Bundesarchiv für Stasi-Akten in Chemnitz
Eine DDR-Industriehalle als Archivstandort für die Geheimdienstakten des Stasi-Regimes? Im Nachhinein scheint es naheliegend. Wie gut sich Struktur und Gebäudehistorie mit der neuen Nutzung vereinbaren ließen, hatte vorher jedoch keiner geahnt. Ein Projekt wie aus dem Lehrbuch für Nachnutzungspotenziale profaner Systembauten.
Eine DDR-Industriehalle als Archivstandort für die Geheimdienstakten des Stasi-Regimes? Im Nachhinein scheint es naheliegend. Wie gut sich Struktur und Gebäudehistorie mit der neuen Nutzung vereinbaren ließen, hatte vorher jedoch keiner geahnt. Ein Projekt wie aus dem Lehrbuch für Nachnutzungspotenziale profaner Systembauten.
Bereits seit 2015 befindet sich das Sächsische Staatsarchiv Chemnitz im »Peretz-Haus«, das in einem industriell geprägten Quartier südlich des Chemnitzer Innenstadtrings steht. Nach Umbau und Erweiterung konnte die denkmalgeschützte Strumpfwarenfabrik aus Zeiten der Jahrhundertwende entsprechend der hohen Anforderungen an die Sicherung von Archivalien nutzbar gemacht werden. Als nun auch das Bundesarchiv für Stasi-Akten mit allen Hinterlassenschaften der Bezirksverwaltung für Staatssicherheit Karl-Marx-Stadt und den dazugehörigen 22 Kreisdienststellen einer neuen Unterbringung bedurfte, lag der Wunsch nach einem gebündelten Archiv-Standort nahe. Aus statischen Gründen kamen die noch leer stehenden Gebäudeteile des Peretz-Hauses nicht in Betracht, und so rückte die benachbarte DDR-Produktionshalle des VEB Kombinats Robotron aus den 1960er Jahren in den Fokus. Auf Anfrage der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben beauftragte der private Eigentümer 2019 das Architekturbüro Heine Mildner aus Dresden, das vor Ort mit der Umnutzung und Erweiterung der alten Aktienspinnerei zur Zentralbibliothek der TU Chemnitz bereits auf sich aufmerksam gemacht hatte, mit einer Machbarkeitsstudie zur Umnutzung des leer stehenden Industriebaus.
Unscheinbare Potenziale
Wie sich herausstellte, war die Produktionshalle für die geplante Nutzung perfekt geeignet. Mit nur geringen Eingriffen in die Grundstruktur konnte sie innerhalb von nur zweieinhalb Jahren Planungs- und Bauzeit zum Archivbau mit Ausstellungsbereich umgewidmet werden. Dank der typisierten Bauweise ließ sich die Statik der extrem lastoptimierten Bauteile verhältnismäßig gut kalkulieren. An kritischen Stellen führten die Tragwerksplaner vor Ort Bewehrungsscans und Belastungsproben durch. Auch den erforderlichen Brandschutzqualitäten konnten die meisten Stahlbetonelemente trotz geringer Betonüberdeckung gerecht werden, sodass letztlich fast alle tragenden Bauteile erhalten wurden.
Die Rollregalanlage mit ca. 7 500 Laufmeter Akten sowie Unmengen an Karteikarten, Fotos und Tonträgern fand im klimatisierten, unbelichteten Kern des Gebäudes Platz. Auf zwei Geschossen standen in den 20 x 55 m großen Hallen früher die Großrechner des Kombinats, weshalb die Tragstruktur bereits auf hohe Lasten ausgelegt war. Im Zuge der Entkernung wurden hier die mittige Stützenreihe sowie die hohen Pultdachträger mit der aufliegenden Fertigteilkassettendecke freigelegt. Im umlaufenden Kranz der Bürozellen befinden sich nun, der vorhandenen Gebäudelogik entsprechend, die Archivverwaltung, Lesesäle und kleinere Veranstaltungsräume. Zwei neue Rettungstreppenhäuser wurden in das Stützraster des Stahlbetonskelettbaus eingepasst und der neue Lastenaufzug nutzt einen der vorhandenen Schächte weiter. Im ursprünglichen Zustand verfügte der Profanbau über keine repräsentative Eingangssituation. Auf der kurzen Gebäudeseite, dem Stadtarchiv im »Peretz-Haus« zugewandt, fand sich über einer alten Bunkeranlage im Keller ein halbes Hohlgeschoss, sodass die Geschossdecke in diesem Bereich einfach heruntergesetzt werden konnte, um ein erhöhte Foyersituation zu schaffen. So entwickelte das Planungsteam mit dem, was der Bestand ihm anbot, ein der neuen Nutzung angemessenes Raumprogramm.
Aufwertung ohne Entfremdung
Das Stasi-Unterlagen-Archiv positioniert sich nun mit einem eigenständigen und dennoch nicht fremden Erscheinungsbild in seinem industriellen Umfeld. Die horizontal gestaffelte, grüne Wellblechverkleidung zitiert die originale Fassade aus vergilbten GFK-Wellplatten, wie sie auch an einem der Nachbarbauten noch zu finden ist, auf eine zeitgemäße Art und Weise. Mit ihren Schattenfugen, den abgerundeten Gebäudeecken und den honiggelben Ausstellmarkisen verleiht sie dem Gebäude jedoch ein ungleich hochwertigeres Aussehen. Dabei bleibt der Werkhof-Charakter in Details wie der Außenbeleuchtung stets spürbar.
Betont wird der Besuchereingang durch ein markantes Vordach von 14 m Länge, das fast bis an den gegenüberliegenden Zugang zum Staatsarchiv heranreicht. Die Zufahrtssituation wird so zur Adresse für den gemeinsamen Archivstandort. Auch die barrierefreie Zugangsrampe wirkt nicht wie eine Verlegenheitsgeste. Als Interpretation einer Laderampe wird sie mit ihren integrierten Sitzstufen zum raumbildenden Stadtmöbel, das insbesondere bei öffentlichen Veranstaltungen den Gebäudezwischenraum belebt.
Eine Ausstellung im überhöhten Foyerbereich leitet Besuchende anhand eines realen Falls der Festnahme zweier Jugendlicher im DDR-Regime in die sensible Thematik ein. Hier, sowie in den umlaufenden Fluren zu den Arbeitsräumen und Lesesälen für die Akteneinsicht, erzeugt die abgetönt blaue Wandfarbe eine gleichermaßen seriöse wie beruhigende Atmosphäre. Im Zusammenspiel mit der psychologischen Begleitung soll diese einen angemessenen Rahmen schaffen, in dem sich ehemalige DDR-Bürger bei der Einsicht in die eigene Geheimdienstakte den möglicherweise belastenden Informationen stellen können. Im Kontrast dazu sind funktionale Elemente wie die Rollregale, Treppenräume und Aufzugsanlagen in einem leuchtenden Gelbton gehalten. Eine kreisrunde Verglasung erzeugt einen Einblick in die riesige Archivhalle und illustriert so eindrucksvoll das orwellsche Ausmaß an Überwachung und akribischer Dokumentation, das zu DDR-Zeiten auf der Tagesordnung stand.
Auch im Inneren durfte der bauzeitliche Charakter des Funktionsbaus präsent bleiben. So sind die Stahlbetonstützen, Wände und Träger zwar farbig gestaltet, die raue Oberflächenstruktur des Materials bleibt dabei jedoch weiterhin sichtbar. Einer der alten Aufzüge ist mit allen Steuertableaus als museales Relikt erhalten geblieben. Originale Geländer wurden an aktuelle Richtlinien angepasst und nachträglich ergänzte entsprechend ihrem bauzeitlichen Vorbild, inklusive PVC-Handlauf, rekonstruiert. Auch die typischen Terrazzo-Platten findet man im Original sowie als nachträgliche Interpretation noch in den Treppenräumen.
Dabei ergänzten sich das knappe Projektbudget und die gestalterische Haltung der Planenden: Im Kontext der typisierten DDR-Architektur sollte es auch im Umbau keine Sonderanfertigungen geben. Das Planungsteam setzte auf simple Details, vorgefertigte Bauteile und Katalogware in Standardfarben und schaffte so mit einfachen Mitteln eine ebenso schlüssige wie hochwertige Fortschreibung des ökonomischen Industriebaus. Nicht nur im Sinne der Nachhaltigkeit ist die Umnutzung ein Erfolg: Der Erhalt und sensible Umgang mit dem 1960er-Jahre-Profanbau könnte auch thematisch nicht besser zur Aufarbeitung des politischen Erbes seiner Erbauungszeit passen.
Umso bedauerlicher, dass das Bundesarchiv auf absehbare Zeit nicht an diesem Standort bleiben wird. Mit der Umnutzung und Erweiterung des ehemaligen Bezirksverwaltungskomplexes der Staatssicherheit im Matthäikirchhof in Leipzig zum »Forum für Freiheit und Bürgerrechte« sollen die Unterlagen dort perspektivisch zentral untergebracht werden. Vielleicht war das einer der Gründe, warum das Stasi-Unterlagen-Archiv nur zur Miete in die Robotron-Halle in Chemnitz eingezogen ist. Ob und wann das Leipziger Projekt zur Umsetzung kommt, steht noch aus. Der Siegerentwurf vom Architekturbüro Riehle Koeth aus Stuttgart lässt mit dem Abriss eines Großteils der imposanten Stasi-Bauten leider einiges an der historischen Sensibilität vermissen, die dem Chemnitzer Projekt seine Strahlkraft verleiht. Man darf aber optimistisch sein, dass der Systembau auch für einen weiteren Nachnutzungszyklus bestens aufgestellt ist.
db, Fr., 2025.08.29
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