Editorial
Der Gegensatz von Zentrum und Randgebiet löst sich immer weiter auf; Funktionen wandern vermehrt von der Stadtmitte hinaus an die Peripherie. Neue Lagen, Magnete, Knoten, Zentren entstehen.
Der Stadtplaner Thomas Sieverts attestiert den Zwischenstädten ein außerordentliches Entwicklungspotenzial. Er fordert sogar die Auflösung der Dichotomie von Städtischem und Ländlichem und stattdessen dort, wo es bereits Infrastruktur gibt, Platz für vielschichtige Lebens-, Wohn-, Siedlungs- und Produktionsformen – gegen den ländlichen Flächenfraß. Dabei geht es weniger um gelernte, in ästhetischen Debatten zerredete städtebauliche Leitbilder, als vielmehr darum, Beziehungen zu erkennen und ggf. zu stärken.
Auch wenn es bislang noch nicht die Regel ist, so lassen sich doch auch im Speckgürtel der Städte, in Randlagen und Gewerbegebieten architektonisch wertvolle Projekte finden. Sie setzen ein positives Zeichen, sorgen an Unorten für Ordnung oder machen spezifische Eigenheiten des Orts nutz- und erlebbar. | Achim Geissinger
Nahbarer Fremdkörper
(SUBTITLE) W&W-Campus in Kornwestheim
Am Ludwigsburger Siedlungsrand setzen neun mit Straßen, Plätzen und rigider Rasterstruktur stark städtisch wirkende Büroblocks und Parkhäuser ein überraschend massives Zeichen. Sie sind die »Duftmarke« eines durch Fusion stetig gewachsenen Versicherungskonzerns, der sich als solider Partner präsentiert und seinen Mitarbeitern eine angenehme Umgebung bietet. Trotz enormer Massierung von Flächen und Material versteht es der Campus, mit ausnehmend angenehmen Räumen und der ständigen Präsenz der umgebenden Landschaft zu trumpfen.
Dieses Projekt wirft eine ganze Reihe von Fragen auf. Was hat eine explizit großstädtische Struktur am Ortsrand eines Mittelzentrums zu suchen? Ist sie der Vorbote endgültigen Flächenfraßes? Wie korrespondiert der Hauptsitz eines Versicherungskonzerns mit schwäbischen Streuobstwiesen? Wäre nicht eine noch stärkere Verdichtung wünschenswert gewesen – und dies vielleicht besser an ganz anderer Stelle?
Doch der Reihe nach: 1921 wurde im kleinen Ort Wüstenrot bei Heilbronn das Bausparen erfunden. Die erste Bausparkasse der Welt verlegte 1930 ihren Sitz nach Ludwigsburg und erweiterte diesen später u. a. um einen 1972-74 nach Entwürfen von Ludwig Hilmar Kresse errichteten, 72 m hohen Büroturm, der, weithin sichtbar, eine wichtige Landmarke im Norden des Großraums Stuttgart bildet.
Wie vielerorts, haben die über Jahrzehnte hinweg mehr oder minder wild wuchernden Büro-Liegenschaften ihre beste Zeit hinter sich, und der inzwischen durch mehrere Fusionen stark angewachsene Konzern sah sich zur strategischen Neuordnung seiner Standorte gezwungen. Mit der Zielrichtung, den Ludwigsburger Standort schrittweise auszubauen und einen weiteren in der Stuttgarter Innenstadt zu verkleinern, sollte ein nichtoffener Wettbewerb Klärung über die Vorgehensweise bringen. Was er tat. Die Konkurrenten, allesamt mit großen Namen, mühten sich redlich um die Anbindung des angestammten Grundstücksteils in Ludwigsburg über eine unübersichtliche Kreuzung hinweg an ein später in Besitz genommenes Areal auf der Gemarkung der Nachbargemeinde Kornwestheim. O&O Baukunst hingegen schlugen die Konzentration des gesamten Raumprogramms auf der anderen Seite der Gemeindegrenze vor und eröffneten somit ganz neue Optionen für das dann frei werdende Gelände rund um das Hochhaus. Ob dieses nun zügig abgestoßen oder im Portfolio verbleibend für andere Nutzungen ertüchtigt werden soll, wird derzeit geprüft.
Formsuche
Das Gelände zwischen Autokino und scheinbar klar abgegrenztem Siedlungsrand wirkt neben Feldern und privaten Gartengrundstücken zumindest aus der Ferne wie ein Teil eines atemspendenden Grünzugs mitten im Siedlungsbrei. Hätten darauf nicht schon unauffällige Verwaltungsbauten gestanden, wäre einem die Ansiedlung von mehreren Tausend Arbeitsplätzen an dieser Stelle ziemlich abwegig vorgekommen.
Und so wirkt auch die massive Erscheinung der Neubauten – dicht, scharfkantig, steinern und stark farbig – zunächst einmal wie ein Faustschlag. Man muss aber ehrlich bleiben und anerkennen, dass zu dieser Kulturlandschaft auch die gebaute Umwelt gehört, die bereits vor langer Zeit über die Geländekuppen hinweggeschwappt und zum Zeichen des regionalen Wohlstands geworden ist. Kein Anlass also, vor einem selbstbewussten Auftritt zurückschrecken.
Einen echten Anknüpfungspunkt an benachbarte Bebauungsformen gibt es nicht. Die meisten Wohnhäuser und Gewerbebauten in der Nähe ducken sich weg hinter dichtes Abstandsgrün und verweigern genauso wie die kleinstädtischen Strukturen der beiden Gemeinden Qualitäten, die fortzuführen sich lohnen könnte.
Einen zweiten Hochpunkt neben dem bestehenden Hochhaus wusste die Bauherrschaft, auch wegen funktionaler Aspekte, zu unterdrücken. So kam der Grundgedanke von O&O voll zum Tragen, ein städtisches Quartier zu formen, das mit den Archetypen Straße, Gasse, Block und Innenhof operiert.
Offiziell wird von einer dörflichen Struktur gesprochen, die an den Gründungsort Wüstenrot erinnern soll. Dies erscheint weit hergeholt, zumal sich die sieben Büro- und zwei Parkhäuser mit ihren Klinkerfassaden in Dimension und orthogonaler Strenge klarer für die Berliner Friedrichstraße empfehlen als für irgendeinen Ort rund um Ludwigsburg. Aber das ändert sich bereits: O&O bauen derzeit auch in Leinfelden und Stuttgart-Vaihingen ähnlich dimensionierte Städte in der Stadt, genauer: in der Gewerbeödnis, und etablieren damit ein klares Bekenntnis zu städtischer Dichte, wo bislang nur maßloser Flächenfraß zu verzeichnen war.
Den Mitarbeitern kommt dies dort wie hier insofern zugute, als ihr Arbeitsumfeld zu überschaubaren Einheiten in menschlichem Maßstab heruntergebrochen ist. In Kornwestheim basiert alles auf einem frei unterteilbaren Büromodul von 400 m², das zusammen mit einem zweiten und einem verbindenden Erschließungs- und Nebenraumblock einen L-förmigen Grundriss ergibt. Je zwei winklige Baukörper formen einen Block und umschließen einen Innenhof, darin wiederum einen rundum verglasten Tiefhof, der nach Art eines Kreuzgangs Flure aufnimmt und einzelne Seminarräume mit Tageslicht versorgt. Das Erklimmen der wenigen Geschosse erfordert nicht viel Aufwand und auch die Erschließung aller Blöcke über die »Straße«, an der alle Gebäude aufgereiht sind, erzeugt keine allzu langen Wege. Ist das Dach der Straße als Aufenthaltsraum im Freien konzipiert, so sind in die weiten Foyerflächen darunter Cafeterien als umschlossene Inseln eingestellt. Links und rechts der Erschließungsachse sind alle gemeinschaftlichen Funktionen wie Schulung und Tagung, sogar Räume für Sport und Freizeit angelagert. Schwierig, dem informellen Austausch in diesem zentralen, übersichtlichen, luftigen, von den Seiten her mit Tageslicht versorgten Bereich zu entgehen.
An allen Stellen profitieren die Nutzer von Blicken hinaus in die Landschaft mit ihren Feldern und Streuobstwiesen. Selbst in den Tiefgeschossen sind immer wieder Bezüge zum stark durchgrünten Außenraum zu erleben und bleibt die Gewissheit erhalten, jederzeit einen Austritt ins Freie zu finden.
Die Architekten betonen das große Glück, in gewisser Weise eine Idealstadt planen und bauen zu dürfen (der 2. Bauabschnitt befindet sich derzeit im Rohbau) und sich dazu einem verständigen Bauherrn gegenüberzusehen, dem Begriffe wie Wertigkeit und Qualität, aber auch Fürsorge nicht fremd sind und dessen Handeln sich nicht in Lippenbekenntnissen erschöpft. Wie in den angenehm zwischen Betonästhetik und der Wärme ausgesuchter Hölzer changierenden Innenräumen, so setzt man auch bei der äußeren Erscheinung auf den Ausdruck grundsolider, quasi klassischer, tektonischer Architektur und schwere Materialien. Die zwischen Raster- und Lochfassade unentschlossenen, dennoch sehr angenehm proportionierten Fassaden vermitteln durch ihre tiefen Laibungen eine steinerne Unerschütterlichkeit, die sich sicherlich auch dem einen oder anderen Besucher erschließt. Erkauft ist dies freilich mit einem zweischaligen Aufbau aus Betonstruktur und teils aufgemauerter, teils elementweise vorgehängter Vorsatzschale. Die warmtonigen Klinkersteine variieren farblich stark und bilden so ein lebendiges Bild – das man sich bei den Parkhäusern in Hinblick auf das dann doch irgendwann begrenzte Budget weitgehend verkniffen und durch nahezu schwarzes Streckmetall ersetzt hat. Neben dem satten Grün in der direkten Umgebung fallen diese dunklen Flächen als Abschluss der Bebauung zum offenen Feld hin weitaus weniger ins Gewicht als die leuchtenden Flächen der Büroquader.
Nächster Schritt: Offenheit
Der Modularität des gesamten Projekts (es lassen sich theoretisch einzelne Module ausklinken und fremdvermieten) hätte prinzipiell auch eine Modulbauweise, unter Nachhaltigkeitsaspekten freilich mit Holz, entsprochen. Doch zur Wettbewerbsausschreibung Anfang 2013 war man damit weder auf Auslober- noch auf Planerseite weit gediehen. Auch in Bezug auf Dämmstandards hat sich seither doch vieles getan. Die kleine Versicherungsstadt nutzt aber Fernwärme, Bauteilaktivierung, Wärmerückgewinnung und auch die Abwärme des Rechenzentrums – mit entsprechend gewaltigen Versorgungsschächten im Untergrund und reinen Technikgeschossen als Bekrönung der Bürohäuser.
In Bezug auf Struktur, Gestaltung und Atmosphäre der Architektur kann man sich schwer einen besseren Arbeitsplatz denken. Nicht ganz entspricht dieser hohen Wertigkeit die etwas unentschlossene, fast schon ins Unaufgeräumte spielende Ausstattung der Büroeteagen. Auf jeden Fall wirkt die Verzahnung des (aus der Ferne zunächst wehrhaft erscheinenden) Campus mit seiner Umgebung so stark, dass es dringend angeraten scheint, den dunkelgrün weggestrichenen Metallzaun schleunigst zu entfernen und die üppig begrünten Freiflächen der Stadtbevölkerung zugänglich zu machen. Spätestens dann würde alle Verwunderung über das »Zubauen« der Landschaft weichen.db, Fr., 2020.11.06
06. November 2020 Achim Geissinger
Mitten am Rand
(SUBTITLE) Rathaus in Remchingen
In der Gemeinde mit mehreren etwa gleichwertigen Teilorten gab es bislang nur zaghafte Versuche, eine Mitte zu bilden. Die enorm starke Setzung des neuen Rathauses bietet mit ihren klar gegliederten Fassaden aus Dämmbeton zwar keinerlei gestalterischen Bezug zur Umgebung, durch Struktur, Ausrichtung, Platzgestaltung und unterschiedliche Angebote hingegen umso mehr Anknüpfungspunkte – und mit den beiden gegensätzlichen Prinzipien von Solitärbildung und Einbindung auf verschiedenen Ebenen Möglichkeiten zur Identifikation.
Wer mit der Bahn von Stuttgart nach Karlsruhe fährt, bekommt wenig Landschaft und viel Zersiedelung zu sehen. Kurz nach Pforzheim hält der Zug noch einmal in Remchingen, einer Gemeinde, die als Paradebeispiel für das Phänomen »Zwischenstadt« dienen könnte: Mit ihrer guten S-Bahn-Anbindung eignet sie sich als preiswerte Wohnalternative zu den nahe gelegenen Großstädten und zählt inzwischen 12.000 Einwohner, ihr Charakter lässt sich schwer einordnen, sie ist weder Dorf noch Vorort noch Stadt. Die siedlungstypologische Unbestimmtheit rührt aber auch wesentlich von der Geschichte her, denn Remchingen entstand erst ab 1973 im Zuge der baden-württembergischen Gebietsreform als Zusammenschluss dreier kleinerer Gemeinden. Baulich sind sie über die Jahrzehnte enger zusammengewachsen, ohne jedoch ein richtiges Zentrum auszubilden. Wer hier aus dem Zug steigt, landet zunächst in einer Art Niemandsland zwischen den beiden Ortsteilen Wilferdingen und Singen. Die frühere Randlage lässt sich an den eingeschossigen Gewerbebauten einer Tankstelle und eines Pflanzenmarkts ablesen, ergänzt durch eine Kulturhalle und ein Seniorenheim, das noch immer Aussicht in die freie Landschaft bietet. Ein Blick auf den Stadtplan zeigt jedoch, dass der Bereich vor dem Bahnhof gleichzeitig so etwas wie die geografische Mitte der Gesamtgemeinde darstellt. Remchingen möchte hier ein neues Zentrum etablieren und hat zunächst mit der gezielten Ansiedlung von Einzelhandel begonnen. Ein Discounter und ein Drogeriemarkt verbessern seit Kurzem die Nahversorgung und locken einige Kundschaft an. Als weit ausgreifende Flachbauten mit großem Parkplatz errichtet, lassen sie allerdings eher an ein Gewerbegebiet denken als an ein verdichtetes Ortszentrum.
Ganz anders der jüngste Baustein, der zur Belebung der neuen Mitte beitragen soll: Das Rathaus präsentiert sich als hochkompakter Körper, dessen vier Geschosse schon eher eine gewisse Zentralität suggerieren. Damit überragt es fast alle anderen Bauten der Umgebung, markiert das neue Herz Remchingens sinnfällig in der Stadtsilhouette und strahlt ein Selbstvertrauen aus, das einem öffentlichen Gebäude gut zu Gesicht steht – endlich ist das größte Haus im Ort einmal nicht die Bank. Dass die Gemeinde sich hier mit einem so voluminösen Bauwerk darstellen kann, ist der Integration weiterer Nutzungen zu verdanken, die das Rathaus zu einem Multifunktionsbau machen. Nicht nur der Sitzungssaal und diverse Ämter, die sich bislang über den gesamten Ort verteilten, sind darin zusammengeführt, sondern auch die Polizeistation und eine öffentliche Bibliothek. Und nicht zuletzt findet im EG ein Brauhaus Platz – quasi als Ersatz für einen traditionellen Ratskeller.
Außenraum und Außenhaut
Geschickt wurde die konzeptionelle und gestalterische Setzung eines solcherart erweiterten Verwaltungszentrums genutzt, um die diffuse stadträumliche Situation zu klären. Standen die Kulturhalle und das Seniorenheim als Solitäre bislang beziehungslos nebeneinander, so werden sie jetzt durch den Neubau zu einem Ensemble ergänzt, das einen gut proportionierten Platz rahmt. Er eignet sich für Open-Air-Veranstaltungen im Zusammenhang mit der Halle, aber auch für Adventsmärkte o. Ä. Im Westen öffnet er sich zur Landschaft, im Osten schirmt das Rathaus ihn von der angrenzenden Bundesstraße ab. Um ihn dadurch jedoch nicht zum Hinterhof zu degradieren, erhebt sich das Gebäude auf einem fünfeckigen Grundriss, sodass zur Rechten und Linken ausreichend breite Freiräume verbleiben, die – trichterartig zulaufend – den Blick von der Straße gleichsam einsaugen und in Richtung des Platzes lenken. Auf die Lage zwischen diesen öffentlichen Räumen reagiert das Bauwerk folgerichtig mit dem Verzicht auf eine eindeutige Vorder- oder Rückfront und auf einen klaren Haupteingang. Vielmehr sind alle Fassaden gleichwertig ausgebildet und im EG markieren drei tiefe Einschnitte an verschiedenen Seiten die Zugänge: einer vom Platz, die übrigen beiden näher an der Straße, aus Richtung Bahnhof und aus Richtung des historischen Dorfkerns von Wilferdingen.
Eine schwere Hülle aus Sichtbeton lässt das Rathaus fest mit dem Ort verwurzelt erscheinen. Als Dämmbetonkonstruktion erstellt, ermöglichte sie einen komplett mineralischen Wandaufbau, der sich im Falle eines Abbruchs voll recyceln lässt. Sie verleiht dem Gebäude einen massiven, monolithischen Charakter, ein Eindruck, den die tiefen Laibungen und die Attika ohne Blech unterstreichen. Quadratische Fensteröffnungen perforieren die Hülle in einem regelmäßigen Raster. Im EG sind sie verlängert und reichen bis auf Straßenniveau hinab, ohne jedoch die strenge Tektonik der Fassaden zu stören. Wie ein großer Fels steht der Bau auf dem Platz und strahlt in seinem disparaten Umfeld eine unerschütterliche Ruhe aus. Insgesamt wirkt er solide und wertig.
Allerdings nur, solange man ihn aus der Nähe betrachtet. Tritt man ein paar Schritte zurück, wird auf dem Dach ein wildes Durcheinander aus Anlagentechnik und Lüftungsleitungen sichtbar. Das fast schon dekonstruktivistische Tohuwabohu will so gar nicht zu den ruhigen disziplinierten Fassaden passen. Eine nachträgliche Einhausung sei bereits in Planung, ist auf Nachfrage bei den Architekten zu erfahren, und man fragt sich, wie das dafür benötigte, nicht gerade geringe Volumen wohl die Gesamterscheinung des Bauwerks beeinflussen wird.
Wie aus einem Fels geschlagen
Doch erst einmal siegt die Neugier auf die Innenräume. Den Eintretenden empfängt ein imposantes Sichtbeton-Atrium über vier Geschosse. In Serpentinenmanier führt eine Treppe nach oben, von Stockwerk zu Stockwerk weiter zurückspringend, wie aus einem massiven Fels geschlagen. Ein großer Teil der Verwaltungsräume ist direkt von den Galerien des hellen Atriums zugänglich, sodass relativ kurze Flure ausreichen, um die übrigen Büros zu erschließen. Im 1. OG liegt der Trausaal mit einer vorgelagerten Loggia für einen kleinen Umtrunk nach der Zeremonie. Im 2. OG deutet eine im Grundriss gezackte Wand an, dass sich dahinter ein besonderer Raum befinden muss. Es ist der zweigeschossige Ratssaal, dem die Wand zu einer besseren Akustik verhilft. Auf der gegenüberliegenden Seite öffnet er sich mit einer Vollverglasung zur Dachterrasse und bietet einen entspannenden Blick über den Platz in die Landschaft.
Ein wenig suchen muss man die Gemeindebibliothek im 3. OG, deren Eingang sich kaum von denen der Verwaltungsräume unterscheidet. Auch an der Fassade macht sie sich nicht bemerkbar, sondern versteckt sich geradezu hinter normalen Bürofenstern. Schade, dass sie nicht gut auffindbar im Eingangsgeschoss liegt und dass sie keine Ein- und Ausblicke vom öffentlichen Raum gestattet. Da die Entscheidung, die Bibliothek im Rathaus unterzubringen, erst sehr spät fiel, ließ sich die Planung nicht mehr ändern. Aber Schwamm drüber. Alles in allem überwiegt beim Schlendern durchs Gebäude der Eindruck eines offenen, einladenden Rathauses, in dem die Bürger willkommen sind. Stellvertretend für die Nutzer zeigt sich die Dame im Bürgerbüro hochzufrieden mit der großzügigen, lichten Atmosphäre.
Bleibt die Frage, ob es dem Bauwerk gelingt, trotz seiner Randlage der neuen Mitte Remchingens Leben einzuhauchen. Beim Besuch an einem Donnerstagnachmittag im September zumindest scheint dies zu funktionieren. Auf der Terrasse des Brauhauses sitzen einige Gäste, der ein oder andere Bürger besucht die Ämter, die Wasserspiele des Platzes locken Kinder an und auf den Bänken ruhen sich Senioren aus, wenn dort nicht gerade ein paar Jugendliche »abhängen«. Das Konzept der Nutzungsmischung scheint aufzugehen und Personen aus allen Generationen anzuziehen. Besonders die Integration des gastronomischen Angebots erweist sich für die Vitalisierung von Gebäude und Platz als hilfreich. Letztlich kommt es offenbar nicht darauf an, ob die Gestaltung nun bis ins letzte Detail gelungen ist, vielmehr bestätigt sich wieder einmal die alte Stadtplaner-Weisheit: Urbanität erzielt man nicht mit Steinen, sondern mit Menschen.db, Fr., 2020.11.06
06. November 2020 Christian Schönwetter