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17. August 2020Barbara Holub
Paul Rajakovics
dérive

Kunstinsert Selma Selman: Tito’s bunker, Mercedes, Washing Machine and Vampyr

Für die in Bosnien geborene Selma Selman ist ihre Roma-Herkunft ein wesentlicher Ausgangspunkt ihrer künstlerischen Arbeit. In ihren Performances thematisiert...

Für die in Bosnien geborene Selma Selman ist ihre Roma-Herkunft ein wesentlicher Ausgangspunkt ihrer künstlerischen Arbeit. In ihren Performances thematisiert...

Für die in Bosnien geborene Selma Selman ist ihre Roma-Herkunft ein wesentlicher Ausgangspunkt ihrer künstlerischen Arbeit. In ihren Performances thematisiert sie vielfach geschlechtsspezifische und rassistische Diskriminierungen, Verfolgungen, Traumata und Spannungen. Dabei benutzt sie oft ihren Körper als Lautsprecher, um Verzweiflung, Wut, Angst, Widerstand und dem Kampf ums Überleben Ausdruck zu verleihen. Sie kann als eine der jüngsten Vertreter:innen einer langen Tradition kritischer und politisch engagierter Performance aus dem ex-jugoslawischen Raum gesehen werden. Die Art und Weise, wie Selma Selman ihren Körper, ihren weiblichen Zustand sowie ihren südosteuropäischen Hintergrund als Romni für politische Inhalte einsetzt, zeigt eine Neuinterpretation des Performance-Diskurses und knüpft an Praktiken von Künstler:innen wie Katalin Ladik oder Tanja Ostojić an.

Im dérive-Insert zeigt Selma Selman eine Auswahl von Arbeiten, die ihre Rolle als Frau in einer patriarchalen und von sozialer Ungleichheit geprägten Gesellschaft ebenso radikal wie direkt thematisieren. In Mercedes Matrix zerstört Selma Selman mit ihrer Familie auf der Kampnagel-Piazza in Hamburg ein Statussymbol – den Mercedes Benz. Durch den Akt des Zerstörens dieses Fahrzeugs setzt sie die Mechanismen der Performance ein, um die körperliche Arbeit ihrer Familie in der Kunst zu positionieren. Dabei öffnet ihr biographischer Hintergrund noch eine weitere wesentliche Ebene: Selma Selmans Familie ist darauf angewiesen, Metall­abfälle in Ressourcen zu verwandeln, um das Wohlergehen der Familie zu unterstützen.

In Self-portrait I & II zerstörte die Künstlerin eine Waschmaschine und einhundert Staubsauger mit einer Axt. Die Künstlerin sagt dazu: »Diese früheren Arbeiten visualisieren die Zerstörung von Haushaltsgeräten, die mehr als ein Jahrhundert lang mit der Versklavung von Hausfrauen in Verbindung gebracht wurden, aber auch einen Moment der Katharsis, in dem ich die inneren Spannungen, die mich sowohl zerstören als auch konstruieren, abbauen konnte.« Auch hier transformiert Selma Selman wieder ihre biographischen Wurzeln einer patriarchalen (Roma-)Gesellschaft in einen performativen Befreiungsakt.

Was ist ein sicherer Ort? Bunker werden als sichere Orte wahrgenommen, weil sie
Menschen Schutz vor der physischen Bedrohung durch Luftangriffe bieten. In Mercedes 310/ Iron Curtain thematisierte die Künstlerin für die Biennial of Contemporary Art D-0 ARK Underground in Sarajewo (2015) den Mercedes 310 als sichersten Ort, weil ihre Familie dieses Auto zum Sammeln und Verkaufen von Eisen benutzte. Der Eiserne Vorhang war einst ein Symbol des ideologischen Konflikts zwischen zwei konkurrierenden Systemen. Als solches fungierte er nicht nur als physische, sondern auch als psychologische Barriere. »Ich habe den psychosozialen ›Eisernen Vorhang‹, der die Praktiken von marginalisierten Menschen stigmatisiert, abgebaut, um eine symbolische Öffnung zu erreichen und einen Boden zu schaffen, auf dem die Menschen zusammenkommen können« (Selma Selman).

Selma Selman lebt derzeit zwischen Bihać und New York, wo sie an der University of Syracuse tätig ist. Sie war unter anderem im Roma-Pavillon der Biennale in Venedig 2019 vertreten und erhielt bereits zahlreiche Preise, u. a. den Young European Artist Award von trieste contemporanea. In ihrer Heimatstadt Bihać gründete sie die Organisation Mars To School / Go The Heck To School, die insbesondere den Schulbesuch von Romnija-Mädchen unterstützt.
Weitere Informationen: www.selmanselma.com

dérive, Mo., 2020.08.17



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dérive 80 Pandemie

04. Juni 2010Paul Rajakovics
dérive

Catrin Bolt: Wahrnehmungsverschiebungen

Vor fast einem Jahr konnte Catrin Bolt den Wettbewerb Mahnmal für die Zwangsarbeiterlager St. Pölten-Viehofen unter 164 TeilnehmerInnen ex aequo mit Tatiana...

Vor fast einem Jahr konnte Catrin Bolt den Wettbewerb Mahnmal für die Zwangsarbeiterlager St. Pölten-Viehofen unter 164 TeilnehmerInnen ex aequo mit Tatiana...

Vor fast einem Jahr konnte Catrin Bolt den Wettbewerb Mahnmal für die Zwangsarbeiterlager St. Pölten-Viehofen unter 164 TeilnehmerInnen ex aequo mit Tatiana Lecomte für sich entscheiden. Die Umsetzung dieses Projektes soll durch Kunst im Öffentlichen Raum Niederösterreich und die Stadt St. Pölten noch in diesem Jahr erfolgen. Orientierungstafeln, die im jetzigen Freizeitareal aufgestellt werden, zeigen dann die Gegend aus der Vogelperspektive, allerdings auf einem Foto aus dem Jahr 1945, auf dem die zwei Zwangsarbeiterlager zu sehen sind. Durch die Kombination des auf den Ort abgestimmten Mediums mit der historischen Darstellung des Ortes eröffnet sich eine Perspektive, die das nicht mehr Sichtbare und Vergessene wahrnehmbar macht.

Zugänge dieser Art bestimmen sehr häufig die Arbeit von Catrin Bolt, die im Spannungsfeld zwischen Fotografie und Objekt tätig ist. Den Objekten wird durch fotografisch motivierte Darstellungs- und Wahrnehmungsverschiebungen eine aktive und neue Rolle zugeschrieben. Dabei bekommt das fotografierte Objekt durch ganz einfache Mittel, wie Blickpunkt und Bildwinkel, einen neuen inhaltlichen Kontext. So hat Catrin Bolt beispielsweise 2005 in Georgien Alltagsgegenstände und Möbel in verschiedenen Landschaften inszeniert, so dass aus ihnen Skulpturen geworden sind. Es handelt sich dabei jedoch weder um klassische Skulpturen im Sinne der New Yorker 1960er Jahre noch um Readymades, wie dies die Objekte selbst suggerieren. Vielmehr ist es der gewählte Standpunkt, der eine neue Art von Skulptur produziert.

Für das Kunstinsert dieser dérive-Ausgabe hat Catrin Bolt in Paris eine Serie von Fotoarbeiten erstellt, die sich thematisch der Architektur annähert. Oft haben Gebäude eine besondere Anziehung, wenn man nicht gleich erahnt, welche Funktion sie tatsächlich haben – es entsteht eine Offenheit, die ihnen eine Chance gibt als unabhängiges Objekt zu bestehen. Mit dem Titel MoMA-Series beschreibt Catrin Bolt diese jedoch als Museen Moderner Kunst. Zurzeit arbeitet Bolt in Odessa und Sydney an einer Ausstellung mit dem Titel Thema verfehlt für den Kunstraum Lakeside in Klagenfurt, die am 19.5.2010 eröffnet wird.

dérive, Fr., 2010.06.04



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dérive 39 Kunst und urbane Entwicklung

09. Juli 2009Paul Rajakovics
dérive

Zum Kunstinsert von Ralo Mayer

„Willi Tobler trägt das Gedicht To the Lost Space Age vor; im Anschluss daran Diskussion mit dérive-LeserInnen, wie die Zeitschrift wohl aussehen würde, wenn es heute tatsächlich jene Weltraumkolonien gäbe, die vor 30 Jahren für das erste Jahrzehnt des neuen Jahrtausends geplant waren.“

„Willi Tobler trägt das Gedicht To the Lost Space Age vor; im Anschluss daran Diskussion mit dérive-LeserInnen, wie die Zeitschrift wohl aussehen würde, wenn es heute tatsächlich jene Weltraumkolonien gäbe, die vor 30 Jahren für das erste Jahrzehnt des neuen Jahrtausends geplant waren.“

Am 20. Juli 1969 ist die „Utopie“, auf den Mond fliegen zu können, Realität geworden. Damit konnten die USA die ideologische Vormachtstellung im Weltall von den bis dato eindeutig führenden Kosmonauten der UdSSR zurückerobern. Ralo Mayers Arbeit hinterfragt genau jene Zwischenbereiche und Wendepunkte, an denen eine Utopie an ihrem Kipppunkt zur Fiktion, der Realität oder ihrem gnadenlosen Gegenraum der Distopie übergeht. Er analysiert dabei collageartig politisch-ideologische Hintergründe, wobei er nicht nur die offensichtlichen zeitlichen Wenden wie die Jahre 1969 und 1989 fokussiert. Ihm geht es vielmehr um den Fortgang kollektiver Fiktionen wie etwa der Besiedelung des Weltalls, wie sie in den 1970er-Jahren z.B. von der L5 Society propagiert wurde (L5 ist ein Bereich ausgeglichener Anziehungskräfte zwischen Erde und Mond, der sich für eine Weltraumkolonie eignen könnte). Derartige Projekte eröffneten natürlich Spekulationen über eine „bessere“ und unabhängige Weltraumgesellschaft, welche die Probleme auf der Erde zurücklassen kann. Mayer ist Mitherausgeber der Zeitschrift multiplex fiction und arbeitet an der Übersetzung des Science-Fiction-Romans The Ninth Biospherian. Dieser beschäftigt sich mit dem geschlossenen Ökosystem Biosphere 2, in dem zwischen 1991 und 1993 acht Personen als Test für ein Leben im Weltraum lebten. Das Buch folgt den Spuren eines imaginären neunten Crewmitglieds und mit ihm der Geschichte dieser Space Age-Ruine. Einige von Mayers aktuellen Arbeiten sind Zwischenergebnisse dieser intensiven Auseinandersetzung mit dem Science-Fiction-Buch. Weitere Informationen: was-ist-multiplex.info.

dérive, Do., 2009.07.09



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dérive 36 Aufwertung

13. Januar 2009Paul Rajakovics
dérive

Urbanografien

Elke Krasny und Irene Nierhaus beginnen in dem von ihnen herausgegebenen Buch Urbanografien ihren einleitenden Text mit dem programmatischen Satz: „Im...

Elke Krasny und Irene Nierhaus beginnen in dem von ihnen herausgegebenen Buch Urbanografien ihren einleitenden Text mit dem programmatischen Satz: „Im...

Elke Krasny und Irene Nierhaus beginnen in dem von ihnen herausgegebenen Buch Urbanografien ihren einleitenden Text mit dem programmatischen Satz: „Im urbanen Handeln wird Stadt erzeugt. Städtische Repräsentationen und individuelle wie kollektive Stadtwahrnehmungen produzieren und reproduzieren Stadt als Erfahrungsraum.“ Das Buch widmet sich, wie sie im weiteren schreiben, der „Stadtforschung zwischen Kunst, Architektur und Theorie und versteht Stadträumlichkeit als Austausch zwischen Gebautem, Begangenem und in Eingriffen der Behörden, der Wirtschaft und der Städterinnen und Städter.“ Dieser sehr weit gefasste Kontext steht in einem ständigen Wechsel von AkteurInnenkonstellationen, deren Formation sie als urbanografisch bezeichnen. Jedenfalls stellen sie sich damit der sehr schwierigen Aufgabe, die Diskurse zum urbanen Handeln zu vernetzen bzw. ohne die üblichen Missverständnisse weiter zu verorten. Der aus Kunst des Handelns von Michel de Certeau abgeleitete Begriff des urbanen bzw. städtischen Handelns selbst wurde im deutschen Sprachraum erstmals wahrscheinlich erst 2000 in dem von Jochen Becker herausgegebenen Buch Bignes? Kritik der unternehmerischen Stadt einer breiteren Öffentlichkeit vorgestellt. Das 1980 in Paris erschienene Buch Art de faire (zu deutsch: Kunst des Handelns, Merve 1988) des französischen Philosophen und Theologen Michel de Certeau kann als Grundlage für Urbanografien gesehen werden und wird so auch in einem Großteil der Beiträge direkt oder indirekt als Literaturhinweis zitiert. Es kann somit als stiller Ausgangspunkt des in drei Abschnitte (Konstellationen, Interventionen und Relationen) gegliederten Buches gesehen werden.

Mittlerweile gibt es viele Bezeichnungen für Handlungen im Stadtraum und damit verbundenen urbanistischen Theorien. Über die Konstruktion von Situationen könnte hier der von Guy Debord eingeführte, aber etwas zu umfassende und damit oft missverständliche Begriff des unitären Urbanismus aus den späten 1950er Jahren als Ausgangsbasis eines auf Interaktion bezogenen Urbanismus betrachtet werden. Dieser Begriff war vielleicht zu lange Zeit und zu direkt mit der Person Debords und den späteren Krisen der Situationistischen Internationale verbunden gewesen, als dass er sich im Diskurs weiterentwickeln hätte können. Vielfach wurde daher aus dem unitären Urbanismus salopp ein situativer Urbanismus gezimmert. Der von Dennis Kaspori und Jeanne van Heeswijk eingeführte Begriff des instant urbanism wird im vorliegenden Buch nicht weiter ausgeführt, Jeanne van Heeswijk ist aber mit der Präsentation einer sehr spannenden Intervention im Buch vertreten. Elke Krasny schreibt in ihrem Beitrag vom „narrativen Urbanismus“. Er beschreibt eine subjektive Stadtwahrnehmung von Alltagswegen in Begleitung einer Urbanistin, wobei über Storytelling eine neue topologische Perspektive des Weges evoziert werden kann. Hier wäre es spannend, diese Form der „Produktion“, wie sie von der Autorin auch genannt wird, mit dem Begriff der Raumproduktion Henri Lefebvres zu verknüpfen. Dieser hat ja das Handeln bzw. die soziale Interaktion (also auch Gehen, Sprechen, wie die Praktiken de Certeaus) als Basis von Raum überhaupt gesehen und gilt auch als (kurzzeitiger) Lehrer Debords.

Irene Nierhaus widmet sich vielmehr der Darstellung von transformierten Räumen am Rande der Stadt, wie sie in den Filmen Pierr Paolo Pasolinis gezeigt werden. Dabei betrachtet sie diese Räume quasi von „außen“ als urbane Figuren des Planvollen (Planen von Raum und Gesellschaft) und des Randständigen (Brachen, Stadtrand, die Öffnung zu einem Außerhalb des Plans). Diese urbanografischen Figuren würden im ersten Fall in Lefebvres Darstellungsräumen bzw. im zweiten Fall des Randständigen in der Repräsentation von Räumen, wie sie auch in Lefebvres Revolution der Städte behandelt werden, ihren Ursprung finden. Interessant sind in diesem Zusammenhang im vorliegenden Buch die Ausführungen von Michael Müller, der historische Stadtwahrnehmungen (Francesco Petrarca und Ambrogio Lorenzetti) zum Anlass nimmt, analytische Raumqualitäten des Dazwischen und des Darüberhinaus als Kategorien einzuführen, die ein Einbetten einer „subjektiven Konstruktion“ von Stadt in ein ganzheitliches Stadtbild erlauben.

Das Buch beschreibt aber auch einige Interventionen, wie jene in Bremen von bzw. mit Elke Krasny selbst, welche unter dem Titel Ein Stadtspaziergang zu Orten der Transformation durch Rebecca Burwitz, Christa John, Ninja Kaupa, und Janne Köhne im dritten Teil (Relationen) dokumentiert werden. Immer wieder wird Bremen beispielhaft zum Ausgangspunkt urbaner Betrachtungen, wie beim Beitrag Eberhard Syrings Stadtbild, Raumbild, Leitbild, der im Sinne Kevin Lynchs das Erscheinungsbild von Städten hinterfragt und am Ende auf die offene Leitbilddiskussion verweist. Robert Temel beschäftigt sich mit den Zeitlichkeiten von Interventionen als Potenzial für Städte und führt dabei analytisch sehr klare Kategorien eines temporären Urbanismus ein (das Ephemere, das Provisorische und das Temporäre), bevor er diese über aktuelle konkrete städtebauliche Beispiele verortet.

Jeanne van Heeswijk führt uns nach Niew Crooswijk in Rotterdam, wo ein ganzes Viertel abgesiedelt wird, um danach dieses Gebiet, aber auch seine Geschichte für den neu gebauten und gentrifizierten Stadtteil missbrauchen zu können: Die „Geschichte“ des Bezirkes wird durch Abriss und Verdrängung der ansässigen Bevölkerung zerstört, um sie danach scheinheilig marketingtechnisch als Mythos wiederauferstehen zu lassen. Van Heeswijk beschreibt in Make history, not memory Widerstand, konsequente Interventionen und Manifeste für einen verzweifelten ArbeiterInnenbezirk, wo Intervention nicht Selbstzweck, sondern dringende Notwendigkeit wird.

Das Buch beinhaltet noch weitere interessante Beiträge, wie etwa jenen über „kartographische Einsätze“ vom Verein maiz, jedoch würde man sich nach dem Vorwort der beiden Autorinnen, welches sehr wohl die diskursiven Grundlagen einer Stadtforschung des „urbanen Handelns“ kurz zusammenfasst, dann auch wünschen, dass der Diskursschluss einer Stadtforschung in Kunst, Architektur und Theorie am Ende des Buches nochmals kommentiert würde. Der letzte Beitrag von Victor Kittlausz kann diesem hohen Anspruch (des Abschlusses) nicht gerecht werden, wobei der Beitrag jedoch durchaus spannende Denkansätze beinhaltet. Insgesamt ist Urbanografien eine spannende Dokumentation eines Status Quo des temporären Urbanismus (um hier den Begriff Robert Temels zu benutzen), der uns immer noch ins Offene führt.

Elke Krasny, Irene Nierhaus (Hg.)
Urbanografien – Stadtforschung in Kunst, Architektur und Theorie
Berlin: Reimer Verlag, 2008
208 Seiten, 39,90 Euro

dérive, Di., 2009.01.13



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Bauwerke

Presseschau 12

17. August 2020Barbara Holub
Paul Rajakovics
dérive

Kunstinsert Selma Selman: Tito’s bunker, Mercedes, Washing Machine and Vampyr

Für die in Bosnien geborene Selma Selman ist ihre Roma-Herkunft ein wesentlicher Ausgangspunkt ihrer künstlerischen Arbeit. In ihren Performances thematisiert...

Für die in Bosnien geborene Selma Selman ist ihre Roma-Herkunft ein wesentlicher Ausgangspunkt ihrer künstlerischen Arbeit. In ihren Performances thematisiert...

Für die in Bosnien geborene Selma Selman ist ihre Roma-Herkunft ein wesentlicher Ausgangspunkt ihrer künstlerischen Arbeit. In ihren Performances thematisiert sie vielfach geschlechtsspezifische und rassistische Diskriminierungen, Verfolgungen, Traumata und Spannungen. Dabei benutzt sie oft ihren Körper als Lautsprecher, um Verzweiflung, Wut, Angst, Widerstand und dem Kampf ums Überleben Ausdruck zu verleihen. Sie kann als eine der jüngsten Vertreter:innen einer langen Tradition kritischer und politisch engagierter Performance aus dem ex-jugoslawischen Raum gesehen werden. Die Art und Weise, wie Selma Selman ihren Körper, ihren weiblichen Zustand sowie ihren südosteuropäischen Hintergrund als Romni für politische Inhalte einsetzt, zeigt eine Neuinterpretation des Performance-Diskurses und knüpft an Praktiken von Künstler:innen wie Katalin Ladik oder Tanja Ostojić an.

Im dérive-Insert zeigt Selma Selman eine Auswahl von Arbeiten, die ihre Rolle als Frau in einer patriarchalen und von sozialer Ungleichheit geprägten Gesellschaft ebenso radikal wie direkt thematisieren. In Mercedes Matrix zerstört Selma Selman mit ihrer Familie auf der Kampnagel-Piazza in Hamburg ein Statussymbol – den Mercedes Benz. Durch den Akt des Zerstörens dieses Fahrzeugs setzt sie die Mechanismen der Performance ein, um die körperliche Arbeit ihrer Familie in der Kunst zu positionieren. Dabei öffnet ihr biographischer Hintergrund noch eine weitere wesentliche Ebene: Selma Selmans Familie ist darauf angewiesen, Metall­abfälle in Ressourcen zu verwandeln, um das Wohlergehen der Familie zu unterstützen.

In Self-portrait I & II zerstörte die Künstlerin eine Waschmaschine und einhundert Staubsauger mit einer Axt. Die Künstlerin sagt dazu: »Diese früheren Arbeiten visualisieren die Zerstörung von Haushaltsgeräten, die mehr als ein Jahrhundert lang mit der Versklavung von Hausfrauen in Verbindung gebracht wurden, aber auch einen Moment der Katharsis, in dem ich die inneren Spannungen, die mich sowohl zerstören als auch konstruieren, abbauen konnte.« Auch hier transformiert Selma Selman wieder ihre biographischen Wurzeln einer patriarchalen (Roma-)Gesellschaft in einen performativen Befreiungsakt.

Was ist ein sicherer Ort? Bunker werden als sichere Orte wahrgenommen, weil sie
Menschen Schutz vor der physischen Bedrohung durch Luftangriffe bieten. In Mercedes 310/ Iron Curtain thematisierte die Künstlerin für die Biennial of Contemporary Art D-0 ARK Underground in Sarajewo (2015) den Mercedes 310 als sichersten Ort, weil ihre Familie dieses Auto zum Sammeln und Verkaufen von Eisen benutzte. Der Eiserne Vorhang war einst ein Symbol des ideologischen Konflikts zwischen zwei konkurrierenden Systemen. Als solches fungierte er nicht nur als physische, sondern auch als psychologische Barriere. »Ich habe den psychosozialen ›Eisernen Vorhang‹, der die Praktiken von marginalisierten Menschen stigmatisiert, abgebaut, um eine symbolische Öffnung zu erreichen und einen Boden zu schaffen, auf dem die Menschen zusammenkommen können« (Selma Selman).

Selma Selman lebt derzeit zwischen Bihać und New York, wo sie an der University of Syracuse tätig ist. Sie war unter anderem im Roma-Pavillon der Biennale in Venedig 2019 vertreten und erhielt bereits zahlreiche Preise, u. a. den Young European Artist Award von trieste contemporanea. In ihrer Heimatstadt Bihać gründete sie die Organisation Mars To School / Go The Heck To School, die insbesondere den Schulbesuch von Romnija-Mädchen unterstützt.
Weitere Informationen: www.selmanselma.com

dérive, Mo., 2020.08.17



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dérive 80 Pandemie

04. Juni 2010Paul Rajakovics
dérive

Catrin Bolt: Wahrnehmungsverschiebungen

Vor fast einem Jahr konnte Catrin Bolt den Wettbewerb Mahnmal für die Zwangsarbeiterlager St. Pölten-Viehofen unter 164 TeilnehmerInnen ex aequo mit Tatiana...

Vor fast einem Jahr konnte Catrin Bolt den Wettbewerb Mahnmal für die Zwangsarbeiterlager St. Pölten-Viehofen unter 164 TeilnehmerInnen ex aequo mit Tatiana...

Vor fast einem Jahr konnte Catrin Bolt den Wettbewerb Mahnmal für die Zwangsarbeiterlager St. Pölten-Viehofen unter 164 TeilnehmerInnen ex aequo mit Tatiana Lecomte für sich entscheiden. Die Umsetzung dieses Projektes soll durch Kunst im Öffentlichen Raum Niederösterreich und die Stadt St. Pölten noch in diesem Jahr erfolgen. Orientierungstafeln, die im jetzigen Freizeitareal aufgestellt werden, zeigen dann die Gegend aus der Vogelperspektive, allerdings auf einem Foto aus dem Jahr 1945, auf dem die zwei Zwangsarbeiterlager zu sehen sind. Durch die Kombination des auf den Ort abgestimmten Mediums mit der historischen Darstellung des Ortes eröffnet sich eine Perspektive, die das nicht mehr Sichtbare und Vergessene wahrnehmbar macht.

Zugänge dieser Art bestimmen sehr häufig die Arbeit von Catrin Bolt, die im Spannungsfeld zwischen Fotografie und Objekt tätig ist. Den Objekten wird durch fotografisch motivierte Darstellungs- und Wahrnehmungsverschiebungen eine aktive und neue Rolle zugeschrieben. Dabei bekommt das fotografierte Objekt durch ganz einfache Mittel, wie Blickpunkt und Bildwinkel, einen neuen inhaltlichen Kontext. So hat Catrin Bolt beispielsweise 2005 in Georgien Alltagsgegenstände und Möbel in verschiedenen Landschaften inszeniert, so dass aus ihnen Skulpturen geworden sind. Es handelt sich dabei jedoch weder um klassische Skulpturen im Sinne der New Yorker 1960er Jahre noch um Readymades, wie dies die Objekte selbst suggerieren. Vielmehr ist es der gewählte Standpunkt, der eine neue Art von Skulptur produziert.

Für das Kunstinsert dieser dérive-Ausgabe hat Catrin Bolt in Paris eine Serie von Fotoarbeiten erstellt, die sich thematisch der Architektur annähert. Oft haben Gebäude eine besondere Anziehung, wenn man nicht gleich erahnt, welche Funktion sie tatsächlich haben – es entsteht eine Offenheit, die ihnen eine Chance gibt als unabhängiges Objekt zu bestehen. Mit dem Titel MoMA-Series beschreibt Catrin Bolt diese jedoch als Museen Moderner Kunst. Zurzeit arbeitet Bolt in Odessa und Sydney an einer Ausstellung mit dem Titel Thema verfehlt für den Kunstraum Lakeside in Klagenfurt, die am 19.5.2010 eröffnet wird.

dérive, Fr., 2010.06.04



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dérive 39 Kunst und urbane Entwicklung

09. Juli 2009Paul Rajakovics
dérive

Zum Kunstinsert von Ralo Mayer

„Willi Tobler trägt das Gedicht To the Lost Space Age vor; im Anschluss daran Diskussion mit dérive-LeserInnen, wie die Zeitschrift wohl aussehen würde, wenn es heute tatsächlich jene Weltraumkolonien gäbe, die vor 30 Jahren für das erste Jahrzehnt des neuen Jahrtausends geplant waren.“

„Willi Tobler trägt das Gedicht To the Lost Space Age vor; im Anschluss daran Diskussion mit dérive-LeserInnen, wie die Zeitschrift wohl aussehen würde, wenn es heute tatsächlich jene Weltraumkolonien gäbe, die vor 30 Jahren für das erste Jahrzehnt des neuen Jahrtausends geplant waren.“

Am 20. Juli 1969 ist die „Utopie“, auf den Mond fliegen zu können, Realität geworden. Damit konnten die USA die ideologische Vormachtstellung im Weltall von den bis dato eindeutig führenden Kosmonauten der UdSSR zurückerobern. Ralo Mayers Arbeit hinterfragt genau jene Zwischenbereiche und Wendepunkte, an denen eine Utopie an ihrem Kipppunkt zur Fiktion, der Realität oder ihrem gnadenlosen Gegenraum der Distopie übergeht. Er analysiert dabei collageartig politisch-ideologische Hintergründe, wobei er nicht nur die offensichtlichen zeitlichen Wenden wie die Jahre 1969 und 1989 fokussiert. Ihm geht es vielmehr um den Fortgang kollektiver Fiktionen wie etwa der Besiedelung des Weltalls, wie sie in den 1970er-Jahren z.B. von der L5 Society propagiert wurde (L5 ist ein Bereich ausgeglichener Anziehungskräfte zwischen Erde und Mond, der sich für eine Weltraumkolonie eignen könnte). Derartige Projekte eröffneten natürlich Spekulationen über eine „bessere“ und unabhängige Weltraumgesellschaft, welche die Probleme auf der Erde zurücklassen kann. Mayer ist Mitherausgeber der Zeitschrift multiplex fiction und arbeitet an der Übersetzung des Science-Fiction-Romans The Ninth Biospherian. Dieser beschäftigt sich mit dem geschlossenen Ökosystem Biosphere 2, in dem zwischen 1991 und 1993 acht Personen als Test für ein Leben im Weltraum lebten. Das Buch folgt den Spuren eines imaginären neunten Crewmitglieds und mit ihm der Geschichte dieser Space Age-Ruine. Einige von Mayers aktuellen Arbeiten sind Zwischenergebnisse dieser intensiven Auseinandersetzung mit dem Science-Fiction-Buch. Weitere Informationen: was-ist-multiplex.info.

dérive, Do., 2009.07.09



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dérive 36 Aufwertung

13. Januar 2009Paul Rajakovics
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Urbanografien

Elke Krasny und Irene Nierhaus beginnen in dem von ihnen herausgegebenen Buch Urbanografien ihren einleitenden Text mit dem programmatischen Satz: „Im...

Elke Krasny und Irene Nierhaus beginnen in dem von ihnen herausgegebenen Buch Urbanografien ihren einleitenden Text mit dem programmatischen Satz: „Im...

Elke Krasny und Irene Nierhaus beginnen in dem von ihnen herausgegebenen Buch Urbanografien ihren einleitenden Text mit dem programmatischen Satz: „Im urbanen Handeln wird Stadt erzeugt. Städtische Repräsentationen und individuelle wie kollektive Stadtwahrnehmungen produzieren und reproduzieren Stadt als Erfahrungsraum.“ Das Buch widmet sich, wie sie im weiteren schreiben, der „Stadtforschung zwischen Kunst, Architektur und Theorie und versteht Stadträumlichkeit als Austausch zwischen Gebautem, Begangenem und in Eingriffen der Behörden, der Wirtschaft und der Städterinnen und Städter.“ Dieser sehr weit gefasste Kontext steht in einem ständigen Wechsel von AkteurInnenkonstellationen, deren Formation sie als urbanografisch bezeichnen. Jedenfalls stellen sie sich damit der sehr schwierigen Aufgabe, die Diskurse zum urbanen Handeln zu vernetzen bzw. ohne die üblichen Missverständnisse weiter zu verorten. Der aus Kunst des Handelns von Michel de Certeau abgeleitete Begriff des urbanen bzw. städtischen Handelns selbst wurde im deutschen Sprachraum erstmals wahrscheinlich erst 2000 in dem von Jochen Becker herausgegebenen Buch Bignes? Kritik der unternehmerischen Stadt einer breiteren Öffentlichkeit vorgestellt. Das 1980 in Paris erschienene Buch Art de faire (zu deutsch: Kunst des Handelns, Merve 1988) des französischen Philosophen und Theologen Michel de Certeau kann als Grundlage für Urbanografien gesehen werden und wird so auch in einem Großteil der Beiträge direkt oder indirekt als Literaturhinweis zitiert. Es kann somit als stiller Ausgangspunkt des in drei Abschnitte (Konstellationen, Interventionen und Relationen) gegliederten Buches gesehen werden.

Mittlerweile gibt es viele Bezeichnungen für Handlungen im Stadtraum und damit verbundenen urbanistischen Theorien. Über die Konstruktion von Situationen könnte hier der von Guy Debord eingeführte, aber etwas zu umfassende und damit oft missverständliche Begriff des unitären Urbanismus aus den späten 1950er Jahren als Ausgangsbasis eines auf Interaktion bezogenen Urbanismus betrachtet werden. Dieser Begriff war vielleicht zu lange Zeit und zu direkt mit der Person Debords und den späteren Krisen der Situationistischen Internationale verbunden gewesen, als dass er sich im Diskurs weiterentwickeln hätte können. Vielfach wurde daher aus dem unitären Urbanismus salopp ein situativer Urbanismus gezimmert. Der von Dennis Kaspori und Jeanne van Heeswijk eingeführte Begriff des instant urbanism wird im vorliegenden Buch nicht weiter ausgeführt, Jeanne van Heeswijk ist aber mit der Präsentation einer sehr spannenden Intervention im Buch vertreten. Elke Krasny schreibt in ihrem Beitrag vom „narrativen Urbanismus“. Er beschreibt eine subjektive Stadtwahrnehmung von Alltagswegen in Begleitung einer Urbanistin, wobei über Storytelling eine neue topologische Perspektive des Weges evoziert werden kann. Hier wäre es spannend, diese Form der „Produktion“, wie sie von der Autorin auch genannt wird, mit dem Begriff der Raumproduktion Henri Lefebvres zu verknüpfen. Dieser hat ja das Handeln bzw. die soziale Interaktion (also auch Gehen, Sprechen, wie die Praktiken de Certeaus) als Basis von Raum überhaupt gesehen und gilt auch als (kurzzeitiger) Lehrer Debords.

Irene Nierhaus widmet sich vielmehr der Darstellung von transformierten Räumen am Rande der Stadt, wie sie in den Filmen Pierr Paolo Pasolinis gezeigt werden. Dabei betrachtet sie diese Räume quasi von „außen“ als urbane Figuren des Planvollen (Planen von Raum und Gesellschaft) und des Randständigen (Brachen, Stadtrand, die Öffnung zu einem Außerhalb des Plans). Diese urbanografischen Figuren würden im ersten Fall in Lefebvres Darstellungsräumen bzw. im zweiten Fall des Randständigen in der Repräsentation von Räumen, wie sie auch in Lefebvres Revolution der Städte behandelt werden, ihren Ursprung finden. Interessant sind in diesem Zusammenhang im vorliegenden Buch die Ausführungen von Michael Müller, der historische Stadtwahrnehmungen (Francesco Petrarca und Ambrogio Lorenzetti) zum Anlass nimmt, analytische Raumqualitäten des Dazwischen und des Darüberhinaus als Kategorien einzuführen, die ein Einbetten einer „subjektiven Konstruktion“ von Stadt in ein ganzheitliches Stadtbild erlauben.

Das Buch beschreibt aber auch einige Interventionen, wie jene in Bremen von bzw. mit Elke Krasny selbst, welche unter dem Titel Ein Stadtspaziergang zu Orten der Transformation durch Rebecca Burwitz, Christa John, Ninja Kaupa, und Janne Köhne im dritten Teil (Relationen) dokumentiert werden. Immer wieder wird Bremen beispielhaft zum Ausgangspunkt urbaner Betrachtungen, wie beim Beitrag Eberhard Syrings Stadtbild, Raumbild, Leitbild, der im Sinne Kevin Lynchs das Erscheinungsbild von Städten hinterfragt und am Ende auf die offene Leitbilddiskussion verweist. Robert Temel beschäftigt sich mit den Zeitlichkeiten von Interventionen als Potenzial für Städte und führt dabei analytisch sehr klare Kategorien eines temporären Urbanismus ein (das Ephemere, das Provisorische und das Temporäre), bevor er diese über aktuelle konkrete städtebauliche Beispiele verortet.

Jeanne van Heeswijk führt uns nach Niew Crooswijk in Rotterdam, wo ein ganzes Viertel abgesiedelt wird, um danach dieses Gebiet, aber auch seine Geschichte für den neu gebauten und gentrifizierten Stadtteil missbrauchen zu können: Die „Geschichte“ des Bezirkes wird durch Abriss und Verdrängung der ansässigen Bevölkerung zerstört, um sie danach scheinheilig marketingtechnisch als Mythos wiederauferstehen zu lassen. Van Heeswijk beschreibt in Make history, not memory Widerstand, konsequente Interventionen und Manifeste für einen verzweifelten ArbeiterInnenbezirk, wo Intervention nicht Selbstzweck, sondern dringende Notwendigkeit wird.

Das Buch beinhaltet noch weitere interessante Beiträge, wie etwa jenen über „kartographische Einsätze“ vom Verein maiz, jedoch würde man sich nach dem Vorwort der beiden Autorinnen, welches sehr wohl die diskursiven Grundlagen einer Stadtforschung des „urbanen Handelns“ kurz zusammenfasst, dann auch wünschen, dass der Diskursschluss einer Stadtforschung in Kunst, Architektur und Theorie am Ende des Buches nochmals kommentiert würde. Der letzte Beitrag von Victor Kittlausz kann diesem hohen Anspruch (des Abschlusses) nicht gerecht werden, wobei der Beitrag jedoch durchaus spannende Denkansätze beinhaltet. Insgesamt ist Urbanografien eine spannende Dokumentation eines Status Quo des temporären Urbanismus (um hier den Begriff Robert Temels zu benutzen), der uns immer noch ins Offene führt.

Elke Krasny, Irene Nierhaus (Hg.)
Urbanografien – Stadtforschung in Kunst, Architektur und Theorie
Berlin: Reimer Verlag, 2008
208 Seiten, 39,90 Euro

dérive, Di., 2009.01.13



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dérive 34 Arbeit Leben

11. Juni 2008Paul Rajakovics
dérive

Georg Winter: Ein Mobiltelefon von UKIYO CAMERA SYSTEMS

Die Verständigung untereinander beruht auf Signalsystemen, die Eigenschaften der Lebewesen sind und sich aus Signalstrukturen und Signalverhalten zusammensetzen.
UKIYO CAMERA SYSTEMS, Handbuch der Kameratechnik, Georg Winter, 2000

Die Verständigung untereinander beruht auf Signalsystemen, die Eigenschaften der Lebewesen sind und sich aus Signalstrukturen und Signalverhalten zusammensetzen.
UKIYO CAMERA SYSTEMS, Handbuch der Kameratechnik, Georg Winter, 2000

Seit 1992 wird im Entwicklungsbüro für Kameratechnik und neue Medien das Ukiyo Camera System von Geor­g Winte­r beharrlich weiter entwickelt. Dieses mittlerweile sehr umfassende System, welche­s ursprünglich vorwiegend auf visuelle Wahrnehmungsstrategien ausgerichtet war, wurde dabei in den letzten Jahren sukzessive auf andere Wahrnehmungsebenen übertragen. Ergänzt wird sein­e Arbeit durch Interventionen bzw. Aktionen im 1:1 Stadtraum, wobei das Ukiyo Camera System zur Anwendung kommt. Bei diesen Projekten setzt Georg Winter gerne auf die Kraft der kollektiven Maßnahmen durch Gruppenarbeit, wie z.B. bei der von ihm gegründeten forschungsgruppe_f oder der projekt-orientierten Gruppe shapeupscheibbsgroup, welche er 2006 speziell für das Projekt Betrifft Scheibbs – Leben in einer österreichischen Stadt gegründet hat.

Der aus Stuttgart stammende Künstler stellt über seine Objekte und die damit verbundenen Handlungsformen Fragen an das herkömmliche Rezeptionsverhalten und an das „Sich Aufführen“ im Alltag. Dabei sind Wahrnehmungsapparaturen, ihre Nutzer, deren Beziehung zu den Apparaturen bzw. den damit verbundenen Fetischen, Fokus seiner Arbeit. Die scheinbare Abwesenheit von Funktionalität setzt die dahinter stehenden Wahnehmungsebenen jedoch gesondert und erneut frei. – Die blinde Kamera generiert wieder neuen Raum.

Georg Winter reiste seit 1994 mit der „Universität im Koffer“ und leitete zwischen 2003 uns 2007 das Urban Research Institute an der Akademie der Bildenden Künste in Nürnberg. Er ist seit letztem Herbst Professor an der Hochschule für Bildende Künste Saar (S_A_R Stadt-Aktio­n-Raum Projektbüro)

Das auf den Mittelseiten präsentierte mobile phone harajuku von Ukiyo Camera Systems ist mittlerweile eines der erfolgreichsten Produkte einer neuen Generation interaktiver Telekommunikationsmedien und findet seit seiner Erfindung tausendfach Anwendung.

PS: Open Source-Freunde bauen sich ihr mobile phone harajuku selbst:
Von einer 4mm starken Hartholzleiste sägen Sie zwei orthogonale Stücke mit den Maßen 90 auf 40mm so ab, dass Sie beide Schnittflächen im Winkel von 121° aufgeklappt mit Expressleim aneinnander kleben können. Lackieren Sie das stets aufgeklappte Handy mit lebensmittelechten Farben schwarz und wenden Sie es, nach im Mittelteil vorgeschlagener Art und Weise, im Mundraum an.

dérive, Mi., 2008.06.11



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dérive 32 Die Stadt als Stadion

Profil

Realisierungen zwischen Architektur, Kunst, Städtebau und urbanen 1:1 Interventionen.
Vorträge, Workshops, Symposien und Publikationen zu den Themen Architektur, Wohnbau, Stadtforschung und urbanen Strategien (seit 2001 Redaktionsmitglied von dérive/Zeitschrift für Stadtforschung)
1999 Gründung von transparadiso mit Barbara Holub (Künstlerin) als transdisziplinäre Praxis zwischen Architektur, Städtebau und urbanen (künstlerischen) Interventionen; transparadiso versteht Urbanismus als sozial engagierte Praxis, die künstlerische Strategien in urbane Planungsprozesse langfristig involviert: > direkter Urbanismus.
transparadisos Architektur engagiert sich besonders in sozial nachhaltigen Wohnbauprojekten

2012 Förderung von departure/ Wien für „Direkten Urbanismus“
2009-2017 Karenzvertretung Prof. Sabine Pollak/ TU Wien
2008 transparadiso wir eine ZT KG
2007 Otto-Wagner-Städtebaupreis
2004-2007 Co-Sekretär von EUROPAN-Österreich
2004 Rudolf-Schindler-Stipendium, MAK Center for Arts and Architecture, Los Angeles
2003 Ziviltechnikerprüfung Architektur
seit 2001 Redaktionsmitglied von dérive – Zeitschrift für Stadtforschung, Wien
2000 Dissertation bei Joost Meuwissen, TU Graz:
„Kontextuelles Handeln in Architektur und Städtebau“
1999 Gründung von transparadiso
1996-2010 freier Architekt „Stichting Bureau Architectenregister“ (NL)
1996-1997 Co-Referent für Architektur, Forum Stadtpark, Graz
1996-1999 transbanana architects
1995/96 Büropraxis u.a. bei Jean Nouvel, Paris; Chaix & Morell, Paris, Volker Giencke, Graz
1986-1994 Architekturstudium TU Graz/ Diplom

Lehre

2018 (Feb) Workshop, Universitá luav di Venezia (Gastprof.)
2015 „Workshop Gretta“/ Trieste (mit Kunst und Gestaltung und Università degli Studi die Trieste)
seit 2013 „Urbane Landschaften“, Vorlesung im Modul „Kontext Wohnen“
seit 2012 Modulkoordinator für den Modul Kontext Wohnen, TU Wien
2010 „country tools / outils de la campagne“, Gignac (F), in Kooperation mit Experimonde (Entwerfen und Sommerworkshop)
seit 2009 Karenzvertretung Prof. Pollak am Institut für Architektur und Entwerfen/ TU Wien
2000 „Idee e progetti per il centro storico“, internationales Architektursymposion/ ACMA (I)
Universidad Católica de Valparaíso, Valparaíso/ Chile (Workshop+ Vortrag)
2001-2012 „Phänomene des Siedelns“, Vorlesung/ Lehrauftrag im Modul für Entwicklungssteuerung, TU Wien
1997-2003 Univ.Assistent am Institut für Wohnbau, TU Wien
1997 ”Dialog Spaces”, Leitung Sommerworkshop, Nova Gorica/ Slowenien

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