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13. März 2009Margarita Sanoudo
Neue Zürcher Zeitung

Das Vogelhaus als Baumlandschaft

Das Architekturbüro «group8» realisierte in Genf eine Volierenanlage, über der ein nierenförmiges Dach schwebt. Die ästhetische Gestalt und das kreative Konzept überzeugen gleichermassen.

Das Architekturbüro «group8» realisierte in Genf eine Volierenanlage, über der ein nierenförmiges Dach schwebt. Die ästhetische Gestalt und das kreative Konzept überzeugen gleichermassen.

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verknüpfte Bauwerke
Volière Bois de la Bâtie

02. September 2005Margarita Sanoudo
Neue Zürcher Zeitung

Baukultur im Aufwind

Die Entwicklung Genfs zu einem Drehkreuz von Finanzwelt und Verwaltung überschreitet die Grenzen der Stadt. Die mit dieser Dynamik verbundenen baulichen Aktivitäten verändern das Stadtbild und bewirken eine architektonische Weltoffenheit.

Die Entwicklung Genfs zu einem Drehkreuz von Finanzwelt und Verwaltung überschreitet die Grenzen der Stadt. Die mit dieser Dynamik verbundenen baulichen Aktivitäten verändern das Stadtbild und bewirken eine architektonische Weltoffenheit.

Die Stärken Genfs liegen in seiner kulturellen Tradition und Internationalität. Baukünstlerisch hingegen gab sich die Weltstadt am Lac Léman lange verhalten. Doch seit den neunziger Jahren kann man neue architektonische und städtebauliche Impulse bemerken. Vor allem die Industrie und der Dienstleistungssektor entfalten bauliche Initiativen, bei denen Aspekte der Architektur und der Wirtschaftlichkeit im Vordergrund stehen. Dies zeigt sich besonders schön an den Beispielen einer Quartiererweiterung, der Neugestaltung eines brachliegenden Industrieareals, der Transformation des Standortgebiets der Uhrenfabriken und mehrerer kleinerer Entwicklungszonen. Diese Projekte unterliegen zwar keiner klaren stadträumlichen Vision. Gleichwohl vermögen sie im grenzüberschreitenden urbanen Konglomerat Strategien für eine umfassende Zukunftsplanung zu verdeutlichen.
Urbanes Schulareal

Die Gemeinde Le Grand-Saconnex plant zurzeit neuen Wohnraum für rund 2500 Menschen auf einem zehn Hektaren grossen Entwicklungsareal. Während es sich bei den Wohnbauprojekten um banale Investorenarchitektur handelt, entschied sich die Gemeinde im Hinblick auf ein neues Schul- und Freizeitzentrum im Rahmen eines Wettbewerbs für das schlichte Projekt des in Genf tätigen Tessiner Architekten Lorenzo Lotti. Einen Massstab für den neuen Schulhausbau in Le Grand-Saconnex bildet das 1993 realisierte, mit grünlichem Schiefer verkleidete Schulhaus von Dévanthery & Lamunière. Ausgehend von dessen qualitativem Ansatz, konzipierte Lotti sein Zentrum. Dieses fügt sich ein zwischen den verschachtelten Dorfkern und die baumbestandene Bastion der Union Interparlementaire (UIP), für die Brauen & Waelchli unlängst einen naturbezogenen Anbau realisierten. In diesem städtebaulichen Geflecht soll nun Lottis nüchterne gläserne Tetralogie entstehen. Bereits rahmen drei körperhafte Kuben, gleichsam eine Mischung aus Tempel und Glaspalast, eine kulissenartige Plaza.

Die mit raumhohen, modularen Glaspaneelen gestaltete Fassade des Zentrums zieht sich ringförmig um Kindergarten, Schulbau und Sporthalle. Bald sind es klare, bald farbige Glasflächen, die sich nur scheinbar zufällig abwechseln. Zur Strasse hin dominiert Rot, zu den bepflanzten Aussenräumen hin schattiges Grün. Die grosszügig bemessene, offene Struktur der Bauten erzeugt eine lichte Räumlichkeit. Nach den Anforderungen des modernen Schulbaus entworfen, bietet dieses Bauwerk alternierend Gemeinschaftssäle und geschlossene Schulräume in linearen Sequenzen. Indem Lotti undogmatisch vorging und auf Transparenz zielte, gelang es ihm, visuelle Durchlässigkeit mit einer angenehmen urbanen Gesamtwirkung zu verbinden.

Verwandelte Industrieareale

Neue Entwicklungen bestimmen auch die Gebiete entlang der Geleisefelder. Sie wurden sowohl dank dem kosmetisch umgestalteten Bahnhofsplatz möglich als auch dank dem jüngst prämierten «optimistischen» Projekt der fünf von Jean Nouvel zusammen mit dem in Genf tätigen Architekten Eric Maria konzipierten Stationen der S-Bahn CEVA. Diese als unterirdische Lichtskulpturen entworfenen Haltestellen sollen die Realisierung einer grösseren, die Région franco- valdo-genevoise verbindenden Linie anregen.

Nicht weit vom Bahnhof, am Ufer von Perle- du-Lac, soll das Quartier Sécheron zu einem Zentrum «für herausragende Leistungen in der Forschung» umgewandelt werden, welches das neue Selbstverständnis der Metropole repräsentieren soll. Dabei lässt die als Alinghi-Sponsor bekannte Firma Serono - gleichsam in Anlehnung an den Basler Novartis-Campus - das ehemals von der Elektro- und Maschinenindustrie genutzte Areal vom Architekturbüro Jahn & Murphy aus Chicago zum Hauptsitz des weltweit tätigen Unternehmens für Biotechnologie und Pharmazeutik umgestalten. Dieser Campus, der den Übergang zwischen dem See, der internationalen Zone mit Uno-Gebäude und WTO-Hauptsitz, dem Botanischen Garten und der nordwestlich angrenzenden Gemeinde Le Grand-Saconnex bilden wird, könnte nach seiner Fertigstellung im Jahr 2006 die lange durch das ehemalige Industriegebiet blockierte Verbindung zum Bahnhof herstellen.

Im nahe der französischen Grenze im Südwesten von Genf gelegenen Quartier Plan-les-Ouates will die alteingesessene Genfer Uhrenindustrie die Vermarktung ihrer Luxusprodukte räumlich konzentrieren. Inmitten einer nur von Autobahnen erschlossenen Halbsteppe breitet sich eine multistrukturelle Industrie-Insel aus. Prestigebauwerke prägen eine organisatorisch und baulich in Raumsequenzen gegliederte Topographie. Die zur Verfügung stehenden Flächen werden einerseits von Firmen der neuen Technologien und von der chemisch-pharmazeutischen Industrie, anderseits von der Uhrenindustrie besetzt. Während sich der Bau von Rolex in nachtschwarzer, massiver Glaskonstruktion attraktiv präsentiert, werden die Firmensitze Piaget und Patek Philippe von kommerzieller Architektur geprägt. Als architektonisch bedeutendster Bau darf die Erweiterung des Sitzes der Uhrenmanufaktur Vacheron Constantin bezeichnet werden. Der von dem Lausanner Architekten Bernard Tschumi neu gestaltete Firmenhauptsitz beherrscht als Blickfang das gesamte Industrieareal. Die sanft geschwungene, an einen drapierten Schleier erinnernde Metallhülle steigt als fliessende Geste scheinbar schwerelos vom Erdboden zum Himmel empor. Virtuos auf sich bezogen, bildet sie einen Kontrast zur umgebenden Landschaft zwischen dem Salève und den Jurahöhen.

Ganzheitliche Sichtweise

Im Zuge eines stetigen Urbanisationsprozesses entstehen an zentralen und peripheren Lagen weitere Banken- und Firmenareale. Zu nennen wären etwa der 1996 errichtete, monolithisch- burgartige Zwillingsturm der ING-Bank im Quartier Eaux-Vives von Mario Botta oder der kurz vor der Fertigstellung stehende Firmensitz der Bank Pictet in Acacias. Dessen filigrane Glasfassade, die vom Genfer Andrea Bassi gestaltet wurde, wirkt zeitlos elegant. Gegenwärtig realisieren ausserdem Jean Nouvel und Eric Maria im einstigen Nobelvorort Bellevue einen Neubau für den internationalen Sitz des Luxusgüterkonzerns Richemont, zu dem Marken wie Baume & Mercier, Cartier, IWC, Montblanc und Vacheron Constantin gehören. Im Bau befindlich ist an idyllischer Seeuferlage mit altem Zedernbestand ein transparentes, pavillonartiges Glasgebäude, das sich auf alte Holzchalets bezieht und von der Vegetation durchdrungen wird. Zusammen mit den mit Pflanzenmotiven bedruckten Glasfassaden soll es die Landschaft verzaubern.

Ob diese überwiegend privat initiierten Projekte trotz ihrer Ausdruckskraft eine baukulturelle Wende einleiten werden, bleibt abzuwarten. Denn ihr Zusammenhang mit dem Stadtganzen ist nicht klar. Interessante Realisierungen können nämlich sowohl das Stadtgefüge auseinander dividieren als auch zu einem Erstarken der Baukultur und zur Stadtentwicklung beitragen. Für die Stadtentwicklung ist nicht die Addition der Planungen entscheidend, sondern die Gestaltung des Gesamtbildes und dessen programmatische Entfaltung. Daher sollte die Stadtplanung künftig bestrebt sein, Interventionen durch zweckmässige Ordnung und formschöne Bauten in die Stadtlandschaft einzubinden und diese damit aufzuwerten. Gleichzeitig sollte sie öffentliche Bauprojekte von hohem Niveau zugunsten eines urbanen, kulturellen und gesellschaftlichen Lebens fördern. Die Realisierungen verheissungsvoller Wettbewerbe wie desjenigen für die Umgestaltung der Place des Nations, der 1995 von Massimiliano Fuksas gewonnen wurde und zu der Grössen wie Peter Eisenman und Rem Koolhaas Bauten beitragen sollten, oder für den Erweiterungsbau des Musée d'art et d'histoire, den Nouvel 1999 für sich entscheiden konnte, blieben bis heute - als unerfüllte Hoffnungen - offen. Wie weit seither die baukünstlerischen und baupolitischen Erneuerung fortgeschritten ist, dürfte sich demnächst bei den Resultaten des Wettbewerbs für den Fernsehturm der TSR in Plainpalais zeigen.

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 2005.09.02

02. April 2004Margarita Sanoudo
Neue Zürcher Zeitung

Die Stadt als Bewegungsraum

In jüngster Zeit gelang es der Stadtplanung nur selten, die vielfältigen Aspekte der Olympischen Spiele und deren komplexe Begleitfaktoren - nachhaltige...

In jüngster Zeit gelang es der Stadtplanung nur selten, die vielfältigen Aspekte der Olympischen Spiele und deren komplexe Begleitfaktoren - nachhaltige...

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05. September 2003Margarita Sanoudo
Neue Zürcher Zeitung

Olympische Impulse

Die raumplanerischen Interventionen der Olympiastädte wurden immer wieder zum Prüfstein ihrer Entwicklung. Barcelona nahm die Spiele zum Anlass für einen nachhaltigen Urbanismus, welcher der Stadt Auftrieb verlieh. Athen hingegen wird sich im nächsten Jahr in städtebaulicher Hinsicht wohl kaum mit Barcelona messen können.

Die raumplanerischen Interventionen der Olympiastädte wurden immer wieder zum Prüfstein ihrer Entwicklung. Barcelona nahm die Spiele zum Anlass für einen nachhaltigen Urbanismus, welcher der Stadt Auftrieb verlieh. Athen hingegen wird sich im nächsten Jahr in städtebaulicher Hinsicht wohl kaum mit Barcelona messen können.

Nach der Wiedereinführung der Olympischen Spiele im Jahre 1896 in Athen entwickelten sich in den Olympiastädten allmählich grosse Sportkomplexe. Die ursprünglich bescheidenen Barackensiedlungen - wie 1908 in London oder 1924 in Paris - verwandelten sich allmählich in olympische Dörfer mit ausgebildeter Infrastruktur. Heute stellen Raumplanung und Nachhaltigkeit zentrale Aufgaben dar. Namentlich die Spiele von Seoul 1988 und Barcelona 1992 dienten als Katalysatoren für gross angelegte Transformationen. Und während in Los Angeles, das bereits über die nötige Infrastruktur verfügte, die Spiele 1984 dazu dienten, das Prestige der Stadt zu mehren, stellte Sydney im Jahr 2000 «umweltbezogene Richtlinien» auf, hinterliess eine nach ökologischen Überlegungen gestaltete Landschaft und band das Hauptgelände in Homebush-Bay bildhaft und eloquent ins Stadtganze ein.


Barcelonas urbane Offenheit

Barcelona - in den siebziger Jahren die wohl dichtestbesiedelte Stadt Europas - versuchte sich neben Genua, Nizza, Marseille und Valencia als wichtige Messestadt und als Drehscheibe zwischen Europa und Afrika zu etablieren. Dabei vermochte Barcelona nicht nur seine traditionsreiche Stadtbaukunst, die vom Mittelalter über den Modernisme genannten Jugendstil und den Rationalismus bis in die Nachkriegsmoderne reichte, zu bewahren, sondern darüber hinaus Entwicklungen zu stimulieren, indem es bei der Expansionsstrategie des 1859 von Ildefons Cerdà vorgelegten Stadterweiterungsprojekts ansetzte. Die traditionelle Morphologie der regionalen Entwicklungspläne von 1953 und der bis heute gültige «Plan General Metropolitano» von 1976 wurden den neuen Bedürfnissen der Öffentlichkeit angepasst. Schliesslich vermochte die Stadt, ausgehend von der Katalysatorwirkung der Olympia-Nominierung, mit bodenökonomischen Ansätzen und gezielten Interventionen eine vorbildliche urbanistische Rolle zu spielen.

Durch gesamtplanerische Sichtweise sowie ein offensives und bezüglich der Quartierplanungen detailliertes Vorgehen entwickelte Barcelona in den achtziger Jahren unter Oriol Bohigas, dem damaligen Delegierten für Städtebau, eine strategische Verflechtung von Event und nachhaltiger Stadtstruktur. Diese basierte auf der Planproyecto genannten Methode, welche die Architektur und den Städtebau direkt «über den Planungsprozess», d. h. im frühsten Entstehungsstadium, definierte. Sie manifestierte sich in der Requalifizierung der Peripherie durch raumwirksame Tätigkeiten: Durch Freiraumplanung entstanden Erholungsräume entlang der Meeresküste und der Flussläufe sowie ein Netz von über 150 miteinander verbundenen Plätzen. Wichtig war ausserdem die zusammenhängende verkehrstechnische Infrastruktur, bei welcher man Wert legte auf eine Modifizierung der bestehenden Eisenbahntrassees und des Strassensystems sowie auf den Bau von Parkplätzen, die teilweise unter neu geschaffenen Ramblas angelegt wurden. Schliesslich nahm man sich auch der Kanalisation an. Alle diese Eingriffe wurden unter der Prämisse der Aufhebung von physischen und visuellen Schranken vorgenommen.

Barcelona hat aber auch noch andere Schranken überwunden: Es verwandelte die Topographie der leicht abfallenden Ebene mit ihren vereinzelten Erhebungen zwischen dem Mittelmeer und dem parallel dazu verlaufenden Vorgebirge in eine symbolische Stadtlandschaft. Diese ist präzis auf eine territoriale Entwicklung ausgelegt, die stets danach strebt, ihre natürlichen Grenzen mit neuen Techniken zu überwinden. Das Besondere dabei liegt nicht nur in der Thematik der gesamtplanerischen Raumbetrachtung. Die strategische Aufwertung unterprivilegierter Randgebiete - es handelte sich hierbei um das wichtige Anliegen, peripheren Gebieten Zentrumscharakter zu geben - sowie die architektonischen und landschaftsplanerischen Interventionen sind ganz auf vielfältige Urbanität ausgerichtet.

Die vier olympischen Gelände sind Bestandteile von zwölf neu geschaffenen «Areas de Nova Centralitat» im tertiären Sektor, welche Schlüsselpositionen innerhalb der Stadtentwicklung einnehmen. Die am Meer errichtete Vila Olímpica vermochte von ihrer Lage zu profitieren, indem sie weite Ausblicke eröffnet. Als Übergang zwischen dem neuen Strandquartier von Barceloneta und dem Poble Nou mit seinen obsolet gewordenen Industrieanlagen konnte die Vila Olímpica den durch den Parc de la Ciutadella blockierten Anschluss an die Stadt und die Verbindung zum Meer herstellen. Hinzu kommt der positive Einfluss auf das lange benachteiligte Poble Nou. Ausgehend von einer kohärenten Fortschreibung von Cerdàs Stadterweiterung bilden hier zeitgemässe objekthafte Signaturbauten unterschiedlicher Architekten einen zeitgenössischen städtebaulichen Kontext. Der hier entstandene lichte Eindruck resultiert aber nicht nur aus der Überformung der Stadt und der eigenwilligen, ästhetischen Gestalt des Geländes, sondern zweifellos auch aus der Entfaltung der physischen Eigenheiten des Raumes. Die Suche nach Neuem und der Mut zu Ungewohntem und auch Unbequemem sind an diesem Ort Teil der Raumpolitik. Diese wird hier durch zweckmässige Ordnung und das entsprechende Raumgefüge mit der durch die Lage am Meer bedingten Offenheit verbunden; und mit Aussicht auf das «Weltforum der Kulturen 2004» engagiert sich Barcelona urbanistisch noch weiter.


Integrierende Raumordnung in Athen

Die nächsten Olympischen Sommerspiele werden in genau elf Monaten in Athen stattfinden. Im Hinblick auf diesen grossen Augenblick wird nun die griechische Metropole in ihrem Erscheinungsbild aktualisiert. Die Interventionen vermögen aber kaum wirksam zu greifen und die Stadt ressourcenschonend und positiv zu verändern. Sie wird zwar baulich verdichtet, aber funktionell nicht vernetzt. Neue Bilder, die bestechen könnten, werden nicht augenfällig. Punktuelle Resultate illustrieren am deutlichsten die weiterhin unkoordinierte Raumnutzung und die uneffiziente Verkehrsplanung. Statt die drei Metrolinien, die seit 1958 im Gespräch sind, zu einem zentralen System auszuweiten, baut man nun Tramtrassees. Die Verbindung der vier olympischen Entwicklungsgebiete mit dem olympischen Jachthafen an der attraktiven Küstenzone durch das Tram hat eine Neuverlegung von Schienen entlang der stark befahrenen Uferstrasse zur Folge, was dazu führt, dass das wichtige Erholungsgebiet am Meer noch schwerer zu erreichen und noch schlechter ins Stadtgefüge integriert sein wird. Vereinzelte Verkehrsknotenpunkte, eingestreute Grünanlagen und Neubauten schaffen keine Urbanität und fördern das öffentliche und kulturelle Leben dieser Gegend kaum. Anstelle von zukunftsweisenden Lösungen, die dem weiteren Gedeihen der Stadt nützten, bekommen die Athener urbanistische Improvisationen, die sich dauerhaft negativ auf den städtischen Raum auswirken.

Während Barcelona die olympischen Aktivitäten räumlich konzentrierte und die Stadtentwicklung subtil vernetzte, setzt Athen gleichsam auf das Gegenteil und verteilt die Austragungsorte auf die letzten Freiflächen in der attischen Grossregion. Auf Grund einer unbedarften Haltung dem Stadtkörper gegenüber - Entwicklung setzt man in Griechenland fast ausschliesslich mit der Bereitstellung von einzelnen baulichen Angeboten gleich - wird dessen Kopf abgetrennt und der Torso in mehrere Teile zertrümmert, die einzig dank dem Sport einen Zusammenhalt finden. Die Distanzen zwischen den nur schlecht vernetzten Arealen variieren erheblich, und in der figurativen Eintönigkeit der zeitgenössischen Stadt werden prägende Eigenheiten nicht thematisiert.

Wohl werden die Olympischen Spiele den Besuchern auch in Athen die Stadtlandschaft vor Augen führen; doch können die olympischen Anlagen weder experimentierend noch korrigierend auf das Weichbild der Stadt einwirken. Was die Gestaltung der Austragungsorte in Athen von jenen in Barcelona unterscheidet, resultiert nicht nur aus der Unterlassung bewusster Planung, sondern auch aus den architektonischen und landschaftlichen Eingriffen. Diese lassen nur wenig virtuose Einzelleistungen erkennen, weil den Investoren keine verbindlichen Vorgaben auferlegt wurden. Die drei Werke von Santiago Calatrava - die Umgestaltung des OAKA-Sportzentrums, die Bahnstation Neratziotissa und eine Fussgängerbrücke - bilden eine Ausnahme, handelt es sich dabei doch um Direktaufträge, hinter denen die Organisatoren, die Eisenbahn und die Metro standen.

Wenn die olympischen Interventionen in Athen städtebaulich weit weniger überzeugen als jene in Barcelona, mag das auch daran liegen, dass in Athen klare Ziele fehlten und kein wirklich klares städtebauliches Bild imaginiert wurde. Das Organisationsdefizit und die Aufsplitterung der Zuständigkeiten auf verschiedene städtische Ämter führten zu einer undurchsichtigen Verkettung von Aktivitäten, die vielerorts eine Qualitätsreduktion der Entwicklungsareale zeitigt. Ausserdem hatten Partikularinteressen und Spekulation zur Folge, dass die Einzelaspekte des komplexen Planungsvorhabens unzusammenhängend konzipiert und umgesetzt werden. So entwickelt sich Athen nach wie vor ohne gewinnbringende Auseinandersetzung zwischen der alten und der neuen Stadt. Doch ist es verantwortbar, diesen Kräften freien Lauf zu lassen?

Erst aus direkter Motivation für eine bewusste Architektur und Planungspolitik mit ganzheitlicher Sichtweise entsteht Urbanität. Daher sollte man revitalisieren. Athen braucht eine zentrale, steuernde Planungsbehörde, weil die Beschaffenheit des Umfeldes ausschlaggebend ist für die Lebensqualität. Und Athen kann als Metropole international nur mithalten, wenn ingenieurökologische Infrastrukturplanung wie etwa der Ausbau der Metro als vordringliche Massnahmen gefördert werden. Ein Minimalkonsens der Stadtentwicklung, der einer baukünstlerischen Differenzierung bedarf, sollte freilich nicht ausser acht gelassen werden. Am Betrachter vorüberziehende Bilder wie die Stadt «entlang des Meeres», «entlang der Täler», «entlang der Ufer», «entlang der Metrolinien» könnten - wie städtebauliche Bausteine konzipiert - die urbanen Bezüge aufnehmen, verarbeiten und reflektieren, kurz: ein menschenfreundlicheres Leben ermöglichen. So vermochte man aus Anlass der ersten Olympischen Spiele im Jahre 1896 mit dem Panathenäischen Stadion noch einen ausdrucksstarken Impuls für ein vielfältiges städtisches Leben zu geben. Man knüpfte damals an den ersten neuzeitlichen, im Jahre 1832 von Kleanthes und Schaubert vorgelegten Stadtplan von Athen an, der auf Anregung Schinkels eine «Vermählung der Antike mit der Natur und dem heutigen Leben» anstrebte.

Heute könnte das olympische Stadtmodell Barcelonas für Athen ein Vorbild sein. Dabei könnten sich scheinbare Defizite mit Weitsicht und direkt geforderter Masterplanung zum Vorteil der Umgebung und ihres dauerhaften Charakters auswirken. Für die Zukunft ist es sicherlich fruchtbarer - statt sich von der Ganzheit der Stadt immer weiter zu lösen -, das urbanistische Konzept aufzugreifen und damit also den Kopf wieder auf den Torso zu setzen, um die Struktur des Stadtkörpers zu beeinflussen. Darin liegt vielleicht der Sinn, Räume und ihre Beziehungen zu stärken und Kontinuität nicht im Sinne des Wachstums, sondern als qualitative Verbesserung voranzutreiben. Auch wenn es nicht gelingt, unmittelbar an die kollektive Leistung früherer Generationen anzuknüpfen, weil die historische gesellschaftliche Permanenz, die eine Stadt konstituiert, durch geschichtliche Ereignisse gerissen ist, könnten die Leitbilder der europäischen Stadt doch auch nach 2004 weiter greifen.

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 2003.09.05

06. Dezember 2002Margarita Sanoudo
Neue Zürcher Zeitung

Ringen um zukunftsträchtige Strategien

Athen im Banne der Olympischen Spiele

Athen im Banne der Olympischen Spiele

In knapp zwei Jahren werden in Athen die Olympischen Sommerspiele 2004 durchgeführt werden. Die Vorbereitungen lösen raumwirksame Prozesse von grosser Tragweite aus. Athen kann als internationale Metropole nur dann Schritt halten, wenn es die von dieser Grossveranstaltung ausgehenden Impulse langfristig zu nutzen weiss.

Auf einer Tagung im Juni 1998 fragte das Institut für Orts-, Regional- und Landesplanung an der ETH Zürich nach den Auswirkungen, die Grossprojekte wie Weltausstellungen oder Olympische Spiele auf den Lebensraum der Austragungsorte haben. Gleichzeitig lotete es das Potenzial von Grossveranstaltungen aus und spürte der Funktion nach, die dabei der Raumplanung zukommt. Mehrmals wurde dabei betont, dass Grossprojekte nachhaltig und langfristig für die betreffende Region von Nutzen sein müssten, und wurde auf den haushälterischen Umgang mit dem Boden und den koordinierten Einbezug öffentlicher Entscheidungsträger verwiesen. Festgehalten wurde, dass sich die Bewerbung Frankfurts für «Urbane Spiele am Main» positiv auf den Einbezug der Flussufer des Mains ins Stadtbild ausgewirkt habe und bei der Schweizerischen Landesausstellung der Raum der westlichen Mittellandseen profitieren werde, auch wenn nach Abschluss der Expo 02 auf den vier Arteplages fast durchwegs der ursprüngliche Zustand wiederhergestellt werden müsse.
Chancen für den Grossraum Athen

In diesen Tagen beginnt sich der Blick der «olympischen Weltöffentlichkeit» vermehrt auf die Entwicklungen in der Region Athen zu richten. Im Zentrum des Interesses stehen dabei auch die baulichen und organisatorischen Interventionen hin zu einer freundlicheren, angenehmeren und grosszügigeren Stadt. Die Olympischen Spiele sind für die griechische Hauptstadt eine einmalige Chance, um städteplanerische Visionen und Anregungen für eine integrierte Stadtentwicklung aufzugreifen und voranzutreiben. Denn dem Grossraum Athen mit seinen rund vier Millionen Einwohnern haftet hartnäckig das Stigma eines steinernen Meers an. Die Stadt mit ihrem starren und engen Strassenraster, ihren hohen Immissionswerten und ihrem grossen Verkehrsaufkommen vermag keine Bauvorhaben mehr aufzunehmen. Gleichzeitig sind die einzelnen Stadtquartiere, Siedlungen und öffentlichen Flächen schlecht miteinander verknüpft.

Im Hinblick auf die Ausführung der Spiele kommen deshalb vielfältige Anforderungen bezüglich Raumordnung, Infrastruktur und Vernetzung auf die griechische Metropole zu. Erwähnt seien nur die Effizienz der Verkehrsmittel, die Belastbarkeit des Strassennetzes, die touristische Infrastruktur, die koordinierte Raumnutzung, die Erfassbarkeit des Stadtgewebes. Besondere Belastungen, aber auch Chancen erwachsen der Stadt durch die eigentlichen olympischen Aktivitäten, die auf einem Modell geographisch verteilter Austragungsorte basieren. Diese kommen aus Konsensgründen auf bestehende Restflächen zu stehen. Potenziell eröffnen sich Entwicklungsmöglichkeiten wie die Förderung des öffentlichen Lebens, die Einbindung der Naherholungsgebiete am Meer und in den Bergen, aber auch Gefahren wie beispielsweise die Verschwendung von Ressourcen. Was einst temporäres Ereignis für den Geist und den Körper war, ist nun Erinnerung, die sich im Gebauten als «kollektive Skulptur» der bis ins Jahr 776 v. Chr. zurückreichenden Geschichte der Olympischen Spiele und der nationalen Zukunftsvisionen auf griechischem Boden manifestiert. So sehr allerdings die Erinnerung eine Stadtentwicklung stimulieren mag, so vehement wirken sich gesellschaftliche Verhältnisse als Hemmnis aus.

Noch fällt es allerdings schwer, sich in der Hektik von Planung und Ausführung eine gültige Vorstellung des Geplanten an den zwölf im historischen Zentrum, am Fuss der attischen Hügel, am Meeresufer und an der Peripherie der Stadt gelegenen olympischen Polen zu machen. Es wird sich zeigen, ob eine stilprägende, im Zusammenhang wahrnehmbare visuelle Identität für die Olympischen Spiele und längerfristig auch für die Stadtentwicklung erreicht werden kann. Darf man einen situations- und zielgerechten Umgang mit der komplexen Aufgabe erwarten? Die sich dem Fortschritt verpflichtet fühlende Pasok-Regierung und die Organisatoren sprachen bereits von einer «Garantie auf Erfolg». Sie dürften daher bestrebt sein, nicht nur «gute Spiele» für die Besucher und die Sportler zu organisieren und somit ein attraktives Ereignis von hoher Qualität anzubieten, sondern auch auf Nachhaltigkeit und Urbanität zu setzen, damit sich Athen als moderne, international konkurrenzfähige Metropole und Griechenland selbst als historischer Knotenpunkt und Vermittler zwischen dem europäischen und dem asiatischen Raum präsentieren kann.
Eine zukünftige Identität

Entscheidend zum Erfolg der Spiele und der Stadtentwicklung soll die Verteilung der Austragungsorte in unterschiedlichen Stadtgebieten beitragen. Hier eröffnet sich die einzigartige Möglichkeit, über planerische Massnahmen die Stadt besser erfahrbar zu machen. Einerseits soll es so möglich werden, die Orte präziser zu fassen, andererseits sollen sich die Besucher auf Entdeckungsreise begeben und die Stadt als begehbares Exponat erleben. Die räumlichen Beziehungen zwischen historischer Stadtsubstanz, Meer und Gebirge könnten so von Ort zu Ort erfahrbar werden. Verkehrstechnisch, infrastrukturell und bezüglich des Stadterlebnisses bedeutet die geographische Aufsplitterung der Spiele allerdings einen erheblichen planerischen Mehraufwand, um dessen Bewältigung man sich intensiv bemühen muss.

Über den Erfolg der Olympischen Spiele von Athen wird auch das sie begleitende Stadtentwicklungskonzept entscheiden, das bereits Defizite aufweist: etwa den nur partiellen Ausbau der Metro. Im Sinne der Nachhaltigkeit werden die olympischen Interventionen im Raum Athen langfristig daran gemessen werden, ob die durch die Spiele bedingten Eingriffe in ein ganzheitliches Stadtentwicklungskonzept integriert sind, ob die kulturellen, wirtschaftlichen und geographischen Qualitäten Athens und Griechenlands als Botschaft erkennbar thematisiert sind und ob die Olympischen Spiele dem geistigen und wirtschaftlichen Leben der Nation zukunftsweisende Impulse zu geben vermögen. Von den Organisatoren ist deshalb mehr gefragt als die Vermarktung eines schön verpackten «Luxusgutes». Derweil sieht man sich auf Grund der bisherigen Entwicklung zu Skepsis veranlasst. Jenseits von Alltag und effekthascherischer Oberfläche sollte der Blick nicht verloren gehen auf das Land und die Menschen. Die Metropole darf nicht der tragischen Unachtsamkeit verfallen, die Chancen dieses internationalen Grossanlasses für Stadt und Region nicht wahrzunehmen.

Mögen Teilplanungen auch einen gewissen Fortschritt darstellen, so ist doch die Entwicklung einer urbanen Haltung ohne eine Gesamtschau und den entsprechenden baulichen Rahmen unvorstellbar. Die Metropole vermag ihre Grenzen zu überwinden. Sie könnte die Geographie des attischen Beckens in eine symbolische Stadtlandschaft verwandeln, in der sich das historische Zentrum, die Stadt der Gegenwart und das geistige Erbe auf höchst eindringliche Weise verdichten. Mit aller Kraft sind daher die Voraussetzungen zu schaffen für die langfristige Entwicklung eines leistungsfähigen öffentlichen Verkehrsnetzes, für die Erschliessung der Erholungszonen am Meer und in den Bergen, für eine lebenswerte und vielfältige Urbanität mit klarerer Profilierung des öffentlichen und kulturellen Lebens und für eine prosperierende Wirtschaftsdrehscheibe.

[ Die Autorin ist Architektin und Raumplanerin ETHZ in Athen und Zürich. ]

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 2002.12.06

Presseschau 12

13. März 2009Margarita Sanoudo
Neue Zürcher Zeitung

Das Vogelhaus als Baumlandschaft

Das Architekturbüro «group8» realisierte in Genf eine Volierenanlage, über der ein nierenförmiges Dach schwebt. Die ästhetische Gestalt und das kreative Konzept überzeugen gleichermassen.

Das Architekturbüro «group8» realisierte in Genf eine Volierenanlage, über der ein nierenförmiges Dach schwebt. Die ästhetische Gestalt und das kreative Konzept überzeugen gleichermassen.

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verknüpfte Bauwerke
Volière Bois de la Bâtie

02. September 2005Margarita Sanoudo
Neue Zürcher Zeitung

Baukultur im Aufwind

Die Entwicklung Genfs zu einem Drehkreuz von Finanzwelt und Verwaltung überschreitet die Grenzen der Stadt. Die mit dieser Dynamik verbundenen baulichen Aktivitäten verändern das Stadtbild und bewirken eine architektonische Weltoffenheit.

Die Entwicklung Genfs zu einem Drehkreuz von Finanzwelt und Verwaltung überschreitet die Grenzen der Stadt. Die mit dieser Dynamik verbundenen baulichen Aktivitäten verändern das Stadtbild und bewirken eine architektonische Weltoffenheit.

Die Stärken Genfs liegen in seiner kulturellen Tradition und Internationalität. Baukünstlerisch hingegen gab sich die Weltstadt am Lac Léman lange verhalten. Doch seit den neunziger Jahren kann man neue architektonische und städtebauliche Impulse bemerken. Vor allem die Industrie und der Dienstleistungssektor entfalten bauliche Initiativen, bei denen Aspekte der Architektur und der Wirtschaftlichkeit im Vordergrund stehen. Dies zeigt sich besonders schön an den Beispielen einer Quartiererweiterung, der Neugestaltung eines brachliegenden Industrieareals, der Transformation des Standortgebiets der Uhrenfabriken und mehrerer kleinerer Entwicklungszonen. Diese Projekte unterliegen zwar keiner klaren stadträumlichen Vision. Gleichwohl vermögen sie im grenzüberschreitenden urbanen Konglomerat Strategien für eine umfassende Zukunftsplanung zu verdeutlichen.
Urbanes Schulareal

Die Gemeinde Le Grand-Saconnex plant zurzeit neuen Wohnraum für rund 2500 Menschen auf einem zehn Hektaren grossen Entwicklungsareal. Während es sich bei den Wohnbauprojekten um banale Investorenarchitektur handelt, entschied sich die Gemeinde im Hinblick auf ein neues Schul- und Freizeitzentrum im Rahmen eines Wettbewerbs für das schlichte Projekt des in Genf tätigen Tessiner Architekten Lorenzo Lotti. Einen Massstab für den neuen Schulhausbau in Le Grand-Saconnex bildet das 1993 realisierte, mit grünlichem Schiefer verkleidete Schulhaus von Dévanthery & Lamunière. Ausgehend von dessen qualitativem Ansatz, konzipierte Lotti sein Zentrum. Dieses fügt sich ein zwischen den verschachtelten Dorfkern und die baumbestandene Bastion der Union Interparlementaire (UIP), für die Brauen & Waelchli unlängst einen naturbezogenen Anbau realisierten. In diesem städtebaulichen Geflecht soll nun Lottis nüchterne gläserne Tetralogie entstehen. Bereits rahmen drei körperhafte Kuben, gleichsam eine Mischung aus Tempel und Glaspalast, eine kulissenartige Plaza.

Die mit raumhohen, modularen Glaspaneelen gestaltete Fassade des Zentrums zieht sich ringförmig um Kindergarten, Schulbau und Sporthalle. Bald sind es klare, bald farbige Glasflächen, die sich nur scheinbar zufällig abwechseln. Zur Strasse hin dominiert Rot, zu den bepflanzten Aussenräumen hin schattiges Grün. Die grosszügig bemessene, offene Struktur der Bauten erzeugt eine lichte Räumlichkeit. Nach den Anforderungen des modernen Schulbaus entworfen, bietet dieses Bauwerk alternierend Gemeinschaftssäle und geschlossene Schulräume in linearen Sequenzen. Indem Lotti undogmatisch vorging und auf Transparenz zielte, gelang es ihm, visuelle Durchlässigkeit mit einer angenehmen urbanen Gesamtwirkung zu verbinden.

Verwandelte Industrieareale

Neue Entwicklungen bestimmen auch die Gebiete entlang der Geleisefelder. Sie wurden sowohl dank dem kosmetisch umgestalteten Bahnhofsplatz möglich als auch dank dem jüngst prämierten «optimistischen» Projekt der fünf von Jean Nouvel zusammen mit dem in Genf tätigen Architekten Eric Maria konzipierten Stationen der S-Bahn CEVA. Diese als unterirdische Lichtskulpturen entworfenen Haltestellen sollen die Realisierung einer grösseren, die Région franco- valdo-genevoise verbindenden Linie anregen.

Nicht weit vom Bahnhof, am Ufer von Perle- du-Lac, soll das Quartier Sécheron zu einem Zentrum «für herausragende Leistungen in der Forschung» umgewandelt werden, welches das neue Selbstverständnis der Metropole repräsentieren soll. Dabei lässt die als Alinghi-Sponsor bekannte Firma Serono - gleichsam in Anlehnung an den Basler Novartis-Campus - das ehemals von der Elektro- und Maschinenindustrie genutzte Areal vom Architekturbüro Jahn & Murphy aus Chicago zum Hauptsitz des weltweit tätigen Unternehmens für Biotechnologie und Pharmazeutik umgestalten. Dieser Campus, der den Übergang zwischen dem See, der internationalen Zone mit Uno-Gebäude und WTO-Hauptsitz, dem Botanischen Garten und der nordwestlich angrenzenden Gemeinde Le Grand-Saconnex bilden wird, könnte nach seiner Fertigstellung im Jahr 2006 die lange durch das ehemalige Industriegebiet blockierte Verbindung zum Bahnhof herstellen.

Im nahe der französischen Grenze im Südwesten von Genf gelegenen Quartier Plan-les-Ouates will die alteingesessene Genfer Uhrenindustrie die Vermarktung ihrer Luxusprodukte räumlich konzentrieren. Inmitten einer nur von Autobahnen erschlossenen Halbsteppe breitet sich eine multistrukturelle Industrie-Insel aus. Prestigebauwerke prägen eine organisatorisch und baulich in Raumsequenzen gegliederte Topographie. Die zur Verfügung stehenden Flächen werden einerseits von Firmen der neuen Technologien und von der chemisch-pharmazeutischen Industrie, anderseits von der Uhrenindustrie besetzt. Während sich der Bau von Rolex in nachtschwarzer, massiver Glaskonstruktion attraktiv präsentiert, werden die Firmensitze Piaget und Patek Philippe von kommerzieller Architektur geprägt. Als architektonisch bedeutendster Bau darf die Erweiterung des Sitzes der Uhrenmanufaktur Vacheron Constantin bezeichnet werden. Der von dem Lausanner Architekten Bernard Tschumi neu gestaltete Firmenhauptsitz beherrscht als Blickfang das gesamte Industrieareal. Die sanft geschwungene, an einen drapierten Schleier erinnernde Metallhülle steigt als fliessende Geste scheinbar schwerelos vom Erdboden zum Himmel empor. Virtuos auf sich bezogen, bildet sie einen Kontrast zur umgebenden Landschaft zwischen dem Salève und den Jurahöhen.

Ganzheitliche Sichtweise

Im Zuge eines stetigen Urbanisationsprozesses entstehen an zentralen und peripheren Lagen weitere Banken- und Firmenareale. Zu nennen wären etwa der 1996 errichtete, monolithisch- burgartige Zwillingsturm der ING-Bank im Quartier Eaux-Vives von Mario Botta oder der kurz vor der Fertigstellung stehende Firmensitz der Bank Pictet in Acacias. Dessen filigrane Glasfassade, die vom Genfer Andrea Bassi gestaltet wurde, wirkt zeitlos elegant. Gegenwärtig realisieren ausserdem Jean Nouvel und Eric Maria im einstigen Nobelvorort Bellevue einen Neubau für den internationalen Sitz des Luxusgüterkonzerns Richemont, zu dem Marken wie Baume & Mercier, Cartier, IWC, Montblanc und Vacheron Constantin gehören. Im Bau befindlich ist an idyllischer Seeuferlage mit altem Zedernbestand ein transparentes, pavillonartiges Glasgebäude, das sich auf alte Holzchalets bezieht und von der Vegetation durchdrungen wird. Zusammen mit den mit Pflanzenmotiven bedruckten Glasfassaden soll es die Landschaft verzaubern.

Ob diese überwiegend privat initiierten Projekte trotz ihrer Ausdruckskraft eine baukulturelle Wende einleiten werden, bleibt abzuwarten. Denn ihr Zusammenhang mit dem Stadtganzen ist nicht klar. Interessante Realisierungen können nämlich sowohl das Stadtgefüge auseinander dividieren als auch zu einem Erstarken der Baukultur und zur Stadtentwicklung beitragen. Für die Stadtentwicklung ist nicht die Addition der Planungen entscheidend, sondern die Gestaltung des Gesamtbildes und dessen programmatische Entfaltung. Daher sollte die Stadtplanung künftig bestrebt sein, Interventionen durch zweckmässige Ordnung und formschöne Bauten in die Stadtlandschaft einzubinden und diese damit aufzuwerten. Gleichzeitig sollte sie öffentliche Bauprojekte von hohem Niveau zugunsten eines urbanen, kulturellen und gesellschaftlichen Lebens fördern. Die Realisierungen verheissungsvoller Wettbewerbe wie desjenigen für die Umgestaltung der Place des Nations, der 1995 von Massimiliano Fuksas gewonnen wurde und zu der Grössen wie Peter Eisenman und Rem Koolhaas Bauten beitragen sollten, oder für den Erweiterungsbau des Musée d'art et d'histoire, den Nouvel 1999 für sich entscheiden konnte, blieben bis heute - als unerfüllte Hoffnungen - offen. Wie weit seither die baukünstlerischen und baupolitischen Erneuerung fortgeschritten ist, dürfte sich demnächst bei den Resultaten des Wettbewerbs für den Fernsehturm der TSR in Plainpalais zeigen.

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 2005.09.02

02. April 2004Margarita Sanoudo
Neue Zürcher Zeitung

Die Stadt als Bewegungsraum

In jüngster Zeit gelang es der Stadtplanung nur selten, die vielfältigen Aspekte der Olympischen Spiele und deren komplexe Begleitfaktoren - nachhaltige...

In jüngster Zeit gelang es der Stadtplanung nur selten, die vielfältigen Aspekte der Olympischen Spiele und deren komplexe Begleitfaktoren - nachhaltige...

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05. September 2003Margarita Sanoudo
Neue Zürcher Zeitung

Olympische Impulse

Die raumplanerischen Interventionen der Olympiastädte wurden immer wieder zum Prüfstein ihrer Entwicklung. Barcelona nahm die Spiele zum Anlass für einen nachhaltigen Urbanismus, welcher der Stadt Auftrieb verlieh. Athen hingegen wird sich im nächsten Jahr in städtebaulicher Hinsicht wohl kaum mit Barcelona messen können.

Die raumplanerischen Interventionen der Olympiastädte wurden immer wieder zum Prüfstein ihrer Entwicklung. Barcelona nahm die Spiele zum Anlass für einen nachhaltigen Urbanismus, welcher der Stadt Auftrieb verlieh. Athen hingegen wird sich im nächsten Jahr in städtebaulicher Hinsicht wohl kaum mit Barcelona messen können.

Nach der Wiedereinführung der Olympischen Spiele im Jahre 1896 in Athen entwickelten sich in den Olympiastädten allmählich grosse Sportkomplexe. Die ursprünglich bescheidenen Barackensiedlungen - wie 1908 in London oder 1924 in Paris - verwandelten sich allmählich in olympische Dörfer mit ausgebildeter Infrastruktur. Heute stellen Raumplanung und Nachhaltigkeit zentrale Aufgaben dar. Namentlich die Spiele von Seoul 1988 und Barcelona 1992 dienten als Katalysatoren für gross angelegte Transformationen. Und während in Los Angeles, das bereits über die nötige Infrastruktur verfügte, die Spiele 1984 dazu dienten, das Prestige der Stadt zu mehren, stellte Sydney im Jahr 2000 «umweltbezogene Richtlinien» auf, hinterliess eine nach ökologischen Überlegungen gestaltete Landschaft und band das Hauptgelände in Homebush-Bay bildhaft und eloquent ins Stadtganze ein.


Barcelonas urbane Offenheit

Barcelona - in den siebziger Jahren die wohl dichtestbesiedelte Stadt Europas - versuchte sich neben Genua, Nizza, Marseille und Valencia als wichtige Messestadt und als Drehscheibe zwischen Europa und Afrika zu etablieren. Dabei vermochte Barcelona nicht nur seine traditionsreiche Stadtbaukunst, die vom Mittelalter über den Modernisme genannten Jugendstil und den Rationalismus bis in die Nachkriegsmoderne reichte, zu bewahren, sondern darüber hinaus Entwicklungen zu stimulieren, indem es bei der Expansionsstrategie des 1859 von Ildefons Cerdà vorgelegten Stadterweiterungsprojekts ansetzte. Die traditionelle Morphologie der regionalen Entwicklungspläne von 1953 und der bis heute gültige «Plan General Metropolitano» von 1976 wurden den neuen Bedürfnissen der Öffentlichkeit angepasst. Schliesslich vermochte die Stadt, ausgehend von der Katalysatorwirkung der Olympia-Nominierung, mit bodenökonomischen Ansätzen und gezielten Interventionen eine vorbildliche urbanistische Rolle zu spielen.

Durch gesamtplanerische Sichtweise sowie ein offensives und bezüglich der Quartierplanungen detailliertes Vorgehen entwickelte Barcelona in den achtziger Jahren unter Oriol Bohigas, dem damaligen Delegierten für Städtebau, eine strategische Verflechtung von Event und nachhaltiger Stadtstruktur. Diese basierte auf der Planproyecto genannten Methode, welche die Architektur und den Städtebau direkt «über den Planungsprozess», d. h. im frühsten Entstehungsstadium, definierte. Sie manifestierte sich in der Requalifizierung der Peripherie durch raumwirksame Tätigkeiten: Durch Freiraumplanung entstanden Erholungsräume entlang der Meeresküste und der Flussläufe sowie ein Netz von über 150 miteinander verbundenen Plätzen. Wichtig war ausserdem die zusammenhängende verkehrstechnische Infrastruktur, bei welcher man Wert legte auf eine Modifizierung der bestehenden Eisenbahntrassees und des Strassensystems sowie auf den Bau von Parkplätzen, die teilweise unter neu geschaffenen Ramblas angelegt wurden. Schliesslich nahm man sich auch der Kanalisation an. Alle diese Eingriffe wurden unter der Prämisse der Aufhebung von physischen und visuellen Schranken vorgenommen.

Barcelona hat aber auch noch andere Schranken überwunden: Es verwandelte die Topographie der leicht abfallenden Ebene mit ihren vereinzelten Erhebungen zwischen dem Mittelmeer und dem parallel dazu verlaufenden Vorgebirge in eine symbolische Stadtlandschaft. Diese ist präzis auf eine territoriale Entwicklung ausgelegt, die stets danach strebt, ihre natürlichen Grenzen mit neuen Techniken zu überwinden. Das Besondere dabei liegt nicht nur in der Thematik der gesamtplanerischen Raumbetrachtung. Die strategische Aufwertung unterprivilegierter Randgebiete - es handelte sich hierbei um das wichtige Anliegen, peripheren Gebieten Zentrumscharakter zu geben - sowie die architektonischen und landschaftsplanerischen Interventionen sind ganz auf vielfältige Urbanität ausgerichtet.

Die vier olympischen Gelände sind Bestandteile von zwölf neu geschaffenen «Areas de Nova Centralitat» im tertiären Sektor, welche Schlüsselpositionen innerhalb der Stadtentwicklung einnehmen. Die am Meer errichtete Vila Olímpica vermochte von ihrer Lage zu profitieren, indem sie weite Ausblicke eröffnet. Als Übergang zwischen dem neuen Strandquartier von Barceloneta und dem Poble Nou mit seinen obsolet gewordenen Industrieanlagen konnte die Vila Olímpica den durch den Parc de la Ciutadella blockierten Anschluss an die Stadt und die Verbindung zum Meer herstellen. Hinzu kommt der positive Einfluss auf das lange benachteiligte Poble Nou. Ausgehend von einer kohärenten Fortschreibung von Cerdàs Stadterweiterung bilden hier zeitgemässe objekthafte Signaturbauten unterschiedlicher Architekten einen zeitgenössischen städtebaulichen Kontext. Der hier entstandene lichte Eindruck resultiert aber nicht nur aus der Überformung der Stadt und der eigenwilligen, ästhetischen Gestalt des Geländes, sondern zweifellos auch aus der Entfaltung der physischen Eigenheiten des Raumes. Die Suche nach Neuem und der Mut zu Ungewohntem und auch Unbequemem sind an diesem Ort Teil der Raumpolitik. Diese wird hier durch zweckmässige Ordnung und das entsprechende Raumgefüge mit der durch die Lage am Meer bedingten Offenheit verbunden; und mit Aussicht auf das «Weltforum der Kulturen 2004» engagiert sich Barcelona urbanistisch noch weiter.


Integrierende Raumordnung in Athen

Die nächsten Olympischen Sommerspiele werden in genau elf Monaten in Athen stattfinden. Im Hinblick auf diesen grossen Augenblick wird nun die griechische Metropole in ihrem Erscheinungsbild aktualisiert. Die Interventionen vermögen aber kaum wirksam zu greifen und die Stadt ressourcenschonend und positiv zu verändern. Sie wird zwar baulich verdichtet, aber funktionell nicht vernetzt. Neue Bilder, die bestechen könnten, werden nicht augenfällig. Punktuelle Resultate illustrieren am deutlichsten die weiterhin unkoordinierte Raumnutzung und die uneffiziente Verkehrsplanung. Statt die drei Metrolinien, die seit 1958 im Gespräch sind, zu einem zentralen System auszuweiten, baut man nun Tramtrassees. Die Verbindung der vier olympischen Entwicklungsgebiete mit dem olympischen Jachthafen an der attraktiven Küstenzone durch das Tram hat eine Neuverlegung von Schienen entlang der stark befahrenen Uferstrasse zur Folge, was dazu führt, dass das wichtige Erholungsgebiet am Meer noch schwerer zu erreichen und noch schlechter ins Stadtgefüge integriert sein wird. Vereinzelte Verkehrsknotenpunkte, eingestreute Grünanlagen und Neubauten schaffen keine Urbanität und fördern das öffentliche und kulturelle Leben dieser Gegend kaum. Anstelle von zukunftsweisenden Lösungen, die dem weiteren Gedeihen der Stadt nützten, bekommen die Athener urbanistische Improvisationen, die sich dauerhaft negativ auf den städtischen Raum auswirken.

Während Barcelona die olympischen Aktivitäten räumlich konzentrierte und die Stadtentwicklung subtil vernetzte, setzt Athen gleichsam auf das Gegenteil und verteilt die Austragungsorte auf die letzten Freiflächen in der attischen Grossregion. Auf Grund einer unbedarften Haltung dem Stadtkörper gegenüber - Entwicklung setzt man in Griechenland fast ausschliesslich mit der Bereitstellung von einzelnen baulichen Angeboten gleich - wird dessen Kopf abgetrennt und der Torso in mehrere Teile zertrümmert, die einzig dank dem Sport einen Zusammenhalt finden. Die Distanzen zwischen den nur schlecht vernetzten Arealen variieren erheblich, und in der figurativen Eintönigkeit der zeitgenössischen Stadt werden prägende Eigenheiten nicht thematisiert.

Wohl werden die Olympischen Spiele den Besuchern auch in Athen die Stadtlandschaft vor Augen führen; doch können die olympischen Anlagen weder experimentierend noch korrigierend auf das Weichbild der Stadt einwirken. Was die Gestaltung der Austragungsorte in Athen von jenen in Barcelona unterscheidet, resultiert nicht nur aus der Unterlassung bewusster Planung, sondern auch aus den architektonischen und landschaftlichen Eingriffen. Diese lassen nur wenig virtuose Einzelleistungen erkennen, weil den Investoren keine verbindlichen Vorgaben auferlegt wurden. Die drei Werke von Santiago Calatrava - die Umgestaltung des OAKA-Sportzentrums, die Bahnstation Neratziotissa und eine Fussgängerbrücke - bilden eine Ausnahme, handelt es sich dabei doch um Direktaufträge, hinter denen die Organisatoren, die Eisenbahn und die Metro standen.

Wenn die olympischen Interventionen in Athen städtebaulich weit weniger überzeugen als jene in Barcelona, mag das auch daran liegen, dass in Athen klare Ziele fehlten und kein wirklich klares städtebauliches Bild imaginiert wurde. Das Organisationsdefizit und die Aufsplitterung der Zuständigkeiten auf verschiedene städtische Ämter führten zu einer undurchsichtigen Verkettung von Aktivitäten, die vielerorts eine Qualitätsreduktion der Entwicklungsareale zeitigt. Ausserdem hatten Partikularinteressen und Spekulation zur Folge, dass die Einzelaspekte des komplexen Planungsvorhabens unzusammenhängend konzipiert und umgesetzt werden. So entwickelt sich Athen nach wie vor ohne gewinnbringende Auseinandersetzung zwischen der alten und der neuen Stadt. Doch ist es verantwortbar, diesen Kräften freien Lauf zu lassen?

Erst aus direkter Motivation für eine bewusste Architektur und Planungspolitik mit ganzheitlicher Sichtweise entsteht Urbanität. Daher sollte man revitalisieren. Athen braucht eine zentrale, steuernde Planungsbehörde, weil die Beschaffenheit des Umfeldes ausschlaggebend ist für die Lebensqualität. Und Athen kann als Metropole international nur mithalten, wenn ingenieurökologische Infrastrukturplanung wie etwa der Ausbau der Metro als vordringliche Massnahmen gefördert werden. Ein Minimalkonsens der Stadtentwicklung, der einer baukünstlerischen Differenzierung bedarf, sollte freilich nicht ausser acht gelassen werden. Am Betrachter vorüberziehende Bilder wie die Stadt «entlang des Meeres», «entlang der Täler», «entlang der Ufer», «entlang der Metrolinien» könnten - wie städtebauliche Bausteine konzipiert - die urbanen Bezüge aufnehmen, verarbeiten und reflektieren, kurz: ein menschenfreundlicheres Leben ermöglichen. So vermochte man aus Anlass der ersten Olympischen Spiele im Jahre 1896 mit dem Panathenäischen Stadion noch einen ausdrucksstarken Impuls für ein vielfältiges städtisches Leben zu geben. Man knüpfte damals an den ersten neuzeitlichen, im Jahre 1832 von Kleanthes und Schaubert vorgelegten Stadtplan von Athen an, der auf Anregung Schinkels eine «Vermählung der Antike mit der Natur und dem heutigen Leben» anstrebte.

Heute könnte das olympische Stadtmodell Barcelonas für Athen ein Vorbild sein. Dabei könnten sich scheinbare Defizite mit Weitsicht und direkt geforderter Masterplanung zum Vorteil der Umgebung und ihres dauerhaften Charakters auswirken. Für die Zukunft ist es sicherlich fruchtbarer - statt sich von der Ganzheit der Stadt immer weiter zu lösen -, das urbanistische Konzept aufzugreifen und damit also den Kopf wieder auf den Torso zu setzen, um die Struktur des Stadtkörpers zu beeinflussen. Darin liegt vielleicht der Sinn, Räume und ihre Beziehungen zu stärken und Kontinuität nicht im Sinne des Wachstums, sondern als qualitative Verbesserung voranzutreiben. Auch wenn es nicht gelingt, unmittelbar an die kollektive Leistung früherer Generationen anzuknüpfen, weil die historische gesellschaftliche Permanenz, die eine Stadt konstituiert, durch geschichtliche Ereignisse gerissen ist, könnten die Leitbilder der europäischen Stadt doch auch nach 2004 weiter greifen.

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 2003.09.05

06. Dezember 2002Margarita Sanoudo
Neue Zürcher Zeitung

Ringen um zukunftsträchtige Strategien

Athen im Banne der Olympischen Spiele

Athen im Banne der Olympischen Spiele

In knapp zwei Jahren werden in Athen die Olympischen Sommerspiele 2004 durchgeführt werden. Die Vorbereitungen lösen raumwirksame Prozesse von grosser Tragweite aus. Athen kann als internationale Metropole nur dann Schritt halten, wenn es die von dieser Grossveranstaltung ausgehenden Impulse langfristig zu nutzen weiss.

Auf einer Tagung im Juni 1998 fragte das Institut für Orts-, Regional- und Landesplanung an der ETH Zürich nach den Auswirkungen, die Grossprojekte wie Weltausstellungen oder Olympische Spiele auf den Lebensraum der Austragungsorte haben. Gleichzeitig lotete es das Potenzial von Grossveranstaltungen aus und spürte der Funktion nach, die dabei der Raumplanung zukommt. Mehrmals wurde dabei betont, dass Grossprojekte nachhaltig und langfristig für die betreffende Region von Nutzen sein müssten, und wurde auf den haushälterischen Umgang mit dem Boden und den koordinierten Einbezug öffentlicher Entscheidungsträger verwiesen. Festgehalten wurde, dass sich die Bewerbung Frankfurts für «Urbane Spiele am Main» positiv auf den Einbezug der Flussufer des Mains ins Stadtbild ausgewirkt habe und bei der Schweizerischen Landesausstellung der Raum der westlichen Mittellandseen profitieren werde, auch wenn nach Abschluss der Expo 02 auf den vier Arteplages fast durchwegs der ursprüngliche Zustand wiederhergestellt werden müsse.
Chancen für den Grossraum Athen

In diesen Tagen beginnt sich der Blick der «olympischen Weltöffentlichkeit» vermehrt auf die Entwicklungen in der Region Athen zu richten. Im Zentrum des Interesses stehen dabei auch die baulichen und organisatorischen Interventionen hin zu einer freundlicheren, angenehmeren und grosszügigeren Stadt. Die Olympischen Spiele sind für die griechische Hauptstadt eine einmalige Chance, um städteplanerische Visionen und Anregungen für eine integrierte Stadtentwicklung aufzugreifen und voranzutreiben. Denn dem Grossraum Athen mit seinen rund vier Millionen Einwohnern haftet hartnäckig das Stigma eines steinernen Meers an. Die Stadt mit ihrem starren und engen Strassenraster, ihren hohen Immissionswerten und ihrem grossen Verkehrsaufkommen vermag keine Bauvorhaben mehr aufzunehmen. Gleichzeitig sind die einzelnen Stadtquartiere, Siedlungen und öffentlichen Flächen schlecht miteinander verknüpft.

Im Hinblick auf die Ausführung der Spiele kommen deshalb vielfältige Anforderungen bezüglich Raumordnung, Infrastruktur und Vernetzung auf die griechische Metropole zu. Erwähnt seien nur die Effizienz der Verkehrsmittel, die Belastbarkeit des Strassennetzes, die touristische Infrastruktur, die koordinierte Raumnutzung, die Erfassbarkeit des Stadtgewebes. Besondere Belastungen, aber auch Chancen erwachsen der Stadt durch die eigentlichen olympischen Aktivitäten, die auf einem Modell geographisch verteilter Austragungsorte basieren. Diese kommen aus Konsensgründen auf bestehende Restflächen zu stehen. Potenziell eröffnen sich Entwicklungsmöglichkeiten wie die Förderung des öffentlichen Lebens, die Einbindung der Naherholungsgebiete am Meer und in den Bergen, aber auch Gefahren wie beispielsweise die Verschwendung von Ressourcen. Was einst temporäres Ereignis für den Geist und den Körper war, ist nun Erinnerung, die sich im Gebauten als «kollektive Skulptur» der bis ins Jahr 776 v. Chr. zurückreichenden Geschichte der Olympischen Spiele und der nationalen Zukunftsvisionen auf griechischem Boden manifestiert. So sehr allerdings die Erinnerung eine Stadtentwicklung stimulieren mag, so vehement wirken sich gesellschaftliche Verhältnisse als Hemmnis aus.

Noch fällt es allerdings schwer, sich in der Hektik von Planung und Ausführung eine gültige Vorstellung des Geplanten an den zwölf im historischen Zentrum, am Fuss der attischen Hügel, am Meeresufer und an der Peripherie der Stadt gelegenen olympischen Polen zu machen. Es wird sich zeigen, ob eine stilprägende, im Zusammenhang wahrnehmbare visuelle Identität für die Olympischen Spiele und längerfristig auch für die Stadtentwicklung erreicht werden kann. Darf man einen situations- und zielgerechten Umgang mit der komplexen Aufgabe erwarten? Die sich dem Fortschritt verpflichtet fühlende Pasok-Regierung und die Organisatoren sprachen bereits von einer «Garantie auf Erfolg». Sie dürften daher bestrebt sein, nicht nur «gute Spiele» für die Besucher und die Sportler zu organisieren und somit ein attraktives Ereignis von hoher Qualität anzubieten, sondern auch auf Nachhaltigkeit und Urbanität zu setzen, damit sich Athen als moderne, international konkurrenzfähige Metropole und Griechenland selbst als historischer Knotenpunkt und Vermittler zwischen dem europäischen und dem asiatischen Raum präsentieren kann.
Eine zukünftige Identität

Entscheidend zum Erfolg der Spiele und der Stadtentwicklung soll die Verteilung der Austragungsorte in unterschiedlichen Stadtgebieten beitragen. Hier eröffnet sich die einzigartige Möglichkeit, über planerische Massnahmen die Stadt besser erfahrbar zu machen. Einerseits soll es so möglich werden, die Orte präziser zu fassen, andererseits sollen sich die Besucher auf Entdeckungsreise begeben und die Stadt als begehbares Exponat erleben. Die räumlichen Beziehungen zwischen historischer Stadtsubstanz, Meer und Gebirge könnten so von Ort zu Ort erfahrbar werden. Verkehrstechnisch, infrastrukturell und bezüglich des Stadterlebnisses bedeutet die geographische Aufsplitterung der Spiele allerdings einen erheblichen planerischen Mehraufwand, um dessen Bewältigung man sich intensiv bemühen muss.

Über den Erfolg der Olympischen Spiele von Athen wird auch das sie begleitende Stadtentwicklungskonzept entscheiden, das bereits Defizite aufweist: etwa den nur partiellen Ausbau der Metro. Im Sinne der Nachhaltigkeit werden die olympischen Interventionen im Raum Athen langfristig daran gemessen werden, ob die durch die Spiele bedingten Eingriffe in ein ganzheitliches Stadtentwicklungskonzept integriert sind, ob die kulturellen, wirtschaftlichen und geographischen Qualitäten Athens und Griechenlands als Botschaft erkennbar thematisiert sind und ob die Olympischen Spiele dem geistigen und wirtschaftlichen Leben der Nation zukunftsweisende Impulse zu geben vermögen. Von den Organisatoren ist deshalb mehr gefragt als die Vermarktung eines schön verpackten «Luxusgutes». Derweil sieht man sich auf Grund der bisherigen Entwicklung zu Skepsis veranlasst. Jenseits von Alltag und effekthascherischer Oberfläche sollte der Blick nicht verloren gehen auf das Land und die Menschen. Die Metropole darf nicht der tragischen Unachtsamkeit verfallen, die Chancen dieses internationalen Grossanlasses für Stadt und Region nicht wahrzunehmen.

Mögen Teilplanungen auch einen gewissen Fortschritt darstellen, so ist doch die Entwicklung einer urbanen Haltung ohne eine Gesamtschau und den entsprechenden baulichen Rahmen unvorstellbar. Die Metropole vermag ihre Grenzen zu überwinden. Sie könnte die Geographie des attischen Beckens in eine symbolische Stadtlandschaft verwandeln, in der sich das historische Zentrum, die Stadt der Gegenwart und das geistige Erbe auf höchst eindringliche Weise verdichten. Mit aller Kraft sind daher die Voraussetzungen zu schaffen für die langfristige Entwicklung eines leistungsfähigen öffentlichen Verkehrsnetzes, für die Erschliessung der Erholungszonen am Meer und in den Bergen, für eine lebenswerte und vielfältige Urbanität mit klarerer Profilierung des öffentlichen und kulturellen Lebens und für eine prosperierende Wirtschaftsdrehscheibe.

[ Die Autorin ist Architektin und Raumplanerin ETHZ in Athen und Zürich. ]

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 2002.12.06

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