Editorial
Kult oder Kultur - ja, was denn nun? Na, beides natürlich! Wir präsentieren Ihnen in dieser Ausgabe eine ganze Reihe klassischer Kulturbauten, aber eben auch zwei Gebäude, die dem religiösen Kult von - in diesem Fall: christlichen - Glaubensgemeinschaften gewidmet sind.
Gerade die Kirchen haben sich seit vielen Jahrhunderten immer wieder als Träger einer anspruchsvollen Baukultur hervorgetan - und tun dies auch heute noch vielerorts. Zum Beispiel in Saint-Jacques-de-la-Lande in der Bretagne, wo die Diözese von Rennes, Dol und Saint-Malo eine Auferstehungskirche errichten ließ nach den Plänen des Pritzker-Preisträgers Álvaro Siza. Der kleine, aber sehr feine Sakralbau des portugiesischen Altmeisters besticht durch sein gekonntes Spiel mit Volumen und Licht sowie durch seine Beschränkung auf wenige Materialien.
Auch der Tokioter Stadtteil Shibuya erfreut sich seit Kurzem einer exquisiten kleinen Kirche, für die mit dem Japaner Tadao Ando ein weiterer Pritzker-Preisträger verantwortlich zeichnet. Auf raffinierte Weise - in den Grundrissen, Fensterformaten und selbst in der Lichtführung - ist dieses Bauwerk als Verkörperung der Dreieinigkeit Gottes zu interpretieren. Und als Manifest für die Konzentration auf das Wesentliche.
Bleiben wir noch ein wenig in Japan: Im nordjapanischen Tsuruoka haben Kazuyo Sejima + Ryue Nishizawa / SANAA - auch sie Pritzker-Preisträger - ein multifunktionales Kulturhaus errichtet, das wie eine Ansammlung von Baukörpern aus unterschiedlichen Höhen wirkt und dennoch ein harmonisches Ganzes ergibt. Mit seinen tief heruntergezogenen Dachrändern passt es sich dem Maßstab der umliegenden Gebäude im historischen Stadtzentrum an.
Eine wahre Herkulesaufgabe hatten Lederer Ragnarsdóttir Oei Architekten in Stuttgart zu stemmen: den Umbau des Wilhelmspalais, das in den 1960er-Jahren schon einmal transformiert worden war - seinerzeit zur Stadtbibliothek, diesmal in ein Stadtmuseum. Vom Ursprungsgebäude blieben eigentlich nur die Fassaden erhalten, jedoch näherten sich die Architekten bei der Gliederung der Räume, insbesondere bei deren Erschließung, dem schon verlorengegangenen Original weitgehend an, ohne allerdings bei der betont zeitgenössischen Raumgestaltung irgendeinen Kompromiss einzugehen. Dieses Statement ist zu verstehen als ein Plädoyer für eine sich der Bauhistorie bewusste, aber in der konkreten Gestaltung selbstbewusste moderne Architektur, fern jeglicher - oft nur oberflächlicher - Rekonstruktionseffekte.
Den Auftakt unserer Kult(ur)-Weltreise bildet jedoch eine Betrachtung gleich zweier Kulturbauten von Rem Kollhaas / OMA (dem vierten und letzten Pritzker-Preisträger dieser Ausgabe), die zur selben Zeit auf zwei verschiedenen Kontinenten entstanden: die Nationalbibliothek Katar in Doha und BLOX, ein Multifunktionsgebäude in Kopenhagen mit dem Dänischen Architekturzentrum als Hauptnutzer. In einem Interview gibt Ellen van Loon, die Hauptverantwortliche beider Gebäude, Einblicke in die langen und komplexen Entstehungsprozesse dieser beiden ungewöhnlichen Kulturbauwerke.
Zum Abschluss unserer Kult(ur)-Betrachtung nehmen wir Sie mit nach Mexiko. In Boca del Río, einem Vorort von Veracruz, haben Rojkind Arquitectos einer einzigartigen Musik- und Kulturszene ein veritables Zentrum errichtet: Das Foro Boca mit seinem über drei Geschosse reichenden und für kleinere Inszenierungen nutzbaren Atrium ist ein Beleg dafür, dass selbst in einem von einer Dauerkrise geplagten Land insbesondere durch privates Engagement große (Bau-)Kultur möglich ist.
Ich wünsche Ihnen viel Vergnügen beim Lesen - auch der vielen weiteren, hier nicht erwähnten Artikel. Die nächste domus-Ausgabe erscheint am 30. August 2018.
Oliver G. Hamm