Im Zuge des wirtschaftlichen Aufschwungs nach dem Zweiten Weltkrieg setzte auch im Kanton Graubünden ein Bauboom ein, der bis heute anhält. Diese Entwicklung hat allerdings in sehr kurzer Zeit das Bild vieler Bündner Dörfer und Landschaften entscheidend verändert. Die zerstörerischen Auswirkungen auf jahrhundertealte Gewohnheiten und Strukturen waren und sind immens. Doch es wurde nicht nur zerstört, es sind in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhundert auch bedeutende Bauten entstanden. «52 Beste Bauten» stellt dieses junge Baukulturerbe in den Fokus. Das Buch thematisiert den kulturellen, technischen und künstlerischen Stellenwert der Nachkriegsbauten und will das Bewusstsein für die baukulturellen Errungenschaften dieser Epoche zu schärfen. Die Publikation versammelt historische Bilder und Neuaufnahmen, die bis anhin in Inventaren, Büchern und Berichten verstreut waren. Der Fokus liegt auf architektonischen oder ingenieurtechnischen Werken aus charakteristischen Baugattungen wie Kraftwerkbau, Schulhaus- oder Kirchenbau. Das Buch ist ein Kondensat der multimedialen Sensibilisierungskampagne des Bündner Heimatschutzes, die wöchentlich einen bedeutenden Bau von Peter Zumthor, Rudolf Olgiati, Walter Förderer, Christian Menn oder Gion A. Caminada und vielen anderen vorstellte.

ISBN
978-3-909928-61-3
Sprache
Deutsch
Publikationsdatum
2020
Umfang
140 Seiten,
Format
21,3 x 27.1 cm

Presseschau
22. Dezember 2020Martina Pfeifer Steiner
newroom

Sensibilisieren auf gefährdete Baukultur

Ausnehmend schön gemacht: gutes Format, angenehme Papierqualität, ausgewogene Grafik, übersichtliche Vermittlung. Hält man ein Buch in dieser Qualität...

Ausnehmend schön gemacht: gutes Format, angenehme Papierqualität, ausgewogene Grafik, übersichtliche Vermittlung. Hält man ein Buch in dieser Qualität und Sinnhaftigkeit in Händen, wird die Berechtigung von analogem Lesestoff wieder evident. Dabei startete das engagierte Projekt digital, als Kampagne des Bündner Heimatschutzes im Wochentakt „52 beste Bauten 1950–2000“ aus Graubünden auf einer Website hervorzuheben, um für das gefährdete baukulturelle Erbe der jüngeren und jüngsten Vergangenheit zu sensibilisieren. Eine wesentliche und breitenwirksame Baukulturvermittlung ist damit gelungen und diese hat zweifelsohne großen Mehrwert als analoge Publikation. Sie versammelt sämtliche digitale „Kalenderblätter“ in chronologischer Ordnung als architekturgeschichtliche Galerie. Jedes Bauwerk auf einer Doppelseite, mit den wichtigsten Fakten, einem interessanten Text, relevanten Literaturverweisen und einem großformatigen farbigen und einem kleineren schwarz-weiß Bild, eigens vom Fotografen Ralph Feiner aufgenommen. Das gibt nicht nur Ein- und Überblick auf die Graubündner Architekturszene mit ihren Strömungen und Strukturen – dazu auch ein Essay – sondern es erzählt zudem vom Umgang mit den Baudenkmälern der Nachkriegszeit.

Der Bündner Heimatschutz steht als baukulturelle Organisation an vorderster Front um für das gebaute Erbe zu sensibilisieren. Kaum zu glauben, dass sogar Peter Zumthors „Wohnhaus für Betagte“ in Chur 2015 in Gefahr war, abgebrochen zu werden – „Ein Bauwerk, das die Bauaufgabe „Altersheim“ einst neu erfand“ und im Buch als Nummer 42 dokumentiert wird. Die geplante Rettungsaktion konnte dann doch eingestellt werden, weil die Eigentümerschaft schlussendlich Einsicht zeigte. Peter Zumthor renovierte das Wohnheim in der Zwischenzeit und passte es selbst den gestiegenen Komfortansprüchen an. Ein Glücksfall! Der Talstation der Albigna-Seilbahn von Buno Giacometti, Bruder des bekannten Künstlers Alberto Giacometti, war hingegen das Schicksal des Abbruchs beschieden, und ein Zeugnis architektonischer Erneuerung aus dem Jahre 1955 ging damit unwiederbringlich verloren.

Die 52 besten Bauten sind der gemeinsame Nenner einer dreiköpfigen Jury. Gewisse Subjektivität ist bei jeder Auswahl zu unterstellen, der Abstand von 20 Jahren schafft jedoch Distanz und schärft den Blick auf das Wesentliche, aber auch auf die Qualitäten der alltäglich umgebenden Baukultur, was erst mit dem Hinweis darauf wieder bewusst wird. Dass die Kapelle Sogn Benedetg, die das Cover ziert, vorkommt ist klar, aber die Dokumentation, dass es bei Gebäuden wie der Höheren Technischen Lehranstalt in Chur (1993, Jüngling und Hagmann) oder bei der Einstellhalle in Domat (1988, Isa Stürm, Urs Wolf) oder der Siedlung Lacuna in Chur (1964–1972 Lacuna 1, 1972–1981 Lacuna 2, Thomas Domenig) auch ganz viel Spannendes zu entdecken gilt, könnte den Bauwerken in naher Zukunft einen wertschätzenden Umgang mit der architektonischen Substanz sichern.

newroom, Di., 2020.12.22

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