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09. Mai 2012Mathieu Jaccard
db

Learning from Monthey

Der »bunte Vogel« inmitten durchschnittlicher Geschosswohnungsbauten stellt durch seine räumliche Struktur und seine eher industriell wirkenden Oberflächen vielerlei Bezüge zur Umgebung her. Die Beschränkung auf preiswerte Materialien eröffnete Freiheiten im Umgang mit dem Raum. Es entstanden wohnliche und auch anregende Lebensräume, die luxuriös erschlossen sind und trotz großer Offenheit im Innern viel Privatheit bieten.

Der »bunte Vogel« inmitten durchschnittlicher Geschosswohnungsbauten stellt durch seine räumliche Struktur und seine eher industriell wirkenden Oberflächen vielerlei Bezüge zur Umgebung her. Die Beschränkung auf preiswerte Materialien eröffnete Freiheiten im Umgang mit dem Raum. Es entstanden wohnliche und auch anregende Lebensräume, die luxuriös erschlossen sind und trotz großer Offenheit im Innern viel Privatheit bieten.

Eine Fahrt durch den Chemin des Dailles in Monthey eignet sich hervorragend als Einführung in die Charakteristik der Region. Die 400 m lange schnurgerade Straße verläuft parallel zur Rhône, die mit ihrem Tal als zentrale Ader den Kanton Wallis durchzieht. Am Fuß der links und rechts vom Fluss aufragenden Gebirgsausläufer setzt eine uneinheitliche Besiedelung ein, der kaum zu entkommen ist: Landwirtschaftsbetriebe, Industriegebiete, Einkaufszentren, Einfamilienhäuser und Wohnanlagen sind ohne erkennbare Ordnung durcheinandergewürfelt. Wie zum Beweis für die Versäumnisse der Stadtplanung endet der Chemin des Dailles abrupt an der Gemarkungsgrenze. Genau an dieser Stelle haben die Architekten bonnard woeffray im Jahr 2010 eine Wohnanlage mit 37 Wohneinheiten fertiggestellt. Sie wirkt so, als erschauere sie angesichts des sie umgebenden Durcheinanders.

»Vive Chappaz« ist noch in verblichenen Riesenlettern auf einem der Felsabhänge zu lesen, die hinter dem wenige Kilometer flussaufwärts gelegenen Ort Saint-Maurice aufragen. Der Schriftzug ehrt den Schriftsteller Maurice Chappaz, der unermüdlich – insbesondere in seinem 1976 erschienenen Buch »Die Zuhälter des ewigen Schnees« – die Gewissenlosigkeit und Kurzsichtigkeit anprangerte, mit der man im Wallis mit dem Aufschwung in Wintersport und Fremdenverkehr umgegangen ist. Eben dort, in Saint-Maurice, haben bonnard woeffray schon 1998 mit dem Betriebs- und Unterrichtsgebäude für die Schweizerische Armee die Kritiker auf sich aufmerksam gemacht. An ihm lassen sich einige der Merkmale ablesen, die für die gedanklichen Ansätze der beiden Architekten kennzeichnend sind. Schon allein aus der Tatsache, dass sie an der Ausschreibung teilgenommen haben, ist zu schließen, dass sie auch die weniger prestigeträchtigen Aufgabenstellungen und Konstellationen nicht geringschätzen und daran glauben, dass ein begrenztes Budget hochwertige Architektur nicht ausschließt. Die strenge Geometrie des Quaders verweist auf eine Sparsamkeit bei der räumlichen Aufteilung und bei den konstruktionstechnischen Entscheidungen. Dennoch mangelt es dem Entwurf nicht an Großzügigkeit. Das knallrote Holz der Fassaden macht den Bau zum Blickfang und eröffnet gleichzeitig den Dialog mit dem Grün der umliegenden Felder, zwischen Natur und Kultur. Dass die Fensterläden im geschlossenen Zustand keine Spur einer Gebäudeöffnung mehr erkennen lassen, ist ein Detail, das dem Objekt eine spielerische Dimension verleiht, denn die Aussage der Fassaden ändert sich je nach Nutzung.

V. a. über die Bearbeitung von Wettbewerben hat das Architektenpaar nach und nach eine originelle Sprache entwickelt und sich bei der Umsetzung der Herausforderung gestellt, hochwertige Architektur in eine oftmals mittelmäßige bauliche Umgebung zu integrieren. In der Art wie Robert Venturi, Denise Scott Brown und Steven Izenour Las Vegas unter die Lupe genommen haben, nahmen bonnard woeffray in ihr Vokabular die Formen, Materialien und Farben der Industrie- und Gewerbegebiete auf, die sich in einem Großteil des Rhônetals ausgebreitet haben, unterwarfen diese Referenzen dann allerdings einem disziplinierten Umgang mit Zuordnungen, Kosten und Effekten. Hieraus ist eine liebevoll ironische Architektur entstanden, die ihren Anspruch auf Qualität zum Ausdruck bringt, ohne die Nachbarschaft von oben herab zu behandeln. Die Wohnanlage am Chemin des Dailles ist hierfür ein gutes Beispiel.

Wege zur Verdichtung

Mit Lage und Größe nimmt das Gebäude Bezug auf die gegenüberliegenden Berge. Auch der unmittelbare Kontext wird dabei nicht negiert. So wird eine Kanalisationsleitung, die über einen Schacht zugänglich bleiben muss, für einen Durchgang zwischen Straße und Garten genutzt. Südlich davon liegt der Eingang zu einem Gemeinschaftsraum für die Nachbarschaft. Die halb unterirdische Garage, die ansonsten dafür sorgt, dass das EG ein halbes Stockwerk über Straßenniveau liegt, ist an dieser Stelle weggefallen; der Gemeinschaftsraum erreicht dadurch eine Höhe, die seiner Bestimmung gerecht wird.

Straßenseitig sorgt eine gebrochene Linienführung für eine lebendige Fassade. Durch die Fragmentierung wird der Bezug zur geringeren Größe der Gebäude in der Umgebung hergestellt. Vor den dunklen Hintergrund der Verglasungen sind horizontal Bänder aus perforiertem Weißblech gezogen. So können einige ausgewählte Fenster bis zum Boden reichen, ohne dass ihr unterer Teil von außen einzusehen wäre. Die straßenseitige Fassade ist im Norden um die Ecke herum gezogen. Auf der Gartenseite werden die perforierten Weißblechbänder zu Balkongeländern. Auch hier ist die lineare Fassadenführung mehrfach gebrochen. Von der Mitte her öffnet sich der Bau, als wolle er die Berglandschaft in die Arme schließen. Die beiden äußeren Gebäudeecken springen jedoch ein Stück weit vor und schirmen in einer Gegenbewegung den Garten von dem Durcheinander in der Ebene ab.

Die gesamte Länge der Fassade wird von Balkonen eingenommen. Die einzelnen Segmente sind jeweils in einem von vier vorgegebenen Grüntönen gehalten. Dieses Mosaik macht den Eindruck, als nähme es das Verschwinden der Natur ringsum vorweg und legte dagegen einen Chlorophyllvorrat an. Anliegen des Entwurfs ist es jedoch nicht, sich Veränderungen entgegenzustellen. Er spricht sich vielmehr klar und deutlich für den Geschosswohnungsbau aus, obwohl im französischsprachigen Teil der Schweiz – auch in Genf und Lausanne – immer noch stark am Einfamilienhaus als ideale Wohnform festgehalten wird. In der Nacht wird die Fassade gartenseitig durch Beleuchtung und die Aktivitäten der Menschen in ihren Wohnungen so lebendig, als lebte man in der Stadt. Diskret wird hier eine Aussage gemacht, nämlich dass Bebauungsdichte und Lebensqualität keine Gegensätze sind. Wenn die Bemühungen nicht auf die Verdichtung ausgerichtet werden, gehen dem Rhônetal auch noch die letzten Flächen verloren, die seine Schönheit ausmachen.

Im EG umfasst der Grundriss fünf Wohnungen in identischer Aufteilung wie in den Stockwerken darüber – dort allerdings mit Balkon statt Terrasse – und den Gemeinschaftsraum. In den oberen vier Stockwerken liegen jeweils acht durchgesteckte Wohnungen. Zunächst entsteht der Eindruck, dass angesichts der komplexen Geometrie der Fassaden, die ihre Fortsetzung in den Wohnungstrennwänden findet, eine systematische Raumaufteilung kaum möglich sein dürfte, ohne dass dies zulasten von mindestens einem Zimmer geht. Bei genauerem Hinsehen wird jedoch erkennbar, dass die verschiedenen Wohnungsgrößen um ein sich wiederholendes Motiv angeordnet sind und zur Eingliederung der unterschiedlichen Ausrichtung der Trennwände nur wenige Winkel eingesetzt werden. In den vier größeren Wohnungen ist der zur Straße hin gelegene Essbereich ebenso rechteckig wie die Zimmer. In den dazwischen liegenden kleineren Wohnungen weicht nur ein Zimmer von dieser Regel ab. Gartenseitig liegen Wohnzimmer und Schlafzimmer rechtwinklig beieinander. Die Wand zwischen den beiden Räumen steht im Wechselspiel mit den auf den Balkon führenden Glastüren, um die drei Elemente so miteinander zu verbinden, dass sie jeder Situation gerecht werden. In der Mitte sind über einen Eingangs- und Flurbereich die Sanitärräume erreichbar. Die bajonettartige Anordnung der Gemeinschaftsräume zieht sich als diagonale Bewegung durch die Wohnungen, der Effekt wird durch die nicht parallel verlaufenden Wände verstärkt. Die Balkone und das perforierte Blech vor dem Fenster im Essbereich wirken als Filter zwischen innen und außen und umgekehrt. Durch das getönte Glas über der Arbeitsfläche in der Küche und im oberen Teil der Sanitärräume gelangt Tageslicht bis in die Kernbereiche der Wohnung und nimmt Einfluss auf die Farbgebung. Dieses effektvolle Instrument, das gleichzeitig eine kostengünstige Lösung darstellt, ist kennzeichnend für die gesamte Umsetzung des Projekts. Die Treppenhäuser sind wie die Decken in den Wohnungen aus Sichtbeton, die Wirkung der farblich gefassten Geländer wird dadurch verstärkt. Luxuriös sind v. a. die räumliche Qualität und die Großzügigkeit. Die aus der Einhaltung des Minergie-Standards resultierenden Ersparnisse sind im Voraus auf die Größe der Wohnungen eingezahlt. Für die Beheizung ist die Firma SATOM zuständig, ein von den Kommunen der Region zu dem Zweck gegründetes Unternehmen, die Abwärme aus der Hausmüllverbrennung zu verwerten.

Mit dieser Wohnanlage haben bonnard woeffray einmal mehr ihre erstaunliche Fähigkeit unter Beweis gestellt, Gegensätze miteinander in Dialog zu bringen und einen Ausgleich für Extreme zu finden. Ökonomie der Mittel und Großzügigkeit, Bezugnahme auf die Industrie und Achtung vor der Natur, Zuneigung zu den Vorlieben der breiten Masse und intellektuelle Ansprüche sind Beispiele für Themenstellungen, die sie erfolgreich bearbeiten konnten, indem sie sich aus den gegensätzlichen Bereichen jeweils das Beste zu eigen gemacht haben. So mag die Aussage stimmen, dass bonnard woeffray am Schnittpunkt zwischen der Gründlichkeit der Deutschschweiz und dem Einfallsreichtum der Romandie die wohl schweizerischsten aller Architekten sind.

[Aus dem Französischen von Angela Tschorsnig]

db, Mi., 2012.05.09



verknüpfte Zeitschriften
db 2012|05 Französische Schweiz

10. März 2006Mathieu Jaccard
A10

Cow shed, Lignières

Localarchitecture has created a synthesis of different local traditions, giving a rural typology a contemporary shape.

Localarchitecture has created a synthesis of different local traditions, giving a rural typology a contemporary shape.

In the last few years, there has been a series of tough international negotiations to rewrite the rules governing agricultural trade. A significant step in this direction was taken at the sixth WTO Ministerial Conference, which took place in Hong Kong from December 13 -18, 2005. At the end of this meeting, the member countries announced that all forms of export subsidy would be phased out by the end of 2013.

Since Swiss agriculture is the most protected in the world (68% of its revenues came from State subsidies in 2004), this gradual liberalization threatens its very survival. In response, it has undertaken a major effort to define and consolidate characteristics that might give its products a competitive advantage. As a country associated with the open air, with magnificent landscapes and placid cows, Switzerland has understandably chosen to focus on notions of authenticity, quality and respect for nature in its production strategy.

Within this context, the Swiss farmer more than ever becomes a „landscape gardener“, committed to the preservation of the fragile and magnificent environment in which he works. In consequence, farming and heritage protection have become complementary, working in mutual synergy towards the same ends.

Although it is one of the first elements that can compromise or enhance the quality of a place, there has paradoxically been little thought given to the role of architecture in this process. The drive to minimize costs and indifference to architecture’s potential contribution have led to the development of a catalogue of standardized buildings designed purely as a functional space for the activity they contain.

In 2003, two farmers commissioned Localarchitecture to design a free-stall barn for 30 cows. The clients wanted a contemporary building design that would nevertheless fit within the budget allocated by the federal authorities to this type of construction. Other criteria included the requirement to meet the standards governing organic production. The cowhouse forms the final part of the infrastructure of the „Cerisier“, a large agricultural estate in the Jura, set in the heart of an idyllic landscape of fields, pastures, forests and mountain valleys. The brief for the design was to minimize earthworks and provide a balance of cuts and fills. It was to be positioned near the existing farm, delineating an outdoor space for the livestock it houses.

Keen to design a project that would be respectful of local architectural tradition, the architects conducted a detailed analysis of farm typologies in the region. They identified two types. The earliest is characterized by a roof ridge set perpendicularly to the contour lines, creating building facades that are generously open to the valley. The disadvantage of this model is that it makes any enlargement problematic. As agriculture became more mechanized, therefore, this layout was gradually replaced by a more flexible typology, with a roof ridge running parallel to the contour lines and side gables designed to facilitate extension.

By combining these types, the architects have created a synthesis of the different traditions, giving them a contemporary shape with a new identity. In its ambivalence, the building designed by Localarchitecture serves to unify the surrounding structures. This unifying dynamic is repeated at a different scale through the balance between the gentle slope of its roof and cornices and the mountain crests around it.

Both client and architects are committed to sustainable development and they collaborated closely on the choice and application of materials. The building’s structural dimensions were calculated to take account of the timber available in the nearby forest and the construction details were worked out in such a way that the client could complete the final stages of the building, and would thus be able to carry out any subsequent replacement work. In addition to the ecological advantages, the use of timber made it possible to develop a bearing structure to match the local tradition of the ramée – a large area of open-work wood strips that provides natural ventilation – and to implement simple details to resolve the complex problem of the building’s geometry.

While it is true that cows and Switzerland go naturally together, it should not be forgotten that it is also a country of watchmakers, a tradition reflected in the precision of the answers this project brings to the questions asked of it.

A10, Fr., 2006.03.10



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Kuhstall



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A10 #08

Presseschau 12

09. Mai 2012Mathieu Jaccard
db

Learning from Monthey

Der »bunte Vogel« inmitten durchschnittlicher Geschosswohnungsbauten stellt durch seine räumliche Struktur und seine eher industriell wirkenden Oberflächen vielerlei Bezüge zur Umgebung her. Die Beschränkung auf preiswerte Materialien eröffnete Freiheiten im Umgang mit dem Raum. Es entstanden wohnliche und auch anregende Lebensräume, die luxuriös erschlossen sind und trotz großer Offenheit im Innern viel Privatheit bieten.

Der »bunte Vogel« inmitten durchschnittlicher Geschosswohnungsbauten stellt durch seine räumliche Struktur und seine eher industriell wirkenden Oberflächen vielerlei Bezüge zur Umgebung her. Die Beschränkung auf preiswerte Materialien eröffnete Freiheiten im Umgang mit dem Raum. Es entstanden wohnliche und auch anregende Lebensräume, die luxuriös erschlossen sind und trotz großer Offenheit im Innern viel Privatheit bieten.

Eine Fahrt durch den Chemin des Dailles in Monthey eignet sich hervorragend als Einführung in die Charakteristik der Region. Die 400 m lange schnurgerade Straße verläuft parallel zur Rhône, die mit ihrem Tal als zentrale Ader den Kanton Wallis durchzieht. Am Fuß der links und rechts vom Fluss aufragenden Gebirgsausläufer setzt eine uneinheitliche Besiedelung ein, der kaum zu entkommen ist: Landwirtschaftsbetriebe, Industriegebiete, Einkaufszentren, Einfamilienhäuser und Wohnanlagen sind ohne erkennbare Ordnung durcheinandergewürfelt. Wie zum Beweis für die Versäumnisse der Stadtplanung endet der Chemin des Dailles abrupt an der Gemarkungsgrenze. Genau an dieser Stelle haben die Architekten bonnard woeffray im Jahr 2010 eine Wohnanlage mit 37 Wohneinheiten fertiggestellt. Sie wirkt so, als erschauere sie angesichts des sie umgebenden Durcheinanders.

»Vive Chappaz« ist noch in verblichenen Riesenlettern auf einem der Felsabhänge zu lesen, die hinter dem wenige Kilometer flussaufwärts gelegenen Ort Saint-Maurice aufragen. Der Schriftzug ehrt den Schriftsteller Maurice Chappaz, der unermüdlich – insbesondere in seinem 1976 erschienenen Buch »Die Zuhälter des ewigen Schnees« – die Gewissenlosigkeit und Kurzsichtigkeit anprangerte, mit der man im Wallis mit dem Aufschwung in Wintersport und Fremdenverkehr umgegangen ist. Eben dort, in Saint-Maurice, haben bonnard woeffray schon 1998 mit dem Betriebs- und Unterrichtsgebäude für die Schweizerische Armee die Kritiker auf sich aufmerksam gemacht. An ihm lassen sich einige der Merkmale ablesen, die für die gedanklichen Ansätze der beiden Architekten kennzeichnend sind. Schon allein aus der Tatsache, dass sie an der Ausschreibung teilgenommen haben, ist zu schließen, dass sie auch die weniger prestigeträchtigen Aufgabenstellungen und Konstellationen nicht geringschätzen und daran glauben, dass ein begrenztes Budget hochwertige Architektur nicht ausschließt. Die strenge Geometrie des Quaders verweist auf eine Sparsamkeit bei der räumlichen Aufteilung und bei den konstruktionstechnischen Entscheidungen. Dennoch mangelt es dem Entwurf nicht an Großzügigkeit. Das knallrote Holz der Fassaden macht den Bau zum Blickfang und eröffnet gleichzeitig den Dialog mit dem Grün der umliegenden Felder, zwischen Natur und Kultur. Dass die Fensterläden im geschlossenen Zustand keine Spur einer Gebäudeöffnung mehr erkennen lassen, ist ein Detail, das dem Objekt eine spielerische Dimension verleiht, denn die Aussage der Fassaden ändert sich je nach Nutzung.

V. a. über die Bearbeitung von Wettbewerben hat das Architektenpaar nach und nach eine originelle Sprache entwickelt und sich bei der Umsetzung der Herausforderung gestellt, hochwertige Architektur in eine oftmals mittelmäßige bauliche Umgebung zu integrieren. In der Art wie Robert Venturi, Denise Scott Brown und Steven Izenour Las Vegas unter die Lupe genommen haben, nahmen bonnard woeffray in ihr Vokabular die Formen, Materialien und Farben der Industrie- und Gewerbegebiete auf, die sich in einem Großteil des Rhônetals ausgebreitet haben, unterwarfen diese Referenzen dann allerdings einem disziplinierten Umgang mit Zuordnungen, Kosten und Effekten. Hieraus ist eine liebevoll ironische Architektur entstanden, die ihren Anspruch auf Qualität zum Ausdruck bringt, ohne die Nachbarschaft von oben herab zu behandeln. Die Wohnanlage am Chemin des Dailles ist hierfür ein gutes Beispiel.

Wege zur Verdichtung

Mit Lage und Größe nimmt das Gebäude Bezug auf die gegenüberliegenden Berge. Auch der unmittelbare Kontext wird dabei nicht negiert. So wird eine Kanalisationsleitung, die über einen Schacht zugänglich bleiben muss, für einen Durchgang zwischen Straße und Garten genutzt. Südlich davon liegt der Eingang zu einem Gemeinschaftsraum für die Nachbarschaft. Die halb unterirdische Garage, die ansonsten dafür sorgt, dass das EG ein halbes Stockwerk über Straßenniveau liegt, ist an dieser Stelle weggefallen; der Gemeinschaftsraum erreicht dadurch eine Höhe, die seiner Bestimmung gerecht wird.

Straßenseitig sorgt eine gebrochene Linienführung für eine lebendige Fassade. Durch die Fragmentierung wird der Bezug zur geringeren Größe der Gebäude in der Umgebung hergestellt. Vor den dunklen Hintergrund der Verglasungen sind horizontal Bänder aus perforiertem Weißblech gezogen. So können einige ausgewählte Fenster bis zum Boden reichen, ohne dass ihr unterer Teil von außen einzusehen wäre. Die straßenseitige Fassade ist im Norden um die Ecke herum gezogen. Auf der Gartenseite werden die perforierten Weißblechbänder zu Balkongeländern. Auch hier ist die lineare Fassadenführung mehrfach gebrochen. Von der Mitte her öffnet sich der Bau, als wolle er die Berglandschaft in die Arme schließen. Die beiden äußeren Gebäudeecken springen jedoch ein Stück weit vor und schirmen in einer Gegenbewegung den Garten von dem Durcheinander in der Ebene ab.

Die gesamte Länge der Fassade wird von Balkonen eingenommen. Die einzelnen Segmente sind jeweils in einem von vier vorgegebenen Grüntönen gehalten. Dieses Mosaik macht den Eindruck, als nähme es das Verschwinden der Natur ringsum vorweg und legte dagegen einen Chlorophyllvorrat an. Anliegen des Entwurfs ist es jedoch nicht, sich Veränderungen entgegenzustellen. Er spricht sich vielmehr klar und deutlich für den Geschosswohnungsbau aus, obwohl im französischsprachigen Teil der Schweiz – auch in Genf und Lausanne – immer noch stark am Einfamilienhaus als ideale Wohnform festgehalten wird. In der Nacht wird die Fassade gartenseitig durch Beleuchtung und die Aktivitäten der Menschen in ihren Wohnungen so lebendig, als lebte man in der Stadt. Diskret wird hier eine Aussage gemacht, nämlich dass Bebauungsdichte und Lebensqualität keine Gegensätze sind. Wenn die Bemühungen nicht auf die Verdichtung ausgerichtet werden, gehen dem Rhônetal auch noch die letzten Flächen verloren, die seine Schönheit ausmachen.

Im EG umfasst der Grundriss fünf Wohnungen in identischer Aufteilung wie in den Stockwerken darüber – dort allerdings mit Balkon statt Terrasse – und den Gemeinschaftsraum. In den oberen vier Stockwerken liegen jeweils acht durchgesteckte Wohnungen. Zunächst entsteht der Eindruck, dass angesichts der komplexen Geometrie der Fassaden, die ihre Fortsetzung in den Wohnungstrennwänden findet, eine systematische Raumaufteilung kaum möglich sein dürfte, ohne dass dies zulasten von mindestens einem Zimmer geht. Bei genauerem Hinsehen wird jedoch erkennbar, dass die verschiedenen Wohnungsgrößen um ein sich wiederholendes Motiv angeordnet sind und zur Eingliederung der unterschiedlichen Ausrichtung der Trennwände nur wenige Winkel eingesetzt werden. In den vier größeren Wohnungen ist der zur Straße hin gelegene Essbereich ebenso rechteckig wie die Zimmer. In den dazwischen liegenden kleineren Wohnungen weicht nur ein Zimmer von dieser Regel ab. Gartenseitig liegen Wohnzimmer und Schlafzimmer rechtwinklig beieinander. Die Wand zwischen den beiden Räumen steht im Wechselspiel mit den auf den Balkon führenden Glastüren, um die drei Elemente so miteinander zu verbinden, dass sie jeder Situation gerecht werden. In der Mitte sind über einen Eingangs- und Flurbereich die Sanitärräume erreichbar. Die bajonettartige Anordnung der Gemeinschaftsräume zieht sich als diagonale Bewegung durch die Wohnungen, der Effekt wird durch die nicht parallel verlaufenden Wände verstärkt. Die Balkone und das perforierte Blech vor dem Fenster im Essbereich wirken als Filter zwischen innen und außen und umgekehrt. Durch das getönte Glas über der Arbeitsfläche in der Küche und im oberen Teil der Sanitärräume gelangt Tageslicht bis in die Kernbereiche der Wohnung und nimmt Einfluss auf die Farbgebung. Dieses effektvolle Instrument, das gleichzeitig eine kostengünstige Lösung darstellt, ist kennzeichnend für die gesamte Umsetzung des Projekts. Die Treppenhäuser sind wie die Decken in den Wohnungen aus Sichtbeton, die Wirkung der farblich gefassten Geländer wird dadurch verstärkt. Luxuriös sind v. a. die räumliche Qualität und die Großzügigkeit. Die aus der Einhaltung des Minergie-Standards resultierenden Ersparnisse sind im Voraus auf die Größe der Wohnungen eingezahlt. Für die Beheizung ist die Firma SATOM zuständig, ein von den Kommunen der Region zu dem Zweck gegründetes Unternehmen, die Abwärme aus der Hausmüllverbrennung zu verwerten.

Mit dieser Wohnanlage haben bonnard woeffray einmal mehr ihre erstaunliche Fähigkeit unter Beweis gestellt, Gegensätze miteinander in Dialog zu bringen und einen Ausgleich für Extreme zu finden. Ökonomie der Mittel und Großzügigkeit, Bezugnahme auf die Industrie und Achtung vor der Natur, Zuneigung zu den Vorlieben der breiten Masse und intellektuelle Ansprüche sind Beispiele für Themenstellungen, die sie erfolgreich bearbeiten konnten, indem sie sich aus den gegensätzlichen Bereichen jeweils das Beste zu eigen gemacht haben. So mag die Aussage stimmen, dass bonnard woeffray am Schnittpunkt zwischen der Gründlichkeit der Deutschschweiz und dem Einfallsreichtum der Romandie die wohl schweizerischsten aller Architekten sind.

[Aus dem Französischen von Angela Tschorsnig]

db, Mi., 2012.05.09



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db 2012|05 Französische Schweiz

10. März 2006Mathieu Jaccard
A10

Cow shed, Lignières

Localarchitecture has created a synthesis of different local traditions, giving a rural typology a contemporary shape.

Localarchitecture has created a synthesis of different local traditions, giving a rural typology a contemporary shape.

In the last few years, there has been a series of tough international negotiations to rewrite the rules governing agricultural trade. A significant step in this direction was taken at the sixth WTO Ministerial Conference, which took place in Hong Kong from December 13 -18, 2005. At the end of this meeting, the member countries announced that all forms of export subsidy would be phased out by the end of 2013.

Since Swiss agriculture is the most protected in the world (68% of its revenues came from State subsidies in 2004), this gradual liberalization threatens its very survival. In response, it has undertaken a major effort to define and consolidate characteristics that might give its products a competitive advantage. As a country associated with the open air, with magnificent landscapes and placid cows, Switzerland has understandably chosen to focus on notions of authenticity, quality and respect for nature in its production strategy.

Within this context, the Swiss farmer more than ever becomes a „landscape gardener“, committed to the preservation of the fragile and magnificent environment in which he works. In consequence, farming and heritage protection have become complementary, working in mutual synergy towards the same ends.

Although it is one of the first elements that can compromise or enhance the quality of a place, there has paradoxically been little thought given to the role of architecture in this process. The drive to minimize costs and indifference to architecture’s potential contribution have led to the development of a catalogue of standardized buildings designed purely as a functional space for the activity they contain.

In 2003, two farmers commissioned Localarchitecture to design a free-stall barn for 30 cows. The clients wanted a contemporary building design that would nevertheless fit within the budget allocated by the federal authorities to this type of construction. Other criteria included the requirement to meet the standards governing organic production. The cowhouse forms the final part of the infrastructure of the „Cerisier“, a large agricultural estate in the Jura, set in the heart of an idyllic landscape of fields, pastures, forests and mountain valleys. The brief for the design was to minimize earthworks and provide a balance of cuts and fills. It was to be positioned near the existing farm, delineating an outdoor space for the livestock it houses.

Keen to design a project that would be respectful of local architectural tradition, the architects conducted a detailed analysis of farm typologies in the region. They identified two types. The earliest is characterized by a roof ridge set perpendicularly to the contour lines, creating building facades that are generously open to the valley. The disadvantage of this model is that it makes any enlargement problematic. As agriculture became more mechanized, therefore, this layout was gradually replaced by a more flexible typology, with a roof ridge running parallel to the contour lines and side gables designed to facilitate extension.

By combining these types, the architects have created a synthesis of the different traditions, giving them a contemporary shape with a new identity. In its ambivalence, the building designed by Localarchitecture serves to unify the surrounding structures. This unifying dynamic is repeated at a different scale through the balance between the gentle slope of its roof and cornices and the mountain crests around it.

Both client and architects are committed to sustainable development and they collaborated closely on the choice and application of materials. The building’s structural dimensions were calculated to take account of the timber available in the nearby forest and the construction details were worked out in such a way that the client could complete the final stages of the building, and would thus be able to carry out any subsequent replacement work. In addition to the ecological advantages, the use of timber made it possible to develop a bearing structure to match the local tradition of the ramée – a large area of open-work wood strips that provides natural ventilation – and to implement simple details to resolve the complex problem of the building’s geometry.

While it is true that cows and Switzerland go naturally together, it should not be forgotten that it is also a country of watchmakers, a tradition reflected in the precision of the answers this project brings to the questions asked of it.

A10, Fr., 2006.03.10



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