Editorial

Der Geist von Paris frischt das Weltklima auf. 146 Staaten haben vor gut einem Jahr das Weltklimaprotokoll erneuert, das den globalen Treibhauseffekt noch stärker als bisher mindern soll. Das strengere Ziel lautet nun: Die Erd­atmosphäre darf sich höchstens um 1.5 °C statt 2 °C erwärmen. Auch der Bundesrat will das verschärfte Abkommen ratifizieren und stösst beim Parlament auf offene Ohren.

Nun müsste man recherchieren, wie schnell der CO2-Ausstoss effektiv gebremst werden kann. Allerdings dominiert, wenn man Fragen zu klima­schonendem Bauen, Wohnen und Autofahren ­respektive einer klimagerechteren Landwirtschaft stellt, bei vielen Gesprächspartnern der ­Konjunktiv. Ein journalistischer Bericht bliebe im Vagen und würde viele ­Versprechen wiedergeben, die kaum überprüfbar sind.

Über Tatsachen zu schreiben ist demgegenüber glaubwürdiger. Und bezogen auf den Klimawandel heissen die Fakten: Er findet bereits statt – Temperaturniveau, Wasserkreislauf und auch die gewohnten Jahres­zeiten geraten durcheinander. Wetterstationen aus allen Kontinenten belegen dies. Real sind darum auch neue Risiken, Gefahren und Empfindlich­keiten, die die gebaute Umwelt prägen werden.

Das Thema dieser Ausgabe ist die Anpassung: Stadt- und Gebäudeplaner bereiten sich auf die Erwärmung des Mikroklimas vor. Niemand will sich dem Vorwurf aussetzen, gegen die Ausbreitung von heisser Luft nichts unternommen zu haben.

Viola John, Paul Knüsel

Inhalt

AKTUELL
07 WETTBEWERBE
Platz für Innovation

12 PANORAMA
Ein Begriff, zwei Definitionen: Resilienz | Buchempfehlung

15 VITRINE
Digitale Tools in der Anwendung

16 SIA
Wer früh plant, kann sich günstig vor ­Naturgefahren schützen | Bundesratsbotschaft zum ­öffentlichen ­Beschaffungsrecht | Qualitätssicherung in der Gebäude­technik | SIA-Form Fort- und Weiterbildung

21 VERANSTALTUNGEN

THEMA
22 STÄDTEBAU IN DER AUFWÄRMPHASE

22 KÜHLENDE PLÄTZE SIND OPPORTUN
Paul Knüsel
Der Klimawandel heizt urbane Hitzeinseln weiter auf. Mit spontanen Begrünungsaktionen und umfassenden Klimaanalysen halten Städteplaner dagegen.

27 «EIN WANDEL AUCH IM KLIMABEWUSSTSEIN»
Paul Knüsel
Der Grazer Stadt­klimatologe Dominik Piringer erklärt im Interview, wie die Klimaadaption im urbanen Alltag gefördert werden kann.

29 KLIMADESIGN FÜR DIE ZUKUNFT
Viola John
Es ist höchste Zeit, unsere Gebäude an zukünftige Klimaszenarien anpassen. Strategien dafür werden derzeit in der Forschung untersucht.

Kühlende Plätze sind opportun

Siedlungsräume werden ein heisses Pflaster. Damit der Klimawandel die urbanen Hitzeinseln nicht weiter aufheizt, wollen Städteplaner in der Schweiz und in Europa vor allem die grüne Infrastruktur aufwerten.

Man stelle sich vor, bei schweisstreibenden 40 °C über den Wiener Prater zu wandeln, am Nürnberger Christkindlesmarkt bei milden 12 °C heissen Glühwein zu trinken oder bei Dauerhitze ins Berner Marzilibad zu flüchten. Solche Wetterlagen kommen durchaus vor, werden aber als unbehaglich, untypisch oder aussergewöhnlich empfunden.

Allerdings ist der Klimawandel eben daran, das gewohnte Gefüge aus Temperatur, Regen und Wind gewaltig durcheinanderzubringen und ein neues Alltagswetter zu bestimmen: Bis 2070 werden für Wien Hitze und Trockenheit prognostiziert, die an die Nordsahara erinnern. Nürnberg nähert sich atmosphärisch dem trockenen, windigen Marseille an. Und auch das Klima in der Schweiz wird mediterran: Das künftige Wetter von Bern gleicht sich Messina an; Basels Klimazukunft liegt heute an der italienischen Riviera.

Solche Vergleiche sind wissenschaftlich anerkannt und versuchen, den Wetter-Shift einprägsam am «Klimastadtzwilling» zu erklären. Für das Unterwallis liefern die jüngsten Wetteraufzeichnungen jedoch ebenso leicht verständliche Angaben: In den letzten 20 Jahren stieg die Durchschnittstemperatur um 1 °C; in den nächsten 40 Jahren wird ein Plus um weitere 2 °C vorausgesagt. Zum Vergleich: Seit Ende des 19. Jahrhunderts ist die Schweiz gerade mal 0.5 °C wärmer geworden. Vor allem drohende Hitzeperioden machen im Klima-Hotspot Rhonetal inzwischen Sorgen: Bis 2060 soll das Thermometer an 100 Tagen über 25 °C klettern, doppelt so häufig wie in den letzten Jahren.

Begrünt, beschattet und klimaangepasst

Auch die Vorbereitungen auf die Klimaveränderung haben in Sitten bereits begonnen. Mithilfe des Bundes und einer externen Ökostiftung haben die Stadtplaner das Anpassungsprogramm «AcclimataSion» lanciert. Vor drei Jahre sind sie aktiv geworden. Mehrere öffentliche Plätze sind inzwischen begrünt, beschattet oder anderweitig atmosphärisch aufgefrischt. Der «Espace des Remparts», direkt vor dem Stadthaus, ist sogar das am häufigsten präsentierte Aushängeschild für klimagerechten Städtebau in der Schweiz[1]: Die Autoabstellplätze mussten einer fussgängerfreundlichen Parkanlage mit dichten Baumreihen und gemütlichen Sitzgelegenheiten weichen (Abb.). Klimagerecht meint aber nicht weg mit dem Verkehr, sondern weniger versiegelte Flächen und mehr Bäume, die Schatten spenden. Das urbane Mikroklima darf nicht heisser werden. Ein weiteres Aufheizen ist möglichst zu verhindern, damit der Stadtraum nicht an Aufenthaltsqualität verliert.

Mediterraneres Klima in der Schweiz

Unter lokalem Klimaschutz wird meistens verstanden, den Ausstoss von Treibhausgasen zu senken und energieeffizientes Bauen oder emissionsarme Mobilität zu fördern. Angesichts der unvermeidlichen Folgen sind nun jedoch ergänzende Überlegungen anzustellen, wie sich der Siedlungsraum auf die Erwärmung vorzubereiten kann. Immer mehr Städte auf der ganzen Welt ziehen Massnahmen zur Klimaanpassung in Betracht (vgl. TEC21 11/2014). Innerhalb Europas gelten die Küstenstädte Rotterdam, Kopenhagen und Stockholm als Vorreiter der «Resilient Cities»-Bewegung.

Vor Hitzewellen, Strumfluten oder Regengüssen soll primär technische Infrastruktur schützen. Aber ihr Ausbau muss der Bevölkerung auch unmittelbar nützen; betroffene Quartiere partizipieren an den örtlichen Klimaanpassungsplänen: In Rotterdam entstand der Water-Square Benthemplein, ein Retentionsbecken, das im Alltag ein Spielplatz ist. In Østerbro, einem hafennahen Stadtteil von Kopenhagen, laufen Planungen für ähnlich multifunktional nutzbare «Klimaparks». Und Essen im Ruhrgebiet ist die diesjährige Umwelthauptstadt Europas, weil die Klimaanpassung ein wesentlicher Bestandteil ihrer ökologischen Bemühungen ist. Die Europäische Kommission lobt, wie dabei Umweltschutz, Wachstum und Lebensqualität miteinander vereinbar sind.

Dient der klimagerechte Umbau auch einer Belebung des Stadtraums? Der Blick nach Sitten bestätigt, dass eine Aufwertung für Mensch und Klima möglich ist.

Gemäss Lionel Tudisco vom Stadtplanungsamt hat man ein pragmatisches Vorgehen gewählt: In die grüne und blaue Freiraum-Infrastruktur wird investiert, wo immer es Gelegenheit zur Aufwertung gibt. Eine solche bietet das begehbare, aber bisher ausgeräumte Dach über der Autobahn im Südosten der Stadt, zwischen Fussballstadion und Kaserne. Auf dem Cours Roger Bonvin entsteht bis zum Sommer ein «Stream-Parc» mit viel Grün, Wasserflächen und reichhaltigem Naherholungsangebot. Die wandelbare Klimaausstattung hat ein externes Landschaftsarchitekturbüro programmiert. Sie soll den passenden Rahmen für die Abschlussfeier von «AcclamataSion» bilden, denn in zwei Monaten läuft die Adaptionskampagne aus.

Das positive Echo will die Sittener Behörde allerdings nutzen und vermehrt private Bauherrschaften und externe Planer auf klimagerechten Städtebau aufmerksam machen. «Zwar mangelt es», so Lionel Tudisco, «an verbindlichen Regeln.» Aber zumindest erhält das kommunale Baureglement ergänzende Bestimmungen über einen Pflichtanteil für unversiegelte Flächen und Mindestquoten für die Bepflanzung offener Flächen. Die bisherige Anpassungsleistung von Sitten darf durchaus schweizweite Anerkennung finden. Sie veranschaulicht, wie städtebauliche, landschaftsarchitektonische und ökologische Anliegen zu einem bevölkerungsgerechten Resultat führen können.

Städte prüfen thermische Behaglichkeit

Auch anderen Schweizer Städten ist bewusst, dass eine Dauerhitze für Bewohner schnell unerträglich und der räumlichen Weiterentwicklung hinderlich wird. Jetzt schon heizen sich einzelne Plätze an Sommertagen auf über 60 °C auf. Absehbar sind zudem wochenlange Wetterlagen mit Tagestemperaturen über 30 °C und tropischen Nächten nicht unter 20 °C. Ohnehin sind Innenstädte generell 8 bis 10 °C wärmer als das Umland. Wie real und bedrohlich solche Szenarien sind, demonstrierte der Rekordsommer vor 14 Jahren. Gemäss einer Studie des Schweizerischen Tropeninstituts liess die Hitzewelle von 2003 die Sterberate in der Bevölkerung um 7 % ansteigen. Vor allem ältere Menschen, insbesondere in Städten, waren betroffen.

Genf ist nun daran, die örtlichen Klimarisiken und die drohenden Schäden umfassender zu studieren. Die Stadt Bern konzentriert sich aktuell darauf, die Robustheit des Baumbestands und die kühlende Wirkung der Grünräume zu untersuchen (vgl. «Wichtige Kühleffekte von Bäumen und Parks», Kasten unten). Grössere Stadtentwicklungsprojekte werden in Basel schon jetzt auf mikroklimatische Auswirkungen überprüft. Und auch Zürich möchte das Stadtklima stärker in die räumliche Entwicklung einbeziehen.

Seit sechs Jahren liegt die Klimaanalyse Stadt Zürich (KLAZ) vor; gemeinsam mit dem Kanton wird die bestehende Karte vertieft und ergänzt. Unter der Federführung von Grün Stadt Zürich soll ein Masterplan Stadtklima entstehen, der detaillierte Informationen über klimatisch heikle Zonen enthält.

Gemäss Karl Tschanz, Umwelt- und Gesundheitsschutz Zürich, sollen zudem Massnahmen abgeleitet werden, damit sich die thermische Belastung der Stadtbevölkerung in Verdichtungsgebieten nicht erhöht oder im besten Fall gar verringert.

Zwar ist im Prinzip klar, was klimagerechter Städtebau ist: mehr Grün, mehr Schatten, weniger versiegelte Böden und offene Luftkorridore. Doch die Arbeit im Stadtraum kann erst beginnen, wenn alle Planungsträger darauf sensibilisiert sind und Entwicklungsareale und Bauplanungen auf das Aufheizen und die Durchlüftung überprüfen. Tschanz bestätigt jedoch, dass bisher wenig konkret umgesetzt wird.

Ausserdem sind Zielkonflikte zwischen der erwünschten Siedlungsverdichtung und der prognostizierten Klimaentwicklung absehbar. Wie stark heizen zusätzliche Gebäude oder betonierte Plätze das vorbelastete Stadtklima auf? Und welche Massnahmen sorgen für klimatischen und thermischen Ausgleich an bekannten Hitzestandorten? «Nicht jeder Raum muss eine kühlende Komfortzone sein», erklärt Tschanz. Dennoch sind nun auch in Zürich lokale städtebauliche Antworten auf den globalen Klimawandel gefragt. Wie in Sitten, Rotterdam und anderswo gilt es deshalb wiederzuentdecken, wie viel die urbane Lebensqualität mit dem Stadtklima zu tun hat.

Einen Sondereffort wagen diesbezüglich Stuttgart, Karlsruhe oder Graz: Diese drei Städte wissen über das eigene Mikroklima nämlich bestens Bescheid und tun bereits einiges, um die baulichen Quartierstrukturen zu verbessern. Bemerkenswert daran ist, wie vielfältig die Handlungsmöglichkeiten sind.

Graz: hundert Klimamassnahmen

In Graz überwacht seit letztem Sommer ein Stadtklimatologe, wie sich Durchlüftung, Thermik und Wärmeinseln verändern. Und kurz vor Anfang dieses Jahres hat das Stadtparlament einen Klimaanpassungsplan mit über einhundert Massnahmen[2] beschlossen (vgl. «‹Ein Wandel auch im Klimabewusstsein›»). Die zweitgrösste Stadt Österreichs wird seit den 1970erJahren mithilfe von Radarflugzeugen und Wetterballonen meteorologisch und thermisch vermessen. Zu jedem Standort sind hochaufgelöste Klimadaten bekannt, darunter Einstrahlung, Beschattung, Versiegelung, Temperatur und Windströmung. Kombiniert mit der Struktur des gebauten Stadtkörpers und der Topografie ergibt sich ein kartografisches Mosaik aus stadtplanerisch relevanten «Klimatopen»: Im Zentrum liegen die Hitzeinseln, typischerweise Blockrandbauten; am Stadtrand sorgen Schneisen für eine freie Zirkulation der über Grünflächen und Wäldern produzierten kühlenden Luft.

Dieses Wissen bestimmt den städtebaulichen Alltag: Wo kühle Winde in den Stadtraum einströmen können, sind Schneisen und Hanglagen vor Bebauung zu schützen. Innenhöfe und Dächer sind möglichst zu bepflanzen oder zu begrünen. Und die bauliche Verdichtung darf das städtische Mikroklima nicht negativ beeinflussen: Zeilenbauten, die parallel in den Abhang gesetzt kühlende Fallwinde bremsen, sind daher nicht erwünscht. Ein für Graz wichtiges Planungskriterium ist ebenfalls der Albedo-Effekt von Gebäudefassaden. Er besagt, wie viel Wärme von Hauswänden und anderen Oberflächen gespeichert oder abgestrahlt wird. Dunkle Fassaden nehmen zum Beispiel tagsüber viel Wärme auf und geben sie in der Nacht wieder an die Umgebung ab.
Was ist bioklimatisch belastend?

Städtische Klimaanalysen sind Produkte einer wissenschaftlich jungen Disziplin. Damit befassten sich zuerst Umweltmeteorologen, wo immer lufthygienische Probleme beklagt worden sind.

Inzwischen ist dieses Wissen auch in der Klimaforschung bekannt. Bemerkenswert ist aber nicht nur, in welch hoher Auflösung ein Temperaturverlauf über Jahrzehnte prognostizierbar ist. Ebenso ist simulierbar, wie das ändernde Mikroklima auf Menschen wirken wird. Die physiologische Äquivalenztemperatur (PET) ist ein wichtiger Indikator zur Bestimmung des Bioklimas, wobei in Stuttgart städtebauliche Varianten dahingehend überprüft werden (vgl. «Bioklima in Städten», Kasten unten).

In Karlsruhe[3], dessen Klima mit derselben Methode analysiert worden ist wie nun jenes der Stadt Zürich, wird die bioklimatische Belastbarkeit der Bevölkerung noch mit einem weiteren Aspekt einbezogen. Die Hotspots auf der Karlsruher Klimakarte bezeichnen sowohl leicht aufheizbare Baustrukturen als auch Standorte und Quartiere, in denen vor allem ältere Menschen wohnen, die Spitäler oder Seniorenheime beherbergen oder mit Grünraum unterversorgt ist.

Karlsruhe liegt im Oberrheingraben und gehört mithin zu den Städten in Deutschland, für die die stärksten Hitzewellen prognostiziert werden. Wie in Graz ist Klimaanpassung ein politisch beschlossener, städtebaulicher Auftrag. Selbst im hoch verdichteten und hoch versiegelten Zentrum sollen «Ausgleichsflächen, Entlastungsschneisen und Beschattungskorridore» entstehen, betont Martin Kratz vom Stadtplanungsamt. Zwar finden in der Stadtmitte weiträumige Umbauarbeiten für die neue Metro statt; dennoch wird nicht alles für die Klimaanpassung auf den Kopf gestellt (vgl. «‹Kein genereller Konflikt mit der Verdichtung›», Kasten unten).

Strassenbahn und Stadtbahn fahren schon bald unter Karlsruhe hindurch. Der innerstädtische Raum wird dadurch frei, zusätzlich begrünt und so gut es geht mit Bäumen bepflanzt. Aber die Möglichkeiten sind beschränkt. «Zum einen stossen wir an gestalterische Grenzen», so Kratz. So gelte es, den klassizistischen Charakter des historischen Stadtzentrums zu wahren. Und zum anderen unterqueren zahlreiche Werkleitungen und neue Tunnels den städtischen Boden, sodass es keine Möglichkeiten für tiefgründige Vegetation gibt. Gemäss Stadtplaner Kratz werden allerdings temporäre Kühlvarianten für die Einkaufsmeile geprüft, etwa Wasserspiele oder Pocket-Parks. «Da sich das Hitzerisiko auf den Sommer beschränkt, braucht es nicht überall eine ganzjährige Klimainfrastruktur», so Kratz.

Karlsruhe: integrative Stadtaufwertung

Was die Klimaanpassung in Karlsruhe aber auszeichnet: Es geht nicht nur um kurzfristige bauliche Massnahmen, sondern auch um langfristige Veränderungen in der Stadtentwicklung. «Das Anliegen muss neue Denkprozesse in der Planung auslösen», betont Kratz. Wichtig sei daher, dass sich das Arbeitsfeld nicht auf die Stadtbegrünung beschränkt, sondern dass sich alle Planungsdisziplinen mit klimagerechtem Stadträumen auseinandersetzen sollen.

Die klimatischen Bedingungen für die Stadtbevölkerung werden nämlich nur besser, wenn das Betriebsklima in der Verwaltung stimmt und die gesamte Planungs-, Raum- und Baubehörde inklusive Fachabteilungen am selben Strick zieht. Der Klimawandel bringt nicht nur die Städte nördlich und südlich der Alpen einander näher. Auch die Beziehung zwischen Behörde und Bewohner wird durch den klimagerechten Städtebau enger.


Anmerkungen:
[01] Changement climatique et actions communales, Informationsanlass Stiftung Pusch, Februar 2017.
[02] Klimawandelanpassungsstrategie für Graz: Informationsbericht und Ausarbeitung von Massnahmen, 2016.
[03] Städtebaulicher Rahmenplan Klimaanpassung, Anpassungskomplex «Hitze», Karlsruhe 2016.

TEC21, Fr., 2017.03.31

31. März 2017 Paul Knüsel

«Ein Wandel auch im Klimabewusstsein»

Die österreichische Stadt Graz hat politisch verbindlich beschlossen, das urbane Klima zu begutachten. Klimatologe Dominik Piringer koordiniert den umfangreichen Massnahmenplan und die Begrünungsstrategie.

TEC21: Herr Piringer, seit etwas mehr als einem halben Jahr arbeiten Sie in Graz als Stadtklimatologe. Was ist Ihre Funktion?
Dominik Piringer: Meine Rolle ist, die Umsetzung der Klimaanpassung in der Stadtverwaltung ­voranzutreiben und zu koordinieren. Die Anpassung beinhaltet ein umfangreiches Paket an Einzelmassnahmen, die im urbanen Grünraum oder im Planungsbereich «Bauen und Wohnen» einzusetzen sind. Der Massnahmenplan überschneidet sich mit sehr vielen Verantwortungsbereichen anderer städtischer Abteilungen. Jedoch sind die Massnahmen verbindlich, da der Gemeinderat, das Stadtparlament von Graz, den Anpassungsbericht letzten Herbst einstimmig gutgeheissen hat. Das erleichtert die Koordination enorm.

TEC21: Wie schnell kommt die Klimaanpassung im Stadtraum von Graz dank Ihnen voran?
Dominik Piringer: Bisher lag es vor allem an mir, mich in relevante Geschäfte einzumischen. Schwierig daran ist, dass Umweltanliegen nicht bei allen Stadtämtern höchste Priorität besitzen. Aber auch mit dem Grundsatzbeschluss ist die Klimaanpassung nun nicht das alles bestimmende Thema. Zudem sind mir die Hände teilweise gebunden. Das Umweltamt, dem ich angegliedert bin, ist weder direkt in die Umsetzung eingebunden noch kann es eigene Gesetze durchsetzen, sondern nur kontrollieren und auf andere Abteilungen einwirken.

TEC21: Aber jetzt rennen Sie offene Türen ein?
Dominik Piringer: Effektiv fliesst das Wissen über das Grazer Stadtklima bereits in grossflächige Stadtentwicklungsprojekte ein. Zudem bin ich inzwischen sehr oft an Projektbesprechungen beteiligt. Was wirklich Fahrt aufgenommen hat, ist die Umsetzung der städtischen Begrünungsstrategie. Das Parlament hat ebenfalls letzten November sogar ein eigenes Förderprogramm dazu beschlossen.

TEC21: Was wird damit gefördert?
Dominik Piringer: Um den urbanen Grünraum auszuweiten, werden Gebäude für eine Dach- und Fassadenbegrünung gesucht. Der Fokus bei der Dachbegrünung liegt auf Hallentragwerken mit Flächen ab mindestens 1000 m². Pro Objekt können bis zu 40 000 Euro Fördergelder beantragt werden; 10 Euro pro m2 werden ausbezahlt. Bei der Fassadenbegrünung werden Projekte mit einer begrünbaren Mindest­fläche von
50 m² gefördert, mit gleich hohem Betrag.

TEC21: Das ist sehr viel Geld …
Dominik Piringer: Im europäischen Vergleich ist das eine sehr hohe Förderung. Aber Graz hatte lange Zeit ein Fein­staubproblem. Nun hat das Umweltamt das Glück, ausreichend Fördermittel zur Verfügung zu haben. Neben der Begrünung werden auch klassische Förderprojekte wie thermische Gebäudesanierungen oder Solaranlagen berücksichtigt.

TEC21: Graz hat schon früh lokale Klimaanalysen durchgeführt. Wie beeinflussen diese Grundlagen die eigene räumliche Entwicklung?
Dominik Piringer: Seit 1989 wird die Stadtklima­analyse laufend aktualisiert. Inzwischen ist das ein recht umfang­reiches Werk, wobei die Karte mit den Klima­topen das wichtigste Dokument für die Umsetzung ist. Dabei handelt es sich um eine klimatische Bewertung des Stadtraums. Unter anderem sind die Schneisen für die Frischluftzufuhr in den räumlichen Leit­bildern der Stadtplanung zu berücksichtigen. Die Klimatopkarte wird regelmässig mithilfe von Messfahrten überprüft. Von leichten Veränderungen und zunehmender Bebauung betroffen sind vor allem die Frischluftschneisen.

TEC21: Wie wichtig sind die Schneisen für das Stadtklima?
Dominik Piringer: Wie wichtig intakte Ventilationskorridore sind, hat eine Messkampagne im Sommer 2015 gezeigt. Wir sind am 13. August 2015 um 6 Uhr in der Früh losgefahren. Die Temperatur lag in der Innenstadt über 20.2 °C, was einer Tropennacht entspricht. Während der Messfahrt stadtauswärts sind wir entlang einer durchgängig bebauten Schneise zum Schluss bei rund 13 °C gelandet. Dieser Kühleffekt ist den dahinterliegenden unbebauten Hanglagen zu verdanken. Deshalb ist es wichtig, solche Luftschneisen nicht zu stark zu verbauen. Hangparallele Riegel können den Austausch der Luftmasse und die Kühleffekte zum Beispiel stark mindern. Im Winter entstehen dadurch auch luft­hygienische Probleme, weil ein Luftaustausch unterbunden wird und sich Feinstaub und andere Schadstoffe anreichern.

TEC21: Werden neue Stadtentwicklungsprojekte mikro­klimatisch beurteilt?
Dominik Piringer: Aktuell werden in Graz zwei grosse Entwicklungsgebiete überbaut – das eine ist Smart City und das andere Reininghaus –, die gemeinsam rund 20 000 Einwohner aufnehmen können. An beiden Orten wurde im Vorfeld ein stadtklimatologisches Gutachten erarbeitet, auf dem die Bauausschreibung basiert. In solchen Projekten funktioniert die Zusammenarbeit in der Stadtplanung gut. Meiner Meinung nach verbesserungswürdig sind verbindliche Vorschriften für private Bauträger, etwa zur Begrünung oder zur Einschränkung des Versiegelungsgrads. Oder um mehr Freiflächen zu schaffen, versuchen wir ­Strassenbahntrassen zu begrünen. Darüber wird verwaltungsintern aber noch kontrovers diskutiert.

TEC21: Worin besteht diese Kontroverse?
Dominik Piringer: Die wirtschaftliche Komponente wirkt sich sehr stark auf alle Bereiche aus, die mit Unterhalt und Pflege von Strasseninfrastruktur zu tun haben. Eine Begrünung wird oft als teuer eingeschätzt. Daher erkenne ich viel Arbeit für die Aufklärung und Information unsererseits. Ein Demonstrationsobjekt ist zum Beispiel, Dächer und Fassaden von Tramhaltestellen zu begrünen. Doch das gilt ganz allgemein, das grösste Hemmnis für mehr Klimaanpassung geht von wirtschaftlichen Argumenten aus.

TEC21: Die Luftbelastung wird in Graz als Problem erkannt. Wie sensibel ist die öffentliche Wahrnehmung, was die Minderung der Hitzeeffekte betrifft?
Dominik Piringer: Wir befinden uns gerade im Umbruch. Auch in der Bevölkerung wandelt sich das Klimabewusstsein. Wir spüren immer mehr, dass dieses Thema öffentlich relevant wird. Grundsätzlich weiss man, dass es in der Stadt heisser ist als im Umland. Ob dieses Wissen auch für einzelne Fachbegriffe wie die «urbane Hitzeinsel» gilt, darf durchaus bezweifelt werden. Doch eigentlich ist es eine Forderung aus der Bevölkerung, etwas gegen die zunehmende Hitze in der Stadt zu unternehmen. Und bei den Lokal­wahlen vor wenigen Wochen haben praktisch alle politischen Fraktionen versprochen, mehr Grünraum zu schaffen.

TEC21, Fr., 2017.03.31

31. März 2017 Paul Knüsel

Klimadesign für die Zukunft

Der Klimawandel schreitet voran, so viel ist sicher. Aber wie gut sind die Gebäude, die wir heute bauen, darauf vorbereitet? In der Forschung werden derzeit Strategien zur klimatischen Gebäudeanpassung untersucht.

Was erwartet uns in der Zukunft? Zumindest was die voraussichtlichen klimatischen Veränderungen betrifft, muss hierzu nicht erst die Kristallkugel befragt werden: Das Intergovernmental Panel of Climate Change (Zwischenstaatlicher Ausschuss für Klimaänderungen) IPCC[1] wartet schon heute mit detaillierten Prognosen und regionalen Szenarien für das 21. Jahrhundert auf. Das Fazit daraus: Klimaexperten rechnen mit einer ganzjährigen Erhöhung der Aussentemperaturen in der Schweiz bei einer gleichzeitigen Zunahme trockener Tage in der wärmeren Jahreszeit (vgl. Grafiken).[2] Dies hat auch Auswirkungen auf die Behaglichkeit in Innenräumen. Der Temperaturbereich, den der Mensch als angenehm empfindet, liegt zwischen 17 und 24 °C, wobei die Behaglichkeit auch abhängig ist von der relativen Luftfeuchtigkeit im Raum (vgl. Grafik).

In Zukunft wird es in unseren Breiten im Sommer aufgrund der höheren Aussentemperaturen zu einem erhöhten Kühlbedarf innerhalb von Gebäuden kommen, um die Behaglichkeit sicherzustellen.

Gleichzeitig wird das prognostizierte mildere Klima im Winter eine niedrigere Heizlast und kürzere Heizperioden zur Folge haben. Heizsysteme heutiger Bauten sind für das zukünftige Klima also vermutlich zu gross ausgelegt, während heute eingebaute Kühlsysteme für zukünftige Anforderungen unterdimensioniert sind. Gebäude von heute können somit auf die bis zum Ende dieses Jahrhunderts zu erwartenden Temperaturänderungen nur bedingt reagieren, da sie vom Stand der Technik her nicht dafür konzipiert sind.

Gebäude für den Klimawandel fit machen

Wollen wir unsere Häuser fit für die Zukunft machen, müssen wir rechtzeitig ihre Wandelbarkeit und Anpassungsfähigkeit sicherstellen. Das Schlagwort hierbei heisst «Gebäuderesilienz». Unter Resilienz versteht man ganz allgemein die Fähigkeit eines Systems, auf Veränderungen oder Störungen zu reagieren und sie auszugleichen bzw. unbeschadet zu überstehen (vgl. «Ein Begriff, zwei Definitionen – Resilienz»). Resiliente Gebäude sind krisenfest konzipiert, sodass sie ohne grossen Aufwand an sich ändernde Umwelt- und Nutzungsbedingungen angepasst werden können.

Im Gebäudekontext ist Resilienz eng mit den Zielen für eine nachhaltige Entwicklung verknüpft. Für den Störungsfall Schaden und Reparatur am Gebäude – etwa wenn ein Bauteil oder die Haustechnik ausgetauscht werden muss – werden modulare Systeme und Strategien zur Systemtrennung als besonders resilient eingestuft, also jene Strategien, die auch als nachhaltig gelten (vgl. «Höhere Fügung»). Sie ermöglichen eine schnelle und einfache Schadensbehebung. Ein Wandel von Nutzeranforderungen kann ebenfalls einen Störungsfall darstellen, der insbesondere bei Bürobauten zu beobachten ist. Hier schaffen flexible Raumnutzungskonzepte und hohe Deckenhöhen Abhilfe.

Obwohl uns diese Aspekte schon aus den Bemühungen um eine nachhaltige Entwicklung im Bauwesen bekannt sind, werden sie für das Thema Resilienz in einen etwas anderen Kontext gestellt.

Denn während es bei der nachhaltigen Entwicklung vorrangig darum geht, menschenwürdige Lebensumstände zu schaffen und Gefahren zu minimieren – dies soll über gesellschaftliche Ideale und durch die aktive Gestaltung der gegebenen Verhältnisse erreicht werden –, geht es bei der Resilienz nicht um eine Korrektur zerstörerischer Verhältnisse, sondern darum, sich an den voranschreitenden Zerstörungsprozess anzupassen.

Widersprüchliche Anforderungen

Bezogen auf Aspekte des Klimawandels werden Gebäude beispielsweise durch das Zusammenspiel von Gebäudehülle und -technik und einer vorausschauenden Auslegung der erforderlichen Heiz- und Kühlsysteme resilient. Forscher der Hochschule Luzern haben verschiedene Kühlabgabesysteme in Bürobauten miteinander verglichen und analysiert, wie gut sie sich jeweils an zukünftige Klimaentwicklungen anpassen lassen.[3]

Für die Untersuchung wurden Umluftkühlung, Kühldecken und Betonkernaktivierung betrachtet. Dabei wurde die Robustheit der Systeme in Bezug auf Energiebedarf und thermische Behaglichkeit untersucht. Gut geeignet für eine Klimaanpassung sind laut der Studie Kühldecken und Betonkernaktivierung. Letztere steht allerdings im Widerspruch zum Wunsch nach Systemtrennung für resiliente Gebäude.

Kühldecken haben Einfluss auf die empfundene Temperatur und verfügen über mehr Leistungsreserven als andere Systeme. So können sie die Behaglichkeit auch dann gewährleisten, wenn der Kühlbedarf steigt. Für die Untersuchung wurde eine geschlossene Kühldecke aus Kunststoff-Kapillarrohrmatten im Kunststoffputz auf einem Putzträger betrachtet.

Das System Betonkernaktivierung schnitt zwar in puncto Klimaanpassung gut ab, was den Energiebedarf sowie die Überhitzungsstunden im Sommer anbelangt, wurde es in der Studie allerdings fast durchgehend schlechter bewertet als die anderen Systeme. Eine Betonkernaktivierung bietet den Vorteil, dass die Nachtbetriebszeit des Systems angepasst werden kann, aber hierzu wird eine Nachtvorkühlung benötigt. Diese wiederum senkt die Raumtemperatur auf ein tieferes Niveau als eigentlich nötig wäre und erhöht so den Bedarf an Nutzenergie. Für die Betonkernaktivierung wurde eine 30 cm dicke Betondecke mit einem wasserdurchflossenen Rohrsystem betrachtet.

Umluftkühlsysteme schnitten in der Studie in Bezug auf den Energiebedarf gut ab, eignen sich aber weniger gut zur Klimaanpassung als die anderen Systeme. Bei Gebäuden mit grösserer Masse hat die Umluftkühlung einen kleineren Klimakältebedarf im Vergleich zur Kühldecke. Betrachtet wurde ein Umluftkühlgerät ohne Entfeuchtung, das auf der Sekundärseite mit Kaltwasser betrieben wird. Die Raumluft wird mit einem Ventilator und mit konstantem Volumenstrom durch einen Wärmetauscher geschickt.

Die Ergebnisse legen ausserdem nahe, dass Kälteabgabesysteme, die für heutige Klimabedingungen dimensioniert sind, nicht in der Lage sind, den Kühlbedarf der Zukunft zu decken. Es ist sinnvoll, sie zum Zeitpunkt der Erstellung bis zu einem gewissen Grad überzudimensionieren, damit sie auch einen zunehmenden Klimakältebedarf problemlos abdecken.

Proaktive Anpassung an den Klimawandel

Die Tragweite des Klimawandels ist noch immer mit Ungewissheit behaftet. Wie schwer sich der Wandel auswirkt, wird abhängig sein von der Klimasensibilität der Erde und ihrer Resilienz gegenüber den Kräften, denen sie ausgesetzt ist. Die Frage ist, wie schnell wir es schaffen können, uns und unsere Gebäude proaktiv an klimatische Veränderungen anzupassen. Dass die Zeiträume zur Abwendung der Klimakatastrophe und zur Anpassung unserer gebauten Umwelt jenseits von typischen politischen und sozioökonomischen Zeithorizonten liegen, vereinfacht die Aufgabe nicht unbedingt. Um langfristig potenzielle zukünftige Auswirkungen des Klimawandels zu vermeiden und dessen Effekte zu mildern, müssen dennoch bereits heute dringend Massnahmen ergriffen werden.

Entwurfsleistungen zur Gebäudeadaption hinsichtlich zukünftiger Anforderungen des Klimawandels sind im Bauwesen momentan noch kaum erkennbar. Und das, obwohl die Risiken, die aus dem Klimawandel für Gebäude und deren Bewohner entstehen können, bereits heute bekannt sind. Es braucht politische Vorgaben, die Bauherren und Planern deutlich die Signifikanz von klimaadaptiven Gebäuden und die damit verbundenen Anforderungen an das Gebäudedesign signalisieren. Architekten und Ingenieure müssen Gebäude in der Planungsphase stärker auf diese Anforderungen hin ausrichten und darin geschult werden, wie gutes Klimadesign für die Zukunft aussehen kann. Denn, um es mit den Worten des griechischen Staatsmanns Perikles zu sagen: «Es kommt nicht darauf an, die Zukunft vorauszusagen, sondern darauf, auf die Zukunft vorbereitet zu sein.»


Anmerkungen.
[01] IPCC: Climate Change 2014: Synthesis Report. Contribution of Working Groups I, II and III to the Fifth Assessment Report of the Intergovernmental Panel on Climate Change (Core Writing Team, R.K. Pachauri and L.A. Meyer [eds.]), Genf 2014.
[02] E.M. Zubler et al.: Key climate indices in Switzerland; expected changes in a future climate, Climatic Change 123:255., 2014, DOI: 10.1007/s10584-013-1041-8.
[03] Bundesamt für Energie BFE (Hrsg.): Robustheitsbewertung von integrierten gebäudetechnischen Kühlkonzepten in Verwaltungsbauten hinsichtlich Klima und Nutzervariabilität, Schlussbericht, Bern 2017.

TEC21, Fr., 2017.03.31

31. März 2017 Viola John

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