Editorial
Bürgerhaus, Gemeinschaftszentrum, Ortsmitte, Quartiertreff, Stadtteil- oder Nach-barschaftszentrum – für die Bauaufgabe, der wir die vorliegende Ausgabe der AW gewidmet haben, gibt es eine Vielzahl von Bezeichnungen. Dies lässt bereits darauf schließen, dass man hier – anders als beispielsweise bei Feuerwachen, Hotels oder Schulen – auch unabhängig vom Standort oder der Größe nicht von einer eindeutigen »Bautypologie« sprechen kann. Gemeinsam ist den vorgestellten Gebäuden lediglich, dass sie einen neuen Mittelpunkt innerhalb einer Gemeinde oder eines Stadtviertels bilden, dass sie verschiedene Funktionen und Einrichtungen unter einem Dach vereinen und dass sie prinzipiell allen Bürgern offen stehen. Große Unterschiede gibt es hingegen beim vorgesehenen Nutzungsspektrum und damit beim Raumprogramm. Wenn man diesbezüglich die Bauten genau analysiert, lassen sich fünf wesentliche Aufgaben ausmachen, die kommunale Zentren übernehmen können. Zunächst sind es Orte der Begegnung und Kommunikation zwischen den Bürgern. Insbesondere Vereine und Initiativen, beispielsweise von Jugendlichen, Senioren, Eltern-Kind-Gruppen oder ausländischen Mitbürgern, können sich dort organisiert, aber auch ganz spontan treffen und austauschen. Neben den entsprechenden, zum Teil nutzungsneutralen Räumen stehen dafür häufig auch Cafés und geschützte Freiflächen zur Verfügung. Zweitens sind es Orte der Kultur – hier finden Theateraufführungen, Konzerte, Tanzdarbietungen und Ausstellungen statt. Meist gibt es einen oder mehrere multifunktionale Säle mit Bühne, gelegentlich sogar Proberäume und Umkleiden. Drittens sind es Orte der Bildung. In größere Bürgerhäuser wird vielfach auch eine Bücherei integriert; für Vorträge und Weiterbildungskurse werden zudem Seminarräume und Werk-stätten vorgesehen. Viertens sind es Orte der Dienstleitung. Viele Kommunen richten dort Bürgerbüros und Gemeindeämter ein, bei denen die Einwohner sich bera-ten lassen und wichtige Formalitäten erledigen können. Aber auch außerbehördliche Beratungsstellen sowie Kinderbetreuungseinrichtungen und Einzelhandelsgeschäfte tragen zu einer Verbesserung des Serviceangebots und sozialen Umfelds bei. Fünftens schließlich sind es Orte des Sports und der Gesundheit. Für sportliche Betätigungen gibt es zum Teil eigene Hallen und Plätze; therapeutische oder prophylaktische Aufgaben werden von Arztpraxen, Beratungseinrichtungen und Gesundheitszentren übernommen.
Die Heterogenität der Bauaufgabe, die unterschiedlichen Nutzergruppen mit teilweise gegenläufigen Interessen sowie die Tatsache, dass bei den meisten Kommunen die finanziellen Mittel beschränkt sind und daher optimal eingesetzt werden müssen, erfordert von den beteiligten Architekten ein außerordentlich hohes Maß an Organisationstalent, Erfahrung, Einfühlungsvermögen und Kreativität. Beim Herstellen neuer, ungewohnter Bezüge und Zusammenhänge möchte ihnen diese Ausgabe der AW eine Hilfestellung geben. Arne Barth
Inhalt
Standpunkt
Public Private Partnership – eine zukunftsweisende Form des Wettbewerbs? | Tatjana Lohmann
Beispiele
Bürgerhaus in Stuttgart-West | ARP Architektenpartnerschaft Stuttgart
Quartierzentrum in Basel | sabarchitekten
Stadtteilzentrum in Lübeck | Pier7 Architekten
Gemeinschaftszentrum in Phoenix | Gould Evans Associates & Wendell Burnette Architects
Bürgerhaus und Jugendzentrum in Dublin | Henchion Reuter Architects
Quartierzentrum in Zürich | EM2N
Mehrzweckhalle in Beure | Bernard Quirot & Olivier Vichard
Gemeindezentrum in Ludesch | Architekturbüro Hermann Kaufmann
Ortszentrum in Langenegg | Fink & Thurnher
Ortsteilzentrum in Reichenbach-Friesen | Knoche Architekten
Gemeinschaftszentrum in Los Silos | gpy arquitectos
Mehrzweckgebäude in Ahrntal | Mutschlechner & Mahlknecht
Nachbarschaftszentrum in London | Lynch Architects
Projekte
Bürgerzentrum in Sõmeru | SALTO
Stadthaus in Nieuwegein | 3XNielsen
Bürgerzentrum in Lalín | Mansilla Tuñon
Wettbewerbe
Bürgerzentrum in Stuttgart-Möhringen
Bürgerzentrum »Südstadtforum« in Nürnberg
Bürgerhaus in Blaichach
Bürgerhaus in Unterföhring
Public Private Partnership – eine zukunftsweisende Form des Wettbewerbs?
Die Hauptstadt Großbritanniens gilt als Trendstadt für Mode und Lifestyle. Meist sind uns unsere europäischen Nachbarn in diesen Bereichen einige Zeit voraus. Im Bereich der Immobilienwirtschaft wird derzeit unter dem Schlagwort »Public Private Partnership« – kurz: »PPP« – eine Entwicklung diskutiert, die ebenfalls ausgehend vom Inselstaat das europäische Festland erreicht hat und als Trend im Bereich des öffentlichen Hochbaus bezeichnet werden kann.
Entgegen vielfacher Behauptungen ist PPP jedoch kein Finanzierungsmodell und auch nicht »Bauen ohne Geld«. Stattdessen zeichnen sich PPP-Projekte im Bereich des öffentlichen Hochbaus durch die Übernahme ehemals staatlicher Aufgaben der öffentlichen Daseinsvorsorge durch private Partner aus. Diese Form der partnerschaftlichen Abwicklung von städtebaulichen und Infrastrukturprojekten der öffentlichen Hand stellt für alle an der Umsetzung beteiligten Projektpartner eine neue Herausforderung dar.
Bei konventionell realisierten Bauvorhaben der öffentlichen Hand erfolgt die Vergabe der Bauleistung traditionell auf Grundlage einer detaillierten Leistungsbeschreibung, die häufig Ergebnis eines vorausgegangenen Architekten- oder Ideenwettbewerbs ist. Bei PPP-Projekten wird die Gesamtverantwortung für die Erstellung und Finanzierung des Bauwerks und dessen späteren Betrieb in die Hände Privater gelegt. Konkret bedeutet dies, dass öffentliche Hand und Privatwirtschaft eine vertraglich geregelte Bindung eingehen, die meist über einen Zeitraum von etwa 25 Jahren angelegt ist. Die Bereitstellung eines funktionsfähigen Gebäudes durch den Privaten beinhaltet neben Planung, Bau und Betrieb über die gesamte Vertragslaufzeit auch die Finanzierung des Vorhabens gegen Zahlung eines regelmäßigen Entgelts durch die öffentliche Hand.
Der Vorteil für die öffentliche Hand besteht darin, dass sie bei PPP-Projekten nur einen Vertragspartner hat, der alle Leistungen aus einer Hand und zu einem vertraglich fixierten Entgelt liefert. Dieses Entgelt setzt sich zusammen aus einer über die Vertragslaufzeit konstanten Annuität für Herstellungskosten und Finanzierung und einem indexierten Anteil für Betriebs- und Bauunterhaltungskosten.
Ein wesentliches Merkmal dieser Art von Projekten stellt die ausgewogene Risikoverteilung zwischen den Vertragsparteien dar. Dabei sollten jedem Partner die Risiken übertragen werden, die er am besten beherrschen und abschätzen kann. Geradezu prädestiniert für eine Übertragung an den privaten Auftragnehmer sind das Bauzeit- und das Baukostenüberschreitungsrisiko sowie das Risiko eines Gebäudebrands, denn anders als Private kann sich die öffentliche Hand gegen dieses Risiko nicht versichern.
In Großbritannien machen PPP-Vertragsmodelle bereits mehr als 20 Prozent des öffentlichen Bauvolumens aus. Dort belegen Studien des britischen Finanzministeriums, dass bei konventionellen Abwicklungsmodellen nur etwa 30 Prozent der Projekte im vorgegebenen Zeit- und Kostenrahmen durchgeführt werden, während für PPP-Modelle eine hundertprozentige Kostensicherheit und eine Termintreue von 70 Prozent ermittelt wurde. Die Tatsache, dass bei PPP-Projekten nur einmal ein aufwendiges Vergabeverfahren gemäß Vergabeordnung durchgeführt werden muss, führt zu einer erheblichen Zeitersparnis bezogen auf die Zeit bis zur Fertigstellung des Gebäudes. Da Planung, Bau und Betrieb vollständig im Verantwortungsbereich des privaten Auftragnehmers liegen, ergeben sich für ihn Optimierungsmöglichkeiten, die dann zu einer insgesamt kostengünstigeren Realisierung führen.
Die langen Vertragslaufzeiten führen dazu, dass immer der gesamte Lebenszyklus des Projektes betrachtet wird. So lassen sich Schnittstellenprobleme gezielt vermeiden. Diese können beispielsweise dann auftreten, wenn bereits in der Planungsphase Entscheidungen getroffen werden müssen, die erheblichen Einfluss auf den späteren Betrieb haben. Ein weiterer Vorteil der privaten Anbieter ist, dass sie im Gegensatz zur öffentlichen Hand die Möglichkeit haben, sich auf die Errichtung und den Betrieb eines bestimmten Immobilientyps, zum Beispiel Schulbauten, zu spezialisieren. Wiederholungseffekte und die zielgerichtete Zusammenarbeit zwischen Planern, Ausführenden und Betreibern führen zu einer Optimierung der Gesamtaufgabe und letztendlich in der Regel zu Wettbewerbsvorteilen gegenüber der Eigenerstellung durch die öffentliche Hand.
Seit dem Jahr 2003 werden in Deutschland vermehrt PPP-Modelle angewandt, um längst fällige Investitionen zu tätigen. Zu den ersten bereits im Betrieb befindlichen Projekten zählen Schulbauten, die sich überwiegend in Hessen und Nordrhein-Westfalen befinden, sowie wenige Verwaltungsbauten. In der Ausschreibungs- und Realisierungsphase befinden sich erste Immobilien des Gesundheitswesens sowie Justizvollzugsanstalten. Grundsätzlich denkbar sind PPP-Lösungen für verschiedenste Gebäude der öffentlichen Hand, die überwiegend einer Nutzung dienen und einen hohen Anteil an übertragbaren Betreiberleistungen aufweisen. Derzeit gilt ein Mindestinvestitionsvolumen von etwa 7,5 Millionen Euro und ein etwa viermal so hohes Dienstleistungsvolumen als Schwellenwert für eine PPP-Eignung, die jedoch im Einzelfall eingehend geprüft werden muss.
Gemischt genutzte Immobilien wie Bürgerhäuser oder Stadtteilzentren eignen sich meist nur bedingt als PPP-Projekte. Zu unterscheiden sind »kleine« Bürgerhäuser, die auf konventionelle Art und Weise meist kostengünstiger gebaut und betrieben werden können und »große« Stadtteilzentren. Bei diesen ist im Einzelfall abzuwägen, ob eine Eigenerstellung und anschließende Vermietung der nicht für öffentliche Zwecke benötigten Flächen erfolgen soll oder ob ein Investor mit der Entwicklung der innerstädtischen Fläche
betraut werden soll, der anschließend Teile des Zentrums langfristig an die Kommune vermietet. Aufgrund der zentralen Lage an städtebaulich bedeutsamer Stelle und der in Folge dessen guten Marktgängigkeit der zu vermietenden Flächen stellen Public Private Partnerships für derartige Vorhaben daher eher die Ausnahme als die Regel dar.
Häufig wird die Frage diskutiert, ob die Vorteile von Public Private Partnership gleichzeitig einen Nachteil für die Qualität der Architektur darstellen. Auf Grundlage einer ergebnisorientierten Ausschreibung müssen alle wesentlichen konstruktiven, gestaltungs- und bauunterhaltungsrelevanten Leitdetailstandards für die Ausführung bereits in der Wettbewerbsphase erfüllt werden. Diese konsequente Einbeziehung des Lebenszyklusgedankens in die planerische Tätigkeit des Architekten, der als Auftragnehmer des Investors agiert, erfordert eine neue Denkweise und bedeutet für den Planer einen höheren Bearbeitungsaufwand als bei konventionellen Realisierungswettbewerben.
Die bereits ausgeführten Projekte zeigen, dass die Verfahrensart Public Private Partnership eine Möglichkeit der nachhaltigen Stadtentwicklung darstellt. Wirtschaftlichkeit und die Renditeinteressen privater Investoren stehen also nicht zwangsläufig im Widerspruch zu guter Architektur, sondern können vielmehr dazu beitragen, dass Private öffentliche Verantwortung übernehmen und einen Beitrag zur attraktiven Gestaltung der Innenstädte leisten.
Seitens der öffentlichen Hand kann die Effizienz von PPP-Projekten, also das Verhältnis von Kosten und Nutzen des Projekts, durch die Festlegung verschiedener Bewertungskriterien und einer entsprechenden Gestaltung der ergebnisorientierten (»outputorientierten«) Leistungsbeschreibung beeinflusst werden. Nach wie vor ist das Ziel jeder individuellen Bauaufgabe, die bestmögliche planerische Lösung für den jeweiligen Nutzer zu entwickeln. Dieser Anspruch führt in der Regel dazu, dass der Architektur neben dem Kriterium der Wirtschaftlichkeit ein hoher Stellenwert bei der Vergabeentscheidung beigemessen wird.
Seitens der Architektenkammern werden dem PPP-Verfahren vorgeschaltete Architektenwettbewerbe häufig als probates Mittel zur Förderung der Baukultur angesehen. Es wird vorgeschlagen, anschließend lediglich die Bauausführung sowie die Fortentwicklung der Planung, den Betrieb und die Finanzierung auf Grundlage des vorliegenden Entwurfs auszuschreiben. Diese Vorgehensweise birgt jedoch erhebliches Konfliktpotential, insbesondere die Urheberrechte des Planers betreffend. Außerdem werden die Optimierungsmöglichkeiten auf Seiten der privaten Bieter stark einschränkt und dadurch die Möglichkeiten zur Effizienzsteigerung des Projekts minimiert.
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die Durchführung eines klassischen Architektenwettbewerbs dem Grundgedanken der ganzheitlichen Betrachtungsweise bei Public Private Partnerships widerspricht und daher abzulehnen ist. Wie bereits beschrieben, ist die Entwurfsfindung Teil der PPP-Aufgabe und kann im Rahmen dessen als Chance für die Planer und auch als zukunftsweisende Form des Architektenwettbewerbs angesehen werden.Architektur + Wettbewerbe, Fr., 2006.12.15
15. Dezember 2006 Tatjana Lohmann