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Texte

30. April 2021Oliver Herwig
Neue Zürcher Zeitung

Häuser aus dem Drucker pressen – da geht es um die Wurst

Häuser aus dem 3-D-Drucker haben das Zeug, das Bauen preiswerter zu machen. Aber ob sich damit wirklich Gestaltungsräume öffnen, ist unsicher.

Häuser aus dem 3-D-Drucker haben das Zeug, das Bauen preiswerter zu machen. Aber ob sich damit wirklich Gestaltungsräume öffnen, ist unsicher.

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24. November 2020Oliver Herwig
Neue Zürcher Zeitung

Der Kollege und Konkurrent Computer begleitet uns bis ins Bett

Der Rechner ist längst systemrelevant, auf der Baustelle wie im Leben.

Der Rechner ist längst systemrelevant, auf der Baustelle wie im Leben.

Er ist überall: im Büro, im Auto, und selbst nachts im Schlaf liegt er zur Seite. Der Computer hat unser Leben grundlegend verändert, das war schon vor Corona so. Aber nun ist er allgegenwärtig. Ständig springen wir von einem Videoanruf zum nächsten, schleppen uns durch Online-Vorträge und Sitzungen. Manches geht schneller von der Hand, so manche Macho-Geste fällt weg, weil der Online-Auftritt diszipliniert. Wo körperliche Nähe und direkter Kontakt fehlen, stechen plötzlich Argumente.

Wie der Computer alle Lebensbereiche verzahnt und neu ausrichtet, muss sich auch die Architektur auf neue, agile Arbeitsweisen einstellen. Das gefällt nicht allen, doch längst sind Architektinnen und Computer unzertrennlich, stabiler als manche Bürogemeinschaft oder Ehe. Der Rechner ist nun systemrelevant: als Entwurfswerkzeug und Planungshilfe, Schreibmaschine, Tor zu Sozialkontakten, Tabellenkalkulationsprogramm und Terminkalender in einem.

Aufstieg zum Universalwerkzeug

Höchste Zeit, den (un)heimlichen Aufstieg des Computers von der einfachen Rechenmaschine zum Universalwerkzeug der modernen Architektur nachzuzeichnen. Das Münchner Architekturmuseum tut genau das. Schritt für Schritt zeigt die zellenartig organisierte Schau Fortschritte bei Rechenleistung und Programmierung, die wiederum neue Bauformen und -prozesse möglich machten.

Der Computer ist ein besonderes Werkzeug. Seine Stärke liegt in der Vielfalt als Zeichenmaschine, Entwurfshilfe, Medium für Geschichten und interaktive Plattform. Mit diesen vier Kategorien bietet die Münchner Schau einen Überblick über die letzten sechzig Jahre – von flirrenden Lichtpunkten, die über Röhrenbildschirme huschten, bis zu dreidimensionalen Welten, in die Menschen eintauchen und in denen sie sich frei bewegen können.

Nachdem das Militär die Grundlagen gelegt hatte, begann die zivile Nutzung der Elektronenhirne mit ersten Programmen für Computer-Aided Design (CAD). Ab 1960 entwickelte die Firma Itek die Electronic Drafting Machine, während Ivan Sutherland am MIT das Sketchpad entwickelte, ein einfaches, aber effektives Zeichenprogramm, das per Leuchtstift bedient wurde. Die weitere Geschichte ist bekannt: Auf den Stift folgte die Maus, aus simplen Skizzen wurden komplexe Datenlandschaften und Renderings, die bisweilen der Realität vorauseilen oder selbst Realität schaffen. Weil uns Bilder prägen, ist der Computer auch eine ultimative Droge: ein Weltengenerator, wenn er nur mit den richtigen Daten gefüttert wird und Entwerferinnen die Algorithmen kontrollieren.

Steuern? Füttern? Es fällt nicht mehr so leicht, das richtige Wort für einen Partner zu finden, der gerade dabei zu sein scheint, den Status eines reinen Werkzeugs zu überwinden und mit fortgeschrittener KI so etwas wie Hilfsarchitekt zu werden. Spätestens wenn BIM (Building Information Modeling) einen digitalen Zwilling zum real existierenden Bau anlegt, mit vernetzten Informationen zu jedem Bauteil, wandelt sich auch das reale Bauwerk zur digitalen Bauhütte. Wie damals im Mittelalter, als Architekten und Baumeister gar nicht zu trennen waren, entsteht ein Gemeinschaftswerk der Fachplaner und ausführenden Handwerker, die alle an einem einzigen Plan arbeiten.

Dominante Weltmaschine

Die Ausstellung betreibt Grundlagenforschung, holt ans Licht, ordnet ein und systematisiert, verzichtet aber weitgehend auf Bewertung. Aber der Aufstieg des Computers bietet mindestens zwei Lesarten. Er eröffnet Gestalterinnen immer mehr Möglichkeiten, Arbeit anders zu organisieren, stupide Routinen abzulegen und dafür kreativen Impulsen nachzugehen. Zudem wird er immer mehr zur dominanten Weltmaschine, zum Universalwerkzeug, das (über) unser Arbeiten bestimmt.

Manche Architekten und Architektinnen sehen sogar das Denken formatiert. Das machten natürlich bereits Bleistift und Papier, Kleber und Pappkarton, aber der Computer tut es viel subtiler und fundamentaler. Der Umbruch zum Digitalen hat schliesslich auch Konsequenzen, selbst für die sammelnden Museen, die sich um Lizenzen alter Programme und die Pflege von Daten, die sonst womöglich bald schon nicht mehr lesbar sind, bemühen müssen. Das alles macht deutlich: Dieser Ausstellung muss noch mehr folgen, wollen wir den fundamentalen Wandel der Bauwelt durch den Computer wirklich verstehen.

[ «Die Architekturmaschine. Die Rolle des Computers in der Architektur»: Ausstellung im Architekturmuseum der Technischen Universität München (TUM). Das Museum bleibt vorerst geschlossen. Verlängert bis 6. Juni 2021. ]

Neue Zürcher Zeitung, Di., 2020.11.24

06. Juni 2020Oliver Herwig
Neue Zürcher Zeitung

Keine Baulücke zu klein, als dass ein Haus gebaut werden könnte

Ein extraschmales Haus in Köln zeigt: Qualität kommt nicht von Quadratmetern, sondern von Kreativität.

Ein extraschmales Haus in Köln zeigt: Qualität kommt nicht von Quadratmetern, sondern von Kreativität.

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04. Februar 2020Oliver Herwig
Neue Zürcher Zeitung

Bilderverbot! Was da zu sehen ist – wird so nie gebaut werden

Hochgezüchtete Renderings engen das Entwerfen in der Architektur immer mehr ein. Ein Plädoyer für mehr Unschärfe.

Hochgezüchtete Renderings engen das Entwerfen in der Architektur immer mehr ein. Ein Plädoyer für mehr Unschärfe.

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17. Januar 2020Oliver Herwig
Neue Zürcher Zeitung

Ingo Maurer: Wer Licht gestaltet, macht unsichtbare Räume erlebbar

Seine faszinierenden Leuchten schwingen mit ihrem Zauber in der Münchner Pinakothek der Moderne.

Seine faszinierenden Leuchten schwingen mit ihrem Zauber in der Münchner Pinakothek der Moderne.

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23. November 2019Oliver Herwig
Neue Zürcher Zeitung

Japan will eine Olympiade ohne Hürden

Tokio bereitet sich auf die Olympischen und Paralympischen Spiele vor. Design soll dabei allen ungehinderten Zugang verschaffen. Das Land könnte so zum Vorreiter der Barrierefreiheit werden.

Tokio bereitet sich auf die Olympischen und Paralympischen Spiele vor. Design soll dabei allen ungehinderten Zugang verschaffen. Das Land könnte so zum Vorreiter der Barrierefreiheit werden.

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29. Juli 2019Oliver Herwig
Neue Zürcher Zeitung

Was würde Charlie Chaplin zu dieser Manufaktur sagen? In Österreich entsteht die Fabrik der Zukunft

Das norwegische Architekturbüro Snøhetta entwirft im österreichischen Wattens eine neue Form des Werkraums. Und fügt Entschleunigung zur Beschleunigung.

Das norwegische Architekturbüro Snøhetta entwirft im österreichischen Wattens eine neue Form des Werkraums. Und fügt Entschleunigung zur Beschleunigung.

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15. März 2019Oliver Herwig
Neue Zürcher Zeitung

Holz ist der alte und neue Alleskönner: Es schwimmt genauso wie Metallschäume

Wir leben im Schlaraffenland der Supermaterialien, manche gelten sogar als intelligent. Die kombinierten Stoffe können immer mehr. Oder gibt es da einen Haken?

Wir leben im Schlaraffenland der Supermaterialien, manche gelten sogar als intelligent. Die kombinierten Stoffe können immer mehr. Oder gibt es da einen Haken?

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30. April 2021Oliver Herwig
Neue Zürcher Zeitung

Häuser aus dem Drucker pressen – da geht es um die Wurst

Häuser aus dem 3-D-Drucker haben das Zeug, das Bauen preiswerter zu machen. Aber ob sich damit wirklich Gestaltungsräume öffnen, ist unsicher.

Häuser aus dem 3-D-Drucker haben das Zeug, das Bauen preiswerter zu machen. Aber ob sich damit wirklich Gestaltungsräume öffnen, ist unsicher.

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24. November 2020Oliver Herwig
Neue Zürcher Zeitung

Der Kollege und Konkurrent Computer begleitet uns bis ins Bett

Der Rechner ist längst systemrelevant, auf der Baustelle wie im Leben.

Der Rechner ist längst systemrelevant, auf der Baustelle wie im Leben.

Er ist überall: im Büro, im Auto, und selbst nachts im Schlaf liegt er zur Seite. Der Computer hat unser Leben grundlegend verändert, das war schon vor Corona so. Aber nun ist er allgegenwärtig. Ständig springen wir von einem Videoanruf zum nächsten, schleppen uns durch Online-Vorträge und Sitzungen. Manches geht schneller von der Hand, so manche Macho-Geste fällt weg, weil der Online-Auftritt diszipliniert. Wo körperliche Nähe und direkter Kontakt fehlen, stechen plötzlich Argumente.

Wie der Computer alle Lebensbereiche verzahnt und neu ausrichtet, muss sich auch die Architektur auf neue, agile Arbeitsweisen einstellen. Das gefällt nicht allen, doch längst sind Architektinnen und Computer unzertrennlich, stabiler als manche Bürogemeinschaft oder Ehe. Der Rechner ist nun systemrelevant: als Entwurfswerkzeug und Planungshilfe, Schreibmaschine, Tor zu Sozialkontakten, Tabellenkalkulationsprogramm und Terminkalender in einem.

Aufstieg zum Universalwerkzeug

Höchste Zeit, den (un)heimlichen Aufstieg des Computers von der einfachen Rechenmaschine zum Universalwerkzeug der modernen Architektur nachzuzeichnen. Das Münchner Architekturmuseum tut genau das. Schritt für Schritt zeigt die zellenartig organisierte Schau Fortschritte bei Rechenleistung und Programmierung, die wiederum neue Bauformen und -prozesse möglich machten.

Der Computer ist ein besonderes Werkzeug. Seine Stärke liegt in der Vielfalt als Zeichenmaschine, Entwurfshilfe, Medium für Geschichten und interaktive Plattform. Mit diesen vier Kategorien bietet die Münchner Schau einen Überblick über die letzten sechzig Jahre – von flirrenden Lichtpunkten, die über Röhrenbildschirme huschten, bis zu dreidimensionalen Welten, in die Menschen eintauchen und in denen sie sich frei bewegen können.

Nachdem das Militär die Grundlagen gelegt hatte, begann die zivile Nutzung der Elektronenhirne mit ersten Programmen für Computer-Aided Design (CAD). Ab 1960 entwickelte die Firma Itek die Electronic Drafting Machine, während Ivan Sutherland am MIT das Sketchpad entwickelte, ein einfaches, aber effektives Zeichenprogramm, das per Leuchtstift bedient wurde. Die weitere Geschichte ist bekannt: Auf den Stift folgte die Maus, aus simplen Skizzen wurden komplexe Datenlandschaften und Renderings, die bisweilen der Realität vorauseilen oder selbst Realität schaffen. Weil uns Bilder prägen, ist der Computer auch eine ultimative Droge: ein Weltengenerator, wenn er nur mit den richtigen Daten gefüttert wird und Entwerferinnen die Algorithmen kontrollieren.

Steuern? Füttern? Es fällt nicht mehr so leicht, das richtige Wort für einen Partner zu finden, der gerade dabei zu sein scheint, den Status eines reinen Werkzeugs zu überwinden und mit fortgeschrittener KI so etwas wie Hilfsarchitekt zu werden. Spätestens wenn BIM (Building Information Modeling) einen digitalen Zwilling zum real existierenden Bau anlegt, mit vernetzten Informationen zu jedem Bauteil, wandelt sich auch das reale Bauwerk zur digitalen Bauhütte. Wie damals im Mittelalter, als Architekten und Baumeister gar nicht zu trennen waren, entsteht ein Gemeinschaftswerk der Fachplaner und ausführenden Handwerker, die alle an einem einzigen Plan arbeiten.

Dominante Weltmaschine

Die Ausstellung betreibt Grundlagenforschung, holt ans Licht, ordnet ein und systematisiert, verzichtet aber weitgehend auf Bewertung. Aber der Aufstieg des Computers bietet mindestens zwei Lesarten. Er eröffnet Gestalterinnen immer mehr Möglichkeiten, Arbeit anders zu organisieren, stupide Routinen abzulegen und dafür kreativen Impulsen nachzugehen. Zudem wird er immer mehr zur dominanten Weltmaschine, zum Universalwerkzeug, das (über) unser Arbeiten bestimmt.

Manche Architekten und Architektinnen sehen sogar das Denken formatiert. Das machten natürlich bereits Bleistift und Papier, Kleber und Pappkarton, aber der Computer tut es viel subtiler und fundamentaler. Der Umbruch zum Digitalen hat schliesslich auch Konsequenzen, selbst für die sammelnden Museen, die sich um Lizenzen alter Programme und die Pflege von Daten, die sonst womöglich bald schon nicht mehr lesbar sind, bemühen müssen. Das alles macht deutlich: Dieser Ausstellung muss noch mehr folgen, wollen wir den fundamentalen Wandel der Bauwelt durch den Computer wirklich verstehen.

[ «Die Architekturmaschine. Die Rolle des Computers in der Architektur»: Ausstellung im Architekturmuseum der Technischen Universität München (TUM). Das Museum bleibt vorerst geschlossen. Verlängert bis 6. Juni 2021. ]

Neue Zürcher Zeitung, Di., 2020.11.24

06. Juni 2020Oliver Herwig
Neue Zürcher Zeitung

Keine Baulücke zu klein, als dass ein Haus gebaut werden könnte

Ein extraschmales Haus in Köln zeigt: Qualität kommt nicht von Quadratmetern, sondern von Kreativität.

Ein extraschmales Haus in Köln zeigt: Qualität kommt nicht von Quadratmetern, sondern von Kreativität.

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04. Februar 2020Oliver Herwig
Neue Zürcher Zeitung

Bilderverbot! Was da zu sehen ist – wird so nie gebaut werden

Hochgezüchtete Renderings engen das Entwerfen in der Architektur immer mehr ein. Ein Plädoyer für mehr Unschärfe.

Hochgezüchtete Renderings engen das Entwerfen in der Architektur immer mehr ein. Ein Plädoyer für mehr Unschärfe.

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17. Januar 2020Oliver Herwig
Neue Zürcher Zeitung

Ingo Maurer: Wer Licht gestaltet, macht unsichtbare Räume erlebbar

Seine faszinierenden Leuchten schwingen mit ihrem Zauber in der Münchner Pinakothek der Moderne.

Seine faszinierenden Leuchten schwingen mit ihrem Zauber in der Münchner Pinakothek der Moderne.

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23. November 2019Oliver Herwig
Neue Zürcher Zeitung

Japan will eine Olympiade ohne Hürden

Tokio bereitet sich auf die Olympischen und Paralympischen Spiele vor. Design soll dabei allen ungehinderten Zugang verschaffen. Das Land könnte so zum Vorreiter der Barrierefreiheit werden.

Tokio bereitet sich auf die Olympischen und Paralympischen Spiele vor. Design soll dabei allen ungehinderten Zugang verschaffen. Das Land könnte so zum Vorreiter der Barrierefreiheit werden.

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29. Juli 2019Oliver Herwig
Neue Zürcher Zeitung

Was würde Charlie Chaplin zu dieser Manufaktur sagen? In Österreich entsteht die Fabrik der Zukunft

Das norwegische Architekturbüro Snøhetta entwirft im österreichischen Wattens eine neue Form des Werkraums. Und fügt Entschleunigung zur Beschleunigung.

Das norwegische Architekturbüro Snøhetta entwirft im österreichischen Wattens eine neue Form des Werkraums. Und fügt Entschleunigung zur Beschleunigung.

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15. März 2019Oliver Herwig
Neue Zürcher Zeitung

Holz ist der alte und neue Alleskönner: Es schwimmt genauso wie Metallschäume

Wir leben im Schlaraffenland der Supermaterialien, manche gelten sogar als intelligent. Die kombinierten Stoffe können immer mehr. Oder gibt es da einen Haken?

Wir leben im Schlaraffenland der Supermaterialien, manche gelten sogar als intelligent. Die kombinierten Stoffe können immer mehr. Oder gibt es da einen Haken?

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10. August 2018Oliver Herwig
Neue Zürcher Zeitung

Zuvielisation

Was wir in Zukunft wirklich brauchen: problematische Dingwelten im Londoner Victoria and Albert Museum.

Was wir in Zukunft wirklich brauchen: problematische Dingwelten im Londoner Victoria and Albert Museum.

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18. Mai 2018Oliver Herwig
Neue Zürcher Zeitung

Grosse Konzerne gehen architektonisch neue Wege

In der Unternehmenskultur hat das Co-Working-Prinzip längst die alten hierarchischen Arbeitsstrukturen verdrängt. Das verändert auch die Architektur. Statt Firmenzentralen werden Dörfer für Angestellte mitten in der Stadt gebaut.

In der Unternehmenskultur hat das Co-Working-Prinzip längst die alten hierarchischen Arbeitsstrukturen verdrängt. Das verändert auch die Architektur. Statt Firmenzentralen werden Dörfer für Angestellte mitten in der Stadt gebaut.

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18. August 2017Oliver Herwig
Neue Zürcher Zeitung

So sieht die Raststätte der Zukunft aus

Wie werden wir bald schon tanken und verweilen? Unser Autor hat sich in Fürholzen West umgeschaut, der Tankstelle der Zukunft. Trotz nachhaltiger Ausstaffierung – einiges liegt noch im Argen.

Wie werden wir bald schon tanken und verweilen? Unser Autor hat sich in Fürholzen West umgeschaut, der Tankstelle der Zukunft. Trotz nachhaltiger Ausstaffierung – einiges liegt noch im Argen.

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20. April 2017Oliver Herwig
Neue Zürcher Zeitung

Weg mit den Knöpfen, Kurven und Kanten

Das klassische Produktdesign stirbt aus. Knöpfe, Kanten und greifbare Formen verschwinden. Nutzeroberflächen und Sprachsteuerung sind die neue gute Form.

Das klassische Produktdesign stirbt aus. Knöpfe, Kanten und greifbare Formen verschwinden. Nutzeroberflächen und Sprachsteuerung sind die neue gute Form.

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09. Juni 2006Oliver Herwig
Neue Zürcher Zeitung

Adrenalin und Architektur

Sie sind die heimlichen Stars jeder Sportübertragung: die Stadien und Arenen. Rechtzeitig zur Fussball-Weltmeisterschaft 2006, die heute im Münchner Stadion von Herzog & de Meuron eröffnet wird, widmet ihnen das Architekturmuseum der TU München eine Überblicksausstellung.

Sie sind die heimlichen Stars jeder Sportübertragung: die Stadien und Arenen. Rechtzeitig zur Fussball-Weltmeisterschaft 2006, die heute im Münchner Stadion von Herzog & de Meuron eröffnet wird, widmet ihnen das Architekturmuseum der TU München eine Überblicksausstellung.

133 Meter hoch, 7000 Tonnen schwer und 315 Meter überspannend - so lässt sich der Stahlbogen in Zahlen fassen, an dem das neue Wembley National Stadion in London hängt, als wäre es an den Himmel genagelt. Ein gigantomanischer Wurf von Norman Foster für zigtausend Fans, die den Abriss ihres Traditionsstadions nicht verhindern konnten. Eine Arena musste her. Fussball denkt in Übergrössen, verlangt Rekorde nicht nur auf dem Rasen. Im Zeitalter des Sports liefert die Baukunst den Rahmen für menschliche Dramen im Flutlicht. Adrenalin und Architektur heisst die perfekte Verbindung; und Sport erweist sich als das beste Argument für Grossbauten. Die mächtigsten Kuppeln und Dächer krönen Stadien, die gewagtesten Konstruktionen überspannen olympische Hallen. Sport bildet den Motor des bautechnischen Fortschritts. Das war schon im alten Rom so. Damals wie heute sind Sportstätten darüber hinaus Landmarken, die vor Energie bersten. Ihre schwellenden Kuppeln und Schalen sind steroidverdächtig. Die derzeit gefragtesten Architekturbüros beteiligen sich am Wettlauf, dem Spiel ein optisches Signet von Dauer zu verleihen: Einen Auftakt machte Renzo Piano 1990 mit seinem schwingenden Stadion von Bari, und das zeitgenössische Highlight bildet der leuchtende Schwimmgurt von Herzog & de Meuron in München. In diesem Fussballtempel der Superlative findet der Auftakt zur Fussball-Weltmeisterschaft 2006 statt.

Von der Antike bis heute

Mit Blick auf diesen globalen Sportanlass widmet sich das Architekturmuseum der TU München in der Pinakothek der Moderne der Stadienarchitektur. Dabei konzentriert es sich auf bautechnische Höchstleistungen, auf Sportpaläste, die ihrer Ideallinie so sicher folgen, als wären sie verlängerte Linien des Reissbretts: Pier Luigi Nervis Palazzetto dello Sport von 1960 etwa, dessen Betonrippen so elegant zusammenwachsen, als seien sie Teile eines Tiefseeschalentiers. Dazu Eero Saarinens Hockeyhalle in New Haven von 1958, die einem umgekehrten Schiff gleicht - oder das 1999 fertig gestellte NatWest Media Center in London, das Future Systems als gewaltigen Fernseher über den Tribünen der Zuschauer errichteten. Mit Modellen, Skizzen, Fotos und Filmen versucht die Ausstellung die Entwicklungsgeschichte der Sportbauten greifbar zu machen, die Energiezentren des Hochleistungssports als Brutstätten der Architektur festzumachen. Leider ist der Raum dafür zu knapp bemessen - gerade einen Wechselausstellungssaal hat die Pinakothek der Moderne für mehrere tausend Jahre Geschichte frei. Darunter leidet die Darstellung, die so gedrängt durch die Jahrhunderte mäandert, dass die schönsten Modelle um ihre Wirkung gebracht sind.

Der Hexenkessel ist keine Erfindung der Neuzeit. Wenn 220 000 jubelnde Fans das legendäre Maracanã in Rio de Janeiro zum Brodeln bringen, stehen sie in bester Tradition. Die Grundtypen des Spektakels hatte die Antike erfunden: Arena und Stadion. Perfekt hatten Ingenieure das Gewand der Massen geschneidert, mit getrennten Zu- und Abgängen, ausgefeilter Akustik und Sonnensegeln sowie immer neuen, noch spektakuläreren Inszenierungen. «Panem et circenses» - auf diesen Nenner brachte Juvenal die Leidenschaften des römischen Proletariats, das sich an Reiterspielen, Gladiatorenkämpfen und Tierhetzen berauschte. Schon in der Nacht vor den tagesfüllenden Veranstaltungen drängten Schaulustige in die Arenen, um sich die besten Plätze zu sichern. Allein in Rom lockten Veranstaltungen an bis zu 182 Tagen im Jahr jeweils Zehntausende von Besuchern ins Kolosseum. Mehr kamen nur zum Circus maximus. 110 Meter breit und 635 Meter lang, fasste dieses Bauwerk fast 400 000 Schaulustige. Wenn Hermann Tilke jüngst in Schanghai die Rennstrecke mit lotosförmigen Schirmen überwölbte, kann man sehen, was der späte Ableger seinem Urahn, der römischen Circus-Anlage, verdankt.

Spiegel der Gesellschaft

Winfried Nerdinger, Direktor des Münchner Architekturmuseums, zieht doppelt Bilanz. Er zeigt die Historie der Sportstätten als Abfolge bautechnischer Höchstleistungen, präsentiert darüber hinaus Architekturen als Spiegel ihrer jeweiligen Gesellschaft, als Rahmen des von Staat und Bürgern geschätzten Spektakels. Wie haben sich Sport, Staat und Architektur weiterentwickelt? Diese Frage nimmt einen zentralen Teil der Begleittexte und des Katalogs ein. Ebenso die Kritik an der Kommerzialisierung von Sport und Spiel, die sich nicht nur in der immer gebräuchlicher werdenden Mantelnutzung der Stadien durch Einkaufszentren zeigt. Sportarchitektur sei zum Bildzeichen geworden und häufig auch zum Markenzeichen, sagte Nerdinger in einem Interview. Das Entscheidende bleibe: «Wie verpacke ich es, wie bringe ich die Werbung rüber, und genau das liefern die Sportarchitekturen, einen Spiegel unserer totalen Globalisierung.»

Wenn sich moderne Sportstätten in flirrende Medienvorhänge hüllen und Tausende in die Fassade eingelassene Bildschirme die Leistungen der Athleten zeigen, vollzieht sich die letzte Entwicklungsstufe der Sportarchitektur. Das feste Bauwerk löst sich auf, um mit der Dynamik der Sportlerstars zu wetteifern. Das Ende dieser Entwicklung ist nicht in Sicht. Kraft und Geschwindigkeit werden die Zukunft aller Sportbauten prägen, die zum Markenzeichen eines grossen Geschäfts geworden sind, gleich, wo sie stehen.

[ Bis 3. September im Architekturmuseum der TU München in der Pinakothek der Moderne. Katalog: Architektur & Sport. Vom antiken Stadion zur modernen Arena. Hrsg. Architekturmuseum der TU München. Edition Minerva Hermann Farnung, Wolfratshausen 2006 (ISBN 3-938832-09-6). 224 S., Euro 20.-. ]

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 2006.06.09

02. Juli 2004Oliver Herwig
Neue Zürcher Zeitung

Quartier im Wandel

Die Theresienwiese liegt da wie ein Bergsee. Jogger drehen ihre Runden, Rabenkrähen krächzen. Nichts erinnert an das bacchantische Vergnügen des Oktoberfests,...

Die Theresienwiese liegt da wie ein Bergsee. Jogger drehen ihre Runden, Rabenkrähen krächzen. Nichts erinnert an das bacchantische Vergnügen des Oktoberfests,...

Die Theresienwiese liegt da wie ein Bergsee. Jogger drehen ihre Runden, Rabenkrähen krächzen. Nichts erinnert an das bacchantische Vergnügen des Oktoberfests, an Bierschwemmen und Buden. Die Zeit scheint angehalten, das heisst fast. Über den Rand der Festwiese lugen grosse Baukörper. Drei graue Kästen bilden die Avantgarde eines neuen Quartiers westlich der Wiesn. Auf dem Areal der ehemaligen Messe München wächst die Theresienhöhe, 45 Hektaren gross, mit dem markanten Wohnturm des jüngst verstorbenen Münchner Architekten Otto Steidle als Wahrzeichen. - Nach Steidles Masterplan verketten sich auf der Theresienhöhe Wohnen und Arbeiten. Grün soll das Quartier werden, kompakt und zugleich offen für verschiedene Nutzungen und Veränderungen. Steidle ist das Kunststück gelungen, ein bisher in der Stadt-Topographie unsichtbares Gelände einzufangen und völlig neu zu definieren. Dazu hat der Münchner den Leerraum über der Wiesn nicht einfach gefüllt. Bürobauten an den Flanken wirken wie Wellenbrecher, die den Rhythmus der bestehenden Siedlungs- und Gründerzeithäuser aufnehmen und nach innen weitergeben, wo sich das Wohnen in Punktbauten rund um den alten Bavariapark konzentriert.

Am städtebaulichen Wettbewerb im November 1996 nahmen renommierte Architekten und Urbanisten teil: etwa Ortner und Ortner, Hilmer und Sattler, Albert Speer und Partner oder Herman Hertzberger. Ein sorgfältiger Blick auf ihre Arbeiten verdeutlicht die Andersartigkeit von Steidles Handschrift. Da wird kein Quartier mit starren Blockrändern festgezurrt. Steidle entwarf einen vergnügten Tanz der Themen Büronutzung und Wohngebiete. Nichts belebt die Theresienhöhe so sehr wie der Wechsel von geschlossenen Kanten und Wohnpunkthäusern, die Steidle wie Steine eines Schachspiels von Südwest nach Nordost angeordnet hat. Von aussen nach innen lösen sich die Blockränder auf, werden kleinteilig und luftig, damit der Blick bis zum Bavariapark reicht. Freiräume und Perspektiven bilden den elastischen Kitt zwischen Häusern, Hallen und Büros, ein flexibler Raster, der Umbauten, Erweiterungen und Neukonzeptionen locker in sich aufnimmt. Keine Frage: Die Theresienhöhe bildet ein Quartier im Aggregatszustand des Wandels.

Ihr Wahrzeichen dürfte der sonnige, 65 Meter hohe Turm werden, dessen Flanken in Gelb und Orange spielen. Es hätten ruhig noch ein paar Meter mehr sein können, aber Denkmalschützer fürchteten die optische Konkurrenz zur nahen Bavaria. Wie ein Jongleur Keulen lässt der Wohnturm Balkone wirbeln, so dass der Baukörper ständig in Bewegung scheint. Dieses fünfzehn Geschosse hohe, Park Plaza genannte Hochhaus bietet Ersatz für den alten Messeturm. Wer genau hinschaut, erkennt dieselben Rhythmen wie im angrenzenden Bürogebäude; Wohnen und Arbeiten werden optisch eins. Oben wird der Balkon zum Logenplatz über München. Vom Penthouse schweift das Auge über das Westend und die Altstadt bis hinüber nach Sendling. Zu Füssen stehen die alten Messehallen, in die das Deutsche Museum einzog, dann folgen die Bäume des Bavariaparks, der einst verborgen inmitten der Messe stand. Als grünes Herz des Quartiers öffnet er sich heute nach allen Seiten, vor allem aber zu den langgestreckten Wohngebieten der südlichen Theresienwiese. Von hier oben wird schlagartig klar: Da steht kein Viertel aus einem Guss. Steidle entwarf das Quartier nicht als Festkörper, der zwischen zwei bestehenden Vierteln hängt, zwischen Sendling im Süden und dem Westend im Norden, sondern als Scharnier, das Zonen hoher Dichte mit Freiräumen auflockert. 22 Hektaren bleiben unbebaut, fast die Hälfte des Viertels.

Nicht alles wurde fixiert, nicht jedes Detail formuliert. Mit dem grossen städtischen Freiraum der Esplanade nach Westen vertraute Steidle den Wünschen, Träumen und Vorstellungen der Bewohner, die ihr Viertel selbst in die Hand nehmen wollten, mehr als der Kraft seiner städtebaulichen Instrumente. Als Stadtplaner hat Steidle gelernt, sich im entscheidenden Moment zurückzunehmen. Schon vor seinem überraschenden Tod vor vier Monaten (NZZ 2. 3. 04) war die Theresienhöhe untrennbar mit ihm verbunden. Nun wurde sie sein städtebauliches Geschenk an München, die Stadt, in der er lebte.

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 2004.07.02

27. Oktober 2003Oliver Herwig
Neue Zürcher Zeitung

Aus, vorbei, Schluss

Das grosse Sterben der Architekturzeitschriften

Das grosse Sterben der Architekturzeitschriften

Immer deutlicher bekommen die deutschen Architekturzeitschriften die Auswirkungen der Krise im Baugewerbe zu spüren. Ganze Verlagssparten wechseln den Besitzer, Redaktionen werden ausgedünnt und Magazine eingestellt. Dramatische Einbrüche bei Anzeigen und Auflagen kennzeichnen die Lage der Baufachzeitschriften, und selbst renommierte Nischenblätter wie «Arch+» können sich dem Abwärtstrend nicht entziehen. Einsparungen beeinflussen augenblicklich Ausstattung sowie Umfang der Zeitschriften und bedrohen langfristig ihre journalistische Qualität. Unübersehbar wurde das Siechtum deutscher Architekturzeitschriften in diesem Sommer. Die Umfänge der Hefte schrumpfen, ausscheidende Redaktionsmitglieder werden nicht mehr ersetzt, und Schwerpunktthemen verlieren sich zwischen Meldungen und den immer wichtiger werdenden Produktinformationen.

Mit krisenbedingten 40 Prozent weniger Anzeigen gegenüber dem Vorjahr rechnet Felix Zwoch, Chefredaktor der «bauwelt», für alle architektonischen Fachblätter. Ein halbes Dutzend Monatszeitschriften belauern sich wie angeschlagene Boxer. «Wir warten, bis jemand aus dem Rennen geht», gibt ein Redaktor unumwunden zu, «und hoffen, dass wir nicht die Ersten sind.» Resignation macht sich breit. Im letzten Jahr brachen nicht nur die ohnehin mässigen Werbeeinnahmen teilweise weg, sondern auch die verlegerischen Perspektiven vieler Blätter. Kaum eine Zeitschrift, die nicht schon zum Verkauf stand oder den Besitzer wechselte. Neue Eigentümer verlangen Renditen. Die aber sind schwer zu erzielen. Traumzahlen von bis zu 15 Prozent, wie sie die «bauwelt» zur Zeit der deutschen Wiedervereinigung erwirtschaftete, klingen heute geradezu exotisch. Trotzdem wurde Mitte Mai die gesamte Fachverlagssparte von Bertelsmann-Springer an die Investmenthäuser Cinven und Candover verkauft. Betroffen davon waren auch die Architekturzeitschriften «bauwelt», «DBZ» und «Bundesbaublatt». Eine Milliarde Euro investierten die Briten in die Übernahme. Sie wollen aus BertelsmannSpringer und den bereits für 600 Millionen Euro erworbenen Kluwer Academic Publishers den weltweit zweitgrössten Wissenschaftsverlag schmieden.

Substanzverlust

Als die «bauzeitung» im vergangenen Dezember ihr Erscheinen nach 50 Jahren einstellte, mutmassten Kenner, es würden nun auch anderswo harte Schnitte folgen. Jahr für Jahr verliert allein die «bauwelt» 1000 Leser. Mit diesem lebensbedrohlichen Substanzverlust steht sie nicht allein da. Bei «db» fiel die Zahl der Abonnemente von 34 836 im Jahre 2001 auf 31 160, wovon allein 22 861 Exemplare direkt an die Mitglieder des Bundes deutscher Baumeister, Architekten und Ingenieure gehen. Der Einzelverkauf am Kiosk betrug im Februar nur 284 Stück. Mit «kompetent, kritisch, kontrovers» wirbt die «db» nun um neue Abonnenten. Doch diese hohen Ziele stehen nicht unbedingt im Zentrum der neuen Verlagspolitik. Seit sich die «FAZ» von ihrer Tochter DVA trennte und die Konradin Medien GmbH in Stuttgart das Heft in der Hand hält, kreist der Rotstift. «Keine Begrüssung, keinerlei Gespräch, keine Vision», klagt ein Redaktor. Und Oliver G. Hamm vom «Deutschen Architektenblatt» mutmasst: «Zwar dürfte die ‹db› nicht grundsätzlich zur Disposition gestellt werden, wohl aber ihre personelle und damit auch qualitative Basis.»

Wo Verleger fehlen, werden Zeitschriften zu reinen Objekten im Portfolio. Controller ziehen durch die Redaktionen. Bei den Honoraren, den Reisekosten, der Papier- und Druckqualität - überall lässt sich sparen. Dabei ist langfristig vor allem eines gefährdet: die unabhängige, kritische Berichterstattung. Zeitschriften würden inzwischen direkt am Anzeigenmarkt ausgerichtet, meint ein Experte und beklagt, dass «Werbesprache immer offensichtlicher in redaktionelle Teile» einfliesse. «Da fehlen Journalisten, die das überarbeiten und rausfiltern.» Dass es auch anders geht, beweist die «bauwelt», die ganz auf Produktinformationen verzichtet. Chefredaktor Zwoch beschwört das journalistische Ethos: «Bei uns gibt es keine Vermischung von PR und Redaktion. Firmen kann man das vermitteln, und das verstehen sie auch.» Anzeigenkunden aber drängen weiter in den redaktionellen Teil.

Blühende Monopolisten

Der Markt implodiert. Jeder lauert, bis ein Mitbewerber aus dem Rennen geht. Alternativen zeigen schweizerische und österreichische Fachzeitschriften. «Architektur aktuell» aus Wien trotzt der Krise. «Wir haben so weitergemacht wie immer», sagt Bernd Mandl. «Aufgrund unserer marktbeherrschenden Stellung in Österreich gab es kaum einen Rückgang bei den Anzeigen.» So bleiben Werbung, redaktioneller Teil und Produkteinformationen sauber getrennt, zur Freude der Leser. Ähnlich bei der «Archithese». Die Zürcher Zeitschrift wartete in diesem Jahr mit einem neuen Format und einem neuen Layout auf, grösser und mutiger. Die «Archithese»-Redaktorin Judit Solt meint: «Die letzten Jahre liefen ziemlich gut», und die Anzeigenlage sei gar «nicht so schlecht». Kein Wunder, dass deutsche Kollegen auf schweizerische und österreichische Blätter schielen, die nicht nur über eine sichere Auflage verfügen, sondern auch über ein ungebrochenes verlegerisches Interesse an kritischer und unabhängiger Berichterstattung.

Da keine Zeitschrift in Deutschland über eine marktbeherrschende Stellung verfügt, halten sich Gerüchte, dass die eine oder andere aus dem Markt gehen werde. Nikolas Kuhnert von «Arch+» sieht aber auch ein Problem darin, dass Lesen Arbeit bedeute. Die Zeiten der grossen Theoriedebatten seien vorbei, denn eine ganze Architektengeneration trete ab. «Infos holen sich die Jungen dann, wenn man sie gerade braucht, und zwar bevorzugt aus dem Netz.» Denn auch das Flaggschiff der Theoriedebatte hat Abonnenten verloren. Noch deren 7200 halten «Arch+» die Stange. «Das Jahr 2002 war kein gutes Jahr», schrieb Falk Jaeger in einem seiner letzten Briefe als Chefredaktor der «bauzeitung». Zuerst waren nur die Architekten betroffen. Nun geht es an die Baufachzeitschriften, von denen manche die Krise kaum überstehen werden. Umso wichtiger wäre es daher, dass alle anderen als kritische Stimmen erhalten blieben.

Neue Zürcher Zeitung, Mo., 2003.10.27

11. Oktober 2003Oliver Herwig
Neue Zürcher Zeitung

Gestaltung in der Krise

Neue Wege für Architekten und Designer?

Neue Wege für Architekten und Designer?

Das Leiden am Design kennt viele Formen. Gestalter klagen über den inflationären Gebrauch des Begriffs Design. Studenten stöhnen über orientierungslose Ausbildungsgänge. Und Arbeitgeber sehen beim Nachwuchs noch immer «zu viel Bauhaus und zu wenig vitale Konzepte», zumindest in der jüngsten Studie des Art Director Club Deutschland. Am meisten aber leiden die Verbraucher. Kein Wunder, dass sie Design am liebsten mit zwei Worten umschreiben: ausgefallen und bunt, wie jüngst Ralph Bruder herausfand. Der Gründungspräsident der «design school zollverein» möchte auf dem Areal der Zeche Zollverein Grafik-, Medien- und Industriedesignern eine private Alternative bieten, an der Schnittstelle zwischen Management und Produktentwicklung. Nicht, dass dabei der Design-Manager entstünde, der die Kunst beherrscht, zugleich Kreativprozesse zu steuern und über die Kosten der Gestaltung zu klagen. Bruder will mit seinem Studiengang für Postgraduierte zwei Welten zusammenbringen, die an entgegengesetzten Enden der Produktion stehen. Manager sollen nicht nur Zahlen studieren, sondern auch die Arbeitsweise von Kreativen verstehen, Gestalter aber betriebswirtschaftlich denken lernen. Angesichts hoher Arbeitslosenraten klingt die Idee verlockend.

Um eine Neupositionierung der Kreativen ging es vor wenigen Tagen auch in Ulm - 50 Jahre nach Gründung der Hochschule für Gestaltung (HfG) und 35 Jahre nach ihrem Ende. «Design und Architektur - von der Ausbildung zum Beruf?» lautete der Untertitel der diesjährigen Tagung des Internationalen Forums für Gestaltung. Das Fragezeichen war kein Zufall. Mit Patentlösungen konnte Ulm nicht aufwarten. Dafür wurde immer neu gefragt, was Design sei: Emotionale Formgebung? Leiden und Leidenschaft einer kleinen Gruppe von Starentwerfern? Oder gar eine Krankheit? Die Kampfansage an den staatlichen Lehrbetrieb kam in Ulm freilich nicht gut an. Zu viel Industrienähe argwöhnten Professoren, die sich selbst immer häufiger gezwungen sehen, Forschung über Drittmittel zu finanzieren. Fachhochschulen werben mit Praxisnähe und guten Verbindungen zur Wirtschaft. Dazu kommt der sich verschärfende Kampf um Studenten, international und fachübergreifend. Hier London, da Zürich, Athen oder Barcelona. Antworten auf die einmal ausgemachte Ausbildungsmisere gab es kaum. Die Ulmer Tagung lehrte dennoch einiges: Die gestalterischen Berufe haben sich - zumindest in Deutschland - so weit auseinander entwickelt, dass Architekten und Designer nur mit Mühe zu einer gemeinsamen Sprache finden. So glich die Ulmer Debatte über weite Strecken einer TV-Diskussion, in der jeder Reformvorschlag als Angriff auf Besitzstände erkannt und reflexartig abwehrt wird. Als Gegenmodell dazu bietet sich noch immer die HfG Ulm an: klein und elitär. Doch das liegt weit zurück.

Neue Zürcher Zeitung, Sa., 2003.10.11

17. Juni 2003Oliver Herwig
Neue Zürcher Zeitung

Aufbruch in der Provinz

Wegweisende Architektur wird gerne mit Grossstädten in Verbindung gebracht. Dass aber auch ländliche Gebiete mit Meisterwerken aufwarten können, ist spätestens seit Graubünden und Vorarlberg bekannt. Auch im Nordosten Bayerns tut sich was. Dort schlagen die Architekten Peter und Christian Brückner Brücken zwischen den Welten.

Wegweisende Architektur wird gerne mit Grossstädten in Verbindung gebracht. Dass aber auch ländliche Gebiete mit Meisterwerken aufwarten können, ist spätestens seit Graubünden und Vorarlberg bekannt. Auch im Nordosten Bayerns tut sich was. Dort schlagen die Architekten Peter und Christian Brückner Brücken zwischen den Welten.

Dem «Behmischen», wie ihn die Leute hier nennen, hält nichts stand. Kein Baum, kein Strauch und auch kein Mensch. Zwei Männer suchen Schutz vor dem Wind, der geradewegs aus Sibirien zu kommen scheint. Die Krägen ihrer Jacken hochgeschlagen, stehen Peter und Christian Brückner vor einem einsamen Bauwerk. Mitten im Nichts, auf der Höhe des Oberpfälzer Waldes, haben sie es im Juni 2000 errichtet. Mit dem Ort der Begegnung wollten sie ein Zeichen setzen. Ein Zeichen des Wandels nach jahrzehntelangem Stillstand im Grenzland zu Tschechien. Neun Meter lang, drei Meter hoch, gefügt aus Granit, Glas und Lärchenholz, Mauerfragment, Skulptur und Schutzhütte in einem. Nicht allzu lange ist es her, als noch der Eiserne Vorhang die Landschaft in hüben und drüben teilte. Aber die alten Gewissheiten gelten nicht mehr. Auch nicht mehr in der Oberpfalz im nordöstlichsten Bayern. Die Grenze verläuft gleich hinter dem Wald. Genau dort wollten sie bauen, an der einstigen Bruchstelle zwischen Ost und West. Das ist nach vielem Hin und Her schliesslich gescheitert. Aber auch auf dem Hügelkamm wirkt das Bauwerk. Geschichtet aus fünf Zentimeter starken Granitplatten, grob gebrochen auf der einen Seite, diamantgesägt auf der anderen, steht es gegen den Wind. Ein schmales Schlupfloch führt hinein. Dort findet man nur einen Stahltisch, kubisch und schwer. Licht bricht durch die Glasstreifen in Wand und Decke und wandert über den Boden. Nach oben nehmen die Glasschichten zu und mit ihnen die Helligkeit. Bis sich der Bau zu entmaterialisieren scheint. Vom Granit, der den Oberpfälzer Wald prägt, bis zu den Glasschichten ein gebautes Manifest der Materialität, eine säkulare Kapelle zwischen den Welten.


Dialog mit dem Ort

Sie kämen oft hierher, sagt Christian Brückner. Manchmal findet der Architekt dann fremde Nachrichten vor oder eine Kerze. Das berühre ihn. Die sonst allgegenwärtigen Kritzeleien und Ritzspuren sucht man vergeblich, Holz und Stein sind zwar verwittert, aber makellos in ihrer von Wind und Regen erzeugten Patina. Die Begegnungsstätte gleicht zwei Händen, die ineinander verhakt einen neutralen Raum schaffen, offen und voraussetzungslos, ein idealer Ort, sich zu verabreden, nachzudenken oder einfach nur dem «Behmischen» zu entkommen. Ringförmig ist das Gras um das Gebäude platt gefahren, Reifenspuren. «Die Jugendlichen hier haben den Treffpunkt für sich entdeckt», sagt Peter Brückner und zeigt über die weite, karge Landschaft. Traditionelles, erdverbundenes Altbayern. Provinz. Doch damit haben Brückner & Brückner kein Problem, im Gegenteil. Sie beziehen ihre Stärke aus dem Ort.

Eigentlich wollten sie Bildhauer werden. Aber unabhängig voneinander entschieden sich die Brüder, Architektur zu studieren und in das Tirschenreuther Büro des Vaters einzutreten. Peter ging an die TU München und hörte unter anderem bei Zumthor, Christian, der um neun Jahre Jüngere, studierte an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart. Seit sechs Jahren arbeiten sie zusammen. Wer ihre Bauten sieht, geschichtete Steine oder fein gesetzte Klinker, ihre authentische Oberfläche, die Materialübergänge oder Fugen, erlebt die Nähe zu gebauten Skulpturen. Wie dort geht es um Volumen, um Masse und Raum. Ihre Architektur wird greifbar. Denn ihr Bauen beginnt mit Modellen, die die Architekten von den Projekten fertigen, im grossen Massstab, handgreiflich direkt und unübersehbar. Mit dieser Strategie hatten die Tirschenreuther in Würzburg Erfolg, als sie 1996 den Wettbewerb um den Kulturspeicher gewannen und ein Lagerhaus von 1904 in ein Meta-Museum verwandelten, eine Plattform für Kabarett, Kunst, Café und Geschäfte gleichermassen. In die Hülle aus Muschelkalk und Sandstein stellten sie harte Betonkisten, Ausstellungsboxen für die Städtische Sammlung und die Kollektion Konkreter Kunst. Dafür wurde das marode Gebälk radikal entfernt. Weiss geschlämmte Wände zeigen das ursprüngliche Mauerwerk, Sichtbeton und Stahl dokumentieren die Einbauten. Das Neue drängt nicht vor, stellt sich aber selbstbewusst neben den Bestand, ergänzt und erweitert ihn. An beiden Enden des über 100 Meter langen Kulturspeichers errichteten die Architekten zwei Kopfbauten aus Glas, umfangen von einer steinernen Jalousie.

Zwischen je zwei Stahlspangen spannten sie massive Steine und drehten sie pro Feld um einige Grad, so dass der schwere Vorhang in Bewegung geriet. Auflösen wollten sie die Fassade nicht, aber auf paradoxe Weise haben sie den Steinen die Schwere genommen und sie in einen Schwebezustand gebracht, der jederzeit wieder umkippen kann: von massiv zu semitransparent und von leicht nach schwer. Auf der Mainseite, an der Industriefront mit ihrem Wippkran und mit Blick auf den Schlot eines Kraftwerks, kehrten sie den Materialkodex um: Glas umgibt hier zwei Betonboxen, die wie Container an der Fassade kleben. Um die zerbrechliche Hülle zumindest optisch der harten Umgebung anzupassen, versahen sie die Glasplatten per Siebdruck mit Gebrauchsspuren.

Für den Umbau des Kulturspeichers im Norden Würzburgs erhielten Brückner & Brückner gerade den Balthasar-Neumann-Preis 2002. Sensible Radikalität bescheinigte ihnen die Jury. Wenn man dies positiv wende, meint Christian Brückner, verpflichte Radikalität «zum konsequenten Umgang mit dem alten Gebäude». Dass man nicht mit aller Kraft versuche, dem Gebäude etwas zu oktroyieren. Als sie zum ersten Mal am Mainufer standen, vor dem Industriedenkmal, fühlten sie sich von dem Ort herausgefordert. Sie spürten, dass schon vieles da war, dass sie «nur noch korrigierend eingreifen» mussten. Christian Brückner weiss: «Wir wollten den Charakter des Ortes beibehalten, ihn ein Stück weit rauskratzen.» Diese Fähigkeit bewiesen die Architekten auch mit zahlreichen Sanierungen und Neubauten in ihrer Heimat.

Oberpfalz, «Stoapfalz», diese Gleichung gilt seit dem Dreissigjährigen Krieg, als Gustav Adolfs Schweden die einst blühende Kulturlandschaft im Nordosten Bayerns in Schutt und Asche legten. Aus dem Ruhrgebiet der frühen Neuzeit mit seiner Eisenerzverarbeitung und seinen Hammerschlösschen wurde eine grosse Brache. Wer es seitdem auf den kargen Böden nördlich der Donau aushielt, musste schon ein rechter Dickschädel sein. Auf der dünnen Verwitterungsschicht über Granit und Flussspat wächst wenig. Die harte Arbeit auf dem Feld hat die Menschen geprägt: reserviert gegenüber Neuem, wortkarg und traditionsverhaftet.


Karge Formen in der Landschaft

So erscheint auch das Wohnhaus eines Forellenzüchters bei Bärnau: verschlossen und unnahbar, wie die Burgen im Umland. Mit Satteldach und steinerner Basis, wie der Grund, auf dem es steht. Aber durch und durch zeitgemäss, als reine Form in der Landschaft, bei der Lärchenholz und Granit eine ganz neue Qualität erhalten. Dabei interpretierten Brückner & Brückner nur eine alte Tradition neu. Wie die Höfe des Umlands setzt das Einfamilienhaus auf eine gemauerte Gründung. Seitlich und darüber folgt, wie ein Winkelhaken, Holz. Dazwischen liegt eine Fuge mit einem Lichtband. Weniger geht kaum mehr. Ein Haus ohne Allüren, aber mit grossem Anspruch gebaut. Und ein Spiegelbild der Landschaft, in der es steht - karg und zurückhaltend, dabei voller Überraschungen. Im Inneren ist nämlich Licht im Überfluss, bis hinauf zum offenen Dachfirst, was den Räumen im Obergeschoss einen Hauch von Grösse und Weite verleiht. Fenster werden zu Aussichtsplattformen, die den Oberpfälzer Wald als gerahmtes Panorama bieten. Oben auf dem Hügel, kaum mehr sichtbar von hier aus, steht der Ort der Begegnung.

Neue Zürcher Zeitung, Di., 2003.06.17

04. April 2003Oliver Herwig
Neue Zürcher Zeitung

Turmbau zu München

Eine neue Stadtkrone für Bayerns Metropole

Eine neue Stadtkrone für Bayerns Metropole

Mit «Afterhour» wirbt ein Flyer zum Abtanzen nach Geschäftsschluss. Auf dem Papier gleicht München einem Scherenschnitt im Abendlicht, gegliedert nur durch die Türme der Altstadt. Das dürfte sich schnell ändern. Die Landeshauptstadt greift nach den Sternen. In München steht bald nicht nur ein Hochhaus. Fast ein Dutzend von ihnen soll in den nächsten Jahren aus dem Boden wachsen. Vier sind bereits fertiggestellt und verschieben das althergebrachte Stadtbild. In Sichtweite des Hauptbahnhofs steht ein neues Tor aus elliptischem Mercedes-Turm und rundem «Munich City Tower». Den Harras beherrscht das kubische Hochhaus der Fraunhofer Gesellschaft, und im Norden erhebt sich der Büroturm der Münchener Rück über dem Mittleren Ring.

Die Hochhäuser besetzen Lücken im städtischen Gewebe, an Schnellstrassen oder Bahnlinien - und gestalten ganze Quartiere um, indem sie alle Blicke auf sich ziehen. Ihre bis zu 85 Meter hohen Fronten fallen bescheiden aus im Vergleich zu den Projekten, die schon in der Baugrube scharren. 146 Meter misst Christoph Ingenhovens Turm in der Nähe des Olympiastadions, und fast 150 Meter soll dereinst der Büroturm der Süddeutschen Zeitung in den weissblauen Himmel steigen. Wie ein Belagerungsring stehen die Riesen um die Kernstadt. Damit diese neue Stadtkrone möglich wurde, musste viel ideologischer Ballast, der das Höhenwachstum bislang bremste. über Bord geworfen werden. Jahrzehntelang war der Drang nach oben durch zwei Grössen begrenzt, die es nicht zu überschreiten oder zu verstellen galt: die Türme der Frauenkirche und die Silhouette der Alpen.

Hielt sich der BMW-Vierzylinder von 1973 noch an die 100-Meter-Vorgabe der Frauenkirche, so übersprang der ausdrucksstarke Hypoturm von Walter und Bea Betz die sakrale Richtschnur. Mit 114 Metern hält der Bankenriese bislang den Münchner Rekord. Fundament der auf Containment angelegten Hochhauspolitik bildete Detlev Schreibers Studie aus dem Jahre 1977. Der mahnte 1995: Hochhäuser können nur dort entstehen, wo sie «klärend in die morphologische Substanz der Stadt integriert werden.» Höhenwachstum und Verdichtung sollten Hand in Hand gehen, und zwar entlang den bestehenden Ausfallstrassen und Bahnlinien, also zwischen Donnersberger Brücke und München-Pasing sowie im Norden am Georg-Brauchle-Ring und im Osten entlang der Wasserburger Landstrasse. 200 Jahre nach der für den Freistaat so profitablen Säkularisation wird auch Münchens Stadtbild verweltlicht. Die Frauenkirche als Mass aller Dinge hat ausgedient, die neuen Dominanten künden von Investoren und Unternehmen.

Angesichts dieser unübersehbaren Lust an der Selbstdarstellung mutet die jahrelange Hochhausdebatte wie eine Provinzposse an, die nur ein Gutes hat: Die Thesen der «Vierkantklotz»-Gegner können vor Ort überprüft werden. Und da sieht es gar nicht so rosig aus. Corporate Architecture als Kommunikationsplattform fällt manchmal etwas platt aus, blickt man etwa auf den Neubau der Fraunhofer-Gesellschaft. Das kantige Gebäude der Zentralverwaltung wirkt wie ein Relikt aus den achtziger Jahren. Trotz energetischer Doppelfassade bietet er nicht mehr als 17 Geschosse gereihter Langeweile. Ganz anders wirkt der Büroturm im Münchner Norden von Allmann Sattler Wappner: Die fein gegliederte Fassade umhüllt einen eleganten Baukörper, der - als Nachfahr von Mies van der Rohes Seagram-Building - auch am Hudson stehen könnte. Die viel gescholtene Investorenarchitektur zeigt hier ihre beste Seite, ist allerdings dazu verdammt, schon bald im Schatten des ungleich höheren Langenscheidt-Hochhauses gegenüber zu stehen.

Anders als in Frankfurt, wo nach argen Missgriffen in der Summe doch eine Skyline entstand, die über einzelne Geschmacksverirrungen hinwegsehen half, setzt das Münchner Modell auf Solitärtürme, die über das gesamte Stadtgebiet verstreut sind. Damit erhalten sie eine Präsenz und Bedeutung, die ihre Architektur nicht immer einlösen kann. Auf dem Richtfest des 85 Meter hohen «Munich City Tower» sagte Stadtbaurätin Christiane Thalgott, auch wenn sie die Tradition hoch halte, im Zentrum keine Hochhäuser zu bauen, könne man stolz darauf sein, «dass in Sichtweite der Altstadt ein Büroturm entsteht, der zeigt, dass München eine moderne Stadt ist».

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 2003.04.04

04. Oktober 2002Oliver Herwig
Neue Zürcher Zeitung

In einsamer Höhe

München explodiert. Neue Wohnquartiere sollen den überhitzten Immobilienmarkt beruhigen und Perspektiven eröffnen für eine nachhaltige Stadtentwicklung. Die Szenarien erscheinen eindrücklich. Doch was bieten die Neubaugebiete der Parkstadt Schwabing, der Theresienhöhe und der Messestadt Riem ihren künftigen Bewohnern?

München explodiert. Neue Wohnquartiere sollen den überhitzten Immobilienmarkt beruhigen und Perspektiven eröffnen für eine nachhaltige Stadtentwicklung. Die Szenarien erscheinen eindrücklich. Doch was bieten die Neubaugebiete der Parkstadt Schwabing, der Theresienhöhe und der Messestadt Riem ihren künftigen Bewohnern?

Liebliche Plätze, grosszügige Parks und breite Strassenzüge - so hat sich München in den Köpfen von Millionen Touristen festgesetzt. Stadtplanung klingt da nach einer historischen Aufgabe. Abgeschlossen, abgesichert und unverrückbar für alle Zeiten, denn schliesslich waren hier Titanen am Werk: Klenze, Gärtner, Fischer und Sckell bildeten das geistige Fundament, auf dem München gefahrlos zum Millionendorf wuchs. Damit ist Schluss. Heute platzt das leuchtende Isar-Athen aus allen Nähten. Der Wohnraum wird knapp, die Mieten explodieren, und bei den Immobilienpreisen bewegt sich die Voralpenstadt ohnehin in einsamer Höhe. Wie gerufen kommen da neue Siedlungsprojekte mit wohlklingenden Namen: Parkstadt Schwabing, Messestadt Riem und Theresienhöhe. Ihr Anspruch ist gross. In nur wenigen Jahren sollen sie ehemalige Industrieareale in grüne Wohnquartiere verwandeln und Leerstellen im Gefüge der Stadt füllen. Klug nutzte die Kommune dabei den Drang der Industrie an die Peripherie. Die drei Gebiete im Norden, Osten und im Zentrum Münchens verdeutlichen die Choreographie dieses grossmassstäblichen Stadtumbaus hin zur Medienmetropole.


Charme des Hinterhofs

Den Auftakt machte der neue Flughafen Franz Joseph Strauss. Seine Eröffnung im Mai 1992 hinterliess im stadtnahen Riem ein 556 Hektaren grosses Areal - und die einmalige Chance, das ehemalige Flughafengelände in ein Wohnquartier mit Zukunft zu verwandeln. Sechs Jahre später nahm dort die Neue Messe Riem ihren Betrieb auf und liess ihre einstigen Hallen und Bauten hoch über der Wies'n leer zurück. So gab es auch im Herzen der Stadt plötzlich Raum für ein Wohn- und Dienstleistungsquartier. Mit ähnlichem Ehrgeiz polieren Stadtplaner gerade die Parkstadt Schwabing zu einem modernen Medienstandort auf. Jahrelang versprühte das Gebiet nördlich des Mittleren Rings den Charme eines gigantischen Hinterhofs, einer vergessenen Restfläche voller Gewerbe- und Industriebauten.

Diese negativen Vorgaben reizten André Perret offenbar: «Architektur bedeutet nicht die Addition von Bauformen», erklärt der gebürtige Franzose, sondern «hat mit Kontext zu tun». Und dieser müsse für die Parkstadt Schwabing erst geschaffen werden. Leitlinie seiner Planung wurde Theodor Fischers Erweiterungsplan für München von 1892, mit seinen charakteristischen Vorgärten und Blickachsen zwischen den einzelnen Häusern. Den Verkehr wird Perret nicht wegzaubern können, aber durch Lärmschutzwälle und siebenstöckige Bauten an der Autobahn abschirmen. Von Ost nach West staffelte er die Bebauung immer lockerer und durchgrünter, von grossen Bürobauten hin zu überschaubaren Wohnzeilen. Die entscheidende Verbindung muss nach Süden, nach Schwabing hin erfolgen. Ausgerechnet dort aber endet der zukünftige Petuel-Park, der auf dem Rücken des übertunnelten Mittleren Rings grünen soll. So bleibt eine lärmende Lücke, eine offene Nahtstelle, die einzig vom Tramtrassee überspannt wird. Optisch hingegen rückt Münchens Norden dem Zentrum nahe. Für viele allzu nahe. Entlang der Autobahn entstehen nämlich die Doppeltürme des Münchner Tors II von Helmut Jahn sowie der «Skyline Tower» der Bayerischen Hausbau. 123 bzw. 84 Meter hoch, sind sie als städtebauliche Dominanten noch vom Odeonsplatz aus sichtbar. Nun scheint es, als ob der Konjunktureinbruch auch in München Spuren hinterlässt. Die grosszügig geplante Freifläche im Zentrum der Parkstadt ist beinahe fertig gestellt und wirkt verloren in ihrer Grösse, denn die Randbebauung aus Bürohäusern fehlt.

Riem ist ein Sonderfall. Auf dem ehemaligen Flugplatz sollte, ungestört von historischen Grenzen, etwas völlig Neues entstehen. Der Weg zur Öko-Mustersiedlung scheint vorgezeichnet. Tatsächlich aber eröffnet das Gelände Einblicke in die real existierende Baukultur. Neben überdurchschnittlichen Einzellösungen wie der Feuerwache, der Grundschule und der Kinderkrippe sowie soliden Bürohäusern breiten sich Investorenbauten aus. An vielen Fassaden prallten alle Vorschläge der Beratergruppe ab, die kostenlos, aber weitgehend unverbindlich Ökologie und Qualität bewertet. Die «meisten Bauträger nehmen es ernst, manche nicht so», beschwichtigt Walter Wiesinger vom Referat für Stadtplanung und Bauordnung diplomatisch. Investoren wissen, was der Markt fordert: eine Wohnung mit kompaktem Grundriss zu vertretbaren Kosten.

Architektonische Qualität, Ökologie, Rendite und Urbanität bilden auch in Riem kein magisches Quadrat, sondern versanden im Bermudadreieck gängiger Patentlösungen. Wer sich in Riem einrichten will, lebt in einer infrastrukturellen Einöde. Neben dem internationalen Kongresszentrum fehlt vorerst das Stadtteilzentrum mit eigenen Einkaufsmöglichkeiten. Bis Ende 2003 bleibt das grüne Riem mit seinen kurzen Wegen zwischen Arbeit und Wohnen ein Versprechen. Die eigentlichen Impulse der Stadtplanung dürften sich wohl erst nach der Bundesgartenschau 2005 abzeichnen. Dann sollen sich Landschaft und Wohnen über grosse Grünzüge miteinander verzahnen. Schliesslich wächst hier keine klassische Gartenstadt und auch kein Siedlungsprojekt der Moderne, sondern ein Langzeitexperiment als Antwort auf die ökologischen Herausforderungen von morgen.


Kompakt, urban und grün

Auch die sogenannte Theresienhöhe über der Wies'n kommt ohne städtebauliches Leitbild nicht aus. Kompakt, urban und grün lautet die Trias für das Quartier, in dessen Zentrum der Bavariapark liegt. Erst seit einigen Jahren wieder öffentlich zugänglich, wurde der Park mit seinen alten Kastanien längst zur Attraktion für Spaziergänger und Erholungsuchende. Rundherum will Chefplaner Otto Steidle aus dem Geist des Siedlungsbaus urbane Stadtstrukturen wachsen lassen. Das scheint zu gelingen. Schon jetzt verzahnt sich der Stadtteil Sendling mit dem Westend. Die Randbebauung steht grösstenteils. Es handelt sich dabei vor allem um Bürobauten, die das ehrgeizige Projekt erst finanzieren halfen. Schliesslich musste die Kommune alle Kosten für die neue Infrastruktur und die Abfindung der Messegesellschaft aus dem Verkauf der Grundstücke decken.

Trotz Wirtschaftskrise: Münchens Anziehungskraft ist ungebrochen. Das liegt mit an der vorausschauenden Planungskultur der Kommune, die attraktive und funktionierende Stadträume entstehen liess. Die nach 1945 belächelte Entscheidung, historische Strukturen weitgehend wiederherzustellen, erweist sich längst als grosse Qualität, meinte Stadtbaurätin Christiane Thalgott bei einer Tutzinger Tagung. Der gebürtigen Hamburgerin pflichtete der Schweizer Christoph Vitali sogleich bei. München sei «die einzig ernst zu nehmende Stadt in Deutschland - zumindest was das Stadtbild angeht». Wie aber werden sich die neuen Quartiere darin einfügen? Sieht man von Riem ab, integrieren sich die Entwicklungsgebiete Parkstadt Schwabing und Theresienhöhe dezidiert in das gewachsene München und denken es weiter. Parallel dazu entstehen weitere Siedlungen wie die sogenannte Panzerwiese im Norden und die Bebauung der Bahnanlagen nach Westen hin. Ihr Erfolg wird mit darüber entscheiden, wie sich die Lebensqualität im Ballungsraum München entwickelt. Schliesslich will die Stadt auch hier ihren Spitzenplatz verteidigen.

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 2002.10.04

23. März 2002Oliver Herwig
Neue Zürcher Zeitung

Vier unter einem Dach

Pünktlich zum Frühlingsanfang war es soweit: Die vollendete, aber noch nicht bespielte Münchner Pinakothek der Moderne konnte den Auftraggebern übergeben...

Pünktlich zum Frühlingsanfang war es soweit: Die vollendete, aber noch nicht bespielte Münchner Pinakothek der Moderne konnte den Auftraggebern übergeben...

Pünktlich zum Frühlingsanfang war es soweit: Die vollendete, aber noch nicht bespielte Münchner Pinakothek der Moderne konnte den Auftraggebern übergeben werden. Und für einen Augenblick schienen die Querelen zwischen dem Freistaat Bayern und dem Architekten Stephan Braunfels vergessen. Kultusminister Hans Zehetmair schwärmte gar von neuer kultureller Blüte. Direkt gegenüber der Alten Pinakothek rundet der Neubau das künftige Museumsquartier im Herzen Münchens ab. Zugleich geht die schon hundert Jahre dauernde Suche nach einem geeigneten Ort für die Kunst der Moderne zu Ende. Braunfels' Entwurf vereint auf fast 9500 Quadratmetern Ausstellungsfläche gleich vier bisher getrennte Museen: die Staatsgalerie Moderner Kunst, die Neue Sammlung (Design), das Architekturmuseum sowie die Staatliche Graphische Sammlung. Entsprechend vielschichtig fiel das Raumprogramm aus. Den rechtwinkligen Baukörper durchzieht eine Diagonale, die Stadt und Museumsquartier verbinden soll, aber zusammen mit der zentralen Rotunde für gewaltige Verschneidungen sorgt, die Braunfels in zwei trichterförmigen Prachttreppen aufzufangen suchte. Da verkehrt sich das rigide Programm der reduzierten Geometrien in sein Gegenteil. Beeindruckend hingegen ist die Konsequenz, mit der Braunfels störende Details verschwinden liess und für reine Kunstkuben sorgte. Denn trotz einem vergleichsweise bescheidenen Budget von 121 Millionen Euro blieb der Anspruch gewaltig. Die besten Oberlichtsäle der Welt versprach Braunfels den Münchnern. Tatsächlich fliesst das Tageslicht so weich und gleichmässig über die weissen Wände des Obergeschosses, dass es eine Freude ist. Wie die Ausstellungsmacher dies nutzen werden, wird sich allerdings erst am 13. September zeigen, dem Tag der offiziellen Eröffnung der nun dritten Pinakothek.

Neue Zürcher Zeitung, Sa., 2002.03.23



verknüpfte Bauwerke
Pinakothek der Moderne

01. März 2002Oliver Herwig
Neue Zürcher Zeitung

Fussballspielen im «Schwimmreifen»

Seinen Spitznamen hat es schon: Schwimmreifen heisst das neue Münchner Fussballstadion im Volksmund. Das stört den Wettbewerbssieger Pierre de Meuron «überhaupt...

Seinen Spitznamen hat es schon: Schwimmreifen heisst das neue Münchner Fussballstadion im Volksmund. Das stört den Wettbewerbssieger Pierre de Meuron «überhaupt...

Seinen Spitznamen hat es schon: Schwimmreifen heisst das neue Münchner Fussballstadion im Volksmund. Das stört den Wettbewerbssieger Pierre de Meuron «überhaupt nicht». Mit der Entscheidung für das Basler Büro Herzog & de Meuron setzen die beiden Münchner Bundesligavereine auf Innovation. Nach den endlosen Querelen um den Ausbau des ehemaligen Olympiastadions zum Fussball-Hexenkessel, einem Bürgerentscheid und einer ersten Wettbewerbsrunde für ein völlig neues Stadion standen im letzten Herbst zwei vorläufige Sieger fest: von Gerkan, Marg und Partner aus Hamburg sowie Herzog & de Meuron.

Beide Teams sollten ihre Entwürfe nochmals überarbeiten, vor allem aber die Kosten in den Griff bekommen. Schon lange deutete alles auf einen Sieg der Basler hin, deren Entwurf mit einer transluzenten Hülle aufwartet, die sich farbig illuminieren lässt. Beeindruckt von der «magischen Poesie» dieser Arena entschied sich nun eine 15-köpfige Jury für Herzog & de Meuron. Eigentlich gibt es nur Gewinner: Die Stadt erhält ein herausragendes Stadion, und Günter Behnischs Olympiastadion bleibt als Architektur-Ikone erhalten. Das hielt den Verlierer Volkwin Marg nicht von einer Kritik ab. Er beanstandete die Tendenz, «die Hülle vor den Inhalt zu stellen» und «mit Effekten zu spielen». Gerade diese «Inszenierungsarchitektur» (Marg) aber bietet den sinnvollen Gegenpol zu herkömmlichen Ingenieurbauten, die auf Ausstrahlung gänzlich verzichten.

Die Zukunft des Münchner Fussballs wird nun nach der Vorstellung von Herzog & de Meuron in den Farben der Vereine rot und blau leuchten. Das Stadion, für das der TSV 1860 und der FC Bayern nun 280 Millionen Euro aufbringen müssen, wird auf drei Rängen 66 000 Zuschauer fassen und einige nicht unumstrittene VIP-Logen besitzen. Beflügelt von der avantgardistischen Architektur, hat sich ein Versicherungskonzern zum Sponsor und Namensgeber des künftigen Hexenkessels aufgeschwungen und ihm seinen Namen verpasst: «Allianz Arena». Baubeginn ist noch in diesem Jahr. Denn schliesslich soll in dem Stadion im Jahr 2006 das Auftaktspiel der Fussball-WM stattfinden. Dann darf München auch sportlich wieder leuchten.

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 2002.03.01



verknüpfte Bauwerke
Allianz-Arena

27. Juli 2001Oliver Herwig
Neue Zürcher Zeitung

Zeitgenössische Architektur als Lückenbüsser

Bauliche Erneuerung der Frankenmetropole

Bauliche Erneuerung der Frankenmetropole

Geschichte ist Nürnbergs Kapital. Sie wird verkörpert von Kaiserburg und Christkindlesmarkt. Mit zeitgenössischer Architektur hingegen tut sich die Stadt schwer, auch wenn sie entscheidende Leerstellen füllt. Nun verwandelt Günther Domenig die Nazi-Kongresshalle am ehemaligen Reichsparteitagsgelände in ein Dokumentationszentrum.

Alle Orte haben Geschichte, aber nur wenige verkörpern sie. Dieser Gemeinplatz gilt in besonderem Masse für Nürnberg. Wenn die Frankenmetropole heute eher verschlafen wirkt, liegt dies nicht an ihrer Vergangenheit. In Teilen lebt sie sogar von der Sandsteinromantik des Wiederaufbaus. «Stilrein wiederhergestellt» klebt als Etikett über ihrem Zentrum, das aus zwölf Millionen Kubikmetern Schutt wiedererstand. Ein Phönix aus der Asche ist es dennoch nicht geworden, dazu blieb zu viel historische Substanz auf der Strecke. Oder wurde an den Rand des historischen Gedächtnisses gedrängt, wie das Reichsparteitagsgelände am Grossen Dutzendteich.


Nürnbergs Stadtkrone

Mit so viel Geschichts- und Trümmerlast taten sich die Architekten der Nachkriegsmoderne eher schwer, trotz der Ausnahmeerscheinung Sep Ruf. Ende der vierziger Jahre hatten ihre Vertreter noch strenge Zeilen- und Hochhausbauten propagiert - und die entscheidende Abstimmung im Stadtrat verloren. Eine gemässigtere Gruppe vertrat verschiedene Zonen der Erinnerung. Markante Punkte wie etwa die Mauthalle sollten als historische Rekonstruktion erlebbar werden, Gebäude an wichtigen Plätzen hingegen nur in zeitgemässer Architektursprache entstehen. Kraftvolle Bauten aus dieser Zeit machen sich rar. Noch Anfang der siebziger Jahre war die Altstadt keineswegs komplett saniert. Immer deutlicher zutage tretende Brüche zwischen historischer Substanz, «geretteten Vierteln» und kommerzialisierter Innenstadt riefen schliesslich die «Altstadtfreunde» auf den Plan, einen Verein, der binnen fünf Jahren 5000 Mitglieder zählte und an der langfristigen Sanierung baufälliger Gebäude arbeitete. Heute, da die Arbeit am Zentrum weitgehend abgeschlossen ist, wagt man vorsichtige Modernismen, die sich in den Bestand drängen, etwa Volker Staabs «Neues Museum», das sich zum Publikumsmagneten entwickelte. Im Gegensatz zum Germanischen Nationalmuseum, dessen verschachtelte Struktur durch immer neue An- und Umbauten verschiedenste, oft konkurrierende Architektursprachen aufnahm, gelang dem Berliner Baumeister ein überzeugendes Ganzes.

Indes wird längst an Nürnbergs Stadtkrone gezimmert. Markantestes Beispiel ist ein 400 Millionen Mark teurer Dienstleistungsgigant, der nach Osten hin die Stadtgrenze neu zeichnet. Seit Herbst letzten Jahres erhebt sich auf dem Gelände eines ehemaligen Schrottplatzes der «Business Tower Nürnberg», mit einer Höhe von immerhin 135 Metern Bayerns grösster Büroturm. Seine Symbolik ist mit Händen zu greifen: «Schutz und Sicherheit im Zeichen der Burg», hat sich die Nürnberger Versicherung auf ihre Fahnen geschrieben und dieses Motto in ihrem festungsartigen Verwaltungszentrum wörtlich, allzu wörtlich genommen. Dabei bot das Areal allerhand Entwicklungsmöglichkeiten. Drei Seiten sind von S-Bahn und grossen Ausfallstrassen definiert, aber dieser klaren Begrenzung antwortet das Bürogebäude mit weiterer Abschottung, Kuben, die aus dem Alugeviert ausbrechen, und einer harten, siebengeschossigen Blockkante von 25 Metern. Dem Massstabssprung haben die Wohnbauten der unmittelbaren Umgebung nichts entgegenzusetzen. Sie werden von den herrischen Fronten regelrecht pulverisiert.

Über allem erhebt sich der Rundturm, massiv und schwer, mit seinen begehrten Offices mit Blick zum Wöhrder See und zur Altstadt. Unter dem Business-Tower, im Schutz der Verwaltungsburg, ist der Innenhof als Seenlandschaft gestaltet, die allerdings nur für Werksangehörige zugänglich ist. Die aufgeständerte und Öffnung signalisierende Ostecke des Gevierts weckt falsche Hoffnungen. Sie bietet Einblicke, aber keinen Eintritt. Gemässigt in den Dimensionen wirkt hingegen das «N-Energie»-Haus unweit des Plärrers. Anders als bei seinem Gegenüber aus den fünfziger Jahren, das prominent den Stadtraum gestaltet, liegen die Qualitäten des Neubaus im Inneren. Hinter der gläsernen Doppelfassade entwickelte das junge Kölner Büro Hausmann + Müller ein vielschichtiges Informationsgebäude für Verwaltung und Öffentlichkeit. Besucher betreten eine Hightech-Welt aus Aluminium, Sichtbeton und grauem Naturstein samt Kundencenter und Showroom, ein Haus im Haus, das als mehrstöckiger Kubus in die südliche Front eingestellt ist. Höfe spielen mit Durch- und Einblicken. Das nördliche Geviert um einen quadratischen Wasserhof ist für Mitarbeiter reserviert. Für alle anderen bleibt der Blick in den begrünten Hof.


Ein Keil gegen das Nazi-Kolosseum

Eines der interessantesten Projekte in Nürnbergs Innenstadt wurde im Herbst 2000 abgebaut und wird nun seit Ostern als Schülertreff der Grundschule in Kornburg neu genutzt: Matthias Loebermanns «Experimental-Box», die als Stadtteilinformationszentrum drei Jahre am Celtisplatz, hinter den Gleisanlagen des Nürnberger Hauptbahnhofs, mehr schwebte als stand. Über einem temporär stillgelegten Fahrstreifen ging es per Treppe beziehungsweise Rampe in einen mit innovativen Fassadensystemen voll gestopften Pavillon. Eine Komposition aus Aluminiumlochblechtafeln, Lamellen und transluzenten, wärmedämmenden Glaspaneelen bot sich dem Besucher dar. Nach Ablauf des Nutzungsvertrags mit der Stadt wurde die Box auf einen Tieflader gepackt und in einem Stück nach Nürnberg-Kornburg verfrachtet. Offensichtlich tat man sich schwer, eine richtige Nutzung für den Pavillon zu finden. Die nun gefundene Lösung klingt nach letzter Rettung. Immerhin erhielten nun die Grundschüler von Kornburg ein Stück avancierter Architektur.

Nur wenige verirren sich an den Grossen Dutzendteich, wo die dem römischen Kolosseum nachempfundene Nazi-Kongresshalle steht. Aus dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände wurde wieder der Volksfestplatz, und aus dem Riesenbau ein Abstellplatz für den städtischen Fuhrpark. Das soll sich ändern. Über 50 Jahre nach Kriegsende wird das 18 Millionen Mark teure «Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände» ab November die eher provisorisch untergebrachte Ausstellung «Faszination und Gewalt» in der Zeppelin-Tribüne ersetzen. Architekt Günther Domenig trieb einen gewaltigen Keil aus Stahl und Glas in die steinerne Herrschaftsarchitektur des Dritten Reichs. Ob der Versuch gelingt, die Baumassen der Nationalsozialisten aufzusprengen und Licht in das völkische Dunkel zu bringen, wird sich, wenige Tage vor dem Jahrestag der Reichspogromnacht, zeigen. Im Inneren der Anlage jedenfalls bleibt von dem stählernen Keil, der durch meterdickes Mauerwerk gesägt werden musste, nur eine winzige Spitze hoch über dem Boden, eine Ahnung von Veränderung. Geschichte lässt sich nicht stillstellen und auch nur bedingt ausstellen. Wohl aber bewahren und lebendig halten.

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 2001.07.27

04. Mai 2001Oliver Herwig
Neue Zürcher Zeitung

Geschichtete Moderne

Beispiele neuer Architektur in St. Gallen

Beispiele neuer Architektur in St. Gallen

Die barocke Klosteranlage mit der Stiftsbibliothek und die Erker der Altstadt prägten bis heute das touristische Bild St. Gallens. Doch in den vergangenen Jahren hat das Zentrum der Ostschweiz auch auf dem Gebiet der zeitgenössischen Architektur von sich reden gemacht. Neue Bauten und Projekte zeugen von Aufbruchstimmung.

St. Gallen ist reich an Überraschungen. Wer kurz hinter dem Klosterbezirk und der weltberühmten Stiftsbibliothek in die Mühlenstrasse einbiegt und der Steinach folgt, steigt in die Erdgeschichte hinab. Was einst Meeresboden war, sieht man, verdichtet zu Sandstein, Mergel und Nagelfluh, an den Wänden der Schlucht. Das Buch der Natur scheint lesbar. Auch St. Gallens Architekturentwicklung zeigt eine ähnliche Struktur. Klassizismus, Jugendstil, klassische Moderne und zeitgenössische Baukunst sind nicht blosses Sediment, sondern konzentriert erlebbar. Als Gravitationskern wirkt freilich immer noch das Kloster. Doppeltürmig erhebt sich die Kathedrale, eine spätbarocke Kirchenfront mit hervorquellendem Chor.


Streben nach Qualität

Gegenüber den engen Gassen und den vielen Erkern verkörpert der Klosterbezirk einen Massstabssprung. So als hätten seine Baumeister eine sakrale Gegenwelt schaffen wollen. Heute verbinden geradezu minimalistische Eingriffe das Alte mit einer ästhetischen Spätmoderne. Direkt neben dem Karlstor hat Santiago Calatrava St. Gallens Historie in die Gegenwart verlängert. Der Pfalzkeller sowie die kantonale Alarm- und Meldezentrale (1988-98) sind als futuristische Raumerlebnisse gestaltet. Von aussen geben sich die Bauten betont zurückhaltend. Die Linienführung des zwölf Meter hohen Glasdachs der Alarm- und Meldezentrale ist nur als Rückgrat auszumachen. Noch dramatischer ist der Kontrast zwischen Innen und Aussen beim Pfalzkeller, dessen Eingang von einer beweglichen Metallstruktur überspannt wird. In geschlossenem Zustand ist sie begehbarer Teil des Platzes. Darunter, dem Blick verborgen, liegt der Pfalzkeller.

Bauten wie diese nimmt Martin Hitz, der junge Stadtbaumeister von St. Gallen, lächelnd hin. Doch lieber als spektakuläre Solitäre von Stararchitekten sind ihm stimmige Ensembles. Und dies nicht nur bei städtischen Liegenschaften, die in den letzten Jahren auf Vordermann gebracht wurden. «Die Qualität des Bauens insgesamt zu sichern und zu heben», ist für Hitz, der selbständiger Architekt war, bevor er die Aufgabe des Stadtbaumeisters übernahm, wichtigstes Anliegen. Ganz gleich, ob es sich um die Sanierung eines Schulhauses von Johann Christoph Kunkler handelt, bei der Fenster nach alten Massen in Kleinserie ergänzt werden, oder um den Neubau einer Primarschule, die mit hochwertigen Details ausgestattet wurde. Qualität lautet die Devise.

Vom Hochbauamt in der Neugasse sind es nur wenige Schritte zur St. Galler Kulturmeile. Dazwischen liegt Calatravas Wartehalle auf dem Bohl, ein weisser Stahl-Druckbogenträger mit eingehängtem Glasdach. Tonhalle und Stadttheater flankieren den Beginn der Museumstrasse. Wie bei einer Figura serpentinata schrauben sich die Volumina des Stadttheaters in die Höhe - Sechsecke, die eine skulptural geformte Gebäudemasse entstehen lassen. Dieser Theaterbau entstand 1964-68 nach Plänen des Zürcher Architekten Claude Paillard. Heute verkörpert er den Geist der sechziger Jahre in Reinform, auch wenn er durch eine allzu forsche Sanierung etwas von seinem ursprünglichen Charakter eingebüsst hat. Unmittelbar daneben ein Highlight St. Gallens: das Natur- und Kunstmuseum, 1877 von Johann Christoph Kunkler errichtet und 1987 - nach Jahren des Verfalls - von Marcel Ferrier erneuert und ausgebaut. Durch die damals unterlassene Ausgliederung des naturhistorischen Bereichs erwies sich das Haus von Anfang an als zu klein für die Sammlung und den Ausstellungsbetrieb der Kunstabteilung. Nun soll eine Erweiterung durch einen östlich des Museums zu placierenden Solitär, für den demnächst ein Wettbewerb mit internationaler Beteiligung ausgeschrieben werden soll, der Raumnot Abhilfe schaffen.

Anders als Kunklers Stadttheater auf dem Bohl, das 1857 mit «Don Giovanni» festlich eröffnet und 1971 abgerissen wurde, oder dessen gleichfalls abgebrochenes «Helvetia»-Verwaltungsgebäude hatte dieses Werk Bestand. Als 1974 ein Abbruchgesuch vorlag, erkannte man die Bedeutung des Bauwerks und behielt sich Renovierung und spätere Nutzung vor. Das von Klenzes Alter Pinakothek in München inspirierte Museum zeigt den gebürtigen St. Galler auf dem Höhepunkt seiner Kunst. Die Raumfolgen sind unprätentiös und zwingend, die Fassade differenziert: Während Kunkler das Sockelgeschoss für die Naturaliensammlung vergleichsweise zurückhaltend gestaltete, ist das für die Kunstsammlung reservierte Obergeschoss reich gegliedert. Natur und Kunst, hier haben sie sich gefunden.

«Restaurieren ist nicht blosses Verehren des Denkmals, sondern eine kritische Neuprojektierung, das Sichtbarmachen der massgeblichen Komponenten seiner Architektur», erklärt Marcel Ferrier. Und er hat sich bei der Erneuerung des Museums an diese Maxime gehalten: Kunklers Bau schrieb er ganz rationalistisch einen Kreis ein, als tragende Elementarform, auf der das Museum ruht. Sichtbeton und archaisch-massive Säulen tragen den Bau. Eine Treppe führt ins Naturkundemuseum im Untergeschoss, das sich im gläsernen Rundbogen zum Park öffnet. Diesem sichtbaren Kreis zugeordnet ist ein unsichtbares, auf die Spitze gestelltes Quadrat, das versenkte Magazin. Es liegt genau zwischen dem Natur- und Kunstmuseum und dem östlich angrenzenden historischen Museum, nur gekennzeichnet durch einen Backsteinkamin. Alt und Neu durchdringen sich in Ferriers Entwurf. Diese Koexistenz «ist auch massgebend für den Umgang mit der Stadt, wenn man selbst den Neubau als Erweiterung oder Modifikation des bestehenden Stadtkörpers betrachtet», meint Ferrier.


Neue Schichten im Stadtgefüge

In den letzten Jahren erlebte St. Gallen den Bau mehrerer bedeutender Gebäude. Vier Projekte seien exemplarisch genannt: das Gebäude der Empa (Eidgenössische Materialprüfungs- und Forschungsanstalt) im Stadtteil Bruggen, der an die Altstadt anschliessende Raiffeisen-Komplex, die zu Ausstellungszwecken umgebaute Lokremise auf dem Areal des Hauptbahnhofs und die Olmahalle 9 im Osten des Stadtzentrums. All diese Bauten setzen eigene Schwerpunkte. Präzision, eine Tugend der Empa, verkörpert Theo Hotz' Entwurf bereits im äusseren Erscheinungsbild. Die einzelnen Baukörper sind klar akzentuiert und in eine glänzende Hülle aus Aluminium, Chromstahl und Glas gekleidet. 1996 erhielt der Zürcher Architekt dafür den begehrten Constructec-Preis.

Ganz anders war die Ausgangslage für die von Bruno Clerici und Paul Knill 1987 geplanten und vor zwei Jahren vollendeten Verwaltungsgebäude der Raiffeisenbankgruppe. Die beiden St. Galler Architekten hatten Zwänge der Topographie und Stadtplanung gleichermassen mitzubedenken. Ihr Raiffeisen-Zentrum vermittelt zwischen City und Bernegghang. Clerici und Knill entwarfen dazu eine stark urbanistisch gedachte Abfolge von Baukörpern mit markanten Ecklösungen. In der Gartenstrasse ist das ansteigende Gelände am aufgeständerten Bürowinkel direkt abzulesen. Über den kraftvoll ausgreifenden Arkaden entwickelten die Architekten eine gut proportionierte Fassade, deren Leichtigkeit dem monumentalen Unterbau Paroli bietet. Auch die anderen Blickachsen wurden architektonisch aufgewertet: Wie ein Schiffsbug teilt das elliptische Ausbildungszentrum die Verkehrsströme von Schochen- und Wassergasse, während zum Bankenviertel hin ein frei stehender Turm den winkelförmigen Baukörper abschliesst. Wer sich vom Innenhof seiner geschwungenen Betonfassade nähert, fühlt sich an Tadao Ando erinnert, so klar ist die Materialwahl.

Der Raiffeisen-Komplex wuchs in zwei Etappen. Denn erst nachdem der Städtische Werkhof ausgelagert war, konnten die Architekten mit der Front an der Gartenstrasse beginnen. Zehn Jahre waren seit den ersten Planungen vergangen. Während dieser Zeit wurde die Fassade mehrfach umgeplant und die Haustechnik auf den neuesten Stand gebracht. Das Warten hat sich gelohnt; heute wirkt der Komplex frisch im Gefüge St. Gallens. Inzwischen arbeitet Bruno Clerici bereits an einem Erweiterungsbau für die Raiffeisenbank in unmittelbarer Nachbarschaft zur architekturhistorisch bedeutenden Synagoge von Chiodera und Tschudy. Der abstrakte, allein durch Fensterachsen rhythmisierte Kubus nimmt in seiner Farbigkeit bewusst Bezug auf den orientalisierenden Fassadenschmuck des Gotteshauses. Dem Büro Clerici bescherte der Raiffeisen-Erfolg weitere Aufträge. Bereits vollendet ist inzwischen das minimalistisch anmutende Swisscom-Gebäude an der Wassergasse; und für den modisch «St. Gallen West» genannten Stadtteil Winkeln planen sie zurzeit ein multifunktionales Fussballstadion.


Ein Museum im Baudenkmal

Weniger sichtbar, doch ebenso konsequent hat sich die ehemalige Lokremise zum Museum gewandelt, in dem die Zürcher Sammlung Hauser & Wirth mit ihren reichen Beständen an moderner und zeitgenössischer Kunst für die nächsten zehn Jahre einen festen Platz gefunden hat. Für den betont zurückhaltenden Umbau verantwortlich waren Karlpeter Trunz und Hansruedi Wirth aus Henau. Anschliessend entwickelten die flämischen Architekten Paul Robbrecht und Hilde Daem, die mit ihrem Documenta-Provisorium in der Kasseler Karlsaue international bekannt wurden, im Juli 2000 die eigentliche Ausstellungsarchitektur. Auch sie liessen den spröden Charme der einstigen Werkhalle weitgehend unberührt. Über den mit Kies verfüllten Arbeitsgruben und dem Boden aus 330 000 Eschenholzklötzchen der ersten Umbauphase entstanden drei «Cluster»: Raumfolgen mit je eigenen Blickachsen und Situationen, die zunächst unbespielbar anmuten, doch für «manche Arbeit wie geschaffen scheinen». Die Einbauten sollten das gewaltige Vierfünftelrund «musealer, kleiner machen».

Das ist zweifellos gelungen, auch wenn man der verloren gegangenen Weite nachtrauern mag, denn 3300 Quadratmeter ohne innere Begrenzung wären zur steten Herausforderung an die Kuratoren geworden. Über dem Museumscafé entstand so eine zweite, fast schon intim zu nennende Ebene von 280 Quadratmetern Ausstellungsfläche. Dass die Flamen der radialen Grundform der Lokremise einen eigenen Rhythmus entgegensetzten, der sich wider die baulichen Vorgaben stemmt, ist gewöhnungsbedürftig, führt aber zu teils faszinierenden, teils überraschenden Raumfolgen. Wesentlich zurückhaltender verfuhren Trunz & Wirth, als sie für Büros und Bibliothek des abgetrennten Verwaltungsbereichs Elementarformen, Boxen und Kreissegmente, wählten. Sie sind, im Gegensatz zum Ausstellungsbereich, beheizt. Die schlechte Wärmedämmung der alten Mauern macht es nötig, die Ausstellungsräume im Winter zu schliessen. Dies ist das einzige Manko dieses eindrücklichen Gebäudes.

Im Jahr 1999 entstand das neue Wahrzeichen von St. Gallens Traditionsmesse Olma. Im Wettbewerb um den Neubau der Halle 9 wusste das Büro von Marie-Claude Bétrix und Eraldo Consolascio aus Erlenbach trotz starker Konkurrenz aus der Region zu überzeugen. Ihr Entwurf zeigt wechselnde Gesichter: Da ist der Monolith, mit 10 000 Quadratmetern Dachfläche und gewaltigen Tragwerken, die als Säulenreihe plastisch nach aussen treten. Und da ist ein höchst komplexes Bauwerk mit differenzierten Raumfolgen, gestapelten Boxen, voller Freiräume und Durchbrüche, als wäre ein Bildhauer am Werk gewesen. Dabei musste alles schnell gehen: Am 14. April 1998 fasste der Verwaltungsrat den Baubeschluss, und bereits am 4. Juni 1998 erfolgte die Grundsteinlegung. Rechtzeitig zur vorletzten Olma wurde der Riesenbau fertiggestellt. Der ungeheure Druck hat ein furioses Gebäude hervorgebracht, eine markante architektonische Schicht im sich wandelnden St. Gallen.

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 2001.05.04

22. Februar 2001Oliver Herwig
Neue Zürcher Zeitung

Gläserner Kubus und gebaute Schwere

An der Schwelle zum dritten Jahrtausend kommt Bewegung in die Sakralbaukunst. Architekten loten ihren Gestaltungsfreiraum neu aus und interpretieren die Tradition neu. In München wurden mit der Herz-Jesu-Kirche im Stadtteil Neuhausen und der Abdankungshalle auf dem Friedhof in Neu-Riem gleich

An der Schwelle zum dritten Jahrtausend kommt Bewegung in die Sakralbaukunst. Architekten loten ihren Gestaltungsfreiraum neu aus und interpretieren die Tradition neu. In München wurden mit der Herz-Jesu-Kirche im Stadtteil Neuhausen und der Abdankungshalle auf dem Friedhof in Neu-Riem gleich

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verknüpfte Bauwerke
Herz Jesu-Kirche

01. Februar 2001Oliver Herwig
Neue Zürcher Zeitung

Baumeister des Bundes

Günter Behnisch und die deutsche Demokratie

Günter Behnisch und die deutsche Demokratie

Günter Behnisch zählt zu den bekanntesten deutschen Architekten. Wie kaum ein anderer Baumeister gestaltete der heute 78-Jährige die Symbole der alten Bundesrepublik: das Münchner Olympiastadion - Zeichen der «heiteren Spiele» - sowie das gläserne Parlament in Bonn. Beide Bauwerke sind von der Kommerzialisierung bedroht.

«Wir wollen mehr Demokratie wagen.» Dieser Satz von Willy Brandt gilt auch für Günter Behnisch. Doch wenn der 78-jährige Architekt über den Umbau des Münchner Olympiastadions spricht, schwingt Erschöpfung mit in der Stimme. Die auf 400 Million Mark geschätzte Baumassnahme sei architektonisch möglich, aber darüber dürfe das Symbol der Olympischen Spiele nicht verloren gehen. Genau hier liegt das Problem. Nicht nur für den Architekten, sondern für eine ganze Stadt, die ihren Vorzeigebau für die anstehende Fussball-WM radikal erneuern will. Ist es ein Sakrileg, die wenigen grossen Zeichen der alten Bundesrepublik zu verändern? Oder lebt ein Denkmal nur dann, wenn es sich wandelt?

Die Frontlinien der Diskussion um Münchens Olympiastadion sind nicht klar auszumachen. Keineswegs stehen sich Traditionalisten und Progressive, Denkmalschützer und Fussballfans klar gegenüber. Ein Volksbegehren versucht die Entscheidung für einen Umbau zu kippen. Der Ausgang ist ungewiss. Seit im Oktober 1995 Fussballkaiser Beckenbauer das damals 23 Jahre alte Stadion verbal zum Abbruch freigab, wurden zahllose Expertenrunden abgehalten. Drei Umbauvarianten bestimmten bisher die Debatten: «Ring-», «Schüssel-» und «Konsensmodell». Doch selbst Letzteres ist seit dem 6. Dezember nur noch Makulatur. Da erklärte ausgerechnet Manfred Sabatke, Partner im Stuttgarter Architekturbüro Behnisch: «Wir können den Kritiken am sogenannten Konsensmodell nicht in allen Punkten widersprechen.» Diese Äusserung brachte die ohnehin angespannte Situation zur Explosion. Von einer «Bombe» sprachen Lokalpolitiker; das Konsensmodell sei nun «erledigt». Doch welchen Wert besitzt ein «Konsensmodell», zu dem die Bürger noch gar nicht befragt wurden?

Wichtiger als der Aspekt der ästhetischen und technischen Probleme ist für Behnisch die Frage, ob das Stadion künftig «eine Geldmaschine wird oder wenigstens noch ein bisschen von der freiheitlichen, offenen Anlage bleibt», die es einmal war. Behnisch hätte die Mittel, einen Umbau zu verhindern. Doch beim Hinweis auf sein Urheberrecht winkt er ab: «Das ist nicht dazu da, dass man Bauherrschaften zwingt, irgendetwas anders zu machen.» Im Übrigen sei es nicht Aufgabe der Architekten, «die Politik davon abzuhalten, das Stadion zu aktualisieren». Auch wenn Behnisch den Ball an die Politiker zurückspielt, bleibt er mit in der Verantwortung für sein Lebenswerk. Fast dreissig Jahre nach den «heiteren Spielen» von 1972 ist den politisch Verantwortlichen das Lachen vergangen. Nach wie vor steht Behnisch bereit zum Umbau, um wenigstens dafür zu sorgen, «dass keine allzu grossen Dummheiten passieren», auch wenn es ihm bei diesem Gedanken nicht wohl zu sein scheint.


Transparenz und Demokratie

Schon Anfang der siebziger Jahre hatte das Büro Behnisch einen der vier ersten Preise erhalten für die Umgestaltung des Regierungsprovisoriums in Bonn. Der gebürtige Sachse gruppierte die Bundesbauten als ringförmige Bürokomplexe rund um das Abgeordnetenhochhaus «Langer Eugen». Wie bei seinem Münchner Geniestreich flutete Landschaft in und um den Komplex. Behnisch hatte «Situationsarchitektur» im Sinn: «Das Ziel ist nicht das Haus, das Gebäude, sondern die zu schaffende Situation», erklärte er damals. Diese gelte es «zu verdeutlichen, zu verstärken, zu erhöhen oder, in weniger glücklichen Fällen: neu zu schaffen».

Kulminationspunkt der Parkanlage war das Parlament: kreisrund, eine Art moderner Tafelrunde, wo die Parlamentarier wenn nicht als Brüder, so doch als Gleichberechtigte zusammenkommen sollten. Aber erst zwei Jahrzehnte später wurde die Vision Wirklichkeit. 1992 sorgte der gläserne Bundestag für Furore. Und für einen Streit um das richtige, das angemessene Bauen für die Demokratie. Die einfache Formel «Glas gleich Transparenz gleich Demokratie», die in der Debatte oft zu hören war, hält auch Behnisch für zu kurz gegriffen. Dennoch gehört gerade der transparente Bonner Bundestag, der Einblicke nach innen gewährt und Sichtachsen nach aussen schafft, zu seinen grossen Arbeiten. «Das hat uns viel bedeutet, und wir haben versucht, das Wesentliche der Demokratie in Architektur zu übertragen», meint Behnisch, der mit der neuen Nutzung des Bonner Bundestags als kommerzielle Kongresshalle seine Probleme hat. Denn am 1. November 1999 übernahm das «Maritim Bonn» durch einen Pacht- und Managementvertrag die Bewirtschaftung des Saals. Ein wohl einmaliger Fall. Was bedeutet es, wenn Parlamentsgebäude profaniert werden? «Sie werden noch eine Zeit ihren symbolischen Wert behalten, vor allem da sie gut dokumentiert sind», meint zumindest der Baumeister. Und dann? Werte lassen sich Gebäuden nicht einfach zuschreiben, und doch verkörpern sie ihre Zeit erstaunlich präzise.

Es ist viel geschehen im letzten Jahrzehnt. Die Mitte der Republik ist geographisch nach Osten gewandert. Im märkischen Sand Berlins stehen die Symbole des neuen Deutschland: Axel Schultes' kraftmeierisches Kanzleramt, das allmählich der Vollendung entgegengeht, und Norman Fosters kühl gestalteter Reichstag. Ende Oktober kam ein weiteres monumentales Zeichen hinzu, Eduardo Chillidas 90 Tonnen schwere Stahlplastik «Berlin», welche die Nachfolge von Henry Moores «Large Forms» antrat. Das Modell einer bescheidenen, betont supranationalen Wacht am Rhein, Adenauers Erbe, das erst auf dem Höhepunkt des Wirtschaftswunders nach Repräsentation jenseits des Provisorischen suchte, ist in der grossen Geste nicht mehr zu erkennen.


Offenheit und Vielschichtigkeit

Berlin und Behnisch, das ist eine durchaus reizvolle Kombination. Für den Wahl-Stuttgarter aber auch eine heikle, «weil die Bauverwaltung versucht hat, Tradition aus dem preussischen Bauen heraus weiterzuführen». Und rasch fügt Behnisch hinzu: «Nach unserer Geschichte geht das gar nicht mehr. Deshalb haben wir uns als Büro geweigert, diese Stein-Architektur zu machen.» Die Akademie der Künste Berlin-Brandenburg am Pariser Platz setzt dem Berliner Steinkult ein Spiel sich überlagernder Ebenen entgegen, die von einem geradezu exzessiven Glasanteil ins rechte Licht gesetzt werden. Die steinerne Stadt der dreissiger Jahre, die nun weitergeschrieben wird, ist für Behnisch eine Schreckensvision. Und wieder taucht der Münchner Olympiapark auf, nicht als Gegenmodell zur Urbanität, sondern als Zeichen eines Miteinanders von Grün und Landschaft, einer Offenheit, die viele seiner Bauten auszeichnet.

Offenheit und Vielschichtigkeit sind geradezu Voraussetzungen für Behnisch, der bisweilen eher «als Kritiker und Manager» denn als Planer bezeichnet wurde. Er und seine wechselnden Partner bildeten keine Schule, keinen dominanten Stil. Im Vordergrund standen Einzelbauten, individuelle Lösungen im jeweiligen Kontext, eine Haltung, die auch in Repräsentationsbauten wie dem gläsernen Parlament als «heitere Demokratie» wahrgenommen wurde. Inmitten seines vom Willen zur Qualität geprägten Arbeitens weist Behnisch nur eines weit von sich: «Wir traten nicht mit der Absicht an, Symbole zu schaffen. Es wurden einfach Symbole.» Und diese sind heute in Gefahr.

Neue Zürcher Zeitung, Do., 2001.02.01

28. Juli 2000Oliver Herwig
Neue Zürcher Zeitung

Vom Pantheon zum Pandämonium

Direkt neben den traditionsreichen Wolfsburger Werkshallen errichtete die Firma Volkswagen einen Themenpark, auf dem sich alles rund um das Automobil dreht: Die 850 Millionen Mark teure «Autostadt» von Henn Architekten aus München besticht weniger durch herausragende Bauwerke als durch die Totalvermarktung eines Produktes.

Direkt neben den traditionsreichen Wolfsburger Werkshallen errichtete die Firma Volkswagen einen Themenpark, auf dem sich alles rund um das Automobil dreht: Die 850 Millionen Mark teure «Autostadt» von Henn Architekten aus München besticht weniger durch herausragende Bauwerke als durch die Totalvermarktung eines Produktes.

Während der deutsche Expo-Pavillon in Hannover höchstens den Charme eines riesigen Autohauses versprüht, kreierte die Firma Volkswagen im nahen Wolfsburg gleich eine ganze Fahrzeug- Welt. Diese «Autostadt» übersetzt die Faszination der vier Räder in eine Choreographie von Gebäuden und Designstudien. Polarweiss, silbern und nachtschwarz erheben sich die Marken-Pavillons der Töchter Audi, Bentley, Lamborghini, Seat und Skoda inmitten einer 25 Hektar grossen Fjordlandschaft am Mittellandkanal. Diese können Autokäufer und Selbstabholer durchstreifen und sich anregen lassen zum Erwerb des einen oder anderen Extras. Am Ende des Parcours jedenfalls soll der Besuch im «Kundencenter» stehen, einem gläsernen Ellipsoid mit Riesenpylon, wo die Übergabe des Traumautos stattfindet. Es hat etwas von Flughafen und grosser Welt, wenn auf allen Displays der Fahrzeugtyp aufscheint, zusammen mit dem Namen des künftigen Besitzers. Während man in der «Wasserbar» Platz nimmt, ein wenig vom Glas mit Himbeersirup nippt und die Seele baumeln lässt, steht der Wagen in einem der beiden gläsernen Autotürme schon bereit. 800 Fahrzeuge warten dort permanent auf ihre Besitzer. Alle 40 Sekunden rollt ein werksneues Gefährt hinein, über Fahrstühle nach oben, 20 Stockwerke hoch, während ein anderes Richtung Kundencenter verschwindet.

Das weithin sichtbare Herz der «Autostadt» schlägt bisher im Zweizylindertakt. Doch sein Ausbau ist bereits geplant - hin zu 2000 Einheiten am Tag. Vier weitere Glastürme sollen sich einmal am Nordrand erheben, eine Phalanx des Fortschritts, die das dahinter liegende Werkgelände optisch überflügelt, wegdrückt. Mag diese alte Anlage auch noch den bestimmenden architektonischen Akzent setzen und von der Maschinenästhetik vergangener Zeiten künden, von Stahl, Schweiss und Russ, so ist die Autostadt längst weiter. Sie zelebriert nicht nur das Produkt, sondern präsentiert es als Teil einer allumfassenden Lifestyle-Welt. Das Informationszeitalter überrundet die Fertigung. Industrie wird Idyll, wird konsumierbares Lebensgefühl. Aufgabe der Architektur ist es, ebendieses Image zu überhöhen, Präsentations- und Projektionsfläche zu sein für die unter dem Dach von VW versammelten Marken: flexibel und international, doch zugleich aseptisch und leblos.

Insgesamt 850 Millionen Mark investierte VW in die zeitgleich mit der Expo in Hannover eröffnete «Autostadt». Trotz der Bezeichnung «Autostadt» sind die im Landschaftspark verstreuten Pavillons keineswegs urban. Eher gleichen sie barocken Lustschlösschen, ausgefeilten Impressionen inmitten eines gigantischen Spielfeldes. Jeder Pavillon hat seinen eigenen Auftritt. Denn während der Automobilproduzent unter seiner «Plattformstrategie» leidet, welche die gleiche Technik in verschiedenen Marken anbietet, was wiederum Käufer zu den gleichwertigen, aber preiswerteren Töchtern Seat und Skoda abwandern lässt, lieferte das Büro Henn Architekten aus München betont individuelle Pavillons. Die Devise lautete denn auch architektonische Vielfalt. Dabei taten es die Architekten den Konzern- Designern ähnlich, die über gleiche Bodengruppen verschiedenste Hüllen zaubern. Markensymbole sollten in greifbare Bauformen übersetzt werden - aus Audis Ringen entstand etwa ein elliptischer Pavillon mit zentraler Rampe, während Skoda mit der Assoziation «Tschechien - Märchenwelt» spielt. «Eine Botschaft aus einem kleinen Land hinter den Bergen» lautet denn auch der Titel der Begleitbroschüre. Zugleich glitzern in dem radialen Baukörper Tonnen von Bleikristall, was zu einer absurd-beschaulichen Gegeninszenierung zur sonst dominierenden Technik führte.

Seat hingegen probt spanisches Temperament und Lebensfreude. Bereits auf der Rampe zum Pavillon setzt rhythmische Percussion ein. Sie mündet in ein gehauchtes «Sssseat», das beim Überschreiten der Türschwelle erklingt. Wohl weil das durchbrochene S-Logo der Marke zu wenig Stoff für einen Pavillon ergab, griff man zu naturhafter Symbolik: Schnecke und Blatt, die sich zu einer amorphen Form verbinden. - Was bei Skoda nur angedeutet wird, perfektioniert Seat: die Sakralisierung des Fahrzeugs. Nach allerlei Vorhallen führt der Weg hinab ins Herz des Pavillons. Laserlicht empfängt den Besucher, kühles Blau tropft von den Wänden, und man fühlt sich um Tausende von Jahren zurückversetzt. In einem modernen Hypogäum taucht Seats Designkonzeptstudie aus einer kreisrunden Bodenöffnung auf: fliessende Formen, Aerodynamik pur, doch der automobile Gott gibt sich unnahbar hinter Glas.

Bentley entführt einen vollends auf eine mystische Reise: Mit ihrem tief in den künstlichen Hügel eingegrabenen Pavillon wirkt die Traditionsmarke wie in einer gigantischen Nekropole gefangen. Der Besucher schraubt sich in die Erde, vorbei an stampfenden Motoren und Video- Screens. Das Ensemble ist derart mit Symbolik aufgeladen, dass man ein Bersten und Knacken der Mauern zu hören glaubt. Seine Form gewinnt der Hügel in Anlehnung an die Rennstrecke von Le Mans, grüner Granit hingegen verweist auf ewige Markenwerte. Volkswagens «Weltforum der Automobilität» gerinnt hier zu einem Architektursetzkasten. Allein im Schiffsrumpf des «Zeithauses», einem Doppelgebäude mit ständiger Automobilpräsentation, zeigen die Architekten, wozu sie in der Lage sind: freie Formgebung statt symbolbeladener Repräsentationsarchitektur. Durch den langen Riegel des «Konzernforums» verlässt der Besucher ein Gelände, dessen Wunsch nach Bedeutung allerorten spürbar ist. Ein automobiles Pantheon hätte es werden sollen, doch ein architektonisches Pandämonium ist daraus geworden. Der Weg führt an einem gewaltigen Globus vorbei und über den Mittellandkanal, von dem man sich wünschte, er wäre Lethe.

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 2000.07.28



verknüpfte Bauwerke
„Autostadt“

15. Juli 2000Oliver Herwig
Neue Zürcher Zeitung

Die Arena ruft

Nach jahrelangem Tauziehen verdichtet sich, was Auguren längst ankündigten: München erhält eine Fussballarena anstelle des alten Olympiastadions. Was einst Austragungsort der «fröhlichen Spiele» von 1972 war, die massgeblich dazu beitrugen, ein neues Bild Deutschlands in die Welt zu tragen, hat ausgedient. König Fussball übernimmt die Regie. Dabei gab es Versuche genug, das einzigartige Ensemble zu retten.

Nach jahrelangem Tauziehen verdichtet sich, was Auguren längst ankündigten: München erhält eine Fussballarena anstelle des alten Olympiastadions. Was einst Austragungsort der «fröhlichen Spiele» von 1972 war, die massgeblich dazu beitrugen, ein neues Bild Deutschlands in die Welt zu tragen, hat ausgedient. König Fussball übernimmt die Regie. Dabei gab es Versuche genug, das einzigartige Ensemble zu retten.

Doch selbst ein Sturmlauf von Architekten und Denkmalschützern (NZZ 22. 12. 98) zeitigte wenig Wirkung. Mehr noch: Günter Behnisch, Vater des weltberühmten Olympiadachs, wird nun selbst den Umbau durchführen. Was nach gezielter Selbstdemontage klingt, entbehrt nicht einer gewissen Tragik: Nach dem Bonner Plenarsaal von Behnisch, in dem sich künftig zahlende Kongressgäste einfinden werden, droht nun auch seinem Hauptwerk, dem zur Ikone stilisierten Olympiastadion, ein gravierender Identitätsverlust. Denn wie auch immer das Ergebnis des Umbaus ausfällt, das Alte wird irreversibel zerstört sein: Die Leichtathletikbahnen verschwinden, und das Stadionrund wird abgesenkt. Den beiden Münchner Bundesligavereinen schwebt ein moderner Fussball-Hexenkessel vor, vollständig überdacht und perfekt auf das 90-minütige Spiel abgestimmt. Die Kosten dafür bewegen sich mit 300 bis 400 Millionen Mark in der Höhe eines Stadion-Neubaus, auf den man damit freilich verzichtet. Mit bis zu 140 Millionen ist die Stadt München im Gespräch.

Drei Umbauvorschläge stehen zur Wahl: der sogenannte «Ring», der für das Olympiastadion einen zweiten, hohen Rang vorsieht, die «Schüssel»-Lösung mit neuen Tribünen sowie die «Westrang»-Variante, gemäss der unter dem bestehenden Olympiadach eine gewaltige Schräge errichtet werden soll. Schon die Namen lassen Schlimmes ahnen. Computersimulationen zeigen, dass sich der Charakter des Stadions durch das neue, transparente Runddach nachhaltig verändert. Eine Hälfte wird künftig unter zwei Dächern verschwinden, was Behnischs ursprüngliche Konstruktion weitgehend funktionslos macht. Das Stadion insgesamt gleicht einem Hybrid-Bau, hinter dessen Fassade die neuen Einbauten sichtbar werden. Was vom alten Stadion bleibt, der Name, passt nicht mehr zu der neuen Arena. Angesichts der gewaltigen Investition und der unwiderruflichen Zerstörung eines Architekturensembles von Weltgeltung darf Münchens Fussball gar nichts anderes als erstklassig bleiben. Sonst wäre die Arena die zweite Investitionsruine nach dem fehlgeschlagenen Umbau der Olympischen Radrennhalle zum Freizeitpark «Olympic Spirit».

Neue Zürcher Zeitung, Sa., 2000.07.15

25. November 1999Oliver Herwig
Neue Zürcher Zeitung

Ufo über London

Das neue Medienzentrum des Lord's Cricket Ground von Future Systems in London ist wohl die spektakulärste Architektur, die in diesem Jahr in Grossbritannien fertiggestellt wurde. Der Neubau, der vom Computerbildschirm bis zum Raumschiff die unterschiedlichsten Assoziationen weckt, wurde soeben mit dem Stirling-Preis des Royal Institute of British Architects ausgezeichnet.

Das neue Medienzentrum des Lord's Cricket Ground von Future Systems in London ist wohl die spektakulärste Architektur, die in diesem Jahr in Grossbritannien fertiggestellt wurde. Der Neubau, der vom Computerbildschirm bis zum Raumschiff die unterschiedlichsten Assoziationen weckt, wurde soeben mit dem Stirling-Preis des Royal Institute of British Architects ausgezeichnet.

London pulsiert, und wie in den Swinging Sixties erfasst der Umbruch ganze Quartiere. Das Neue durchdringt das Alte, wobei Traditionen teils brachial aufgebrochen, teils genial in die Zukunft verlängert werden. Der Hang zu architektonischen Experimenten ist stärker denn je. Doch kein Bauherr ging in den vergangenen Jahren so an die Grenzen wie «Lord's», jene nationale Cricket-Institution, die nicht mehr nur Sport-, sondern auch Architekturbegeisterte in den Nordwesten der Metropole lockt. Seit über einem Jahrzehnt arbeiten namhafte britische Baukünstler an der Sportarena und unterziehen sie einer permanenten Verschönerungskur.

Den Anfang machte 1986 Michael Hopkins mit dem «Mound Stand». Darauf folgte der «Grand Stand» von Nicholas Grimshaw. Doch nun scheint direkt neben dem gepflegten Rasen des Traditionsvereins ein Raumschiff gelandet. Teleskopbeine krallen sich in den Boden, darüber schwebt eine gewaltige, abgeschrägte Frisbee- Scheibe. In die Aluminiumhaut eingelassen sind Bullaugen und eine gläserne Beobachtungs- Lounge, von der aus sich das ganze Spielfeld überblicken lässt.

Das ultramoderne Medienzentrum, in der britischen Presse längst als «freundliches Ufo» gefeiert, bietet nicht nur Platz für 120 Reporter. Hier finden sich auch modernste Übertragungsräume, eine Bar und ein Restaurant. Dass die Sportberichterstatter nun selbst auf dem Präsentierteller sitzen, kann als augenzwinkernde Geste des Londoner Architekturbüros Future Systems verstanden werden, das 1995 mit diesem wahrlich futuristischen Entwurf siegreich aus dem Ausschreiben für den Neubau hervorgegangen ist. Sein Gebäude ist ein Ereignis, selbst für Londoner Verhältnisse. Die Aluminiumkurven des schwebenden Neubaus haben mehr mit modernem Industriedesign zu tun als mit konventioneller Architektur. Kein Wunder, dass in einer der jüngsten Publikationen von Future Systems eine ergonomisch geformte Kamera als Inspiration direkt neben dem Medienzentrum steht.

Das Äussere des riesigen Zyklopenauges ist so spektakulär wie die Art seiner Fertigung. Jan Kaplicky, Amanda Levete und der Projektarchitekt David Miller liessen die Aluminiumhülle kurzerhand von einer Bootswerft schmieden, zerlegen und vor Ort wieder zu einer riesigen organischen Skulptur zusammensetzen. So hat der Schiffsbau, der einst etwa Le Corbusier beflügelte, unmittelbar Einzug in die Bauwelt gehalten. Aus der grossen Metapher von damals wurde eine ingenieurtechnische Meisterleistung.

Die Realisierung dieses Chef-d'œuvre drohte freilich mehr als einmal den Kostenrahmen zu sprengen. Der Preis stieg schliesslich auf fünf Millionen Pfund - unter anderem auch deswegen, weil ursprünglich keine Klimaanlage vorgesehen war. Zudem mussten die Architekten von Future Systems mit ihrem Design auf die Besonderheiten des Marylebone Cricket Club Rücksicht nehmen. Um jede Blendung der Spieler auszuschliessen, entschieden sich die Architekten bei der Front für schräg nach unten abfallende Glasscheiben, die nur teilweise zu öffnen sind. Und sie liessen die Tribüne weitgehend unberührt, indem sie das Medienzentrum weit über die Ränge hievten, wo es tatsächlich zu schweben scheint.

Noch immer ist England ein guter Ort für Rituale. Dass freilich gerade der gezielte Bruch mit der Tradition stabilisierende Züge besitzt, beweist «Lord's» einmal mehr. Moderne Architektur scheint auf Lord's Cricket Ground zu gedeihen, je avancierter, desto besser. So gesehen ist selbst das futuristische Medienzentrum nur Teil einer grossen Inszenierung. Der Wagemut der Auftraggeber und die Innovationslust der Architekten wurden nun vor wenigen Tagen vom Royal Institute of British Architects mit dem begehrten Stirling-Preis honoriert.

Neue Zürcher Zeitung, Do., 1999.11.25



verknüpfte Bauwerke
Medienzentrum Lord's Cricket Ground

05. November 1999Oliver Herwig
Neue Zürcher Zeitung

Der grosse Brückenschlag

Europas Einigung schreitet voran. Und längst sind es nicht mehr nur Bürokraten, die das Tempo bestimmen, sondern Techniker und Ingenieure. Ganze Regionen...

Europas Einigung schreitet voran. Und längst sind es nicht mehr nur Bürokraten, die das Tempo bestimmen, sondern Techniker und Ingenieure. Ganze Regionen...

Europas Einigung schreitet voran. Und längst sind es nicht mehr nur Bürokraten, die das Tempo bestimmen, sondern Techniker und Ingenieure. Ganze Regionen und Länder rücken zusammen: Nach dem Tunnel unter dem Ärmelkanal, der das widerspenstige Albion gleichsam an den kontinentalen Haken nahm, und der Landverbindung über den Grossen Belt wartet der Brückenschlag über den Öresund mit neuen Superlativen auf. Zwischen Malmö und Kopenhagen geht die derzeit grösste Schrägseilbrücke der Welt ihrer Vollendung entgegen: Das vom binationalen CV- Konsortium realisierte Werk ist 1092 Meter lang und nahe an der technischen Obergrenze für derartige Konstruktionen. Die kombinierte Auto- und Eisenbahnverbindung verspricht Prosperität für Südschweden, das künftig noch enger mit der Region Gross-Kopenhagen verflochten sein wird. Das Wunderwerk der Technik überwindet in mehreren Etappen den 18 Kilometer breiten Sund. Auf dänischer Seite wurde eine künstliche Insel angelegt, von der aus ein Senktunnel zur Insel Peberholm führt. Hier erhebt sich eine Hochbrücke, deren Pylone mit 203,5 Metern das höchste Bauwerk Schwedens darstellen. Unter ihnen werden selbst Hochseeschiffe mühelos hindurchgleiten.

Im Mittelalter galten Brücken noch als direkte Verkörperung des gefahrvollen Wegs zum Heil, geschmückt von Kapellen und Heiligenbildnissen. Allerorts gefielen sie als fromme Werke, finanziert durch Ablässe, Stiftungen und Spenden. Heute denkt man wesentlich profaner und kündigt für die täglich erwarteten 11 000 Fahrzeuge Brückenzölle an. Wenn auch die Folgen für die Umwelt und die Region von über drei Millionen Einwohnern noch unabsehbar sind, scheint eines bereits festzustehen: Es werden neue Brückenschläge folgen, um die Hauptschlagadern des europäischen Warenverkehrs weiter auszubauen und zu vernetzen.

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 1999.11.05



verknüpfte Bauwerke
Öresund Brücke

01. Oktober 1999Oliver Herwig
Neue Zürcher Zeitung

Von der Mega-Stadt zur Meta-Stadt

Das komplexeste Werk von Menschenhand steckt in der Krise. Mit einem Mal werden die Schattenseiten der Stadt sichtbar, die an ihrem rasanten Aufstieg zugrunde...

Das komplexeste Werk von Menschenhand steckt in der Krise. Mit einem Mal werden die Schattenseiten der Stadt sichtbar, die an ihrem rasanten Aufstieg zugrunde...

Das komplexeste Werk von Menschenhand steckt in der Krise. Mit einem Mal werden die Schattenseiten der Stadt sichtbar, die an ihrem rasanten Aufstieg zugrunde zu gehen droht: wie eine Supernova, die schliesslich unter der eigenen Schwerkraft zusammenbricht. In weniger als einer Generation werden zwei von drei Menschen in Ballungsräumen leben, die längst nicht mehr den Namen «Stadt» verdienen. Das europäische Modell hat damit ausgedient, und mit ihm die Planungssicherheit von Architekten und Kommunen. Es löst sich vor ihren Augen auf, kaum dass sie den Zirkel in die Hand genommen, den Computer hochgefahren oder den Aktendeckel aufgeschlagen haben. Der ökologische und logistische Kollaps der Megastädte hat begonnen. Und doch: nirgendwo scheint der Moloch Stadt lebendiger, nirgendwo regenerieren sich seine Glieder schneller als dort, wo er seine Bewohner verschlingt.

Liegt die Krise vielleicht woanders - begründet weniger in einer sich rasant ändernden Realität als vielmehr in unserer Wahrnehmung? Schon jetzt ist dem Phänomen «Stadt» nur noch als Metapher beizukommen: «Dschungel», «Krebsgeschwür» und «Organismus» mögen stellvertretend stehen für all jene biologistischen Bilder und Assoziationsketten, die den sozialen Raum, das Interaktions- und Experimentierfeld «Stadt», dadurch zu fassen suchen, dass sie es vollends aus dem rationalen Blickfeld entlassen und ihm den Charakter einer Naturgrösse verleihen.

Wie lautet die Diagnose der Architekten? Zunächst fällt auf, wie stark auch ihre Terminologie im Fluss ist und ihrerseits diskutabel wird: als gelte es, die eigene Basis zu sichern, bevor man Vorstösse ins Unbekannte unternimmt. Mit Sorge verfolgten Fachleute unlängst auf einer Tagung des IFG Ulm die Auflösung der Stadt durch physische Gewalt und falsche Ideologien. Aufgabe heutiger Architekten müsse es deshalb sein, so Helmut Spieker, weniger Einzelgebäude zu errichten als vielmehr Stadträume. Zugleich gelte es, Abschied zu nehmen von Planungsinstrumenten, die «sich vor allem dadurch auszeichnen, dass mit ihnen stets der zweite oder gar dritte Schritt vor dem ersten getan werde, die Festlegung der gebauten Zukunft durch konkrete Bebauungspläne, mit festen Bautypen, die sie bilden sollen». Er plädierte für offene Systeme, die «Spielraum lassen für individuelle Möglichkeiten der Nutzung und der Form, damit Vielfalt entstehen kann» und die zu revidieren seien, wenn neue Erkenntnisse dies verlangten oder nahelegten.

Offenheit und Vitalität des Urbanen charakterisieren auch Überlegungen des Zürcher Architekten Marc Angélil, wenn er die Stadt als Rhizom fasst, dessen wild wuchernde Wurzelsysteme jeder rationalen Ordnung widersprächen und als «neuer Typus pluralistischer Beziehungssetzungen» zu sehen seien: heterogen, mannigfaltig und voller asignifikanter Brüche. Noch einen Schritt weiter geht der Kölner Ulrich Königs, wenn er das urbane System und seinen bisher festgefügten Planungs- und Herrschaftsraum mit Entwicklungsprozessen im Internet konfrontiert. - Mit den zunehmend als grosse Simulation oder als virtuelle «Metastädte» verstandenen Metropolen ändert sich auch die Rolle der Architekten: vom Schöpfer zum Moderator, der den Prozess einer Stadtentwicklung hilfreich beobachtet, aber selbst nicht durch Herrschaftswissen Macht ausübt, sondern seine Kenntnisse bereitwillig weitergibt: eine Utopie, die alle Wünsche und Sehnsüchte des frühen Jahrhunderts von der klassenlosen Gesellschaft in die imaginären Weiten des Internets verlagert und dort wohl auch endgültig begräbt. Denn mit der fortschreitenden Kommerzialisierung des Netzes dürfte auch der Traum des herrschaftsfreien Raums zu einer Anekdote in Diskussionsforen werden.

Wesentlich realer als die Konkurrenz dieser Modelle scheint bereits heute der Wettstreit der Regionen und Stadtlandschaften in Europa, aber auch in Asien, Amerika und Afrika. Die allgemeine Globalisierung ist auch eine der Stadt und ihres bereits heute weltweiten Hinterlands. Dabei werden attraktive Standorte zunehmend danach gemessen, ob sie neben der notwendigen Infrastruktur auch Lebensqualität bieten, also nachhaltig mit den Ressourcen umgehen und die Kriterien der «Agenda 21» erfüllen. So ist die eben konstatierte Krise womöglich nur das allgemeinste Kennzeichen für «Stadt», ein Fingerzeig auf ihre Potenz und Wandelbarkeit.

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 1999.10.01

04. September 1999Oliver Herwig
Neue Zürcher Zeitung

An Haupt und Gliedern runderneuert

Die Max-Planck-Gesellschaft steht für solide Grundlagenforschung. Unter ihrer Federführung entstanden in den letzten Jahren aber auch mehrere Institutsneubauten mit oft anspruchsvollen Architekturkonzepten. Diese Gebäude sind nicht nur eine Investition in die Zukunft der Wissenschaft, sie bestimmen auch immer stärker den Auftritt der Institution nach aussen hin.

Die Max-Planck-Gesellschaft steht für solide Grundlagenforschung. Unter ihrer Federführung entstanden in den letzten Jahren aber auch mehrere Institutsneubauten mit oft anspruchsvollen Architekturkonzepten. Diese Gebäude sind nicht nur eine Investition in die Zukunft der Wissenschaft, sie bestimmen auch immer stärker den Auftritt der Institution nach aussen hin.

Der Grösse nach ist sie ein Gigant. Dem Alter nach aber eine Dame in den besten Jahren. Über 11 500 Mitarbeiter, 80 Institute und ein Etat von etwa zwei Milliarden Mark machen aus der 1948 gegründeten Max-Planck-Gesellschaft einen Forschungsriesen. Und zugleich ein unabgeschlossenes Projekt, das sich stets erneuern muss, um im internationalen Wettbewerb bestehen zu können. Um so mehr, als Hochtechnologie hohe Investitionen bei immer kürzeren Verfallszeiten bedeutet. Deshalb wurden in den letzten Jahren zahlreiche Institute mit neuen Gebäuden ausgestattet oder bestehende Einrichtungen renoviert. Modernste Technik in zeitgemässen Gehäusen - keine schlechte Aufgabe für Architekten, mit der Vorstellung des einsam vor sich hin brütenden Forschers aufzuräumen und den Instituten ein ansprechendes Erscheinungsbild zu verleihen. Wie etwa bei der Berliner Elektronenspeicherring-Gesellschaft für Synchrotonstrahlung (Bessy II) in Berlin-Adlershof, wo direkt neben dem Teltow- Kanal ein futuristisches Ensemble entstand. Das Stuttgarter Architekturbüro Brenner & Partner schuf auf dem Gelände der ehemaligen Akademie der Wissenschaften der DDR für 196 Millionen Mark ein glänzendes Ufo mit 120 Metern Durchmesser. So überzeugend die Verpackungskunst hier ausfiel, so modisch-poppig gibt sie sich beim Institut für Physik in Dresden. Drei geschlossene Kuben wetteifern mit einem zackig in den Raum ausgreifenden, teilweise aufgeständerten Baukörper. Ocker und Violett dominieren, und Materialien prallen hart aufeinander. Eines jedenfalls steht fest: Die fast 130 Wissenschafter am physikalischen Institut zur Erforschung komplexer Systeme haben ein passendes Zuhause gefunden.


Münchner Kopfgeburt

Bei so viel Aufbruch in der Grundlagenforschung darf es nicht verwundern, dass auch der Überbau, die Münchner Zentrale, ein neues Haus verlangte. Es sollte ein krönender Abschluss werden, ein Zeichen modernen Wissenschaftsmanagements. Im historischen Ensemble von Hofgarten, Residenz und Marstall geriet der Bürokomplex freilich schnell zwischen alle Fronten der Kritik. 81,4 Millionen Mark liess man sich die Zentrale im Zentrum Münchens kosten. Nun füllen ihre Glasfassaden eine der prominentesten, gleichwohl jahrzehntelang vernachlässigten Baulücken der Altstadt. Umstritten war die Wahl von Anfang an. Schliesslich ging es um historischen Grund, um beste Innenstadtlage und den guten Geschmack. So offen und transparent die Glasfronten auch angelegt sind, dem Betrachter scheint es, dass sich das Gebäude förmlich einigelt und den in Beton gefassten Stadtgrabenbach zu einem veritablen Schanzwerk ausbildet. Selbst der Haupteingang heisst die Besucher nur bedingt willkommen. Schliesslich wacht davor Minerva selbst. Die göttliche Kopfgeburt hat der Peruaner Fernando de la Jara aus südafrikanischem Granit getrieben und als Profilstele samt Negativform beidseits des Eingangs postiert. Skylla und Charybdis könnten kaum abschreckender wirken.

Vielleicht liegt es an diesem Entrée, dass man kaum einen Blick auf die (an dieser Seite ohnehin von altem Baumbestand verdeckte) zweischalige Fassade wirft und gleich ins Innere stürmt. Dort folgt eine Überraschung. Das Gebäude öffnet sich zu einem grossen, alle Stockwerke durchmessenden Atrium, zu einem langgezogenen Dreieck, das noch dramatischer wirkt durch die perspektivisch verkürzte Freitreppe. Eine filmreife Inszenierung, die ein wenig an Hauptquartiere von Bond-Schurken erinnert. Tatsächlich ist das Spiel der vorgeschalteten Fassaden und schwebenden Plattformen wohlkalkuliert, eine Reminiszenz auch an die Kulissen des schräg gegenüberliegenden Nationaltheaters.


Gespiegelte Historie

Die drei Lichthöfe des Gebäudes wirken autark. Dabei antworten sie präzise auf die auseinanderstrebenden Baulinien des historischen Umfelds. Um den Marstallplatz wirksam abzuschliessen und doch nicht aus dem Raster von Residenz und Staatskanzlei zu fallen, entwickelten die Münchner Architekten Angelika Popp, Michael Streib und Rudolf Graf zwei unabhängige, gegeneinander versetzte Strukturen. Dem äusseren «U», das den monumentalen Fronten direkt gegenübersteht, wurde ein weiteres, um einige Grade versetztes «U» einbeschrieben. Eine formal bestechende Lösung. Was freilich als sanfte Umarmung von Klenzes Hofreitschule gedacht war, riegelt das Areal ab. Da helfen keine transparenten Fassaden, die das Ensemble je nach Tageszeit spiegeln, also auf sich zurückwerfen, oder ihm als dunkle Front gegenüberstehen. In dem Kokon aus Glas hingegen mag man noch vom Glanz der Residenz träumen, wo Teile der Hauptverwaltung jahrelang untergebracht waren.

Ein rechtes Gegengewicht zur Historie ist mit dem Neubau nicht entstanden. Dabei wurde hart um diesen Ort gerungen. Schliesslich hatte die Grossforschungseinrichtung mit der Rückkehr zu ihren Ursprüngen nach Berlin gedroht, wo einst die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft residierte, oder - weit weniger glaubwürdig - mit einem Umzug nach Bonn. 1992 sprang der Freistaat Bayern ein und bot das urbane Filetstück als zinsfreies Grundstück in Erbpacht. Das vom Krieg gezeichnete Areal sollte durch einen städtebaulichen Ideenwettbewerb und ein «zukunftsorientiertes» Verwaltungsgebäude erlöst werden. Prompt kam es zu einem Interessenkonflikt, als das Preisgericht den Architekten Graf, Popp und Streib zwar den ersten Preis des Realisierungsteils verlieh, sein städtebauliches Konzept aber auf Platz fünf verwies. Umgekehrt erging es den Berliner Architekten Hufnagel & Pütz, die den städtebaulichen Teil gewannen und beim Verwaltungsbau nur Dritte wurden. Beide Entwürfe erwiesen sich als grossenteils inkompatibel, und die angestrebte Einheit des Ensembles ging verloren. Dass gegen die gläserne Fassade heftig polemisiert und der Wettbewerbsentwurf schliesslich in einigen Punkten geändert wurde, mag dagegen nur noch als Episode innerhalb des ewigen Streits um das Bauen im historischen Kontext erscheinen.

«Abenteuer Forschung» heisst eine beliebte Sendung des ZDF. Früher lautete ihr Titel schlicht «Aus Forschung und Technik». Der kleine Unterschied macht deutlich, wie schwer die Vermittlung trockener Fakten geworden ist. Denn gefragt ist weniger der stille Forscher, der womöglich jahrelang an einem Detailproblem arbeitet. Vielmehr steht der geniale, exzentrische Macher im Mittelpunkt des Interesses. Und mit ihm griffige Formeln, die aus den Wirrnissen der Welt eine verständliche Ordnung ableiten. Da solche Vermittlung auf Bilder und Zeichen statt auf mathematische Grössen und Spezialterminologie setzt, erhalten die Phänomene eine ungleich grössere Bedeutung, als ihnen in der Theorie zukommt. Um so wichtiger wird das Gewand der Forschung, das Architekten ihrer Auftraggeberin Minerva umhängen.

Oliver Herwig

Neue Zürcher Zeitung, Sa., 1999.09.04

10. Juni 1999Oliver Herwig
Neue Zürcher Zeitung

Völlig losgelöst

Es wird das teuerste Bauwerk aller Zeiten, und es befindet sich nicht einmal auf der Erde. 16 Nationen arbeiten an der Internationalen Raumstation ISS. Die ersten Module sind bereits im Orbit. Wie lebt es sich in der Schwerelosigkeit? Und wie antworten Designer auf die Herausforderungen des Weltraums? In München erforscht man ganzheitliche Lösungen für das All.

Es wird das teuerste Bauwerk aller Zeiten, und es befindet sich nicht einmal auf der Erde. 16 Nationen arbeiten an der Internationalen Raumstation ISS. Die ersten Module sind bereits im Orbit. Wie lebt es sich in der Schwerelosigkeit? Und wie antworten Designer auf die Herausforderungen des Weltraums? In München erforscht man ganzheitliche Lösungen für das All.

Im Weltraum, das heisst einige hundert Kilometer über der Erdoberfläche, scheinen 10 000 Jahre Zivilisation wie ausradiert. Alles beginnt von vorn. Den Anfang macht das Selbstverständliche. Denn im Gegensatz zu den leuchtenden Bildern der Science-fiction ist kein irdischer Tisch und kein Stuhl fürs All geeignet. Wie funktioniert eine Space-Dusche? Und wie die Toilette in der Schwerelosigkeit? Was ist beim Waschen zu beachten, wenn jeder Tropfen seine eigene Umlaufbahn einschlägt? Können Menschen kopfunter schlafen, oder ist die Frage nach der Orientierung irrelevant? Modernste Technik und viel Erfindergeist müssen zusammenkommen, wenn der Mensch im All überleben will. Bisher herrschte an Bord der Raumfahrzeuge die nackte Armut. Oder das Chaos - wie in der russischen Mir, die nur durch den Überlebenswillen wagemutiger Improvisationskünstler zusammengehalten wird. Abhilfe ist zumindest für die russischen Kosmonauten nicht in Sicht. Denn jedes Kilogramm, das mühsam ins All transportiert werden muss, schlägt mit etwa 40 000 Dollar zu Buche. Kein Wunder, dass selbst die Ingenieure der Nasa ganz zuletzt an Komfort dachten, als sie den Spaceshuttle entwarfen. Privatsphäre gibt es dort nicht, selbst die Toilette ist öffentlich. Das soll mit der Internationalen Raumstation ISS nun anders werden. Design lautet das Zauberwort.


Entwerfen heisst lernen

Während im All bereits die ersten ISS-Module zusammengefügt werden, arbeitet man an der Technischen Universität München unter Hochdruck am Aussehen eines ergonomischen Space- Habitats: Wohnen, schlafen, essen, arbeiten, duschen - alles steht auf dem Prüfstand und muss neu erfunden oder doch sinnvoll an die Schwerelosigkeit angepasst werden. Raumfahrttechniker und Architekten sind deshalb an dem Projekt gleichermassen beteiligt. In den vergangenen Jahren wurde am Lehrstuhl von Professor Eduard Igenbergs der «Munich Space Chair» entwickelt: eine Vorrichtung, mit deren Hilfe sich Astronauten fest im Raum verankern konnten. Drei Orbitalmodelle existieren von dem gleichermassen durch die Universität, die Industrie und den bayrischen Staat finanzierten Prototyp, eines davon im leckgeschlagenen Spectre-Modul der russischen Raumstation Mir.

Auf der Grundlage dieser Erfahrungen konnte man sich am Lehrstuhl von Professor Richard Horden an komplexe Fragestellungen - wie eine Tisch-Stuhl-Kombination - wagen. Die «Micro Architecture Unit Munich» scheint für Aufgaben dieser Art prädestiniert. Denn hier gilt die Devise: «Touch the earth lightly.» Der poetische Satz ist Programm, wenn es darum geht, Material einzusparen und mit einem Minimum an Aufwand flexible und belastbare Lösungen zu entwickeln. Die Studenten «sollen lernen, komplexe Anforderungen einfach zu erfüllen», erklärt Lydia Haack, die zusammen mit ihrem Team am Tisch der Raumstation arbeitet. Für die angehenden Architekten scheint das schon Routine. Denn Teil ihrer Ausbildung besteht darin, eigene Projekte nicht nur zu tadelloser Papierform zu bringen, sondern diese auch selbst zu realisieren, also tatsächlich zu bauen, dafür Sponsoren zu finden und die Idee womöglich noch zu vermarkten. Entstanden sind auf diese Weise so unkonventionelle Arbeiten wie der «Kajak Testpoint» oder der «Silver Spider», ein fragiles Metallgerüst in Leichtbautechnik. Bei aufwendigen Entwicklungen wie dem Design der Raumstation ist die Finanzkraft der Uni freilich schnell überfordert. Privates Sponsoring ist gefragt.

Das Architekturstudio im vierten Stock der TU München bietet markante Blickachsen auf Frauenkirche und Zugspitze. Eine weitere geht neuerdings geradewegs nach oben, in Richtung Raumstation. «Wir alle lernen, was es heisst, für den Weltraum zu bauen», erklärt Horden, der im Oktober 1996 den Lehrstuhl für Entwerfen und Gebäudelehre übernahm. Demnächst wird der Titel in «Gebäudelehre und Produktentwicklung» geändert, denn nichts anderes unterrichtet man hier: eine Verbindung von Architektur und Produktdesign. Drei Projekte für die Raumstation - «Galley, Kochen/Essen», «Crew quarter/Private space, Mannschafts und Privatquartiere» und «Hygiene facility design, Körperhygiene» - sind in der engeren Wahl. Gerade durchlaufen sie verschiedene Testphasen, immer in der Hoffnung, einen Prototyp mit auf den für Juli angesetzten Parabelflug mit der «KC 135» zu nehmen. An Bord einer leergeräumten Boeing kann für 25 Sekunden Schwerelosigkeit simuliert werden, bis der Pilot den antriebslosen Sturzflug wieder abfängt. Während das Flugzeug aus grosser Höhe um mehrere tausend Meter fällt, müssen die Probanden unter Weltraumbedingungen testen, was es heisst, den Tisch zu besteigen, sich zu arretieren - und womöglich noch zu arbeiten.


Das Leben im All

Was im Weltall so leicht wirkt, muss durch äusserste Konzentration erkauft werden: Eine winzige Bewegung genügt, und schon schweben die Astronauten quer durch den Raum, weg von den Kontrolltafeln. Wer sich hier nicht «anschnallt», kommt leicht ins Trudeln. Der weiterentwickelte «Munich Space Chair», der in seiner jetzigen Ausführung aus Alu-Stangen an ein überdimensionales Spielzeug aus der Kinderstube erinnert, hat seine Feuertaufe bereits hinter sich. Unter Wasser - also unter weltraumähnlichen Umständen - wurden der richtige Sitz, die Passgenauigkeit und das Zusammenspiel der einzelnen Elemente geprobt. In seiner endgültigen Form wird er als filigranes Metallgestänge die wichtigsten Funktionen eines heimischen Sekretärs samt Stuhl übernehmen. Zwischen beweglichen Metallplatten werden Oberschenkel und Gesäss fixiert, die gleichfalls bewegliche Tischplatte ermöglicht dann konzentriertes Arbeiten in der Schwerelosigkeit.

Der Mensch ist ein geborener Raumfahrer. Zumindest scheint es so, wenn Astronauten schwerelos durchs All gleiten. Tatsächlich nimmt der schwebende Körper im Ruhezustand, der sogenannten «neutral position», eine fötale Stellung ein: die Knie leicht zum Körper gezogen, die Arme frei auf Höhe der Schultern schwebend. Eine gewohnte Ausrichtung nach irdischem Vorbild, mit ausgestreckten Beinen, wäre «dort oben» mit Anstrengungen verbunden. Nicht nur deshalb bedeutet Design für den Weltraum, alte Gewohnheiten über Bord zu werfen. Zunächst fällt die Vorstellung von Schwere: «Bereits beim Bau der Pyramiden hielt man Masse und Gewicht für das Wichtigste. Und daran hat sich seit 5000 Jahren nichts geändert», erklärt Horden und fügt hinzu: «Unser Design ähnelt eher dem von Autos oder von Flugzeugen und weniger konventioneller Architektur.» Als verbindendes Element von «microarchitecture» und «microgravity» sieht er nicht nur radikale Leichtbauprinzipien, sondern ein fundamentales Verständnis für den Menschen im Raum. «Wie arbeitet man im Weltraum?» ist eine der ersten Fragen an die Studenten.

Ganzheitliches Denken bestimmt die Mikroarchitektur: Ökologie im High-Tech-Gewand. Hier liegt denn auch die Bedeutung der Raumfahrt-Architektur für das tägliche Leben: «In Zukunft», so meint Horden, «müssen wir lernen, mehr mit erheblich weniger Aufwand zu erstellen.» Der Weltraum dient dazu lediglich als Katalysator. Dort oben entsteht eine ganz neue Ästhetik. Wasser glitzert kostbarer als jeder Diamant. So lag es nahe, den verfügbaren Vorrat nicht irgendwo wegzuschliessen, sondern als Blickfang für die Crew einzusetzen - glitzerndes Nass hinter Glas. «Millionen Dinge warten nur darauf, entdeckt zu werden. Es ist so, als ob man eine Schatztruhe öffnet», erklärt der Engländer. Von diesem Optimismus hat ein guter Teil Eingang in das Faltblatt zur Raumstation gefunden. Ein weisser Pfeil schwebt dort durchs All. «We are here», steht darüber zu lesen. Und tatsächlich erkennt man die Erde, als glitzernde blaue Kugel, umringt von Venus und Mars, auf dünnen Umlaufbahnen um unser Zentralgestirn. So einfach ist das, vom Weltraum aus gesehen.

Neue Zürcher Zeitung, Do., 1999.06.10

04. Juni 1999Oliver Herwig
Neue Zürcher Zeitung

Wie ein Quartier entsteht

München ist bekannt als Stadt der Musik, der Theater und des Oktoberfests. Doch als Heimstatt moderner Architektur? Da herrscht selbst in Fachkreisen Skepsis. Dabei ist ein ganzer Stadtteil im Entstehen: Auf dem Gelände des ehemaligen Flughafens sucht die Messestadt Riem nach einer neuen Urbanität in Citynähe.

München ist bekannt als Stadt der Musik, der Theater und des Oktoberfests. Doch als Heimstatt moderner Architektur? Da herrscht selbst in Fachkreisen Skepsis. Dabei ist ein ganzer Stadtteil im Entstehen: Auf dem Gelände des ehemaligen Flughafens sucht die Messestadt Riem nach einer neuen Urbanität in Citynähe.

Vom Tower des Flughafens Riem hatte man früher einen guten Überblick. Nun blockt die neue Messe alle Sicht nach Osten ab, und Schotter umspült die Überbleibsel des Airports. Kein Jet würde hier noch zur Landung ansetzen. Nur Kondensstreifen künden vom regen Flugverkehr über München. Mit einemmal wirken Wappenhalle und Kontrollturm wie Kulissen einer vergessenen Inszenierung. Wo bis zum 17. Mai 1992 Jets in die Lüfte stiegen, prägen neben weiten, meist noch unbebauten Flächen Dutzende von Baugruben und Kränen das Bild. Doch generalstabsmässig schieben sich erste Gebäude vor und setzen neue Landmarken, die das riesige Areal aufteilen. 556 Hektaren Schotter-, Gras- und Sandflächen weichen parzellierten Einheiten und fügen sich in ein klares Raster von Verbindungswegen. In 15 Jahren wird der Wandel vom einstigen Flughafenareal zum modernsten Stadtteil Münchens abgeschlossen sein. Schon heute sind die Umrisslinien des Projekts erkennbar. Rund um die bereits realisierten Bauten - das Internationale Congress-Centrum, die Neue Messe, die Feuerwache und die Grund- und Hauptschule Riem - soll Urbanität wachsen: Wohngebiete für 16 000 Menschen und beinahe ebenso viele Arbeitsplätze. Wenn schon nicht «nachhaltig» gebaut werden kann, so soll doch zumindest ein grüner Bezirk wachsen, in dem sich Ökonomie und Ökologie nicht ausschliessen. Dazu muss allerdings aus den drei Hauptelementen des neuen Quartiers - Wohn-, Messe- und Gewerbebauten - ein lebendiges Ensemble wachsen.


Das Alte im Neuen

Vom eleganten Oval der Flughafenanlage wird kaum mehr als ein rudimentärer Bogen bleiben, der sich nach Süden, im künftigen Landschaftspark, vollends verliert. Schon rosten die Schilder am mannshohen Draht. Aber für einige Zeit werden sich neue und alte Zeichensysteme überlagern und zumindest Chiffren des Airports erkennbar bleiben. Bevor das Koordinatennetz der Messestadt endgültig die Regie übernimmt, bildet das Areal seinen eigenen Subtext aus, ein Palimpsest, das entziffert werden will. Noch immer etwa ist die einstige Start- und Landebahn zu ahnen, freilich um etliches nach Süden verschoben, so, als hätten Riesenhände die alten Markierungen ausradiert und kurzerhand verlegt. Denn auch Neu- Riem besitzt eine markante Magistrale: Anderthalb Kilometer gerade Strecke, bis die Willy- Brandt-Allee im De-Gasperi-Bogen zum Zubringer für die Autobahn 94 wird.

Gleichwohl ist hier Individualverkehr nur geduldet. Für die eigentliche Anbindung ans Zentrum sorgt die verlängerte U-Bahn-Linie der «U 2» mit ihren Haltestellen «Messestadt West» und «Messestadt Ost». Sie bildet das verkehrstechnische Rückgrat des Quartiers, das bisher nur mit S-Bahn und Bus zu erreichen war. Von hier aus wachsen im ersten Bauabschnitt Wohnzellen. Auch sie hängen mittelbar am Zentralnervensystem der Willy-Brandt-Allee. Während also nach Süden das Gelände in einem Landschaftspark auslaufen wird, formen sich nach Westen, in Richtung Stadtzentrum, härtere Grenzen. Hier werden Reviere abgesteckt für Gewerbeansiedlungen. Ähnliches gilt für den Osten. Nahe Salmdorf werden einmal Ver- und Entsorgungsflächen stehen.


Eine Messe für die Stadt München

Über Jahrzehnte gewachsen, waren die Messehallen auf der Theresienhöhe in den achtziger Jahren erschöpft. Aussicht auf Erweiterung bestand nicht mehr. 1987 fiel schliesslich die Entscheidung für den neuen Standort Riem, und im Juli 1991 wurde europaweit ein städtebaulicher Ideenwettbewerb zur künftigen Nutzung des Flughafengeländes München-Riem ausgeschrieben, den das Büro Jürgen Frauenfeld aus Frankfurt a. M. unter 75 Teilnehmern gewann. Bereits zum Jahreswechsel folgte ein Realisierungswettbewerb zur Neuen Messe. Den ersten Preis errangen die dänischen Architekten Erik Bystrup, Torben Bregenhøj, Eva Jarl Hansen, Peter Mortensen und Bjørn Vandborg aus Kopenhagen. «Ruhe und Klarheit der Gebäudehüllen war uns oberstes Gebot», erklärt Bregenhøj, «hochwertige Materialien sollten helle und grosszügige Räume charakterisieren.» So sind die Baukörper denn auch geworden: elegant, aber langweilig.

Die Dänen schufen eine funktionale, das Areal zügig erschliessende Architektur, die trotz ihren Ausmassen zurückhaltend wirkt. Im ersten Bauabschnitt verfügt die Neue Messe über 140 000 Quadratmeter, im Endausbau werden es 200 000 sein, was München auf Platz vier der Messestandorte innerhalb der Bundesrepublik katapultieren wird: nach Hannover, Köln und Frankfurt, gleichauf mit Düsseldorf, aber noch vor Berlin und Leipzig. Das 650 Meter lange und 35 Meter breite Atrium verbindet die zwölf linear angeordneten, stützenfreien Messehallen und wird so zur öffentlichen Wandelhalle. Schade nur, dass zwischen den weiss und silbergrau glänzenden Bauten und ihren filigranen Fassaden aus Metall und Glas kein Blick auf die Alpensilhouette möglich ist wie etwa von der gegenüberliegenden Feuerwache.


Mondlandschaft mit Monolithen

Aus dem Nirgendwo, einem gespenstischen Scheideweg der Planstrassen X und 3, wuchs im April 1998 Münchens modernste Feuerwache: ein winkelförmiger Bau von fast japanisch anmutender Schlichtheit. Architekt Reinhard Bauer bewies aber auch einen Sinn fürs Exquisite: Im Inneren steht Ahornholz gegen Sichtbeton; geätztes Glas und Schiebetüren öffnen die Besprechungsräume zum Gang hin. Für Bauer, der an der TU München studierte und danach in Berlin und München arbeitete, war das Projekt einer seiner ersten grossen Aufträge. Als er 1995 den Wettbewerb gewann, wollte er jede plumpe Assoziation an «Feuer» vermeiden. Selbst die Signalfarbe Rot oder ein Schlauchturm schienen ihm bereits zuviel. Statt dessen spricht der Bau in Silbergrau und Schwarz - mit subtilen Botschaften und kleinen Fingerzeigen - von seiner Bestimmung. Vor den Ruhequartieren des einen Flügels erhebt sich etwa eine Lavawand, und das Dach ist, für den Passanten unsichtbar, mit Ziegelsplitt gedeckt - rot, immerhin. Bauers minimalistisches Programm spiegelt sich ebenso im Eingangsbereich, wo es, nur knapp über dem Boden, in schlichten Lettern heisst: «Feuerwache 10».

Von ähnlicher Prägnanz ist die Grund- und Hauptschule Riem. In dieser Unterrichtsstätte mit ihren winzigen Zellenfenstern in der holzverkleideten Fassade könnte man durchaus einen Gefängnisbau vermuten. Dabei ist das spartanische Aussehen eher auf zuviel denn auf zuwenig Planung zurückzuführen. Dem Stuttgarter Büro Mahler, Günter, Fuchs gelang ein markanter, auf Fernwirkung angelegter Bau. Vor- und zurückspringende Flügel und der überzeugend in die Front eingebundene Kubus der Hausmeisterwohnung lassen den Raum zwischen den «Kisten» nicht als Vakuum erscheinen, sondern betonen eine musikalische, kontrapunktische Anlage. Der Reiz des Einfachen, hier ist er greifbar: als Abfolge eleganter Baukörper.


Planung und Struktur

Fünf Wettbewerbe waren nötig, um dem riesigen Areal zumindest auf dem Papier Gestalt zu verleihen - 556 Hektaren Bauland in München, wann hat es das zuletzt gegeben? Man darf hierin wohl den Versuch sehen, ein übergeordnetes Gestaltungskonzept im ausfransenden Gelände der Peripherie zu verwirklichen. Eine gute Hand bewiesen die Bauherren bei den öffentlichen Gebäuden. Nun müssen sich um diese Kondensationskerne Wohn- und Geschäftsbauten lagern und die Leere füllen, die vom Oval des Flugfelds noch ausgeht. So gross die Aufgabe, so pragmatisch war Münchens Zugriff. Planung und Koordination des Wandels im «wilden Osten» liegen nämlich in den Händen des «Massnahmeträgers München-Riem GmbH», kurz MRG. Dahinter verbirgt sich keine städtische Beteiligungsgesellschaft, sondern eine private Konstruktion, je zur Hälfte getragen von der GBWAG (Bayerische Wohnungs-Aktiengesellschaft), einem Wohnbauunternehmen, und der Gewerbegrund, einem Projektentwickler. «Wir haben kein Gewinninteresse, sondern leben von einem vereinbarten Honorar, das die Stadt München bezahlt», erklärt der kaufmännische Geschäftsführer Franz Eichele. «Unsere Tätigkeit geht bis zur Erschliessung und Parzellierung der Grundstücke. Sie schliesst keine Grundstücksgeschäfte mit ein. Die Grundstücke sind überwiegend Eigentum der Stadt und werden durch sie verkauft.»

Um die Interessen der Landeshauptstadt zu wahren, existiert ein Beirat, dessen Vorsitz bei Oberbürgermeister Christian Ude liegt. Der Beirat tagt alle drei bis vier Wochen, und ihm sind alle wesentlichen Entscheidungen zur Zustimmung vorzulegen. Als grössten Vorteil gegenüber staatlichen Stellen sieht Eichele die Flexibilität des Unternehmens, das aus derzeit 15 Mitarbeitern besteht: Hier gibt es «kürzere Entscheidungswege». Dies hat unter anderem dazu geführt, dass man die einzelnen Projekte auch im Terminplan und Kostenrahmen, hinsichtlich der Kosten sogar deutlich günstiger als budgetiert, erstellen konnte. Rund 2600 Wohnungen wurden im ersten Bauabschnitt geschaffen, und wenn es zunächst auch Verzögerungen gab, so läuft die Placierung am Markt doch planmässig. Eine Prognose bis ins Jahr 2013, dem voraussichtlichen Ende der Baumassnahmen, wagt freilich niemand abzugeben - zu unwägbar ist die Entwicklung über anderthalb Jahrzehnte.

Grün soll das Quartier werden, mit kurzen Wegen zwischen Arbeit und Wohnen, ein Stadtteil mit hohem Erholungswert, in der - wohl vergeblichen - Hoffnung, auch manchen Weltenbummler und Kurzurlauber zu fesseln. Unwillkürlich drängt sich da der Gedanke an Siedlungsprojekte der klassischen Moderne auf, aber auch an Gartenstädte und den gar nicht mehr so neuen Versuch, Ökonomie und Ökologie zu versöhnen. In den Blick kommen freilich auch die Grenzen einer «längst nicht mehr zu leistenden planerischen Fürsorglichkeit». Erst die Zukunft wird zeigen, ob das Konzept der Neuen Messe im Münchner Osten aufgeht. In Riem jedenfalls scheint vorsichtiger Aufbruch angesagt inmitten der saturierten Stadt München.


[ Literatur zum Thema: Messe München. Entwurf, Planung, Realisation. Prestel-Verlag, München 1998. 159 S., Fr. 98.-. ]

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 1999.06.04

07. Mai 1999Oliver Herwig
Neue Zürcher Zeitung

Dabeisein ist alles

Es hatte sich schon lange abgezeichnet; nun ist es offiziell: Vom vielbeschworenen olympischen Geist ist nur noch Kommerz geblieben. Und vom ehemaligen...

Es hatte sich schon lange abgezeichnet; nun ist es offiziell: Vom vielbeschworenen olympischen Geist ist nur noch Kommerz geblieben. Und vom ehemaligen...

Es hatte sich schon lange abgezeichnet; nun ist es offiziell: Vom vielbeschworenen olympischen Geist ist nur noch Kommerz geblieben. Und vom ehemaligen Münchner Radstadion eine mittelmässige Fun-Arena. In zweijähriger Bauzeit wurde alles Authentische gegen eine vollklimatisierte, sterile Event-Architektur eingetauscht. Rund 75 Millionen Mark - abgesichert durch eine Bürgschaft der Stadt München - flossen in den Umbau. Dafür wurde das Stadion vollständig entkernt. Auf der Grundfläche von 113×51 Metern und zwei Ebenen können nun bis zu 2600 Besucher die «olympische Welt des Sports aktiv und passiv erleben». Dabeisein ist alles. Das Internationale Olympische Komitee vergibt die Lizenz, das Konzept wurde in den USA von der International Spirit Development Corporation entwickelt. Dahinter steht Andrew Y. Grant, der in seiner über dreissigjährigen Karriere in der Freizeit-Industrie unter anderem den «Wild Animal Parc» in Kalifornien oder die Universal Studios in Hollywood leitete.

Sensationen wie diese darf man freilich nicht erwarten. Das macht bereits die Presseerklärung deutlich: «Nach dem Erwerb der Eintrittskarte gelangen die Gäste in die Begrüssungshalle. Sie ist mit diversen Info-Terminals und Anzeige-Displays ausgestattet. Rund um eine symbolisch brennende olympische Flamme erfährt der Besucher so konkret, was ihm Olympic Spirit München bietet.» Und das ist furchterregend. Entstanden ist ein potemkinsches Dorf, eine Abfolge von Arcade-Spielen und interaktiven Simulationen, die unendlich weit von dem entfernt sind, was sie eigentlich vermitteln wollen: direkte Teilnahme am Sport. Ob 180-Grad-Videopräsentation oder High-Tech-Computer, der Besucher wird Teil einer gigantischen Spielkonsole. Irgendwo hinter den 10 000 Quadratmetern Ausstellungsfläche versteckt sich noch eine 500 Quadratmeter messende Sporthalle. So gross ist allerdings auch der Sports-Shop mit Originalrequisiten, der einen beim Verlassen des Ausstellungsbereichs erwartet: economic spirit in Perfektion.

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 1999.05.07

17. März 1999Oliver Herwig
Neue Zürcher Zeitung

Unterirdisches Lichterfest

Der Abstieg ist vorprogrammiert. Unbarmherzig geht es nach unten, ins Herz der Erde. Doch kein staubiger Grubenkorb nimmt die Besucher auf, sondern eine...

Der Abstieg ist vorprogrammiert. Unbarmherzig geht es nach unten, ins Herz der Erde. Doch kein staubiger Grubenkorb nimmt die Besucher auf, sondern eine...

Der Abstieg ist vorprogrammiert. Unbarmherzig geht es nach unten, ins Herz der Erde. Doch kein staubiger Grubenkorb nimmt die Besucher auf, sondern eine metallene Fahrtreppe. Rechts stehen, links gehen. Ein langgezogener Bahnsteig kommt in den Blick, eine Halle ohne Stützen oder störende Träger. Roher, unbehandelter Beton, zwei Gleise. Hier ist Endstation, wortwörtlich. Denn mit dem U-Bahnhof «Westfriedhof» läuft die U 1 im Münchner Norden aus. Wer freilich auf stille Einkehr und Ruhe hoffte, sieht sich einer theatralischen Inszenierung gegenüber. Im Untergrund führte der sonst für fragile Lichtobjekte bekannte Designer Ingo Maurer martialisch Regie. Bekannt wurden Maurer und sein Team bereits in den frühen achtziger Jahren durch ironisch gebrochene Leuchtobjekte. Niedervolthalogenanlagen im High-Tech-Look lagen damals ganz im Trend. Dieser spielerisch-leichte Ansatz fehlt beim Münchner Grossprojekt. Hier tauchen elf überdimensionale Halbkugeln aus Aluminium, entfernt an mutierte Trockenhauben oder gestürzte Schüsseln erinnernd, den Bahnsteig in farbiges Licht: gelb, rot, blau. Fahrgäste stellen sich hier gerne an den Rand, näher an die Gleise, um etwas Abstand zwischen sich und die schwebenden Ungetüme zu bringen. An den Tunnelwänden kann sich das Auge endlich festsaugen. Über sie fliesst Maurers Blau, ein irisierender Ton, der die gesamte Station durchdringt und zusammenhält.

München leuchtet unterirdisch

Auch jenseits der festlichen Plätze und weissen Säulentempel, der antikisierenden Monumente und Barockkirchen, die Thomas Manns Diktum vom «leuchtenden München» beschwört, gibt es Mindestanforderungen an die Ästhetik öffentlicher Räume. Der unvermeidliche Aufenthalt im Untergrund solle, so Stadtrat Rolf Schirmer in einer Festschrift zum U-Bahn-Bau, eine positive Grundstimmung hervorrufen. Zugleich räumt er ein, dass nicht jede Station höchsten Ansprüchen genüge. Münchens unterirdische Welten sind weder Elysium noch Inferno, sondern zuallererst Spiegelungen einer zeitverhafteten Architektur. Dieses Schicksal teilten sie freilich mit anderen Referenzpunkten auf dem europäischen Kontinent, etwa mit der 1998 eröffneten, ganz in puristisches Weiss getauchten Lissabonner Metrostation Baixa/Chiado oder mit der Jubilee Extension Line, die den «Millennium Dome» mit dem Londoner Stadtzentrum verbinden soll. Letztlich ist der Vorwurf der Zeitgebundenheit ungenau; denn gerade das avancierteste Design schreibt sich als spezifische Signatur in alle Projekte ein. Kaum anders ist die Situation beim Münchner «Westfriedhof». Freilich gelang dem Architekturbüro Auer & Weber inmitten des beschaulichen Villenvororts Gern ein beinahe magischer Ort: kein beliebiger Platz unter der Erde, kein Verteilerbahnhof für Menschen, sondern ein Raum mit hohem Wiedererkennungswert.
Der U-Bahn-Bau und die nachfolgenden Olympischen Spiele 1972 wurden für München zum grossen Sprung nach vorn. Noch immer spricht der ehemalige Oberbürgermeister Hans- Jochen Vogel von einem Projekt, das die Struktur der Stadt wie kaum ein anderes in diesem Jahrhundert verändert habe. Es klingt paradox: Gerade das Unsichtbare, ja Klandestine des Tunnelbaus half im Zuge der «fröhlichen Spiele», die Isarmetropole vollends in die Moderne zu schieben. Rund 80 Bahnhöfe und ebenso viele Kilometer Schienen umfasste 1998 das unterirdische Netz, und 900 000 Fahrgäste nutzen dieses Angebot täglich. Allein dies sei Grund genug, in den Stationen mehr als nur «räumliche Strukturen zur Bewältigung der Fahrgastströme» zu sehen, sondern «vor allem die architektonische Formung öffentlicher Räume», erklärt Oberbürgermeister Christian Ude. Dabei scheint manches in die Jahre gekommen. Vom Glanz eines Otl Aicher und seines feinsinnigen Farbprogramms etwa blieben nur noch Relikte einer verblassenden Ästhetik, bestens zu erleben in den Stationen der U 3, die geradewegs zum Olympiazentrum führt.

Transparente Bahnstation

Neue Perspektiven bot die erweiterte U 1. Mit den neuen Stationen der in einem Winkelhaken Münchens Nordwesten mit dem Südosten verbindenden Linie entstanden vielschichtige Variationen über das Thema «moderner U-Bahnhof». Unter den teils in Spektralfarben schillernden, teils auf pure Materialästhetik setzenden Stationen bildet St. Quirin zweifellos das Highlight. Hier bricht alles Unterirdische nach oben, drängt ans Licht. Eine mächtige Glasfront beherrscht die Szene. Am Computer entstand ihr geschwungenes Schalentragwerk, das knapp oberhalb des Bahntrassees einsetzt und hinaufreicht bis zum Mittelgrat des transparenten Daches. Geblendet vom unvermittelt einfallenden Tageslicht, erleben die Fahrgäste für wenige Augenblicke echt bayrisches Himmelsgewölk. Doch auch umgekehrt geht der Blick. Vom Rand des Kraters, der sich um die Panoramascheibe erstreckt, zwischen Unkraut und Schneeresten, tut sich eine zunächst befremdliche Perspektive nach innen auf: hinein ins Herz der unterirdischen Verkehrsströme. Besonders abends, wenn die Station gleissend in den Nachthimmel zu entschweben scheint, wird das gekrümmte Glasauge von St. Quirin zur veritablen Flimmerkiste für Passanten. Darüber vergisst man leicht, dass die vorgelagerte Mulde alles andere als gelungen ist. In ihr sammelt sich bereits Unrat, und dieser beschert dem High-Tech-Bahnhof und seiner eleganten Frontscheibe nicht die beste Aussicht. Und doch gelang mit der gläsernen Dachschale, für die der Architekt Paul Kramer vom U-Bahn-Referat in Zusammenarbeit mit dem Ingenieurbüro Elsner verantwortlich zeichnet, etwas Wunderbares. Ganz selbstverständlich gibt sie Einsicht in den sonst so verschlossenen und düsteren Untergrund. Wer U-Bahnhöfe als ungeliebte Durchgangsbereiche kennt, als Orte, die möglichst schnell zu überwinden sind, wird in den Stationen der erweiterten Linie 1 auf ein subterranes Reich der Überraschungen treffen.

Neue Zürcher Zeitung, Mi., 1999.03.17

02. März 1999Oliver Herwig
Neue Zürcher Zeitung

Flic Flac in Passau

Der Allrounder André Heller als Architekt

Der Allrounder André Heller als Architekt

Von Betrug war die Rede und von Dilettantismus. An Passaus «Neuer Mitte» habe sich kein diplomierter Architekt, sondern ein Variétékünstler versucht. Selbst der Referent für Stadtentwicklung, Franz Xaver Scheuerecker, erklärte in einem Interview: «Das wird nichts. Das ist nicht machbar.» Heller reagierte postwendend. Sein Entwurf einer «internationalen Gedanken- Freihandelszone» stehe nicht mehr zur Verfügung. Auf dem Gelände der von den Nazis errichteten und durch den politischen Aschermittwoch weit über Bayern hinaus bekannten Nibelungenhalle sollte Passaus neues Herz schlagen. Hellers Vorschlag sah dazu eine Kombination aus Konzert- und Kaufhaus samt Aussichtsturm und Gartenanlagen vor. Allerdings fiel sein Entwurf durch eine beängstigende Abwesenheit von Architektur auf, zumal das Einkaufs- und Erlebnisparadies ganz unter einer grünen Dachrampe verschwand, gleichsam geborgen im Schoss der Erde.

Während sich Passaus Bürger spontan angetan zeigten, meldeten Architekten, Fachpresse und das Feuilleton der «Süddeutschen Zeitung» Bedenken an. In der harschen Kritik sah Heller «eine Art Glaubenskrieg», in dem der «Gegner vor keiner Diffamierung» zurückschrecke. Oberbürgermeister Willi Schmöller sprach gegenüber der Passauer «Neuen Presse» gar von einer «Architektenmafia» und gab an, mit Heller weiter im Gespräch zu bleiben. Dabei wollte Heller - Begründer des Zirkus Roncalli und des poetischen Variétés Flic Flac - nach eigenem Bekunden gar nicht als Baumeister auftreten, sondern sich mit «wesentlichen Architekten» verbünden. Er sehe seine Aufgabe eher in der «Herstellung von Faszinationen». Wie unlängst im «Meteorit» in Essen, einer 15 000 Quadratmeter grossen Halle mit Multimedia-Einlagen. Wie es scheint, ist Passau vergleichsweise glimpflich davongekommen, sieht man einmal vom alljährlichen Hochwasser ab.

Neue Zürcher Zeitung, Di., 1999.03.02

Profil

Geisteswissenschaftliches Studium in Regensburg, Williamstown, Champaign-Urbana und Kiel, 2000 Promotion
1994 – 1997 Redakteur in Tübingen
Seit 1998 freier Journalist in München
Regelmäßige Beiträge für die Süddeutsche Zeitung, Neue Züricher Zeitung und Baumeister

Lehrtätigkeit

Seit 2005 ist er Lehrbeauftragter für Designtheorie in Basel, Karlsruhe und Linz

Auszeichnungen

1999 Stipendiat des Internationalen Journalistenprogramms Großbritannien und Gastredakteur bei wallpaper

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