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23. Dezember 2002Hanno Helbling
Neue Zürcher Zeitung

Raum für Roms musikalische Zukunft

Eröffnung des „Auditoriums“ von Renzo Piano

Eröffnung des „Auditoriums“ von Renzo Piano

Das Wochenende vor Weihnachten wird in die Baugeschichte Roms als wichtiges Datum eingehen; ob es auch in der Musikgeschichte der Stadt für eine Epoche steht, muss sich noch zeigen. In einem nördlichen Randgebiet, das der öffentliche Verkehr nur andeutungsweise berücksichtigt, liegt der «Parco della musica di Roma»: dreissigtausend Quadratmeter, vierhundert Bäume - die drei Konzertsäle von Renzo Piano sind, wie jetzt schon versichert wird, «immersi nel verde», in ein Grün getaucht, das indessen noch wachsen muss und den monumentalen Komplex wohl nie überschatten wird. Er gehört auch nicht zu den Bauten, denen man eine solche «Immersion» wünscht. Dem Architekten ist hier ein Wurf gelungen, dessen äussere Grossartigkeit jedenfalls ausser Zweifel steht.

Die Anlage, die der Presse am letzten Donnerstag vorgestellt worden ist, entfaltet sich in klug gedämpfter Symmetrie um einen Platz, auf den man entlang einem niedrigen Vorgebäude (Restaurant, Bar, Buchhandlung, Ausstellungsräume) zugeht. Drei Baukörper bilden einen Halbkreis: die grau gepanzerten Gehäuse oder Behälter des kleinen, des mittleren und des grossen Saals - 700, 1200, 2800 Plätze; ihr Umfang differiert von aussen gesehen etwas weniger, als es dem ungleichen Fassungsvermögen entspräche; die Steigerung ist aber sichtbar, sie führt den Blick von dem Vorgebäude zur Rechten über einen grossen und einen sehr grossen zu dem riesigen Rundbau, der zur Linken, Ruhepunkt und Hauptakzent zugleich, den Bogen schliesst. Ein langes Vestibül verbindet die drei Teile, in Abschnitten, die eine Leuchtschrift-Installation von Maurizio Nannucci - Sentenzen zur Kunst, zur Musik, zur Sprache, von Platon bis Lennon - verdeutlicht. Und über diesen Rundgang, nach aussen gewandt, ziehen sich Sitzreihen: Das Halbrund des Vorplatzes dient für Freilichtkonzerte.

Die Innenräume lassen sich bei einer blossen Besichtigung weniger leicht beurteilen. Im Bestreben, die Grössenunterschiede nicht zu dramatisieren, mag der Architekt es in Kauf genommen haben, dass die Säle, je grösser sie sind, umso niedriger wirken; das gibt dem grössten, der Sala Santa Cecilia, auf den ersten Blick etwas Bedrückendes. Am Konzertabend wird dieser Eindruck möglicherweise korrigiert, wenn sich das Publikum um die Musiker schart in einer Anordnung, die an die Berliner Philharmonie erinnert; auch kann bei günstiger Beleuchtung das Zusammenspiel von Kirschholz- und Stahlkonstruktionen, das in dem harten Arbeitslicht und in der Hektik der letzten Zurüstungen seinen Rhythmus noch nicht recht erkennen liess, nur gewinnen. Wie die Akustik sein wird? Wunderbar, erklärt der musikalische Oberleiter der Santa Cecilia, Myung- Whun Chung; er hört es voraus. Was man auch gern voraushören würde, ist ein wirklich gutes Orchester mit einem Chef, der vielleicht nicht gleichmässig alles, aber dafür auch nicht alles gleich mässig dirigiert.

Der Bau des Auditoriums ist (seit 1986) nicht ohne Verzögerungen und Unterbrechungen vonstatten gegangen; unter anderem deshalb, weil auf dem Terrain - wie könnte es anders sein - eine frührömische Siedlung und eine spätere repräsentative Villa zum Vorschein gekommen sind. In den Konzertpausen kann man die Ausgrabung und die Fundgegenstände an Ort und Stelle betrachten; der genius loci ist gegenwärtig auch in der Zukunft.

Neue Zürcher Zeitung, Mo., 2002.12.23



verknüpfte Bauwerke
Auditorium Parco della Musica

17. Juni 2002Hanno Helbling
Neue Zürcher Zeitung

Ein Ort für Kaiser Augustus

Seit dem Bau der Stazione Termini nach dem Zweiten Weltkrieg haben sich staatliche und kommunale Verwaltung der römischen Innenstadt weitgehend auf Restaurationen, archäologische Sicherungen und Tiefbauten beschränkt. Die Neugestaltung der Piazza Augusto Imperatore soll nun einen längst fälligen urbanistischen Eingriff realisieren.

Seit dem Bau der Stazione Termini nach dem Zweiten Weltkrieg haben sich staatliche und kommunale Verwaltung der römischen Innenstadt weitgehend auf Restaurationen, archäologische Sicherungen und Tiefbauten beschränkt. Die Neugestaltung der Piazza Augusto Imperatore soll nun einen längst fälligen urbanistischen Eingriff realisieren.

Als im Jahr 1937 das italienische Erziehungsministerium den Auftrag erhielt, die Ara Pacis, den «Friedensaltar», wiederherstellen zu lassen, drängte die Zeit. Schon in das folgende Jahr fiel der zweitausendste Geburtstag des Stifters, des Kaisers Augustus. Das Grabmal des römischen Imperators, das zwischen der Via del Corso und der Via di Ripetta gelegene «Mausoleo di Augusto», war soeben aus neuzeitlichen Überbauungen herausgelöst, in seinem durch jahrhundertelangen Zerfall reduzierten Bestand gesichert und einer zusätzlichen Bestimmung vorsorglich gewidmet worden: Der italienische Imperator hatte es sich zur letzten Ruhestatt ausersehen.

Zwei Obelisken hatten den Eingang zu dem Mausoleum flankiert; der eine ist 1786 vor dem Quirinalspalast aufgestellt worden, der andere, eine römische Imitation, steht seit 1587 auf der Piazza dell'Esquilino. Ein dritter, den Augustus von Heliopolis hatte kommen lassen, ein Obelisk aus der Zeit Psammetichs II., seit 1792 auf der Piazza di Montecitorio, stand etwa dreihundert Meter entfernt von dem Grabmal; er diente als Zeiger einer sehr grossen, durch Bronzeleisten auf dem Boden fixierten Sonnenuhr. Am 23. September, am Geburtstag des Kaisers, traf der Schatten seiner Spitze die Ara Pacis.

Der Altar, der auf Senatsbeschluss vom Jahr 13 v. Chr. von griechischen Künstlern geschaffen und nach vier Jahren geweiht wurde, sollte am nördlichen Zugang zur Stadt Rom den von dem Princeps erkämpften Friedenszustand symbolisieren. Das eigentliche Heiligtum, dessen Figurenschmuck nur unvollkommen erhalten ist, steht in einem rechteckigen, annähernd quadratischen Gehäuse; Stufen führen zu den Eingängen an den etwas schmaleren Seiten dieses Gevierts. Sowohl die Aussen- wie die Innenwände der etwa 11,6 auf 10,6 Meter messenden Marmorstätte zeigen in hochwertiger Reliefarbeit mythologische und allegorische Motive, vor allem aber zwei Prozessionen, die das sakrale und das dynastische Programm der augusteischen Herrschaft zur Anschauung bringen.

Das historisch wie künstlerisch bedeutsame Werk ist im Lauf von Jahrhunderten - von 1568 bis eben 1937 - an seinem ursprünglichen Standort stückweise zum Vorschein gekommen: unter dem Palazzo Peretti (dann Fiano, noch später Almagià) an der Via del Corso, der antiken Via Flaminia. Die Fragmente gerieten da- und dorthin, in den Louvre, nach Florenz, in das Museo Nazionale Romano, in die Villa Medici auf dem Pincio, in die Vatikanischen Museen. Der Architekt, dem nun die Wiederherstellung anvertraut war, Vittorio Ballio Morpurgo, musste die teils im zurückerstatteten Original, teils in Gipsabgüssen vorliegenden Teile zusammensetzen. Da es eilte, blieben viele Bruchstücke liegen, deren Einordnung nicht gleich gelang; die Rekonstruktion lässt sich anscheinend auch nachträglich nicht mehr vollständig durchführen.

Ballio Morpurgo, der 1938 - ein Opfer der von Mussolini übernommenen deutschen Rassengesetze - nicht weiterarbeiten durfte, hat eine fragmentarische, unglückliche Lösung eines kaum lösbaren Problems hinterlassen. Um die Ara Pacis an ihrem alten Ort wieder aufzustellen, hätte man eine Lücke in die Häuserreihe an der Via del Corso reissen müssen, die nun seit vielen Jahrhunderten nicht mehr, wie zur Zeit des Augustus, die nördliche Einfallstrasse, sondern eine Hauptstrasse der Innenstadt war. Der Verlust der historischen Funktion liess sich nicht rückgängig machen; man musste versuchen, ein Augustus- Ensemble als städtebaulichen Schwerpunkt in vergleichsweise zentraler Lage zu schaffen, und dieses Ensemble konnte - nach der Entfernung der Obelisken und dem Verschwinden der Sonnenuhr - nur noch in Mausoleum und Ara Pacis, umgeben von grossflächigen Fassaden faschistischer Bauart und drei stehen gebliebenen Kirchen, bestehen.

Auf der Westseite, gegen den Tiber hin, stand noch eine schmale Häuserreihe, die den Bau des Lungotevere und die Zerstörung des Porto di Ripetta überlebt hatte; sie wurde nun der Errichtung eines Pavillons geopfert, der die Ara Pacis aufnahm - einer an sich nicht unschönen Konstruktion aus Travertin, Glas und Bronze, die aber weder durch ihre Dimensionen oder durch ihre Ausstrahlung den Platz überzeugend abschliessen konnte noch für die Konservierung des Altars tauglich war. Dies vor allem: dass man um den Bestand des ungenügend geschützten Monuments besorgt sein musste, löste schon bald nach dem Krieg eine Diskussion aus, die das hier oft beobachtete Merkmal des Nichtendenwollens aufwies, zuletzt aber doch in die Entscheidung für ein ausgereiftes Projekt mündete.

Der Architekt, der dieses Projekt vorlegte und mit ihm den Beifall der zuständigen Behörden fand - einen Beifall, der durch nachdrückliche Zustimmung bedeutender Sponsoren mit inspiriert wurde -, heisst Richard Meier und ist Amerikaner. Dass sachverständige und andere Personen den Auftrag eher einem italienischen und noch eher einem römischen Künstler gegönnt hätten, führte dazu, dass Meiers Entwurf in der Presse eine Zeit lang mit dem Attribut «kontrovers» versehen wurde, was aber der Situation nicht entsprach und (deshalb oder dennoch) ohne Wirkung und Folgen blieb.

Der geplante und in absehbarer Zeit zu realisierende Neubau entspricht, unnötig zu sagen, dem hohen Anspruch an die Schutzmassnahmen, die ein sehr ungünstiges Mikroklima erfordert; denn der exponierte, grossen Temperaturschwankungen unterworfene Standort zwischen dem verkehrsreichen Lungotevere und der Via di Ripetta wird beibehalten. Und auch eine bessere als die bisherige Raumgestaltung strebt Meier an, indem er das Glashaus, das ähnlich wie bei Ballio Morpurgo den Altar umschliesst, in die Mitte eines langgestreckten Baukörpers stellt, der teils auf dem Niveau der Via di Ripetta, teils auf dem etwas höheren des Lungotevere ein die Piazza Augusto Imperatore wirklich begrenzendes Gegengewicht zu dem Grabmal des Kaisers bildet. Er kann oder muss so die Anlage zu einem eigentlichen Augustus-Museum erweitern; ob sie zu einem Publikumsmagneten wird? Ob sie die kalte, leere Monumentalität des Platzes vergessen macht? Man wird mit Bäumen nachhelfen müssen.

Neue Zürcher Zeitung, Mo., 2002.06.17



verknüpfte Bauwerke
Augustus-Museum

Presseschau 12

23. Dezember 2002Hanno Helbling
Neue Zürcher Zeitung

Raum für Roms musikalische Zukunft

Eröffnung des „Auditoriums“ von Renzo Piano

Eröffnung des „Auditoriums“ von Renzo Piano

Das Wochenende vor Weihnachten wird in die Baugeschichte Roms als wichtiges Datum eingehen; ob es auch in der Musikgeschichte der Stadt für eine Epoche steht, muss sich noch zeigen. In einem nördlichen Randgebiet, das der öffentliche Verkehr nur andeutungsweise berücksichtigt, liegt der «Parco della musica di Roma»: dreissigtausend Quadratmeter, vierhundert Bäume - die drei Konzertsäle von Renzo Piano sind, wie jetzt schon versichert wird, «immersi nel verde», in ein Grün getaucht, das indessen noch wachsen muss und den monumentalen Komplex wohl nie überschatten wird. Er gehört auch nicht zu den Bauten, denen man eine solche «Immersion» wünscht. Dem Architekten ist hier ein Wurf gelungen, dessen äussere Grossartigkeit jedenfalls ausser Zweifel steht.

Die Anlage, die der Presse am letzten Donnerstag vorgestellt worden ist, entfaltet sich in klug gedämpfter Symmetrie um einen Platz, auf den man entlang einem niedrigen Vorgebäude (Restaurant, Bar, Buchhandlung, Ausstellungsräume) zugeht. Drei Baukörper bilden einen Halbkreis: die grau gepanzerten Gehäuse oder Behälter des kleinen, des mittleren und des grossen Saals - 700, 1200, 2800 Plätze; ihr Umfang differiert von aussen gesehen etwas weniger, als es dem ungleichen Fassungsvermögen entspräche; die Steigerung ist aber sichtbar, sie führt den Blick von dem Vorgebäude zur Rechten über einen grossen und einen sehr grossen zu dem riesigen Rundbau, der zur Linken, Ruhepunkt und Hauptakzent zugleich, den Bogen schliesst. Ein langes Vestibül verbindet die drei Teile, in Abschnitten, die eine Leuchtschrift-Installation von Maurizio Nannucci - Sentenzen zur Kunst, zur Musik, zur Sprache, von Platon bis Lennon - verdeutlicht. Und über diesen Rundgang, nach aussen gewandt, ziehen sich Sitzreihen: Das Halbrund des Vorplatzes dient für Freilichtkonzerte.

Die Innenräume lassen sich bei einer blossen Besichtigung weniger leicht beurteilen. Im Bestreben, die Grössenunterschiede nicht zu dramatisieren, mag der Architekt es in Kauf genommen haben, dass die Säle, je grösser sie sind, umso niedriger wirken; das gibt dem grössten, der Sala Santa Cecilia, auf den ersten Blick etwas Bedrückendes. Am Konzertabend wird dieser Eindruck möglicherweise korrigiert, wenn sich das Publikum um die Musiker schart in einer Anordnung, die an die Berliner Philharmonie erinnert; auch kann bei günstiger Beleuchtung das Zusammenspiel von Kirschholz- und Stahlkonstruktionen, das in dem harten Arbeitslicht und in der Hektik der letzten Zurüstungen seinen Rhythmus noch nicht recht erkennen liess, nur gewinnen. Wie die Akustik sein wird? Wunderbar, erklärt der musikalische Oberleiter der Santa Cecilia, Myung- Whun Chung; er hört es voraus. Was man auch gern voraushören würde, ist ein wirklich gutes Orchester mit einem Chef, der vielleicht nicht gleichmässig alles, aber dafür auch nicht alles gleich mässig dirigiert.

Der Bau des Auditoriums ist (seit 1986) nicht ohne Verzögerungen und Unterbrechungen vonstatten gegangen; unter anderem deshalb, weil auf dem Terrain - wie könnte es anders sein - eine frührömische Siedlung und eine spätere repräsentative Villa zum Vorschein gekommen sind. In den Konzertpausen kann man die Ausgrabung und die Fundgegenstände an Ort und Stelle betrachten; der genius loci ist gegenwärtig auch in der Zukunft.

Neue Zürcher Zeitung, Mo., 2002.12.23



verknüpfte Bauwerke
Auditorium Parco della Musica

17. Juni 2002Hanno Helbling
Neue Zürcher Zeitung

Ein Ort für Kaiser Augustus

Seit dem Bau der Stazione Termini nach dem Zweiten Weltkrieg haben sich staatliche und kommunale Verwaltung der römischen Innenstadt weitgehend auf Restaurationen, archäologische Sicherungen und Tiefbauten beschränkt. Die Neugestaltung der Piazza Augusto Imperatore soll nun einen längst fälligen urbanistischen Eingriff realisieren.

Seit dem Bau der Stazione Termini nach dem Zweiten Weltkrieg haben sich staatliche und kommunale Verwaltung der römischen Innenstadt weitgehend auf Restaurationen, archäologische Sicherungen und Tiefbauten beschränkt. Die Neugestaltung der Piazza Augusto Imperatore soll nun einen längst fälligen urbanistischen Eingriff realisieren.

Als im Jahr 1937 das italienische Erziehungsministerium den Auftrag erhielt, die Ara Pacis, den «Friedensaltar», wiederherstellen zu lassen, drängte die Zeit. Schon in das folgende Jahr fiel der zweitausendste Geburtstag des Stifters, des Kaisers Augustus. Das Grabmal des römischen Imperators, das zwischen der Via del Corso und der Via di Ripetta gelegene «Mausoleo di Augusto», war soeben aus neuzeitlichen Überbauungen herausgelöst, in seinem durch jahrhundertelangen Zerfall reduzierten Bestand gesichert und einer zusätzlichen Bestimmung vorsorglich gewidmet worden: Der italienische Imperator hatte es sich zur letzten Ruhestatt ausersehen.

Zwei Obelisken hatten den Eingang zu dem Mausoleum flankiert; der eine ist 1786 vor dem Quirinalspalast aufgestellt worden, der andere, eine römische Imitation, steht seit 1587 auf der Piazza dell'Esquilino. Ein dritter, den Augustus von Heliopolis hatte kommen lassen, ein Obelisk aus der Zeit Psammetichs II., seit 1792 auf der Piazza di Montecitorio, stand etwa dreihundert Meter entfernt von dem Grabmal; er diente als Zeiger einer sehr grossen, durch Bronzeleisten auf dem Boden fixierten Sonnenuhr. Am 23. September, am Geburtstag des Kaisers, traf der Schatten seiner Spitze die Ara Pacis.

Der Altar, der auf Senatsbeschluss vom Jahr 13 v. Chr. von griechischen Künstlern geschaffen und nach vier Jahren geweiht wurde, sollte am nördlichen Zugang zur Stadt Rom den von dem Princeps erkämpften Friedenszustand symbolisieren. Das eigentliche Heiligtum, dessen Figurenschmuck nur unvollkommen erhalten ist, steht in einem rechteckigen, annähernd quadratischen Gehäuse; Stufen führen zu den Eingängen an den etwas schmaleren Seiten dieses Gevierts. Sowohl die Aussen- wie die Innenwände der etwa 11,6 auf 10,6 Meter messenden Marmorstätte zeigen in hochwertiger Reliefarbeit mythologische und allegorische Motive, vor allem aber zwei Prozessionen, die das sakrale und das dynastische Programm der augusteischen Herrschaft zur Anschauung bringen.

Das historisch wie künstlerisch bedeutsame Werk ist im Lauf von Jahrhunderten - von 1568 bis eben 1937 - an seinem ursprünglichen Standort stückweise zum Vorschein gekommen: unter dem Palazzo Peretti (dann Fiano, noch später Almagià) an der Via del Corso, der antiken Via Flaminia. Die Fragmente gerieten da- und dorthin, in den Louvre, nach Florenz, in das Museo Nazionale Romano, in die Villa Medici auf dem Pincio, in die Vatikanischen Museen. Der Architekt, dem nun die Wiederherstellung anvertraut war, Vittorio Ballio Morpurgo, musste die teils im zurückerstatteten Original, teils in Gipsabgüssen vorliegenden Teile zusammensetzen. Da es eilte, blieben viele Bruchstücke liegen, deren Einordnung nicht gleich gelang; die Rekonstruktion lässt sich anscheinend auch nachträglich nicht mehr vollständig durchführen.

Ballio Morpurgo, der 1938 - ein Opfer der von Mussolini übernommenen deutschen Rassengesetze - nicht weiterarbeiten durfte, hat eine fragmentarische, unglückliche Lösung eines kaum lösbaren Problems hinterlassen. Um die Ara Pacis an ihrem alten Ort wieder aufzustellen, hätte man eine Lücke in die Häuserreihe an der Via del Corso reissen müssen, die nun seit vielen Jahrhunderten nicht mehr, wie zur Zeit des Augustus, die nördliche Einfallstrasse, sondern eine Hauptstrasse der Innenstadt war. Der Verlust der historischen Funktion liess sich nicht rückgängig machen; man musste versuchen, ein Augustus- Ensemble als städtebaulichen Schwerpunkt in vergleichsweise zentraler Lage zu schaffen, und dieses Ensemble konnte - nach der Entfernung der Obelisken und dem Verschwinden der Sonnenuhr - nur noch in Mausoleum und Ara Pacis, umgeben von grossflächigen Fassaden faschistischer Bauart und drei stehen gebliebenen Kirchen, bestehen.

Auf der Westseite, gegen den Tiber hin, stand noch eine schmale Häuserreihe, die den Bau des Lungotevere und die Zerstörung des Porto di Ripetta überlebt hatte; sie wurde nun der Errichtung eines Pavillons geopfert, der die Ara Pacis aufnahm - einer an sich nicht unschönen Konstruktion aus Travertin, Glas und Bronze, die aber weder durch ihre Dimensionen oder durch ihre Ausstrahlung den Platz überzeugend abschliessen konnte noch für die Konservierung des Altars tauglich war. Dies vor allem: dass man um den Bestand des ungenügend geschützten Monuments besorgt sein musste, löste schon bald nach dem Krieg eine Diskussion aus, die das hier oft beobachtete Merkmal des Nichtendenwollens aufwies, zuletzt aber doch in die Entscheidung für ein ausgereiftes Projekt mündete.

Der Architekt, der dieses Projekt vorlegte und mit ihm den Beifall der zuständigen Behörden fand - einen Beifall, der durch nachdrückliche Zustimmung bedeutender Sponsoren mit inspiriert wurde -, heisst Richard Meier und ist Amerikaner. Dass sachverständige und andere Personen den Auftrag eher einem italienischen und noch eher einem römischen Künstler gegönnt hätten, führte dazu, dass Meiers Entwurf in der Presse eine Zeit lang mit dem Attribut «kontrovers» versehen wurde, was aber der Situation nicht entsprach und (deshalb oder dennoch) ohne Wirkung und Folgen blieb.

Der geplante und in absehbarer Zeit zu realisierende Neubau entspricht, unnötig zu sagen, dem hohen Anspruch an die Schutzmassnahmen, die ein sehr ungünstiges Mikroklima erfordert; denn der exponierte, grossen Temperaturschwankungen unterworfene Standort zwischen dem verkehrsreichen Lungotevere und der Via di Ripetta wird beibehalten. Und auch eine bessere als die bisherige Raumgestaltung strebt Meier an, indem er das Glashaus, das ähnlich wie bei Ballio Morpurgo den Altar umschliesst, in die Mitte eines langgestreckten Baukörpers stellt, der teils auf dem Niveau der Via di Ripetta, teils auf dem etwas höheren des Lungotevere ein die Piazza Augusto Imperatore wirklich begrenzendes Gegengewicht zu dem Grabmal des Kaisers bildet. Er kann oder muss so die Anlage zu einem eigentlichen Augustus-Museum erweitern; ob sie zu einem Publikumsmagneten wird? Ob sie die kalte, leere Monumentalität des Platzes vergessen macht? Man wird mit Bäumen nachhelfen müssen.

Neue Zürcher Zeitung, Mo., 2002.06.17



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