Editorial
Am ganz großen Maßstab ist schon mancher Architekt gescheitert, selbst wenn er im kleinen bis mittleren Format als Meister seines Fachs gilt. Ich könnte auf Anhieb ein paar prominente Beispiele benennen (aus meiner ganz persönlichen Perspektive), aber das verkneife ich mir lieber, denn wie könnte ich sonst der betreffenden Person in die Augen schauen, sollte ich ihr mal begegnen?
In dieser Ausgabe werden Sie zahlreiche Beispiele von Bauwerken finden, bei denen ihre Architekten auch im wörtlichen Sinne zu ganz großer Form auflaufen. Wir nehmen Sie dabei mit auf eine Reise um die Welt, denn wir führen Sie nach Chicago, nach Singapur, nach São Paulo, nach Abu Dhabi und an mehrere Orte in Europa. Ja, auch auf unserem Kontinent - und nicht bloß in Asien und Amerika - wird wieder im ganz großen Stil gebaut, in Dimensionen, die lange Zeit als unvorstellbar galten.
Der Themenschwerpunkt `XXL´ zieht sich wie ein roter Faden durch das ganze Heft. Er beginnt diesmal schon beim Fotoessay, der sich dem Neubau des Bundesnachrichtendienstes in Berlin widmet, einem Bauwerk, das - wegen des Gebots der Geheimhaltung - nur schwer zugänglich ist. Umstritten war das von Kleihues Kleihues geplante, monumentale Bauwerk von Anfang an und wird es wohl auch bleiben, schon allein deshalb, weil sein Volumen jeden im städtischen Kontext gewohnten Maßstab sprengt. Doch wer genau hinschaut, wird ihm einige bemerkenswerte Facetten abgewinnen können. Lassen Sie sich überraschen!
Weiter geht es mit der Trumpf Smart Factory in - genauer: nahe bei - Chicago (ebenfalls noch bei den `Ansichten´, ab Seite 24). Auch hier war mit Barkow Leibinger ein Büro aus Berlin verantwortlich. Auf meisterliche Art gelang es ihm, die Tradition des suburbanen `Strip´ mit der örtlichen Kultur herausragender Industrie- und Campusbauten etwa von Albert Kahn oder Ludwig Mies van der Rohe (die wahre Meister des großen Formats waren) zu verschmelzen.
Gleich im Anschluss erzählt Ihnen Eduardo Souto de Moura selbst die Genese eines seiner ungewöhnlichsten Projekte: eines weitgehend unterirdischen Kraftwerks beim Staudamm Foz Tua in Alijó, Portugal. Dort gelang es ihm, aus den ingenieurtechnischen Anforderungen einen architektonischen Gestaltungsauftrag abzuleiten, der ein herausragendes Ergebnis zu werden verspricht (wir präsentieren ein `work in progress´; das Bauwerk ist noch nicht ganz vollendet).
Im Projektteil dieser Ausgabe finden Sie dann einige ausgewiesene `Großkaliber´ allerfeinster Güte. Den Auftakt machen ingenhoven architects mit Marina One, einem Büro- und Wohntürmehybrid mit grüner Mitte, der einen neuen Maßstab beim Bauen in der hochverdichteten asiatischen Stadt setzt. In São Paulo haben Paulo Mendes da Rocha MMBB Arquitetos ein vormaliges Warenhaus in ein multifunktionales öffentliches Gebäude mit großartigem Raumkonzept verwandelt. Jean Nouvel hat den Louvre Abu Dhabi wie eine eigene kleine Stadt konzipiert, über der eine faszinierende, lichtdosierende und zugleich Schatten spendende Kuppel zu schweben scheint. Und Francisco Mangado bescherte Palma de Mallorca mit einem Kongresszentrum inklusive Hotel direkt an der Mittelmeerküste ein neues architektonisches Highlight.
Den Abschluss des Themenschwerpunkts `XXL´ bildet ein Beitrag über die Geschichte von Prora und das neue Leben an diesem Ort auf Rügen. Der dortige `Koloss von Prora´, als Seebad geplant, wird seit Jahren für unterschiedliche Wohnzwecke hergerichtet: zwei Hotels, eine Jugendherberge und viele Eigentumswohnungen sind bereits bezogen.
Ich wünsche Ihnen viel Genuss beim Entdecken wahrlich groß(artig)er Architektur und auch von herausragenden Beispielen des Designs und der Kunst in dieser Ausgabe. Die nächste Domus-Ausgabe erscheint am 3. Mai 2018.
Oliver G. Hamm