Editorial
Eine Brücke für Fussgänger und Radfahrer ist mehr als eine Überquerung und mehr als ein statisches System. Sie ist ein Möbel in der Stadt oder eine Skulptur in der Landschaft, die vom menschlichen Massstab bestimmt wird. Merkmale wie Spannweite, Höhe und Länge treten in den Hintergrund. Die Struktur ist ein Objekt des täglichen Gebrauchs, der Benutzer geht oder fährt darüber, kann es anfassen und will es verstehen.
Architektur und Tragwerk stehen dabei in einer engen Beziehung. In der Planung eröffnen Fussgängerbrücken im Gegensatz zu Strassenbrücken grössere gestalterische und konstruktive Freiheiten. Das schmale Brückendeck kann im Grundriss frei geformt werden, und Steigungen sind, unter Berücksichtigung der Rollstuhlbefahrbarkeit, wählbar. Das Tragwerk kann filigran und schlank ausgebildet werden, da mögliche Verformungen eine geringere Rolle spielen. Im Laufe der Zeit entwickelte sich aus wenigen statischen Grundsystemen eine Vielzahl von Varianten.
Die Werkstoffeigenschaften von Stahl eröffnen, neben der Qualitätssicherheit standardisierter Serienprodukte, zahlreiche Möglichkeiten, der Konstruktion ein unverwechselbares Gesicht zu geben. Bei geringem Materialverbrauch erfüllt eine Stahlkonstruktion alle Anforderungen, die an Fussgängerbrücken gestellt werden, und schont somit Ressourcen und Budget. Der hohe Vorfertigungsgrad im Stahlbau sichert kurze Montagezeiten auf der Baustelle. Im langjährigen Unterhalt ist der Wartungsaufwand überschaubar, und am Ende der Lebensdauer ist eine vollständige Wiederverwertung gesichert. Dabei sind Brückenkonstruktionen aus Stahl äusserst flexibel und lassen sich bei Bedarf verändern. Die unten abgebildete Schellenbergbrücke in Balingen steht beispielhaft für die Nachhaltigkeit von Stahlbrücken. Im Jahr 1911 als Strassenbrücke über eine Bahntrasse errichtet, ist sie heute zu schmal für ihren ursprünglichen Einsatzzweck. So wurde die Fachwerkbogenkonstruktion demontiert und Anfang 2003 als Fussgängerbrücke über das Flüsschen Eyach wieder aufgebaut.
Die folgende Auswahl an Fussgänger- und Radwegbrücken präsentiert einen Teil des breiten Spektrums und verdeutlicht die Vielfalt der Konstruktions- und Gestaltungsmöglichkeiten mit dem Werkstoff Stahl.
Evelyn C. Frisch