Editorial

Aktuelle Umfragen belegen, dass die deutschen »Häuslebauer« nach wie vor von einem freistehenden Einfamilienhaus träumen. Rund zwei Drittel der Bevölkerung wünscht sich ein Haus, »um das man herumgehen kann«, und scheint dabei die fatalen Folgen dieser Entwicklung – den unablässigen Flächenfraß etwa oder die damit verbundene zunehmende Belastung durch den Individualverkehr – völlig auszublenden. Verwunderlich ist dies nicht, hat doch der Staat diese Wunschträume durch die Pendlerpauschale und die Eigenheimzulage jahrelang tatkräftig subventioniert. Auch wenn die Tendenz mittlerweile weg vom Neubau und hin zu gebrauchten Immobilien geht, ändert dies nichts an der Tatsache, dass für eine nachhaltige, zukunftsorientierte Entwicklung des Wohnungsmarktes ein grundsätzliches Umdenken erforderlich ist. Eine stärkere Förderung des verdichteten Wohnungs- und Siedlungsbaus – auch innerhalb der Kernstädte – wäre dazu ein geeignetes Mittel. Die Vorteile liegen auf der Hand: Durch Reihenhaussiedlungen und kompakte Wohnanlagen können nicht nur der fortgeschrittenen Zersiedelung und dem drohenden Verkehrsinfarkt Einhalt geboten, sondern in einem erheblichen Umfang auch Kosten eingespart werden (beispielsweise durch eine günstigere Flächenausnutzung der Grundstücke, die Verminderung der Heizkosten durch geringere Außenwandanteile oder die Möglichkeiten der seriellen Vorfertigung von Bauteilen), so dass für junge Familien Wohnraum wieder bezahlbar wird. Auch negative Folgen der Suburbanisierung für das soziale Gefüge können durch verdichteten Wohnungs- und Siedlungsbau verhindert werden, die offenkundige Ausgrenzung von Minderjährigen, Behinderten, Älteren oder sozial Schwachen etwa, für die es in Zonen mit niedriger Bevölkerungsdichte oft nur ein beschränktes Angebot an Dienstleistungen und öffentliche Einrichtungen gibt, oder die zunehmende Gettoisierung städtischer Gebiete durch die Abwanderung derer, die es sich leisten können. Doch leider führt dieses Thema bei vielen Gemeinden und Bauträgern nach wie vor ein Schattendasein und so wundert es auch nicht, dass die Nachfrage nach solchen Wohnformen bei der Bevölkerung gering ist und der Wohnungsbau gemeinhin als Stiefkind deutscher Architekten gilt. In der Schweiz, in Österreich, in Dänemark und vor allem in den Niederlanden (siehe Seite 2ff.) ist das bekanntermaßen anders. Das Ziel müsste sein, auch hierzulande verstärkt gute Architekten dafür zu gewinnen, um das Feld nicht nur den Bauträgern mit ihren eintönigen Plänen aus der Schublade zu überlassen. Wie innovative, nachhaltige und gestalterisch ansprechende Lösungen für einen verdichteten Wohnungs- und Siedlungsbau aussehen können, zeigen die ausgewählten Beispiele in diesem Heft. Arne Barth

Inhalt

Zum Thema
Beobachtungen zum Reihenhausbau in den Niederlanden und in Deutschland | Sascha Jenke

Beispiele
Wohnsiedlung »Im Raiser« in Stuttgart | Kohlmayer Oberst Architekten
Teppichhäuser in Tallinn | Emil Urbel
Wohnanlage »Lukas-Areal« in Dresden | Thomas Müller Ivan Reimann Gesellschaft von Architekten mbH
Reihenhaussiedlung in Darmstadt-Kranichstein | Zimmermann Leber Feilberg Architekten
Reihenhaussiedlung in Köln-Ossendorf | Böttger Architekten
Wohnanlage »Rebgässli« in Allschwil | Amrein Giger Architekten GmbH
Wohnanlage »138 Barcom Avenue« in Sydney | Engelen Moore
Generationenübergreifendes Wohnen in Mainz | 03 München,Büro für Städtebau & Architektur
Reihenhauszeile »Have Mews« in London | Buckley Gray Yeoman
Wohnanlage »Breevaarthoek« in Gouda | KCAP Architects and Planners
Reihenhäuser in Kanoya | NKS architects
Wohnbebauung in Galbally | O’Donnell + Tuomey Architects
Wohnanlage »Van Starkenborgh« in Groningen | AAS Architecten
Reihenhäuser in Sistrans | Holzbox ZT GmbH

Projekte
Wohnanlage »Familjeband« in Stockholm | Realarchitektur
Wohnanlage in Næstved | Dorte Mandrup Arkitekter
Wohnsiedlung »Ringgården« bei Århus | Schmidt, Hammer, Lassen K/S und Herzog + Partner

Wettbewerbe
Wohnbebauung Thyrsusstraße in Trier
Wohnen auf dem »Zelgli-Areal« in Winterthur

Teppichhäuser in Tallinn

Das Grundstück liegt im Grüngürtel Tallinns direkt an einer wichtigen Durchgangsstraße. Die Gegend hat sich in den letzten Jahren zu einem beliebten Wohngebiet entwickelt, die Grundstückspreise sind entsprechend hoch. Daher versuchten die Architekten so kompakt wie möglich zu bauen. Letztendlich ähnelt die Dichte in der Tat eher der eines Wohnblocks als der einer gewöhnlichen vorstädtischen Reihenhausbebauung. Zudem konnten die Baukosten durch vorgefertigte, mit Holz beplankte Konstruktionselemente mit lediglich 740 Euro pro Quadratmeter vergleichsweise niedrig gehalten werden. Das Gebäude selbst ist im Grunde eine Kombination aus zwei Reihenhäusern mit jeweils vier Einheiten und einem dazwischen liegenden Zaun. Die niedrigere Reihe im Westen nimmt vier zweigeschossige Wohnungen auf. Jeder Wohnung ist ein eigener Stellplatz zugeordnet, zudem gibt es jeweils eine Abendterrasse zur Straße und einen kleinen Garten hinter dem Haus. Die Baugruppe der höheren Reihe im Osten ist in vier Erdgeschosswohnungen mit Hinterhof und vier darüber liegende zweigeschossige Wohnungen mit je einer Dachterrasse gegliedert. Jede der insgesamt zwölf Wohnungen verfügt über einen separaten Zugang von der Straße.

Architektur + Wettbewerbe, Do., 2005.09.15

15. September 2005



verknüpfte Bauwerke
Teppichhäuser in Tallinn

Reihenhaussiedlung in Darmstadt-Kranichstein

Am südwestlichen Rand des Darmstädter Stadtteils Kranichstein wurde ein neues stadtnahes Wohnquartier geplant. Einer Bauherrengemeinschaft wurden dazu von der Stadt Grundstücke für vier Hausgruppen mit vier bis sechs Hauseinheiten zur Verfügung gestellt. Insgesamt entstanden 22 Reihenhäuser mit Wohnflächen von 112 bis 173 Quadratmeter. Die Häuser und die dazugehörigen Außenbereiche wurden mittels Mauern, Pergolen und Nebengebäuden klar und fein abgestuft zoniert und als untrennbare Einheiten festgeschrieben. Durch ihre bauliche Fassung werden die Außenbereiche zu »Außen-Raumkörpern«, die gleichberechtigt neben den eigentlichen Gebäuden stehen. Innen und Außen greifen ineinander und korrespondieren miteinander. Alle Dachflächen wurden begrünt, so dass eine positive ökologische Ausgleichsbilanz erzielt werden konnte. Mit der Zeit wird das Grün das raumbildende, orts- und gestaltprägende Merkmal des Quartiers werden.

Die straff und funktional organisierten Grundrisse der Häuser zeichnen sich durch großzügige Raumzusammenhänge im Erdgeschoss, gut möblierbare Zimmer im Obergeschoss und eine Minimierung der Verkehrsflächen aus. Die kompakte Gebäudegeometrie führt zudem zu einer Reduzierung der Hüllflächen. Zusammen mit der Verwendung von Holz als Baumaterial und einem hohen Dämmstoffanteil im Bereich der Außenwände konnte der Niedrigenergiestandard problemlos erreicht werden.

Es gibt drei unterschiedliche, frei wählbare Hausbreiten (5,0, 5,5 und 6,0 Meter) mit entsprechend unterschiedlichen Grundstücksgrößen. Die Wohnfläche jedes Hauses kann durch die Montage eines Studios auf dem Flachdach jederzeit – auch nachträglich – um etwa 25 Quadratmeter und eine dazugehörige Dachterrasse erweitert werden. Der neue Wohnraum wird über eine Treppe erschlossen, die in der Deckenöffnung des ehemaligen Oberlichtbandes geführt wird. Die Konstruktion besteht aus vorgefertigten, elementierten Massivholztafeln mit den Vorteilen einer hohen Fertigungspräzision, Oberflächen in Ausbauqualität und einer kurzen Bauzeit.
In direkter Nachbarschaft zum Grundtyp wurde für eine weitere Bauherrengemeinschaft ein Ost-West-Typ entwickelt, der von Westen her erschlossen wird. Sieben dieser Häuser wurden im Sommer 2004 fertig gestellt, zehn weitere sind in Planung. Die Häuser entstanden mit einer Wohnfläche von 152 bis 192 Quadratmetern und bieten ebenfalls die Option eines Dachstudios mit großer Dachterrasse. Alle Häuser sind teilunterkellert; das Bausystem besteht ebenso aus vorgefertigten Massivholztafeln.

Architektur + Wettbewerbe, Do., 2005.09.15

15. September 2005



verknüpfte Bauwerke
Reihenhaussiedlung in Darmstadt-Kranichstein

Generationenübergreifendes Wohnen in Mainz

Mit dem Projekt »Generationsübergreifendes Wohnen« wurde in der Mainzer Neustadt eine Wohnbebauung im geförderten Wohnungsbau realisiert, die das Zusammenleben und die Kommunikation mehrerer Generationen fördert. Geplant wurden insgesamt 55 Wohnungen für unterschiedliche Benutzergruppen wie ältere Menschen, junge Familien, Behinderte, Alleinerziehende und Singles. Das Projekt ging auf einen Architektenwettbewerb aus dem Jahr 1999 zurück, bei dem die Architekten einen zweiten Preis erhielten und für die Planung auf dem Grundstück Nackstraße empfohlen wurden.

Die zentrumsnahe Lage bietet zusammen mit der bereits vorhandenen Infrastruktur in unmittelbarer Nähe einen hohen Grad an Mobilität gerade für ältere und behinderte Menschen. Die Wohnungen der eher ruhebedürftigen älteren Bewohner befinden sich in der Leibnizstraße in unmittelbarer Nähe zu dem vorhandenen parkartigen Grünbestand. Die Wohnungen für Familien und Alleinerziehende liegen hingegen in der Nackstraße mit Zuordnung zu einem Spielhof zwischen den Gebäudezeilen. Kinderwagen- und Fahrradabstellmöglichkeiten sind barrierefrei zu erreichen.

Geplant wurden darüber hinaus ein Café in der Leibnizstraße, ein Gewerberaum in der Nackstraße und ein Gästezimmer für Besucher. Im Erdgeschoss der Hofzeile Nackstraße gibt es zudem Räume für soziale Dienstleistungen und drei Heimarbeitsplätze, von denen zwei flexibel angemietet werden können. Treffpunkt für die Bewohner und Bindeglied zwischen der Leibniz- und der Nackstraße ist das zentral gelegene Gemeinschaftshaus am Kamin.

Die »Einstülpung« erzeugt klar definierte Räume und schafft einen attraktiven Innenbereich. Von hier aus werden die an der Gasse liegenden Wohnungen direkt erschlossen. Zusätzlich zu den gemeinschaftlich genutzten Räumen Gasse, Hof und Garten ist jeder Wohnung ein privater Freibereich zugeordnet, der entsprechend der unterschiedlichen Wohnungsgrößen und Bewohner vom kleinen Balkon einer Seniorenwohnung bis zum Privatgarten für eine Familie reicht.

Architektur + Wettbewerbe, Do., 2005.09.15

15. September 2005



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Generationenübergreifendes Wohnen in Mainz

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