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24. Februar 2014Johannes Stoffler
anthos

Unbequemes Erbe

Die Feindbilder von einst sind inzwischen Gegenstand der Denkmalpflege. Doch die zeugnishafte Bedeutung der Aussenanlagen von Grosssiedlungen ist bisher nur ungenügend gewürdigt worden. Wir brauchen qualifizierte Entwicklungskonzepte, Garteninventare und mehr Forschung.

Die Feindbilder von einst sind inzwischen Gegenstand der Denkmalpflege. Doch die zeugnishafte Bedeutung der Aussenanlagen von Grosssiedlungen ist bisher nur ungenügend gewürdigt worden. Wir brauchen qualifizierte Entwicklungskonzepte, Garteninventare und mehr Forschung.

«Eine Zukunft unserer Vergangenheit!» lautete das Motto des Europäischen Denkmalschutzjahres 1975. Unter der Schirmherrschaft des Europarats hatte sich erstmals auf internationaler Basis eine gesellschaftlich breit abgestützte Protestbewegung formiert, welche die Städtebaupolitik der Nachkriegszeit lautstark kritisierte. Statt Flächensanierung forderte man eine bewahrende Stadterneuerung. Die Politik griff den Protest auf und erliess die bis heute bestehenden Denkmalschutzgesetze.

Wirft man einen Blick in den Katalog der zum Denkmaljahr gehörigen Ausstellung, so tritt vor Augen, woran sich der Unmut vor fast 40 Jahren entzündete. In plakativen Bildern waren hier die Grosssiedlungen der Nachkriegsmoderne mittelalterlichen Altstädtchen wertend gegenübergestellt. Nicht ohne Polemik wurden Grosssiedlungen als Produkte einer entgleisten Moderne dargestellt, die regionale Bezüge und Traditionen, aber auch die Menschen selbst aus dem Auge verloren hatten. Dieses Verständnis traf nicht nur den Nerv der Mehrheit der Denkmalpfleger, sondern bediente auch die sentimentalen und bisweilen heimattümeligen Sehnsüchte der breiten Öffentlichkeit.

Inzwischen ist die Auslegeordnung unübersichtlicher und der Denkmalbegriff erweitert worden. Die schmucken mittelalterlichen Riegelhäuschen sind Bestandteil von komplexen Denkmallandschaften geworden, die zeitlich weit in das 20. Jahrhundert reichen und nun auch Zeugen der Moderne und der Industriekultur umfassen. Die Ironie der Geschichte will es, dass inzwischen ausgerechnet die Feindbilder von damals – die Grosssiedlungen der Nachkriegsmoderne – zu potenziellen Schutzobjekten der Denkmalpflege avanciert sind. Während aus fachlicher Sicht die zeugnishafte Bedeutung mancher dieser Ensembles im wahrsten Sinne des Wortes kaum übersehbar sind, halten die breite Öffentlichkeit und auch die Politik mit dieser Entwicklung nur mühsam Schritt. Umso wichtiger wird es, die Bedeutung dieser Siedlungen verständlich zu erklären und aktiv Aufklärungsarbeit zu betreiben.

Sorgfältige Entwicklung

Grosssiedlungen sind oftmals multifunktionale Kleinstädte im Grünen. Während manche mit banalem ­Abstandsgrün aufwarten, finden sich auch gestalterisch herausragende Beispiele. So bietet der Koloss Lieb­rüti in Kaiseraugst bei Basel (1966–1979) neben ­verschiedensten Wohntypen und Gemeinschaftseinrichtungen auch eine ungewöhnliche Vielfalt an Aussenräumen an. Gemeinsam mit den Architekten Schachenmann & Berger schuf hier Helmut Vivell ­einen Stadtplatz, Spiel- und Ruheplätze, Einzelgärten, Gartenhöfe und Parkflächen in kluger Kammerung. Wie Liebrüti bildet auch bei der Wohnsiedlung Grünau in Zürich (1972–1977) der Park das eigentliche Zentrum der Anlage. Auch hier wurde der Aushub nach Entwürfen von Willi Neukom zu einer expressiven Topografie aufgetürmt – ein kunstvolles und nutz­bares Gegenüber der Grossbauten.

Doch längst haben sich bauliche Mängel bei den Siedlungen bemerkbar gemacht. Während energetische Sanierungen nur die Gebäude betreffen, stellen statische Probleme bei Tiefgaragen mancherorts ganze darüberliegende Parklandschaften in Frage.

Hinzu kommen veränderte Nutzungsgewohnheiten der Bewohner im Aussenraum, heruntergekommene Möbel und Infrastrukturen und ein Pflanzenbestand, der von jahrzehntelanger Totalpflege durch Hauswartungsfirmen arg gezeichnet ist. Um verloren gegangene gestalterische Qualitäten wiederzugewinnen, wären Entwicklungskonzepte notwendig, die – einem Parkpflegewerk vergleichbar – auf der Basis des historisch Gewachsenen und aktueller Nutzungsbedürfnisse eine Perspektive für den dauerhaften Erhalt des wertvollen Zeugen eröffnet.

Wissen aufbauen

Dass aber auch Grosssiedlungen und insbesondere ihre Aussenräume Denkmale sein können, ist ihren Eigentümern nur mit Mühe plausibel zu machen. Wenig förderlich dabei ist, dass gartendenkmalpflegerisches Fachwissen in den zuständigen Denkmalpflegeämtern der Schweiz immer noch die Ausnahme ist – und dies, obwohl Garten und Grünfläche die massgeblichen Leitmotive für die letzten 100 Jahre im Städtebau des Landes waren.

Auch können Planer bisher wenig auf Erfahrungen und fast gar nicht auf Grundlagenforschungen zum Thema aufbauen. Es existieren bisher nur wenige substanzielle gartenhistorische Arbeiten zur Epoche und fast gar keine Beiträge zur angewandten Forschung in diesem Bereich. Wer ernst genommen werden will, muss mehr vorzuweisen haben.

Mit der Erweiterung des Bau- und Garteninventars um die Epoche 1960 bis 1980 hat sich die Stadt Zürich vergangenes Jahr (2013) den anstehenden Problemen gestellt. Wegweisend war dabei die gemeinsame Inventarisierung der Ensembles durch Bau- und Gartendenkmalpflege, zumal erfahrungsgemäss der Aussenraum ohne die Gebäude nicht erhalten werden kann. Zugleich beteiligt man sich an anwendungsorientierter Forschung. Gemeinsam mit der Hochschule Rapperswil und dem Verfasser dieses Artikels erarbeitet die Stadt den Leitfaden «Fliessendes Grün» zur Wiederbepflanzung von Grünflächen des organischen Städtebaus 1940 bis 1970, unterstützt von der Stiftung zur Förderung der Denkmalpflege.

Ob die im Inventar verankerten Bemühungen um den Erhalt der neuen Denkmalgruppe der Stadt Zürich erfolgreich sein werden, bleibt abzuwarten. Die Stadt hat sich der Problematik des sperrigen Erbes jedoch fachübergreifend gestellt.

anthos, Mo., 2014.02.24



verknüpfte Zeitschriften
anthos 2014/1 Grosssiedlungsgrün

25. September 2007Maya Kohte
Johannes Stoffler
anthos

Landschaften für morgen!

Zur besonderen Wertschätzung und Identität der Schweiz tragen wesentlich ihre Landschaften bei. Als alltägliche Lebenswelt sichern sie eine hohe Lebensqualität...

Zur besonderen Wertschätzung und Identität der Schweiz tragen wesentlich ihre Landschaften bei. Als alltägliche Lebenswelt sichern sie eine hohe Lebensqualität...

Zur besonderen Wertschätzung und Identität der Schweiz tragen wesentlich ihre Landschaften bei. Als alltägliche Lebenswelt sichern sie eine hohe Lebensqualität und in der Folge ökonomische Standortqualität. Der Begriff Landschaft wird in der Regel positiv konnotiert. «Bäume, Hecken, einen Strauß von Blüthen, Hügel, die sich kreuzen und die lieblichsten Täler bilden» – das war die Landschaft der Empfindsamkeit, die Johann Wolfgang von Goethe in seinem Werther beschrieb und literarisch überhöhte.3 Sie war ihm «hold und gut», wie er in einem Gedicht über den Zürichsee 1789 festhielt.4 Inzwischen haben sich die bäuerlich geprägten Kulturlandschaften um Zürich verändert, sind Agglomerationslandschaften geworden. Den «Strauß von Blüthen» – freilich in einem neuen Farbengemisch – finden wir auch heute noch zwischen Siedlungs- und Verkehrsbauten. Zum Blumenpflücken fahren wir aber immer noch am liebsten in die Berge. Es stellt sich daher die Frage, welche Aufmerksamkeit und welche Wertschätzung wir heute unseren verschiedenen Landschaften schenken – auch im Hinblick auf ihre zukünftige Entwicklung und Gestaltung. Die Uhr lässt sich nicht zurückdrehen. Doch was bedeutet eine qualitätsvolle Landschaft heute und welche Ziele sollen für die Zukunft verfolgt werden?

Herausforderungen – Chancen für die Zukunft?

Wir stehen hinsichtlich Dynamik und Ausmass der Landschaftsveränderungen vor neuen Herausforderungen: Mit dem Klimawandel werden sich die Schweizer Landschaften in wenigen Jahrzehnten grundsätzlich verändern, wesentliche Auswirkungen sind bereits bei den Gletschern und Permafrostgebieten sowie bei Hochwasserereignissen sichtbar. Die Veränderungen in der Landwirtschaft werden grossräumige ökologische, funktionale und ästhetische Auswirkungen zur Folge haben, zum Beispiel Tendenz zur Konzentration auf wenige grosse Betriebe, Flächenaufgabe an Produktionsrandgebieten sowie veränderte Wirtschaftsweisen und Angebote in und am Rande von Ballungsräumen. Mit der weiter fortschreitenden Siedlungsentwicklung werden rurale Landschaften verschwinden und neue urbane Lebenswelten entstehen.

Um weiterhin eine hohe Landschaftsqualität zu sichern oder neu zu entwickeln, besteht eine Verantwortung, auf diese Veränderungen zu reagieren. Die Massnahmen müssen über einen restriktiven Schutz hinausgehen und aktiv die Entwicklung und Gestaltung unserer zukünftigen Landschaften angehen. Dann können die Herausforderungen gegebenenfalls auch als Chancen für die Zukunft verstanden werden.

Zufall oder Gestaltung?

Die verschiedenen Landschaftsräume werden durch zahlreiche unterschiedliche Massnahmen geformt, welche die Landschaft mitprägen, dies jedoch nur selten im Voraus thematisieren. Die Massnahmen zur Landschaftsgestaltung beschränken sich in der Regel auf einzelne, begrenzte Gebiete. An der Formung der Landschaft sind zahlreiche Akteure mit vielfältigen Interessen beteiligt. Jede Massnahme hat für sich einen Sinn, ihr Zusammentreffen ist jedoch in der Folge nicht unbedingt gewollt und sinnvoll. Die Antwort hierauf können weder ein Laisser-faire noch kaum durchsetzbare, restriktive Regime zum Landschaftsschutz sein. Benötigt werden vielmehr dynamische Gestaltungskonzepte für gelenkte Entwicklungsprozesse unserer vielfältigen Landschaften.

Traditionen und Visionen

Zur Sicherung und Entwicklung von Landschaften bestehen Erfahrungen in der Schweiz: Der Heimatschutz und der Landschaftsschutz widmen sich dem Bewahren von Kulturgut. Es besteht auch eine praktische, durchaus innovative Tradition der Garten- und Landschaftsgestaltung. Massnahmen wie die Gewässerkorrektionen oder die urbanen Ufergestaltungen haben weiträumige Landschaften geprägt. Die Herausforderung besteht darin, unsere bisherigen Erfahrungen und Kenntnisse für die Zukunft zu nutzen, denn die Fragestellungen sind heute um ein Vielfaches komplexer geworden. Landschaft zu gestalten ist daher nicht allein eine Aufgabe der Praxis, sie verlangt auch empirische, wissenschaftliche Forschung. Für Entscheidungen über zukünftige Entwicklungen benötigen wir eine Diskussion von Visionen.

Soll die Landwirtschaft in Stadtnähe eine neue Rolle mit Freizeitaktivitäten übernehmen?
Soll sie sich in erster Linie als Pflegerin der Schweizer Landschaften begreifen? Oder sollen grosse Regionen natürlich wieder bewalden?
Soll die Siedlungsentwicklung mit einer hohen urbanen Dichte als Gegensatz zum Land oder dispers als Stadtlandschaft mit lokalen Kreisläufen nachhaltig gestaltet werden?
Soll die Landschaft ein Konglomerat traditioneller Bilder sein, sollen heutige Landschaften «ästhetisiert» werden oder gilt es, neue Vorstellungen zu entwickeln?
Sollen über diese Fragen Experten entscheiden, der allgemeine Wille oder der Wille aller?

Mut zur Zusammenarbeit in Forschung und Praxis

Um unsere pluralistischen Landschaften als Ganzes gestalten zu können, müssen alle Beteiligten zusammenwirken. In der Praxis kann eine weitergehende Kooperation für das Zusammenwirken der zahlreichen Akteure eine weitere Abstimmung ermöglichen. In der Wissenschaft können die verschiedenen Disziplinen von einem wechselseitigen Austausch profitieren, denn erst dann können die unterschiedlichen Aspekte von Landschaft berücksichtigt werden. Schliesslich lernen auch Praxis und Wissenschaft voneinander. Nur so können weitere Ansätze und Visionen, Methoden und Instrumente entwickelt werden.

Ein Netzwerk für die Landschaft von morgen

Mit dem Ziel, diese Aufgabe anzugehen, wurde im Januar 2006 in Bern das Forum Landschaft gegründet. Gründungsmitglieder des Vereins sind Fachleute aus Praxis und Verwaltung sowie Forschende verschiedener Schweizer Hochschulen und Forschungsinstitutionen.
Ziel des Forums ist die Thematisierung der Landschaft im umfassenden Sinne der europäischen Landschaftskonvention. Insbesondere sollen die bewusste Landschaftsgestaltung, wissenschaftliche Forschungsprojekte und der Diskurs Forschung/Praxis gefördert sowie die öffentliche Diskussion über Landschaft angeregt werden. Zur Umsetzung dieser Ziele wird zurzeit ein Netzwerk Landschaft aufgebaut und gepflegt, zu dem alle Akteure, Forschenden und Lehrenden im Bereich Landschaft eingeladen sind.

Eine Internetseite www.forumlandschaft.ch informiert über die Aktivitäten des Forums und bietet Datenbanken zu Forschungsprojekten im Bereich Landschaft sowie zu aktuellen Veranstaltungen. An Tagungen und auf Workshops werden im Diskurs Fragen zur Entwicklung und Gestaltung der Landschaft aus der Sicht verschiedener Forschungsdisziplinen sowie aus Verwaltung und Praxis thematisiert. Forschungsprojekte sollen initiiert werden. Publikationen dienen einer Sensibilisierung der weiteren Öffentlichkeit.

Finanziert wird die zweijährige Startphase von der Schweizer Akademie der Naturwissenschaften, dem Bundesamt für Umwelt, dem Bund Schweizer Landschaftsarchitekten und Landschaftsarchitektinnen, der Stiftung Landschaftsschutz Schweiz und Mitgliederbeiträgen. Dem Vorstand des Forums gehören Personen aus unterschiedlichen, landschaftsrelevanten Bereichen an. Ein wissenschaftlicher Beirat von ausgewiesenen Experten übernimmt es, die Qualität der Arbeit fachlich zu sichern.
Mit der Konzeption dieses anthos-Heftes möchte das Forum Landschaft verschiedene Positionen unterschiedlicher Disziplinen zur zukünftigen Landschaftsgestaltung zur Diskussion stellen und für die Entwicklung von Visionen zur Zukunft Landschaft Schweiz anregen.

anthos, Di., 2007.09.25



verknüpfte Zeitschriften
anthos 2007/3 Zukunft Landschaft Schweiz

Publikationen

Presseschau 12

24. Februar 2014Johannes Stoffler
anthos

Unbequemes Erbe

Die Feindbilder von einst sind inzwischen Gegenstand der Denkmalpflege. Doch die zeugnishafte Bedeutung der Aussenanlagen von Grosssiedlungen ist bisher nur ungenügend gewürdigt worden. Wir brauchen qualifizierte Entwicklungskonzepte, Garteninventare und mehr Forschung.

Die Feindbilder von einst sind inzwischen Gegenstand der Denkmalpflege. Doch die zeugnishafte Bedeutung der Aussenanlagen von Grosssiedlungen ist bisher nur ungenügend gewürdigt worden. Wir brauchen qualifizierte Entwicklungskonzepte, Garteninventare und mehr Forschung.

«Eine Zukunft unserer Vergangenheit!» lautete das Motto des Europäischen Denkmalschutzjahres 1975. Unter der Schirmherrschaft des Europarats hatte sich erstmals auf internationaler Basis eine gesellschaftlich breit abgestützte Protestbewegung formiert, welche die Städtebaupolitik der Nachkriegszeit lautstark kritisierte. Statt Flächensanierung forderte man eine bewahrende Stadterneuerung. Die Politik griff den Protest auf und erliess die bis heute bestehenden Denkmalschutzgesetze.

Wirft man einen Blick in den Katalog der zum Denkmaljahr gehörigen Ausstellung, so tritt vor Augen, woran sich der Unmut vor fast 40 Jahren entzündete. In plakativen Bildern waren hier die Grosssiedlungen der Nachkriegsmoderne mittelalterlichen Altstädtchen wertend gegenübergestellt. Nicht ohne Polemik wurden Grosssiedlungen als Produkte einer entgleisten Moderne dargestellt, die regionale Bezüge und Traditionen, aber auch die Menschen selbst aus dem Auge verloren hatten. Dieses Verständnis traf nicht nur den Nerv der Mehrheit der Denkmalpfleger, sondern bediente auch die sentimentalen und bisweilen heimattümeligen Sehnsüchte der breiten Öffentlichkeit.

Inzwischen ist die Auslegeordnung unübersichtlicher und der Denkmalbegriff erweitert worden. Die schmucken mittelalterlichen Riegelhäuschen sind Bestandteil von komplexen Denkmallandschaften geworden, die zeitlich weit in das 20. Jahrhundert reichen und nun auch Zeugen der Moderne und der Industriekultur umfassen. Die Ironie der Geschichte will es, dass inzwischen ausgerechnet die Feindbilder von damals – die Grosssiedlungen der Nachkriegsmoderne – zu potenziellen Schutzobjekten der Denkmalpflege avanciert sind. Während aus fachlicher Sicht die zeugnishafte Bedeutung mancher dieser Ensembles im wahrsten Sinne des Wortes kaum übersehbar sind, halten die breite Öffentlichkeit und auch die Politik mit dieser Entwicklung nur mühsam Schritt. Umso wichtiger wird es, die Bedeutung dieser Siedlungen verständlich zu erklären und aktiv Aufklärungsarbeit zu betreiben.

Sorgfältige Entwicklung

Grosssiedlungen sind oftmals multifunktionale Kleinstädte im Grünen. Während manche mit banalem ­Abstandsgrün aufwarten, finden sich auch gestalterisch herausragende Beispiele. So bietet der Koloss Lieb­rüti in Kaiseraugst bei Basel (1966–1979) neben ­verschiedensten Wohntypen und Gemeinschaftseinrichtungen auch eine ungewöhnliche Vielfalt an Aussenräumen an. Gemeinsam mit den Architekten Schachenmann & Berger schuf hier Helmut Vivell ­einen Stadtplatz, Spiel- und Ruheplätze, Einzelgärten, Gartenhöfe und Parkflächen in kluger Kammerung. Wie Liebrüti bildet auch bei der Wohnsiedlung Grünau in Zürich (1972–1977) der Park das eigentliche Zentrum der Anlage. Auch hier wurde der Aushub nach Entwürfen von Willi Neukom zu einer expressiven Topografie aufgetürmt – ein kunstvolles und nutz­bares Gegenüber der Grossbauten.

Doch längst haben sich bauliche Mängel bei den Siedlungen bemerkbar gemacht. Während energetische Sanierungen nur die Gebäude betreffen, stellen statische Probleme bei Tiefgaragen mancherorts ganze darüberliegende Parklandschaften in Frage.

Hinzu kommen veränderte Nutzungsgewohnheiten der Bewohner im Aussenraum, heruntergekommene Möbel und Infrastrukturen und ein Pflanzenbestand, der von jahrzehntelanger Totalpflege durch Hauswartungsfirmen arg gezeichnet ist. Um verloren gegangene gestalterische Qualitäten wiederzugewinnen, wären Entwicklungskonzepte notwendig, die – einem Parkpflegewerk vergleichbar – auf der Basis des historisch Gewachsenen und aktueller Nutzungsbedürfnisse eine Perspektive für den dauerhaften Erhalt des wertvollen Zeugen eröffnet.

Wissen aufbauen

Dass aber auch Grosssiedlungen und insbesondere ihre Aussenräume Denkmale sein können, ist ihren Eigentümern nur mit Mühe plausibel zu machen. Wenig förderlich dabei ist, dass gartendenkmalpflegerisches Fachwissen in den zuständigen Denkmalpflegeämtern der Schweiz immer noch die Ausnahme ist – und dies, obwohl Garten und Grünfläche die massgeblichen Leitmotive für die letzten 100 Jahre im Städtebau des Landes waren.

Auch können Planer bisher wenig auf Erfahrungen und fast gar nicht auf Grundlagenforschungen zum Thema aufbauen. Es existieren bisher nur wenige substanzielle gartenhistorische Arbeiten zur Epoche und fast gar keine Beiträge zur angewandten Forschung in diesem Bereich. Wer ernst genommen werden will, muss mehr vorzuweisen haben.

Mit der Erweiterung des Bau- und Garteninventars um die Epoche 1960 bis 1980 hat sich die Stadt Zürich vergangenes Jahr (2013) den anstehenden Problemen gestellt. Wegweisend war dabei die gemeinsame Inventarisierung der Ensembles durch Bau- und Gartendenkmalpflege, zumal erfahrungsgemäss der Aussenraum ohne die Gebäude nicht erhalten werden kann. Zugleich beteiligt man sich an anwendungsorientierter Forschung. Gemeinsam mit der Hochschule Rapperswil und dem Verfasser dieses Artikels erarbeitet die Stadt den Leitfaden «Fliessendes Grün» zur Wiederbepflanzung von Grünflächen des organischen Städtebaus 1940 bis 1970, unterstützt von der Stiftung zur Förderung der Denkmalpflege.

Ob die im Inventar verankerten Bemühungen um den Erhalt der neuen Denkmalgruppe der Stadt Zürich erfolgreich sein werden, bleibt abzuwarten. Die Stadt hat sich der Problematik des sperrigen Erbes jedoch fachübergreifend gestellt.

anthos, Mo., 2014.02.24



verknüpfte Zeitschriften
anthos 2014/1 Grosssiedlungsgrün

25. September 2007Maya Kohte
Johannes Stoffler
anthos

Landschaften für morgen!

Zur besonderen Wertschätzung und Identität der Schweiz tragen wesentlich ihre Landschaften bei. Als alltägliche Lebenswelt sichern sie eine hohe Lebensqualität...

Zur besonderen Wertschätzung und Identität der Schweiz tragen wesentlich ihre Landschaften bei. Als alltägliche Lebenswelt sichern sie eine hohe Lebensqualität...

Zur besonderen Wertschätzung und Identität der Schweiz tragen wesentlich ihre Landschaften bei. Als alltägliche Lebenswelt sichern sie eine hohe Lebensqualität und in der Folge ökonomische Standortqualität. Der Begriff Landschaft wird in der Regel positiv konnotiert. «Bäume, Hecken, einen Strauß von Blüthen, Hügel, die sich kreuzen und die lieblichsten Täler bilden» – das war die Landschaft der Empfindsamkeit, die Johann Wolfgang von Goethe in seinem Werther beschrieb und literarisch überhöhte.3 Sie war ihm «hold und gut», wie er in einem Gedicht über den Zürichsee 1789 festhielt.4 Inzwischen haben sich die bäuerlich geprägten Kulturlandschaften um Zürich verändert, sind Agglomerationslandschaften geworden. Den «Strauß von Blüthen» – freilich in einem neuen Farbengemisch – finden wir auch heute noch zwischen Siedlungs- und Verkehrsbauten. Zum Blumenpflücken fahren wir aber immer noch am liebsten in die Berge. Es stellt sich daher die Frage, welche Aufmerksamkeit und welche Wertschätzung wir heute unseren verschiedenen Landschaften schenken – auch im Hinblick auf ihre zukünftige Entwicklung und Gestaltung. Die Uhr lässt sich nicht zurückdrehen. Doch was bedeutet eine qualitätsvolle Landschaft heute und welche Ziele sollen für die Zukunft verfolgt werden?

Herausforderungen – Chancen für die Zukunft?

Wir stehen hinsichtlich Dynamik und Ausmass der Landschaftsveränderungen vor neuen Herausforderungen: Mit dem Klimawandel werden sich die Schweizer Landschaften in wenigen Jahrzehnten grundsätzlich verändern, wesentliche Auswirkungen sind bereits bei den Gletschern und Permafrostgebieten sowie bei Hochwasserereignissen sichtbar. Die Veränderungen in der Landwirtschaft werden grossräumige ökologische, funktionale und ästhetische Auswirkungen zur Folge haben, zum Beispiel Tendenz zur Konzentration auf wenige grosse Betriebe, Flächenaufgabe an Produktionsrandgebieten sowie veränderte Wirtschaftsweisen und Angebote in und am Rande von Ballungsräumen. Mit der weiter fortschreitenden Siedlungsentwicklung werden rurale Landschaften verschwinden und neue urbane Lebenswelten entstehen.

Um weiterhin eine hohe Landschaftsqualität zu sichern oder neu zu entwickeln, besteht eine Verantwortung, auf diese Veränderungen zu reagieren. Die Massnahmen müssen über einen restriktiven Schutz hinausgehen und aktiv die Entwicklung und Gestaltung unserer zukünftigen Landschaften angehen. Dann können die Herausforderungen gegebenenfalls auch als Chancen für die Zukunft verstanden werden.

Zufall oder Gestaltung?

Die verschiedenen Landschaftsräume werden durch zahlreiche unterschiedliche Massnahmen geformt, welche die Landschaft mitprägen, dies jedoch nur selten im Voraus thematisieren. Die Massnahmen zur Landschaftsgestaltung beschränken sich in der Regel auf einzelne, begrenzte Gebiete. An der Formung der Landschaft sind zahlreiche Akteure mit vielfältigen Interessen beteiligt. Jede Massnahme hat für sich einen Sinn, ihr Zusammentreffen ist jedoch in der Folge nicht unbedingt gewollt und sinnvoll. Die Antwort hierauf können weder ein Laisser-faire noch kaum durchsetzbare, restriktive Regime zum Landschaftsschutz sein. Benötigt werden vielmehr dynamische Gestaltungskonzepte für gelenkte Entwicklungsprozesse unserer vielfältigen Landschaften.

Traditionen und Visionen

Zur Sicherung und Entwicklung von Landschaften bestehen Erfahrungen in der Schweiz: Der Heimatschutz und der Landschaftsschutz widmen sich dem Bewahren von Kulturgut. Es besteht auch eine praktische, durchaus innovative Tradition der Garten- und Landschaftsgestaltung. Massnahmen wie die Gewässerkorrektionen oder die urbanen Ufergestaltungen haben weiträumige Landschaften geprägt. Die Herausforderung besteht darin, unsere bisherigen Erfahrungen und Kenntnisse für die Zukunft zu nutzen, denn die Fragestellungen sind heute um ein Vielfaches komplexer geworden. Landschaft zu gestalten ist daher nicht allein eine Aufgabe der Praxis, sie verlangt auch empirische, wissenschaftliche Forschung. Für Entscheidungen über zukünftige Entwicklungen benötigen wir eine Diskussion von Visionen.

Soll die Landwirtschaft in Stadtnähe eine neue Rolle mit Freizeitaktivitäten übernehmen?
Soll sie sich in erster Linie als Pflegerin der Schweizer Landschaften begreifen? Oder sollen grosse Regionen natürlich wieder bewalden?
Soll die Siedlungsentwicklung mit einer hohen urbanen Dichte als Gegensatz zum Land oder dispers als Stadtlandschaft mit lokalen Kreisläufen nachhaltig gestaltet werden?
Soll die Landschaft ein Konglomerat traditioneller Bilder sein, sollen heutige Landschaften «ästhetisiert» werden oder gilt es, neue Vorstellungen zu entwickeln?
Sollen über diese Fragen Experten entscheiden, der allgemeine Wille oder der Wille aller?

Mut zur Zusammenarbeit in Forschung und Praxis

Um unsere pluralistischen Landschaften als Ganzes gestalten zu können, müssen alle Beteiligten zusammenwirken. In der Praxis kann eine weitergehende Kooperation für das Zusammenwirken der zahlreichen Akteure eine weitere Abstimmung ermöglichen. In der Wissenschaft können die verschiedenen Disziplinen von einem wechselseitigen Austausch profitieren, denn erst dann können die unterschiedlichen Aspekte von Landschaft berücksichtigt werden. Schliesslich lernen auch Praxis und Wissenschaft voneinander. Nur so können weitere Ansätze und Visionen, Methoden und Instrumente entwickelt werden.

Ein Netzwerk für die Landschaft von morgen

Mit dem Ziel, diese Aufgabe anzugehen, wurde im Januar 2006 in Bern das Forum Landschaft gegründet. Gründungsmitglieder des Vereins sind Fachleute aus Praxis und Verwaltung sowie Forschende verschiedener Schweizer Hochschulen und Forschungsinstitutionen.
Ziel des Forums ist die Thematisierung der Landschaft im umfassenden Sinne der europäischen Landschaftskonvention. Insbesondere sollen die bewusste Landschaftsgestaltung, wissenschaftliche Forschungsprojekte und der Diskurs Forschung/Praxis gefördert sowie die öffentliche Diskussion über Landschaft angeregt werden. Zur Umsetzung dieser Ziele wird zurzeit ein Netzwerk Landschaft aufgebaut und gepflegt, zu dem alle Akteure, Forschenden und Lehrenden im Bereich Landschaft eingeladen sind.

Eine Internetseite www.forumlandschaft.ch informiert über die Aktivitäten des Forums und bietet Datenbanken zu Forschungsprojekten im Bereich Landschaft sowie zu aktuellen Veranstaltungen. An Tagungen und auf Workshops werden im Diskurs Fragen zur Entwicklung und Gestaltung der Landschaft aus der Sicht verschiedener Forschungsdisziplinen sowie aus Verwaltung und Praxis thematisiert. Forschungsprojekte sollen initiiert werden. Publikationen dienen einer Sensibilisierung der weiteren Öffentlichkeit.

Finanziert wird die zweijährige Startphase von der Schweizer Akademie der Naturwissenschaften, dem Bundesamt für Umwelt, dem Bund Schweizer Landschaftsarchitekten und Landschaftsarchitektinnen, der Stiftung Landschaftsschutz Schweiz und Mitgliederbeiträgen. Dem Vorstand des Forums gehören Personen aus unterschiedlichen, landschaftsrelevanten Bereichen an. Ein wissenschaftlicher Beirat von ausgewiesenen Experten übernimmt es, die Qualität der Arbeit fachlich zu sichern.
Mit der Konzeption dieses anthos-Heftes möchte das Forum Landschaft verschiedene Positionen unterschiedlicher Disziplinen zur zukünftigen Landschaftsgestaltung zur Diskussion stellen und für die Entwicklung von Visionen zur Zukunft Landschaft Schweiz anregen.

anthos, Di., 2007.09.25



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