Editorial

Die Arbeitszeit ist meist teuer und die Musse rar – selbst spannende Ein­ladungen zur beruflichen Weiterbildung werden deshalb häufig aus­geschlagen. Zwar sind Fachreferate, Symposien und Workshops für Baufachleute und Gebäudeplaner oft gut besucht, auffällig ist aber, dass sich in vielen Fällen nur die Fach­disziplinen des Absenders angesprochen fühlen. So werden in den Schlussdiskussionen dieser Anlässe regelmässig die Abwesenden als diejenigen gescholten, die sich eigentlich dringend hätten einbringen müssen.

Am nationalen Gebäudetechnik-Kongress vom 5. Oktober 2017 in Luzern (vgl. TEC21 39/2017) sprach man über konzeptionelle Mängel bei Planung und Betrieb nachhaltiger Gebäude und beschwor die interdisziplinäre Zusammenarbeit. Dennoch blieb «man» auch hier unter sich; das Gros des Publikums waren Fachleute aus der Gebäudetechnik. Dabei hätten sie sicher nichts dagegen gehabt, wenn sich ­deutlich mehr Architektinnen und Archi­tekten dazugesellt hätten. So aber blieb nicht nur die Frage: «Können Planer alles?» aus ganz­heit­licher Sicht unbeantwortet.

Diese Ausgabe von TEC21 will jedoch niemanden tadeln, sondern die interdisziplinäre Auseinandersetzung über den Performance Gap sowie die zukunftsfähige Rolle des Planers, ob Architekt oder Ingenieur, ermöglichen. Diese beiden thematischen Inputs wurden am Kongress angesprochen – explizit und unterschwellig. Die Vertiefung soll ein breites Fachpublikum anregen, sich ­darüber umfassende Gedanken zu machen.

Viola John, Paul Knüsel

Inhalt

AKTUELL
07 WETTBEWERBE
Wettbewerbe in Kürze: Basel

09 PANORAMA
Aufgewertet und dennoch bezahlbar

12 VITRINE
Aktuelles aus der Baubranche | Neuer Stoff für die Kultur

15 SIA
«Lemons» im Vergabewesen | Von der Veränderung zum Wandel finden | Zeigen Sie Ihr Bauwerk | Diskussionen um die SIA 101

19 VERANSTALTUNGEN

THEMA
20 GEBÄUDETECHNIK-KONGRESS: KÖNNEN PLANER ALLES?

20 «EIN MEISTER DARF NORMEN BRECHEN»
Paul Knüsel
Werner Sobek entwirft Häuser nicht als autonome Systeme, sondern macht sich ebenso ­Gedanken über die wahr­nehmbaren Qualitäten und über den zu hohen Material­aufwand. Ein Gespräch.

26 STÖRFAKTOR MENSCH
Viola John
Zwischen Gebäudetechnik und Nutzerinteressen zeigt sich ein ambivalentes Verhältnis. Differenzen sind vorprogrammiert, wenn die Planenden die Bedürfnisse der Gebäudenutzer den Energie- und Klimazielen der Gesellschaft unterordnen.

AUSKLANG
30STELLENINSERATE

37 IMPRESSUM

38 UNVORHERGESEHENES

«Ein Meister darf Normen brechen»

Für den deutschen Architekten und Ingenieur Werner Sobek sind Häuser nicht bloss autonome Systeme. Er macht sich ebenso Gedanken über die wahrnehmbaren Qualitäten und über den zu hohen Materialaufwand.

Der Gründer der Werner Sobek Group, eines Verbunds von Planungsbüros für Architektur, Tragwerksplanung, Fassadenplanung, Nachhaltigkeitsberatung und Design, trat am Gebäudetechnik-Kongress in Luzern auf. Sein Referat war ein Plädoyer dafür, die Fehler der Vergangenheit nicht zu wiederholen. Bis heute werden weltweit derart hohe Materialmengen verbaut, dass einige endliche Ressourcenreservoirs zu versiegen drohen. Dennoch sind die Weichen weiterhin auf Wachstum gestellt: Die Weltbevölkerung wächst, und Entwicklungsländer pochen auf einen Lebensstandard, gleichberechtigt demjenigen einer industrialisierten Region. Im folgenden Gespräch erläutert Werner Sobek, wie die am Bau beteiligten Fachpersonen Gegensteuer geben können.


TEC21: Herr Sobek, was gehört zu den Grundvoraussetzungen für das Bauen von morgen?
Werner Sobek: Wenn wir weiter bauen wie bisher, verschärfen wir das globale Ressourcenproblem enorm. Der Nettozuwachs der Weltbevölkerung liegt bei 2.6 Menschen pro Sekunde. Wollten wir jedem dieser neuen Erdenbürger eine gebaute Umwelt nach deutschem Standard bieten, müssten wir pro Sekunde weltweit 1300 t Baumaterial extrahieren, verarbeiten und verbauen. In Deutschland ist das verbaute Materiallager, das sich aus Gebäude und öffentlicher Infrastruktur zusammensetzt, auf eine Menge von 490 t pro Kopf angewachsen. Früher oder später wird das zu Abfall. Dabei haben wir heute schon damit ein Problem. Setzen wir nicht mehr Recyclingmaterial ein, gehen die Baustoffe aus. Laut offiziellen Prognosen werden Kupfer, Zink oder Zinn bereits im nächsten Jahrzehnt knapp. Das hat uns beim Bauen heute viel mehr zu denken zu geben. Darum müssen wir mit weniger Material für mehr Menschen bauen.

TEC21: Ihre Analyse trifft nicht nur für Deutschland zu. Die Stoffflussbilanz beim Bauen widerspricht ­weltweit und regional dem Kreislaufprinzip. Aber wie geht der Architekt damit um? Sie selbst beschäftigen sich vor allem mit Leichtbau. Wie vereinbar ist dieses Bauprinzip mit dem angesprochenen Ressourcenproblem?
Werner Sobek: Das Vorteilhafte am Leichtbau ist die deut­liche Reduktion des Materialaufwands. Häufig wird Leichtbau allerdings mit Verbundwerkstoffen wie kohlefaserverstärkten Epoxidharzen und ähnlichem assoziiert. Dies entspricht nicht unserem Anliegen, denn je stärker unterschiedliche Materialien miteinander verbunden sind, desto schwerer können sie wieder in den Stoffkreislauf zurückgeführt werden.

TEC21: Wie kann man solche Probleme umgehen?
Werner Sobek: Der Leichtbau ist eine zukunftsgerichtete Technologie, die dringend weitere Verbreitung erfahren muss. Wichtig ist hierbei allerdings, dass wir den Leichtbau immer zusammen mit dem Gedanken des recyclinggerechten Bauens denken. Verbundwerkstoffe sollten also nur dann eingesetzt werden, wenn es eine nachgewiesene Möglichkeit gibt, sie am Ende des Lebenszyklus ressourcengerecht in den Stoffkreislauf zurückzuführen. Am Gebäude selbst geht es um eine deutliche Reduktion der Masse, die perfekte Beherrschung von einfachen Geometrien und eine Homo­genisierung der strukturellen Beanspruchung.

TEC21: Sie sind an einem Projekt am Empa NEST beteiligt, das sich mit Baustoffrecycling und Urban Mining beschäftigt. Worum geht es da?
Werner Sobek: Zusammen mit Dirk Hebel, vormals an der ETH-Architekturabteilung und nun am Karlsruher Institut für Technologie tätig, bauen wir ein Wohnmodul, das mit minimalem Material- und Energie­einsatz auskommt. Im Mittelpunkt stand bei der Planung immer die Frage, wie die einzelnen Materialien so miteinander verbunden werden können, dass sie allen bauphysikalischen Anforderungen entsprechen, aber dennoch sehr leicht sortenrein zurückgebaut werden können. Die eingesetzten Materialien stammen zu einem grossen Teil aus Recyclingprozessen; und sämtliche Bauteile können zu 100 % in technische oder biologische Kreisläufe zurückgeführt werden.

TEC21: Welche Wertstoffe verwenden Sie?
Werner Sobek: Wir benutzen beispielsweise Kupferbleche, die bereits einen Kirchturm geschützt haben oder als Fassade einer Shoppingmall eingesetzt worden sind. Wir nehmen diese Teile, schneiden sie neu zu und bauen daraus die Frontseite. Dabei achten wir darauf, dass die Verschnittanteile möglichst gering bleiben.

TEC21: Am Kongress forderten Sie das Publikum, mehrheitlich Gebäudetechniker und wenige Architekten, auf, nachhaltige Gebäude zu entwerfen. Allerdings gebe es dazu keine bewährten Rezepte. Vielmehr hätten die Fachleute weitgehend unbekanntes Land zu erforschen. Wo liegt die Terra incognita im Bauwesen?
Werner Sobek: Dass wir für mehr Menschen mit weniger Material bauen sollten, habe ich schon erwähnt. Wie genau dies geschieht, hängt stark vom lokalen und regionalen Kontext ab. Wir müssen dazu das Problem genauer analysieren. Das Bauen selbst muss sich verändern, um inter- und transdisziplinäres Denken in die Planungsarbeit und die Kommunikation aufzunehmen. Im Bauwesen sind viele Disziplinen beteiligt. Häufig genug bringen sie aber kein gegenseitiges Verständnis füreinander auf, haben keine gemeinsame Sprache, keine gemeinsamen Wertvorstellungen. Anstatt sich gemeinsame Ziele zu geben, werden die Friktionen aus ökonomischen oder rechtlichen Gründen teilweise sogar verstärkt. Viele Hochschulen zementieren diese Probleme geradezu, indem sie ihre Ausbildung immer noch streng disziplinär einordnen. Interdisziplinarität wird kaum gefördert.

TEC21: Wo beginnt die Zusammenarbeit unter den Disziplinen?
Werner Sobek: Man muss sich klarmachen: Ein Gebäude ist Teil einer Umgebung und selbst ein komplexes System aus Tragwerk, Fassade, Heizung, Lüftung, Sanitär und Kommunikation. Diese Teilsysteme sind von unterschiedlicher Lebensdauer und unterschiedlicher Materialität; sie bestehen aus unterschiedlichen Technologien und verfügen über unterschiedliche Toleranzen. Und sie werden von verschiedenen Leuten geplant. In Umbauphasen oder am sogenannten End-of-Life-Punkt, bevor ein Gebäude zu Abfall wird, spitzt sich dies konzeptionell zu: Die Komponenten müssen ersetz- und austauschbar oder so aus dem Gebäude entnehmbar sein, damit sie einem perfekten Recyclingprozess zugeführt werden können. Ziel muss ein ressourcenschonendes Haus sein, das hinsichtlich seiner technischen Komposition – und nur so verstehe ich das – einer Maschine vergleichbar einfach zusammen- und auseinandergebaut werden kann. So weit sind wir im Bauwesen noch lang nicht.

TEC21: Sie sind selber Ingenieur und Architekt und kennen sich daher in mindestens zwei Disziplinen aus. Fühlen Sie sich selbst dazu gezwungen, die Rolle je nach Anspruch gegeneinander auszuspielen?
Werner Sobek: Nein, diese beiden Fachdisziplinen kann man gut miteinander vereinen. Man darf aber nicht davon ausgehen, dass ein Einzelner alles kann. Es gibt Kollegen, die planen heute ein Krankenhaus und morgen eine Oper und übermorgen eine Wohnanlage. Doch die Ansprüche für jedes einzelne Objekt haben sich in der Vergangenheit immer mehr ausdifferenziert, sind äusserst komplex geworden; auch das Nutzerempfinden wird anspruchsvoller. Und was die technischen und umweltrelevanten Anforderungen betrifft, lässt sich vieles nicht einmal mehr im kleinen Team bewältigen. Das Denken wird sich auch hier verändern müssen: Der grosse Baumeister, der sich als Dirigent versteht und von allem ein bisschen, aber eigentlich nichts richtig weiss, ist nicht mehr gefragt.

TEC21: Ein weiteres Anliegen neben der Reduktion des Materialaufwands und der grauen Energie ist die klimafreundlichere Energiebilanz von Gebäuden. Sie haben vor drei Jahren ein Aktivhaus als Prototyp realisiert. Es handelt sich um ein Einfami­lienhaus, das selbst mehr Energie erzeugt, als es verbraucht. Und es steht an einem prominenten Ort, in der Weissenhofsiedlung in Stuttgart. Welche Absicht steckt dahinter, diese Umgebung mit einer solchen Art Energiemotor zu ergänzen?
Werner Sobek: Ich will Gebäude entwerfen, die mehr tun als nur rechtliche Vorgaben zum Energiesparen einhalten. Warum soll ein Haus überhaupt Energie einsparen? Die Sonne strahlt zehntausend Mal mehr Energie auf die Erde, als die Menschen für alle ihre Funktiona­litäten benötigen. Erneuerbare Energien lassen sich auch aus anderen völlig ungefährlichen Quellen be­ziehen. Damit meine ich: Die alleinige Fokussierung auf das Energiesparen ist eine schwere Irreführung der Bevölkerung. Anstatt ein Wärmedämm­verbundsystem an die Hauswand zu kleben, könnte man ja auch eine Photovoltaikanlage auf das Dach und eine Batterie in den Keller stellen. So vermeidet man die Produktion von Sondermüll und reduziert seine Emissionen noch besser, als dies mit einem Wärmedämmverbundsystem allein möglich ist.

TEC21: Alte Gebäude sind aber als Energieschleudern in Verruf geraten. Nun will man es besser machen und verwendet neue Bautechnologien. Was macht dies aus der Baukultur?
Werner Sobek: Ein solches Bewertungsraster akzeptiere ich nur bedingt; ich selbst spreche lieber nicht von guten oder schlechten Gebäuden, auch nicht im ausschliesslich technischen Sinn. Jedes Objekt hat seine Zeit. Anstatt die Gebäude zu klassifizieren und dann mit umständlichen, häufig genug sinnlosen Massnahmen zu überziehen, plädiere ich für eine Aufhebung der Systemgrenze: Wir dürfen nicht jedes Gebäude denselben Anforderungen an sein energetisches Verhalten unterwerfen, sondern wir müssen die eigentlich wichtigen Fragen stellen. Weder ist es die Energieeffizienz noch der Wärmedämmstandard, sondern einzig und allein die gesamtgesellschaftliche Forderung nach dem vollständigen Ausstieg aus der Nutzung fossil basierter Energie.

TEC21: Wie geht man da vor?
Werner Sobek: Die verwendete Energie muss lediglich nichtfossil sein. Das ist meines Erachtens der einzig richtige Ansatz. Ob ein einzelnes Gebäude mehr oder weniger Energie benötigt, ist völlig egal. Am Ende wird dies dazu führen, dass, vereinfacht dargestellt, der eine Mitbürger sich im Winter wärmer anzieht, der andere sich eine PV-Anlage kauft und der nächste sein Gebäude mit dem Nachbargebäude verbindet, das mehr Energie erzeugt, als es benötigt. Die grosse Fehlorientierung unserer Zeit entsteht im Vergleich dazu durch die Energieeffizienz respektive durch Dämmstandards und Luftdichtigkeitsanforderungen. Auf Basis einer Planung prognostizieren die Planer dann eine mögliche Energieeinsparung. Mehr nicht. Ob die Prognose der Planer eintrifft, hängt vom späteren Nutzerverhalten ab. Oft genug trifft sie nicht ein. Wenn die Gesellschaft von jedem einzelnen ihrer Mitglieder fordert, auf fossil basierte Energie zu verzichten, dann geht man den richtigen Weg. Politisch gesehen erscheint dieser Weg einigen als zu schwierig: Im Grunde genommen müsste man das Individuum und sein Verhalten kontrollieren.

TEC21: Sie wollen Häuser bauen, die die Atmosphäre nicht weiter aufheizen und an denen Leute Freude finden. Wie lässt sich das kombinieren: Spass haben und ein schlechtes Gewissen vermeiden?
Werner Sobek: Durch das Prinzip der Schwesterlichkeit. Die alten und die neuen Häuser, die guten und die schlechten: Nicht alle Häuser müssen die gesamt­gesellschaftlichen Vorgaben gleichermassen erfüllen. Manche sind dafür besser geeignet, weil sie besser in der Sonne stehen und mehr Energie gewinnen. Andere haben dagegen einen grossen Keller anzubieten, in dem man gut Batterien platzieren könnte. Und nochmals andere werden Teil eines vernetzten Energiemanagements im Quartier oder in einer Stadt. Dazu braucht es ein kluges Verfahren aus Energie­gewinnung, -speicherung und -konsum, idealerweise kombiniert mit Elektromobilität.

TEC21: Und wo kommt der Spass ins Spiel?
Werner Sobek: Das Gebäude trägt einiges zum Glücksemp­finden des Menschen bei. Der Komfort ist zentral; die Wahrnehmung wird aber unterschiedlich interpretiert. Komfort meint zunächst einmal ein behagliches Gefühl, ein angenehmes Empfinden. Für die plane­rische Umsetzung werden deshalb Raumklimavorgaben wie Luftaustauschrate, Innentemperatur, Luftfeuchte oder Wärmeabstrahlung definiert. Dies allein reicht aber nicht. Mir ist wichtig, dass ein Haus sogar mit geschlossenen Augen erkennbar ist. Häuser müssen darum akustische, thermische, odorische und taktile Qualitäten ausstrahlen – das lässt sich nicht immer präzise mit Normen erfassen, aber die Menschen erkennen es instinktiv. Die taktile und handschmeichlerische Qualität von Oberflächen darf ruhig so intensiv sein, dass sich Menschen davon angesprochen fühlen und sie als schön empfinden.

TEC21: Beziehen sich solche positiven Reaktionen auch auf den Leichtbau, dem Sie sich ja besonders widmen?
Werner Sobek: Auf jeden Fall. Leichtbau muss nicht technoid wirken. Eine Wohnung muss nicht wie eine Auto­karrosserie aussehen. Konsequenter Leichtbau und handschmeichlerische Oberflächen schliessen ­ein­ander nicht aus. Dafür sind die dem Material ­innewohnenden Qualitäten herauszulocken. Den technischen Anspruch zu erhöhen muss aber nicht zwingend die Qualität der Oberflächen bestimmen. Wenn die taktile Qualität gefragt ist, muss man es mit den Händen spüren können, etwa am Handlauf: Daran hält man sich gern fest, hier muss die Hand «laufen» können. Ein normengerechter Handlauf an deutschen Brücken bietet diese Qualität allerdings nicht. Bereits nach wenigen Metern würde man die eigene Hand wegziehen, da die feuerverzinkte Metall­oberfläche viel zu rau ist.

TEC21: Wie gehen Sie selbst mit Normen um?
Werner Sobek: Über Normen wird immer viel geklagt, doch sie beinhalten den Grundkonsens zum technischen Stand und bilden die Grundlage für das gemeinsame Verständnis zwischen Architekt, Bauherr und ausführenden Firmen. Ingenieure tendieren dazu, das, was sie eben entwickelt haben, in Normen festzuschreiben. Daraus entsteht eine Normenvielfalt, die schwer durchschaubar ist und sich teilweise selbst widerspricht. Gegen eine Standardisierung habe ich vom Prinzip her keine Einwände. Doch ich halte mich an die Handwerkerregel: Der Lehrling muss die Norm lernen, der Geselle muss die Norm einhalten – aber der Meister darf sie brechen. Seine Qualitätsstandards dürfen Grenzen ausloten. Er muss erkennen, ob Bewährtes wirklich das Richtige für die Zukunft ist. Darum sind Mittel und Wege zu finden, etwas Besseres abzuliefern und die Normen weiterzuentwickeln.

TEC21: Die Digitalisierung ist für die Planungsbranche eine grosse Herausforderung; sie befürchtet daher eine Überforderung. Ist das so, weil bewährte Traditionen und Praktiken in der täglichen Arbeit aufzugeben sind?
Werner Sobek: Ich denke, das ist nur teilweise so. Wir können weiterhin auf Traditionen zurückgreifen. Denn die Aufgabe bleibt: Architekten müssen eine vernünftige Qualität für viele Menschen bauen. Dazu zähle ich die Energieversorgung und sanitäre Einrichtungen. Es ist eine akademische Marotte, den Menschen irgendwo in Zentralafrika erklären zu wollen, wie man aus leeren Cola- oder PET-Flaschen eine Hütte bauen kann. Solche Studentenarbeiten negieren die eigentlichen Probleme. An diesen Orten fehlt es nicht an Baumaterial, sondern an sanitärer Infrastruktur und funktionierender Wasseraufbereitung. Nach meinem Dafürhalten braucht es dazu industriellen Input, aber keine Architekten aus einem entwickelten Land. Damit will ich sagen: Wir haben beim Entwerfen und Bauen die relevanten Gelegenheiten zu finden, damit etwas für viele realisiert werden kann, das ohne unseren Input nicht funktioniert.

TEC21: Hierzulande nehmen die Anforderungen an Planungs- und Baufachleute zu. Die Besteller neuer Gebäude erwarten das Tollste und Beste …
Werner Sobek: Wir müssen davon abkommen, immer nur den letzten Trend bauen zu wollen. Dies geschieht etwa in der Signature Architecture, wobei die Dinge häufig genug nicht funktionieren, wie sie sollten. Für viel Geld und wenig Gegenleistung entsteht nichts anderes als Las-Vegas-Architektur. Das Haus wird zum Emblem, oft mit Label. Die Qualität in den Details und die Substanz, die darin stecken könnte, gehen aber verloren. Oft muss eine schriftliche Anleitung oder eine Homepage dem Menschen erklären, wie man in solchen Häusern leben soll.

TEC21: Welche Architektur braucht es dann?
Werner Sobek: Das langfristige menschliche Interesse weckt man nicht mit Rekorden, sondern indem man etwas Schönes baut und anbietet. Zur Baukunst wird ein Gebäude erst, wenn das Gebäude selbst eine Antwort darauf geben kann, warum es so ist, wie es ist. Was häufig zur Eigenschönheit führt, ist eine den Dingen inhärente Logik und Verständlichkeit. Solche Objekte und Gebäude laden zu einer anderen Art der Handhabung ein.

TEC21, Fr., 2017.12.22

22. Dezember 2017 Paul Knüsel

Störfaktor Mensch

Mit viel Technik die Welt retten: Dieser Glaube ist im Schweizer Bauwesen stark ausgeprägt. In der Praxis zeigt sich aber ein ambivalentes Verhältnis zwischen Nutzerinteressen und Gebäudetechnik. Differenzen sind vorprogrammiert, wenn Planer die Bedürfnisse des Gebäudenutzers den Energie- und Klimazielen der Gesellschaft unterordnen.

Bis zum Jahr 2050 strebt die Schweizer Energiepolitik eine drastische Verringerung des Energieverbrauchs an; das wird sich insbesondere auf den Gebäudepark auswirken. So soll nach Angaben des Bundesamts für Energie BfE die energetische Optimierung aller Gebäude ab dem Jahr 2030 obligatorisch sein.[1]

Beim Energieverbrauch von Gebäuden schlägt vor allem die Bereitstellung von Raumwärme und Warmwasser zu Buche, für deren Erzeugung hierzulande noch immer hauptsächlich fossile Energieträger zum Einsatz kommen. Derzeit wird in der Schweiz nach Schätzungen des BfE eine Gebäudefläche von 800 Mio. m² beheizt, verteilt auf ca. 1.8 Mio. Gebäude. Hierfür wurden im Jahr 2016 knapp 70 TWh (70 Mrd. kWh) nicht erneuerbare Energie in Form von Heizöl und Erdgas verbraucht.[2] Im Jahresdurchschnitt mussten ca. 3.75 Mrd. Liter Heizöl und knapp 3.25 Mrd. Kubikmeter Erdgas bereitgestellt werden. Ab 2050 soll damit Schluss sein – zum Verheizen dürfen dann weder Heizöl noch Erdgas verwendet werden.[3]

Diese Zahlen verdeutlichen: Nicht nur angesichts der laut Prognosen steigenden Bevölkerungszahl und des Ziels einer weiter wachsenden Wirtschaft stellt die für 2050 angepeilte Senkung des Energieverbrauchs eine Herausforderung dar. Damit die Energiestrategie erfolgreich umgesetzt werden kann, ist ein struktureller Wandel erforderlich: Der fossile Energieverbrauch von Gebäuden muss konsequent minimiert und eine effiziente Nutzung von erneuerbaren Energieträgern im Gebäudebetrieb ermöglicht werden.

Gebäudetechnik als Problemlösung?

Um die Ziele der Energiestrategie 2050 zu erreichen, setzt man im Bauwesen zunehmend auf eine umfangreiche Gebäudetechnik. In einer Studie, die 2016 im Rahmen des Programms EnergieSchweiz erarbeitet wurde, untersuchten Experten aus Technik, Verbänden und Hochschulen die Potenziale der Gebäudetechnik hinsichtlich Energie- und Treibhausgas-Einsparung im Schweizer Gebäudepark. Die Ergebnisse wurden in zwei Szenarien («Referenzszenario» und «Effizienzszenario») zusammengefasst.[4] Die Analyse bezieht die Faktoren Raumwärme, Warmwasser, Lüftung, Klimakälte, Beleuchtung und allgemeine Gebäudetechnik ein.

Das Fazit fällt optimistisch aus: Beim «Referenzszenario» – es ist mit dem Szenario «Weiter wie bisher» der «Energieperspektiven 2050»[5] des BfE vergleichbar – liesse sich der Energiebedarf des Schweizer Gebäudeparks bis 2050 gegenüber 2010 um 23 % reduzieren. Erreichen könnte man dies mit der konsequenten Verwendung von heute bereits marktgängiger Gebäudetechnik und der Einhaltung aktueller gesetzlicher Vorgaben. Die Treibhausgasemissionen könnten sogar um 38 % gesenkt werden, unter anderem weil dieses Szenario davon ausgeht, dass zur Bedarfsdeckung zukünftig ein höherer Anteil an erneuerbaren Energien eingesetzt werden kann als heute. Berücksichtigt werden in diesem Szenario neben der Gebäudetechnik auch Einsparungen durch die verbesserte Wärmedämmung der Gebäudehülle.

Eine weitere Verbesserung bezüglich Energiebedarf und Treibhausgasemissionen stellt das ebenfalls untersuchte «Effizienzszenario» in Aussicht – es ist mit dem Szenario «Politische Massnahmen des Bundesrats» der Energieperspektiven vergleichbar. Die Ergebnisse legen nahe, dass es durch zusätzliche energiepolitische Instrumente möglich wäre, den Energiebedarf bis 2050 um weitere 15 % und die Treibhausgasemissionen um zusätzliche 39 % zu reduzieren. Dazu müsste man beispielsweise fossile Energieträger bei Heizung und Warmwasser mit erneuerbaren substituieren, Lüftungs- und Klimakälteanlagen sowie Beleuchtungen ersetzen beziehungsweise nachrüsten und effizient betreiben.

Bereits mit den heute zur Verfügung stehenden technischen Mitteln und dem vorhandenen Fachwissen wäre also potenziell eine Menge machbar – bei der Heizenergie zur Bereitstellung von Raumwärme und Warmwasser ist das Einsparpotenzial am grössten. Doch nicht alles, was theoretisch und technisch möglich ist, lässt sich innerhalb kurzer Zeit sinnvoll und wirtschaftlich umsetzen. Ein wichtiger Aspekt dabei: Relevant für das Erreichen der Energieziele bis zum Jahr 2050 sind nicht etwa in erster Linie Neubauten, sondern jene Gebäude, die vor 1970 errichtet wurden. Sie können nur unter grossem Aufwand energetisch ertüchtigt werden, machen aber immerhin ca. 55 % des Schweizer Gebäudeparks aus.[6]

Während man bei Neubauten bereits in der Planungsphase den aktuellen Stand der Technik berücksichtigen kann, muss das Energiekonzept bei Bestandsbauten nachträglich angepasst werden. Dabei stellt die Gebäudetechnik nur einen Teilaspekt neben anderen effizienzsteigernden Massnahmen dar – wie etwa dem baulichen Wärmeschutz, der passiven Nutzung von Solarenergie, der optimalen Tageslichtnutzung und der Bauteilaktivierung. Sinnvoll eingesetzt, kann die Gebäudetechnik solche passiven Massnahmen der energetischen Gebäudeoptimierung unterstützen und ergänzen.

Performance Gap trotz hoher Investition

Hochtechnisierte Gebäude sind dagegen durchaus kritisch zu betrachten. Viele ihrer Komponenten sind nicht nur energie- und ressourcenintensiv in der Herstellung, sondern auch teuer in der Anschaffung. Sie müssen während des Betriebs regelmässig gewartet werden, haben im Vergleich zu manch anderen Bauteilen am Gebäude eine geringe Lebensdauer und müssen auch im Zuge der an sie gestellten Anforderungen häufig ersetzt oder nachgerüstet werden. Nach Angaben der Gruppe der Schweizerischen Gebäudetechnik-Industrie GSGI beläuft sich heutzutage das Investitionsvolumen für die Technik am Bau vielfach auf weit über 30 % der Gesamtinvestitionssumme.[7]

Bauherren stehen also vor der Frage, ob sie die höheren Anfangsinvestitionen für die technische Gebäudeausrüstung überhaupt tätigen können. Zudem ist ein Monitoring während der Betriebsphase unerlässlich, um die technischen Komponenten bei Bedarf nachzujustieren. Denn trotz optimaler Planung lässt sich häufig nicht von einem errechneten Energiebedarf auf den tatsächlichen Verbrauch im Gebäudebetrieb schliessen, und je höher der Grad der Technisierung in einem Gebäude, desto grösser ist das Potenzial für Massnahmen zur Betriebsoptimierung.

Dass der Nutzer – der Mensch – die Energiebilanz eines Gebäudes stark beeinflusst und einen Unsicherheitsfaktor für die tatsächliche Effizienz der Gebäudetechnik darstellt, ist bei der Umsetzung der Energiestrategie zu berücksichtigen. Ob jedoch Gebäude, die den Nutzer unter grossem technischem Aufwand dazu zwingen, nicht in die Betriebsabläufe einzugreifen, um den Planungserfolg nicht zu gefährden, die optimale Lösung für dieses Problem darstellen, darf mit Fug und Recht bezweifelt werden.

Der Mensch im Zentrum

Das ambivalente Verhältnis von Mensch und Gebäudetechnik verdeutlicht eine aktuelle Studie zum Hunziker-Areal in Zürich.[8,9] Das 2000-Watt-Leuchtturmprojekt «mehr als wohnen» umfasst 13 Häuser, die mit unterschiedlichen Lüftungssystemen ausgestattet wurden – neun mit Abluftanlagen und vier mit Komfortlüftungsanlagen mit Zu- und Abluft, davon zwei mit zentralem und je eins mit dezentralem beziehungsweise mit Verbundlüftungssystem. Beim Monitoring nach Fertigstellung des Areals zeigte sich im ersten Betriebsjahr, dass jene Häuser, die mit einer Komfortlüftungsanlage (Zu- und Abluftsystem mit Wärmerückgewinnung) ausgestattet sind, signifikant – um mindestens das Doppelte – mehr Heizwärme verbrauchen, als zuvor berechnet worden war.

Zudem ist der Stromverbrauch für die Lüftung bei diesen Gebäuden höher als bei den übrigen Häusern. Die anderen neun Gebäude auf dem Areal, bei denen nur Abluftanlagen inklusive Aussenluftdurchlässen eingebaut wurden, weichen weniger vom Planungswert ab. Mittels thermografischer Untersuchungen der Gebäudefassaden in den Wintermonaten liess sich nachweisen, dass bei den auffälligen Gebäuden einige Fenster nachts dauerhaft geöffnet waren. Die Häuser mit zentralen Zu- und Abluftanlagen hatten einen höheren Anteil an offenen Fenstern als jene mit dezentraler Zu- und Abluftanlage oder mit Verbundlüfter.

Auf ihr Komfortempfinden angesprochen, erklärten 20 % der befragten Bewohner der Gebäude mit zentralen Zu- und Abluftanlagen, die Luftqualität in ihrer Wohnung sei schlecht bis sehr schlecht. Rund 10 % klagten über Zugluft, während bei den Gebäuden mit Abluft und Aussenluftdurchlässen fast 40 % der Befragten häufig oder immer Zugluft spürten. Mehrere Bewohner gaben an, im Winter bei geöffnetem Fenster zu schlafen. Offenbar entspricht der technisch generierte Komfort im Innenraum bei diesen Bauten nicht den individuellen Bedürfnissen aller Gebäudenutzer.

Bereit für 2050?

Um die ambitionierten Energie- und Klimaziele bis 2050 zu erreichen, sind verlässliche Annahmen über den zukünftigen Energieverbrauch des Schweizer Gebäudeparks erforderlich. Nur so gelingt es, erneuerbare Energiequellen möglichst effizient und ressourcenschonend einzusetzen. Wird das Nutzerverhalten dabei nicht einkalkuliert, dürfte der Performance Gap einer erfolgreichen Umsetzung der Energiestrategie einen Strich durch die Rechnung machen. Es ist daher unerlässlich, die Bedürfnisse der Gebäudenutzer bei der Planung noch stärker in den Fokus zu rücken. Bedient der Nutzer das Gebäude und seine technischen Komponenten aus Sicht des Planers «falsch», sollte die Konsequenz daraus sein, die Planungsziele zu überdenken beziehungsweise entsprechende Unsicherheiten von vornherein in Form von Sensitivitätsanalysen in die Kalkulationen einfliessen zu lassen.

Ein Gebäude hat viele Funktionen zu erfüllen und steht an der Schnittstelle zwischen dem Menschen und seiner Umwelt. Es soll ihm eine sichere, gesunde und erschwingliche Unterkunft bieten – einen Raum zum Leben – und dabei gleichzeitig den Umweltinteressen des Planeten dienen. Ordnen Planer die individuellen menschlichen Bedürfnisse den gesamtgesellschaftlichen Energie- und Klimazielen aber unter, so dürfte es schwierig werden, Letztere zu erreichen. Denn beides geht Hand in Hand. Und die Gebäudetechnik erfüllt keinen Selbstzweck, sondern muss als Teil eines ganzheitlichen Gebäudekonzepts wirken.


Anmerkungen:
[01] B. Revaz: «Energieziele und Gebäudepark», Vortrag am Gebäudetechnik Kongress Luzern 2017.
[02] Bundesamt für Energie BfE: «Schweizerische Gesamtenergiestatistik 2016», Bern 2017.
[03] Vgl. Anmerkung 1.
[04] Bundesamt für Energie BfE: «Potenzialabschätzung von Massnahmen im Bereich der Gebäudetechnik», Bern 2016.
[05] Bundesamt für Energie BfE: «Energieperspektiven 2050», Bern 2013.
[06] Bundesamt für Statistik: «Bauperiode», Neuchâtel, 2016, www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/bau-wohnungswesen/gebaeude/periode.html
[07] Hugo Graf: «Mit «intelligenter» Gebäudetechnik die Ziele der Energiestrategie erreichen», Intelligent Bauen 4/2017, S. 17.
[08] M. Mühlebach et al.: «mehr als wohnen – ein Leuchtturmareal in Betrieb», 19. Status-Seminar Forschen für den Bau im Kontext von Energie und Umwelt, wETH Zürich 2016.
[09] M. Ménard: «Building Energy Performance Gap – Nutzer-, Analyse- oder Normen-Problem?», Vortrag am Gebäudetechnik-Kongress Luzern 2017.

TEC21, Fr., 2017.12.22

22. Dezember 2017 Viola John

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