Übersicht

Texte

02. Dezember 2024Michael Freund
Spectrum

Der fast vergessene autokratische Stadtplaner von New York City

Über die Jahrzehnte hatte Robert Moses den Bau kreuzungsfreier Expressways und Parkways von insgesamt fast 1000 Kilometer Länge geplant und gepusht – und war dafür bejubelt worden: Doch dann kam vor 50 Jahren ein Buch heraus, das einen anderen Blick auf sein Schaffen warf: Robert Caros „The Power Broker“.

Über die Jahrzehnte hatte Robert Moses den Bau kreuzungsfreier Expressways und Parkways von insgesamt fast 1000 Kilometer Länge geplant und gepusht – und war dafür bejubelt worden: Doch dann kam vor 50 Jahren ein Buch heraus, das einen anderen Blick auf sein Schaffen warf: Robert Caros „The Power Broker“.

Robert Moses war kein Politiker. Er wurde weder in New York City noch im Staat New York je in ein Amt gewählt, hatte keine Ausbildung als Stadtplaner, Architekt oder Ingenieur. Doch in seiner vier Jahrzehnte währenden Karriere, von den 1920er-Jahren an, veränderte er die Infrastruktur der Metropole mehr als jeder der Bürgermeister und Gouverneure, mit denen er zu tun hatte.

Zwölf Brücken als Teil des Masterplans

Mit Titeln, die er sich zum Teil ausdachte und absegnen ließ, wie City Construction Coordinator, Chairman of the Power Authority of the State of New York, Chairman of the Mayor’s Committee on Slum Clearance und in neun weiteren Verwaltungsaufgaben, war Moses zuständig für Straßenbau, Parks, Bäder, für Dämme, Kraftwerke und öffentliche und private Wohnprojekte. Er kontrollierte den Bau des Shea Stadion und von Wohnungen für mehr als eine halbe Million New Yorker. Er war mitverantwortlich dafür, dass in den späten 1940er-Jahren das UN-Hauptquartier in der Stadt errichtet wurde und in den 1960er-Jahren das Lincoln Center und die World’s Fair. (Wer vom Kennedy-Flughafen auf dem Grand Central Parkway Richtung Manhattan unterwegs ist, kann heute noch den 60 Jahre alten riesigen Globus im Messepark sehen.) In den Parklandschaften, die in eines seiner Ressorts fielen – neben den städtischen Parks auch große Wälder und lange Küstenstreifen auf Long Island –, ließ er Seebäder, Sportanlagen und fast 700 Spielplätze errichten. Zwölf Brücken wurden unter seiner Aufsicht gebaut, manche mit bis zu 70 Stockwerken hohen Stützpfeilern (und eine, die Verrazzano Bridge, zu ihrer Zeit die längste Hängebrücke der Welt).

Diese Brücken waren Teil seines Masterplans. Denn vor allem sorgte Moses dafür, dass die expandierende Millionenstadt mit ihren zersiedelten Vororten zu einer autogerechten wurde. Über die Jahrzehnte plante und pushte er den Bau kreuzungsfreier Expressways und Parkways von insgesamt fast 1000 Kilometer Länge – und keine einzige neue Meile U-Bahn.

Autokratischer Stadtplaner

Wer verstehen will, wie New York zu der City herangewachsen ist, als die sie sich heute darstellt, mit den Autobahnen, die die Bezirke durchschneiden (mit Ausnahme Manhattans – darauf kommen wir noch zurück), mit dem ewig dahinsiechenden U-Bahnsystem, mit den vielen Parkanlagen, die in den wohlhabenderen Vierteln auffallend besser ausgestattet sind, mit den Hochbauten, die als Beseitigung von Elendsvierteln propagiert wurden und selber zu Slums gerieten; wer zudem einen Eindruck davon gewinnen will, wie man – in New York, aber auch anderswo – mit Politikern und gegen sie, mit Intrigen, Koalitionen, politischen Manövern oder schierem Druck Visionen durchsetzen und Macht erhalten und vergrößern kann: Wer also all dem nachgehen möchte, der stößt schließlich auf den Namen des Mannes, der als autokratischer Stadtplaner fast vergessen worden wäre.

Nach einigen Jahren erbitterter Machtkämpfe, vor allem gegen Gouverneur Nelson Rockefeller, verlor Moses 1968 seinen letzten und vielleicht wichtigsten Posten: die Leitung der Behörde, die die Maut aller Brücken und Autobahnen einnahm. Bald danach erinnerten nur noch nach ihm benannte Bauwerke an Robert Moses.

Stadt ging dem Bankrott entgegen

Doch 1974 veröffentlichte der Journalist Robert A. Caro ein Buch, das ihn wieder ins Rampenlicht stellte, wenn auch ganz anders, als er es gewohnt war, wie schon der Untertitel deutlich macht: „The Power Broker. Robert Moses and the Fall of New York“. Das Buch, fast 1300 Seiten lang, wurde zum überraschenden Best- und Dauerseller, mittlerweile in der 73. Auflage, allein voriges Jahr wurden 40.000 Stück verkauft. Es wurde nie ins Deutsche übersetzt. Anlässlich des 50-Jahr-Jubiläums ist allerdings ­einiges erschienen und veranstaltet worden, das den Zugang zu dem monumentalen Werk erleichtert. Bleiben wir zunächst bei dem Buch und seinem Autor. Caro war knapp 30 und schrieb für eine Regionalzeitung unter anderem über Bauprojekte am Long Island Sound. Ihm fiel auf, dass der Name Robert Moses immer wieder vorkam und der Mann offenbar eine wichtige Rolle spielte, obwohl er nie in eine politische Position gewählt worden war. Neun Monate wollte er auf seine Biografie verwenden. Es wurden sieben Jahre, und das Manuskript war auf über eine Million Wörter angewachsen. Während der ganzen Zeit, sagte Caro rückblickend, habe er sich fragen lassen müssen, wer denn ein Buch über Moses lesen solle – der Stadtplaner war in keinem seiner Ämter mehr, die Stadt ging dem Bankrott entgegen und hatte andere Sorgen.

Hinter Caros Rücken schickte seine Agentin das Manuskript dem „New Yorker“. So etwas Eindrucksvolles habe er noch nie gelesen, sagte dessen Chefredakteur, William Shawn, und druckte in vier äußerst langen Folgen fast ein Fünftel des Werkes im Magazin ab. Das Buch war also schon Tagesgespräch, bevor es überhaupt erschien, und bald danach galt es bereits als Klassiker. 1975 erhielt der Autor den Pulitzer-Preis, die erste von zahlreichen Ehrungen für eine Symbiose von investigativem Journalismus, akribischer Biografie und literarischer Eleganz, unglaublich detailreich und doch, kommt man erst einmal in den Fluss der Ereignisse, zu lesen wie ein Thriller.

Auf seine Art ein Genie

Wie Caro etwa die Erschließung von Long Island durch Autobahnen beschreibt: Er beginnt mit einer Art Landschaftsbild aus versunkenen Tagen, mit Kartoffelbauern auf den Äckern und Räuberbaronen in ihren Prachtvillen. Sie konnten sich alle nicht vorstellen, je von Auto fahrenden New Yorkern belästigt zu werden. Dann schildert er, wie Moses die Gegend erwanderte, da schmeichelte, dort drohte, sich überlegte, wo man Land billig bekam, wem man in die Quere kommen und wen man als Verbündete anheuern sollte, wie man an Gelder von Stadt, Staat oder Bund herankam, immer geleitet von der Vision, dass große Bauten, breite Straßen, Freizeitparks entstehen würden, wo jetzt Felder und Wälder waren. Auf seine Art sei er ein Genie gewesen, sagte Caro über ihn.

Noch ein Beispiel, ein beklemmendes, das viel vom Verfall der Metropole erzählt: Moses beschloss, dass eine seiner Autobahnen mitten durch ein intaktes Stadtviertel gehen würde. Der Cross Bronx Expressway war sein kostspieligstes und brutalstes Straßenbauprojekt. Zehntausende wurden aus ihren Häusern vertrieben und irgendwohin in die Stadt umgesiedelt. Was zum Fanal der Unbewohnbarkeit wurde, Stichwort South Bronx, hatte damals seinen Anfang. Caro suchte die Umgesiedelten auf und ließ sich ihre Geschichten erzählen: „Das häufigste Wort war ‚Einsamkeit’.“ Seiner konservativen Schätzung zufolge wurden wegen Moses’ Projekten insgesamt an die 500.000 New Yorker von ihren Wohnstätten entwurzelt.

Seinen Protagonisten beschreibt Caro als schillernde Figur, die sich vom idealistischen Reformer zum keinen Widerspruch duldenden Potentaten wandelte. Moses liebte Straßen und Autos, Parks und Schwimmbäder. Vor allem liebte er die Macht, seine Ideen nach Gutdünken umzusetzen. (Francis Ford Coppola modellierte die Figur des visionären Architekten Caesar Catilina in seinem neuen Film „Megalopolis“ nach Robert Moses.)

Parallelen zwischen New York und Beijing

Die Grenzen von Moses’ Macht zeigten sich erstmals, als er drei seiner Schnellstraßen quer durch Manhattan führen wollte. Gegen diese Pläne, insbesondere eine Stelzenautobahn durchs bukolische/dörfliche West Village und den Süden der Insel, war die Journalistin und Aktivistin Jane Jacobs bereits Jahre vor dem Erscheinen von „The Power Broker“ Sturm gelaufen. 1961 schrieb sie ein Buch mit Argumenten gegen Stadtplanung à la Moses und Le Corbusier, einen Bestseller, den es auch auf Deutsch gibt: „Tod und Leben großer amerikanischer Städte“. Es verwunderte daher, dass ihre letztlich erfolgreiche Agitation von Caro überhaupt nicht erwähnt wurde. Er entschuldigte sich immer wieder mit dem Argument, dass das ursprüngliche Manuskript noch viel länger gewesen sei und um 300.000 (!) Wörter gekürzt werden musste; dem sei unter anderem ein ganzes Kapitel über den Lower Manhattan Expressway und damit über Jane Jacobs zum Opfer gefallen, das verfolge ihn bis heute.

Zwischen dem New York von Robert Moses und dem Beijing der heutigen chinesischen Machthaber gebe es Parallelen, schrieb Bob Davis vor zwei Jahren in der Zeitschrift „Foreign Policy“. Korruption sei ähnlich weitverbreitet, „jeder ist angreifbar, sei es, weil er Bestechungsgelder anbietet, sie annimmt oder weil er von Bestechungsgeldern weiß, auch wenn er nicht mitspielt“.

Dass auch bei uns nicht alles den korrekten Weg geht und manches in Hinterzimmern ausgedealt wird, gerade bei Bauprojekten, bei denen es sich um Millionenbeträge handelt, davon kann man ausgehen. Immerhin aber ist Wien eine Westautobahn erspart geblieben, die von Hütteldorf bis zum Karlsplatz geführt und das urbane Gefüge zersägt hätte wie in der Bronx. Bei Caro kann man die Konsequenzen nachlesen wie unter einem Vergrößerungsglas, inklusive der alten, noch immer nicht berücksichtigten Binsenweisheit, dass, wo Straßen gebaut werden, sie sich bis zur Verstopfung füllen; die Tangente ist auch nur ein kleiner Neffe des Long Island Expressway.

Er starb verbittert

Zum 50-Jahr-Jubiläum der Veröffentlichung rückt „The Power Broker“ auf mehrere Arten wieder ins Rampenlicht. Im Oktober würdigte die „New York Times“ Robert Caro in einem ausführlichen Porträt und leistete Abbitte, gehörte sie doch in den Zeiten von Moses’ Herrschaft zu der „unterwürfigen Presse“, die ihm zujubelte. Bis zum 2. Februar ist in der New York Historical Society in Manhattan „The Power Broker“ at 50 zu sehen, eine Ausstellung mit Archivmaterialien, Objekten und Videointerviews (auch unter www.nyhistory.org). Es gibt eine weitere Hommage zum Jubiläum, die den Zugang zum Buch erleichtert, wenn man sich nicht durch die fast zwei Kilogramm des „Power Broker“ durcharbeiten will. Die Gestalter des Podcasts „99 Percent Invisible“ produzieren derzeit eine zehnteilige Serie, in der sie alle Kapitel aus dem Buch diskutieren, jeweils mit einem Interviewpartner (99percentinvisible.org/club/).

Moses erlebte die Veröffentlichung von Caros Buch, für ihn war es nur eine Serie von Diffamierungen und Unwahrheiten. Er starb 1981, verbittert über die Undankbarkeit der Menschen. Da arbeitete Robert Caro bereits an einem vielleicht noch eindrucksvolleren Opus magnum: einer mehrbändigen Biografie des Präsidenten Lyndon B. Johnson. Vier Bände, mehr als 3000 Seiten, sind erschienen. Ein kurzer Auszug aus dem vierten kam bei Suhrkamp heraus. Unermüdlich arbeitet Robert Caro am fünften und letzten Band. Nächsten Oktober wird er 90.

Spectrum, Mo., 2024.12.02

19. Februar 2011Michael Freund
Der Standard

Die Gesichter der Bauten

Das Schöne ist, dass der Begriff „Fassade“ ebenso zu literarischen und ästhetischen Betrachtungen führen kann wie zu handfesten technischen Fachsimpeleien....

Das Schöne ist, dass der Begriff „Fassade“ ebenso zu literarischen und ästhetischen Betrachtungen führen kann wie zu handfesten technischen Fachsimpeleien....

Das Schöne ist, dass der Begriff „Fassade“ ebenso zu literarischen und ästhetischen Betrachtungen führen kann wie zu handfesten technischen Fachsimpeleien. Was „nur“ Fassade ist, oder was vielmehr ein Haus von seiner schönsten Seite annonciert, lässt sich anhand von Querschnittsdarstellungen („Außenecke mit Metallprofil“) diskutieren oder auch fotografisch überhöhen. All das vereinigt eine Neuerscheinung in sich: Mit Fassaden aus Holz rückt proHolz, die Arbeitsgemeinschaft der Holzwirtschaft, die vielfältigen Möglichkeiten dieses Materials ins Bild, in viele Bilder. Bretter, Schindeln, Latten, Furnierschichten und Schalungen fügen sich zu den erstaunlichsten Bauten, werden als Visitenkarten der Besitzer gepflegt, verwandeln sich mit den Jahren und dem Regen - so wie auch der Einband des Buches: eine würdevoll ergraute Bretterwand, eine elegante Fassade des Inhalts.

Der Standard, Sa., 2011.02.19



verknüpfte Publikationen
Fassaden aus Holz

25. April 2009Michael Freund
Der Standard

15 Jahre Architektur, im Karton verpackt

Teil fünf der Serie über die 15 schönsten: Christian Kühns „Ringstraße ist überall. Texte über Architektur und Stadt“

Teil fünf der Serie über die 15 schönsten: Christian Kühns „Ringstraße ist überall. Texte über Architektur und Stadt“

Nach 1989, seit der Öffnung des Ostens, habe Wien eine städtebauliche Chance gehabt und nur ungenügend genutzt. Denn „Ringstraße ist überall“, schreibt Christian Kühn, „auch dort, wo die Stadt ihre Zukunft noch vor sich hätte, wird sie inzwischen von den Bildern der Vergangenheit infiziert.“ Der Architekturkritiker und TU-Wien-Professor Kühn hat das Baugeschehen seit damals begleitet und kommentiert. Letztes Jahr sind seine in der Presse veröffentlichten Texte als Sammelband erschienen. In umgekehrter chronologischer Reihenfolge lässt sich in Ringstraße ist überall nachlesen, was von 1992 bis 2007 in Wien und anderswo geplant, gebaut, ausgestellt, verworfen, verbessert oder verunstaltet wurde. Kühn bezeichnet das von Erwin K. Bauer und Manuel Radde gestaltete Buch als „kondensierte Tageszeitung“. In der Tat spielen Überschriften, Bildunterschriften und Erscheinungsdaten eine grafisch auffallende Rolle.

Die Fotos - von Fachprofis wie Spiluttini oder dem Autor selbst, aber auch mal mit Selbstauslöser gemacht - sind vergleichsweise zurückhaltend eingesetzt und in architekturklassischem Schwarz-Weiß. Überhaupt beschränkt sich Ringstraße ist überall auf Schwarz-Weiß - und das Hellbraungraue des Kartons, der Vorder- und Rückseite verstärkt. Wir sind diesem Gestaltungselement schon in einem anderen preisgekrönten Buch aus dem Springer-Verlag begegnet (Finks Erotone Leibesübung) und werden noch einmal Gelegenheit dazu haben. Dem vorliegenden Werk hat die vom Hauptverband des österreichischen Buchhandels eingesetzte Jury sogar einen der dreiStaatspreise für die schönsten Bücher des Jahres zugesprochen. Insbesondere lobte sie die „Typostilelemente der Sechzigerjahre, gesehen mit den Augen der Jetztzeit“. Dem ist nur begrenzt zuzustimmen, vielleicht in dem Sinn, dass Pionierleistungen von Willi Fleckhaus (twen) oder George Lois (Esquire) bis heute nachwirken. Ansonsten aber ist jenes Jahrzehnt bei einem Sammelband der letzten 15 Jahre nicht gerade am Platz und in der Tat auch nicht besonders präsent. Vielmehr lebt das Buch inhaltlich und grafisch durchaus durch die und in der Gegenwart.

[ Christian Kühn, „Ringstraße ist überall. Texte über Architektur und Stadt“. EUR 35,95 / 428 Seiten. Springer, Wien, New York 2008. ]

Der Standard, Sa., 2009.04.25



verknüpfte Publikationen
Ringstraße ist überall

21. März 2009Michael Freund
zuschnitt

Otis, Sullivan und Freud.

Es ist der uralte Blick nach oben: Wenn die Ägypter ihre Könige in Bauten begruben, so hoch, dass nicht einmal der Jahrtausende später errichtete Stephansdom...

Es ist der uralte Blick nach oben: Wenn die Ägypter ihre Könige in Bauten begruben, so hoch, dass nicht einmal der Jahrtausende später errichtete Stephansdom...

Es ist der uralte Blick nach oben: Wenn die Ägypter ihre Könige in Bauten begruben, so hoch, dass nicht einmal der Jahrtausende später errichtete Stephansdom an die mächtigsten von ihnen heranreichte; wenn ihrerseits die gotischen Kirchen näher zu Gott strebten und gleichzeitig in Konkurrenz zu den weltlichen Fürsten traten, die ihren Einflussbereich weithin sichtbar architektonisch markierten; wenn sogar kleine Kinder mit ihren Bauklötzen unweigerlich vertikale Wettkämpfe veranstalten, dann wollen sie alle den Mühen der Ebene enthoben sein. Wenn wir schon nicht fliegen können, wenigstens sehen wir Dinge von oben – und werden von unten gesehen.

Es mag gerade mal hundert Jahre her sein, dass die ersten Wolkenkratzer gebaut wurden. Schon viel früher aber richteten sich die Menschen vertikal bis in erstaunliche Höhen ein. Im alten Rom gab es Gebäude mit über zehn Stockwerken. Die Lehmziegelhäuser aus dem 16. Jahrhundert im jemenitischen Schibam sind ebenso hoch. Auch nicht mehr Stockwerke hatte das Home Insurance Building, das 1885 in Chicago errichtet wurde. Und es war auch nicht das erste Haus mit einem Stahlskelett – eine vergleichbare Konstruktion aus gusseisernen Säulen und Trägern stand bereits hundert Jahre früher im englischen Shrewsbury. Doch erst in Chicago kristallisierte sich, verstärkt durch Platznot, der Drang in die Vertikale in Reinkultur heraus. Seinen architektonischen Ausdruck fand er in den Gebäuden von Louis Sullivan, der die Höhe seiner Gebäude durch senkrechte Bänder unterstrich. (Er war es auch, der den berühmten Satz „Form follows function“ schrieb, und zwar in einem Aufsatz über künstlerische Überlegungen zum Bürohochhaus.)

Sullivan und die ganze Chicagoer Schule, die Wiege der Skyscrapers, hätten aber nicht bauen können ohne die geniale Erfindung von Elisha Graves Otis. Er hatte den absturzsicheren Aufzug konstruiert und den Menschen die Angst genommen, sich in einem schwebenden Kasten in schwindelnde Höhen befördern zu lassen. So aber gab es kein Halten mehr. Je solider und höhentauglicher die Stahlskelettbauten wurden, desto schneller und höher reichend wurden die entsprechenden Aufzüge (und noch heute steht global mehrheitlich „Otis“ auf ihnen).

Ihren schönsten und vielfältigsten Ausdruck erreichte die Wolkenkratzerarchitektur in der Zwischenkriegszeit in New York. Da blühten die Stilzitate vom Klassizismus bis zur Moderne, da wechselten sich pseudogotische Krönungen mit wuchtigen Bollwerken ab, und über allem strahlte die vom Geschwindigkeitsrausch inspirierte Art Déco, am reinsten verkörpert im Chrysler Building, das für kurze Zeit das höchste Haus der Welt war, bis es vom Empire State Building mit seiner auch nicht gerade langweiligen Spitze entthront wurde.

New York ist eine vertikale Stadt, sagte Le Corbusier, eine schöne Katastrophe. Ersterem stimmte der deutsche Fotograf Reinhart Wolf zu – das mit der Katastrophe wollte er widerlegen. In den frühen siebziger Jahren gelangen ihm mit einer riesigen Plattenkamera, extremen Tele-Brennweiten und viel Geduld die unwahrscheinlichsten Bilder von den supertall buildings der Stadt – unwahrscheinlich deshalb, weil er hauptsächlich die Spitzen der Gebäude von anderen Spitzen aufnahm, also einen Blickwinkel herstellte, der den meisten Bürgern zu ebener Erde unzugänglich ist. Es kamen die verschwenderischsten Details zum Vorschein, die zeigten, dass Bauherren damals auch Mäzene eines ästhetischen Surplus waren, einer quasi sinnlosen Schönheit: Die Form folgte keineswegs nur mehr der Funktion, sondern verselbständigte sich.

Das hatte mit dem Aufkommen des Internationalen Stils ein abruptes Ende. Das meiste, das seit dem Zweiten Weltkrieg gebaut wird, sieht tatsächlich aus wie die hochgestellten Schuhschachteln, über die Tom Wolfe sich mokierte. Auch die nach seiner Zerstörung sofort zum Mythos erhobenen Türme des World Trade Center waren ungeliebte, arrogante Fremdkörper in der Skyline des Finanzdistrikts.

Bleibt die Frage nach dem Sinn immer höherer Gebäude – der auf 818 Meter geplante Burj Dubai wird gerade gebaut, der Al Burj könnte mehr als einen Kilometer hoch werden, wenn er die Wirtschaftskrise überlebt. Kompletter Wahnsinn, sagt jeder Häuslbauer – und nicht nur der. Dem stehen interessanterweise ökologische Argumente entgegen – wobei sich die Grenze, ab wie vielen Stockwerken die Verdichtung und die damit verbundenen Ersparnisse in Verteuerungen umschlagen, je nach Parameter ständig verschiebt; wer weiß, vielleicht ist der Burj Dubai grüner als das Häuschen an der Stadtgrenze.

Jenseits der rationalen Erwägungen aber wird dem Drang ins Vertikale von psychoanalytischer, gender-geschulter und sonstwie kulturwissenschaftlicher Seite genau das entgegengehalten: dass er eine ins Groteske sublimierte Erektion sei, Phallokratie der schlimmsten Sorte. Damit stehen Skyscrapers in Reih und Glied, sozusagen, mit Bananen, Raketen, Füllfedern, Jaguar E-Types, Lippenstiften und der Freud’schen Zigarre. Andererseits jedoch – apropos – ließe sich Freud hier paraphrasieren: Manchmal ist ein Wolkenkratzer nur ein Wolkenkratzer.

zuschnitt, Sa., 2009.03.21



verknüpfte Zeitschriften
zuschnitt 33 Holz stapelt hoch

01. März 2008Michael Freund
Der Standard

Architektur, die sich nach vorn lehnt

Gebäude, die aufstehen und „neu- und blickgierig“ in die Landschaft schauen, auf Stelzen, vorwärts gebeugt, zum Sprung bereit. Verständlich, dass sich...

Gebäude, die aufstehen und „neu- und blickgierig“ in die Landschaft schauen, auf Stelzen, vorwärts gebeugt, zum Sprung bereit. Verständlich, dass sich...

Gebäude, die aufstehen und „neu- und blickgierig“ in die Landschaft schauen, auf Stelzen, vorwärts gebeugt, zum Sprung bereit. Verständlich, dass sich das Architektenduo Andreas und Gerda Maria Gerner „offen dazu (bekennt), dass das Periskop unsere Lieblingsform ist“. Welches der 20 in diesem Buch versammelten Projekte man auch betrachtet, egal aus welchem Blickwinkel, ob als Grundriss, Rendering oder fertiggestellt und fotografiert: Die reine, orthogonale Schachtel ist selten, das Ansteigende, Hinauswachsende fast die Regel. Seit mehr als zehn Jahren entwickeln der Salzburger und die Burgenländerin eine Formensprache weiter, die sehr wohl bei Codes der Moderne anknüpft, aber sich nicht nehmen lässt, auch über sie hinwegzusegeln.

Berge und Ebene - die Herkunftsländer - sieht Wolfgang Vasko in seinem Vorwort als geniales Zusammenspiel, dazu komme ein verantwortungsvolles Auge auf die Bewohnbarkeit der Häuser, Eigenheime, An- und Ausbauten der Gerners. Nicht zu vergessen ihr Entwurf für das Weingut Hillinger, mit dem wieder einmal gezeigt wurde (und die Innen- und Außenaufnahmen aus unterschiedlichen Perspektiven bestätigen es): „architecture sells“.

Wie aber verkauft man Architektur in Buchform? Zum Beispiel mithilfe der einfachen und wirkungsvollen Idee, durch einen Schrägschnitt des Bodens das Buch im Regal sich nach vorn lehnen zu lassen - Form ist Inhalt. Und das ist erst der Anfang. Der Umschlag kann auf einen Meter Panorama aufgeklappt werden und zeigt silbergrau das Hillinger-Projekt in seiner ganzen Breite. Dass der Inhalt hält, was die extravagante Buchgestaltung von Gabriele Lenz (Büro für visuelle Gestaltung) andeutet, dafür zeichnete der Architekturkritiker (im Standard und anderswo) Wojciech Czaja verantwortlich. Er führt die periscope architecture des Duos von den neuesten, beim Druck noch nicht realisierten Entwürfen chronologisch zurück bis zu ihrem frühen Haus im 22. Wiener Bezirk (1996). Die „ästhetisch bereichernde Begegnung“ (Clarissa Stadler) mit den Bauten gelingt auch zweidimensional. Der Hauptverband des Österreichischen Buchhandels sah das auch so. Er zeichnete periscope architecture als eines der schönsten Bücher 2007 aus.

Der Standard, Sa., 2008.03.01



verknüpfte Publikationen
Periscope Architecture

10. November 2005Michael Freund
Der Standard

Erinnerung und Gedächtnis an einem fast lieblichen Ort

Die Aufgabe lautet: die Aufmerksamkeit auf etwas zu lenken, was in der Wirklichkeit nicht mehr sichtbar und vorstellbar ist. Nach Lösungen suchen die Erbauer von Mahnmalen und Gedächtnisstätten seit jeher

Die Aufgabe lautet: die Aufmerksamkeit auf etwas zu lenken, was in der Wirklichkeit nicht mehr sichtbar und vorstellbar ist. Nach Lösungen suchen die Erbauer von Mahnmalen und Gedächtnisstätten seit jeher

Einen Umgang mit dem Thema an besonders schwieriger Stelle präsentierten zwei Architekten am Dienstagabend im Wiener Freud-Museum: Karl Peyer-Heimstätt und Christoph Schwarz von der Bürogemeinschaft MSPH waren mit der Errichtung des Besucherzentrums bei der Gedenkstätte Mauthausen beauftragt worden und zogen ein Resümee über ihr Projekt.

Viele Kräfte lasten und zerren am Ort des ehemaligen Vernichtungslagers: von der Anordnung der Sowjets, dass Mauthausen zu erhalten sei, über Eingriffe in die Bausubstanz und die Errichtung verschiedenster Denkmäler bis zu gestalterischen Details.

Um architektonische Maximen ging es zunächst auch in der von Michael Kerbler (Ö1) geführten Diskussion. Die beiden Hollein-Schüler begründeten die Wahl von Materialien wie Sichtbeton („wertneutral“) und großen Glaswänden. Sie zeigten Blickachsen und Fluchtpunkte, die den zur Durchschleusung von Besuchergruppen optimierten, wie üblich mit Archiv, Ausstellungsfläche und „Bookshop“ versehenen Bau mit dem eigentlichen Mauthausen verbinden sollen.

Pforte zur Hölle

Der Fachdiskurs wich aber in der Debatte mit dem Publikum bald grundlegenden Fragen. Was hat der Ort mit der Vermittlung von Erinnerung zu tun? Kann er sie überhaupt leisten, ist dafür nicht ein virtueller Raum besser, während man die unmittelbare Anschauung auf die Baracken und den Stacheldraht beschränken sollte? Aber, warf hier Friedrich Achleitner ein, unvermittelt sei Mauthausen inzwischen ein fast „lieblicher Ort in wunderschöner Landschaft“ geworden (wenn nicht aus gewisser Entfernung immer schon gewesen) - daher sei der Bau des Zentrums nötig gewesen. Doch die Kritiker hakten mit dem Argument nach, dass eine Vermittlung des Grauens auf der Ebene wertneutraler Architektur gar nicht möglich sei. Was wiederum, so die Antwort, nicht bedeuten darf, dass man gar nicht erst versuchen solle, etwa den anreisenden Schülern ein Ahnung von der Geschichte des Lagers zu geben.

„Wie konstruiert man eine Pforte zur Hölle?“, so definierte Lutz Musner vom mitveranstaltenden Internationalen Forschungszentrum Kulturwissenschaften IFK die Probleme der Architekten. Die aber konnten auch nur auf den immer stärker analytischen Blick zurückverweisen: In Wirklichkeit entschwindet die Substanz „Mauthausen“ mit den letzten Überlebenden.

Dass aber ein Teil der Gebäude, vor allem im Nebenlager Gusen, heute in Privatnutzung steht, das - so eine Publikumsstimme - sei der eigentliche Skandal und gebe eine guten Einblick in den Umgang des Nachkriegsösterreich mit Stätten des Grauens.

Der Standard, Do., 2005.11.10



verknüpfte Bauwerke
Besucherforum KZ-Gedenkstätte Mauthausen

20. November 2004Michael Freund
Der Standard

Die Leichtigkeit eines Monuments

Die Kathedrale der Moderne steht wieder ohne Gerüst. New Yorks MoMA hat durch den japanischen Architekten Yoshio Taniguchi eine Erweiterung und Aufwertung zugleich erfahren. Aus New York berichtet Michael Freund.

Die Kathedrale der Moderne steht wieder ohne Gerüst. New Yorks MoMA hat durch den japanischen Architekten Yoshio Taniguchi eine Erweiterung und Aufwertung zugleich erfahren. Aus New York berichtet Michael Freund.

Yoshio who? Vor acht Jahren, als er den Zuschlag bekam, war der Architekt Taniguchi nur Insidern als Schöpfer von mehreren beachtlichen Museumsbauten in seinem Heimatland Japan bekannt. Doch jetzt, wo die Eröffnung des von ihm erweiterten und neu gestalteten New Yorker Museum of Modern Art über die Bühne gegangen ist (am heutigen Samstag kann das Publikum es endlich stürmen), jetzt wird er als Liebling seiner Auftraggeber gefeiert. Er habe tatsächlich das Museum wieder in den Hintergrund treten lassen, „als ob es sich in dünne Luft auflösen würde“, wie die New York Times schwärmte. Und Glenn D. Lowry, MoMA-Chef und Auftraggeber, legte noch eins drauf: „Yoshio hat einen nahtlosen Fluss zwischen dem öffentlichen und dem Museumsraum geschaffen.“

Das stimmt Gott sei Dank nur zum Teil. Denn schon in sich ist der Bau nicht ohne Nähte und Brüche und sollte es auch gar nicht sein. Die Moderne, die er enthält und zur Diskussion stellt, ist nicht zuletzt durch das Widersprüchliche, Ungleichzeitige, Gebrochene gerade in einer Stadt wie New York charakterisiert.

Die Baugeschichte des MoMA reflektiert das. Als ob es ein Gesetz wäre, wird es ungefähr alle 20 Jahre generalüberholt und erweitert. 1964 ergänzte Philip Johnson seine erste eigene Heimstatt (zuvor hauste das vor genau 75 Jahren eröffnete Museum in Provisorien). 1984 setzte Cesar Pelli einen langweiligen Wolkenkratzer drauf, dessen Vermietung allerdings für ein beträchtliches Jahreseinkommen sorgt. Die nunmehrige Ergänzung belässt Stile und Materialien in ihrer teilweisen Dissonanz nebeneinander, ergänzt sie durch neue (perfekt glatter schwarzer Granit, grau und weiß quer gestreiftes Glas, geripptes Aluminium) und schafft so eine Galerie der Lesarten, eine Geschichte moderner Architektur - ohne Postmoderne, da hat sich Taniguchi bewusst zurückgenommen (siehe Interview).

Und er hat die ganze Anlage neu konfiguriert, indem er den Skulpturengarten zum Mittelpunkt zwischen Education-Wing, sechsstöckigem Galerienbau und Restaurant gemacht und zur benachbarten 54. Straße hin geöffnet hat, die früher hinter hohen Mauern nur als Lärm präsent war. Nun kann man bereits von hier aus das legendäre Pininfarina-Coupé Cisitalia, einziges Auto der Designsammlung, hinter Glas im zweiten Stock rot leuchten sehen - ebenso wie die Besucher durch Skylights, schräge Öffnungen und überraschende Durchreichen auf den Trump Tower blicken können, auf die St.-Thomas-Kirche, alte Brownstone-Gebäude oder das kecke Chippendale-Häubchen von Johnsons AT&T-Hochhaus.

Austausch in der Tat, und Taniguchi hat diese Idee in den Galeriestockwerken fortgesetzt, wo nun quer durch das enorm hohe Atrium Perspektiven und Bezüge möglich werden, die in der linearen Einkastelung des Vorgängerbaus nicht gelingen konnten. Die Sammlung ist luftiger geworden. Die Architektur auch, wie MoMA-Architekturkurator Terence Riley im Gespräch mit dem STANDARD betonte: „Es ging darum, den Bau quasi zu dematerialisieren. Je weniger man sah, umso teurer wurde es. Zum Beispiel hat Yoshio die Böden bzw. Decken schmäler werden lassen, indem er die Stahlträger anbohrte und daher bestimmte Leitungen durch sie statt unter sie legen konnte.“ Riley, der mit dem Architekten eng zusammenarbeitete, schätzt dessen „Abstraktheit“ („wie bei Italo Calvino: eine verschwindende Leichtigkeit“) und vergleicht sie mit der eher erdigen, schwereren Herangehensweise von Tadao Ando.

Leichtigkeit kann man dem neuen MoMA dennoch nicht wirklich attestieren. Eher strahlt es mehr noch als bisher aus, was zu seiner Rolle geworden ist: Powerhouse und Schiedsrichter der modernen Kunst zu sein und über den Dingen zu stehen. Von den Materialien über die grafische Identität bis zu der für amerikanische Verhältnisse ungewöhnlich hohen Verarbeitungsqualität im Detail sagt der Neubau über sich: „Du sollst keinen Zweiten neben mir haben.“ Und das mitten im Chaos von Midtown statt auf einem hehren Hügel und ohne billige Angebergeste: Das ist der eigentliche Kunstgriff des Architekten.

Yoshio Taniguchi (67), Sohn und Enkel von Architekten, Architekturstudium in Harvard, doch in Tokio verwurzelt, wirkt auch nicht wie jemand, der sich zu hochtrabender Expressivität hinreißen lässt. Eher führt er sie auf Augenhöhe zurück. „Wir haben keine Kinder“, sagt er. „Es ist, als wäre das MoMA-Projekt meine Tochter.“

Der Standard, Sa., 2004.11.20



verknüpfte Bauwerke
MoMA

20. November 2004Michael Freund
Der Standard

Manhattans Mikrokosmos

Herr Taniguchi, sind Sie erleichtert?
Yoshio Taniguchi: Ja. Ich bin in den letzten acht Jahren fast vierzigmal zwischen Tokio und New York hin- und hergeflogen,...

Herr Taniguchi, sind Sie erleichtert?
Yoshio Taniguchi: Ja. Ich bin in den letzten acht Jahren fast vierzigmal zwischen Tokio und New York hin- und hergeflogen,...

Herr Taniguchi, sind Sie erleichtert?
Yoshio Taniguchi: Ja. Ich bin in den letzten acht Jahren fast vierzigmal zwischen Tokio und New York hin- und hergeflogen, und das muss ich jetzt nicht mehr tun. Aber bin ich zufrieden? Wahrscheinlich nicht ganz. Es gibt immer noch etwas zu tun, auch bei so einem Projekt.

Würden Sie jetzt etwas anders machen?
Taniguchi: Das habe ich schon. Die Pläne wurden ja mehrmals geändert, weil der Grundriss sich geändert hatte. Wir reagierten darauf mit neuen Modellen. Die waren trotz Computer wichtig, weil wir so die Lichtverhältnisse und die Interaktion mit den Bauten rundum besser abschätzen konnten. Aber jetzt etwas ändern? Das geht nicht. Man kann ja bei einem Bau keine Rückholaktion veranstalten. Wir mussten das, was hier stehen würde, für eine kleine Ewigkeit planen.

Was hat Sie dabei geleitet?
Taniguchi: Die Tatsache, dass das MoMA ein Mikrokosmos von Manhattan ist und das auch zeigen soll - daher die Durchlässigkeit gegenüber der Stadt. Für einen Stadtplaner - und das waren wir alle als damals junge Architekten - wird an diesem Punkt ein Garten wichtig, als Mittler. Den gab es hier zum Glück schon, ich habe nur darauf geachtet, dass er wieder größer wurde.

Und was die Architektur selbst anbelangt?
Taniguchi: Architektonisch gesprochen - was ich nicht gerne tue (lacht) - habe ich keinen bestimmten Stil verfolgt. Heute werden gerne Kurven und gekrümmte Oberflächen entworfen, ich mag lieber einfache, grade Linien.

Was ja auch der Tradition der Moderne entspricht.
Taniguchi: Ja, aber würden heute alle Museen so gebaut, dann wäre mein Entwurf vielleicht doch kurviger geworden. Im Ernst: Natürlich soll der Entwurf die Botschaft der modernen Periode unterstützen.

Was haben Sie aus der Erfahrung mit dem MoMA gelernt?
Taniguchi: Vielleicht, dass Größe keine Rolle spielt? Unser nächstes Projekt - wir können nur eines nach dem anderen machen, unser Büro hat bloß 15 Mitarbeiter - ist sehr klein: das Asia House in Houston. Aber das ist nicht das Entscheidende.

Sondern?
Taniguchi: Entscheidend ist, dass Architektur immer nur ein Behälter ist. Eigentlich wie das
Museum selbst. Man kann es erst beurteilen, wenn man auch die Kunst und die Besucher sieht. Das ist wie eine Teetasse:
Erst wenn der Tee drinnen ist, erwacht die Tasse zum Leben.

Das MoMA ist Yoshio Taniguchis erster Bau außerhalb Japans.

Der Standard, Sa., 2004.11.20



verknüpfte Akteure
Taniguchi Yoshio

Alle 10 Texte ansehen

Presseschau 12

02. Dezember 2024Michael Freund
Spectrum

Der fast vergessene autokratische Stadtplaner von New York City

Über die Jahrzehnte hatte Robert Moses den Bau kreuzungsfreier Expressways und Parkways von insgesamt fast 1000 Kilometer Länge geplant und gepusht – und war dafür bejubelt worden: Doch dann kam vor 50 Jahren ein Buch heraus, das einen anderen Blick auf sein Schaffen warf: Robert Caros „The Power Broker“.

Über die Jahrzehnte hatte Robert Moses den Bau kreuzungsfreier Expressways und Parkways von insgesamt fast 1000 Kilometer Länge geplant und gepusht – und war dafür bejubelt worden: Doch dann kam vor 50 Jahren ein Buch heraus, das einen anderen Blick auf sein Schaffen warf: Robert Caros „The Power Broker“.

Robert Moses war kein Politiker. Er wurde weder in New York City noch im Staat New York je in ein Amt gewählt, hatte keine Ausbildung als Stadtplaner, Architekt oder Ingenieur. Doch in seiner vier Jahrzehnte währenden Karriere, von den 1920er-Jahren an, veränderte er die Infrastruktur der Metropole mehr als jeder der Bürgermeister und Gouverneure, mit denen er zu tun hatte.

Zwölf Brücken als Teil des Masterplans

Mit Titeln, die er sich zum Teil ausdachte und absegnen ließ, wie City Construction Coordinator, Chairman of the Power Authority of the State of New York, Chairman of the Mayor’s Committee on Slum Clearance und in neun weiteren Verwaltungsaufgaben, war Moses zuständig für Straßenbau, Parks, Bäder, für Dämme, Kraftwerke und öffentliche und private Wohnprojekte. Er kontrollierte den Bau des Shea Stadion und von Wohnungen für mehr als eine halbe Million New Yorker. Er war mitverantwortlich dafür, dass in den späten 1940er-Jahren das UN-Hauptquartier in der Stadt errichtet wurde und in den 1960er-Jahren das Lincoln Center und die World’s Fair. (Wer vom Kennedy-Flughafen auf dem Grand Central Parkway Richtung Manhattan unterwegs ist, kann heute noch den 60 Jahre alten riesigen Globus im Messepark sehen.) In den Parklandschaften, die in eines seiner Ressorts fielen – neben den städtischen Parks auch große Wälder und lange Küstenstreifen auf Long Island –, ließ er Seebäder, Sportanlagen und fast 700 Spielplätze errichten. Zwölf Brücken wurden unter seiner Aufsicht gebaut, manche mit bis zu 70 Stockwerken hohen Stützpfeilern (und eine, die Verrazzano Bridge, zu ihrer Zeit die längste Hängebrücke der Welt).

Diese Brücken waren Teil seines Masterplans. Denn vor allem sorgte Moses dafür, dass die expandierende Millionenstadt mit ihren zersiedelten Vororten zu einer autogerechten wurde. Über die Jahrzehnte plante und pushte er den Bau kreuzungsfreier Expressways und Parkways von insgesamt fast 1000 Kilometer Länge – und keine einzige neue Meile U-Bahn.

Autokratischer Stadtplaner

Wer verstehen will, wie New York zu der City herangewachsen ist, als die sie sich heute darstellt, mit den Autobahnen, die die Bezirke durchschneiden (mit Ausnahme Manhattans – darauf kommen wir noch zurück), mit dem ewig dahinsiechenden U-Bahnsystem, mit den vielen Parkanlagen, die in den wohlhabenderen Vierteln auffallend besser ausgestattet sind, mit den Hochbauten, die als Beseitigung von Elendsvierteln propagiert wurden und selber zu Slums gerieten; wer zudem einen Eindruck davon gewinnen will, wie man – in New York, aber auch anderswo – mit Politikern und gegen sie, mit Intrigen, Koalitionen, politischen Manövern oder schierem Druck Visionen durchsetzen und Macht erhalten und vergrößern kann: Wer also all dem nachgehen möchte, der stößt schließlich auf den Namen des Mannes, der als autokratischer Stadtplaner fast vergessen worden wäre.

Nach einigen Jahren erbitterter Machtkämpfe, vor allem gegen Gouverneur Nelson Rockefeller, verlor Moses 1968 seinen letzten und vielleicht wichtigsten Posten: die Leitung der Behörde, die die Maut aller Brücken und Autobahnen einnahm. Bald danach erinnerten nur noch nach ihm benannte Bauwerke an Robert Moses.

Stadt ging dem Bankrott entgegen

Doch 1974 veröffentlichte der Journalist Robert A. Caro ein Buch, das ihn wieder ins Rampenlicht stellte, wenn auch ganz anders, als er es gewohnt war, wie schon der Untertitel deutlich macht: „The Power Broker. Robert Moses and the Fall of New York“. Das Buch, fast 1300 Seiten lang, wurde zum überraschenden Best- und Dauerseller, mittlerweile in der 73. Auflage, allein voriges Jahr wurden 40.000 Stück verkauft. Es wurde nie ins Deutsche übersetzt. Anlässlich des 50-Jahr-Jubiläums ist allerdings ­einiges erschienen und veranstaltet worden, das den Zugang zu dem monumentalen Werk erleichtert. Bleiben wir zunächst bei dem Buch und seinem Autor. Caro war knapp 30 und schrieb für eine Regionalzeitung unter anderem über Bauprojekte am Long Island Sound. Ihm fiel auf, dass der Name Robert Moses immer wieder vorkam und der Mann offenbar eine wichtige Rolle spielte, obwohl er nie in eine politische Position gewählt worden war. Neun Monate wollte er auf seine Biografie verwenden. Es wurden sieben Jahre, und das Manuskript war auf über eine Million Wörter angewachsen. Während der ganzen Zeit, sagte Caro rückblickend, habe er sich fragen lassen müssen, wer denn ein Buch über Moses lesen solle – der Stadtplaner war in keinem seiner Ämter mehr, die Stadt ging dem Bankrott entgegen und hatte andere Sorgen.

Hinter Caros Rücken schickte seine Agentin das Manuskript dem „New Yorker“. So etwas Eindrucksvolles habe er noch nie gelesen, sagte dessen Chefredakteur, William Shawn, und druckte in vier äußerst langen Folgen fast ein Fünftel des Werkes im Magazin ab. Das Buch war also schon Tagesgespräch, bevor es überhaupt erschien, und bald danach galt es bereits als Klassiker. 1975 erhielt der Autor den Pulitzer-Preis, die erste von zahlreichen Ehrungen für eine Symbiose von investigativem Journalismus, akribischer Biografie und literarischer Eleganz, unglaublich detailreich und doch, kommt man erst einmal in den Fluss der Ereignisse, zu lesen wie ein Thriller.

Auf seine Art ein Genie

Wie Caro etwa die Erschließung von Long Island durch Autobahnen beschreibt: Er beginnt mit einer Art Landschaftsbild aus versunkenen Tagen, mit Kartoffelbauern auf den Äckern und Räuberbaronen in ihren Prachtvillen. Sie konnten sich alle nicht vorstellen, je von Auto fahrenden New Yorkern belästigt zu werden. Dann schildert er, wie Moses die Gegend erwanderte, da schmeichelte, dort drohte, sich überlegte, wo man Land billig bekam, wem man in die Quere kommen und wen man als Verbündete anheuern sollte, wie man an Gelder von Stadt, Staat oder Bund herankam, immer geleitet von der Vision, dass große Bauten, breite Straßen, Freizeitparks entstehen würden, wo jetzt Felder und Wälder waren. Auf seine Art sei er ein Genie gewesen, sagte Caro über ihn.

Noch ein Beispiel, ein beklemmendes, das viel vom Verfall der Metropole erzählt: Moses beschloss, dass eine seiner Autobahnen mitten durch ein intaktes Stadtviertel gehen würde. Der Cross Bronx Expressway war sein kostspieligstes und brutalstes Straßenbauprojekt. Zehntausende wurden aus ihren Häusern vertrieben und irgendwohin in die Stadt umgesiedelt. Was zum Fanal der Unbewohnbarkeit wurde, Stichwort South Bronx, hatte damals seinen Anfang. Caro suchte die Umgesiedelten auf und ließ sich ihre Geschichten erzählen: „Das häufigste Wort war ‚Einsamkeit’.“ Seiner konservativen Schätzung zufolge wurden wegen Moses’ Projekten insgesamt an die 500.000 New Yorker von ihren Wohnstätten entwurzelt.

Seinen Protagonisten beschreibt Caro als schillernde Figur, die sich vom idealistischen Reformer zum keinen Widerspruch duldenden Potentaten wandelte. Moses liebte Straßen und Autos, Parks und Schwimmbäder. Vor allem liebte er die Macht, seine Ideen nach Gutdünken umzusetzen. (Francis Ford Coppola modellierte die Figur des visionären Architekten Caesar Catilina in seinem neuen Film „Megalopolis“ nach Robert Moses.)

Parallelen zwischen New York und Beijing

Die Grenzen von Moses’ Macht zeigten sich erstmals, als er drei seiner Schnellstraßen quer durch Manhattan führen wollte. Gegen diese Pläne, insbesondere eine Stelzenautobahn durchs bukolische/dörfliche West Village und den Süden der Insel, war die Journalistin und Aktivistin Jane Jacobs bereits Jahre vor dem Erscheinen von „The Power Broker“ Sturm gelaufen. 1961 schrieb sie ein Buch mit Argumenten gegen Stadtplanung à la Moses und Le Corbusier, einen Bestseller, den es auch auf Deutsch gibt: „Tod und Leben großer amerikanischer Städte“. Es verwunderte daher, dass ihre letztlich erfolgreiche Agitation von Caro überhaupt nicht erwähnt wurde. Er entschuldigte sich immer wieder mit dem Argument, dass das ursprüngliche Manuskript noch viel länger gewesen sei und um 300.000 (!) Wörter gekürzt werden musste; dem sei unter anderem ein ganzes Kapitel über den Lower Manhattan Expressway und damit über Jane Jacobs zum Opfer gefallen, das verfolge ihn bis heute.

Zwischen dem New York von Robert Moses und dem Beijing der heutigen chinesischen Machthaber gebe es Parallelen, schrieb Bob Davis vor zwei Jahren in der Zeitschrift „Foreign Policy“. Korruption sei ähnlich weitverbreitet, „jeder ist angreifbar, sei es, weil er Bestechungsgelder anbietet, sie annimmt oder weil er von Bestechungsgeldern weiß, auch wenn er nicht mitspielt“.

Dass auch bei uns nicht alles den korrekten Weg geht und manches in Hinterzimmern ausgedealt wird, gerade bei Bauprojekten, bei denen es sich um Millionenbeträge handelt, davon kann man ausgehen. Immerhin aber ist Wien eine Westautobahn erspart geblieben, die von Hütteldorf bis zum Karlsplatz geführt und das urbane Gefüge zersägt hätte wie in der Bronx. Bei Caro kann man die Konsequenzen nachlesen wie unter einem Vergrößerungsglas, inklusive der alten, noch immer nicht berücksichtigten Binsenweisheit, dass, wo Straßen gebaut werden, sie sich bis zur Verstopfung füllen; die Tangente ist auch nur ein kleiner Neffe des Long Island Expressway.

Er starb verbittert

Zum 50-Jahr-Jubiläum der Veröffentlichung rückt „The Power Broker“ auf mehrere Arten wieder ins Rampenlicht. Im Oktober würdigte die „New York Times“ Robert Caro in einem ausführlichen Porträt und leistete Abbitte, gehörte sie doch in den Zeiten von Moses’ Herrschaft zu der „unterwürfigen Presse“, die ihm zujubelte. Bis zum 2. Februar ist in der New York Historical Society in Manhattan „The Power Broker“ at 50 zu sehen, eine Ausstellung mit Archivmaterialien, Objekten und Videointerviews (auch unter www.nyhistory.org). Es gibt eine weitere Hommage zum Jubiläum, die den Zugang zum Buch erleichtert, wenn man sich nicht durch die fast zwei Kilogramm des „Power Broker“ durcharbeiten will. Die Gestalter des Podcasts „99 Percent Invisible“ produzieren derzeit eine zehnteilige Serie, in der sie alle Kapitel aus dem Buch diskutieren, jeweils mit einem Interviewpartner (99percentinvisible.org/club/).

Moses erlebte die Veröffentlichung von Caros Buch, für ihn war es nur eine Serie von Diffamierungen und Unwahrheiten. Er starb 1981, verbittert über die Undankbarkeit der Menschen. Da arbeitete Robert Caro bereits an einem vielleicht noch eindrucksvolleren Opus magnum: einer mehrbändigen Biografie des Präsidenten Lyndon B. Johnson. Vier Bände, mehr als 3000 Seiten, sind erschienen. Ein kurzer Auszug aus dem vierten kam bei Suhrkamp heraus. Unermüdlich arbeitet Robert Caro am fünften und letzten Band. Nächsten Oktober wird er 90.

Spectrum, Mo., 2024.12.02

19. Februar 2011Michael Freund
Der Standard

Die Gesichter der Bauten

Das Schöne ist, dass der Begriff „Fassade“ ebenso zu literarischen und ästhetischen Betrachtungen führen kann wie zu handfesten technischen Fachsimpeleien....

Das Schöne ist, dass der Begriff „Fassade“ ebenso zu literarischen und ästhetischen Betrachtungen führen kann wie zu handfesten technischen Fachsimpeleien....

Das Schöne ist, dass der Begriff „Fassade“ ebenso zu literarischen und ästhetischen Betrachtungen führen kann wie zu handfesten technischen Fachsimpeleien. Was „nur“ Fassade ist, oder was vielmehr ein Haus von seiner schönsten Seite annonciert, lässt sich anhand von Querschnittsdarstellungen („Außenecke mit Metallprofil“) diskutieren oder auch fotografisch überhöhen. All das vereinigt eine Neuerscheinung in sich: Mit Fassaden aus Holz rückt proHolz, die Arbeitsgemeinschaft der Holzwirtschaft, die vielfältigen Möglichkeiten dieses Materials ins Bild, in viele Bilder. Bretter, Schindeln, Latten, Furnierschichten und Schalungen fügen sich zu den erstaunlichsten Bauten, werden als Visitenkarten der Besitzer gepflegt, verwandeln sich mit den Jahren und dem Regen - so wie auch der Einband des Buches: eine würdevoll ergraute Bretterwand, eine elegante Fassade des Inhalts.

Der Standard, Sa., 2011.02.19



verknüpfte Publikationen
Fassaden aus Holz

25. April 2009Michael Freund
Der Standard

15 Jahre Architektur, im Karton verpackt

Teil fünf der Serie über die 15 schönsten: Christian Kühns „Ringstraße ist überall. Texte über Architektur und Stadt“

Teil fünf der Serie über die 15 schönsten: Christian Kühns „Ringstraße ist überall. Texte über Architektur und Stadt“

Nach 1989, seit der Öffnung des Ostens, habe Wien eine städtebauliche Chance gehabt und nur ungenügend genutzt. Denn „Ringstraße ist überall“, schreibt Christian Kühn, „auch dort, wo die Stadt ihre Zukunft noch vor sich hätte, wird sie inzwischen von den Bildern der Vergangenheit infiziert.“ Der Architekturkritiker und TU-Wien-Professor Kühn hat das Baugeschehen seit damals begleitet und kommentiert. Letztes Jahr sind seine in der Presse veröffentlichten Texte als Sammelband erschienen. In umgekehrter chronologischer Reihenfolge lässt sich in Ringstraße ist überall nachlesen, was von 1992 bis 2007 in Wien und anderswo geplant, gebaut, ausgestellt, verworfen, verbessert oder verunstaltet wurde. Kühn bezeichnet das von Erwin K. Bauer und Manuel Radde gestaltete Buch als „kondensierte Tageszeitung“. In der Tat spielen Überschriften, Bildunterschriften und Erscheinungsdaten eine grafisch auffallende Rolle.

Die Fotos - von Fachprofis wie Spiluttini oder dem Autor selbst, aber auch mal mit Selbstauslöser gemacht - sind vergleichsweise zurückhaltend eingesetzt und in architekturklassischem Schwarz-Weiß. Überhaupt beschränkt sich Ringstraße ist überall auf Schwarz-Weiß - und das Hellbraungraue des Kartons, der Vorder- und Rückseite verstärkt. Wir sind diesem Gestaltungselement schon in einem anderen preisgekrönten Buch aus dem Springer-Verlag begegnet (Finks Erotone Leibesübung) und werden noch einmal Gelegenheit dazu haben. Dem vorliegenden Werk hat die vom Hauptverband des österreichischen Buchhandels eingesetzte Jury sogar einen der dreiStaatspreise für die schönsten Bücher des Jahres zugesprochen. Insbesondere lobte sie die „Typostilelemente der Sechzigerjahre, gesehen mit den Augen der Jetztzeit“. Dem ist nur begrenzt zuzustimmen, vielleicht in dem Sinn, dass Pionierleistungen von Willi Fleckhaus (twen) oder George Lois (Esquire) bis heute nachwirken. Ansonsten aber ist jenes Jahrzehnt bei einem Sammelband der letzten 15 Jahre nicht gerade am Platz und in der Tat auch nicht besonders präsent. Vielmehr lebt das Buch inhaltlich und grafisch durchaus durch die und in der Gegenwart.

[ Christian Kühn, „Ringstraße ist überall. Texte über Architektur und Stadt“. EUR 35,95 / 428 Seiten. Springer, Wien, New York 2008. ]

Der Standard, Sa., 2009.04.25



verknüpfte Publikationen
Ringstraße ist überall

21. März 2009Michael Freund
zuschnitt

Otis, Sullivan und Freud.

Es ist der uralte Blick nach oben: Wenn die Ägypter ihre Könige in Bauten begruben, so hoch, dass nicht einmal der Jahrtausende später errichtete Stephansdom...

Es ist der uralte Blick nach oben: Wenn die Ägypter ihre Könige in Bauten begruben, so hoch, dass nicht einmal der Jahrtausende später errichtete Stephansdom...

Es ist der uralte Blick nach oben: Wenn die Ägypter ihre Könige in Bauten begruben, so hoch, dass nicht einmal der Jahrtausende später errichtete Stephansdom an die mächtigsten von ihnen heranreichte; wenn ihrerseits die gotischen Kirchen näher zu Gott strebten und gleichzeitig in Konkurrenz zu den weltlichen Fürsten traten, die ihren Einflussbereich weithin sichtbar architektonisch markierten; wenn sogar kleine Kinder mit ihren Bauklötzen unweigerlich vertikale Wettkämpfe veranstalten, dann wollen sie alle den Mühen der Ebene enthoben sein. Wenn wir schon nicht fliegen können, wenigstens sehen wir Dinge von oben – und werden von unten gesehen.

Es mag gerade mal hundert Jahre her sein, dass die ersten Wolkenkratzer gebaut wurden. Schon viel früher aber richteten sich die Menschen vertikal bis in erstaunliche Höhen ein. Im alten Rom gab es Gebäude mit über zehn Stockwerken. Die Lehmziegelhäuser aus dem 16. Jahrhundert im jemenitischen Schibam sind ebenso hoch. Auch nicht mehr Stockwerke hatte das Home Insurance Building, das 1885 in Chicago errichtet wurde. Und es war auch nicht das erste Haus mit einem Stahlskelett – eine vergleichbare Konstruktion aus gusseisernen Säulen und Trägern stand bereits hundert Jahre früher im englischen Shrewsbury. Doch erst in Chicago kristallisierte sich, verstärkt durch Platznot, der Drang in die Vertikale in Reinkultur heraus. Seinen architektonischen Ausdruck fand er in den Gebäuden von Louis Sullivan, der die Höhe seiner Gebäude durch senkrechte Bänder unterstrich. (Er war es auch, der den berühmten Satz „Form follows function“ schrieb, und zwar in einem Aufsatz über künstlerische Überlegungen zum Bürohochhaus.)

Sullivan und die ganze Chicagoer Schule, die Wiege der Skyscrapers, hätten aber nicht bauen können ohne die geniale Erfindung von Elisha Graves Otis. Er hatte den absturzsicheren Aufzug konstruiert und den Menschen die Angst genommen, sich in einem schwebenden Kasten in schwindelnde Höhen befördern zu lassen. So aber gab es kein Halten mehr. Je solider und höhentauglicher die Stahlskelettbauten wurden, desto schneller und höher reichend wurden die entsprechenden Aufzüge (und noch heute steht global mehrheitlich „Otis“ auf ihnen).

Ihren schönsten und vielfältigsten Ausdruck erreichte die Wolkenkratzerarchitektur in der Zwischenkriegszeit in New York. Da blühten die Stilzitate vom Klassizismus bis zur Moderne, da wechselten sich pseudogotische Krönungen mit wuchtigen Bollwerken ab, und über allem strahlte die vom Geschwindigkeitsrausch inspirierte Art Déco, am reinsten verkörpert im Chrysler Building, das für kurze Zeit das höchste Haus der Welt war, bis es vom Empire State Building mit seiner auch nicht gerade langweiligen Spitze entthront wurde.

New York ist eine vertikale Stadt, sagte Le Corbusier, eine schöne Katastrophe. Ersterem stimmte der deutsche Fotograf Reinhart Wolf zu – das mit der Katastrophe wollte er widerlegen. In den frühen siebziger Jahren gelangen ihm mit einer riesigen Plattenkamera, extremen Tele-Brennweiten und viel Geduld die unwahrscheinlichsten Bilder von den supertall buildings der Stadt – unwahrscheinlich deshalb, weil er hauptsächlich die Spitzen der Gebäude von anderen Spitzen aufnahm, also einen Blickwinkel herstellte, der den meisten Bürgern zu ebener Erde unzugänglich ist. Es kamen die verschwenderischsten Details zum Vorschein, die zeigten, dass Bauherren damals auch Mäzene eines ästhetischen Surplus waren, einer quasi sinnlosen Schönheit: Die Form folgte keineswegs nur mehr der Funktion, sondern verselbständigte sich.

Das hatte mit dem Aufkommen des Internationalen Stils ein abruptes Ende. Das meiste, das seit dem Zweiten Weltkrieg gebaut wird, sieht tatsächlich aus wie die hochgestellten Schuhschachteln, über die Tom Wolfe sich mokierte. Auch die nach seiner Zerstörung sofort zum Mythos erhobenen Türme des World Trade Center waren ungeliebte, arrogante Fremdkörper in der Skyline des Finanzdistrikts.

Bleibt die Frage nach dem Sinn immer höherer Gebäude – der auf 818 Meter geplante Burj Dubai wird gerade gebaut, der Al Burj könnte mehr als einen Kilometer hoch werden, wenn er die Wirtschaftskrise überlebt. Kompletter Wahnsinn, sagt jeder Häuslbauer – und nicht nur der. Dem stehen interessanterweise ökologische Argumente entgegen – wobei sich die Grenze, ab wie vielen Stockwerken die Verdichtung und die damit verbundenen Ersparnisse in Verteuerungen umschlagen, je nach Parameter ständig verschiebt; wer weiß, vielleicht ist der Burj Dubai grüner als das Häuschen an der Stadtgrenze.

Jenseits der rationalen Erwägungen aber wird dem Drang ins Vertikale von psychoanalytischer, gender-geschulter und sonstwie kulturwissenschaftlicher Seite genau das entgegengehalten: dass er eine ins Groteske sublimierte Erektion sei, Phallokratie der schlimmsten Sorte. Damit stehen Skyscrapers in Reih und Glied, sozusagen, mit Bananen, Raketen, Füllfedern, Jaguar E-Types, Lippenstiften und der Freud’schen Zigarre. Andererseits jedoch – apropos – ließe sich Freud hier paraphrasieren: Manchmal ist ein Wolkenkratzer nur ein Wolkenkratzer.

zuschnitt, Sa., 2009.03.21



verknüpfte Zeitschriften
zuschnitt 33 Holz stapelt hoch

01. März 2008Michael Freund
Der Standard

Architektur, die sich nach vorn lehnt

Gebäude, die aufstehen und „neu- und blickgierig“ in die Landschaft schauen, auf Stelzen, vorwärts gebeugt, zum Sprung bereit. Verständlich, dass sich...

Gebäude, die aufstehen und „neu- und blickgierig“ in die Landschaft schauen, auf Stelzen, vorwärts gebeugt, zum Sprung bereit. Verständlich, dass sich...

Gebäude, die aufstehen und „neu- und blickgierig“ in die Landschaft schauen, auf Stelzen, vorwärts gebeugt, zum Sprung bereit. Verständlich, dass sich das Architektenduo Andreas und Gerda Maria Gerner „offen dazu (bekennt), dass das Periskop unsere Lieblingsform ist“. Welches der 20 in diesem Buch versammelten Projekte man auch betrachtet, egal aus welchem Blickwinkel, ob als Grundriss, Rendering oder fertiggestellt und fotografiert: Die reine, orthogonale Schachtel ist selten, das Ansteigende, Hinauswachsende fast die Regel. Seit mehr als zehn Jahren entwickeln der Salzburger und die Burgenländerin eine Formensprache weiter, die sehr wohl bei Codes der Moderne anknüpft, aber sich nicht nehmen lässt, auch über sie hinwegzusegeln.

Berge und Ebene - die Herkunftsländer - sieht Wolfgang Vasko in seinem Vorwort als geniales Zusammenspiel, dazu komme ein verantwortungsvolles Auge auf die Bewohnbarkeit der Häuser, Eigenheime, An- und Ausbauten der Gerners. Nicht zu vergessen ihr Entwurf für das Weingut Hillinger, mit dem wieder einmal gezeigt wurde (und die Innen- und Außenaufnahmen aus unterschiedlichen Perspektiven bestätigen es): „architecture sells“.

Wie aber verkauft man Architektur in Buchform? Zum Beispiel mithilfe der einfachen und wirkungsvollen Idee, durch einen Schrägschnitt des Bodens das Buch im Regal sich nach vorn lehnen zu lassen - Form ist Inhalt. Und das ist erst der Anfang. Der Umschlag kann auf einen Meter Panorama aufgeklappt werden und zeigt silbergrau das Hillinger-Projekt in seiner ganzen Breite. Dass der Inhalt hält, was die extravagante Buchgestaltung von Gabriele Lenz (Büro für visuelle Gestaltung) andeutet, dafür zeichnete der Architekturkritiker (im Standard und anderswo) Wojciech Czaja verantwortlich. Er führt die periscope architecture des Duos von den neuesten, beim Druck noch nicht realisierten Entwürfen chronologisch zurück bis zu ihrem frühen Haus im 22. Wiener Bezirk (1996). Die „ästhetisch bereichernde Begegnung“ (Clarissa Stadler) mit den Bauten gelingt auch zweidimensional. Der Hauptverband des Österreichischen Buchhandels sah das auch so. Er zeichnete periscope architecture als eines der schönsten Bücher 2007 aus.

Der Standard, Sa., 2008.03.01



verknüpfte Publikationen
Periscope Architecture

10. November 2005Michael Freund
Der Standard

Erinnerung und Gedächtnis an einem fast lieblichen Ort

Die Aufgabe lautet: die Aufmerksamkeit auf etwas zu lenken, was in der Wirklichkeit nicht mehr sichtbar und vorstellbar ist. Nach Lösungen suchen die Erbauer von Mahnmalen und Gedächtnisstätten seit jeher

Die Aufgabe lautet: die Aufmerksamkeit auf etwas zu lenken, was in der Wirklichkeit nicht mehr sichtbar und vorstellbar ist. Nach Lösungen suchen die Erbauer von Mahnmalen und Gedächtnisstätten seit jeher

Einen Umgang mit dem Thema an besonders schwieriger Stelle präsentierten zwei Architekten am Dienstagabend im Wiener Freud-Museum: Karl Peyer-Heimstätt und Christoph Schwarz von der Bürogemeinschaft MSPH waren mit der Errichtung des Besucherzentrums bei der Gedenkstätte Mauthausen beauftragt worden und zogen ein Resümee über ihr Projekt.

Viele Kräfte lasten und zerren am Ort des ehemaligen Vernichtungslagers: von der Anordnung der Sowjets, dass Mauthausen zu erhalten sei, über Eingriffe in die Bausubstanz und die Errichtung verschiedenster Denkmäler bis zu gestalterischen Details.

Um architektonische Maximen ging es zunächst auch in der von Michael Kerbler (Ö1) geführten Diskussion. Die beiden Hollein-Schüler begründeten die Wahl von Materialien wie Sichtbeton („wertneutral“) und großen Glaswänden. Sie zeigten Blickachsen und Fluchtpunkte, die den zur Durchschleusung von Besuchergruppen optimierten, wie üblich mit Archiv, Ausstellungsfläche und „Bookshop“ versehenen Bau mit dem eigentlichen Mauthausen verbinden sollen.

Pforte zur Hölle

Der Fachdiskurs wich aber in der Debatte mit dem Publikum bald grundlegenden Fragen. Was hat der Ort mit der Vermittlung von Erinnerung zu tun? Kann er sie überhaupt leisten, ist dafür nicht ein virtueller Raum besser, während man die unmittelbare Anschauung auf die Baracken und den Stacheldraht beschränken sollte? Aber, warf hier Friedrich Achleitner ein, unvermittelt sei Mauthausen inzwischen ein fast „lieblicher Ort in wunderschöner Landschaft“ geworden (wenn nicht aus gewisser Entfernung immer schon gewesen) - daher sei der Bau des Zentrums nötig gewesen. Doch die Kritiker hakten mit dem Argument nach, dass eine Vermittlung des Grauens auf der Ebene wertneutraler Architektur gar nicht möglich sei. Was wiederum, so die Antwort, nicht bedeuten darf, dass man gar nicht erst versuchen solle, etwa den anreisenden Schülern ein Ahnung von der Geschichte des Lagers zu geben.

„Wie konstruiert man eine Pforte zur Hölle?“, so definierte Lutz Musner vom mitveranstaltenden Internationalen Forschungszentrum Kulturwissenschaften IFK die Probleme der Architekten. Die aber konnten auch nur auf den immer stärker analytischen Blick zurückverweisen: In Wirklichkeit entschwindet die Substanz „Mauthausen“ mit den letzten Überlebenden.

Dass aber ein Teil der Gebäude, vor allem im Nebenlager Gusen, heute in Privatnutzung steht, das - so eine Publikumsstimme - sei der eigentliche Skandal und gebe eine guten Einblick in den Umgang des Nachkriegsösterreich mit Stätten des Grauens.

Der Standard, Do., 2005.11.10



verknüpfte Bauwerke
Besucherforum KZ-Gedenkstätte Mauthausen

20. November 2004Michael Freund
Der Standard

Die Leichtigkeit eines Monuments

Die Kathedrale der Moderne steht wieder ohne Gerüst. New Yorks MoMA hat durch den japanischen Architekten Yoshio Taniguchi eine Erweiterung und Aufwertung zugleich erfahren. Aus New York berichtet Michael Freund.

Die Kathedrale der Moderne steht wieder ohne Gerüst. New Yorks MoMA hat durch den japanischen Architekten Yoshio Taniguchi eine Erweiterung und Aufwertung zugleich erfahren. Aus New York berichtet Michael Freund.

Yoshio who? Vor acht Jahren, als er den Zuschlag bekam, war der Architekt Taniguchi nur Insidern als Schöpfer von mehreren beachtlichen Museumsbauten in seinem Heimatland Japan bekannt. Doch jetzt, wo die Eröffnung des von ihm erweiterten und neu gestalteten New Yorker Museum of Modern Art über die Bühne gegangen ist (am heutigen Samstag kann das Publikum es endlich stürmen), jetzt wird er als Liebling seiner Auftraggeber gefeiert. Er habe tatsächlich das Museum wieder in den Hintergrund treten lassen, „als ob es sich in dünne Luft auflösen würde“, wie die New York Times schwärmte. Und Glenn D. Lowry, MoMA-Chef und Auftraggeber, legte noch eins drauf: „Yoshio hat einen nahtlosen Fluss zwischen dem öffentlichen und dem Museumsraum geschaffen.“

Das stimmt Gott sei Dank nur zum Teil. Denn schon in sich ist der Bau nicht ohne Nähte und Brüche und sollte es auch gar nicht sein. Die Moderne, die er enthält und zur Diskussion stellt, ist nicht zuletzt durch das Widersprüchliche, Ungleichzeitige, Gebrochene gerade in einer Stadt wie New York charakterisiert.

Die Baugeschichte des MoMA reflektiert das. Als ob es ein Gesetz wäre, wird es ungefähr alle 20 Jahre generalüberholt und erweitert. 1964 ergänzte Philip Johnson seine erste eigene Heimstatt (zuvor hauste das vor genau 75 Jahren eröffnete Museum in Provisorien). 1984 setzte Cesar Pelli einen langweiligen Wolkenkratzer drauf, dessen Vermietung allerdings für ein beträchtliches Jahreseinkommen sorgt. Die nunmehrige Ergänzung belässt Stile und Materialien in ihrer teilweisen Dissonanz nebeneinander, ergänzt sie durch neue (perfekt glatter schwarzer Granit, grau und weiß quer gestreiftes Glas, geripptes Aluminium) und schafft so eine Galerie der Lesarten, eine Geschichte moderner Architektur - ohne Postmoderne, da hat sich Taniguchi bewusst zurückgenommen (siehe Interview).

Und er hat die ganze Anlage neu konfiguriert, indem er den Skulpturengarten zum Mittelpunkt zwischen Education-Wing, sechsstöckigem Galerienbau und Restaurant gemacht und zur benachbarten 54. Straße hin geöffnet hat, die früher hinter hohen Mauern nur als Lärm präsent war. Nun kann man bereits von hier aus das legendäre Pininfarina-Coupé Cisitalia, einziges Auto der Designsammlung, hinter Glas im zweiten Stock rot leuchten sehen - ebenso wie die Besucher durch Skylights, schräge Öffnungen und überraschende Durchreichen auf den Trump Tower blicken können, auf die St.-Thomas-Kirche, alte Brownstone-Gebäude oder das kecke Chippendale-Häubchen von Johnsons AT&T-Hochhaus.

Austausch in der Tat, und Taniguchi hat diese Idee in den Galeriestockwerken fortgesetzt, wo nun quer durch das enorm hohe Atrium Perspektiven und Bezüge möglich werden, die in der linearen Einkastelung des Vorgängerbaus nicht gelingen konnten. Die Sammlung ist luftiger geworden. Die Architektur auch, wie MoMA-Architekturkurator Terence Riley im Gespräch mit dem STANDARD betonte: „Es ging darum, den Bau quasi zu dematerialisieren. Je weniger man sah, umso teurer wurde es. Zum Beispiel hat Yoshio die Böden bzw. Decken schmäler werden lassen, indem er die Stahlträger anbohrte und daher bestimmte Leitungen durch sie statt unter sie legen konnte.“ Riley, der mit dem Architekten eng zusammenarbeitete, schätzt dessen „Abstraktheit“ („wie bei Italo Calvino: eine verschwindende Leichtigkeit“) und vergleicht sie mit der eher erdigen, schwereren Herangehensweise von Tadao Ando.

Leichtigkeit kann man dem neuen MoMA dennoch nicht wirklich attestieren. Eher strahlt es mehr noch als bisher aus, was zu seiner Rolle geworden ist: Powerhouse und Schiedsrichter der modernen Kunst zu sein und über den Dingen zu stehen. Von den Materialien über die grafische Identität bis zu der für amerikanische Verhältnisse ungewöhnlich hohen Verarbeitungsqualität im Detail sagt der Neubau über sich: „Du sollst keinen Zweiten neben mir haben.“ Und das mitten im Chaos von Midtown statt auf einem hehren Hügel und ohne billige Angebergeste: Das ist der eigentliche Kunstgriff des Architekten.

Yoshio Taniguchi (67), Sohn und Enkel von Architekten, Architekturstudium in Harvard, doch in Tokio verwurzelt, wirkt auch nicht wie jemand, der sich zu hochtrabender Expressivität hinreißen lässt. Eher führt er sie auf Augenhöhe zurück. „Wir haben keine Kinder“, sagt er. „Es ist, als wäre das MoMA-Projekt meine Tochter.“

Der Standard, Sa., 2004.11.20



verknüpfte Bauwerke
MoMA

20. November 2004Michael Freund
Der Standard

Manhattans Mikrokosmos

Herr Taniguchi, sind Sie erleichtert?
Yoshio Taniguchi: Ja. Ich bin in den letzten acht Jahren fast vierzigmal zwischen Tokio und New York hin- und hergeflogen,...

Herr Taniguchi, sind Sie erleichtert?
Yoshio Taniguchi: Ja. Ich bin in den letzten acht Jahren fast vierzigmal zwischen Tokio und New York hin- und hergeflogen,...

Herr Taniguchi, sind Sie erleichtert?
Yoshio Taniguchi: Ja. Ich bin in den letzten acht Jahren fast vierzigmal zwischen Tokio und New York hin- und hergeflogen, und das muss ich jetzt nicht mehr tun. Aber bin ich zufrieden? Wahrscheinlich nicht ganz. Es gibt immer noch etwas zu tun, auch bei so einem Projekt.

Würden Sie jetzt etwas anders machen?
Taniguchi: Das habe ich schon. Die Pläne wurden ja mehrmals geändert, weil der Grundriss sich geändert hatte. Wir reagierten darauf mit neuen Modellen. Die waren trotz Computer wichtig, weil wir so die Lichtverhältnisse und die Interaktion mit den Bauten rundum besser abschätzen konnten. Aber jetzt etwas ändern? Das geht nicht. Man kann ja bei einem Bau keine Rückholaktion veranstalten. Wir mussten das, was hier stehen würde, für eine kleine Ewigkeit planen.

Was hat Sie dabei geleitet?
Taniguchi: Die Tatsache, dass das MoMA ein Mikrokosmos von Manhattan ist und das auch zeigen soll - daher die Durchlässigkeit gegenüber der Stadt. Für einen Stadtplaner - und das waren wir alle als damals junge Architekten - wird an diesem Punkt ein Garten wichtig, als Mittler. Den gab es hier zum Glück schon, ich habe nur darauf geachtet, dass er wieder größer wurde.

Und was die Architektur selbst anbelangt?
Taniguchi: Architektonisch gesprochen - was ich nicht gerne tue (lacht) - habe ich keinen bestimmten Stil verfolgt. Heute werden gerne Kurven und gekrümmte Oberflächen entworfen, ich mag lieber einfache, grade Linien.

Was ja auch der Tradition der Moderne entspricht.
Taniguchi: Ja, aber würden heute alle Museen so gebaut, dann wäre mein Entwurf vielleicht doch kurviger geworden. Im Ernst: Natürlich soll der Entwurf die Botschaft der modernen Periode unterstützen.

Was haben Sie aus der Erfahrung mit dem MoMA gelernt?
Taniguchi: Vielleicht, dass Größe keine Rolle spielt? Unser nächstes Projekt - wir können nur eines nach dem anderen machen, unser Büro hat bloß 15 Mitarbeiter - ist sehr klein: das Asia House in Houston. Aber das ist nicht das Entscheidende.

Sondern?
Taniguchi: Entscheidend ist, dass Architektur immer nur ein Behälter ist. Eigentlich wie das
Museum selbst. Man kann es erst beurteilen, wenn man auch die Kunst und die Besucher sieht. Das ist wie eine Teetasse:
Erst wenn der Tee drinnen ist, erwacht die Tasse zum Leben.

Das MoMA ist Yoshio Taniguchis erster Bau außerhalb Japans.

Der Standard, Sa., 2004.11.20



verknüpfte Akteure
Taniguchi Yoshio

13. September 2001Michael Freund
Der Standard

Den Stadtraum beherrschen

Das World Trade Center war ebenso sehr Metapher wie massiver Bau, finanzielles wie phallisches Projekt - und damit eine ideale Zielscheibe.

Das World Trade Center war ebenso sehr Metapher wie massiver Bau, finanzielles wie phallisches Projekt - und damit eine ideale Zielscheibe.

„Wolkenkratzer bauen kommt in Friedenszeiten einem Krieg am nächsten.“ W. Starrett, Skyscrapers & the Men Who Build Them, 1928 „Das World Trade Center ist ein lebendes Symbol dafür, dass sich die Menschheit dem Welt- frieden widmet.“ Minoru Yamasaki, Architekt des WTC, 1974


Selbst in dem an Superlativen gesättigten New York hatte der Wolkenkratzer eine Ausnahmestellung. Zahlen allein können nicht ermessen, wofür er stand. Am World Trade Center kristallisierten sich Anmaßung und Durchsetzungswille von Planern, Liebe und Hass gegenüber dem Urbanen wie an wenigen anderen Gebäuden der letzten Jahrzehnte. Die finanzielle wie die phallische Dimension, die ästhetischen wie die allegorischen Wirkungen dieses Baus konnte man ahnen, wenn man davor stand. Klarer wurden sie, wenn man den Blick von weiter weg auf die beiden Türme warf - sei es aus der Entfernung einiger Kilometer, wenn sie alles um sich herum schrumpfen ließen und monoman den Stadtraum beherrschten, sei es aus dem Kontext der Geschichte dieses Kolosses.

Mit dem Bau des WTC sollte viel bewiesen werden. Seit den 50er-Jahren gab es die Idee, dem bis dahin höchsten Gebäude der Stadt etwas entgegenzusetzen. Dieses war nach dem Staat New York, dem Empire State, benannt und stand am Rand von Midtown, dem Geschäftszentrum von Manhattan. Das neue sollte das Finanzzentrum ganz im Süden beherrschen, natürlich höher sein - taller is better - und sozusagen nach der ganzen Welt benannt werden. Nach langwierigen Grundstück-Deals mit den Rockefellers entschieden sich die Bauherren für einen Platz am Rande des Hudson, und 1969 begann der Bodenaushub.

Die Erde und der Felsen, die Platz machen mussten, wurden in den Strom gekippt, dorthin, wo vorher der Hafen der Stadt verfallen war: Statt des ehemaligen Handelsplatzes schuf man mit faustischer Geste zehn Hektar neues Land und besetzte es mit riesigen WTC-Satellitenbauten. Vorher aber wuchsen die Zwillingstürme in die Höhe, so schnell, dass man ihnen buchstäblich dabei zusehen konnte: Die Verantwortlichen führten vor, dass der Bau eines Wolkenkratzers eine militärisch organisierte Logistik verlangt, und kaum zuvor wurden so viele Kubikmeter so schnell und, wie es bis vorgestern schien, so sicher in den Raum gesetzt wie mit diesem „Welthandelszentrum“.

Seine schiere Präsenz fachte die Diskussion um die Sinnhaftigkeit von Wolkenkratzern an und erdrückte sie quasi zugleich. Schon vorher hatte man darüber gestritten, ob die Gebäude ab einer gewissen Höhe sich überhaupt noch rentierten, und tatsächlich trat dies nur ein, wenn die Grundstücke günstig, die Büros vermietet und die Mieten hoch waren. Doch auch wenn dies nicht der Fall war: Sie standen nun mal da und erfüllten noch andere, weniger rationale Anforderungen.

Mit very tall buildings konnten sich Bauherren ein deutlich herausragendes, womöglich noch nach ihnen (Chrysler, Seagram, Rockefeller etc.) benanntes Monument leisten. Eine feministisch inspirierte Kritik setzte an diesem Aspekt an und brauchte nur die Nebenwirkungen der Bauten auf Licht und Mikroklima in der Umgebung, auf Infrastruktur und Verkehrssituation zu addieren: Das Gesamtimage eines lebensfeindlichen Bauprinzips ergab sich wie von selbst.

Andererseits ist die Freude der New Yorker über Superlative nicht zu unterschätzen. Als das World Trade Center 1974 417 Meter hoch da stand, definierte es nicht nur die Skyline der Stadt neu. Es gehörte sehr bald zum Identitätsbaukasten ihrer Bewohner. Der Autor diese Zielen lebte damals in New York, als die Architekturkritik sich bemühte, dem gigantischen Zweckbau einen ästhetischen Zusatznutzen abzugewinnen: Als „gotisch“ wurden die seltsamen Spitzbögen im untersten Zehntel gewürdigt, und in dem öffentlichen Raum zwischen den Türmen wähnte man etwas „San-Marco-haftes“ wie in Venedig. Quatsch, hatte Frank Lloyd Wright Jahrzehnte vorher gesagt: „Wolkenkratzer haben kein höheres Ideal als den geschäftlichen Erfolg.“

Wie auch immer, die symbolhafte Aufgeladenheit des Baus regte die, die unter ihm lebten, zu extremen Aktionen an. Kaum standen die Türme, balancierte der französische Seiltänzer Philippe Petit vom einen zum anderen, und drei Jahre später kletterte George Willig aus Brooklyn entlang den senkrechten Schienen an der Außenwand bis zum 110. Stock. Beide wurden verhaftet, aber beide hatten die Sympathien der New Yorker, die wieder einmal die Chuzpe in ihrer Stadt bewiesen sahen. Die Kampagne für Willig war so nachdrücklich, dass der auf 750.000 Dollar verklagte Mann schließlich mit 1,10 Dollar Strafe davonkam - einen Cent für jeden Stock . . .

Erst durch den Bombenanschlag 1993 merkte man, dass die Hybris aus Größe, Massivität und „Welthandels“-Anspruch zur Zielscheibe geworden war. In einem Krieg um Symbole hätten sich die Gegner am vergangenen Dienstag kein besseres Objekt aussuchen können.

Der Standard, Do., 2001.09.13



verknüpfte Bauwerke
World Trade Center

22. Juli 2000Michael Freund
Der Standard

Brücke um Gottes Lohn

Wenn das Geld fehlt, kann reine Begeisterung Brücken bauen. Die Begeisterung ist an dem heißen Juniabend in Sarajewo mit Händen zu greifen; lokale und EU-Politiker, der Präsident der bosniakisch-kroatischen Föderation und der Hohe Repräsentant, Kulturräte, Kuratoren und Kunststudenten drängen in das ehemalige Museum der Revolution, einen durch den Krieg arg mitgenommenen Kubus zwischen alter und neuer Stadt. Sie wollen sehen, was vorläufig nur als Entwurf an die Wand gepinnt ist: das neueste Projekt des italienischen Architekten Renzo Piano. Und sie wollen ihn hören. „Das Museum, das auf diesem Gelände entstehen soll“, sagt er, „sehe ich als Symbol einer Wiedervereinigung, wo bisher Teilung und Zerstörung geherrscht haben“, gerade hier, direkt an der Zmaja od Bosne, der berüchtigten ehemaligen „Sniper Alley“.

Wenn das Geld fehlt, kann reine Begeisterung Brücken bauen. Die Begeisterung ist an dem heißen Juniabend in Sarajewo mit Händen zu greifen; lokale und EU-Politiker, der Präsident der bosniakisch-kroatischen Föderation und der Hohe Repräsentant, Kulturräte, Kuratoren und Kunststudenten drängen in das ehemalige Museum der Revolution, einen durch den Krieg arg mitgenommenen Kubus zwischen alter und neuer Stadt. Sie wollen sehen, was vorläufig nur als Entwurf an die Wand gepinnt ist: das neueste Projekt des italienischen Architekten Renzo Piano. Und sie wollen ihn hören. „Das Museum, das auf diesem Gelände entstehen soll“, sagt er, „sehe ich als Symbol einer Wiedervereinigung, wo bisher Teilung und Zerstörung geherrscht haben“, gerade hier, direkt an der Zmaja od Bosne, der berüchtigten ehemaligen „Sniper Alley“.

Seit fast sechs Jahren treibt der Kulturmanager Enver Hadziomerspahic das Projekt ARS AEVI voran - „Kunst der Epoche“ also und, zählt man das yin-yang-artige Logo zwischen den beiden Wörtern als „O“ dazu, ein Anagramm zu SARAIEVO. Noch war die Stadt belagert, der Dayton-Vertrag nicht einmal ausgehandelt, da entstand die Idee einer weltweiten Solidarität unter Künstlern; sie mögen dem bosnisch-herzegowinischen Publikum Werke schenken. Von 1994 bis 1997 stellten Künstler wie Michelangelo Pistoletto und Franz West im Mailänder Spazio Umano aus und überließen eines der Stücke der Ars-Aevi-Kollektion. Marina Abramovic, Tony Cragg, Nan Goldin, Joseph Kossuth, Jannis Kounellis, Cindy Sherman, Emilio Vedova, Lawrence Weiner und viele andere folgten im Weiteren dem Aufruf. Sie schickten Aktuelles und hoch Gehandeltes. Europaweit unterstützen Kulturinstitutionen die Initiative, in Wien ist das Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig dabei.

Nur gibt es keinen Platz für die Arbeiten. Provisorisch lagern bzw. hängen sie in Depots und im Kubus.

Das geplante Museum für Gegenwartskunst soll Teil einerseits eines Uni-Campus werden, andererseits eines Netzwerkes weiterer Ausstellungsbauten. Es soll wachsen und seine Funktion ändern können. Piano hat also eine modulare Bauweise vorgeschlagen, mit 160 Stahlpfeilern als Basis. „Ich stelle mir das Gebäude weniger als Museum und mehr als Meeting-Place vor“, sagt der Architekt, der an dem Projekt als Goodwill-Botschafter der UNESCO ohne Honorar arbeitet. „Im Erdgeschoß wird es die Aktivitäten geben, die mit der Uni zu tun haben - Auditorium, Geschäfte, Seminarräume. Und einen Secondhand-Buchladen: Ich glaube, dafür gibt es einen Markt in Sarajewo.“ Die Ausstellungen sollen im Obergeschoß stattfinden, 6000 m² sind insgesamt vorgesehen.

Auf der großen Konferenz zum Stabilitätspakt im Vorjahr in Sarajewo wurde dem Museumsneubau hohe EU-Priorität eingeräumt - eine schöne, wenn auch nicht verbindliche Geste. Die Vision der Schutzherren und -damen geht aber noch weiter. Um den Sprung von der Zerstörung in die Avantgarde zu ermöglichen, sollen mehrere Pavillons über Sarajewo verstreut gebaut werden, von europäischen Ländern verantwortet und in weiterer Folge als deren Kulturinstitute geführt. (Bezüglich eines österreichischen Pavillons hat Hadziomerspahic mit Hans Hollein Kontakt aufgenommen; vereinbart wurde bis dato nichts.) Pianos Bau wäre dann der zentrale und der italienische Pavillon zugleich. Das lässt sich als Verbeugung vor dem Land deuten, das die Museumsidee von Anfang an besonders aktiv unterstützt hat. Sogar Regionen und Stadtgemeinden etwa aus der Toskana transferieren Know-how nach Sarajewo. Und schließlich ist der Planer für Gottes Lohn Italiens bekanntester Architekt.

Bei seinem Auftritt vor den Culturati der Stadt zerstreut Renzo Piano jedoch Befürchtungen, hier würde sich einer der Stars der Bauwelt mit großer Geste inszenieren. Er hält sich persönlich und programmatisch im Hintergrund. Schon an den ersten Skizzen haben zwei junge Architekten aus Sarajewo mitgearbeitet, die dafür extra nach Genua zum „Renzo Piano Building Workshop“ gezogen sind. Und wenn gebaut wird, werden lokale Studios die Arbeit leiten und leisten.

Wenn. Denn das große Aber ist das Geld. Mit rund 200 Millionen Schilling Kosten allein für das Museum wird gerechnet, vorläufig aber ist nicht einmal ein Bruchteil der Summe vorhanden. Der gemeinsame Kraftakt so vieler Institutionen, Gremien, lokaler Verbände und privater Aktivisten hat zwar Vorleistungen in Form von Arbeitszeit und publizistischen Maßnahmen gebracht. Er hat aber auch dazu geführt, dass niemand sich direkt zuständig fühlt und alle darauf warten, dass jemand den ersten Griff in die Schatulle tut.

„Das macht nichts“, kontert Piano im Gespräch mit den ALBUM, „dann bauen wir eben erstmal die ohnehin geplante Fußgängerbrücke über den Fluss Miljacka, der jetzt den Zugang vom südlichen Teil der Stadt zum Museum erschwert. Hier eine Verbindung zu schaffen, hat einen ebenso praktischen wie metaphorischen Wert.“ Wenn es nicht anders geht, dann als provisorische Konstruktion. Und wenn das immer noch zu teuer ist, dann soll das Militär die Brücke bauen. Michael Freund []

Leitung Ars Aevi in Sarajevo: skend3@bih.net.ba
Promotional Office Florenz: arsaevi.it@tin.it
- unter dieser Adresse ist auch der zweibändige
Katalog der Kollektion erhältlich.

Der Standard, Sa., 2000.07.22

Profil

7 | 6 | 5 | 4 | 3 | 2 | 1