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26. Mai 2006Gerhard Rodler
Der Standard

Die Zukunft sieht aus wie Kopenhagen

Autofreie Wohnbauten stehen in Wien nicht im Fokus der Stadtplaner. Andere Städte gehen das Verdrängen der Autos radikaler an. Sie schaffen Parkplätze in den Kernzonen ab oder fordern Citymaut. Folge: Die Nachfrage nach innerstädtischen Wohnungen steigt.

Autofreie Wohnbauten stehen in Wien nicht im Fokus der Stadtplaner. Andere Städte gehen das Verdrängen der Autos radikaler an. Sie schaffen Parkplätze in den Kernzonen ab oder fordern Citymaut. Folge: Die Nachfrage nach innerstädtischen Wohnungen steigt.

Schon nach zehn Minuten begann es im Vortragssaal des Palais de Congrès zu rumoren. Was die Hundertschaft an Bürgermeistern und Stadtplanern, die sich in der Vorwoche zum Global City Kongress in Lyon zusammengefunden hatten, so aufbrachte, waren die Thesen des dänischen Architekten und Stadtplaners Jan Gehl: verpflichtende Parkplätze bei neuen Wohn- und Bürohäusern? Der völlig verkehrte Ansatz. Die Verkehrsplanungen in den Großstädten der Welt? Im Großen und Ganzen eine Themenverfehlung. Abschließendes Urteil Gehls: „Jede Stadt betreibt Verkehrsplanung und zählt penibel die Autobewegungen in ihren Straßen, die Bewohner und ihre Bedürfnisse aber werden vernachlässigt.“

Wien ist da auch nicht viel anders. Bis dato hält man bei zwei dezidiert autounfreundlichen Wohnbauprojekten. Begonnen hat alles vor gut einem Jahrzehnt mit dem Projekt „autofreie Siedlung“ in Floridsdorf, wo 244 geförderte Wohnungen ohne Autoabstellplatz errichtet wurden. Die Mieter verpflichteten sich, auf ein eigenes Auto zu verzichten. Das zweite Projekt ist die derzeit am Gelände des „Kabelwerks“ in Wien-Meidling entstehende Siedlung, wo nur ein Zehntel der sonst verpflichtend vorgeschriebenen Parkplätze errichtet wird.

Angesichts von rund einer Million Wohnungen in Wien jenseits der Wahrnehmungsgrenze, aber ganz nach dem Geschmack von Gehl, denn: „Wer Parkplätze schafft, stimuliert die Anschaffung von Pkws in den Städten, und wer keine Parkplätze schafft, verbannt die Autos mittelfristig aus den Städten und schafft so automatisch mehr Lebens-und Freiraum für die Menschen.“ Internationale Beispiele bestätigen diese These. Barcelona, Lyon, Kopenhagen, Córdoba in Europa, Portland in den USA oder Melbourne in Australien haben sich gegen mehr Parkplätze und für mehr Fußgängerzonen mit Sitzgelegenheiten entschieden, was auch die Nachfrage nach innerstädtischem Wohnen signifikant ansteigen ließ.

Renaissance der City

Die Zukunft des Wohnens könnte aussehen wie Kopenhagen. Dort war es die erste große Ölkrise in den 70er-Jahren, die zur Diskriminierung der Pkws geführt hatte. Die Folgen bis heute: 36 Prozent der Kopenhagener fahren mit dem Fahrrad auch zur Arbeit, 33 Prozent benutzen öffentliche Verkehrsmittel, acht Prozent gehen zu Fuß, und nur noch 23 Prozent (von zuvor weit über 60 Prozent) fahren weiterhin mit dem Auto.

Gleichzeitig hat die gesamte Innenstadt eine Renaissance als Wohngegend erlebt. Immer mehr Menschen sind vom Speckgürtel zurück in die Kopenhagener City gezogen - allerdings auch mit dem Effekt, dass die Wohnimmobilienpreise hier überdurchschnittlich gestiegen sind. Schließlich sind hunderte Straßen-Cafés entstanden.

Dass selbst autofanatische Großstädte wie San Francisco mit weniger Hauptverkehrsadern auskommen, sieht Gehl als Bestätigung seiner These. Im Zuge des letzten großen Erdbebens war eine der wichtigsten Stadtautobahnen zerstört, aber nie wieder aufgebaut worden. Heute befindet sich an ihrer Stelle ein großzügiger Spazierweg samt Straßenbahnlinie - und neuen, im Hochpreissegment angesiedelten Wohnprojekten.

Citymaut als Lösung

Einen noch radikaleren Weg haben Städte wie London, Sydney oder Santiago de Chile eingeschlagen, die unterschiedliche Mautsysteme für die Nutzung der Stadtstraßen eingeführt haben. In London entschied man sich etwa für die „Einfahrtsgebühr“ in die Stadt. Nick Gavron, Deputy Mayor of London: „Zu Beginn war die Citymaut ein großer, vorwiegend über die Medien gespielter, Aufruhr. Ich kann aber sagen, dass dadurch die Wohnqualität stark gestiegen ist.“ Sydney und Santiago erheben - vorerst nur auf einzelnen Durchzugsstraßen - eine fahrleistungsabhängige Maut ähnlich der heimischen Lkw-Autobahnmaut. Auch dort folgte dem Aufstand bald ein Gewöhnungsprozess.

Catherine Hart, Leiterin der strategischen Stadtplanung von Sydney, half mit einer gefinkelten Strategie nach nach: „Wir haben die Bemautung aufgrund der Proteste vorübergehend ausgesetzt, dann mit verminderten Kosten wieder eingeführt - und stufenweise auf den ursprünglichen Betrag zurückgeführt. Jetzt ist die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung zufrieden.“

Der Standard, Fr., 2006.05.26

10. Dezember 2005Gerhard Rodler
Der Standard

Öko-Konzepte ziehen in Büros ein

Ökologische Konzepte beginnen sich langsam nach dem Wohnbau auch bei gewerblichen Immobilien durchzusetzen. Der Öko-Marketingansatz funktioniert jedenfalls immer besser. Warum die spezialisierten Öko-Architekten langsam, aber sicher aus der Hungerleider-Ecke hervorkommen, erläutert „Solarpapst“ Georg W. Reinberg im Gespräch mit Gerhard Rodler.

Ökologische Konzepte beginnen sich langsam nach dem Wohnbau auch bei gewerblichen Immobilien durchzusetzen. Der Öko-Marketingansatz funktioniert jedenfalls immer besser. Warum die spezialisierten Öko-Architekten langsam, aber sicher aus der Hungerleider-Ecke hervorkommen, erläutert „Solarpapst“ Georg W. Reinberg im Gespräch mit Gerhard Rodler.

STANDARD: Im letzten Jahrzehnt reichte das Etikett „Öko“ für einen Verkaufserfolg im Wohnimmobilienbereich. Mittlerweile scheint auch dieser Begriff marketingtechnisch schon abgenutzt. Bricht jetzt die Zeit nach dem Öko-Boom an?

Reinberg: Die Periode des ökologischen Bauens hat eben erst begonnen. Ökologisches Bauen ist definitiv keine vorübergehende Zeiterscheinung. Wenn jetzt sogar der US-Präsident Bush die Notwendigkeit des Energiesparens betont, dann sind aus meiner Sicht die letzten Bastionen erobert. Der Öko-Boom ist eben dabei, auch alle anderen Bereiche, wie z. B. den Bürobau, die Bauten des Tourismus oder den öffentlichen Bereich usw. zu erfassen.

STANDARD: Aber ökologisches Bauen ist streng genommen auch keine Architektur, sondern an sich eine Technik. Dennoch schmücken sich einige Architekten, wie Sie ja auch, mit der Bezeichnung „Öko- Architekt“.

Reinberg: Ökologisches Bauen ist eine Technik, kann aber auch mehr sein: Es hat sich daraus eine architektonische Richtung entwickelt ...

STANDARD: ... weil man sich damit als Architekt besser verkaufen kann?

Reinberg: Nein, sondern weil ökologisches Bauen neben dem Einsatz der entsprechenden Technologie eben auch auf einer besonderen Philosophie gründet. Und diese kann sich in eigenständiger Architektur darstellen. Ich meine, dass die traditionelle Architektur am Ende ihrer Entwicklung angelangt ist und jetzt eben Schritt um Schritt von ökologischer Architektur abgelöst werden wird. Alle Anzeichen wie Umweltbelastung, Energieknappheit und vieles mehr zeigen ja ganz klar in diese Richtung. Und „gute Architektur“, die nicht oberflächlich bleibt, hat immer auch auf neue Techniken, neue Sichtweisen und kulturelle Veränderungen reagiert.

STANDARD:Da klingt jetzt aber doch auch ein bisschen Zweckoptimismus durch. Immerhin waren die so genannten Öko-Architekten bis dato die weniger gut verdienenden und die grundsätzlich im Vergleich kleineren Büros.

Reinberg: Das ist natürlich alles eine Entwicklungssache aber mein Büro zählt schon lange nicht mehr zu den ganz kleinen. Andererseits hat es diese Revolutionen in der Architektur ja schon immer gegeben. In der Gründerzeit ist beispielsweise Stahl als Baustoff aufgekommen. Die traditionellen Architekten haben zwar den neuen Baustoff „hinter den Kulissen“ verwendet, aber ihren architektonischen Stil nicht angepasst, und irgendwann einmal ist aus Stahl und Glas durch innovative Architekten ein eigener Baustil entstanden, den die tradtionellen Architekten damals zwar bekämpft haben, aber nicht verhindern konnten.

STANDARD: Und Sie meinen, so wird es jetzt auch bei der Öko- Architektur sein?

Reinberg: Ja, sicherlich. Traditionelle Architekten nutzen ja heute da und dort auch ökologische Bautechnik, wie beispielsweise Solarkollektoren. Aber die traditionellen Architekten lassen diese Technologie optisch verschwinden. Bei der suncity in Wien beispielsweise wurden die Dachränder extra höher gemacht, um die Solarkollektoren dahinter verschwinden zu lassen. Das Resultat aus dieser Haltung waren insgesamt höhere Kosten und eine deutlich geringere Effizienz der Kollektoren. So etwas funktioniert eben nicht. Ein Ökoarchitekt würde dagegen nicht im Traum daran denken, Sonnenkollektoren verschwinden zu lassen, denn sie sind ja sogar Symbol für seine architektonische Linie.

STANDARD: Wenn Sie schon selbst die Kosten ansprechen: Tatsache ist und bleibt, dass Ökoarchitektur definitiv teurer ist als klassische Architektur und in Wahrheit nicht einmal mit den Betriebskosteneinsparungen die Mehrkosten jemals wieder hereingespielt werden können.

Reinberg: .Das gilt nur für schlechte Planung, das hat für die Anfänge dieser Technologie gestimmt, trifft aber heute nicht mehr zu. Einerseits ist die „Hardware“ billiger geworden, andererseits lernen wir immer mehr dazu, sodass Öko durchgerechnet nicht mehr wirklich teurer ist. Wir haben beispielsweise in Salzburg 530 Quadratmeter Sonnenkollektoren einfach direkt auf das Dach montiert, und zwar anstatt der Ziegel. Das hat ein Viertel der Kosten eingespart und sogar die Funktionstüchtigkeit gesteigert. Mit solchen und ähnlichen Maßnahmen drücken Sie die Kosten dann schon auf ein durchaus vergleichbares Niveau bzw. ergeben sich insgesamt – wenn man die vorhandenen Förderungen nutzt – sogar Kostenvorteile. Gesamtgesellschaftlich gesehen ist ökologisches Bauen natürlich sehr viel kostengünstiger.

STANDARD: Also hat Ökoarchitektur Ihrer Meinung nach den Durchbruch geschafft?

Reinberg: Ich denke schon. Ich hab z. B. eine recht gute Auftragslage; technisch ist der Energiepass für Häuser, der jetzt verpflichtend kommt, sicherlich auch ein Durchbruch. Der Energiepass wird ein Maßstab für den Wert einer Immobilie werden.

STANDARD: Dies hat allerdings dann wahrscheinlich den Nachteil, dass dann optische Einbußen in Kauf genommen werden müssen – und wer will das schon?

Reinberg: Aber das stimmt doch nicht! Ganz im Gegenteil: Gute Architekten machen aus Ökologie die schönere Architektur …

STANDARD: Es hat aber nach wie vor vielfach dieses Image ...

Reinberg: Oder auch nicht. Das teilweise schlechte Image mag vielleicht daher kommen, dass manchmal nur Techniker am Werk waren, aber zwischenzeitlich beweisen gute Architekten, dass es auch viel besser geht: Ökologische Überlegungen werden in der Hand von schlauen Architekten zum Schwungrad für eine interessantere Architektur. Die Ökoarchitektur wird künftig auf das lokale Klima bezogene vielfältigere Stile hervorbringen und es werden auch ganz neue Details entstehen. Zum Beispiel werden Fensterleibungen tiefer und die Fensterrahmen werden aufgrund von Wärmeisolierungsnotwendigkeiten mit der Fassade überzogen. Daraus lässt sich dann auch eine neue Oberflächenstruktur entwickeln: Insgesamt ist für mich das Spannende die Architektur, die sich daraus entwickeln lässt, eine Architektur, die über eine positive Zukunft berichtet.

STANDARD: Dafür aber treten die ersten Bedenken auf, dass die beim ökologischen Bauen verwendeten Baustoffe zum Teil die Lebensdauer des Gebäudes drastisch verringern können, beispielsweise der Einsatz von Dampfsperren aus Kunststoff oder andere derartige Materialien.

Reinberg: Das stimmt nicht. Ganz im Gegenteil: Die ökomoderne Architektur ist viel langlebiger. Es gibt ja Alternativen zum Plastiksack, beispielsweise ein Lehmfließ. Tatsache ist natürlich, dass sich die Materialien ständig weiterentwickeln und gute Öko-Technik der alten Technik weit überlegen ist (Stichwort: Raumklima). Ökomodernes Bauen ist also die fortschrittlichere Technik mit der progressiveren Architektur.

Der Standard, Sa., 2005.12.10



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Reinberg Georg W.

Presseschau 12

26. Mai 2006Gerhard Rodler
Der Standard

Die Zukunft sieht aus wie Kopenhagen

Autofreie Wohnbauten stehen in Wien nicht im Fokus der Stadtplaner. Andere Städte gehen das Verdrängen der Autos radikaler an. Sie schaffen Parkplätze in den Kernzonen ab oder fordern Citymaut. Folge: Die Nachfrage nach innerstädtischen Wohnungen steigt.

Autofreie Wohnbauten stehen in Wien nicht im Fokus der Stadtplaner. Andere Städte gehen das Verdrängen der Autos radikaler an. Sie schaffen Parkplätze in den Kernzonen ab oder fordern Citymaut. Folge: Die Nachfrage nach innerstädtischen Wohnungen steigt.

Schon nach zehn Minuten begann es im Vortragssaal des Palais de Congrès zu rumoren. Was die Hundertschaft an Bürgermeistern und Stadtplanern, die sich in der Vorwoche zum Global City Kongress in Lyon zusammengefunden hatten, so aufbrachte, waren die Thesen des dänischen Architekten und Stadtplaners Jan Gehl: verpflichtende Parkplätze bei neuen Wohn- und Bürohäusern? Der völlig verkehrte Ansatz. Die Verkehrsplanungen in den Großstädten der Welt? Im Großen und Ganzen eine Themenverfehlung. Abschließendes Urteil Gehls: „Jede Stadt betreibt Verkehrsplanung und zählt penibel die Autobewegungen in ihren Straßen, die Bewohner und ihre Bedürfnisse aber werden vernachlässigt.“

Wien ist da auch nicht viel anders. Bis dato hält man bei zwei dezidiert autounfreundlichen Wohnbauprojekten. Begonnen hat alles vor gut einem Jahrzehnt mit dem Projekt „autofreie Siedlung“ in Floridsdorf, wo 244 geförderte Wohnungen ohne Autoabstellplatz errichtet wurden. Die Mieter verpflichteten sich, auf ein eigenes Auto zu verzichten. Das zweite Projekt ist die derzeit am Gelände des „Kabelwerks“ in Wien-Meidling entstehende Siedlung, wo nur ein Zehntel der sonst verpflichtend vorgeschriebenen Parkplätze errichtet wird.

Angesichts von rund einer Million Wohnungen in Wien jenseits der Wahrnehmungsgrenze, aber ganz nach dem Geschmack von Gehl, denn: „Wer Parkplätze schafft, stimuliert die Anschaffung von Pkws in den Städten, und wer keine Parkplätze schafft, verbannt die Autos mittelfristig aus den Städten und schafft so automatisch mehr Lebens-und Freiraum für die Menschen.“ Internationale Beispiele bestätigen diese These. Barcelona, Lyon, Kopenhagen, Córdoba in Europa, Portland in den USA oder Melbourne in Australien haben sich gegen mehr Parkplätze und für mehr Fußgängerzonen mit Sitzgelegenheiten entschieden, was auch die Nachfrage nach innerstädtischem Wohnen signifikant ansteigen ließ.

Renaissance der City

Die Zukunft des Wohnens könnte aussehen wie Kopenhagen. Dort war es die erste große Ölkrise in den 70er-Jahren, die zur Diskriminierung der Pkws geführt hatte. Die Folgen bis heute: 36 Prozent der Kopenhagener fahren mit dem Fahrrad auch zur Arbeit, 33 Prozent benutzen öffentliche Verkehrsmittel, acht Prozent gehen zu Fuß, und nur noch 23 Prozent (von zuvor weit über 60 Prozent) fahren weiterhin mit dem Auto.

Gleichzeitig hat die gesamte Innenstadt eine Renaissance als Wohngegend erlebt. Immer mehr Menschen sind vom Speckgürtel zurück in die Kopenhagener City gezogen - allerdings auch mit dem Effekt, dass die Wohnimmobilienpreise hier überdurchschnittlich gestiegen sind. Schließlich sind hunderte Straßen-Cafés entstanden.

Dass selbst autofanatische Großstädte wie San Francisco mit weniger Hauptverkehrsadern auskommen, sieht Gehl als Bestätigung seiner These. Im Zuge des letzten großen Erdbebens war eine der wichtigsten Stadtautobahnen zerstört, aber nie wieder aufgebaut worden. Heute befindet sich an ihrer Stelle ein großzügiger Spazierweg samt Straßenbahnlinie - und neuen, im Hochpreissegment angesiedelten Wohnprojekten.

Citymaut als Lösung

Einen noch radikaleren Weg haben Städte wie London, Sydney oder Santiago de Chile eingeschlagen, die unterschiedliche Mautsysteme für die Nutzung der Stadtstraßen eingeführt haben. In London entschied man sich etwa für die „Einfahrtsgebühr“ in die Stadt. Nick Gavron, Deputy Mayor of London: „Zu Beginn war die Citymaut ein großer, vorwiegend über die Medien gespielter, Aufruhr. Ich kann aber sagen, dass dadurch die Wohnqualität stark gestiegen ist.“ Sydney und Santiago erheben - vorerst nur auf einzelnen Durchzugsstraßen - eine fahrleistungsabhängige Maut ähnlich der heimischen Lkw-Autobahnmaut. Auch dort folgte dem Aufstand bald ein Gewöhnungsprozess.

Catherine Hart, Leiterin der strategischen Stadtplanung von Sydney, half mit einer gefinkelten Strategie nach nach: „Wir haben die Bemautung aufgrund der Proteste vorübergehend ausgesetzt, dann mit verminderten Kosten wieder eingeführt - und stufenweise auf den ursprünglichen Betrag zurückgeführt. Jetzt ist die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung zufrieden.“

Der Standard, Fr., 2006.05.26

10. Dezember 2005Gerhard Rodler
Der Standard

Öko-Konzepte ziehen in Büros ein

Ökologische Konzepte beginnen sich langsam nach dem Wohnbau auch bei gewerblichen Immobilien durchzusetzen. Der Öko-Marketingansatz funktioniert jedenfalls immer besser. Warum die spezialisierten Öko-Architekten langsam, aber sicher aus der Hungerleider-Ecke hervorkommen, erläutert „Solarpapst“ Georg W. Reinberg im Gespräch mit Gerhard Rodler.

Ökologische Konzepte beginnen sich langsam nach dem Wohnbau auch bei gewerblichen Immobilien durchzusetzen. Der Öko-Marketingansatz funktioniert jedenfalls immer besser. Warum die spezialisierten Öko-Architekten langsam, aber sicher aus der Hungerleider-Ecke hervorkommen, erläutert „Solarpapst“ Georg W. Reinberg im Gespräch mit Gerhard Rodler.

STANDARD: Im letzten Jahrzehnt reichte das Etikett „Öko“ für einen Verkaufserfolg im Wohnimmobilienbereich. Mittlerweile scheint auch dieser Begriff marketingtechnisch schon abgenutzt. Bricht jetzt die Zeit nach dem Öko-Boom an?

Reinberg: Die Periode des ökologischen Bauens hat eben erst begonnen. Ökologisches Bauen ist definitiv keine vorübergehende Zeiterscheinung. Wenn jetzt sogar der US-Präsident Bush die Notwendigkeit des Energiesparens betont, dann sind aus meiner Sicht die letzten Bastionen erobert. Der Öko-Boom ist eben dabei, auch alle anderen Bereiche, wie z. B. den Bürobau, die Bauten des Tourismus oder den öffentlichen Bereich usw. zu erfassen.

STANDARD: Aber ökologisches Bauen ist streng genommen auch keine Architektur, sondern an sich eine Technik. Dennoch schmücken sich einige Architekten, wie Sie ja auch, mit der Bezeichnung „Öko- Architekt“.

Reinberg: Ökologisches Bauen ist eine Technik, kann aber auch mehr sein: Es hat sich daraus eine architektonische Richtung entwickelt ...

STANDARD: ... weil man sich damit als Architekt besser verkaufen kann?

Reinberg: Nein, sondern weil ökologisches Bauen neben dem Einsatz der entsprechenden Technologie eben auch auf einer besonderen Philosophie gründet. Und diese kann sich in eigenständiger Architektur darstellen. Ich meine, dass die traditionelle Architektur am Ende ihrer Entwicklung angelangt ist und jetzt eben Schritt um Schritt von ökologischer Architektur abgelöst werden wird. Alle Anzeichen wie Umweltbelastung, Energieknappheit und vieles mehr zeigen ja ganz klar in diese Richtung. Und „gute Architektur“, die nicht oberflächlich bleibt, hat immer auch auf neue Techniken, neue Sichtweisen und kulturelle Veränderungen reagiert.

STANDARD:Da klingt jetzt aber doch auch ein bisschen Zweckoptimismus durch. Immerhin waren die so genannten Öko-Architekten bis dato die weniger gut verdienenden und die grundsätzlich im Vergleich kleineren Büros.

Reinberg: Das ist natürlich alles eine Entwicklungssache aber mein Büro zählt schon lange nicht mehr zu den ganz kleinen. Andererseits hat es diese Revolutionen in der Architektur ja schon immer gegeben. In der Gründerzeit ist beispielsweise Stahl als Baustoff aufgekommen. Die traditionellen Architekten haben zwar den neuen Baustoff „hinter den Kulissen“ verwendet, aber ihren architektonischen Stil nicht angepasst, und irgendwann einmal ist aus Stahl und Glas durch innovative Architekten ein eigener Baustil entstanden, den die tradtionellen Architekten damals zwar bekämpft haben, aber nicht verhindern konnten.

STANDARD: Und Sie meinen, so wird es jetzt auch bei der Öko- Architektur sein?

Reinberg: Ja, sicherlich. Traditionelle Architekten nutzen ja heute da und dort auch ökologische Bautechnik, wie beispielsweise Solarkollektoren. Aber die traditionellen Architekten lassen diese Technologie optisch verschwinden. Bei der suncity in Wien beispielsweise wurden die Dachränder extra höher gemacht, um die Solarkollektoren dahinter verschwinden zu lassen. Das Resultat aus dieser Haltung waren insgesamt höhere Kosten und eine deutlich geringere Effizienz der Kollektoren. So etwas funktioniert eben nicht. Ein Ökoarchitekt würde dagegen nicht im Traum daran denken, Sonnenkollektoren verschwinden zu lassen, denn sie sind ja sogar Symbol für seine architektonische Linie.

STANDARD: Wenn Sie schon selbst die Kosten ansprechen: Tatsache ist und bleibt, dass Ökoarchitektur definitiv teurer ist als klassische Architektur und in Wahrheit nicht einmal mit den Betriebskosteneinsparungen die Mehrkosten jemals wieder hereingespielt werden können.

Reinberg: .Das gilt nur für schlechte Planung, das hat für die Anfänge dieser Technologie gestimmt, trifft aber heute nicht mehr zu. Einerseits ist die „Hardware“ billiger geworden, andererseits lernen wir immer mehr dazu, sodass Öko durchgerechnet nicht mehr wirklich teurer ist. Wir haben beispielsweise in Salzburg 530 Quadratmeter Sonnenkollektoren einfach direkt auf das Dach montiert, und zwar anstatt der Ziegel. Das hat ein Viertel der Kosten eingespart und sogar die Funktionstüchtigkeit gesteigert. Mit solchen und ähnlichen Maßnahmen drücken Sie die Kosten dann schon auf ein durchaus vergleichbares Niveau bzw. ergeben sich insgesamt – wenn man die vorhandenen Förderungen nutzt – sogar Kostenvorteile. Gesamtgesellschaftlich gesehen ist ökologisches Bauen natürlich sehr viel kostengünstiger.

STANDARD: Also hat Ökoarchitektur Ihrer Meinung nach den Durchbruch geschafft?

Reinberg: Ich denke schon. Ich hab z. B. eine recht gute Auftragslage; technisch ist der Energiepass für Häuser, der jetzt verpflichtend kommt, sicherlich auch ein Durchbruch. Der Energiepass wird ein Maßstab für den Wert einer Immobilie werden.

STANDARD: Dies hat allerdings dann wahrscheinlich den Nachteil, dass dann optische Einbußen in Kauf genommen werden müssen – und wer will das schon?

Reinberg: Aber das stimmt doch nicht! Ganz im Gegenteil: Gute Architekten machen aus Ökologie die schönere Architektur …

STANDARD: Es hat aber nach wie vor vielfach dieses Image ...

Reinberg: Oder auch nicht. Das teilweise schlechte Image mag vielleicht daher kommen, dass manchmal nur Techniker am Werk waren, aber zwischenzeitlich beweisen gute Architekten, dass es auch viel besser geht: Ökologische Überlegungen werden in der Hand von schlauen Architekten zum Schwungrad für eine interessantere Architektur. Die Ökoarchitektur wird künftig auf das lokale Klima bezogene vielfältigere Stile hervorbringen und es werden auch ganz neue Details entstehen. Zum Beispiel werden Fensterleibungen tiefer und die Fensterrahmen werden aufgrund von Wärmeisolierungsnotwendigkeiten mit der Fassade überzogen. Daraus lässt sich dann auch eine neue Oberflächenstruktur entwickeln: Insgesamt ist für mich das Spannende die Architektur, die sich daraus entwickeln lässt, eine Architektur, die über eine positive Zukunft berichtet.

STANDARD: Dafür aber treten die ersten Bedenken auf, dass die beim ökologischen Bauen verwendeten Baustoffe zum Teil die Lebensdauer des Gebäudes drastisch verringern können, beispielsweise der Einsatz von Dampfsperren aus Kunststoff oder andere derartige Materialien.

Reinberg: Das stimmt nicht. Ganz im Gegenteil: Die ökomoderne Architektur ist viel langlebiger. Es gibt ja Alternativen zum Plastiksack, beispielsweise ein Lehmfließ. Tatsache ist natürlich, dass sich die Materialien ständig weiterentwickeln und gute Öko-Technik der alten Technik weit überlegen ist (Stichwort: Raumklima). Ökomodernes Bauen ist also die fortschrittlichere Technik mit der progressiveren Architektur.

Der Standard, Sa., 2005.12.10



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