Editorial
Grossarchitektur und Schwimmflügeli
Zentrum Paul Klee, Allianz-Arena München, Forum3 Novartis Campus Basel, Renzo Piano, Herzog&deMeuron, Diener&Diener. Ein Trio herausragender Architektur in oder aus der Schweiz. Dieses Heft stellt sie vor. Eine Packung Prominenz, so dicht wie noch nie in der Geschichte von Hochparterre. Gut zu wissen, dass es auch einen unspektakulären Alltag gibt, den etwa das Design der Schwimmflügeli beschäftigt. Auch dieser Beitrag auf Seite 26 ist eine Premiere. Er bringt das Genre Familienjournalismus ins Heft – mit Mutter Renate Menzi als Autorin, Vater Ueli Binder als Fotograf und Antonin Menzi als Sohn und Fotomodell.
Auf Seite 38 ist eine Recherche zum Kongresshaus in Zürich zu lesen. Werner Huber und Rahel Marti stiegen in die Archive, schauten Pläne und den Ort an und urteilen: Der Bau von Haefeli Moser Steiger hat Qualitäten, die auch die Schlechtmacherei der Bauherrschaft nicht aus der Welt schaffen wird. Das Kongresshaus darf nicht abgebrochen werden! Der laufende Wettbewerb, geschlossen unter zehn Architekten, ist ein Fehler. Eine gute Nachricht: Am 29. September eröffnet an der Spiegelgasse 1 in Zürich das Dada-Haus, ein kleines Kulturzentrum. Auch Hochparterre hat sich dafür eingesetzt – und freut sich. GA
Inhalt
6 Funde
9 Stadtwanderer: Vom Nutzen des Bundesfrankens
11 Wilfrieds Notizen: Linientreu
13 Auf- und Abschwünge: Eine Brücke für die Zwerge
16 Titelgeschichte
Forum3 in Basel: Das Haus der Schmetterlinge
Brennpunkte
26 Schwimmflügeli:Engel am Bassinrand
28 Allianz-Arena von H&deM:Anpfiff in München
32 Essay:Wir werden alle überfahren
34 Wettbewerb: Unterschätzte Perle–Kongresshaus Zürich
40 Arbeitsmarkt der Architekten:Die Handorgel-Büros
42 Sanierte Hochbauten:Häuser für hohe Ansprüche
46 Notizen aus China: Eine Reise ins Land der Kräne
48 Heimatwerk:Schellen-Urslis Souvenirs
50 Zentrum Paul Klee:Ehe von Seele und Präzision
54 Jasper Morrison:«Design ist ein seltsames Spiel»
Leute
58 2.Fussballturnier der Architekten in Zürich
Bücher
60 Kammgi, Paul Klee, Thomas Ott, Pablo Picasso, Dominikus Böhm, Brasilianische Moderne, Grafik für Nicht-Grafiker
Fin de Chantier
62 Migros-Bank Neuenburg, Weingut in Malans, Flaniermeile Opfikon, Siedlung Rebgässli Allschwil, Fähre in Meersburg
An der Barkante
69 Mit Toni Häfliger im Bahnhofbuffet Basel
Der Verlag spricht
71 Projekte, Impressum
Häuser für hohe Ansprüche
Die Stadt Zürich baute das Werd-Hochhaus, in dem früher die Bankgesellschaft ihre Wertschriften verwaltete, zum Verwaltungszentrum für das Finanz- und Sozialdepartement um. Wie lässt sich ein Hochhaus aus den Siebzigerjahren den aktuellen Bedürfnissen anpassen? Diese Frage stellte sich auch den Planern in St.Gallen und Winterthur.
Der ‹Mond von Aussersihl›, die Leuchtreklame am 18.Stock des Bürohauses Werd der Schweizerischen Bankgesellschaft, strahlte hell über dem Zürcher Stadtkreis 4. Der Bau von 1975 stammt von den Architekten Sauter und Dirler und beherbergte die Wertschriftenabteilung der Grossbank. In Kombination mit dem Turm der benachbarten Peter-und-Paul-Kirche diente das hellblau verspiegelte Haus ab und zu als Symbol für den Wirtschaftsstandort Zürich, ansonsten fristete der Bürokomplex ein Schattendasein. Zutritt hatten einzig die Bankgesellen und ausserhalb der manchmal im Kulturpavillon veranstalteten Ausstellungen wäre es kaum jemandem in den Sinn gekommen, die edle, marmorbelegte Plattform zu betreten. Anders als die Grossbank in Zürich hatte die Firma Sulzer an ihrem Hochhaus in Winterthur eine Leuchtschrift gar nicht nötig.
Als der Büroturm in den Sechzigerjahren als höchstes Haus der Schweiz in den Himmel wuchs, war es in der Stadt jedermann klar, das solch ein Bau nur ‹de Sulzere› gehören konnte: Mehr als 14000 Winterthurer standen damals auf der Gehaltsliste des Industriekonzerns – ein Viertel aller Arbeitsplätze in der Stadt Winterthur. Das war Sulzer und die Zeiten waren so zukunftsgläubig, dass nebenan gar ein Zwilling entstehen sollte. Ein Symbol des Aufbruchs der Sechzigerjahre wuchs – leicht verspätet – auch neben dem St.Galler Hauptbahnhof in den Himmel. Der goldbronzene Turm des Rathauses – einst als Hotel geplant – setzte 1976 den Schlusspunkt unter die baulichen Veränderungen am Bahnhofplatz, die Mitte der Fünfzigerjahre mit dem Brand des Hotels ‹Walhalla› angefangen hatten.
Die Stadt im Bankenturm
So unterschiedlich die Bürohäuser in ihrer Grösse und Lage sind, eines haben sie gemeinsam: Alle drei wurden zu Sanierungsfällen. Schon in den Achtzigerjahren bereitete die Rathausfassade den St.Gallern Sorge, als die metallbedampften Scheiben oxidierten und sich in den Büros trübes Nebelwetter einstellte. Sanierungsvarianten wurden geprüft und verworfen, bis ein Brand in der Tiefgarage das Hochhaus mit Rauch füllte und die Planungen beflügelte. In Zürich und in Winterthur waren es Besitzerwechsel, die die Sanierung der Hochhäuser auslösten. Die zur UBS fusionierte Bankgesellschaft verkaufte das Werd-Hochhaus an die Stadt Zürich, die den Komplex zum Verwaltungszentrum für das Finanz- und das Sozialdepartement umbaute. Die Stadt konnte die Standorte der Verwaltung reduzieren und prestigeträchtige Liegenschaften verkaufen oder im Baurecht Gewinn bringend an Private abgeben. Der Sulzer-Konzern – oder was davon übrig geblieben war – verkaufte sein einstiges Symbol an ein anderes Winterthurer ‹Symbol›, an Bruno Stefanini. Der öffentlichkeitscheue Immobilienkönig gründete zu diesem Zweck die Wintower AG, die wiederum Stefanins Stiftung für Kunst, Kultur und Geschichte gehört, zu der unter anderem eine der bedeutendsten Sammlungen von Schweizer Kunst gehört.
Alte Hülle, neuer Kern in Zürich
Bei der Sanierung eines Bürohauses aus den frühen Siebzigerjahren denkt jeder zuerst an die Fassade: eine Energieschleuder, technisch jenseits jedwelcher Norm und auf jeden Fall zu ersetzen. Davon gingen auch die Planer der Umbaustudie für das Werd-Hochhaus aus. Doch eine neue Fassade hätte einen grossen Teil der zur Verfügung stehenden Mittel verschlungen. Zudem waren BurkhalterSumi Architekten mit dem Äusseren des zweiteiligen Hochhauses durchaus zufrieden und hatten nicht das Bedürfnis, diesem Turm nachträglich ihre Handschrift aufzuzwingen. So beschränkte man sich darauf, die Fenstergläser zu ersetzen und die Brüstungen zusätzlich zu dämmen.
Jenes Geld, das nicht für die Fassade ausgegeben werden mus-te, stand für den Umbau des Innern zur Verfügung. Hier hat man das Haus auf den Rohbau zurückgeführt. Hatte die Bank ihre Büros beidseitig eines Mittelganges angeordnet, sind nun gemäss der städtischen Verwaltungsreform die Arbeitsplätze zu Gruppen zusammengefasst. Dadurch liess sich der Flächenbedarf pro Platz von 15,2 auf 12,5 Quadratmeter reduzieren. Besprechungszonen oder Einzelbüros wurden zusammengefasst und als raumgliedernde Elemente eingefügt. Der raumprägende Entscheid ist der Verzicht auf eine abgehängte Decke. Die Räume wurden um 50 Zentimeter höher und es entstand Atelierstimmung. Die Architekten liessen die Betondecke dunkelgrau streichen und die Haustechniker montierten daran die Installationen für Heizung und Kühlung. Ihre Aufgabe war verzwickt. Zwar konnten die neuen Gläser und die zusätzliche Dämmung den Wärmedurchgang der Fassade verbessern, Werte einer neuen Konstruktion sind damit aber nicht zu erreichen und an kalten Wintertagen kann sich der Kaltluftabfall bemerkbar machen. Die grösste Knacknuss war das Abführen der Wärme: Eine Klimaanlage, wie einst, sollte nicht wieder installiert werden, ein äusserer Sonnenschutz, der die Hitze aus den Räumen fern gehalten hätte, liess sich nicht montieren. Nun sorgen thermoaktive Bauteilsysteme, so genannte TABS, für die richtige Temperatur.
Jedes der im Rhythmus des Fassadenrasters an die Decke geschraubten TABS-Module erfüllt drei Aufgaben: es kühlt, es heizt – und es schluckt den Schall. Die am Verwaltungszentrum Werd eingesetzten Module sind eine Neuentwicklung, die die Betondecke als thermoaktives Element nur zur Kühlung nutzt, die Wärme aber direkt abstrahlt. Dadurch kann die Trägheit eines solchen Systems bei plötzlicher Sonneneinstrahlung besser beherrscht werden. Blieben bei den Bankern die Fenster wegen der Klimatisierung geschlossen, so können die städtischen Angestellten jetzt die Fenster einen Spalt breit öffnen, um Luft in den Raum zu lassen und das Gefühl des Eingeschlossen-Seins zu vertreiben.
Bürgerstolz in St.Gallen
Am St.Galler Rathaus stand der Erhalt der Fassade nie zur Diskussion, sie hatte die Sanierung ja ausgelöst. Mit der Fassade stand auch die Erscheinung des Hauses zur Disposition. Insbesondere in den hochhauskritischen Achtziger- und Neunzigerjahren hätten wohl viele St.Galler gerne einen radikal veränderten Turm am Bahnhof gesehen. Doch Boltshauser Architekten wählten im Wettbewerb von 2001 eine andere Strategie. Sie versuchten, die Qualitäten des Baus besser zur Geltung zu bringen – und hatten damit Erfolg. Sie schlugen vor, dem Turm drei Geschosse aufzusetzen und ihn mit einer vertikal strukturierten Fassade zusätzlich in die Höhe zu ziehen. Anbauten beruhigen den gestaffelten Sockelbau und binden ihn besser in seine Umgebung ein. Wenn auch die drei geplanten Zusatzgeschosse zu einem überhohen Attikageschoss zusammenschrumpften, so wird das St.Galler Rathaus nach der Sanierung doch eindeutiger als vertikales Element am Bahnhofplatz stehen und zusammen mit dem Bahnhof und der Hauptpost ein Ensemble öffentlicher Grossbauten bilden.
Das Innere des Rathauses wird wie das Werd-Hochhaus bis auf den Rohbau ausgeräumt. Im Sockelbau werden wie bis anhin die Abteilungen mit Publikumsverkehr logieren, in den Hochhausgeschossen die Büros. Hier gestatten grossräumige Strukturen statt Einzelbüros eine höhere Ausnutzung der Geschosse – wobei grossräumig relativ ist: Allein die Staffelung des Turms in zwei Teile sorgt für überblickbare Einheiten. Die Fassade ist als zweischichtige Kastenfassade ausgebildet. Die dazwischenliegende Luftschicht wirkt als Klimapuffer und nimmt die Lamellenstoren des Sonnenschutzes auf. Die inneren Fenster werden sich öffnen lassen, die äussere, nicht luftdicht geschlossene Glasschicht ist fix. Im überhohen Attikageschoss sind Konferenz- und Sitzungszimmer untergebracht.
Hin und her in Winterthur
Die jüngste Geschichte des Sulzer-Hochhauses liest sich wie ein Krimi. Per 1.Januar 1999 verkaufte Sulzer das Haus für in der Presse geschätzte 15 bis 20 Millionen Franken an die zunächst noch unbekannte WintowerAG. Bald war klar, dass hinter der Käuferin Bruno Stefanini steht, der die baldige Sanierung versprach. Ende 2002 zog der letzte Mieter aus, und im Jahr drauf kündigte Stefanini an, am Fuss des Hochhauses ein Museum für die Sammlungen seiner Stiftung zu bauen. Da sich kein Mieter für den Büroturm finden liess, rottete er vor sich hin, und im Februar 2004 wurde das leerstehende Haus von Linksautonomen besetzt.
Obschon das in ‹Wintower› umbenannte Sulzer-Hochhaus noch immer nicht vermietet ist, hat die Unirenova mit der Sanierung begonnen. Wie am Werd-Hochhaus bleibt die Fassade erhalten, lediglich die Fenster werden ersetzt. Im Bereich der Brüstungen und der tragenden Fassadenpfeiler wird von innen eine zusätzliche Dämmung aufgebracht. Ob die Sanierung nur die gesetzlichen Normen erfüllen wird oder darüber hinausgeht, ist nicht entschieden. Da die Nutzer der Räume noch nicht feststehen, beschrän-ken sich die inneren Arbeiten auf einen Grundausbau: Lifte, Liftvorplätze, WC-Anlagen, Eingangshalle. Ein zusätzlicher Lift wird die beiden obersten Geschosse erschliessen, die bislang nur über eine Treppe zu erklimmen waren. Zudem entsteht ein zurückgesetztes Attikageschoss mit Sitzungszimmern. Die Büros werden mit Radiatoren ausgestattet. Ob die Räume belüftet oder klimatisiert werden, werden die künftigen Mieter entscheiden.
Die Mieter, das könnten durchaus die städtischen Ämter sein, denn auch in Winterthur ist die Verwaltung über zu viele Standorte verteilt – und die Stadt liebäugelt mit einem Umzug in den Büroturm. Wie das Werd-Hochhaus und das St.Galler Rathaus wäre dann auch der Wintower nicht mehr bloss ein bauliches Wahrzeichen, sondern auch ein weit herum sichtbares Symbol für die städtische Gemeinschaft. In Zürich hat der Mond von Aussersihl dem Stadtwappen Platz gemacht. Vielleicht lässt auch Winterthur seine roten Löwen am Hochhaus spazieren.hochparterre, So., 2005.08.07
07. August 2005 Werner Huber
verknüpfte Bauwerke
Werd-Hochhaus - Umbau
Rathaus St. Gallen - Sanierung
Wintower Winterthur
Ehe von Seele und Präzision
Das Zentrum Paul Klee in Bern hat am 20.Juni seine Pforten geöffnet. Das organisatorische Kalkül verband sich mit der Willkür der Formerfindung. Renzo Piano hat das zeitgenössische Museum neu entwickelt. Das Zentrum Paul Klee ist kein Kunsttempel, sondern ein Freizeitgerät.
Als 1977 das Centre Pompidou in Paris eröffnet wurde, war es die vom Publikum bejubelte, von den Architekten misstrauisch bewunderte ‹Sensation des Jahrzehnts›. Beim Zentrum Paul Klee ist die Stimmung ähnlich, den Leuten gefällts, die Architekten zucken die Schultern. In beiden Fällen erfand Renzo Piano das Museum neu, beide Male baute er eine funktionalistische Maschine für die Bewältigung der Besuchermassen und machte aus ihr trotzdem ein weitwirkendes Architekturzeichen. Organisatorisches Kalkül verbindet Piano mit der grossen Geste. In Bern begann es damit, dass Piano durchsetzte, statt auf dem kleinen Stück Land, das Maurice E.Müller vorgesehen hatte, auf dem grossen städtischen daneben zu bauen. Piano veränderte vom Start weg den Massstab ins Grosse, statt ein Gebäude baute er Landschaft. Er brauchte Platz für die drei Wellen. Sie werden, einmal eingewachsen, wie vom Aaregletscher geformt wirken. Selbstverständlich sind sie nicht mit der Aufgabe Museum zu begründen. Sie sind eine willkürliche Formerfindung: Piano wollte Hügel bauen. Er hat uns alle überzeugt, geben wirs doch zu: Sie sind hinreissend.
Was ist das Problem eines heutigen Museums? Sein Erfolg. Bewahren, Forschen, Zeigen soll das Museum, doch erst die Besuchermassen sind heute seine gesellschaftliche Rechtfertigung. Das Zentrum Paul Klee ist keine Insel des stillen Schauens, sondern einer der Motoren der Kulturindustrie. Piano verdrängt das nicht, er organisiert diese Maschine. Er wendet das alte Rezept der Schichtung an. Das Haus hat nur eine Fassade, damit ist das Vorn und Hinten festgelegt. Horizontale Erschliessung, Publikumsräume, Aktivitäten ZPK, rückwärtige Erschliessung sind die Nutzungsschichten von vorn nach hinten. Damit trennt Piano den gehobenen Jahrmarkt der Museumsstrasse von der stillen Betrachtung der Kunst. In der Museumsstrasse ist die Konsumation zu Hause, im Ausstellungssaal die Kontemplation. Dazwischen liegt eine Schwelle, das ist der Ort, wo man die Schuhe auszieht. Kurz, die Organisation der Nutzungen ist vernünftig, die Erschliessung funktioniert. Betrachtet man die Grundrisse, sieht man: Es war ein Funktionalist am Werk. Die disziplinierte Ordnung der Grundrisse wird allerdings vom Pathos des Wellenschwungs überlagert. Das ist das offene Geheimnis des Entwurfs. Das Pathos seinerseits ist von konstruktiver Raffinesse. Man muss sich die Dreiwellenfront senkrecht und geradlinig vorstellen, um zu ermessen, wie die Neigung und die Krümmung aus einer starren Silhouette eine lebendige Bewegung machen. Piano hat die Möglichkeiten, die Computer-Architekten bieten, ausgeschöpft: Er erreicht den Spitzenstand der Konstruktionskunst, was an der Fassade allerdings zu viel Formaufwand und Herzeigen führt.
Der zweideutige Raum
Entscheidend aber ist das Allerheiligste, der Ausstellungssaal. Der sah während der Bauarbeiten wie ein Hangar aus und man fragte sich angstvoll, was aus Klee darin werden soll. Gebetsmühlenartig wurde das Argument wiederholt, die kleinen Formate Klees bedürften der Intimität und passten nicht in eine Halle. Piano foutierte sich darum. Die Hügel sind wichtiger als das Murren der Kollegen. Ist es ein Einraum oder ist es eine Folge von Kabinetten? «Der Raum ist zweideutig, jedoch in der Kunst ist Zweideutigkeit keine schlechte Sache, weil sie auch Vieldeutigkeit bedeutet», betonte Piano im letzten Hochparterre. Er hängte Wandscheiben an der Wölbung auf, sie grenzen aus dem grossen Saal Raumabschnitte aus. Darüber spannte er Textildecken auf, an Rahmen befestigte halbtransparente Stoffbahnen. Pianos Saal ist ambivalent, einmal befindet man sich in einer Halle, dann in einem Zimmer. Renzo Piano wollte einen schwebenden Raum schaffen, er muss damit einen zwischen Einraum und Raumfolge oszillierenden gemeint haben. Genau das hat er erreicht. Die Architekten schütteln den Kopf, die Leute jedoch betrachten die Bilder, denn eines ist eindeutig: Klees Bilder bewahren ihre Aura, es gibt keinen Zusammenhang zwischen den Formaten der Kunstwerke und der Grösse des Saals. Es herrscht reines Kunstlicht, die Empfindlichkeit der Bilder erforderte das. Es gibt keinen Austausch zwischen dem Draussen und Drinnen, man sitzt im regelmässig ausgeleuchteten Hügelbauch. Trotz der geringen Lichtstärke herrscht eine heitere Feierlichkeit. Ein Betsaal, keine Kirche, profan, nicht heilig. Nebenbei bemerkt: Der Raum ist flexibel und neutral, wie es dem Kurator dient, das Gegenteil des Saals im Kunsthaus Graz (HP 11/03).
Was aber ist neu an diesem Museum? Es ist ein Mehrzwecksaal der Künste. Für Konzerte oder Filme gibt es ein Auditorium, für Konferenzen ein Forum mit Seminarräumen, für die Forschung Platz, für die Kinder Kunsterziehung, für das Museum Werkstätten, bewusst wurde das Museum zum Zentrum erweitert. Ein Blick auf die Grundrisse zeigt: Die eigentliche Ausstellung beansprucht weniger als einen Drittel aller Flächen. Die Museumsstrasse wurde zum wichtigsten Raum, dem auch der grösste architektonische Aufwand geschenkt wurde. Wie beim Pompidou die aussenfahrenden Rolltreppen, ist auch im Zentrum Paul Klee die Publikumserschliessung das Rückgrat der Anlage. Das neue Museum ist kein Kunsttempel, es ist ein Freizeitgerät.hochparterre, So., 2005.08.07
07. August 2005 Benedikt Loderer
verknüpfte Bauwerke
Zentrum Paul Klee
Was ist eine Stadtsiedlung?
Auf dem sanft gegen Süden abfallenden Areal von 41000m² in Zürich-Wiedikon befand sich der Werkhof der Baufirma Hatt-Haller. Leuppi&Schafroth Architekten gewannen den eingeladenen Wettbewerb mit einem Projekt, das das städtisches Wohnen neu zu definieren versucht. Sie schufen einen Zeilenbau, der keiner mehr ist. Vier Hausreihen mit vier bis sechs Geschossen stehen mit gleichmässigen Abständen im parkartigen Gelände. Erst auf den zweiten Blick wird man gewahr, dass der eine Zwischenraum eher einer Allee ähnelt, der nächste eher einem Garten. Die Autos werden gleich an der Arealgrenze in Räumen unter dem Boden versorgt. Die Stadt im Park, wie sie Le Corbusier propagierte, fand hier eine späte und neue Variante.
Was auf dem Modell und den Plänen unentschieden aussah, kein klares Vorn und Hinten ablesen liess, ist in der Wirklichkeit kein Problem. Der grosse Zwischenraum von Haus zu Haus wird nicht als Strasse oder Garten erlebt, sondern als eine begrünte Zone. Die Häuser haben keine eindeutige Eingangsseite, man kann sie sowohl von ‹vorn› wie von ‹hinten› betreten. Es entstehen seltsam unbestimmte Räume. Das liegt am Ort. Am Fusse des Uetlibergs in einer Vorstadtgegend eine ‹Stadtsiedlung› bauen, ergibt aus Investorensicht immer mehr Siedlung als Stadt. Zwar wäre eine Ausnützung von 1,6 erlaubt, doch musste man sich auf 1,25 beschränken. Mehr wäre der Wohnqualität abträglich gewesen. Die richtige Dichte ist die Vermietbare. Man spürt die Einflüsse der Verkäufer an jeder Ecke und trotzdem beeindruckt die Stadtsiedlung durch ihre Grösse: In drei Etappen werden 364 Wohnungen entstehen.
Die Grundrisse sind ein Lehrblätz im Fach tiefe Grundrisse. Bei 18 Metern führten die Architekten ein Atrium ein. Es wird spannend sein zu beobachten, wie die Bewohner mit den Problemen Einsichtmöglichkeit und Lärm umgehen werden. Am Besuchstag zeigten die Architekten eine Wohnung, in der man nicht um das Atrium herumgehen konnte, wie sie es sich vorgestellt hatten. Ein Badezimmer blockiert den Rundweg, da dies die Investoren besser fanden. Die Balkone sind zwar vom Zuschnitt her brauchbar, aber doch gar exponiert. Die west-ostorientierten Grundrisse sind grosszügig, auf urbane Aufsteiger zugeschnitten.
Die Wiediker Stadtsiedlung stellt (ohne Absicht?) ein wichtiges Problem zur Diskussion: den Umgang der Stadt. Welche Vorstellung leitete die Architekten? Sie bauten ein Stück Zwischenstadt, die heutige Form der Besiedlung in der Agglomeration. Das mulmige Gefühl des Berichterstatters teilen die Bewoh-nerinnen und Bewohner nicht. Sie kriegen grosszügige Wohnungen in einer angenehmen Umgebung.hochparterre, So., 2005.08.07
07. August 2005 Benedikt Loderer
verknüpfte Bauwerke
Stadtsiedlung