Editorial

«Wer plant die Planung», fragte der Basler Lucius Burckhardt einst und erzeugte einen grossen Widerhall bei Experten wie Laien. Das Thema legte ungeahnte Emotionen frei und erregte die Gemüter. Wunderbar! Weil die Profession mit einer scheinbar naiven Frage aufgerufen war, eine Haltung zu entwickeln. Sich zu positionieren, zu diskutieren und zu verbünden.

Heute ist die Stimmung vielerorts larmoyanter denn je: Es gibt ein gravierendes strukturelles Problem, denn Innen- und Aussensicht der Landschaftsarchitekten klaffen auseinander. Während sie sich selber als Generalisten verstehen, die für die Gestaltung und Entwicklung der Landschaft in all ihren Facetten und Massstäben verantwortlich sind, werden sie von aussen als Spezialdisziplin im Bereich Freiraum-Design wahrgenommen, welcher die «Kernkompetenz Landschaft» kaum zugestanden wird. Vertreter aus Hochschulen, Büros und Behörden beklagen ein Nachwuchsproblem; bestehende Ausbildungsangebote könnten die Nachfrage weder quantitativ noch qualitativ abdecken. Umgekehrt zeigen sich junge Studienabsolventen unglücklich über die Diskrepanz zwischen Studienwissen und Praxisanforderungen.

1980 erschien die anthos-Ausgabe «Die Ausbildung des Landschaftsarchitekten». Bernd Schubert schrieb im Leitartikel, die Schweizer Garten- und Landschaftsarchitekten hätten «auf dem Gebiete der Gestaltung von Gärten und öffentlichen Anlagen ein traditionell hohes Niveau», dagegen sei die Zahl derer, die sich intensiv mit Problemen der Landschaftsplanung und ­-gestaltung befassten, klein und damit auch die öffentliche Anerkennung des Berufsstands auf diesem Gebiet noch immer gering. Wichtig sei die adäquate Ausbildung.

Ist seitdem nichts passiert? Doch, jede Menge! Landschaft und Freiraum sind aktueller denn je und haben die gesamtgesellschaftliche Agenda erreicht. Die Zahlen der Landschaftsarchitektur-Absolventinnen an Schweizer Hochschulen steigen – wenngleich die Versuche, einen universitären Studiengang mit entsprechenden Forschungsmöglichkeiten zu etablieren, bis heute scheiterten.

Die Qualität Schweizer Landschaftsarchitektur ist weiterhin hoch und international anerkannt.

Jetzt braucht es eine überzeugende, gemeinsame Strategie, um nicht nur die Relevanz des Themas Landschaft auf die allgemeine Tagesordnung zu bringen, sondern die Landschafts­architektur mit ihren Kompetenzen in der kollektiven Wahrnehmung zu verankern.

Auch mit dieser Ausgabe liefern wir keine pfannenfertigen Lösungen. Aber einen Statusbericht, auf den sich aufbauen lässt.

Für die grafische Gestaltung ­danken wir den Lehrenden und Studierenden von hepia, HSR und ETH, die uns aktuelles Mate­rial zur Verfügung gestellt haben.

Sabine Wolf

Inhalt

Stefan Rotzler: Der Garten hat den Menschen gemacht!
Annemarie Bucher: Zwischen Future City und Ökosystemdienstleistungen
Urs Steiger: Nachwuchs­probleme
Vincent Desprez: Landschaftsarchitekturausbildung Schweiz
Glenn Fischer: Atelier oder Durchlauferhitzer?
Emmanuelle Bonnemaison: Beruf als Leidenschaft
Sibylle Aubort Raderschall: Landschaftsarchitektur im Wettbewerb – Wettbewerb in der Landschaftsarchitektur
Nicole Wiedersheim: Landschaftsarchitekten und Architekten
Nicole Bolomey: «ZanZibar Open Spaces»
Sabine Wolf: Quo vadis, Landschaftsarchitektur?
Raphael Aeberhard: Landschaftsarchitektur zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung
Peter Wullschleger: Es geht ums Ganze

Landschaftsarchitektur im Wettbewerb

(SUBTITLE) Wettbewerb in der Landschaftsarchitektur

Während noch vor 20 Jahren Landschaftsarchitektur-Wettbewerbe Seltenheitswert hatten und das Thema Interdisziplinarität in Architekturwettbewerben kaum vorhanden war, ist unsere Profession heute mehr denn je um ihre Position gefragt. Diese Chance zur Mitsprache und Mitgestaltung unserer Baukultur gilt es zu nutzen und unsere Verantwortung darin wahrzunehmen!

Dass auch der Aussenraum, unsere gebaute und belebte Umgebung, Anspruch auf eine hohe Gestaltungsqualität hat und sich demnach Konkurrenz­verfahren auch in diesem Bereich anbieten, hat sich in den letzten Jahren dank unermüdlicher Aufklärungsarbeit mehr und mehr durchgesetzt. Nichts desto trotz gibt es immer wieder wichtige öffentliche Räume, deren Gestaltung mittels Honorarofferten oder sogar in einem Direktauftrag vergeben werden. So wird nicht die beste Lösung, sondern die günstigste Leistung ermittelt und damit wichtiges Potenzial für die Qualität unserer Umwelt und den zu gestaltenden Ort verschenkt. Der Wettbewerb in der Landschaftsarchitektur muss daher immer wieder von Neuem und von jedem Einzelnen propagiert und eingefordert werden.

Bei allen Wettbewerbsverfahren liegt eine grosse Verantwortung und Einflussmöglichkeit bei den Juroren. Schon bei der Programmdiskussion ist daher ein engagiertes Mitgestalten unerlässlich, wird aber nur zu oft nicht wahrgenommen. Die im Folgenden aufgeführten Themen und noch viele weitere können so aktiv beeinflusst werden.

 Einfluss von Anfang an

Bei Architekturwettbewerben stellt sich häufig die Frage, ob ausser der Architektur noch weitere Disziplinen schon im Wettbewerb zur Bearbeitung der Aufgabe beizuziehen sind und in welcher Verbindlichkeit die Teambildung verlangt werden soll. Die Antwort kann nur die Aufgabe selber geben. Ist die städtebauliche Setzung, die Qualität der Freiräume in ihrer Anlage, aber auch Ausgestaltung ein wichtiger Faktor oder liegt das zu planende Projekt in einer anspruchsvollen topografischen Lage, so muss die Landschaftsarchitektur Teil der gesuchten Lösung sein und damit sowohl zwingend im Team wie auch stimmberechtigt in der Jury vertreten sein. Dies bedeutet aber auch, dass eine Mehrfachteilnahme, wie sie so gerne von allen Seiten gefordert wird, nicht möglich ist. Wenn wir uns und unsere Disziplin ernst nehmen, können wir für die gleiche Aufgabe nicht in unterschiedlichen Teams unterschiedliche Lösungen propagieren und zur jeweils besten erklären. Nicht zuletzt kann man das als Varianten zu einer Aufgabe interpretieren, und die Abgabe von Varianten wird im Wettbewerb in der Regel ausgeschlossen.

 Immer wieder wird bei diesem Thema angeführt, es gebe zu wenige Landschaftsarchitekten. Ein offener Architekturwettbewerb, bei dem die Landschaftsarchitektur wichtig und daher erforderlich ist, müsse daher entweder die Disziplin der Landschaftsarchitektur nur empfehlend erwähnen (damit der Architekt, wenn er keinen Partner mehr findet, trotzdem mitmachen kann) oder die Mehrfachteilnahme zulassen. Es ist ein Leichtes, dieses Argument zu entschärfen. Allein in der Schweiz sind beim BSLA über 200 Landschaftsarchitekturbüros registriert. Die Liste ist einsehbar, das Handbuch kann verteilt werden, und auch wenn nicht alle darin aufgeführten Kolleginnen und Kollegen Wettbewerbe bearbeiten: Es gibt genug, die es gerne tun!

 Das Argument, dass auch junge Architekturbüros die Chance auf einen Auftrag bekommen sollen und deshalb der offene Wettbewerb immer wieder gefördert werden soll, gilt gerade auch in dem Zusammenhang ebenso für unsere Disziplin. Wenn leistungsfähige und wettbewerbserfahrene Büros für sich das Recht beanspruchen, in mehreren Teams mitmachen zu wollen, zum Beispiel weil sie das Wettrennen zu Beginn einer Ausschreibung satt haben und es einfacher ist, niemandem abzusagen, nehmen sie damit jedes Mal jungen, engagierten Kollegen eine Chance zur Teilnahme an einem Verfahren.

Nicht immer lässt sich eine zwingende Zusammenarbeit rechtfertigen, trotzdem kann die Mitarbeit eines Landschaftsarchitekten gewünscht sein. Damit freiwillig beigezogene Fachplaner, und dies gilt für alle Disziplinen, trotzdem nach einem Wettbewerbsgewinn zu dem ihnen zustehenden Auftrag kommen können, muss die Jury in ihrem Bericht zum Siegerprojekt explizit die Qualitäten auch der Beiträge der Fachplaner würdigen. Dies muss schon im Programm festgehalten und so beschrieben sein, sonst hat der Auslober auch bei gutem Willen nicht die Möglichkeit, einen Fachplaner, der nicht zwingend im Team verlangt war und dessen Auftragsvolumen über dem Schwellenwert liegt, aufgrund des Wettbewerbsgewinnes freihändig zu beauftragen. Dies gilt im Prinzip nur für Verfahren im öffentlichen Beschaffungswesen, also Konkurrenzverfahren der öffentlichen Hand. Es empfiehlt sich aber, diese Regeln auch in allen anderen Verfahren so festzuhalten, um den Folgeauftrag für alle im Gewinnerteam massgeblich beteiligten Disziplinen zu sichern.

Der SIA hat sich eingehend mit der Beschaffung von Planerleistungen beschäftigt und vor 135 Jahren erste Regeln für die Durchführung von Wettbewerben herausgegeben. In der Folge wurde daraus ein Regelwerk für die Beschaffung von Architektur- und Ingenieurleistungen, das sich bewährt hat und breit anerkannt ist. Die Grundprinzipien Gleichbehandlung und Transparenz, fachkompetente Beurteilung, Entschädigung, Urheberrecht und Weiterbeauftragung sind darin verankert und geregelt. Es lohnt sich für alle Beteiligten von Konkurrenzverfahren, auf diese bewährten Ordnungen 142 für Wettbewerbe (anonyme Verfahren) und 143 für Studienaufträge (alle nicht anonymen Verfahren) zurückzugreifen. Wegleitungen zu unterschiedlichen Themen erläutern und ergänzen das Regelwerk.

Mit Engagement und der Wahrnehmung unserer Verantwortung haben wir es in der Hand, den hohen Stand, den das Wettbewerbswesen in der Schweiz heute immer noch geniesst, zu bewahren und kontinuierlich auszubauen. Dafür müssen wir aber als Teilnehmer kritisch sein und nicht jedes Verfahren akzeptieren; und als Juroren ist es unsere Pflicht, uns schon in der Diskussion des Programms engagiert für die Fairness und das gute Gelingen der Verfahren einzusetzen.

anthos, Mo., 2016.12.05

05. Dezember 2016 Sibylle Aubort Raderschall

Es geht ums Ganze

Von der Siedlungsentwicklung zur Landschaftsgestaltung.

Siedlungsentwicklung ist in der Tat ein ziemlich fader Begriff, nüchtern, neutral im Geschmack. Er hat etwas beobachtend-Langweiliges. Landschaftsgestaltung ist da schon aus anderem Holz geschnitzt. Tiefgründiger, vielschichtiger. Emotional, aktiv, kreativ. Landschaft lässt keinen kalt, allein schon die Ansprache eines konkreten Perimeters stellt eine Beziehung zu ihr her, erweckt sie zum Leben. Landschaft impliziert Gefühle, Bilder, Sehnsüchte, Vorstellungen und Ideale. Nimmt man der Landschaft all das weg, bleiben nur Hülsen, welche wir bevorzugt «Raum» nennen.

Wahrnehmung, Natur und Handeln

Wahrnehmung ist das Zauberwort, denn es steckt auch in der modernen Definition von Landschaft. «Landschaft», ein Gebiet, wie es vom Menschen wahrgenommen wird. Man könnte auch sagen «ein Raum, wie er vom Menschen wahrgenommen wird». Also könnte man einen wahrgenommenen Raum als Landschaft bezeichnen oder umgekehrt eine nicht wahrgenommene Landschaft als Raum. Wahrnehmung ist aber nur ein erstes Drittel. Ein zweites ist das, was man Natur nennen könnte, also alles, was nicht unmittelbar eine Frucht menschlichen Handelns ist, wie Topografie, Geologie, Boden, Wasser, natürliche Sukzession und Klimaxvegetation, Licht, Wetter und Klima. Das dritte Drittel ist alles, was der Mensch mit seinem Handeln zur Gestalt der Landschaft beiträgt, bewusst oder unbewusst, als Resultat seines Wirtschaftens. Dieses kann, ja muss man als Gestaltung bezeichnen. Denn nicht nur wenn der Mensch ein Auto, ein Haus oder eine Stadt baut, hat das Resultat eine Gestalt, sondern auch, wenn er eine Strasse anlegt, einen See staut oder Kühe auf eine Weide treibt. Bewusst oder unbewusst: Es handelt sich um gestalterische Akte oder zumindest um Handlungen mit gestalterischen Konsequenzen. Wir leben in einer Zeit, in der diese definitorischen Stellschrauben neu justiert werden.

Die Reise «von der Siedlungsentwicklung zur Landschaftsgestaltung» hat begonnen. Zeit für die Landschaftsarchitektur, Selbstbewusstsein zu manifestieren und sich als Reiseleiter aufzudrängen. Dies braucht ein neues Gestaltungsverständnis auf beiden Seiten. Annäherung ist angesagt. Ökologen und So­zialwissenschaftler müssen lernen, dass Gestaltung nicht schlicht das Raum gewordene Resultat gesellschaftlicher Entwicklungsprozesse ist, sondern ein bewusster Akt im Hinblick auf ein gewünschtes Ziel, basierend auf einer Expertise. Landschaftsarchitekten müssen sich für diese Expertise empfehlen. Am erfolgreichsten werden Sie dabei sein, wenn Sie erkennen, dass Gestaltung mehr ist als ein individuell-künstlerisch-kreativer Akt, appliziert auf die Leinwand genannt Landschaft.

Landschaftsgestaltung als Prozess

Landschaft und deren Gestaltung sind Verhandlungsgegenstände, welche nur in breit abgestützten, interdisziplinären und partizipativen Verfahren angegangen werden können. Und Landschaftsgestaltung ist nicht das Vorlegen eines Projekts, nicht eine einmalige Investition, sondern ein laufender Entwicklungsprozess, der angestossen, begleitet und ausgerichtet werden will. Je früher die Landschaftsarchitektur in diesen Prozessen beteiligt ist, oder wenn sie sogar von Landschaftsarchitekten angeregt oder ausgelöst werden, umso besser. Dies gilt sowohl für den Siedlungsraum wie auch für die offene Landschaft.

Schaffung, Sicherung und Pflege von Freiraum und Landschaft sind kulturelle Akte. Innovative Lösungen finden sich also nicht in den Entwicklungsabteilungen von CAD-Software-Firmen, sondern sie kommen immer aus der Abteilung Integration. Die Überwindung von Sektorengrenzen hin zu einer gesamtheitlichen Sicht ist Voraussetzung für jede landschaftliche Qualitätsdiskussion. Innovative Lösungen sind also immer Lösungen, welche im Verbund angegangen werden, Rezepte hinterfragen, auf qualifizierten Analysen basieren, einen systemischen, gesamtheitlichen Ansatz haben und Bilder und Visionen produzieren, diskutieren und kommunizieren.

Landschaftsarchitektur als Disziplin mit jahrhundertelanger Erfahrung in Sachen urbane Freiräume sollte in der Lage sein, in diesem Diskurs eine tragende Rolle zu spielen, da sie, selbstverständlich zusammen mit anderen, wichtige Beiträge zur Lösung drängender Fragen liefern kann. Die – zugegebenermassen – gegenwärtige Schmalbrüstigkeit der Landschaftsarchitektur in der Schweiz darf nicht dazu führen, dass sie weiter geschwächt und in die Ecke der Bepflanzungsspezialisten getrieben wird. Sie ist aktuell nicht wirklich in den Diskurs involviert. Es gilt, sie auf theoretischer, konzeptioneller und instrumenteller Ebene zu stärken, damit sie diese wichtige Funktion auch umfassend übernehmen kann. Die Landschaftsarchitektur soll als integrative Disziplin mit einer tief verankerten Tradition in der Formung von Natur etabliert werden.

Starke Landschaftsarchitekten werden gebraucht

Es braucht mehr Landschaftsarchitekten in Praxis, Lehre und Forschung. Es braucht mehr Studierende in den Ausbildungsgängen an den Fachhochschulen, und es braucht zur Stimulierung der Forschung und des theoretischen Diskurses Ausbildungsgänge an Universitäten. Es braucht aber auch mehr multidisziplinäre Projekte mit starken Landschaftsarchitekten und dafür braucht es die Wahrnehmung der Landschaftsarchitektur als verlässlichen und starken Partner seitens der benachbarten Disziplinen.

Landschaftsarchitekten alleine verändern nicht die Landschaft, aber sie können einen Beitrag zur Besserung leisten. Sie bringen einen umfassenderen Blick ein, da für sie die Landschaft a priori ein Kon­strukt ist, im Kopf und im Feld, als Entität fass- und somit gestaltbar.

Bleibt das Problem der Wertbeimessung der qualitätvollen, sprich schönen und Bedürfnisse erfüllenden Landschaft. Bleibt das Problem des politischen Willens, gesellschaftliche Tendenzen aufzunehmen und in politische Aktion umzusetzen. Landschaft als gesellschaftliches Thema ist heute «in», aber noch lange nicht relevant.

anthos, Mo., 2016.12.05

05. Dezember 2016 Peter Wullschleger

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