Editorial

Ungeachtet weltweiter ökonomischer Krisen ist das Interesse der Menschen an Museen und Ausstellungen seit Jahren ungebrochen. Allein in Deutschland wurden bei der letzten statistischen Erhebung im Jahr 2002 mehr als 100 Millionen Museumsbesucher gezählt – Tendenz steigend. Doch nicht nur in der Bundesrepublik, die mit über 6000 öffentlich zugänglichen Sammlungen mittlerweile ohnehin über die größte »Museumsdichte« der Welt verfügt, auch anderorts lässt sich kaum eine einigermaßen bedeutende Stadt ausmachen, die trotz angespannter Haushaltslage in den letzten Jahren nicht wenigstens ein neues Ausstellungsgebäude eröffnet hat oder zumindest den Baubeginn eines solchen vermelden konnte.

Zeitgenössische Museen zählen mittlerweile zu den am meisten beachteten Bauten im öffentlichen Raum. Immer mehr Gemeinden – auch kleinere oder solche, die zumindest unter kulturellen Gesichtspunkten bislang eher weiße Flecken auf der Landkarte waren – setzen dabei auf den »Bilbao-Effekt«. Seit Frank O. Gehry 1997 in der baskischen Hauptstadt für die Guggenheim-Stiftung eine seiner Aufsehen erregenden Bauskulpturen errichtete, die jährlich mehr als eine Million Besucher anlockt, wünschen sich viele Städte ebenfalls ein »Markenprodukt von einem Stararchitekten« und hoffen auf eine kulturelle und wirtschaftliche Initialzündung – nicht selten vergeblich.

Dass die spektakulären, meist selbst zu Kunstwerken erhobenen Gebäude oft wichtiger geworden sind, als die dort ausgestellten Exponate, scheint kaum jemanden zu stören. Im Gegenteil: Die meisten Museen werden derzeit ganz bewusst als »hybride Gebäude« geplant und nicht als neutrale, rein funktionale »Behälter« für die dort gesammelten und zur Schau gestellten Natur- und Kunstgegenstände. Großzügige Foyer- und Aufenthaltsbereiche, Cafés, Bars und Restaurants, Shops und Buchhandlungen, Auditorien und Kinosäle, Bibliotheken, Studienzentren und Konferenzbereiche sind bei der zunehmenden programmatischen Komplexität vieler Museen mittlerweile Standard und werden gerne auch außerhalb der Öffnungszeiten zu ganz anderen Zwecken – beispielsweise für Modeschauen oder Produktpräsentationen – genutzt. Die Grenzen zwischen Kunst und Kommerz verwischen zunehmend. Aufgrund der hohen Bau- und Betriebskosten sind sich die Leiter und die Kuratoren der Museen und Galerien bewusst, dass sie sich auf einen Spagat einlassen müssen, um den Anforderungen der Sponsoren und den Wünschen der großen Masse der Besucher so weit wie möglich und eben noch vertretbar entgegen zu kommen. Den anzustrebenden »goldenen Mittelweg« beschreibt Michael Eissenhauer, der Präsident des Deutschen Museumsbundes, wie folgt: »Eine Architektur, die auf die Plätze zwingt und definiert, dass ein bestimmtes Bild nur an diesem Ort gestellt oder gehängt werden kann, ist sicherlich nicht eine Museumsarchitektur, die uns weiterbringen kann. Aber eine Museumsarchitektur, die eine eigene Geste entwickelt und eine Selbstständigkeit formuliert und sich selber auch provozierend nach außen artikuliert, muss für eine starke Sammlung überhaupt kein Handicap sein, sondern eine Herausforderung.« Die Mehrzahl der Architekten der in diesem Heft vorgestellten Bauten und Projekte ist diesen Weg mit Erfolg gegangen.

Arne Barth

Inhalt

Zum Thema
Gedanken beim Sammeln von Sammlern | Peter Rumpf

Beispiele
Archäologisches Museum in Almeria | Paredes Pedrosa Arquitectos
Naturwissenschaftliches Museum in Matsunoyama | Tezuka Architects
Nordisches Aquarellmuseum in Skärhamn | Niels Bruun & Henrik Corfitsen
Sammlung Albers-Honegger in Mouans-Sartoux | Gigon/Guyer Architectes
Lewis Glucksman Galerie in Cork | O’Donell + Tuomey Architects
Kunstmuseum in Stuttgart | Hascher Jehle Architektur
Museum der Moderne in Salzburg | Friedrich Hoff Zwink Architekten
Museum Franz Gertsch in Burgdorf | Jörg + Sturm Architekten AG
Museum Lothar Fischer in Neumarkt | Berschneider + Berschneider
Ausstellungsgebäude für die Galerie für Zeitgenössische Kunst in Leipzig | AS-IF Architekten

Projekte
Dokumentations- und Informationszentrum der Gedenkstätte Bergen-Belsen | KSP Engel und Zimmermann Architekten
Literaturmuseum der Moderne in Marbach am Neckar | David Chipperfield Architects
Forschungspark Süd, Süddänische Universität und Konzerthalle in Sønderborg | 3XNielsen A/S

Wettbewerbe
Westfälisches Landesmuseum für Kunst- und Kulturgeschichte in Münster
Porsche-Museum in Stuttgart-Zuffenhausen
Touristische Erschließung der Himmelsscheibe von Nebra
Museum der schönen Künste in Lausanne
Brückengalerie in Krakau

Hochschularbeiten
Haus und Museum der jüdischen Kultur in Köln | Sonja Hesselmann und Dorothee Wittag

Kunstmuseum in Stuttgart

Kaum ein Stuttgarter Bauprojekt wurde so viel diskutiert wie der Neubau für die städtische Kunstsammlung – nicht zuletzt wegen seiner prominenten Lage mitten im Zentrum der Stadt: Im März 2002 musste der Kleine Schlossplatz – ein von Anfang an problematisches Verkehrsbauwerk der Nachkriegszeit – dem Museumsneubau weichen. Bis es soweit war, brauchte es jedoch zwei Jahrzehnte, drei Wettbewerbe und ein Gutachten. 1999 schließlich war der Entwurf der Berliner Architekten Hascher + Jehle als Sieger aus einem internationalen Wettbewerb hervorgegangen. Da der gesamte Schlossplatz von Bauwerken unterschiedlicher Epochen begrenzt ist, die ihre jeweils eigene Sprache sprechen, entschieden sie sich für einen architektonischen Solitär, der städtebaulich eindeutig in der Königstraße steht und mit seiner Umgebung ein Ensemble bildet. Bewusst springt der Neubau leicht aus der Bauflucht der Königstraße zurück. Dadurch entsteht ein Eingangsbereich vor dem Museum, der dem Ort Großzügigkeit verleiht und den Blick auf den Portikus des Königsbaus frei gibt.

Die minimalistische Glasfassade des 26 Meter hohen Kubus hat mit ihrer verdichteten Bedruckung im unteren Bereich etwas Abgehobenes, bis zu einem gewissen Grad auch Abweisendes, Kühles. Der Haupteingang und das große Foyer dagegen sollen einladen, ohne aufdringlich zu sein. Kasse, Espressobar, Museumsshop und Garderobe machen das mit schwarzen Basalt-Lava-Platten ausgelegte Foyer zum Dreh- und Angelpunkt des Hauses und zugleich zur Übergangszone. Eine große Stahltreppe verbindet die vier Geschosse des Kubus mit den beiden Hauptausstellungsebenen im Erd- und Untergeschoss. Die ersten beiden Ausstellungsebenen des Kubus sind über einen zentralen Raum, der sich durch beide Etagen zieht, miteinander verbunden. Der größte Ausstellungsraum des gesamten Museums befindet sich im 3.Obergeschoss. Die selbst öffnenden Glastüren erlauben in allen Stockwerken jederzeit ein Hinaustreten in die Kubusumgänge mit ihrem Panoramablick auf Stuttgarts Innenstadt und die umliegenden Hänge.

Für die Verkleidung des inneren Würfels wurden Krustenplatten in Solnhofer Jura-Kalkstein gewählt. Der warme Farbton, die prähistorischen Einschlüsse und die raue Oberfläche der Platten stehen in bewusstem Kontrast zur kühlen Glasfassade und zum silbrig-matten Glasbelag der Umgänge und des Haupttreppenhauses. Auf der Oberseite des Steinwürfels bietet ein rundum verglastes Restaurant ebenfalls einen Rundblick über die Stadt.

Für den Besucher überraschend mag die unerwartete Dimension der unter dem Kleinen Schlossplatz liegenden Ausstellungsfläche im Erdgeschoss sein, die man unmittelbar nach Passieren der so genannten Spange – eines quer liegenden Ausstellungs- und Veranstaltungsraums – erreicht. Entlang der durch ein Oberlicht natürlich belichteten 60 Meter langen Hauptachse gehen links verschiedene Ausstellungsräume ab, rechts öffnen sich große Durchbrüche zum Untergeschoss. Brücken schaffen den Übergang zu einer Reihe annähernd gleich großer, rechteckiger Räume.
Die Sichtbetonwände des Erdgeschosses lagern auf der darunter verlaufenden langen Wand im Untergeschoss. Sie und auch die ihr gegenüber liegende Wand bilden die Begrenzung zu den unmittelbar neben dem Museumsbau verlaufenden Tunnelröhren. Erst mit Betreten des Untergeschosses wird erkennbar, dass die 115 Meter lange und 14 Meter breite Fläche sich ihrerseits aus einer still gelegten Tunnelröhre ergeben hat. Von diesem Standort aus erklärt sich auch die Ausrichtung des gesamten Gebäudes: Der Verlauf des Tunnels bildet die Achse, nach der sich Erd- und Untergeschoss orientieren. Auch die um sechs Grad aus dem rechten Winkel abweichende, zum Königsbau parallel verlaufende Wand in allen Kubusetagen folgt dieser Vorgabe. Aus diesem Grund haben alle Räume im Untergeschoss maximal zwei rechte Winkel.
In nicht öffentlichen Bereichen hinter den Ausstellungsflächen im Erd- und Untergeschoss befinden sich Depots, Lager- und Packräume. Da für Sonderausstellungen Kunstwerke angeliefert und abgeholt werden müssen, wurde im Untergeschoss eine Anlieferungszone integriert, die aus dem Tunnel abzweigt. Im Museum selbst gibt es keine Verwaltungsräume oder Werkstätten. Dafür wurden Räume in einem benachbarten Geschäftshaus angemietet.

Architektur + Wettbewerbe, Mi., 2005.06.15

15. Juni 2005



verknüpfte Bauwerke
Kunstmuseum Stuttgart

Museum Lothar Fischer in Neumarkt

Ein Haus für die Kunst zu schaffen, war das gemeinsame Ziel der Architekten und des Künstlers Lothar Fischer, der in diesem seltenen Fall die Planung »seines« Museums selbst begleiten konnte. Entstanden ist ein schlichtes, spannungsvolles Gebäude mit markanten Öffnungen, die alle eine bestimmte Funktion der Lichtführung übernehmen. Im Dialog mit dem Künstler lernten die Architekten welches Material der Kunstwerke – Eisen, Gips, Ton oder Bronze – bei welchem (Tages)Licht am besten zur Geltung kommt und den gewünschten Kontrast zeigt. Das Museum steht an exponierter Stelle am Stadtpark der oberpfälzerischen Kleinstadt Neumarkt. Obwohl der aus strengen Quadern komponierte Baukörper selbst einer Skulptur gleicht, spielt sich das Gebäude nicht in den Vordergrund, sondern bietet einen zurückhaltenden Rahmen für die ausgestellten Kunstwerke.

Die Wegeführung durch das Museum ist einfach, aber nicht eintönig. Durch eine überraschende Lichtführung mittels raffiniert gesetzter Öffnungen und durch spannende Blickbeziehungen können die Besucher das Haus und die darin ausgestellte Kunst zu verschiedenen Tages- und Jahreszeiten immer wieder neu erleben. Die Reduktion auf wenige Materialien und die Klarheit und Strenge der Formen unterstützen zusätzlich die Wirkung der Räume und der plastischen Kunst Lothar Fischers und anderer Künstler. Die einzigen markanten Farbtupfer der ansonsten strengen Gebäudehülle sind das quadratische rote Eingangstor und der rote Aufzugskern des angegliederten, transparenten Treppenturms.

Die notwendige Technik wurde im Museum weitgehend »versteckt«. Ein wichtiger Faktor war dabei die Nutzung der Erdwärme: Mittels Betonkernaktivierung in Decken und Wänden konnte auf sichtbare Heizkörper verzichtet werden. Die notwendigen Lüftungsschlitze »tarnen« sich als Schattenfugen zwischen Decken und Wänden. Ist doch einmal Kunstlicht nötig, so strahlen eigens entwickelte, bündig in die Wände eingelassene Linienleuchten auf die Decken- und Wandflächen. Trotz der Strenge der Räume ist das Museum keineswegs introvertiert. Überall gibt es bewusst gesetzte »Kontaktpunkte« zum umgebenden Park. Vitrinen und Glasflächen lassen das Grün des Parks im Museum selbst wie Bilder in den Wandflächen erscheinen. Gleichzeitig erlebt der Spaziergänger von außen Einblicke in das Gebäude – ein lebendiger Dialog zwischen innen und außen.

Architektur + Wettbewerbe, Mi., 2005.06.15

15. Juni 2005



verknüpfte Bauwerke
Museum Lothar Fischer

Dokumentations- und Informationszentrum

Das Gebäude des Dokumentationszentrums erschließt dem Besucher durch seine Ausrichtung und räumliche Ausbildung das ehemalige Lagergelände. Der Gang auf das Gelände beginnt als »steinerner Weg« am Vorplatz der Gedenkstätte, läuft als Teil des Gebäudes durch den Neubau hindurch und führt den Besucher weiter auf das ehemalige Lagergelände. Der Weg durch das Gebäude ist das verbindende Element von Außenanlagen und Architektur. Das Dokumentationszentrum liegt als lang gestreckter Baukörper aus Sichtbeton in einer Schneise des heute dicht bestandenen Waldes, die dem ursprünglichen Verlauf der Landstraße WalleHörsten folgt. Der Neubau steht außerhalb des heutigen Friedhofs- und Gedenkstättengeländes und schiebt sich schwebend nur wenige Meter über die ehemalige Lagergrenze hinaus.

Die inszenierte Wegeführung im Außenraum findet sich im Inneren des Gebäudes wieder: Ein Weg-Raumkontinuum wird überlagert von unterschiedlich großen Innenräumen. Richtungswechsel und Abfolge verschiedener Raumhöhen sowie wenige, gezielte Ausblicke in dem ansonsten geschlossenen Baukörper sollen die Besucher von ihrer Alltagswelt distanzieren und helfen, sich dem Thema anzunähern.

Der Rundgang führt die Besucher von einem zweigeschossigen »Einstimmungsbereich« in die thematische Ausstellung zum Kriegsgefangenenlager. Es schließt sich eine lang gestreckte und leicht ansteigende große Ausstellungshalle an, in der die Geschichte des Konzentrationslagers dargestellt wird. Das Ende der Ausstellungshalle ist zugleich Wendepunkt in der Wegeführung und dient der »historisch-topografischen Information«. Dies ist der Bereich der Überlagerung mit dem ehemaligen Lagergelände. Ein großer Einschnitt im Baukörper ermöglicht den Rundblick hinaus und lässt das ehemalige Lagergelände somit zu einem Teil der Ausstellung werden. Im Obergeschoss setzt sich der Weg durch die Ausstellung fort und ermöglicht Rückblicke in die große Halle, in den »Einstimmungsraum« und in den Außenraum. Eine Bibliothek und eine Cafeteria sowie Archiv und Büroräume ergänzen und erweitern die Nutzung des Dokumentationszentrums.

Die Konzeption des Neubaus basiert auf der Idee einer be gehbaren Skulptur. Die Ausbildung in Sichtbeton erlaubt, alle Oberflächen gleich zu gestalten, so dass ein homogenes Raumgefüge entsteht. Das inhaltliche Thema des Gebäudes steht im Mittelpunkt. Dem entsprechen der Minimalismus des Materials und eine Klarheit in der inneren Gestaltung.

Architektur + Wettbewerbe, Mi., 2005.06.15

15. Juni 2005



verknüpfte Bauwerke
Dokumentations- und Informationszentrum der Gedenkstätte Bergen-Belsen

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