen, was neben dem jeweiligen Sonnenstand von dem Schatten der Bewölkung oder dem Grün der im Wind schaukelnden Äste beeinflusst wird.

Das Büro :mlzd baute in den letzten fünf Jahren in der Region Biel mehrere eigenwillige Wohnhäuser. Im Herbst beginnen die fünf um die dreissig Jahre alten Architekten Mischkulnig, Lehmann, Di Giacinto, Marbach und Tanner mit der Erweiterung des Historischen Museums Bern sowie dem Umbau der Gemeindeverwaltung Riehen. Beide Bauvorhaben sind aus Wettbewerben hervorgegangen.

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 2002.06.07



verknüpfte Bauwerke
EXPO.02 - Ausstellungspavillon «Artplace»

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