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05. Juli 2014Christian Kühn
Spectrum

Nichts ist egal

Seine Bauten waren ihrer Zeit Jahrzehnte voraus. So ist es keine Überraschung, dass sie heute dringend saniert werden müssen. Wien sollte das Andenken an Helmut Richter ehren, indem es seine Bauten weitersprechen lässt– die Stadt hat nicht viele Räume dieser Qualität zu bieten.

Seine Bauten waren ihrer Zeit Jahrzehnte voraus. So ist es keine Überraschung, dass sie heute dringend saniert werden müssen. Wien sollte das Andenken an Helmut Richter ehren, indem es seine Bauten weitersprechen lässt– die Stadt hat nicht viele Räume dieser Qualität zu bieten.

Über Architektur zu sprechen ist Helmut Richter nie leicht gefallen. Ein allgemeines Gespräch zum Thema „Architektur“ hielt er für sinnlos, weil es keine ästhetischen Argumente gäbe, sondern nur ästhetische Postulate. Die würden allerdings nicht vom Himmel und dem Architektengenie in die Hände fallen. Vielmehr sei festzuhalten, dass „die ständige Beschäftigung mit einem Problem, dauernde Anstrengung und der Wille, etwas zu verbessern, neben der Verwendung von klaren Argumenten bei der Kontrolle unserer Handlungen zu dem Resultat führt“.

Es ist symptomatisch, dass Richter „dem Resultat“ kein Adjektiv beistellt, wie man es an dieser Stelle erwarten würde. Sollte es nicht zumindest „korrekt“ sein, besser noch „gelungen“ oder „herausragend“? Das wäre für Richter schon zu viel an Selbstgefälligkeit gewesen. Das Resultat ist, was es ist. Aber im selben Text, der 1984 in der Zeitschrift „UmBau“ erschien, heißt es auch: „Die Methode sei der ständige Zweifel, die Kontrolle, die Korrektur.“ So macht man sich und seiner Umgebung kein leichtes Leben. Aber man gelangt zu außergewöhnlichen Resultaten. Und das ist das Mindeste, das man über Helmut Richters Architektur sagen kann.

Geboren wurde Richter 1941 in Ratten in der Steiermark. „Aufgewachsen bin ich im Wald“, sagte er vor Jahren in einem Interview und legte damit wahrscheinlich eine falsche Fährte: Sein Vater war Bergbauingenieur, und beeinflusst haben ihn weniger die Natur als das industrielle Gerät und die Industriebauten des Kohlebergwerks im Ort. Nach dem Architekturstudium an der TU in Graz ging Richter 1969 in die USA, um an der University of California, Los Angeles, weiterzustudieren. Dem Trend der Zeit entsprechend, belegte er Vorlesungen in System- und Netzwerktheorie und war bis 1971 als Forschungsassistent tätig. Er kehrte nicht direkt nach Österreich zurück, sondern wechselte für vier Jahre als Assistenzprofessor an die École nationale superiéure des beaux-arts in Paris.

Dort freundete sich Richter mit einer internationalen Gruppe von Architekten an, die gerade mit der Planung des Centre Pompidou befasst waren. Zum ersten Mal in der Geschichte Frankreichs hatten an dem Wettbewerb für dieses Projekt auch ausländische Architekten teilnehmen dürfen, und aus fast 700 Einreichungen machte das Team des Engländers Richard Rogers und des Italieners Renzo Piano das Rennen. Das Projekt eines anderen Briten, des 23 Jahre alten William Alsop, kam auf Platz zwei. Richter hoffte, sich in diesem Pariser Umfeld als internationaler Architekt selbstständig machen zu können. Das ging nicht auf, aber der kontinuierliche Austausch mit den Architekten und Ingenieuren der Architekturströmung, die man ab Mitte der 1970er-Jahre als „Hightech“ zu bezeichnen begann, ließ ihn Konstruktion und Material neu denken: nicht als Mittel zum Zweck, sondern als zentrales Medium des architektonischen Schaffens. Unter den österreichischen Architekten gelangte nur Konrad Frey, der zur selben Zeit wie Richter an der TU Graz diplomiert und danach in London bei Arup Associates – den Ingenieuren des Centre Pompidou – gearbeitet hatte, zu einem vergleichbaren Verständnis.

Im Jahr 1977 kehrte Richter nach Wien zurück und gründete gemeinsam mit Heidulf Gerngroß ein eigenes Büro, das sehr rasch auffällig wurde. Während an der TU Wien mit Rob Krier ein wortgewaltiger Vertreter der Postmoderne den Ton angab, legten Gerngroß/Richter Projekte einer zweiten, entspannt wirkenden Moderne vor. Es waren kleine und kleinste Aufgaben: das Einfamilienhaus Königseder in Oberösterreich, das Bad Sares und das Restaurant Kiang in Wien, alle in den Jahren zwischen 1980 und 1985 realisiert. Für viele Studierenden an den Wiener Architekturschulen wurden diese Projekte zu Leitbildern. Sie waren der gebaute Beweis, dass ihre Lehrer unrecht hatten. Die behaupteten nämlich zu dieser Zeit, man müsse einem Projekt ansehen, dass es die Weltgeschichte der Architektur ehrfurchtsvoll zitiert. Die Projekte unter dem Label von Gerngroß/Richter zeigten eine Alternative auf, die völlig im Heute zu Hause war. Wer diesen Weg verfolgte, war aber auch gegen jede Art von Dekonstruktivismus immunisiert. Richters Lieblingsphilosophen waren Wittgenstein und Popper. Er verstand Entwerfen als deduktiven Prozess, dessen Ergebnisse sich im Leben zu bewähren haben, und Bauschäden als Erkenntnisgewinn durch Falsifikation.

Zur Attraktivität der Person Helmut Richters bei der jungen Szene trug wesentlich seine kompromisslose Haltung bei – sie führte aber nicht immer zum Erfolg. Beim Wohnbau auf den Wiener Gräf-und-Stift-Gründen, der als Stahlkonstruktion geplant war, erlebte er eine doppelte Niederlage: Die Ausführung erfolgte in Massivbauweise, und die zahlreichen Grundrissvarianten, die der Entwurf den Nutzern angeboten hätte, wurden auf zwei reduziert. Im Kampf mit der Genossenschaft ließ sich Richter auf keinen Kompromiss ein, bis er den Auftrag verlor. Sein Gegenüber erwartete von einem Haus nicht mehr, als dass es warm, trocken und möglichst billig war. Richters Leidenschaft galt der Präzision bis ins letzte Detail. Richard Manahl von Artec, einer der ersten Mitarbeiter im Büro Gerngroß/Richter, berichtet, er hätte dort vor allem ein Prinzip gelernt: „Nichts ist egal.“ In der Wiener Welt des Durchwurstelns ist das bis heute eine Kampfansage.

Diese Ansage hat Richter seit den frühen 1980er-Jahren auf vielen Wegen in die österreichische Architekturszene getragen. Da wären einerseits die Mitarbeiter in seinem Büro, andererseits die Studierenden, die er zuerst als Lehrbeauftragter an der Angewandten, dann als Gastprofessor in Kassel und schließlich ab 1991 als Nachfolger von Ernst Hiesmayr an der TU Wien unterrichtet hat. In seiner Zeit als Professor betreute Richter rund 750 Diplomarbeiten: eine ganze Architektengeneration.

An der TU etablierte er mit seinen Assistentinnen und Assistenten eine Schule, die aus dem Betrieb herausleuchtete. Zu denen, die ihm auf die eine oder andere Art wesentliche Impulse verdanken, gehören viele, auch einige der besten der heute um die 50-jährigen Architekten in Wien, unter anderem Fasch und Fuchs, Querkraft, Gerner und Gerner, Andreas Treusch, Pichler Traupmann, Berger und Parkkinen, Bulant und Wailzer, Tillner und Willinger.

Diese Architekten verbindet ein Verständnis für Konstruktion und Material, wie es an den beiden Hauptwerken Richters, der Wohnhausanlage in der Brunner Straße und der Hauptschule am Kinkplatz, abzulesen ist. Peter Cook hat diese Architektur als „Hand-Tailored Tech“ bezeichnet. Sie ist exklusive Maßarbeit, im Unterschied zum britischen und französischen Hightech, der auf große Ingenieurbüros und ausführende Firmen mit Stahlbautradition zurückgreifen konnte. Richter und sein Ingenieur, Lothar Heinrich von Vasko und Partner, entwickelten Konstruktionen, die ihrer Zeit 20 Jahre voraus waren. Scheinbar serielle Industrieprodukte, die aber nicht aus der Fabrik, sondern aus der Schlosserei stammen.

Dass diese Bauten heute, nach 20 Jahren, dringend saniert werden müssen, ist keine Überraschung. Sie teilen dieses Schicksal mit dem Centre Pompidou, dessen erste Generalsanierung 20 Jahre nach der Eröffnung begann. Mit heutigen Technologien lassen sich Richters Bauten warm und dicht machen, ohne ihre Qualität zu zerstören. Am 15. Juni ist Helmut Richter nach langer Krankheit verstorben. Wien sollte das Andenken an diesen stillen, fast scheuen Architekten ehren, indem es seine Bauten weitersprechen lässt. Die Stadt hat nicht viele Räume in dieser Qualität zu bieten.

21. Juni 2014Maik Novotny
Der Standard

Kein Gramm zu viel

Zum Tode von Helmut Richter (1941-2014): Der Meister der scharfen Kanten und intelligenten Reduktion prägte eine ganze Generation von Architekten. Ein Nachruf.

Zum Tode von Helmut Richter (1941-2014): Der Meister der scharfen Kanten und intelligenten Reduktion prägte eine ganze Generation von Architekten. Ein Nachruf.

Respekt, Bewunderung, Trauer, versonnene Anekdoten - all diese angemessenen Reaktionen waren zu verzeichnen, als die Nachricht vom Tod Helmut Richters, der am vorigen Sonntag, zwei Tage nach seinem 73. Geburtstag, nach langer Krankheit verstarb, bekannt wurde. Doch es war unter den spontan, schnell und reichlich eintreffenden Bekundungen vor allem eines, das hervorstach: Dankbarkeit. Und dies in einer Direktheit und Aufrichtigkeit, die selbst auf Außenstehende anrührend wirkte.

„Niemand prägte unser Büro mehr als Helmut Richter. Wir haben bei ihm studiert, in seinem Büro gearbeitet, an seinem Institut unterrichtet. Er polarisierte! Allein dafür vermissen wir ihn!“ schreiben beispielsweise Jakob Dunkl, Gerd Erhartt und Peter Sapp vom Büro Querkraft. Dass die warmherzig-wehmütigen Nachrufe einem Architekten galten, dessen Bauten auf den ersten Blick eher kantig und kühl scheinen, ist kein Widerspruch. Die Bewunderung galt vor allem seiner ansteckenden Begeisterung für Architektur und seinem unablässigen Drang zur Innovation.

Immer unter Spannung

Geboren 1941 in Graz, studierte Richter Architektur an der TU Graz und Informationstheorie sowie System- und Netzwerktheorie an der University of California in Los Angeles. Das Interesse an Mathematik sollte ihn später genauso prägen wie das zur Philosophie. 1977 gründete er gemeinsam mit Heidulf Gerngroß sein Büro, die ersten Wohnbauten wie das Haus Königseder in Oberösterreich und die Glasfassade einer Wohnanlage an der Brunner Straße in Wien sorgten für Aufsehen. In einer Zeit, als vor allem mit bildhauerischer Opulenz prunkende Raumkünstler wie Hans Hollein die heimische Architektur dominierten, setzte Richter auf die intelligente Reduktion: Glas, Metall, konstruktiv ans äußerste Minimum getrieben: kein Gramm zu viel.

In dieser Leichtigkeit, die er ins schwerfällige Wien brachte, war er am ehesten verwandt mit den technikaffinen Konstrukteuren aus Großbritannien und Frankreich, die keine Scheu vor der Industrie kannten. Doch entwickelte Richter seine völlig eigene Version des Hightech: Anstelle der laborkalten Glätte eines Norman Foster oder der hemdsärmeligen Werkstatttüftelei des genialen Erfinders Jean Prouvé verlieh Helmut Richter seiner konstruktiven Intelligenz eine sinnliche Eleganz, die immer leicht unter Spannung zu stehen schien.

Kompromisse kannte er dabei nicht: Als er bei seinem Hauptwerk, der gläsern kristallinen Informatikmittelschule in Wien-Penzing (1992-94), herausfand, dass sich ein Stahlträger über dem luftigen zentralen Turnsaal noch weiter verkürzen ließ und der Statiker folgerichtig die Mehrkosten für die Umplanung anmahnte, zahlte Richter das Weniger an Material kurzerhand mit einem Mehr aus eigener Tasche. Reich wurde er durch seine Arbeit nicht.

Absolut authentisch

„Er war absolut authentisch und ehrlich. Es gibt selten Menschen, die ihre Überzeugungen so leben, mit solchem Rückgrat, auch wenn es ihnen Nachteile bringt“, sagt seine Frau, die Architektin Silja Tillner, zum STANDARD. Dieser kantige Eigensinn machte es ihm und anderen nicht immer leicht. Als ihn sein Freund und Kollege Rob Krier Anfang der 1990er-Jahre einlud, sich an dessen neuem Stadtviertel in Potsdam zu beteiligen, lehnte er ab: Der konservative Krier hatte es zur Bedingung gemacht, aus Stein oder Ziegel zu bauen - für Richter undenkbar.

Es mag an dieser Unbeirrbarkeit liegen, dass Richter im Ausland niemals Fuß fasste. Das ist durchaus bedauerlich. Welchen Weg hätte wohl seine Karriere genommen, wäre 1982 sein maßgeschneiderter Stadtmaschinenentwurf für die Opéra Bastille realisiert worden, und nicht der heute bereits alt, schwer und müde wirkende Mitterrand-Pomp des Uruguayers Carlos Ott?

Nicht immer leicht

Mancher wird insgeheim auch dieser Fügung dankbar gewesen sein, denn schließlich sorgte Richters Fokussierung auf Wien dafür, dass er die internationale Welt nach Österreich brachte, etwa in den von ihm initiierten legendären Vortragsreihen während seiner Professur an der TU Wien von 1991 bis 2007, im Zuge deren er rund 500 Diplomarbeiten betreute. Dort prägte er eine ganze Generation von Architekten, die ihrerseits heute das österreichische Baugeschehen prägen. Sein enormes ingenieurtechnisches und bauhistorisches Wissen (er konnte alle barocken Kirchen Venedigs auswendig aufzählen, hieß es) kam ihm und seinen Schülern zugute.

„Durch seine lange, schwere Krankheit ist Helmut Richter für viele in Vergessenheit geraten, für mich nicht! Als Architekt und Lehrer war er ein Genie“, sagt Andreas Gerner vom Büro gerner°gerner plus, langjähriger Mitarbeiter im Büro Richter und Assistent am Institut Richter der TU Wien. „Als Mensch hatte er Kanten, die ihn zu einem Schwierigen machten. Das hat die Zusammenarbeit mit ihm nicht immer leicht gemacht. Aber gelernt habe ich viel von ihm, unter anderem die unendliche Liebe zu Details, die Forschung mit und am Material, die feine Statik. Ich bin durch ihn letztendlich noch neugieriger geworden. Ich war ihm dafür immer dankbar.“

Nicht überall wird diese Dankbarkeit geteilt: Richters gläserner Schule in Penzing droht seit einiger Zeit der Abriss. Bleibt zu hoffen, dass den bekennenden Thomas-Bernhard-Verehrer Helmut Richter das Bernhard'sche Schicksal der posthumen Anerkennung von oben rettet. „Jetzt werden viele mit netten Worten seiner gedenken. Zuerst gehasst und nach seinem Tod vereinnahmt? Schön wär's, und alle lieben jetzt seine Gebäude, die Richter-Schule wird eine Ikone der österreichischen Architektur, und niemand kommt mehr auf die absurde Idee, ihr Gewalt anzutun“, sagt Jakob Fuchs von faschundfuchs Architekten, ehemaliger Assistent am Institut Richter. Seine Büropartnerin Hemma Fasch fügt hinzu: „Helmut Richter hat wenig gebaut für einen Architekten, dessen Gebäude die Sprengkraft hatten, die Macht des Gewohnten und Bequemen nachhaltig zu zerstören. Es muss alles dafür getan werden, sein Werk als lebendes Zeugnis für die Haltung eines Visionärs zu bewahren.“

Für Richters gebautes Erbe besteht also noch Hoffnung. Wie sieht es um sein geistiges Erbe aus? Was können wir heute von ihm lernen? „Architektur und Konstruktion zusammen zu denken, wie einen biologischen Organismus“, antwortet Silja Tillner. „Heute wird viel oft nur auf die Hülle von Gebäuden geachtet, und ökonomisches Bauen heißt oft nur, dass es billig ausschaut.“ Um dieses Erbe für die Zukunft zu sichern, überlegt man jetzt an der TU Wien, einen Helmut-Richter-Preis für Architektur und Konstruktion auszuloben. Damit auch die nächsten Generationen die Dankbarkeit für den Meister der klugen Sparsamkeit teilen werden.

13. März 2013Markus Kristan
newroom

Die Informatik-Mittelschule in Wien-Kinkplatz von Helmut Richter ist vom Abriss bedroht

Der beabsichtigte Abriss der Informatik-Mittelschule in Wien-Kinkplatz von Helmut Richter (erbaut 1992-94) ist der Anlass an ihren etwas in Vergessenheit geratenen Architekten zu erinnern.

Der beabsichtigte Abriss der Informatik-Mittelschule in Wien-Kinkplatz von Helmut Richter (erbaut 1992-94) ist der Anlass an ihren etwas in Vergessenheit geratenen Architekten zu erinnern.

Der Architekt Helmut Richter (geboren am 13. Juni 1941 in Graz) zählt zu den prägenden Architektenpersönlichkeiten Österreichs im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts sowie im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts. Er studierte an der Technischen Universität Graz Architektur, wo er 1968 zum Diplomingenieur graduierte. Von 1969 bis 1971 vervollständigte er seine Ausbildung mit einem Studium der Informationstheorie sowie der System- und Netzwerktheorie an der University of California in Los Angeles, wo er auch als Forschungsassistent tätig war. In dieser Zeit „verwandelte“ er sich – auch durch sein Interesse für Mathematik – vom „Baukünstler“ zum „Ingenieurarchitekten“. 1971 bis 1975 lehrte er als Professor für Architektur an der École Nationale Supérieure des Beaux Arts in Paris. 1977 nahm er mit der Gründung seines Ateliers in Wien seine freischaffende Tätigkeit als Architekt auf.

1986 erhielt Helmut Richter einen Lehrauftrag als Lektor an der Hochschule für angewandte Kunst in Wien (heute Universität für angewandte Kunst Wien). Von 1986 bis 1987 lehrte er darüber hinaus als Gastprofessor an der Gesamthochschule Kassel (heute Universität Kassel). Von 1991 bis 2007 war er o. Univ.-Prof. an der Technischen Universität Wien, Lehrkanzel an der Abteilung für Hochbau 2. In den 17 Jahren seiner Lehrtätigkeit an der Technischen Universität Wien betreute er die unglaublich große Zahl von mehr als 500 Diplomarbeiten, womit sein Wirken – unabhängig von seinem gebauten Werk und seinen zahllosen Vorträgen – von größter Nachhaltigkeit auf die österreichische und auch internationale Architektur ist.

Helmut Richters unkonventionelle Lösungen führten oftmals starkes Echo herbei. Basis für seine außergewöhnliche Architektur ist das von ihm erarbeitete theoretische Gedankengebäude, das mit einer Reihe von ihm immer wieder in seinen Vorlesungen und Übungen genannten Sätzen umrissen werden kann, die darüber hinaus auch seine kritische Grundhaltung verdeutlichen:

„Es gibt keine apodiktischen und allgemeingültigen Sätze in der Architektur.“
„Es gibt kein ästhetisches Argument, es gibt nur ein ästhetisches Postulat.“
„Gesetze sind dazu da, hinterfragt zu werden.“
„Ästhetik ist eine Frage der Gewohnheit.“
„Ein Raster darf gebrochen werden.“
„Schmutziges Glas ist durchsichtiger als Beton.“
„Querdurchlüftung ist unverzichtbar.“
„Es gibt ein Leben außerhalb der Architektur.“

Trotz dieser prinzipiellen Skepsis gegenüber allem Althergebrachten und seiner High-Tech-Gebäude gilt Helmut Richter als klassischer Architekt, weil er ein klassisches Problem der Architektur, den Menschen, in das Zentrum seiner Arbeit stellte. Für Wiener Verhältnisse sehr früh befasste er sich bereits Mitte der 1980er Jahre mit neuen Baumaterialien und damals noch unerprobten, kühnen Konstruktionen, die in einer eigentümlich sinnlich-poetischen Weise sogar über die zu jener Zeit international aufkommende High-Tech-Architektur hinausgingen. In seinen Bauten und Projekten lotete Helmut Richter die konstruktiven Möglichkeiten der modernen Baumaterialien und statischen Berechnungen bis an die Grenzen aus. Gemäß einem Satz von Le Corbusier „Jeder Mensch hat Recht auf Licht“ ist Glas das bestimmende Element im Werk Helmut Richters.

Um optimale Ergebnisse bei seinen Bauten zu erzielen, änderte er oft bis zum allerletzten Augenblick (sehr zum Missfallen der Bauherren und der Professionalisten) die Baupläne, denn sein Experimentierfeld war die Baustelle. In seinen Werken gelang es Helmut Richter aus Konstruktion und Architektur eine Einheit zu bilden, wobei er mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln möglichst sparsam umging und Formalismus vermied.

Mit seiner Wohnbebauung mit verglastem Laubengang in der Brunner Straße in Wien 23 und seinem Schulbau mit verglastem Dreifachturnsaal in Wien 14 schuf er die meistpublizierten Wiener Bauten der letzten Jahre.

Seine kreative Tätigkeit begann Helmut Richter Ende der 1960er Jahre mit Wettbewerbsbeiträgen und Prototypen für Möbel („Liegen – Sitzen“, „Mobiles Büro“, „Fernsehsessel“, „Zeitschriftenstand“).

Ein erstes, frühes Hauptwerk entstand in Zusammenarbeit mit Heidulf Gerngroß 1977 bis 1980 mit dem Haus Königseder in Oberösterreich, das auch international viel Beachtung fand und heute als bahnbrechendes Werk österreichischer Architektur gilt.
Mit dem Haus Plattner in Niederösterreich konnte das Atelier Richter-Gerngroß ein weiteres zeitlos-modernes Einfamilienhaus realisieren.
Wettbewerbsteilnahmen für die Friedrichstadt in Berlin und die Opéra de la Bastille in Paris Anfang der 1980er Jahre machten das Wiener Atelier über die Grenzen Österreichs hinaus bekannt.
Mit dem Wohnbau auf den Gräf & Stift-Gründen in Wien 19 konnten Helmut Richter und sein Partner Heidulf Gerngroß für die Gemeinde Wien einen großen kommunalen Wohnbau verwirklichen, wobei jedoch praktisch kein Detail in seinem Sinn realisiert wurde, weshalb er sich auch von diesem Bau distanzierte.

Die Aufmerksamkeit einer breiteren Öffentlichkeit erweckte Helmut Richter 1985 mit der Gestaltung des chinesischen Restaurants „Kiang 1“ in der Wiener Innenstadt.

Ohne hier ein vollständige Aufzählung aller nachfolgenden Bauten und Projekte Helmut Richters geben zu können, müssen aber noch drei weitere, als Hauptwerke zu bezeichnende Arbeiten genannt werden: die Wohnanlage in der Brunner Straße in Wien 23 (1986-90), die Informatik-Mittelschule der Stadt Wien in Wien 14 (1992-94) und das Restaurant Kiang 2 (nach anderer Zählung oft auch als „Kiang 3“ bezeichnet) in Wien 3 (1996-97). Diese Bauten sind heute als Manifeste technologisch orientierten Bauens anerkannt.

Abgesehen von den zahlreichen Realisierungen (z. B. Wohnbau Gundäcker, Wohnbauten in Graz) und Wettbewerbsprojekten (Projekt Donau, Quartier Pulvermühle, Museo del Prado) muss hier noch die Tätigkeit Helmut Richters als Ausstellungsarchitekt in Wien (z. B. „Bildlicht“ im Museum des 20. Jahrhunderts in Wien), Venedig („Vertreibung der Vernunft“ im Arsenal) und Paris genannt werden.

Helmut Richters Architekturen gelten heute im überwiegend technologiefeindlichen österreichischen Umfeld als Sonderleistungen internationalen Zuschnitts, die aus den zumeist in Österreich gewohnten Normen ausbrechen. Sein Werk nähert sich den Arbeiten französischer oder englischer Architekten, wo diese mit den Ingenieuren und der Bauindustrie durch ein kooperatives Verhältnis verbunden sind.

Der Glasschulbau am Kinkplatz ist eine bis in jeden Millimeter durchdachte poetische Konstruktion. Deren Eleganz ergibt sich durch das „bis an die Grenze gehens“ des statisch gerade noch Möglichen. Die Stahlkonstruktion von 18 Metern Spannweite ist bis zum Limit reduziert und minimiert, größere Dimensionen wurden durch Unterspannungen vermieden, sodass ein filigranes und luftiges Gebilde entstand, das zusammen mit dem lichten Blau der Gläser die Anmut einer poetischen Konstruktion erreicht. Die Klassentrakte wurden als Betonskelett mit Fertigteilen ausgebildet, für die Fassaden wurden industrielle Stahlelemente und Aluschiebefenster verwendet.

Der Bezirk hat seine Verpflichtung zur Wartung und Instandhaltung der Schule nicht wahrgenommen und will nun ihren Abriss und einen Neubau.

Lässt die Stadt Wien tatsächlich zu, dass so mit dem architektonischen Erbe umgegangen wird. Sind Abriss und Neubau tatsächlich um so viel kostengünstiger als eine fachgerechte Instandhaltung? Kann sich die Stadt tatsächlich den Erhalt einiger exemplarischer Baujuwele nicht leisten?

Um die Wertschätzung von Baukultur ist es in diesem Land offenbar schlecht bestellt!

27. Oktober 2007Ute Woltron
Der Standard

Das gerade noch Mögliche bauen

Mit Helmut Richter zieht sich einer der wichtigsten Architekturlehrer der vergangenen zwei Jahrzehnte von der universitären Tribüne zurück.

Mit Helmut Richter zieht sich einer der wichtigsten Architekturlehrer der vergangenen zwei Jahrzehnte von der universitären Tribüne zurück.

Nach 16 Jahren verlässt Helmut Richter seine Lehrkanzel an der Abteilung für Hochbau 2 der Technischen Universität Wien. Das stimmt viele schmerzlich.

Über 500 Diplomarbeiten (Rekord) hat er betreut, noch mehr Studentinnen und Studenten beeinflusst und noch viel mehr Menschen mit seinen ganz außerordentlichen Architekturen beeindruckt.

Unzählige Schnurren erzählt man sich über den 1941 in Graz geborenen Architekten. Er selbst sagt: „Es gibt keine apodiktischen und allgemeingültigen Sätze in der Architektur.“ Außer vielleicht folgende, die zumindest auf die Architektur anwendbar sind und von Richters Mitarbeitern so oft gehört werden, dass sie sie auswendig herunterbeten können:

„Gesetze sind dazu da, hinterfragt zu werden.“
„Ästhetik ist eine Frage der Gewohnheit.“
„Ein Raster darf gebrochen werden.“
„Schmutziges Glas ist durchsichtiger als Beton.“
„Querdurchlüftung ist unverzichtbar.“
„Es gibt ein Leben außerhalb der Architektur.“

Anlässlich seines Abschieds von der TU-Wien entstand, organisiert von den Kolleginnen und Kollegen des Hochbauinstituts, „Ein Buch für Helmut Richter“. Die folgenden Zitate stammen daraus.

Zvi Hecker
Architekt, Berlin

Helmut Richter ist meiner Meinung nach ein klassischer Architekt. Nicht, weil er Tempel baut, sondern weil ein klassisches Problem der Architektur im Zentrum seiner Arbeit steht: Der Mensch.

Alfred Berger
Architekt, Wien

Als ich Mitte der 80er-Jahre Helmut zum ersten Mal traf, wehte im kleinen Büro am Fleischmarkt ein frischer und internationaler Wind, wie sonst kaum in Wien. Es roch nach Aufbruch, nach Stahl, Leichtbau und kühnen Konstruktionen - und das in einer ganz eigenen sinnlich-poetischen Weise, die weit über den damals hochkommenden Hightech hinausging.

Als ich Helmut 1990 mein erstes Siegerprojekt für eine große Sporthalle ganz in Stahl und Glas zeigte, sagte er: „Alfred, ich beneide dich.“ Ich erzähle das hier, weil in dieser knappen Aussage eine Anerkennung zum Ausdruck kam, zu der nur jemand fähig ist, der junge Kollegen nicht als Gegner, sondern als Mitstreiter sieht. Solch persönliche Größe ist in der ständig wetteifernden Welt der Architektur sehr selten.

Friedrich Achleitner, Autor,
„Der Achleitner“

Wenn Robert Musil schloss, dass es zu unserem Wirklichkeitssinn auch einen Möglichkeitssinn geben müsse, so bezieht Helmut Richter wohl seine Kraft aus einem stark entwickelten Möglichkeitssinn. Richters Welt des Möglichen ist aber keine abgehobene, utopische Welt, sie ist eine gerade noch mögliche, eine in Reichweite der Wirklichkeit stehende und eine die Wirklichkeit herausfordernde. Aus dieser Spannung bezieht er auch seine produktiven Konflikte mit dem Bauen, das, wie wir wissen, eine in die Konvention abgesunkene Wirklichkeit mehr schätzt, als eine durch Möglichkeiten verunsicherte.

Werner DePauli-Schimanovich,
Lektor Informatik, TU-Wien

Über das Lokal Kiang I: Zwei Wochen lang saß Richter im noch unfertigen Lokal und starrte vor sich hin - sehr zum Leidwesen von Thomas Kiang, der eigentlich bald eröffnen wollte. Doch Richter ließ den Raum auf sich einwirken, um so die beste Architektur dafür zu finden. Das vielfach preisgekrönte Ergebnis war dann ein rot-blau eingepackter Saal mit aufsteigender Decke - wie eine Startbahn am Flughafen.

(...)

Als ich ihn das erste Mal sah, hatte er riesige schwarze Ringe um die Augen, weil er so wenig schlief. Einige Leute meinten, dass er stark depressiv und suizidgefährdet sei. Aber andere, sehr enge Freunde von ihm, verrieten mir, dass er einfach die ganzen Nächte über Architektur nachdenkt und daher nie schläft.

Lothar Heinrich,
Bauingenieur, Wien

Glas ist das bestimmende Element im Werk Richters. Im Büro am Fleischmarkt, winzig, ein ehemaliges Kloster, hing beim Eingang ein Satz von Le Corbusier: „Jeder Mensch hat das Recht auf Licht.“ In den von Licht durchfluteten Glasbauten Richters wurde dieses Wort Realität.

Als Mitarbeiter im Büro Vasko konnte ich bei nahezu allen Projekten als Tragwerksplaner mitwirken. In der engen, finsteren Kammer des Büros am Fleischmarkt entstand in einem intensiven und mit der Zeit innigen Dialog jene Architektur, die durch zwei Gedanken Richters geleitet wurde: „Es gibt keine apodiktischen und allgemeingültigen Sätze in der Architektur. Es gibt kein ästhetisches Argument, es gibt nur ein ästhetisches Postulat.“

Diether Hoppe,
Architekt, Professor TU-Wien

Als ein Student eine Sprungschanze für die Diplomarbeit entwickeln wollte, riet ihm Helmut Richter, vorerst einmal Skispringer zu werden, um zu wissen, worum es geht. Der Student hat den Rat befolgt und hat sowohl eine sehr realistische Diplomarbeit geliefert, als auch dann seine Sprünge auf der 90-m-Schanze perfektioniert.

Cuno Brullmann,
Architekt, Professor TU-Wien

Diese klare Haltung hat Helmut auch seinen Studenten vermittelt. Seine berühmten „Richterübungen“ haben zum Ziel, aus Konstruktion und Architektur eine Einheit zu machen und mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln möglichst sparsam umzugehen. Er hasst Formalismus und unnötige Theorie. Sein Experimentierfeld ist die Baustelle. (...) Die „Richter-Diplome“ sind zu einem Phänomen an der TU geworden. Er brachte es fertig, aus den Studenten das Letzte herauszuholen. Einige der von ihm betreuten Diplome sind wahre Meisterwerke.

Gerd Erhartt, Jakob Dunkl,
Architekten, Wien

Wir beide habe zirka drei Jahre bei Helmut Richter gearbeitet. Zitat Helmut Richter: „Es gibt ein Leben außerhalb der Architektur.“ Klingt nebensächlich, ist aber ein besonders wichtiger Punkt. Wir lernten es, uns ausgiebig zu entspannen. Ein liebgewonnenes Ritual war das Mittagessen im Kiang und der anschließende Besuch im Kaffeehaus der Frau Schmohl, direkt neben dem Büro.

Jan Tabor,
Architekturtheoretiker, Wien

Eines Tages traf ich wieder mit Helmut im Café Schmohl zusammen, das sich im Nachbarhaus seines Büros befindet, um mit ihm, wie des öfteren, zu frühstücken. Er war schon da, hielt das Magazin profil in der Hand und war leicht, sozusagen sarkastisch verstimmt. Aber verstimmt. Auch er möchte einmal Star-architekt genannt werden, sagte er. Noch nie wurde er Stararchitekt genannt. Er sagte es sarkastisch auf seine spezifische Art, aus Erfahrung wusste ich, wenn er sarkastisch auf seine spezifische Art spricht, dann meint er das, auf seine spezifische Art auch ernst.

(...)

Richter zähle, so sagte Peter Cook in Bratislava, zu den bedeutendsten Architekten auf der Welt, in Österreich sei er allein der bedeutendste.

Von Bratislava nach Wien sind es nur 60 Kilometer. So besteht doch die Hoffnung, dass Cooks völlig richtige Ansicht in absehbarer Zeit doch auch nach Wien gelangen könnte.

Juliana Aigner,
Institutssekretärin hb2, TU-Wien
Helmut Richter wird hier nicht ersetzbar sein.

[ Ein Buch für Helmut Richter, 2007, herausgegeben von der Technischen Universität Wien, Wegweisungen 11, ISBN 978-3-9501497-7-7 ]

Profil

Studium der Architektur an der TU Graz, Diplom 1968, danach an der UCLA Los Angeles Informationstheorie sowie System- und Netzwerktheorie. Er war Assistent an der UCLA und 1971-75 Professor für Architektur an der École Nationale Supérieure des Beaux Arts in Paris.

1977 eröffnete er ein Büro in Wien, seit 1991 hat er eine Professor an der Wiener Technischen Universität. Richter konnte neben Ausstellungsarchitekturen (u.a. in Paris, Venedig, Wien und Krems) das Restaurant Kiang I, II und III Wohnbauten in Wien und Graz und kleine Häuser realisieren. Er hat die beiden meistpublizierten Wiener Bauten der letzten Jahre durchgesetzt: eine Wohnbebauung mit verglastem Laubengang und eine Schule mit verglastem Dreifachturnsaal.

Auszeichnungen

1998 Adolf-Loos-Preis für das Restaurant Kiang III in Wien
1995 Europäischer Stahlbaupreis
1995 Bauherrenpreis für die Informatik-Mittelschule Kinkplatz
1992 Preis der Stadt Wien für Architektur
1991 Bauherrenpreis für die Wohnanlage Brunner Straße

In nextroom dokumentiert:
ZV-Bauherrenpreis 2003, Preisträger, Aufstockung Arzthaus

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