Editorial

Dem amerikanischen Architekten Henry Hobson Richardson wird die Behauptung zugeschrieben, im Leben eines Architekten gäbe es nur drei elementare Grundregeln: »Get the job, get the job, get the job.« Mit dem Thema Architekturwettbewerb widmet sich der UmBau 22 jener Art der Auftragsakquisition, mit der sich die Architektur von anderen Disziplinen abzuheben glaubt, einerseits durch die geradezu rituelle Selbstausbeutung der Beteiligten, andererseits durch die Richardsons Behauptung widersprechende Imagination, dass der Wettbewerb nicht primär den Architekten, sondern vor allem dem Allgemeinwohl dient, würde er doch aus einer Vielzahl von Ideen der jeweils besten den Weg zur Ausführung ebnen.

Im aktuellen Teil des UmBau finden sich neben der Dokumentation einer von der ig architektur initiierten Diskussion anlässlich des jüngsten Ronacher-Wettbewerbes ein Beitrag über den Wettbewerb für die Europäische Zentralbank in Frankfurt, ein Interview mit Peter Eisenman und in der Rubrik Nachrufe die Würdigung zweier Wettbewerbe, die für die Gewinner voraussichtlich nicht in der Umsetzung enden werden, sondern in einem Rechtsstreit mit den Auslobern.
Der Projektbeitrag – ein Kultur- und Kongresszentrum von Rainer Pirker in Nanjing – fällt als Direktauftrag aus der Reihe, mag aber als Ausnahme gelten, die die Regel bestätigt, dass hohe Qualität am besten durch offene Verfahren zu erzielen ist.

Der Fotoessay, gestaltet vom Bildhauer Werner Feiersinger, befasst sich mit bekannten Projekten Le Corbusiers, gut abgelegenen Ikonen der Architekturgeschichte, die unter Feiersingers Blick zu neuem Leben erwachen.

Der Theorieteil über die »Verkehrte Welt« (Hélène Lipstadt) der Architekturwettbewerbe wird von Kari Jormakka auf Seite 52 eingeleitet. Der Call for Papers für die nächste, mittlerweile in Arbeit befindliche Ausgabe des UmBau findet sich hier gleich anschließend. Gesucht wurde nach Beiträgen über Unschärfe und Diffusität als Charakteristika der heutigen Architektur.

Christian Kühn


Call for Papers UmBau 23
diffus, diffus, diffus

diffus. Das »kunstvolle, korrekte und großartige Spiel von unter dem Licht versammelten Körpern« – Le Corbusiers suggestive Definition von Architektur – ist heute nur noch historische Reminiszenz. Gemeinsames Merkmal vieler zeitgenössischer Architekturen ist die Auflösung der Kontur. Diller + Scofidios »Blur Building« für die Schweizer EXPO 2002 in Yverdon-les-Bains wies als künstliche Wolke keinerlei feste Geometrie mehr auf. R&Sie entwarfen für Bangkok ein Museum, das sich in einer Hülle aus Staub verbirgt. Jean Nouvels Projekt für ein Guggenheim Museum in Tokio gleicht einem Hügel aus Blättern. Kazuyo Sejima und Ryue Nishizawa suchen in ihren jüngsten Projekten nach einer körper- und schattenlosen Architektur mit nur scheinbar einfachen Geometrien. Diese Tendenz zu diffusen Konturen lässt vielfältige Interpretationen zu. Explizite Referenzen wie jene von R&Sie auf Duchamp weisen auf eine Beziehung zum Surrealismus hin. Als weiche, ursprünglich klar konturierte, aber in Auflösung begriffene Form lassen sie sich als pathologisches Symptom lesen, das kulturgeschichtlich der Romantik zuzuordnen ist. Umgekehrt erscheinen sie als Ergebnis unkontrollierbarer Addition, etwa in jenen Architekturen des Schaums, wie sie Peter Sloterdijk im dritten Teil seiner Sphären-Trilogie skizziert.

diffus. Der Dekonstruktivismus hat – trotz der Obsession der Dekonstruktivisten mit formaler Durcharbeitung – die Auflösung der architektonischen Form vorweggenommen. Jacques Derrida stellte in »Die Wahrheit in der Malerei« das Konzept des Kunstwerks als organische Einheit mit Anfang, Mitte und Ende in Frage und damit zugleich den Status von Grenze und Form. Rosalind Krauss und Yve-Alain Bois beziehen sich in jüngeren Arbeiten auf Georges Batailles Konzept der Formlosigkeit, um neue Wege des Denkens über Surrealismus und Kunst zu eröffnen.

diffus. Diffuse Konturen sind nicht allein eine Frage der Hülle. In einem Text über ontologische Relativität beschreibt Willard van Orman Quine einen Körper als »eine spezielle Art von physischem Objekt, einigermaßen kontinuierlich im Raum, eher kompakt, das sich deutlich vom Großteil seiner Umgebung abhebt und sich zeitlich durch eine Kontinuität von Ortsveränderung, Verformung und Verfärbung individualisiert«. Er stellt fest, dass diese Vorstellung eines Dings die Basis für die meisten populären Ontologien ist, was sicher auch für das architektonische Denken gilt. Im Gegensatz dazu destabilisiert die diffuse Kontur die geläufigen Vorstellungen von Innen und Außen, Baukörper und Umgebung, Öffentlichem und Privatem. In ihrer radikalsten Version kulminiert diese Tendenz in einem »Flat Space«, wie ihn die japanische Architektengruppe Bow-Wow in ihren Projekten thematisiert.

Für die nächste Ausgabe des UmBau rufen wir zur Einsendung von Beiträgen auf, die ihr Interesse auf das Unscharfe fokussieren. Zu den Fragestellungen gehören neben den aktuellen und historischen Aspekten der erwähnten Phänomene auch technische Aspekte – wie neue Materialien und Fassadensysteme – sowie die Frage nach parallelen Entwicklungen in den bildenden Künsten, in Literatur und Philosophie, die Einfluss auf die Architektur haben beziehungsweise von ihr beeinflusst werden.

Kari Jormakka, Christian Kühn

Inhalt

08 Vorwort | Christian Kühn

09 Architecture in the Age of Terror | Peter Eisenman talking with Kari Jormakka
15 Rebuild the Balance | Christian Kühn
21 ››aut‹‹ im Bräu | Christian Kühn
22 Der Wettlauf um den Euro-Turm | Tatiana Winkelmann
24 Im Zweifel für den Wettbewerb | ig architektur Podiumsdiskussion
28 Über Prozesse und Unsichtbarkeiten | Andreas Rumpfhuber
30 Nachrufe | Christian Kühn

FotoEssay
32 L. C. revisited | Werner Feiersinger
50 Dinge nach Dienstschluss | Christian Kühn

Competition!
52 Foreword: And the Winner is ... | Kari Jormakka
55 Verkehrte Welt | Hélène Lipstadt
67 The Willing Suspension of Disbelief | Mark Gilbert, Kari Jormakka
79 Der Spieler wird Architekt | Manfred Russo
91 Ein Entwurf, der zu früh kommt | Anita Aigner
105 Democracy Degree Zero | Michael Sorkin
117 Mehr Produktivität durch Wettbewerb | Martin Pongratz
124 Der unmögliche Wettbewerb | Rudolf Kohoutek
130 Schöpferisch Dienst leisten | Dieter Spath

Call for Papers
141 UmBau 23: diffus, diffus, diffus. blur, blur, blur. | Christian Kühn, Kari Jormakka

Architecture in the Age of Terror

(SUBTITLE) Peter Eisenman talking with Kari Jormakka

Kari Jormakka: Which advice would you give to the people who go see your exhibition? Should we take it as a work retrospective in the classical sense, unified by the figure of the author, despite the remarkable variety of ideas presented; or should we see it as a textual mapping of the changing intellectual climate from the sixties to the present day?

Peter Eisenman: It is both, I think. My argument is that the intellectual climate experienced a radical change on 9/11. I'm doing a book called the Architecture of the Disaster, where disaster refers not only to the terrorist attacks but also to the metaphysics of presence. Before the attacks, from 1968 to 2001, we were in what Guy Debord called „the society of the spectacle“. On that day, we witnessed the grandest spectacle ever: the live demolition of two pieces of symbolic architecture. My work rethought itself after 9/11, and I believe that we are now in the „age of terrorism“, not in the „age of the spectacle„. There will never be another spetacle like the one we witnessed on 9/11. Architecture can never compete with media in this sense, so architecture has to change.
My work is anti-spectacular, and this exhibition is anti-spectacular, anti-diffusive, anti-sculptural. When I saw Zaha Hadid's select exhibition last year, I thought it was absolutely incredible, but then I realized that it was not what architecture is about. In my exhibition, you feel the ceiling, the floor, the walls; you feel nothing else. Because there's nothing to see, and that was the whole idea. You have nothing to see, yet you're seeing everything because the architecture becomes both foreground and background. It is in a sense empty, in that it is not representational. It shows the materials, how it was built, what the room is like; you see all these things. The projects become incidental. It is not an exhibition of pictures on a wall. It's an exhibition, in a sense, about itself. In one way the exhibition is representative of my work – with grids and columns – but in another way it's very different from my previous work. I never would have conceptualized such an exhibition five years ago. I think it's a very tough critique of where architecture is today. The exhibition is about architecture distinguishing itself as an autonomous discipline from sculpture. Sculptors cannot do architecture, and architects cannot do sculpture. The exhibition provokes some interesting questions. To take this romantic space and turn it into this cool bare place where there are no signs, no direction, no narrative; all of those things are part of my work. Yet it's not like the Berlin Mahnmal. The monument in Berlin is about Angst; the material and the scale are really very different. The MAK exhibition is almost a degree zero, if there could be such a thing. The way the light spaces work, there is no orientation: the architecture doesn't orient, it disorients. It doesn't do anything, and yet it does everything. For me, that is a very interesting possibility.

KJ: In the press release your show is characterized as a „negative exhibition“.

PE: Peter Noever calls it that. I think it's a very positive exhibition, in the sense that it's sitespecific. It's Vienna, the site of theunconscious, the shadow, Wittgenstein, Freud. If there is any combination of Freud and Wittgenstein, it is here: the exhibition has the coolness and the abstraction of Wittgenstein and the unconscious of Freud. So I would not call it negative: it is a commentary on the moment in architecture that we live in.

KJ: Apropos Wittgenstein, you included in the exhibition your formal analyses of Palladio, and we have all seen your diagrams of Giuseppe Terragni's buildings. Have you ever made a formal analysis of the Palais Wittgenstein?

PE: No, I haven't because I don't think it could be analyzed in the same way as one might analyze Adolf Loos or Giuseppe Terragni. Not being an architect, Ludwig Wittgenstein didn't really know what he was doing architecturally. You can analyze Loos, but not Wittgenstein. I'm not interested in the house; I am interested in him as a thinker. But let me ask you a question. There is a sensibility, I think, operating in the exhibition. I don't think it's a negative sensibility in the sense of Walter Benjamin and Theodor W. Adorno. I think it's more post-structuralist in the sense of a Derridean take on things. I wonder what you think; what was your reaction to it?

KJ: Well, I am not sure what Peter Noever might mean by a negative exhibition; perhaps he would be able to relate it in some way to Adorno's negative dialectics or the idea of art as a kind of negation of the culture industry. But as far as exhibitions go, I would not call yours a negative one, albeit it could be described in terms of deconstructive inversions, or even better, Hegelian dialectics. At first glance, the museum space appears empty since the exhibits are „hidden“ in the columns, so it is a negation or antithesis of the notion of exhibition; but as soon as one enters the space, catches glimpses of the exhibits, one's curiosity is aroused; hence, the first negation (concealment) is overturned by the second negation (concentration of attention), thereby affecting a Hegelian synthesis of a super-exhibition, rather than a negative one. But the price of this dialectic is complicity with the exclusionary strategies of traditional museal exhibitions: since there is not that much space for each project, the works are presented as objects for visual contemplation divorced of any context, the way sculpture is exhibited. And yet these fragments of form are standing in, I suppose, for works of architecture. Without the catalogue or other information, how can people who are not familiar with your design processes and your theoretical concerns respond to the exhibits, or even tell the difference between you and Frank Gehry or Zaha Hadid? In visual terms, your 1993 design for the Max Reinhardt Tower in Berlin looks a lot like a 1911 sketch by Czech cubist Pavel Janák, but is this a relevant comparison? To me, your most important and influential contribution to architecture has been the problematization of the design process, and this is in my view underrepresented in the exhibition. On the plus side, this exhibition model provides the opportunity to include an amazing range of work. And yet, you cannot include everything, especially as at the moment you are probably busier as an architect than ever before. The moment of success has often proved a mixed blessing for architects: one may not be able to dedicate as much attention to a project as one might wish; one has to deal with complex programmatic and budgetary issues. How do you feel about your works-in-progress?

PE: First of all, you cannot compare projects of a small, didactic scale, such as my early house projects, or more theoretical ones, such as the Cannareggio project, or even the Wexner Center, let's say, with the stadium that I am designing in Glendale, Arizona. A stadium has so many requirements that I don't think it will be theoretically an important project, but it's important for an architect to get these projects, to design a major public building, especially as such projects are not usually given to architects with theoretical leanings. We're working on another stadium in La Coruña, and on the German Olympic Stadium at Leipzig. We are also doing an opera house in Santiago de Compostela, Spain, as well as two libraries there. It's a big, big project. It remains to be seen whether it will avoid the problems of the Getty Museum in Los Angeles, with one architect doing a large complex. But it's the first time I've worked with stone, and it also has a very interesting use of glass at a scale on the façade that is very different from before. So it will be very interesting to see. For example, Kari, I would argue that the Holocaust Memorial project in Berlin was a risk. What will it be like when it opens and people are in it? I know how I feel about it, but what will the German people feel? Or what will people feel about the exhibition here in Vienna? Noever took a risk with this project. The question is what the reaction will be. The risks are now greater for me because the projects are literally larger. An opera house, a stadium, or other such large-scale projects also have somewhat larger implications than my early work. Of course, the theoretical work is moving as well: it is far more political than it used to be; it's more involved in public reactions to things; it's far more concerned with how people react in space. I'm much more interested in how people react in space than whether they like this project or that project. It's not about saying, „Oh, look at this project and that!“ It's about the reactions that the projects evoke in the people who enter the space.

KJ: You have got many of your commissions through competitions. Do you find that competitions promote significant innovation in architecture – or does the process lead to compromises in that in order to get the attention of the jury, a competition entry tends to become a one-liner with no subtlety or substance?

PE: No, no we don't compromise. In fact the way we enter competitions, like the one for the World Trade Center, we didn't go in to win. We went in to make a great project. Now, if you go in to win, then it's useless. But of course, if you win with a great entry, then you get to build a great project. Except for the houses, all of the buildings that we've built have been won in competitions.

KJ: With its strong form, the entry in the competition for the WTC site looks very different from your other recent work shown in the exhibition, such as the Santiago de Compostela buildings.

PE: Well, don't forget, there were four of us, four very strong egos. The installation seems to pick up on the problems of the WTC. I don't know how much of the design is Peter Eisenman, how much is Steven Holl, how much is Charles Gwathmey, how much is Richard Meier; I can't tell. It's a collaborative project. Look, I have worked with Michael Heizer, Jacques Derrida, Richard Serra; I've worked many times on collaborative projects. It doesn't always have to be Peter Eisenman alone.

KJ: Would you say that the World Trade Center competition process sparked a new interest in architecture? For a long time, you have been skeptical about the chances of architecture in competition with other media. Could highly publicized architectural competitions make the public aware of the cultural value of architecture?

PE: First of all, I think that we should talk about two different worlds here: Europe and America. Here, you don't have to worry about media because media is all over architecture. Whether or not there is a competition, architecture is part of the culture. In the United States, the only time we've had any great media attention was over the World Trade Center Competition, and the competition itself has proven to be a disaster, both the way the winning scheme won, and now the decision not to do the winning scheme. I don't think it created any more of a public awareness of architecture. Let's take the new Museum of Modern Art in New York: that's not architecture. They spent 500 million dollars on no architecture. In the United States, there's no consciousness about the role of architecture as an ideological matrix, while in Europe the opposite is the case. On 9/11, the terrorists attacked an architectural symbol. If they wanted to disrupt the city, they could have attacked the infrastructure in New York. Instead, they wanted something that would be symbolic. It seems to me that architecture creates political, social and economic symbols that may, as in the case of the World Trade Center, be recognized as such all over the world, across cultures.

KJ: Walter Benjamin, whom you mentioned earlier, claims that while a tourist views a famous building with attentive concentration, most people experience architecture much less through rapt attention than by noticing the object in incidental fashion. In some ways, Walter Benjamin anticipated not only Guy Debord but also your ideas about architecture not being able to compete with the media. In contrast to you, he felt that the age of the spectacle did not commence in 1968 but in the nineteenth century, with phantasmagorical images that still in his time held sway over a spectator's subconscious and inhibited anything new from occurring, including a critical awareness of the present. In this methodical exercise in oblivion, the urban experience played a crucial role, and indeed the paradigm of oblivion and distraction is for him architecture.

PE: I don't agree with Benjamin that architecture is seen in a state of distraction. A city is not the same as architecture. We walk around the city, but cultural artifacts, like the World Trade Center, are never seen in a state of distraction. Flying over New York, you always saw the World Trade Center. If we looked out our window, in New York, we saw them. They were part of our view. And then we saw them come down. That wasn't merely distraction.

KJ: But the WTC towers were not important symbols because of their architectural quality, I suppose; at least they were never really celebrated by critics and historians as great architecture. But to return to your point about architecture enjoying a higher status in Europe, and people being more aware of architecture on this side of the Atlantic: If that is so, can you name a few important new architectural projects from Austria that have caught your attention?

PE: You know, I wouldn't know. If you asked me about Spain, I wouldn't know. I mean, I don't really know. Look, I know there are very good young architects, a lot of them are Dutch. There's Foreign Office Architects; they are very good.

KJ: Did you know that Farshid Moussavi is teaching in Vienna?

PE: Oh, she is? She and Zaera-Polo are very talented young architects. I know some bright young architects in Italy. In Austria I don't know any. I don't mean to say that there aren't any, I just don't know any.

KJ: For better or worse, you have often been described as a formalist throughout your long career. Most recently, Bob Somol, Sarah Whiting and Stan Allen have named you a representative of „critical practice“, in which a highly articulate form becomes a form of resistance in the spirit of Manfredo Tafuri, as opposed to the easygoing „projective practice“ of Rem Koolhaas, which they believe is better in tune with the times. Form, it is argued, will give way to shape or performance. Formalism and form have been challenged in art history as well: Rosalind Krauss and Yve-Alain Bois have proposed rewriting the history of modernism from the point of view of the Bataillean l’informe. What is in your view the status of form today?

PE: Do you know Pier Vittorio Aureli?

KJ: Yes, last year I reviewed his dissertation proposal at the Berlage Institute on the topic of absolute architecture. In a very charged text, he made reference to both Roland Barthes's „writing degree zero“ and to the 1960 work Production of commodities by means of commodities by Piero Sraffa, the Cambridge economist whom Wittgenstein praises in the foreword to the Philosophical investigations. Aureli's attempt to articulate for such an absolute architecture a syntax of matter that would reveal the process of production of the object through the form of the object itself brings to mind your work from the sixties.

PE: Aureli wrote a critique of Somol which was published in the Log magazine which my wife Cynthia Davidson does. He also wrote another excellent critique of Peter Eisenman and Rem Koolhaas in Arquitectura Viva magazine. It's better to ask Aureli what he thinks of the shape/form opposition. I disagree with Somol on the postcritical turn and on shape. And although Rem is the architect I most admire, we are very different: his Content and my Terragni book couldn't be more opposed. For example, I am not interested in the marketplace; I am not interested in branding – I mean, why should I be interested in the Prada Store? Why?

KJ: Because, if Rem is right, shopping is the only remaining form of public life.

PE: He says that, but for me reading, for example, is a form of public life. I brought a new book on Marcel Proust with me in which 28 writers discuss their favorite lines in A la recherche du temps perdu. Beautiful book, and you know, Proust described how in the space of an hour a book sets free within us all the joys and sorrows in the world, only a few of which we would have to spend years of our actual life in getting to know, and the most intense of which would never have been revealed to us because the slow course of their development stops our perception of them. Compared to reading, shopping – well, the fact is, I can't stand to shop. I mean, I have worn these clothes for years.

KJ: I remember seeing those very same clothes years ago when you were teaching at Ohio State University.

PE: You've seen these very same clothes, right? I have one pair of shoes and when they are worn out, I buy another pair of the same. My wife doesn't go shopping with me because it's no fun. I go into a store; I say give me that, that, that ... it's the same thing I've always had.

KJ: You said there were many good architects in the Netherlands. Some of the Superdutch talk about a corporate avantgarde, about combining business with architecture. Michael Speaks made a big deal about the Dutch approach as the next big thing after the formal investigations by you and Greg Lynn.

PE: I think that the Dutch can talk about what they want to talk about. It makes very good commercial sense. You have to read Karl Chu's critique of Rem, Greg, and me in Perspecta 35. All I can say is that I agree with Chu's critique of Rem and me, and I also agree with Aureli's critique of Rem and me. I am very open and I learn from criticism. When Tafuri used to critique me it was terrific! I think we don't have enough great criticism.

KJ: One last question. What do you think will be the next big thing? The next avantgarde? What's the next step?

PE: You know, I am not a futurologist. When I wake up in the morning, I say I have my whole life in front of me. That does not mean that I know what my whole life is going to be. I know things change radically all the time, and if you said Rem Koolhaas will be the future, I would respond by saying that this too will pass. As I get older and perhaps a little wiser, I remember thinking that Michael Graves would never be out of fashion; I remember thinking that Frank Gehry would never be out of fashion. We are now thinking that Rem will never be out of fashion. If you get caught up in those things, you could go crazy. As far as I am concerned, the nice thing is that I have never been in fashion. I am still moving and my career has not been based on fashion. I don't know what the next thing will be, but I know I won't be it.

Transcript by Emma S. Gargus

Peter Eisenman gave this interview on the occasion of the exhibition „Barefoot on White-Hot Walls“ at the MAK, Vienna, 2004/2005.

UmBau, So., 2005.12.18

18. Dezember 2005 Kari Jormakka



verknüpfte Akteure
Eisenman Peter

Nachruf 1

»Die Schule neu denken«: Unter diesem Titel hat der deutsche Pädagoge Hartmut von Hentig 1993 seine Reflexionen über das Bildungssystem im zu Ende gehenden 20. Jahrhundert zusammengefasst. Ein Grundgedanke Hentigs ist die Verwandlung der Schule von einem Ort der Belehrung in einen Ort der Erfahrung, an dem Schüler Selbstbestimmung und Solidarität als gleichermaßen zentrale Werte begreifen lernen. Diese Schule ist nicht Aufbewahrungs- und Gleichrichtungsanstalt, sondern lebendiger, offener Teil des Gemeinwesens. Mit Architektur hat das nicht zwangsläufig etwas zu tun. Auch in einem konventionellen Schulgebäude lassen sich neue Formen des Unterrichts erproben. Aber wer die Schule wirklich neu denken will, wird das auch räumlich ausdrücken wollen. Und so ist jeder Wettbewerb für ein neues Schulhaus heute auch ein Maßstab dafür, wie weit Schulerhalter und Lehrer sich tatsächlich eine andere Schule vorzustellen bereit sind. Der Wettbewerb im Jahr 2004 für das Polytechnikum in Mattsee/Salzburg gab Anlass zur Hoffnung. Einstimmig hatte die Jury das Projekt von Thomas Forsthuber und Christoph Scheithauer zur Ausführung empfohlen, eine raffiniert in die Landschaft gesetzte, aus drei Elementen gebildete Bauskulptur mit hohem Funktionswert: Ein Sockelgebäude mit Werkstätten umschließt U-förmig einen Werkhof. Der Klassentrakt ist quer dazu angeordnet und begleitet den Weg zum See. Über dem Werkstättensockel schwebt auf Stützen ein kleines Jugendzentrum. Bald nach Bekanntgabe des Ergebnisses erregte sich die Volksmeinung. Verdächtig erschien eine Zeichnung der Architekten mit Skateboard fahrenden Jugendlichen, die auf der Dachlandschaft des Projektes ihre Künste vorführen. Mattsee liegt zwar nur 20 Kilometer außerhalb der Stadt Salzburg, aber so viel urbane Jugendkultur sollte sich vom Land wohl besser fern halten. Vor allem stießen sich die Kritiker des Projektes aber daran, dass es nicht nur nicht aussieht wie ein Schulhaus, sondern nicht einmal wie ein Haus. Die zukünftigen jugendlichen Nutzer hätten damit wohl kein Problem: Warum soll man nicht auf einem Schiff in die Schule gehen oder in der Eisenbahn? Für Pädagogen ist die fest gemauerte, nach außen klar abgegrenzte Institution aber offensichtlich unverzichtbarer Bestandteil ihrer Identität. Die Direktorin der Schule, selbst in einem geraniengeschmückten, gaupenbekrönten Haus wohnhaft, die sich in der Jury noch von den Fachpreisrichtern eines Guten hatte belehren lassen, stand bald in vorderster Front der Projektgegner. Bürgermeister und Gemeinderat erklärten sich zur besseren Jury, klagten über höhere Kosten und beschlossen, den drittgereihten Entwurf eines lokalen Architekten – eine kongeniale Fortführung des bestehenden Baus aus den 1950er-Jahren – zur Ausführung zu bringen. Das Land Salzburg, das für einen Großteil der Finanzierung aufkommt, beugte sich der Entscheidung. Für die an Skandalen nicht gerade arme Salzburger Wettbewerbskultur ist das ein schlechtes Zeichen. Die Warnung, die Otto Kapfinger nach den Wirren um das kleine Festspielhaus und das Salzburger Stadion an potenzielle Juroren und Wettbewerbsteilnehmer ausgesprochen hat, gilt weiter: »Meidet Salzburg!«

UmBau, Sa., 2005.06.18

18. Juni 2005 Christian Kühn

Verkehrte Welt

Architekten, Historiker und Soziologen erachten Architektur oft als eine Profession, zu deren Charakteristika es gehört, auch eine Kunst zu sein oder sich für eine solche zu halten, obwohl ihr Grad an Autonomie im Vergleich zu den bildenden Künsten oder zur Literatur recht beschränkt erscheint.(1) Denn obwohl Architekten ein Gebäude ohne Auftraggeber entwerfen können, sind sie nicht in der Lage, ihre Entwürfe allein zu realisieren. Für Giovanni Battista Piranesi lag darin der Grund für den »Vorteil von Skulptur und Malerei gegenüber der Architektur« und Eugène-Emmanuel Viollet-le-Duc schrieb, dass »ein Architekt, der einen Monumentalbau errichtet, nicht in gleicher Weise als Eigentümer seiner Arbeit angesehen wird wie ein Maler in Bezug auf sein Bild; er besitzt es nicht [...] und kann es nicht aus dem Verkehr ziehen als wäre es ein Buch oder eine Statue«(2).

Wenn Architekten sich jedoch in Wettbewerben engagieren, verhalten sie sich dabei nicht wie Vertreter anderer Professionen, sondern eher wie Künstler. Einerseits operieren Architekten, wie ich argumentieren werde, im Rahmen eines Wettbewerbes mit einer gewissen Autonomie. Darüber hinaus gehorcht der Wettbewerb einem eigentümlichen Gesetz, das es nur im Kunstfeld gibt, nämlich jenem der Interesselosigkeit. Schließlich erlangen Werke in Wettbewerben ihre öffentliche Bedeutung auf dieselbe Art wie Kunstwerke. Andererseits werfen Wettbewerbe auch Probleme für Architekten auf. In Wettbewerben arbeiten mehrere Entwerfer für dasselbe Projekt, auf demselben Bauplatz, zur selben Zeit und mit hohem Aufwand an Zeit und Präsentationsmaterial. E. M. Barry, der Sohn von Sir Charles Barry (dem Gewinner des Wettbewerbes für die »Houses of Parliament« in London, 1836), bemerkte, dass »niemand auf die Idee käme, den Generalstaatsanwalt und elf andere führende Juristen einzuladen, einen Fall auszuarbeiten [...] noch würde jemand erwarten, die Meinung und den Rat von zwölf bedeutenden Medizinern einholen zu können, um dann einen auszuwählen [...] Von Architekten wird erwartet zu tun, was keine andere Profession zulassen würde«(3). Und doch tolerieren Architekten Wettbewerbe nicht nur, sie bemühen sich aktiv um die Teilnahme, selbst wenn sie beklagen, dass die Gewinnchancen nicht besser seien als in der Lotterie. Eine Erklärung für dieses ökonomisch irrationale Verhalten kann in der freiwilligen Hingabe der Teilnehmer gegenüber der Architektur als »Feld« gefunden werden oder gegenüber dem, was Pierre Bourdieu ihren »Glauben an das Spiel« oder illusio genannt hat.(4)

Nach Bourdieu besteht die Gesellschaft oder der »soziale Raum« aus vielen Feldern, die er oft mit Spielen vergleicht.(5) Die Spieler (Akteure) haben das Spiel (Feld) zwar nicht erfunden, nehmen aber freiwillig an ihm teil, geben sich dem Spiel hin (Interesse, Investition, illusio, libido) und akzeptieren ein Set von kognitiven und bewertenden Grundannahmen, das der Teilnahme implizit ist und nicht hinterfragt werden kann (doxa). Als Ergebnis dieses nicht hinterfragten heimlichen Einverständnisses (collusio) werden die Einsätze durch den Wettbewerb erzeugt, an dem sie teilnehmen (Produktion und Reproduktion des Feldes). Die Spieler besitzen Jetons, die nur in einem bestimmten Spiel Wert haben (spezifische Kapitalsorten), und Trumpfkarten, die in jedem Spiel Wert haben (Kapital-Grundsorten), aber der Wert dieser Karten kann sich von Spiel zu Spiel ändern. Der Bestand an Karten und Jetons in der Hand eines Spielers bestimmt seinen Platz im Spiel (Position im Feld). Zusammen mit der Erfahrung im Laufe des Spieles und anderer Spiele, an denen der Spieler mitspielt, prägt dieser Bestand den Spieler und stattet ihn mit dem Schema aus, durch das er die Welt wahrnimmt (Habitus oder Disposition, operativ als soziale, verkörperte und kognitive Konstruktion). Die Prägung und dieses Schema leiten sowohl die Strategien und den Stil des Spielers als auch seine tatsächlichen Züge (Positionierungen, Stellungnahmen), ohne ihn jedoch zu determinieren oder zu prädestinieren.

Das Feld der kulturellen Produktion

Das Feld selbst ist dynamisch, da jede Änderung einer Position und ihres Eigentümers – sei es Akteur oder Institution – in Bezug auf ihre Verortung oder Gewichtung innerhalb eines Feldes oder eine Änderung in einer der Positionierungen die Verortung aller anderen und die Ausdehnung und Form der Grenzen des Feldes verschiebt. Jedes Feld gehorcht einer bestimmten Logik und erkennt bestimmte Einsätze als gültig an (welche in keinem anderen Feld gültig sind). Ein Feld ist ein Wettstreit um die Autorität über das Feld selbst und es ist dieser Kampf, dieser Wettbewerb um Beherrschung und Macht – sowohl symbolisch als auch real –, der ein Feld im allgemeinen Sinne zu einem Feld im Sinne Bourdieus macht.

Als Ort des Kampfes um die Kontrolle über die jeweils spezifische kulturelle Kapitalsorte besitzt das Feld der kulturellen Produktion mehr Autonomie als andere Felder, besonders im Verhältnis zum Feld der Ökonomie und zum Feld der Macht, Bourdieus Ersatzbegriff für den allzu verdinglichten Begriff der »herrschenden Klasse«. Begründet in der Doppelnatur seiner spezifischen Güter, zugleich Waren und Symbole, ist dieser »Markt der symbolischen Güter« von einer Logik der Interesselosigkeit charakterisiert, die jene Verwertungslogik umkehrt, die offensichtlich im ökonomischen Feld und damit auch in den meisten »Professionen« vorherrscht.(6) Der Wettbewerb in diesem anti-ökonomischen Feld dreht sich um die Kontrolle jener Bewertungskategorien, die die Legitimität von Werken im Feld bestimmen, die Kriterien für eine Mitgliedschaft etablieren, die Grenzen definieren und die Regeln festlegen, nach denen erworbenes kulturelles Kapital in andere Formen von Kapital (in anderen Feldern) umgewandelt und vom Feld der Macht bewertet werden kann, ohne die Logik der Interesselosigkeit zu verraten.

Ein bedeutendes Element im Feld der kulturellen Produktion ist der »Raum des Möglichen«, oft auch als »Problematik«(7) bezeichnet. Er ist Bourdieus Ersatzbegriff für die vage Idee einer »künstlerischen Tradition«. Bourdieu versteht darunter »kurz gefasst, alles, was man im Hinterkopf haben muss, um im Spiel zu sein«(8). Dieser vom System bereits realisierter Positionierungen gebildete Raum bietet Möglichkeiten an, die sich als »machbar« abzeichnen: Bewegungen, die man »ins Leben rufen [...] Positionierungen, die man hinter sich lassen kann usw.«, aber auch »künstlerische Kühnheiten, Neues oder Revolutionäres«(9). In anderen Worten, der Raum lässt sowohl Freiheit als auch Zwangsläufigkeit zu. Die Tatsache, dass dieser Raum des Möglichen mit einer endlichen, aber universum-großen Anzahl an Möglichkeiten erfüllt ist, ist einer der Gründe dafür, dass künstlerische Positionierungen nicht prädeterminiert sind: Sobald er das literarische oder künstlerische Feld betritt, empfängt jeder Akteur im Austausch dafür, dass er die Verhaltens- und Ausdruckskodizes akzeptiert, also den Habitus des Feldes durch eine lange Lehrzeit erwirbt, Zugang zu demselben Universum an Möglichkeiten, das sowohl die Grammatik zur Definition von allem, das möglicherweise erdacht werden kann, als auch die Fähigkeit, innerhalb der Grenzen dieser Grammatik ohne Ende zu produzieren, zur Verfügung stellt, wobei all das eher internalisiert als bewusst abläuft.

Bourdieus Vorstellung des künstlerischen Wandels, ja sogar der Fähigkeit des Akteurs, einen Wandel wahrzunehmen, kehrt die konventionellen Ideen des romantischen Genius beinahe um, der von Haus aus ein begnadetes Auge für das Unmögliche oder für das, was außerhalb der Konvention liegt, besitzt, das er mit sonst niemandem teilt, und alle vergangenen Arten, die Welt zu sehen, zertrümmert. Stattdessen argumentiert Bourdieu, dass die Möglichkeit der radikalen Innovation bereits in Form von Potenzialitäten innerhalb des Raums schon erreichter Möglichkeiten liege. Je mehr sich der Akteur den Raum des Möglichen innerhalb des Feldes als seine oder ihre Art die Welt zu sehen und zu bewerten angeeignet und in sein Wahrnehmungsschema integriert hat, desto wahrscheinlicher ist es, dass der Akteur jene Lücken in der Struktur wahrnimmt, die das größte mögliche Potenzial für Innovation bieten. Sie werden nicht so sehr als Lücken, die zu füllen, und als Gelegenheiten, die zu ergreifen wären, verstanden, also etwa als rationale, kalkulierte Aktion oder, im Gegenteil, als einzigartige kreative Vision, sondern eher als Anweisungen, die sich nur an den Akteur als solchen richten.

Ebenfalls von größter Bedeutung für das Feld der kulturellen Produktion ist die illusio. Die Felder von Kunst und Literatur existieren aufgrund der illusio, die eine autonome Ästhetik und das Konzept eines zweckfreien Kunstwerks postuliert. Für Bourdieu produziert diese illusio die charismatische Ideologie des Schöpferischen, die einem einzelnen Schöpfer die quasi-magische Macht verleiht, Objekte und Handlungen in symbolische Güter zu verwandeln. Indem sie so die Aufmerksamkeit auf den augenscheinlichen Schöpfer lenkt, verhindert die illusio die verbotene Frage: Wer erschafft die Schöpfer?(10) Die illusio blockiert damit jedes Verständnis der Akteure im Feld dafür, dass es das Feld ist – das Gesamtkomplement aus Verlegern, Kuratoren, Kritikern, Händlern, Vorwortschreibern und Künstlern –, das den Schöpfer und seine Macht zur Verwandlung materieller Objekte in Kunst hervorbringt.

1401 und die Folgen

In Übereinstimmung mit den meisten Kunsthistorikern sieht Bourdieu im Florenz der Frührenaissance den Beginn der Verselbstständigung der künstlerischen Produktion im Westen.(11) Damals begannen die Mitglieder der Handwerksgilden eine Kategorie zu bilden, die von den Auftraggebern und ihren Mitgliedern als sozial eigenständig angesehen wurde, eine soziale Veränderung, die Hand in Hand ging mit der »Affirmation einer im eigentlichen Sinn künstlerischen Legitimität, insbesondere dem Recht der Künstler, sich innerhalb ihrer eigenen Sphäre Gesetze – in Bezug auf Form und Stil – zu geben, ohne sich religiösen oder politischen Interessen unterordnen zu müssen«(12). Dennoch dauerte es mehrere Jahrhunderte bis sich dieses Feld schließlich im Kontext radikal geänderter sozialer und politischer Bedingungen konstituiert hatte.(13) In Frankreich, das Bourdieu als Beispiel wählt, erreichte dieser Prozess seinen Höhepunkt nicht vor der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts.

Ebenfalls im Trecento begannen die Individuen, die als Architekten bezeichnet wurden, von derselben Affirmation der künstlerischen Legitimität zu profitieren, die Bourdieu für die Maler festgestellt hatte, wobei Architekturwettbewerbe eine große Rolle spielten.(14) Um diese Zeit verwandelten sich die italienischen Wettbewerbe des Mittelalters – die tatsächlich nichts anderes als Preiskämpfe zwischen Bietern waren, bei denen es nur um die Kosten ging – in einen Wettstreit um künstlerische Überlegenheit nach dem Vorbild des literarischen agons der Antike, wobei, wie Bourdieu argumentiert, diese Künstler in Haltungen und Praktiken eingeführt wurden, die ihre Emanzipation von den Handwerksgilden sichern sollten. Die unabhängigen zentralitalienischen Städte begannen Wettbewerbe für Bauten durchzuführen, die ihre Überlegenheit über rivalisierende Städte bekräftigen sollten. Die Selbsterhöhung und die Darstellung von Reichtum, die davor durch kirchliche Beschränkungen auf städtischer Ebene verboten gewesen waren, waren nun mit einer leichten Verschiebung legitimiert: Die Kaufleute, die als Auftraggeber dieser Bauten auftraten, waren auch die Preisrichter in den Wettbewerben, in denen sich städtische Überlegenheit Geltung verschaffen sollte. Im Augenblick dieser sozialen Transformation, als neue Verfahren für die Beurteilung zukünftiger Projekte eingeführt wurden, begann man Gebäude auf der Grundlage von Zeichnungen auszuwählen, und die Entwerfer hatten ihre Praktiken anzupassen, um neue Arten der Darstellung zukünftiger Werke zu entwickeln, die ihnen Distinktion (im Bourdieu’schen Sinne) durch unverwechselbare Darstellungsstile erlauben sollte.

Wenig später, im Florenz des Jahres 1401, beschwor der humanistische Gelehrte, der ausgewählt wurde, um im Wettbewerb für die Bronzereliefs an den Türen des Baptisteriums des Florentiner Doms die Beiträge zu bewerten, explizit den antiken agon. Von da an erlaubte es in Florenz – wie Kosegarten schreibt – »eine intellektuelle, zutiefst mit einer humanistischen Ernsthaftigkeit und Aspiration durchsetzte Idee [...] dem Künstler, [...] Ruhm als selbstständiges Individuum in seiner eigenen Würde anzustreben und zu erreichen«(15). Weil die beiden führenden Wettbewerber radikal gegensätzliche Lösungen sowohl in Bezug auf den Bildraum als auch die Erzählung lieferten, die sich ihrerseits radikal von den mittelalterlichen Lösungen unterschieden, bekam der Wettbewerb eine außergewöhnliche Bedeutung für die Zeitgenossen, und die Einreichungen von Lorenzo Ghiberti und Filippo Brunelleschi wurden nicht nur öffentlich als Kunstwerke ausgestellt, sondern auch aufbewahrt, was bis dahin gänzlich unbekannt gewesen war.

Dieser erste moderne Wettbewerb führte viele Elemente ein, die für das Verfahren konstitutiv wurden: die Übertragung des Auswahlrechts von den Auftraggebern an von außen kommende Berater aufgrund ästhetischer Fachkenntnis und dem damit verbundenen Urteilsvermögen in Fragen künstlerischer Kompetenz; der direkte Vergleich gleichartiger Darstellungen, in diesem Fall Modelle; die Verwendung dieser Modelle, um nicht nur das zukünftige Werk, sondern auch die künstlerischen Fähigkeiten des Verfassers zu beurteilen. Wie Barry Bergdoll treffend argumentiert, basierte diese neue Art von Wettbewerb auf der Idee, dass »maßstäbliche Modelle oder graphische Darstellungen diskutiert, überarbeitet, verglichen und schließlich mit einer beliebigen Anzahl anderer Vorschläge in Konkurrenz gebracht werden können [...] abstrakt und unabhängig vom Bauprozess«(16). Diese Annahme ist ihrerseits in der Vorstellung der Renaissance vom Entwurf, dem disegno, als jener geistigen Leistung begründet, die allen Künsten gemeinsam ist und dem Handwerk fehlt.(17) Architekturhistoriker stimmen darin überein, dass Argumente auf der Basis des disegno und dem Modell des römischen Architekten, wie es aus wieder entdeckten antiken Texten abgeleitet werden konnte, eine Rechtfertigung dafür boten, Architektur vom Handwerk der Baumeister, dem sie am meisten ähnlich war, zu differenzieren. Aber auch die Rolle des Wettbewerbsverfahrens beim Herstellen einer Dialektik der Distinktion zwischen Gemeinden und Auftraggebern und das Modell, dass sich für Künstler und Architekten, wie von Kosegarten beschrieben, ergab, dürfen nicht vernachlässigt werden.

Wettbewerbe trugen ein weiteres Mal zur Autonomisierung bei, als sie während der Französischen Revolution zum Ersatz für die Schirmherrschaft der aufgelösten königlichen Akademien und als Manifestation der Philosophie von Demokratie, Naturrecht und Genie wurden, die bei der Auflösung der Akademien geholfen hatten, wie Barry Bergdoll nachweist. Das große Jahrhundert der Wettbewerbe war jedoch das neunzehnte, vor allem im viktorianischen England. Wie Bergdoll für Großbritannien, Frankreich, Deutschland und Österreich und Sarah Landau für die USA zeigen, diente ihre Anwendung und ihre Reform als Plattform für das Entstehen und die Durchsetzung einer selbst ernannten Profession.(18)

In Frankreich, einem Land, das von einem akademischen kompetitiven System beherrscht wurde, das den Zugang zu nationalen Karrieren im öffentlichen Sektor und damit zu Aufträgen für alle nationalen öffentlichen Gebäue kontrollierte, sprach sich die Fachpresse als legitimer alternativer professioneller Raum für die Durchführung und die Reform von Architekturwettbewerben aus. Die angestrebten Reformen umfassten einen neutralen Schiedsrichter, üblicherweise einen professionellen Architekten, bindende Fristen und anonyme Einreichungen. Auch der Stil der architektonischen Darstellungen selbst änderte sich; perspektivische Darstellungen, deren illusionistische Effekte insbesondere Laien ansprachen, die nicht fähig waren, konventionelle Architekturzeichnungen zu entschlüsseln, wurden zugunsten standardisierter Pläne, nämlich Ansichten und Schnitte, ausgeschlossen. Die Reformer institutionalisierten schließlich vom Anfang bis zum Ende professionelle Kontrolle über den Wettbewerb und etablierten dabei Verfahren, die sicherstellen sollten, dass die Projekte gerecht verglichen und aufgrund architekturspezifischer Qualitäten beurteilt werden konnten, Qualitäten, die am besten von Fachleuten zu erkennen wären.

Die Geschichte des Wettbewerbes ist gleichzeitig auch eine Geschichte bestimmter mit ihm verbundener Überzeugungen. Seit Giorgio Vasaris »Lebensbeschreibungen der berühmtesten Maler, Bildhauer und Architekten« aus dem Jahr 1550, wird Wettbewerben eine quasi-mythische Verbindung mit Gelegenheiten für Fortschritt und Innovation im Entwurf nachgesagt. Er gilt als Geburtsort neuer Fahnenträger und als Katalysator neuer Modelle, die es ohne sie nicht gegeben hätte. Ihr Mythos, unvermutetes Talent ans Licht bringen zu können, geht auf jenen bereits erwähnten Wettbewerb für die Türen des Florentiner Baptisteriums zurück, mit dem sowohl Ghiberti als auch Brunelleschi erst ihre Bekanntheit erwarben.

Obwohl nur äußerst selten junge und nicht etablierte Architekten einen größeren Wettbewerb gewinnen, ereignen sich derartige Überraschungen oft genug, um jede (soziale) Generation mit einem Beispiel auszustatten, das ihr als »Beweis« für den Wettbewerb als »verkehrte Welt« dienen kann, in der die Jungen, Unerfahrenen oder Unbeachteten triumphieren. Zu den mythenbildenden Beispielen zählen der Wettbewerb für die Oper in Paris von Charles Garnier, der Wettbewerb für den Gateway Arch in St. Louis von Eero Saarinen und der für das Vietnam Veterans Memorial in Washington D. C. von Maya Lin, zum Zeitpunkt des Wettbewerbes noch Studentin in Yale.

Dieser Glaube, der den Wettbewerb sowohl mit Gelegenheit als auch mit Innovation verbindet, hat seinen Ursprung im Jahr 1401 und behält – von Vasari 1550 aufgezeichnet – seine Kraft bis ins 20. Jahrhundert und findet Unterstützung sowohl unter den Architekten, die mehr an der geschäftlichen Seite der Architektur interessiert waren, als auch unter Akademikern, die in erster Linie für Entwerfer gehalten werden oder sich dafür halten, aber auch quer über stilistische Gräben. In diesem Sinn proklamiert ein traditionalistischer Architekt, Harry Stuart Goodhart-Rendel, Präsident des Royal Institute of British Architects, 1938, dass »heute, so wie die Dinge liegen, der Wettbewerb die einzige Türe ist, die immer offen gehalten werden kann für den unbekannten Mann, der etwas zu geben hat, das die Welt der Architektur braucht«(19). Im selben Jahr vertrat Talbot Hamlin, ein dem Modernismus zugeneigter Architekt und Historiker, in den USA die gleiche Idee, als er feststellte, dass »Wettbewerbe unvermeidlich zum Experiment im Entwurf führen«(20). Der am meisten verehrte modernistische Architekt Amerikas, Louis I. Kahn, verherrlichte den Wettbewerb ganz ähnlich: Er sei ein »Opfer an die Architektur«(21).

Eine zweite, wenn auch etwas zwiespältige Überzeugung ist die Idee, dass der Verlierer in Wirklichkeit oft gewinnt, wenn der Entwurf stilistische Änderungen vorwegnimmt und damit zu innovativ für den ersten Platz, aber zu gut ist, um ignoriert zu werden und daher als einer der weiteren Preisträger nominiert wird. Von dort aus gewinnt er das Lob von Zeitgenossen und Historikern und wird schließlich in den Augen der Geschichte der »wahre Sieger«. Auch diese Überzeugung hat ihren Ursprung im Wettbewerb für die Türen des Florentiner Baptisteriums, wo der weit radikalere Entwurf von Brunelleschi zwar von den Juroren verworfen, später aber als Ursprung von Skulptur und Bildraum der Renaissance angesehen wurde. Eine andere berühmte Ablehnung ist jene von Eliel Saarinens Entwurf für den Chicago Tribune Tower im Jahr 1923, von den Juroren zweitgereiht, aber von Louis Sullivan, dem betagten Architekten von Chicagos berühmtesten frühen Hochhäusern, öffentlich als »Perle« bejubelt, die die Jury weggeworfen hätte.

Diesen beiden Überzeugungen stehen zwei Aspekte aus der dunklen Seite der Wettbewerbsgeschichte ausgleichend gegenüber: die drückenden Kosten, die in keinem Verhältnis zu den Erfolgschancen stehen, und die nur zu berechtigte Verbindung mit Unregelmäßigkeiten im Verfahren. Vielleicht hat das nie jemand mit mehr Bitterkeit formuliert als der erfahrene Wettbewerbsjuror William Robert Ware, der 1899 Wettbewerbe folgendermaßen beschrieb: »[...] wenn sie umfangreich sind [...] kosten sie die Profession Hunderte von Dollar, die großteils von Leuten aufgebracht werden müssen, die sich den Verlust schlecht leisten können [...] fünfzig oder hundert Plansätze werden zur Beurteilung eingereicht [...] aber alle bis auf einen werden vergeblich gearbeitet haben [...] So entwickelt sich die Profession und müht sich ab [...] unter der Last der Opfer [...] Kein Wunder, dass sich das System den Ruf erworben hat, eine Art von Alptraum zu sein, ein Inkubus oder Vampir [...] Nur der Gewinner ist zufrieden mit der Art, wie das System funktioniert und sogar er hat wenig Lust, es nochmals zu riskieren.«(22)

Ware stellt schließlich fest, dass es am Ende unter Architekten nur zwei Meinungen über Wettbewerbe gäbe, dass sie nämlich entweder nötige oder unnötige Übel seien. Diese Bemerkung spielt auf eine vierte vorherrschende Meinung an, die sich auf die ungerechte Behandlung der Teilnehmer und sogar der designierten Gewinner durch die Jury oder die Auftraggeber – oder durch beide – bezieht. Historiker haben in Bezug auf Wettbewerbe des 19. Jahrhunderts, insbesondere in Großbritannien, umfassend dokumentiert, wie häufig diese Annahme durch die Ereignisse bestätigt wurde.

Ware bietet uns Gelegenheit, zu unserer einleitenden These einer Verbindung zwischen dem Prozess der künstlerischen Autonomisierung und dem Wettbewerb von 1401 zurückzukehren. Selbst dieser fast grenzenlose Kritiker von Wettbewerben sah sie als die Verewigung jenes Moments an, in dem Architekten aufgehört hätten»Steinmetze« zu sein und »Bildhauer« geworden wären und sich die Architektur zur Kunst entwickelt hätte. Weil ihre Arbeit Kunst sei und daher nach Qualitäts- und nicht nach Kostenkriterien bewertet werden sollte, bekräftigte er, dass Architekten schon immer und auch heute »aufgefordert sind, zu zeigen, wer die beste Arbeit vollbringen kann, bevor sie beginnen dürfen«. Kurz, für Ware bestätigt der Wettbewerb aufs Neue die historische Verbindung zwischen Architekten und den gerade emanzipierten Renaissancekünstlern und diese Verbindung rechtfertigt die notwendiger- oder unnötigerweise üblen Wettbewerbe.

Der Wettbewerb und die Arbeitsweise des Feldes

Wettbewerbe verwandeln Architektur nicht in ihrer Gesamtheit in ein Feld kultureller Produktion, aber sie beweisen die Kapazität der Architektur, einen ausreichend hohen Grad an Autonomie zu besitzen, um zu diesen Anlässen in einer sehr ähnlichen Art zu funktionieren wie ein Feld kultureller Produktion.

Wie ein Feld kultureller Produktion umfasst auch ein Wettbewerb eine strukturierte Konfiguration objektiver Beziehungen zwischen Positionen und Positionierungen. Die objektiven Positionen sind die grundlegenden Rollen von Auftraggeber, Teilnehmer, Juror, Konsulent usw. Die Positionierungen bestehen aus dem Wettbewerbsprogramm, den Entwürfen, dem Jurybericht und dem Inhalt der folgenden Kritiken. Gleichzeitig mit dem Spiel der Kräfte zwischen Positionierungen findet ein Spiel der Kräfte zwischen Positionen, wie etwa den tatsächlichen Juroren (der Jury) oder den kulturellen Juroren (Kritiker, Historiker), über die Autorität, den »wahren« Gewinner zu bestimmen, statt, und manchmal gewinnen die letzteren, wie das Beispiel von Vasari und der Kunstgeschichte seit ihm beweist. Der Kampf um die Autorität, den Wettbewerb als ein Feld zu reproduzieren, wird in den Beziehungen zwischen Wettbewerben und den Reformen, zu denen diese geführt haben, ausgetragen, in jenen Kämpfen um Zulassungsbestimmungen und Sanktionen für Regelbrüche. Bergdoll beschreibt, wie in ihrer Frühphase die Berufsvertretung der britischen Architekten, deren Mitglieder selbst den prestigeträchtigen Wettbewerb für die Houses of Parliament verachteten, weil er den Beigeschmack eines Marktes trug und so jene Autonomie störte, die Architektur ihrer Ansicht nach genießen sollte, genötigt wurde, sich der Sache der Regulierung von Wettbewerben anzunehmen, eine Regulierung, die die Organisation dazu drängte, eher das professionelle als das autonome künstlerische Modell für den Architekten zu vertreten.(23)

Wenn Architekten miteinander wie Akteure im Feld kultureller Produktion im Wettbewerb stehen, genießen sie eine relativ hohe Autonomie von den Feldern der Ökonomie und der Macht. Jeder Wettbewerb, der von einer Jury beurteilt wird, die vom Auftraggeber (relativ) unabhängig ist, erzeugt einen Moment, in dem Architekten für eine Zeit lang so unabhängig von äußerer Bestimmung agieren, wie es Architektur überhaupt zulassen kann. Anonymität, die Regulierung der Anzahl und der Art der Zeichnungen und die Präsenz von Schiedsrichtern sind ebenfalls strukturelle Elemente, die den Wettbewerb von den normalen Bedingungen der Konkurrenz auf dem freien Markt unterscheiden, weil diese Regeln, die interessegeleitetes Verhalten beschränken – nach einem langen Kampf – von den Architekten, also genau jenen Akteuren, deren Interessen sie regulieren, auferlegt wurden.

Die temporäre Herstellung eines Kollektivs von Spielern, die den Sieger bestimmen und entscheiden, worin das Siegen überhaupt besteht, erzeugt einen Kampf, in dem die kulturelle Autorität auf dem Spiel steht. Im Rahmen jedes einzelnen Wettbewerbes ist der Kampf um die Auswahl eines Siegerprojektes zugleich ein Kampf um die Suche nach einer Qualität, die so außergewöhnlich ist, dass sie nicht nur die Entscheidung rechtfertigt, sondern die Notwendigkeit des jeweiligen Wettbewerbes an sich und auch jene von Wettbewerben im Allgemeinen. Wie in Bourdieus Spiel »spielt jeder hier per definitionem auf Sieg, um im Spiel zu sein«(24), und »jeder« meint hier nicht nur die Einreicher, sondern auch alle anderen Beteiligten. Selbst jene Architekten, die keinen Preis gewinnen, erhöhen ihr kulturelles Kapital, weil die kulturelle Autorität der Architektur im Allgemeinen bestätigt wird, wenn das Siegerprojekt als einzigartig und außergewöhnlich und damit als Kunst gefeiert wird.

Die Umkehrung der ökonomischen Welt

Indem er die ökonomische Verpflichtung eines erfolgreichen Geschäfts umkehrt, gleicht der Architekturwettbewerb dem traditionellen Karneval, der Hierarchien auf den Kopf stellt und damit den Jungen, Schwachen und Unterjochten die Möglichkeit bietet, die Alten und Mächtigen zu verhöhnen, zu demütigen und sogar zu strafen.(25) Aber der Wettbewerb ist zugleich eine Art, neuen Mitgliedern der Architekturwelt die Grundannahme (doxa) einzuimpfen, dass der Wettbewerb den Architekten als Künstler bestätigt und ihn von den Steinmetzen unterscheidet. Diese illusio betont den Glauben daran, dass der Wettbewerb jede Investition wert ist und dass er dem Unbekannten immer die Möglichkeit gibt, symbolische Profite als individueller Schöpfer, dessen Genius durch die Auswahl im Rahmen eines Wettkampfes umso dramatischer bestätigt wird, zu machen.

Auch die kollektive Anstrengung einer stillen Übereinkunft, die als Gegenstück zu jeder illusio gehört, manifestiert sich im Wettbewerb. Der Wettbewerb macht aus der Auswahl eines Entwerfers, die üblicherweise unter Ausschluss der Öffentlichkeit vor sich geht, eine öffentliche Veranstaltung; und es ist die Struktur dieses Prozesses selbst, mit ihren vielfältigen Handelnden und Experten, die zeigt, dass es das Feld ist, das im wörtlichen Sinn den Schöpfer erschafft, obwohl die illusio es nachdrücklich verleugnet. Wir brauchen nur ein Juryprotokoll anzusehen, um eine klare Demonstration der kollektiven Anstrengung zu finden, die Kollektivität dieser Anstrengung zu verleugnen. Selbst wenn ein Dissens zugegeben wird, wird er nicht als Indiz für die wechselseitigen Kompromisse einer Juryentscheidung, sondern für die Stärke des Siegerprojektes – und damit dessen Schöpfers –, angesehen, Einwendungen und Zweifel zu überwinden.

So verhielt es sich etwa mit Daniel Libeskinds Wettbewerbsbeitrag für das Jüdische Museum in Berlin.(26) Die Juroren beschrieben, wie die brillante Übersetzung der unterbrochenen und irreparablen Geschichte der Berliner Juden in eine architektonische Komposition aus gezackten Elementen und unzugänglichen Hohlräumen institutionelle Befürchtungen vernachlässigbar erscheinen ließ. Dabei legten sie – unabsichtlich – nicht nur offen, wie jede ihrer Positionen zur Konsekration des Siegers beigetragen hatte, sondern auch, wie sich diese Positionen durch die neuen objektiven Beziehungen, die bei dieser Konsekration aufgebaut worden waren, verschoben hatten.

Zum Beispiel zeigte sich der Direktor des Museums (der zugleich einer der Autoren des Wettbewerbsprogramms war) zuversichtlich, dass die Gedenkräume des Museums es weniger zu einem Monument denn zu einem Museum machen würden; dass es keine Gefahr gäbe, dass das Gebäude zu einem eigenständigen Kunstwerk geraten könnte, das die Bedürfnisse des Museums ignorieren und den Inhalt der Verpackung unterordnen würde; und dass die Zusammenarbeit zwischen Architekt und Museumsleuten dafür garantieren würde.(27) Es herrscht heute Übereinstimmung, dass das Ergebnis, das er so zuversichtlich ausschloss, genau am Ende herauskam, wenn auch lange nachdem dieser Direktor (und einige andere) sich in einer langen Reihe von Überarbeitungen des Museumsprogramms verabschiedet hatte. In den fast zehn Jahren zwischen Wettbewerb und Errichtung gab es ernsthafte Vorschläge, das Gebäude als leere Hülle stehen zu lassen, um als Deutschlands nationales Holocaust-Mahnmal zu dienen. Und nun, da es mit einer Sammlung ausgestattet wurde, die an seine sehr speziellen, unzusammenhängenden Ausstellungsräume angepasst werden musste, sind Museumsexperten in Deutschland und international nach wie vor der Meinung, dass die Bedürfnisse der Sammlung und der Besucher den architektonischen Anliegen Libeskinds untergeordnet wurden.(28)

Ein Wettbewerber wählt eine Strategie aufgrund früherer Erfahrungen, und so auch den habitus, unterstützt vom kulturellen Kapital, aus. Statt die Jury auf einer pragmatischen Ebene anzusprechen, entschloss sich Libeskind, eine schamlos regelverbiegende Lösung einzureichen. Der Vorsitzende der Jury war Josef Paul Kleihues, der für die »kritische Rekonstruktion« traditioneller Berliner Typologien und des Straßenraums eintrat und das Gebiet, das an das Wettbewerbsareal angrenzte, entsprechend gestaltet hatte. Statt diesen Vorgaben zu folgen, entwarf Daniel Libeskind einen Plan in Form eines gezackten Blitzes, der offensichtlich sowohl die benachbarten Bauten als auch die Straße ignorierte, verkleidete das Volumen in Metall, führte die Wände und sogar die Liftschächte ohne rechte Winkel aus und machte schließlich eine normale Benutzung unmöglich, indem er das Innere mit vom Keller bis zum Dach reichenden Leerräumen durchschnitt.(29) Aber ein Raum des Möglichen wie jener, der sich aus der kollektiven Erfahrung früherer Wettbewerbe gebildet hat, fordert – wenn der Auftrag darin besteht – dazu auf zu tun, was bisher noch nie getan wurde, selbst in Missachtung der vermeintlichen Ansichten der Juroren.

Schluss

Ein Wettbewerb ist ein Raum, der es den Architekten erlaubt, so selbstständige Schöpfer zu sein, wie es nur möglich ist, und in dem der Feldeffekt jener eines Feldes der kulturellen Produktion ist. Die charismatische Ideologie des Architekten als die eines einsamen Schöpfers ist keine Wahnvorstellung, sondern sie ist eine historisch erzeugte illusio des Kunstfeldes, die in stillem Einverständnis von allen Beteiligten unterstützt wird. Der Sieger eines Architekturwettbewerbes ist daher nur ein Mitgestalter eines Werks, an dem die Jury, die Wettbewerbsausschreibung, die Kritiker und Historiker, die darüber schreiben, beteiligt sind, ebenso wie die Ausstellung und die Geschichte des Wettbewerbes selbst, der als ein Raum des Möglichen funktioniert. Der deutlichste Beweis für das stille Einverständnis, das das Spiel möglich macht, ist die Tatsache, dass es überhaupt Wettbewerbe gibt. Ohne den kollektiven Willen zu konkurrieren, insbesondere in Ökonomien, deren Bauwesen auf Wettbewerben basiert (wie etwa, mit unterschiedlichsten Zielen und Anliegen, ein guter Teil des viktorianischen England), könnte es keine Wettbewerbe geben.

Der Architekturwettbewerb zeigt jedoch nicht nur, dass Architekten im Wettbewerb einen beachtlichen Grad an Autonomie genießen, sondern deutet auch an, wie groß die Kosten dieser Autonomie sind. Ob das auch für andere Praktiken und Institutionen in der Architektur gilt, und ob etwas Ähnliches in anderen »künstlerischen Berufen« vorkommt, bleibt zu bestimmen. Es ist die Idee des Feldes, die zur Durchführung dieser Bestimmung anzuwenden ist, in Erinnerung an Bourdieus Worte, dass dieses Schema »eine Weise der Konstruktion fördert, die jedes Mal neu gedacht werden muss [...] und die uns zwingt Fragen zu stellen [...] über die Grenzen des Universums, das wir gerade untersuchen«(30).

UmBau, Sa., 2005.06.18

1 vid. Magali S. Larson, »Emblem and Exception: The Historical Definition of the Architect’s Professional Role«, in: Judith R. Blau et al. (Eds.), Professionals and Urban Form (Albany/NY: State University of New York Press, 1983), pp. 49–86; Kim Dovey, »The Silent Complicity of Architecture«, in: Jean Hillier et al. (Eds.), Habitus, A Sense of Place (Aldershot: Ashgate, 2002), pp. 267–280; Hélène Lipstadt, »Theorizing the Competition: The Sociology of Pierre Bourdieu as a Challenge to Architectural History«, in: Thresholds, vol. 21 (Cambridge/MA, 2000), pp. 23–36.
2 Hélène Lipstadt, »Architectural Publications, Competitions and Exhibitions«, in: Eve Blau et al. (Eds.), Architecture and its Image: Four Centuries of Architectural Representation (Montréal: Canadian Center for Architecture, 1989), pp. 130, 109; cf. Mariana Griswold Van Rensselaer, »Client and Architect« [1890], in: Lewis Mumford (Ed.), Roots of Contemporary American Architecture (New York: Reinhold, 1952), pp. 260–268; H. W. Janson, History of Art (New York: Harry N. Abrams, Inc., 1995); cf. Hélène Lipstadt, Harvey Mendelsohn (Eds.), Architecte et ingénieur dans la presse: Polémique, débat, conflit (Paris: IERAU-CORDA, 1980); cf. Magali S. Larson (1983).
3 Barry Bergdoll, »Competing in the Academy and the Marketplace: European Architecture Competitions, 1401–1927«, in: Hélène Lipstadt (Ed.), The Experimental Tradition: Essays on Competitions in Architecture (New York: Princeton Architectural Press, 1989), p. 43.
4 vid. Pierre Bourdieu, Die Regeln der Kunst, Genese und Struktur des literarischen Feldes, Übersetzung Bernd Schwibs und Achim Russer (Frankfurt/M: Suhrkamp, 1999), pp. 278, 360–365, 515–519.
5 vid. dazu ibid., pp. 360–365; vor allem Pierre Bourdieu und Loïc J. D. Wacquant, Reflexive Anthropologie, Übersetzung Hella Beister (Frankfurt/M: Suhrkamp, 1996), pp. 127–129.
6 vid. Kapitel »The Market of Symbolic Goods«, in: Pierre Bourdieu, The Field of Cultural Production, Einleitung von Randal Johnson (Ed.) (New York: Columbia University Press, 1993), pp. 112–141. 7 Pierre Bourdieu, Die Regeln der Kunst, Genese und Struktur des literarischen Feldes (1999), p. 368.
8 Pierre Bourdieu, The Field of Cultural Production (1993), p. 176.
9 Pierre Bourdieu, Die Regeln der Kunst, Genese und Struktur des literarischen Feldes (1999), pp. 371–372.
10 ibid., pp. 270–271.
11 Pierre Bourdieu, The Field of Cultural Production (1993), pp. 112–113.
12 ibid., p. 113.
13 vid. Pierre Bourdieu, Loïc J. D. Wacquant, Reflexive Anthropologie (1996), pp. 123–124.
14 cf. Hélène Lipstadt, »Architectural Publications, Competitions and Exhibitions«, in: Eve Blau (1989); A. M. Kosegarten, »The Origins of Artistic Competitions in Italy«, in: Istituto nazionale di studi sul rinascimento (Ed.), Lorenzo Ghiberti nel suo tempo, atti del convegno internazionale di studi, Firenze, 18–21 ottobre 1978, 2 vol. (Florenz: Leo S. Olschki, 1980), pp. 167–186.
15 Hélène Lipstadt, »Architectural Publications, Competitions and Exhibi-tions«, in: Eve Blau (1989), p. 121.
16 Barry Bergdoll, »Competing in the Academy and the Marketplace: European Architecture Competitions, 1401–1927«, in: Hélène Lipstadt (1989), p. 23.
17 Catherine Wilkinson, »The New Professionalism in the Renaissance«, in: Spiro Kostof (Ed.), The Architect (New York: Oxford University Press, 1977), pp. 124–160.
18 cf. Barry Bergdoll, »Competing in the Academy and the Marketplace: European Architecture Competitions, 1401–1927«, in: Hélène Lipstadt (1989); Sarah Bradford Landau, »Coming to Terms: Architecture Competitions in America and the Emerging Profession, 1789–1922«, in: Hélène Lipstadt (1989), pp. 53–78.
19 Barry Bergdoll, »Competing in the Academy and the Marketplace: European Architecture Competitions, 1401–1927«, in: Hélène Lipstadt (1989), p. 45.
20 Hélène Lipstadt, »In the Shadow of the Tribune Tower«, in: Hélène Lipstadt (1989), p. 79. 21 Hélène Lipstadt, »The Experimental Tradition«, in: Hélène Lipstadt (1989), p. 10.
22 ibid., p. 15.
23 Barry Bergdoll, »Competing in the Academy and the Marketplace: European Architecture Competitions, 1401–1927«, in: Hélène Lipstadt (1989), pp. 40–44.
24 Gespräch mit Cynthia Patton (2002).
25 vid. Hélène Lipstadt, »The Experimental Tradition«, in: Hélène Lipstadt (1989).
26 vid. Volker Heise, Susanne Holstein, Realisierungswettbewerb: Erweiterung Berlin Museum mit Abteilung Jüdisches Museum, Voraussetzungen, Verfahren, Ergebnisse (Berlin: Senatsverwaltung für Bau- und Wohnungswesen, 1990).
27 ibid., p. 55.
28 Susannah Reid, »The Jewish Museum Berlin – A Review« (Virtual Library Museen, 2001), in: www.vl-museen.de/aus-rez/reid01-1.htm (19.01.2005).
29 Andreas Huyssen, »The voids of Berlin«, in: Critical Inquiry, vol. 24, Autumn (Chicago, 1997), pp. 57–81.
30 vid. Pierre Bourdieu, Loïc J. D. Wacquant, Invitation to Reflexive Sociology (Chicago: University of Chicago Press, 1992), p. 110; cf. Pierre Bourdieu, Loïc J. D. Wacquant, Reflexive Anthropologie (1996), p. 142.

18. Juni 2005 Hélène Lipstadt

31. 1969

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