Editorial

Resiliente Stadtplanung ist darauf ausgerichtet, urbane Systeme widerstandsfähig gegenüber verschiedenen Herausforderungen zu gestalten. Müssen sich Städte künftig schneller an neue Bedingungen anpassen, kann Künstliche Intelligenz ein Schlüssel hierfür sein, um in kurzer Zeit und mit knappen Ressourcen auf extreme Ereignisse reagieren zu können. Der ETH Zürich Lehrstuhl Gramazio Kohler Research, zusammen mit Müller Illien Landschaftsarchitekten und Timbatec AG entwickelten mit Industrie- und Forschungspartner eine 22,5 m hohe, bepflanzte architektonische Skulptur namens »Semiramis«, die im Frühjahr 2022 auf dem Areal des Tech Clusters Zug (CH) errichtet wurde. Vier Roboterarme bauten die Struktur aus Holzplatten, basierend auf einem Entwurf, der durch einen maßgeschneiderten Machine-Learning-Algorithmus generiert wurde. Da auf dem Gelände nur an wenigen Orten Bäume gepflanzt werden können, entstand diese Idee der Bepflanzung. Die Skulptur soll als Bild des kreativen und intelligenten Umgangs mit Natur und Technologie im Quartier dienen.

Operaparken in Kopenhagen

Südlich der Kopenhagener Oper entwarf Cobe den von englischen Landschaftsgärten inspirierten Operaparken. Obwohl dieser zum Großteil den Deckel einer zweigeschossigen Tiefgarage bildet, entstand ein Ort der Rekreation und Vielfalt mitten in der Stadt.

»Unser Wunsch war vor allen Dingen, den Menschen in Kopenhagen mit dem Park eine Insel der Erholung, einen Ort der Ruhe zu bieten nahe dem Trubel des urbanen Lebens in der City«, erläutert Maj Wiwe, Landschaftsarchitektin und Leiterin des Projekts bei Cobe. »Es sollte nicht ein weiterer Sport- und Vergnügungspark werden, sondern ein Park in Anlehnung an die romantischen Landschaftsgärten Englands, in dem ich durch den Kontakt mit der Natur auftanken, abschalten und mich wie in eine Geschichte hineinziehen lassen kann.«

Cobe hatte 2019 das von der A.P. Møller-Stiftung für sechs eingeladene Büros ausgeschriebene Wettbewerbsverfahren für sich entscheiden können. Ziel des Wettbewerbs war eine Tiefgaragenlösung für die Besucher:innen der Oper in Verbindung mit einem Park gewesen. »Die Idee eines grünen Foyers für die Oper fanden wir sehr charmant und haben daher versucht, die Tiefgarage und den Park als eine Einheit zu begreifen«, erklärt Karoline Liedtke, Landschaftsarchitektin und Head of Landscape, die ebenfalls in dem Projekt mitgewirkt hat. »Zudem waren wir sehr froh, dass die Insel zwischen der Oper und der sogenannten Papierinsel, der jetzige Operaparken, nicht bebaut, sondern als Freiraum erhalten und gestaltet werden sollte.« 628 Bäume wurden auf dem 21 500 m² großen Inselpark gepflanzt – alle einzeln von Cobe ausgesucht. Zudem bilden nun 80 000 Stauden und Büsche sowie 40 000 Zwiebelpflanzen eine natürliche Farbkulisse im Wandel der Jahreszeiten.

Ein Park wie ein Bilderbuch

So wie früher in diesem Teil des Hafens die Welt durch Waren aus aller Herren Länder in die Stadt kam, sollten jetzt andere Länder und Kontinente durch eine entsprechende Vegetation in der Stadt sichtbar werden. Diesem Gedanken folgend, gliedert sich der Park in sechs Vegetationsbereiche: den dänischen Eichenwald, den nordischen Wald, den nordamerikanischen Wald, den englischen Garten, den orientalischen Garten und den subtropischen Garten im zentralen Gewächshaus. Jeder Bereich ist durch die entsprechende Vegetation geprägt und in jedem Garten ist jeweils ein Baum als Solitär stärker in Szene gesetzt.

Ein weiterer Aspekt des Entwurfs ist die Anordnung der Bepflanzung sowie des gesamten Außenraums wie auf einer Bühne oder in einem Gemälde mit Vorder-, Mittel- und Hintergrund. Dieses Bild baut sich von der Wasserseite her mit einem abgeflachten Promenadenbereich dicht über der Wasseroberfläche auf und endet hinter dem Pavillon mit den hohen Bäumen des nordamerikanischen Waldes. Insbesondere bei der Betrachtung des Parks aus der Vogelperspektive wird ein weiterer Entwurfsschwerpunkt deutlich: Alles ist organisch geformt, es sind (fast) keine Geraden zu erkennen.

Gewundene Wege und Pfade sorgen für Verlangsamung und auch sämtliche Gebäude und Einbauten folgen dieser Idee. Beeteinfassungen, Sitzbänke und auch die Granitstufen, die zum Wasser hinunterführen, mussten entsprechend zugeschnitten werden. Verschlungene Wege und immer wieder neue Perspektiven und Aussichtspunkte, dichtere, dunklere Bepflanzungen auf der einen, kleine Lichtungen auf der anderen Seite, ergänzt durch drei größere freie Grünflächen sowie drei unterschiedliche Wasserspiele (Fontänenteich, Seerosenteich und Spiegelbecken) und mehrere kleine Rundbauten, prägen das Erscheinungsbild des Parks. In seinem Zentrum steht der Pavillon, der in seiner Architektursprache mit geschwungener Glasfassade, dem scheinbar schwebenden Dach und den filigranen Metallgeländern stark an Bauten der 1950er Jahre erinnert. In der Mitte des Wintergarten-Pavillons befindet sich das Atrium, in dem die grüne Verbindung zur Tiefgarage wächst.
Nachhaltigkeit und Ökologie

300 Stellplätze stehen sowohl den Besucher:innen der Oper als auch der allgemeinen Öffentlichkeit auf zwei Tiefgeschossen zur Verfügung, davon 50 mit E-Ladestation. Aus der Tiefgarage gibt es zwei Aufgänge nach oben: den beschriebenen zentralen Aufgang, der in den Pavillon mit Café- und Restaurantnutzung führt, sowie einen kleineren Aufgang, der die Besucher:innen über einen überdachten und verglasten Gang trockenen Fußes bis unter das riesige Dach der Oper leitet. Die Zu- und Ausfahrt zur und aus der Tiefgarage erfolgt an der Nordostecke der Insel. Bereits hier fällt auf, dass auch eine ästhetische Verbindung zwischen Park und Tiefgarage geschaffen werden sollte: Die Einfassung der Tiefgarage wurde mit einer Lamellenschalung aus kanadischem Zedernholz verkleidet, die sich an den Innenwänden der Tiefgeschosse fortsetzt und so die Aufenthaltsqualität in der Garage erheblich steigert – ebenso wie das beschriebene begrünte Atrium, das eine Licht- und Blickverbindung nach oben schafft.

Auch wenn eine Tiefgarage und somit der Fokus auf die Erreichbarkeit der Oper mit dem Pkw in Bezug auf das Verkehrskonzept keine ökologische Lösung darstellt, wurden durch und in dem Park andere Aspekte der Ökologie wie Artenvielfalt und eine nachhaltige Wasserwirtschaft in den Blick genommen. So werden für die Versorgung der Pflanzen große, unterirdische Wassertanks genutzt, in denen das Regenwasser des riesigen Operndaches sowie der Gründächer von Pavillon und Glasgang gesammelt werden. In Retentionsbeeten wird ebenfalls Regenwasser bei Starkregenfällen aufgefangen und verlangsamt wieder abgegeben. Insgesamt ist die Pflege und Wartung des Parks kein Selbstgänger. Die relativ aufwendige Pflege wird über die Einnahmen aus der Tiefgaragennutzung finanziert.

Herausforderungen der Umsetzung

Aufwendig war auch der Bau der zweigeschossigen Tiefgarage. Bei den Gründungs- und Tiefbauarbeiten kam ein ursprünglich aus Deutschland stammendes Schlitzwand-System zum Tragen, um die Wasserdichtigkeit der Baugrube auf der künstlichen Insel gewährleisten zu können. In dem Verfahren wird mit einer speziellen Stützflüssigkeit sichergestellt, dass die Erdwände des Schlitzes während des Aushubs gehalten werden. Wenn der Aushub beendet ist, wird das eigentliche Abdichtungsmaterial, also der Stahlbeton, im Kontraktorverfahren durch eine Röhre von unten nach oben in den Schlitz eingebracht und die Suspension gleichzeitig abgepumpt. Erstmals wurde in diesem Projekt ein automatisches System mit Personal auf Stand-by zur kontinuierlichen Überwachung des Suspensionsspiegels eingesetzt. Aber auch die Pflanzarbeiten brachten auf Grund der ungewöhnlichen Klimabedingungen Schwierigkeiten mit sich. Hier war allerdings eher ein »Zuwenig« denn ein »Zuviel« an Wasser das Problem: »Während der Pflanzzeit war es hier in Kopenhagen ungewöhnlich trocken«, berichtet Projektleiterin Wiwe. »Die Pflanzen mussten also nicht nur gelagert, sondern in dieser Wartezeit auch ausreichend gewässert und versorgt werden – ein zeitintensives Unterfangen!« Die Verankerung der großen Bäume in den Erdschichten über der Tiefgarage und im Boden ist demgegenüber für Landschaftsarchitekt:innen ein übliches Verfahren und Stand der Technik.

Nur PKW-Pragmatismus?

Es sollte ein Park entstehen, der das ganze Jahr hindurch »funktioniert«. Dank des Wintergartens mit Café, das eben auch in den Wintermonaten geöffnet hat, ist dies gelungen. Nicht nur das Gebäude, auch der Park selbst sind gut besucht und werden von zahlreichen Besucher:innen angenommen. Und tatsächlich lässt sich auch im Winter die Vielfalt der Vegetation erahnen und die differenzierten Aufenthaltsqualitäten werden erlebbar – allerdings auf sehr viel begrenzterem Raum als ein englischer Landschaftspark dies in der Regel bieten kann. In dem Projekt sollte es aber auch nicht um ausschweifende Spaziergänge auf weitläufigem Terrain gehen, sondern um das Angebot, sich für kurze Zeit in die Natur zurückziehen zu können. Die Umschreibung des Parks als begrünter Pkw-Pragmatismus wird dem differenzierten Projekt nicht gerecht. Dennoch sollte die Diskussion über alternative Wege zum Erreichen von Kulturbauten in den Städten dringend stärker in den Fokus rücken.

db, Di., 2024.04.02

02. April 2024 Nina Greve

Platzumgestaltung Praterstern in Wien

Der Praterstern ist ein Ort mit vielen Menschen und vielen sozialen Friktionen. Nach etlichen glücklosen Umplanungen in den letzten Jahrzehnten wurde der Platz nun ein weiteres Mal erneuert – diesmal allerdings behutsam und nicht nur mit der Kraft von Architektur und Stadtplanung, sondern auch in enger Zusammenarbeit mit der Sucht- und Drogenkoordinationsstelle der Stadt Wien.

Die Straßenbahn 5, eine der längsten Linien Wiens, dreht gerade ihre Endschleife, der Bus 80A fährt in die Haltestelle ein, oben die S-Bahn mit Bahnsteigdurchsage, unten ein Polizeiwagen mit Blaulicht und Sirene, dazwischen liegt, irgendwo auf einer der vielen Bänke, ein obdachloser Mann, Schlafsack, Plastiktüte, Weißwein im Tetrapack.

Ein ganz normaler Moment am Praterstern, könnte man meinen, auf einem der quirligsten öffentlichen Stadträume Wiens, sagen die einen, mitten im ewigen Sorgenkind und Hotspot von Drogen, Alkohol und Kriminalität, sagen die anderen. »Und beides ist irgendwie richtig«, sagt Isabella Lehner-Oberndorfer, Sicherheitsbeauftragte in der Sucht- und Drogenkoordinationsstelle der Stadt Wien, »denn der Praterstern ist ein hochfrequentierter Ort, an dem Menschen aus unterschiedlichen sozialen Gruppen zusammenkommen, und das sorgt naturgemäß für Friktionen.« Pro Tag, so benennt es die Statistik, laufen hier 150 000 bis 200 000 Menschen über den Platz, steigen ein und aus und um, verlieren sich im Dickicht der sozialen Kontraste.

Schön ist der Platz schon lange nicht mehr. Nach den Bombenschäden im Zweiten Weltkrieg wurde der alte Nordbahnhof gesprengt und durch einen hässlichen Nutzbau in betonierter Hochlage ersetzt. Albert Wimmer stülpte 2007 eine gläserne Bahnhofshalle darüber, Boris Podrecca errichtete drei Jahre später eine Platzüberdachung mit ganz viel Metallgestänge und verdeckte damit die Bahnhofsuhr, und irgendwie wollte der Platz nie so richtig in die Gänge kommen. Statt in die Architekturgazetten schaffte es der Praterstern als Tatort von Vergewaltigungen und Messerstechereien immer bloß in die Boulevardmedien.

»Als 2014 klar wurde, dass die lokale Polizeistation von hier wegzieht und die alte Wachstube mitten am Platz frei wird«, erzählt Eric-Emanuel Tschaikner, CEO von KENH Architekten, »wurden wir eingeladen, für einen Gastronomen das Haus umzubauen, ein gestalterisches Konzept zu entwickeln und den unmittelbaren Freiraum rund um das Gebäude mitzuplanen.« Mit Erfolg. Der Gastronom pachtete das in den 1980er-Jahren errichtete Polizeihäuschen und startete mit den Planungen.

Als kurz darauf die Stadt Wien auf das Vorhaben aufmerksam wurde, praktischerweise knapp vor den Wiener Gemeinderatswahlen 2015, beschloss sie, die Ideen des Privatiers aufzugreifen, einen öffentlichen Wettbewerb für eine abermalige Umplanung des bis dahin erfolglosen, von vielen Menschen gemiedenen Platzes auszuschreiben, auf dem 2018 ein offizielles Waffen- und Alkoholverbot ausgehängt wurde, dem einzigen Ort mit Restriktionen dieser Art in ganz Wien – und die Renaissance des Pratersterns zum SPÖ-Wahlkampfthema hochzuzüchten.

KENH Architekten nahmen am zweistufigen Realisierungsverfahren teil und holten sich aus strategischen Gründen das Wiener Landschaftsplanungsbüro DD mit an Bord, schließlich haben Anna Detzlhofer und Sabine Dessovic mit öffentlichen Auftraggeber:innen und Projekten im öffentlichen Raum schon mehr als reichlich Erfahrung. Mit insgesamt 40 »Interventionen«, die punktuell ansetzen, ohne den bestehenden Platz komplett auf den Kopf zu stellen, belegte die Arbeitsgemeinschaft den 1. Platz. Im Herbst 2021 starteten die Bauarbeiten, im Sommer darauf wurden die letzten Arbeiten fertiggestellt.

»Am allerwichtigsten war uns, ein neues Narrativ auf den Platz zu bringen«, sagt Architekt Tschaikner. »Wir wollten das Stigma als Problemort mit Drogen, Alkohol und Kriminalität loswerden und stattdessen einen Platz für alle schaffen – für Kinder und Jugendliche, für Anrainer:innen aus der Umgebung, für Leute auf dem Weg von A nach B, aber natürlich nach wie vor einen Ort für Menschen aus marginalisierten Gruppen, die hier unter freiemHimmel ein Zuhause gefunden haben.« In enger Zusammenarbeit mit der Sucht- und Drogenkoordinationsstelle der Stadt Wien, die auf dem Platz schon seit vielen Jahren Sozialarbeit leistet und die Ängste und Bedürfnisse der unterschiedlichen Stakeholder gut kennt, wurde ein Sitz- und Aufenthaltskonzept entwickelt.

Dieses umfasst ein Spektrum an unterschiedlich dimensionierten Betonringen, die im Grundriss die Form des Praterstern-Kreisverkehrs aufnehmen. Bei den sogenannten Pratoiden (Copyright KENH) handelt es sich um Betonfertigteile in verschiedenen Radien, mal mit ebener Oberfläche, mal geböscht und gewölbt, mal mit laminierten Sitzauflagen, mal ohne, mal mit Armlehnen und Aufstehhilfen, mal ohne. Um das subjektive Sicherheitsgefühl am Platz zu steigern, wurden die scheinbar über dem Boden schwebenden Betonringe mit einer indirekten Beleuchtung ausgestattet. Ergänzt wird das Sitzkonzept von durchaus poetischen Betoneiern, die ein wenig wie frei platzierte Hinkelsteine mal da, mal dort herumliegen.

»Wir haben die Erfahrung gemacht, dass Menschen aus unterschiedlichen sozialen Gruppen sich eher in die Nähe von anderen wagen und sich dort wohlfühlen, wenn die Blickrichtungen voneinander wegweisen und nicht zueinander gerichtet sind«, erklärt Isabella Lehner-Oberndorfer. Auf den Betonringen sitzen die Menschen an warmen Tagen Rücken an Rücken, das scheint zu funktionieren. Die Platzierung der Sitzelemente folgt der Geografie des Platzes: Entlang der hochfrequentierten Wege gibt es eher Einzelsitze und geböschte Oberflächen fürs schnelle Hinsetzen zwischendurch, an den etwas abgelegenen Pfaden wiederum sind eher größere Sitz- und Liegeflächen zu finden – für die, die zu zweit kuscheln oder einfach nur alleine schlafen wollen. Interessantes Learning für andere Städte: »An den meisten Problemorten mit marginalisierten Gruppen und sozialen Friktionen werden die Sitzgelegenheiten in der Anzahl stark reduziert«, sagt Lehner-Oberndorfer. »Wir haben das Gegenteil gemacht! Wir haben so viele Sitzmöglichkeiten geschaffen, dass Menschen mit Alkoholproblemen und Obdachlosigkeiten das Angebot gar nicht ausfüllen können. Es gibt genug Verweilorte für alle.« Insgesamt wurden 192 offizielle Sitzmöglichkeiten geschaffen. »Und ja, das Konzept ist aufgegangen, es gibt keinerlei Raumkonkurrenz.«

Neben dem Sitzen zeichnet sich der mit »Interventionen« erfrischte, erneuerte Platz durch Licht, Grün und Wasser aus. Das Beleuchtungskonzept wurde vereinheitlicht und durch energieeffiziente LED-Masten ersetzt, die Versiegelungsfläche wurde reduziert, und wo es die Wege und Platzüberquerungen zugelassen haben, wurden begrünte Flächen vorgesehen. Um die genauen Flächen und Konturen zu bestimmen, wurden die Wege und Trampelpfade der Menschen analysiert. Schließlich wurde entlang des Kreisverkehrs Boris Podreccas Metallkranz entfernt, der den Praterstern einst wie eine Dornenkrone einfasste.

»Wir haben den Platz zum Teil großflächig entsiegelt, neue Rasenflächen geschaffen und das bestehende Material wie etwa Betonplatten und Granitpflaster behutsam entfernt und im Sinne der Kreislaufwirtschaft an anderer Stelle wieder eingebaut«, sagt Sabine Dessovic, Partnerin bei DD Landschaftsplanung. Anstelle von Podreccas Einfassung, der für die Umgestaltung des Pratersterns übrigens keinerlei Verständnis hat und die Begrünungsmaßnahmen als »städtebauliche Gaudi«, »grünen Populismus« und »pseudo-ökologisches Krebsgeschwür« bezeichnet, wurde ein 1,4 m hoher Begrünungsring geschaffen, der v. a. als emotionaler, atmosphärischer Sichtschutz dient.

»Wir wollten den Autoverkehr etwas ausblenden, gleichzeitig aber keine neuen visuellen Barrieren schaffen. Daher haben wir die Höhe beschränkt. Zugleich haben wir uns um eine Auswahl mit robusten, klimaresistenten Pflanzen und möglichst langer Blütenabfolge bemüht.« Weitaus komplexer war das Pflanzen der insgesamt 44 neuen Bäume – darunter Platanen, Kastanien, Robinien, Ulmen und Zelkoven. Um das Urban-Heat-Phänomen nicht erst in vielen Jahren, sondern schon jetzt einzudämmen, entschied sich DD, zum Teil erwachsene, bis zu 20 Jahre Bäume einzusetzen.

»Und das war alles andere als einfach«, so Dessovic. »Wir sind den gesamten Platz mit dem ober- und unterirdischen Leitungs- und Installationsplan abgegangen, der aussieht wie ein wilder Spaghetti-Teller, und ich kann mit bestem Gewissen sagen: Es gibt heute keinen einzigen Quadratmeter mehr, an dem man noch einen weiteren Baum pflanzen könnte. Alle Reserven sind ausgeschöpft, mehr geht nicht mehr.« Schon jetzt ist die subjektiv gefühlte Temperatur im Hochsommer, wie Studien ergeben haben, um 10 bis 15 Grad Celcius kühler als die tatsächliche Umgebungstemperatur.

Highlight des neuen Pratersterns jedoch – unscheinbar in der kalten Jahreszeit, ein erfrischendes Paradies im heißen Sommer – ist das 500 m² große Wasserspiel in der innenstadtzugewandten Platzmitte. Aus rund 250 Auslässen in der Bodenplatte sprudeln je nach Wetter in einer auf das jeweilige Klima abgestimmten Choreografie Wasser und feuchter Nebel. Nicht nur Kinder, sondern auch Erwachsene aus allen möglichen Kulturen und Lebenswelten laufen an heißen Sommertagen durch die Wolke aus Abkühlung und Lebensfreude.

»Wir machen wirklich viele Projekte im öffentlichen Raum«, sagt Sabine Dessovic, »aber wir haben selten so viel positive Resonanz in Form von E-Mails und Anrufen erhalten, von Medien, aber auch von Menschen, die den Praterstern nun neu kennengelernt haben und uns kontaktieren und sich für die Planung bedanken möchten.« Die Dutzenden, Hunderten, Tausenden Silhouetten, die sich in der allsommerlichen Hitze mit Wasser umgeben, tun ihr Übriges. Ruhe, Kindergeschrei und zwischenmenschliches Chaos an einem Ort in lokaler Überlagerung. Schönheit, lehrt uns dieser Ort, ist in allererster Linie ein sozialer Aspekt. So gesehen ist der Praterstern nun endlich schön geworden.

db, Di., 2024.04.02

02. April 2024 Wojciech Czaja



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