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02. Juni 2017Reinhart Wustlich
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Haus Mayer-Kuckuk in Bad Honnef

Weitgehend vorgefertigt wurde das Einfamilienhaus 1967 innerhalb von sechs Tagen errichtet. Seine entlang der Längsfassaden sichtbare, gestalterisch überhöhte Tragstruktur aus Holz verhilft ihm zwar zu ­seiner Unverwechselbarkeit, ist aber auch Ursache ­großer Bauschäden. Dank einer umfangreichen Sanierung im Jahr 2016 legt es weiterhin Zeugnis vom Strukturalismus in Deutschland ab.

Weitgehend vorgefertigt wurde das Einfamilienhaus 1967 innerhalb von sechs Tagen errichtet. Seine entlang der Längsfassaden sichtbare, gestalterisch überhöhte Tragstruktur aus Holz verhilft ihm zwar zu ­seiner Unverwechselbarkeit, ist aber auch Ursache ­großer Bauschäden. Dank einer umfangreichen Sanierung im Jahr 2016 legt es weiterhin Zeugnis vom Strukturalismus in Deutschland ab.

Ein bemerkenswerter Fall: Alle Teile, aus denen das Gebäude 1967 wie aus ­einem Baukasten errichtet wurde, sind konventionell. Dennoch bezeichnete ein Fördervertrag der Deutschen Stiftung Denkmalschutz das Objekt 2014 in seiner Essenz als »utopistische technoide Innovation«. Ein Raumtragwerk aus überkommenen Elementen: Punktfundamente, Metallschuhe als Stützenfüße, Pfosten und Tragbalken der Decken und des Dachs als Leimbinder, Andreaskreuze aus diagonal gespannten Stahlstäben, Ausfachungen der Außenwände als Sandwich-Tafeln, Flügeltüren in den Wandöffnungen etc. Auch das Subthema des Gebäudes, die elementierte Vorfertigung in Serie, geht auf historische Entwicklungen wie die Elementierung der Ständerbauweise zurück. Technoide Innovation?

Das Gebäude, das diese Widersprüche auf so anregende Weise vereint, ist das Haus Mayer-Kuckuk. Vor 50 Jahren in Bad Honnef am Rhein errichtet, sollte es bereits nach 25 Jahren als Denkmal eingetragen werden. Der Rat der Stadt sperrte sich, doch 2007 wurde das Gebäude auf Antrag der Eigentümer doch unter Denkmalschutz gestellt und 2016, nach akribischer Sanierung, erhielt es den alle zwei Jahre vergebenen Rheinisch-Westfälischen Staatspreis für Denkmalpflege.

Ein Gespräch des Architekten Wolfgang Döring mit dem Architektur­historiker Heinrich Klotz (»Architektur in der Bundesrepublik«, 1977) offenbart weitere interessante Widersprüche: Auf die Feststellung des Interviewers, das Aussehen des Hauses negiere die üblichen Erwartungen an ein Einfami­lienhaus, und die Frage, warum das Haus Mayer-Kuckuk diese Form habe, antwortete der Architekt: »Das Aussehen des Hauses hat mich eigentlich überhaupt nicht interessiert.« Mit dieser, die Haltung zum Werk wie zum ­Auftraggeber eher strapazierenden Behauptung eröffnet Döring ein Katz-und-Maus-Spiel.

Tatsächlich erfolgt der Ausbruch aus der Konvention dadurch, dass die konstruktiven Prinzipien demonstrativ ausgestellt, wörtlich: vor die schützende Raumhülle des Gebäudes gestellt und die Verbindungen des Raumtragwerks, die Knoten der Zangenkonstruktionen, gestalterisch überhöht werden. Der Effekt entsteht dadurch, dass die Verbindungsmittel der Knoten – trapezförmige Platten, die eher dem historischen Stahlbau entlehnt scheinen – als Sperrholzdreiecke überdimensioniert angelegt sind. Döring: »Ich habe natürlich ein bisschen übertrieben, sie sind eine Idee zu groß.« So ist es der ­Zeichencharakter der weißen Trapeze, ihr serielles Hinter- und Übereinander, das die ungewöhnliche Signalwirkung des Gebäudes begründet. Und es sind die schmalen, festverglasten Bänder zwischen den Balkenlagen, die Lichtschlitze, die das Flächenhafte der Wände aufbrechen. Die 60er Jahre sind die Zeit der Op Art, der Erfolge der Minimal Art: der skulpturalen Raumstruk­turen, Gitter- und Rasterkonstruktionen – der »serials« Sol LeWitts und der ­formalen Strenge Donald Judds.

Dörings Einlassung, »die Form ergab sich eigentlich nur aus der Konstruk­tion«, ist eine Behauptung, der Klotz nicht folgt: »Es kam Ihnen sehr darauf an, die Konstruktion zu zeigen (...). Ist das nicht eine Ästhetisierung konstruk­tiver Momente?« Während Döring auf der Erfüllung der Zwecke beharrt, der konstruktiven Funktion des Raumtragwerks, folgert Klotz: »Aber es sind doch die Einzelheiten, die das Haus interessant machen, denn sonst wäre es ja tatsächlich eine Baracke geworden.« Und Döring: »Danke, meine Häuser sind keine Baracken.«

Dass der Architekt diese Anmutung zurückweist, ist verständlich. Die Empfindung des Leichten, Schwebenden wie bei einem Pavillon geht auf »einen Satz einfachster Bauelemente zurück, eine Versuchsanordnung für ein kulturelles Experiment« (Kurt W. Forster). Bei dem, wie Klotz meinte, durchaus dramatisiert wurde. Und Döring: »Das muss man auch tun, so verant­wortungsvoll muss ein Architekt sein, dass es eben keine Baracke wird.« Der Pavillon – ein Nachklang nomadischen Bauens, Ausdruck einer »intellektuellen Sehnsucht nach dem Leichten, Provisorischen, dem noch nicht einbetonierten Leben« (Dieter Hoffmann-Axthelm).

Man kann Mies van der Rohe zitieren. Zur Wirkung von Hoch­häusern erklärte dieser, nur in der Bauphase offenbarten sie die mutige, bau­liche Idee ihrer aufstrebenden Struktur, den überwältigenden Eindruck. Sobald die ­Fassade bekleidet sei, werde die kühne »Sensation« vernichtet. Gab es Wege, eben diese Anmutung sichtbar zu erhalten? Bereits in der Frühzeit des Hightech, bei Norman Foster und Richard Rogers, finden sich Entwurfsstrategien, die auf diese Sensation setzen – etwa bei der »Reliance Controls Elec­tronics Factory« in Swindon (1965-1966), deren Konzept der Vorfabrikation von Stahlelementen, dem »structural steelwork« galt. Dem Raumtragwerk aus ­seriellen Komponenten, die nach außen (mit diagonalen Auskreuzungen) wie nach innen ausgestellt wurden: ein Spiel, das am Pariser Centre Pompidou ­expressiv überhöht wurde.

Was beim Stahlbau weniger riskant erschien, später aber zunehmend höhere Erhaltungsinvestitionen verursachte, durfte beim Bauen mit Holz kaum ohne Vorkehrungen des konstruktiven Holzschutzes realisiert werden – zumal dann, wenn das Material Leimholz so frivol zur Schau gestellt wurde. War doch dessen Widerstandsfähigkeit gegen wechselnde Feuchte wie durch die Verwendung von Nadelhölzern begrenzt. Konnte den Bewohnern allein die Verantwortung überlassen werden, den Holzschutz in den jährlichen Lebensablauf zu integrieren wie die Gartenpflege?

Dass bereits mit der Konstruktion die Geschichte der späteren Sanierung, die Herausforderung der Erhaltung begründet wird, zeigt, dass »das Provisorische nicht leicht zu haben« (Hoffmann-Axthelm), das »Bild der Leichtigkeit« nur unter enormem Aufwand zu erhalten oder wiederherzustellen ist.

Dass der ideelle Zustand des Gebäudes gesichert werden konnte, war längere Zeit ungewiss. Während die Bauzeit 1967 gerade eine Woche betragen haben soll, ließ die Sanierungsphase das Haus fast ein Jahr lang unbewohnbar. Eine Dokumentation zeigte in großem Umfang Zerstörungen durch Pilzbefall, Strukturschäden der Hölzer, Fehlstellen, die sich insbesondere an den Balkenköpfen der Knoten – den neuralgischen Punkten der Aussteifung des Raumtragwerks gegen die Wind- und Querkräfte häuften. Massive Schädigungen wurden auch während des Ersatzes des Tragwerks entdeckt, etwa unter den Fensteröffnungen. Bei der Reparatur bedurfte es erheblicher Korrekturen im Detail: nur mit besseren Materialien und umfassendem Holzschutz – wozu auch Blechabdeckungen der Balken- und Knotenköpfe gehörten – war das Haus langfristig zu sichern. Aufwendig war nicht nur der Austausch der ­einzelnen Felder des Raumtragwerks, Achse für Achse, sondern auch die Stabilisierung des Gebäudeganzen während des Herauslösens, Zerlegens und Einfügens der neuen Balkenlagen von Hand. Herausziehen und Durchstecken ­beschreiben eher unzulänglich, dass die Träger von den Dach-, Decken-, ­Bodenelementen und Innenwänden gelöst, die in den Zangenlagen geführten sanitären und elektrischen Installationen demontiert werden mussten. Die Reparatur des wohnlichen Raumensembles erforderte allein im Innern an die fünf Monate Bauzeit. Die Eigentümer, beispielhaft in ihrem Engagemen, das außerordentliche strukturalistische Werk zu erhalten, kommentierten das Abenteuer eher lakonisch: »Bei Experimentalbauten werden tradierte Regeln schon mal außer Acht gelassen.«

db, Fr., 2017.06.02



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db 2017|06 Anders bauen

03. Februar 2009Reinhart Wustlich
db

Verflechtung und Ausbau

Die vollautomatische Kopenhagener U-Bahn wurde 2002 eröffnet und wird seither stetig ausgebaut. Die Linienführung folgt den zentralen Entwicklungsachsen – sie ist integraler Bestandteil der Stadtentwicklung. Alle Haltestellen – unter wie auch über der Erde – sind in klassisch-funktionalem skandinavischen Design gehalten und machen die Verkehrsbauten als öffentlichen Stadtraum erlebbar.

Die vollautomatische Kopenhagener U-Bahn wurde 2002 eröffnet und wird seither stetig ausgebaut. Die Linienführung folgt den zentralen Entwicklungsachsen – sie ist integraler Bestandteil der Stadtentwicklung. Alle Haltestellen – unter wie auch über der Erde – sind in klassisch-funktionalem skandinavischen Design gehalten und machen die Verkehrsbauten als öffentlichen Stadtraum erlebbar.

Der Manager, der zwischen Århus und dem Flughafen Kastrup pendelt, die Kulturinteressierte, die vom Louisiana-Museum in Humlebæk Umsteigebahnhof Nørreport zurückfährt, die Sonnensüchtigen, die von Amager Strand zurückkehren, die Pendlerin aus Malmö, die nach 26 Minuten Zugfahrt Ørestad erreicht – sie alle nutzen den Kopenhagener Verbund von Regionalbahn, S-Tog (S-Bahn) und Metro, der sich wie ein Spinnennetz über die Metropol-Region spannt. Das Mare nostrum heißt hier Øresund, und seit der Eröffnung der Øresund-Verbindung (2000, Meerestunnel- und Brückenverbindung nach Schweden) wachsen Kopenhagen und Südschweden auch per öffentlichem Nahverkehr zu einer Region zusammen

Der Blick auf die Karte zeigt im Norden die enge Seepassage zwischen Seeland und Skåne (Schonen), vom Städtedoppel Helsingør und Helsingborg flankiert. Die Planer der Raumordnung kritisieren, dass hier die Verbindung der beiden Länder nicht vorankommt – und so der südliche Ballungsraum überproportional wächst, nämlich das metropolitane Schwergewicht der Hauptstadtregion Kopenhagen mit 1,6 Mio. Einwohnern, von denen 510000 auf die Hauptstadt selbst entfallen.

Die südöstlich vorgelagerte Insel Amager mit 160000 Einwohnern fasst den Kopenhagener Hafen ein und bildet geografisch den Übergang nach Schweden. Auf der anderen Seite des Sunds liegt Malmö mit seinen 25  8000 Einwohnern. Seit der Eröffnung der Øresundquerung ist Calatravas 190 Meter hoher Turning Torso (2005) zur gemeinsamen Landmarke geworden, versteht sich auch der südliche Teil des Sunds als »Doppelstadt«, deren Häfen als »Copenhagen Malmö Port« firmieren, deren Universitäten sich zusammenschließen.

Metropolitane Struktur

Die Øresund-Region ist seit 2000 auf Wachstumskurs. Sie weist jährlich drei Prozent mehr Bruttoinlandsprodukt aus, die Bevölkerungszahlen werden von 3,6 Mio. auf prognostizierte 4,0 Mio. Einwohner in den kommenden zwanzig Jahren steigen[1]. Die Region will hohe Standards in die internationale Städtekonkurrenz einbringen, etwa einen modernen, leistungsfähigen öffentlichen Nahverkehr.

Lange vor der Krise, die jetzt London, New York und andere Global Cities in der Entwicklung stagnieren lässt, konnte das große »ABC« der kleineren europäischen Metropolen Amsterdam, Barcelona und Copenhagen internationale Aufmerksamkeit auf sich ziehen: beste Ausbildung junger Eliten, internationale Offenheit, hohes Einkommensniveau, exquisite Forschungs-, Entwicklungs- und Dienstleistungssektoren, Freizeitangebote in Kultur und Landschaft, die selbst US-Firmen anlocken.

Im Entwicklungskonzept der »Doppelstadt« gewinnt die 96 Quadratkilometer große Insel Amager mit ihren traditionellen Industrie- und Raffineriestandorten, alten Arbeiterquartieren, den Gemeinden Tårnby und Dragør und dem skandinavischen Luftverkehrszentrum (dem Großflughafen Kastrup) an Bedeutung: Seit 2000 entsteht hier die Neugründung Ørestad, eine Bandstadt mit vier Distrikten – entlang der Trasse des südlaufenden Zweigs der Metro, der 2002 eröffnet wurde. Bezeichnenderweise ist die Ørestad-Entwicklungsgesellschaft auch Träger des neuen Metro-Systems.
Der zweite Zweig der Metro, in einigem Abstand zur Küstenlinie am Sund geführt, hat den Flughafen zum Ziel. Für die internationale Klientel, die das schnelle, bequeme Transportmittel annimmt, ist der Zugangsbahnhof (die Endhaltestelle Lufthavn) eher nüchtern-standardisiert, der Bergstation einer Seilbahn nicht unähnlich. Der Betrieb ist vollautomatisiert, Fahrpläne finden sich keine. Schnell wird klar, dass führerlose Kurzzüge in knappen Intervallen fahren, in der Rushhour im Abstand von zwei Minuten.

Das von KHR Arkitekter, Kopenhagen, entwickelte Design soll skandinavisch kühl und minimalistisch erscheinen. Vom Flughafen bis Lergrafsparken verläuft die Fahrt auf einer aufgeständerten Trasse – man ist gespannt, wie sich das System nun endlich im Untergrund anfühlt; wahre Überraschungen sind kaum zu erwarten.
Doch dann kommen, wie große Aquarien, die ersten Stationen in Sicht, Schaufenster in den beleuchteten Tunneln, Bahnsteige, von Glas umschlossen, dahinter im hell, klar gegliederten, übersichtlichen Raum die »Ausstellung« der Wartenden (Objekte von Duane Hanson?). Kürzer als erwartet, nur 67 Meter lang, wirken die Zugangsebenen in 18 und mehr Metern Tiefe unter der Stadt eher wie Foyers des einen großen Veranstaltungsraums, der Kopenhagen heißt. Tatsächlich öffnen sich die Schiebetüren der Waggons und der gläsernen Stationswände parallel, ein nicht unbeträchtlicher Sicherheitsaspekt. Dann merkt der Fahrgast, dass die Atmosphäre, die ihn positiv einstimmt, mit der Lichtmischung zu tun hat – Tageslicht aus Glasprismen auf Straßenniveau und ein präzises Lichtdesign, das Funktionen lesbar macht: die großen Plastiken der Rolltreppen, den Drift nach oben, die Spiegelungen, die ihn auf dem Weg nach oben begleiten. Während sich unten Schiebetüren schließen, Schall sich gedämpft entfernt, Helligkeit bleibt: ein Foyer, kein finsterer Nicht-Ort.

Metro-Town Ørestad

Die ersten Pioniergebäude gab es in Ørestad 1999, schon 2001 folgte die erste Industrieansiedlung. Der weitere Ausbau soll 15 bis zwanzig Jahre dauern. Heute leben hier bereits 3500 neue Einwohner (sechzig Prozent von ihnen unter vierzig Jahre alt), während die Zahl der angesiedelten Arbeitsplätze von 8000 auf 10000 wächst. Ziel: Wohnungen für 20000 Einwohner, zugleich aber 60000 bis 80000 Jobs.

Ørestad-Nord, das am weitesten fortgeschritten ist, wird von den Universitäten geprägt. Ihm dienen die Stationen Islands Brygge (in Tieflage) und DR Byen/Universität, die wieder herausgehoben an der Hochbahntrasse liegt. Dieser Bereich ist nicht nur tägliches Ziel von Tausenden von Studenten (neue IT Universität, siehe db 8/2005: 1600 Studenten; Universität Kopenhagen, Campus Amager – allein bei den Humanwissenschaften 11500 Studenten). Die Station DR Byen bindet die »Kasbah« des Dänischen Rundfunks an, ein Multimedia-Zentrum – u. a. mit einer 1800 Plätze fassenden Konzerthalle (Ateliers Jean Nouvel, Eröffnung: Januar 2009).
An der zentralen Station Ørestad markiert ein zwanziggeschossiger Turm (Henning Larsen Architects) den Kreuzungspunkt mit der Regionalbahn zum Flughafen und zur Øresund-Verbindung. Die schwarze Landmarke des Pharmazie-Konzerns Ferring ist noch von Malmö aus sichtbar. In der Nachbarschaft schließen Perlenketten-Projekte an wie Ørestad Gymnasium (2007, siehe Seite 20), expressive Wohnprojekte wie der VM Mountain (2008, siehe Seite 63); dazu ein großes Einkaufszentrum, neue Cityblöcke zum Wohnen (bis zu zwölf Geschosse hoch), dazu gewerbliche Ansiedlungen, die allein hier 20 000 Arbeitsplätze schaffen sollen.

Mit Downtown (Planung: Daniel Libeskind) und Ørestad-Süd (Planung: ARKKI aps, ein Joint Venture von APRT, Helsinki, den Autoren des städtebaulichen Masterplans von 1994 und KHR, Kopenhagen) folgen die größten Entwicklungsbereiche erst nach.

Metro im Stadtwandel

Im Übrigen greifen alte städtebauliche Bestände und neue Standorte über die Infrastruktur ineinander, verändern sich wechselseitig zu Linienstrukturen. Das ältere S-Bahn-System, seit 1934 entwickelt, ab 2005 zum letzten Mal erweitert, verzweigt sich strahlenförmig nach Nord- und Südwesten, die Metro auch nach Westen, indem sie die historische Altstadt im Bogen nördlich unterfährt. Ihr gelten die Investitionen der Zukunft, da bis 2018 ein zusätzlicher Ring um die Kernstadt gelegt werden soll, der auch die nördlichen Entwicklungsbereiche des Hafens nahe dem Amerika Plads und dem Bereich Langeliniespitze/Marmorkai (dem Wettbewerbsstandort von Steven Holls Hafentorkomplex) anbindet.

Nach Westen liegen als Verknüpfungspunkte die Station Kongens Nytorf (im Einkaufs- und Touristenzentrum) und der Bahnhof Nørreport direkt am Rande der Fußgängerzonen, der zwischen der Gründerzeitvorstadt jenseits der grünen Zone der Contrescarpe und der Altstadt vermittelt. Er ist der zweitgrößte Knotenpunkt des metropolitanen Nahverkehrs. Auf mehreren Ebenen kreuzen sich die Trassen von Staatsbahn, S-Bahn und Metro.

Ab Fasanvej steigt die Trasse aus der Tunnellage erneut auf und führt stadtauswärts. Flintholm Station wurde wiederum zum Kreuzungspunkt mit der S-Bahn ausgebaut, die hier einerseits weiter in die Region ausschwenkt, andererseits den weiten Bogen des westlichen S-Bahn-Rings bildet. Auf acht Stahl-Pylonen ruht ein 5000 Quadratmeter großes Glasdach, das alle Einrichtungen des neuen Bahnhofs (2004, Architekten: KHR Arkitekter A/S – DSB Arkitekter) zusammenfasst. Die Dänischen Staatsbahnen prognostizieren, dass Flintholm Station in absehbarer Zeit allein 45 000 Fahrgäste täglich für die S-Bahn aufnehmen wird. Unmittelbar nach Osten schließt Flintholm Urban Center an, Quartierszentrum für ein Konversionsgebiet, dessen Areal gleichfalls industriell besetzt war.
Gestalterisch ähnelt der Kopenhagener Standard etwa der Metro in Bilbao (Foster and Partners). Der Vergleich mit den älteren Kopenhagener Bahnhöfen der S-Bahn, etwa in den Tunnellagen von Nørreport macht den Fortschritt deutlich: Die freundliche Stadtatmosphäre wird bis in den Untergrund ausgeweitet – nicht umgekehrt. Die internationale Konferenz Metrorail wählte die Kopenhagener U-Bahn 2008 zur »besten der Welt« – Zuverlässigkeit, Frequenz, Kundenzufriedenheit, Sicherheit.

[1] Bundesagentur für Außenwirtschaft (11/2008): Die Øresund-Region erwirtschaftet gegenwärtig bereits ein Viertel des Bruttoinlandsprodukts der Länder Dänemark und Schweden; innerhalb der nächsten zwanzig Jahre, so die Prognosen, wird die Region einen Wert erreichen, der bereits der Hälfte des gesamten schwedischen Bruttoinlandsprodukts entsprechen wird.

db, Di., 2009.02.03



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db 2009|02 Dänemark

Publikationen

Presseschau 12

02. Juni 2017Reinhart Wustlich
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Haus Mayer-Kuckuk in Bad Honnef

Weitgehend vorgefertigt wurde das Einfamilienhaus 1967 innerhalb von sechs Tagen errichtet. Seine entlang der Längsfassaden sichtbare, gestalterisch überhöhte Tragstruktur aus Holz verhilft ihm zwar zu ­seiner Unverwechselbarkeit, ist aber auch Ursache ­großer Bauschäden. Dank einer umfangreichen Sanierung im Jahr 2016 legt es weiterhin Zeugnis vom Strukturalismus in Deutschland ab.

Weitgehend vorgefertigt wurde das Einfamilienhaus 1967 innerhalb von sechs Tagen errichtet. Seine entlang der Längsfassaden sichtbare, gestalterisch überhöhte Tragstruktur aus Holz verhilft ihm zwar zu ­seiner Unverwechselbarkeit, ist aber auch Ursache ­großer Bauschäden. Dank einer umfangreichen Sanierung im Jahr 2016 legt es weiterhin Zeugnis vom Strukturalismus in Deutschland ab.

Ein bemerkenswerter Fall: Alle Teile, aus denen das Gebäude 1967 wie aus ­einem Baukasten errichtet wurde, sind konventionell. Dennoch bezeichnete ein Fördervertrag der Deutschen Stiftung Denkmalschutz das Objekt 2014 in seiner Essenz als »utopistische technoide Innovation«. Ein Raumtragwerk aus überkommenen Elementen: Punktfundamente, Metallschuhe als Stützenfüße, Pfosten und Tragbalken der Decken und des Dachs als Leimbinder, Andreaskreuze aus diagonal gespannten Stahlstäben, Ausfachungen der Außenwände als Sandwich-Tafeln, Flügeltüren in den Wandöffnungen etc. Auch das Subthema des Gebäudes, die elementierte Vorfertigung in Serie, geht auf historische Entwicklungen wie die Elementierung der Ständerbauweise zurück. Technoide Innovation?

Das Gebäude, das diese Widersprüche auf so anregende Weise vereint, ist das Haus Mayer-Kuckuk. Vor 50 Jahren in Bad Honnef am Rhein errichtet, sollte es bereits nach 25 Jahren als Denkmal eingetragen werden. Der Rat der Stadt sperrte sich, doch 2007 wurde das Gebäude auf Antrag der Eigentümer doch unter Denkmalschutz gestellt und 2016, nach akribischer Sanierung, erhielt es den alle zwei Jahre vergebenen Rheinisch-Westfälischen Staatspreis für Denkmalpflege.

Ein Gespräch des Architekten Wolfgang Döring mit dem Architektur­historiker Heinrich Klotz (»Architektur in der Bundesrepublik«, 1977) offenbart weitere interessante Widersprüche: Auf die Feststellung des Interviewers, das Aussehen des Hauses negiere die üblichen Erwartungen an ein Einfami­lienhaus, und die Frage, warum das Haus Mayer-Kuckuk diese Form habe, antwortete der Architekt: »Das Aussehen des Hauses hat mich eigentlich überhaupt nicht interessiert.« Mit dieser, die Haltung zum Werk wie zum ­Auftraggeber eher strapazierenden Behauptung eröffnet Döring ein Katz-und-Maus-Spiel.

Tatsächlich erfolgt der Ausbruch aus der Konvention dadurch, dass die konstruktiven Prinzipien demonstrativ ausgestellt, wörtlich: vor die schützende Raumhülle des Gebäudes gestellt und die Verbindungen des Raumtragwerks, die Knoten der Zangenkonstruktionen, gestalterisch überhöht werden. Der Effekt entsteht dadurch, dass die Verbindungsmittel der Knoten – trapezförmige Platten, die eher dem historischen Stahlbau entlehnt scheinen – als Sperrholzdreiecke überdimensioniert angelegt sind. Döring: »Ich habe natürlich ein bisschen übertrieben, sie sind eine Idee zu groß.« So ist es der ­Zeichencharakter der weißen Trapeze, ihr serielles Hinter- und Übereinander, das die ungewöhnliche Signalwirkung des Gebäudes begründet. Und es sind die schmalen, festverglasten Bänder zwischen den Balkenlagen, die Lichtschlitze, die das Flächenhafte der Wände aufbrechen. Die 60er Jahre sind die Zeit der Op Art, der Erfolge der Minimal Art: der skulpturalen Raumstruk­turen, Gitter- und Rasterkonstruktionen – der »serials« Sol LeWitts und der ­formalen Strenge Donald Judds.

Dörings Einlassung, »die Form ergab sich eigentlich nur aus der Konstruk­tion«, ist eine Behauptung, der Klotz nicht folgt: »Es kam Ihnen sehr darauf an, die Konstruktion zu zeigen (...). Ist das nicht eine Ästhetisierung konstruk­tiver Momente?« Während Döring auf der Erfüllung der Zwecke beharrt, der konstruktiven Funktion des Raumtragwerks, folgert Klotz: »Aber es sind doch die Einzelheiten, die das Haus interessant machen, denn sonst wäre es ja tatsächlich eine Baracke geworden.« Und Döring: »Danke, meine Häuser sind keine Baracken.«

Dass der Architekt diese Anmutung zurückweist, ist verständlich. Die Empfindung des Leichten, Schwebenden wie bei einem Pavillon geht auf »einen Satz einfachster Bauelemente zurück, eine Versuchsanordnung für ein kulturelles Experiment« (Kurt W. Forster). Bei dem, wie Klotz meinte, durchaus dramatisiert wurde. Und Döring: »Das muss man auch tun, so verant­wortungsvoll muss ein Architekt sein, dass es eben keine Baracke wird.« Der Pavillon – ein Nachklang nomadischen Bauens, Ausdruck einer »intellektuellen Sehnsucht nach dem Leichten, Provisorischen, dem noch nicht einbetonierten Leben« (Dieter Hoffmann-Axthelm).

Man kann Mies van der Rohe zitieren. Zur Wirkung von Hoch­häusern erklärte dieser, nur in der Bauphase offenbarten sie die mutige, bau­liche Idee ihrer aufstrebenden Struktur, den überwältigenden Eindruck. Sobald die ­Fassade bekleidet sei, werde die kühne »Sensation« vernichtet. Gab es Wege, eben diese Anmutung sichtbar zu erhalten? Bereits in der Frühzeit des Hightech, bei Norman Foster und Richard Rogers, finden sich Entwurfsstrategien, die auf diese Sensation setzen – etwa bei der »Reliance Controls Elec­tronics Factory« in Swindon (1965-1966), deren Konzept der Vorfabrikation von Stahlelementen, dem »structural steelwork« galt. Dem Raumtragwerk aus ­seriellen Komponenten, die nach außen (mit diagonalen Auskreuzungen) wie nach innen ausgestellt wurden: ein Spiel, das am Pariser Centre Pompidou ­expressiv überhöht wurde.

Was beim Stahlbau weniger riskant erschien, später aber zunehmend höhere Erhaltungsinvestitionen verursachte, durfte beim Bauen mit Holz kaum ohne Vorkehrungen des konstruktiven Holzschutzes realisiert werden – zumal dann, wenn das Material Leimholz so frivol zur Schau gestellt wurde. War doch dessen Widerstandsfähigkeit gegen wechselnde Feuchte wie durch die Verwendung von Nadelhölzern begrenzt. Konnte den Bewohnern allein die Verantwortung überlassen werden, den Holzschutz in den jährlichen Lebensablauf zu integrieren wie die Gartenpflege?

Dass bereits mit der Konstruktion die Geschichte der späteren Sanierung, die Herausforderung der Erhaltung begründet wird, zeigt, dass »das Provisorische nicht leicht zu haben« (Hoffmann-Axthelm), das »Bild der Leichtigkeit« nur unter enormem Aufwand zu erhalten oder wiederherzustellen ist.

Dass der ideelle Zustand des Gebäudes gesichert werden konnte, war längere Zeit ungewiss. Während die Bauzeit 1967 gerade eine Woche betragen haben soll, ließ die Sanierungsphase das Haus fast ein Jahr lang unbewohnbar. Eine Dokumentation zeigte in großem Umfang Zerstörungen durch Pilzbefall, Strukturschäden der Hölzer, Fehlstellen, die sich insbesondere an den Balkenköpfen der Knoten – den neuralgischen Punkten der Aussteifung des Raumtragwerks gegen die Wind- und Querkräfte häuften. Massive Schädigungen wurden auch während des Ersatzes des Tragwerks entdeckt, etwa unter den Fensteröffnungen. Bei der Reparatur bedurfte es erheblicher Korrekturen im Detail: nur mit besseren Materialien und umfassendem Holzschutz – wozu auch Blechabdeckungen der Balken- und Knotenköpfe gehörten – war das Haus langfristig zu sichern. Aufwendig war nicht nur der Austausch der ­einzelnen Felder des Raumtragwerks, Achse für Achse, sondern auch die Stabilisierung des Gebäudeganzen während des Herauslösens, Zerlegens und Einfügens der neuen Balkenlagen von Hand. Herausziehen und Durchstecken ­beschreiben eher unzulänglich, dass die Träger von den Dach-, Decken-, ­Bodenelementen und Innenwänden gelöst, die in den Zangenlagen geführten sanitären und elektrischen Installationen demontiert werden mussten. Die Reparatur des wohnlichen Raumensembles erforderte allein im Innern an die fünf Monate Bauzeit. Die Eigentümer, beispielhaft in ihrem Engagemen, das außerordentliche strukturalistische Werk zu erhalten, kommentierten das Abenteuer eher lakonisch: »Bei Experimentalbauten werden tradierte Regeln schon mal außer Acht gelassen.«

db, Fr., 2017.06.02



verknüpfte Zeitschriften
db 2017|06 Anders bauen

03. Februar 2009Reinhart Wustlich
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Verflechtung und Ausbau

Die vollautomatische Kopenhagener U-Bahn wurde 2002 eröffnet und wird seither stetig ausgebaut. Die Linienführung folgt den zentralen Entwicklungsachsen – sie ist integraler Bestandteil der Stadtentwicklung. Alle Haltestellen – unter wie auch über der Erde – sind in klassisch-funktionalem skandinavischen Design gehalten und machen die Verkehrsbauten als öffentlichen Stadtraum erlebbar.

Die vollautomatische Kopenhagener U-Bahn wurde 2002 eröffnet und wird seither stetig ausgebaut. Die Linienführung folgt den zentralen Entwicklungsachsen – sie ist integraler Bestandteil der Stadtentwicklung. Alle Haltestellen – unter wie auch über der Erde – sind in klassisch-funktionalem skandinavischen Design gehalten und machen die Verkehrsbauten als öffentlichen Stadtraum erlebbar.

Der Manager, der zwischen Århus und dem Flughafen Kastrup pendelt, die Kulturinteressierte, die vom Louisiana-Museum in Humlebæk Umsteigebahnhof Nørreport zurückfährt, die Sonnensüchtigen, die von Amager Strand zurückkehren, die Pendlerin aus Malmö, die nach 26 Minuten Zugfahrt Ørestad erreicht – sie alle nutzen den Kopenhagener Verbund von Regionalbahn, S-Tog (S-Bahn) und Metro, der sich wie ein Spinnennetz über die Metropol-Region spannt. Das Mare nostrum heißt hier Øresund, und seit der Eröffnung der Øresund-Verbindung (2000, Meerestunnel- und Brückenverbindung nach Schweden) wachsen Kopenhagen und Südschweden auch per öffentlichem Nahverkehr zu einer Region zusammen

Der Blick auf die Karte zeigt im Norden die enge Seepassage zwischen Seeland und Skåne (Schonen), vom Städtedoppel Helsingør und Helsingborg flankiert. Die Planer der Raumordnung kritisieren, dass hier die Verbindung der beiden Länder nicht vorankommt – und so der südliche Ballungsraum überproportional wächst, nämlich das metropolitane Schwergewicht der Hauptstadtregion Kopenhagen mit 1,6 Mio. Einwohnern, von denen 510000 auf die Hauptstadt selbst entfallen.

Die südöstlich vorgelagerte Insel Amager mit 160000 Einwohnern fasst den Kopenhagener Hafen ein und bildet geografisch den Übergang nach Schweden. Auf der anderen Seite des Sunds liegt Malmö mit seinen 25  8000 Einwohnern. Seit der Eröffnung der Øresundquerung ist Calatravas 190 Meter hoher Turning Torso (2005) zur gemeinsamen Landmarke geworden, versteht sich auch der südliche Teil des Sunds als »Doppelstadt«, deren Häfen als »Copenhagen Malmö Port« firmieren, deren Universitäten sich zusammenschließen.

Metropolitane Struktur

Die Øresund-Region ist seit 2000 auf Wachstumskurs. Sie weist jährlich drei Prozent mehr Bruttoinlandsprodukt aus, die Bevölkerungszahlen werden von 3,6 Mio. auf prognostizierte 4,0 Mio. Einwohner in den kommenden zwanzig Jahren steigen[1]. Die Region will hohe Standards in die internationale Städtekonkurrenz einbringen, etwa einen modernen, leistungsfähigen öffentlichen Nahverkehr.

Lange vor der Krise, die jetzt London, New York und andere Global Cities in der Entwicklung stagnieren lässt, konnte das große »ABC« der kleineren europäischen Metropolen Amsterdam, Barcelona und Copenhagen internationale Aufmerksamkeit auf sich ziehen: beste Ausbildung junger Eliten, internationale Offenheit, hohes Einkommensniveau, exquisite Forschungs-, Entwicklungs- und Dienstleistungssektoren, Freizeitangebote in Kultur und Landschaft, die selbst US-Firmen anlocken.

Im Entwicklungskonzept der »Doppelstadt« gewinnt die 96 Quadratkilometer große Insel Amager mit ihren traditionellen Industrie- und Raffineriestandorten, alten Arbeiterquartieren, den Gemeinden Tårnby und Dragør und dem skandinavischen Luftverkehrszentrum (dem Großflughafen Kastrup) an Bedeutung: Seit 2000 entsteht hier die Neugründung Ørestad, eine Bandstadt mit vier Distrikten – entlang der Trasse des südlaufenden Zweigs der Metro, der 2002 eröffnet wurde. Bezeichnenderweise ist die Ørestad-Entwicklungsgesellschaft auch Träger des neuen Metro-Systems.
Der zweite Zweig der Metro, in einigem Abstand zur Küstenlinie am Sund geführt, hat den Flughafen zum Ziel. Für die internationale Klientel, die das schnelle, bequeme Transportmittel annimmt, ist der Zugangsbahnhof (die Endhaltestelle Lufthavn) eher nüchtern-standardisiert, der Bergstation einer Seilbahn nicht unähnlich. Der Betrieb ist vollautomatisiert, Fahrpläne finden sich keine. Schnell wird klar, dass führerlose Kurzzüge in knappen Intervallen fahren, in der Rushhour im Abstand von zwei Minuten.

Das von KHR Arkitekter, Kopenhagen, entwickelte Design soll skandinavisch kühl und minimalistisch erscheinen. Vom Flughafen bis Lergrafsparken verläuft die Fahrt auf einer aufgeständerten Trasse – man ist gespannt, wie sich das System nun endlich im Untergrund anfühlt; wahre Überraschungen sind kaum zu erwarten.
Doch dann kommen, wie große Aquarien, die ersten Stationen in Sicht, Schaufenster in den beleuchteten Tunneln, Bahnsteige, von Glas umschlossen, dahinter im hell, klar gegliederten, übersichtlichen Raum die »Ausstellung« der Wartenden (Objekte von Duane Hanson?). Kürzer als erwartet, nur 67 Meter lang, wirken die Zugangsebenen in 18 und mehr Metern Tiefe unter der Stadt eher wie Foyers des einen großen Veranstaltungsraums, der Kopenhagen heißt. Tatsächlich öffnen sich die Schiebetüren der Waggons und der gläsernen Stationswände parallel, ein nicht unbeträchtlicher Sicherheitsaspekt. Dann merkt der Fahrgast, dass die Atmosphäre, die ihn positiv einstimmt, mit der Lichtmischung zu tun hat – Tageslicht aus Glasprismen auf Straßenniveau und ein präzises Lichtdesign, das Funktionen lesbar macht: die großen Plastiken der Rolltreppen, den Drift nach oben, die Spiegelungen, die ihn auf dem Weg nach oben begleiten. Während sich unten Schiebetüren schließen, Schall sich gedämpft entfernt, Helligkeit bleibt: ein Foyer, kein finsterer Nicht-Ort.

Metro-Town Ørestad

Die ersten Pioniergebäude gab es in Ørestad 1999, schon 2001 folgte die erste Industrieansiedlung. Der weitere Ausbau soll 15 bis zwanzig Jahre dauern. Heute leben hier bereits 3500 neue Einwohner (sechzig Prozent von ihnen unter vierzig Jahre alt), während die Zahl der angesiedelten Arbeitsplätze von 8000 auf 10000 wächst. Ziel: Wohnungen für 20000 Einwohner, zugleich aber 60000 bis 80000 Jobs.

Ørestad-Nord, das am weitesten fortgeschritten ist, wird von den Universitäten geprägt. Ihm dienen die Stationen Islands Brygge (in Tieflage) und DR Byen/Universität, die wieder herausgehoben an der Hochbahntrasse liegt. Dieser Bereich ist nicht nur tägliches Ziel von Tausenden von Studenten (neue IT Universität, siehe db 8/2005: 1600 Studenten; Universität Kopenhagen, Campus Amager – allein bei den Humanwissenschaften 11500 Studenten). Die Station DR Byen bindet die »Kasbah« des Dänischen Rundfunks an, ein Multimedia-Zentrum – u. a. mit einer 1800 Plätze fassenden Konzerthalle (Ateliers Jean Nouvel, Eröffnung: Januar 2009).
An der zentralen Station Ørestad markiert ein zwanziggeschossiger Turm (Henning Larsen Architects) den Kreuzungspunkt mit der Regionalbahn zum Flughafen und zur Øresund-Verbindung. Die schwarze Landmarke des Pharmazie-Konzerns Ferring ist noch von Malmö aus sichtbar. In der Nachbarschaft schließen Perlenketten-Projekte an wie Ørestad Gymnasium (2007, siehe Seite 20), expressive Wohnprojekte wie der VM Mountain (2008, siehe Seite 63); dazu ein großes Einkaufszentrum, neue Cityblöcke zum Wohnen (bis zu zwölf Geschosse hoch), dazu gewerbliche Ansiedlungen, die allein hier 20 000 Arbeitsplätze schaffen sollen.

Mit Downtown (Planung: Daniel Libeskind) und Ørestad-Süd (Planung: ARKKI aps, ein Joint Venture von APRT, Helsinki, den Autoren des städtebaulichen Masterplans von 1994 und KHR, Kopenhagen) folgen die größten Entwicklungsbereiche erst nach.

Metro im Stadtwandel

Im Übrigen greifen alte städtebauliche Bestände und neue Standorte über die Infrastruktur ineinander, verändern sich wechselseitig zu Linienstrukturen. Das ältere S-Bahn-System, seit 1934 entwickelt, ab 2005 zum letzten Mal erweitert, verzweigt sich strahlenförmig nach Nord- und Südwesten, die Metro auch nach Westen, indem sie die historische Altstadt im Bogen nördlich unterfährt. Ihr gelten die Investitionen der Zukunft, da bis 2018 ein zusätzlicher Ring um die Kernstadt gelegt werden soll, der auch die nördlichen Entwicklungsbereiche des Hafens nahe dem Amerika Plads und dem Bereich Langeliniespitze/Marmorkai (dem Wettbewerbsstandort von Steven Holls Hafentorkomplex) anbindet.

Nach Westen liegen als Verknüpfungspunkte die Station Kongens Nytorf (im Einkaufs- und Touristenzentrum) und der Bahnhof Nørreport direkt am Rande der Fußgängerzonen, der zwischen der Gründerzeitvorstadt jenseits der grünen Zone der Contrescarpe und der Altstadt vermittelt. Er ist der zweitgrößte Knotenpunkt des metropolitanen Nahverkehrs. Auf mehreren Ebenen kreuzen sich die Trassen von Staatsbahn, S-Bahn und Metro.

Ab Fasanvej steigt die Trasse aus der Tunnellage erneut auf und führt stadtauswärts. Flintholm Station wurde wiederum zum Kreuzungspunkt mit der S-Bahn ausgebaut, die hier einerseits weiter in die Region ausschwenkt, andererseits den weiten Bogen des westlichen S-Bahn-Rings bildet. Auf acht Stahl-Pylonen ruht ein 5000 Quadratmeter großes Glasdach, das alle Einrichtungen des neuen Bahnhofs (2004, Architekten: KHR Arkitekter A/S – DSB Arkitekter) zusammenfasst. Die Dänischen Staatsbahnen prognostizieren, dass Flintholm Station in absehbarer Zeit allein 45 000 Fahrgäste täglich für die S-Bahn aufnehmen wird. Unmittelbar nach Osten schließt Flintholm Urban Center an, Quartierszentrum für ein Konversionsgebiet, dessen Areal gleichfalls industriell besetzt war.
Gestalterisch ähnelt der Kopenhagener Standard etwa der Metro in Bilbao (Foster and Partners). Der Vergleich mit den älteren Kopenhagener Bahnhöfen der S-Bahn, etwa in den Tunnellagen von Nørreport macht den Fortschritt deutlich: Die freundliche Stadtatmosphäre wird bis in den Untergrund ausgeweitet – nicht umgekehrt. Die internationale Konferenz Metrorail wählte die Kopenhagener U-Bahn 2008 zur »besten der Welt« – Zuverlässigkeit, Frequenz, Kundenzufriedenheit, Sicherheit.

[1] Bundesagentur für Außenwirtschaft (11/2008): Die Øresund-Region erwirtschaftet gegenwärtig bereits ein Viertel des Bruttoinlandsprodukts der Länder Dänemark und Schweden; innerhalb der nächsten zwanzig Jahre, so die Prognosen, wird die Region einen Wert erreichen, der bereits der Hälfte des gesamten schwedischen Bruttoinlandsprodukts entsprechen wird.

db, Di., 2009.02.03



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