Editorial

In einer Zeit, in der viele nachhaltig bauen wollen, wird es schwierig, mit besonderen Leistungen zu glänzen. Gebäudelabel wie der Standard Nachhaltiges Bauen Schweiz SNBS, der diesen Sommer lanciert worden ist (vgl. Interview mit Raphael Frei), sind daher ein pro­bates und attraktives Mittel, um erstens ein geplantes Objekt ökologisch, sozial und öko­nomisch effektiv zu verbessern. Zweitens machen sie ein branchenfernes Publikum darauf erst aufmerksam. Denn unabhängig von Eitelkeit oder Bescheidenheit gilt: Die wahren Werte sind ohne genauen Blick zumeist nicht erkennbar. Bauherrschaften, Architekten und Fachplaner geben sich zwar grösste Mühe; doch ein nachhaltiges Gebäude kommt eigentlich ohne spezifische äusserliche Merkmale aus.
Ressourcenschonendes Bauen beginnt beim Entwurf und wird Teil der Projekt-DNA. Denn Gebäudestruktur und Installationskonzept bestimmen, wie viel Material verbaut werden muss; sie definieren während des und nach dem ersten Lebens­zyklus, wie einfach der Unterhalt ausgeführt wird und wie leicht die Nutzung der Immobilie veränderbar ist. Und zu guter Letzt prägt die Gebäudegenetik, ob Demontage und Abbruch ökologisch unlösbare Aufgaben sind.

Die Systemtrennung ist ein technisches, kon­struk­tives und entwerferisches Konzept für flexible und wandlungsfähige Gebäude. Heute nachhaltig gebaute Gebäude werden kommende Genera­tionen daran erkennen, dass sie sie liebend gern weiternutzen wollen.

Viola John, Paul Knüsel

Inhalt

AKTUELL
07 WETTBEWERBE
Leistungsschau in Stahl

10 PANORAMA
Note 4 oder besser für Wettbewerbsprojekte

12 VITRINE
Aktuelles für die Baubranche

14 SIA
«Der Benefit soll klar erkennbar sein» | Japans Interesse an der Schweizer Ingenieurbaukunst | Stadt­spaziergänge

19 VERANSTALTUNGEN

THEMA
22 GEMEINSAME WEGE – GETRENNTE SYSTEME

22 HÖHERE FÜGUNG
Viola John
Systemtrennung am Gebäude ist ein Nachhaltigkeitsthema. Wichtig für den Erfolg sind die Verknüpfung der Komponenten und die interdisziplinäre Planung.

26 MEHR ALS DIE SUMME DER TEILE
Stefan Kunz
Ein Beispiel aus der Planung zeigt einen Kompromiss: Wird das Gebäude als Gesamtsystem verstanden, kann bei der intelligenten System­trennung punktuell auch mit System­integration gearbeitet werden.

29 WANDLUNGSFÄHIGE HÄUSER
Paul Knüsel
Ein aktueller Einblick in die Planung zweier Forschungsbauten zeigt konsequente Systemtrennung für mehr Nutzungsflexibilität.

AUSKLANG
33 STELLENINSERATE

37 IMPRESSUM

38 UNVORHERGESEHENES

Höhere Fügung

Systemtrennung am Gebäude ist ein Nachhaltigkeitsthema. Entscheidend für den Erfolg sind die Verknüpfung der Komponenten und die interdisziplinäre Planung.

Das Thema Systemtrennung ist seit einigen Jahren fester Bestandteil der Diskussion um nachhaltiges Bauen, kommen hier doch alle drei Nachhaltigkeitsaspekte zusammen. Aus ökologischer Sicht geht es um Ressourcen­effizienz in der Baustoffverwertung durch eine vereinfachte Nutzbarmachung von Bau­stoffen für die Wieder- bzw. Weiterverwendung und das Recycling (Abb. «Ökologische Betrachtung»).[1]

In ökonomischer Hinsicht lässt sich durch leicht erreich- und austauschbare Bauteile eine Kostenreduktion bei der Instandhaltung und -setzung im Gebäude­lebenszyklus realisieren. Aus dem gesellschaftlichen Blickwinkel stehen Umnutzbarkeit und Nutzungsflexibilität im Vordergrund, dank denen zukunftsfähige und anpassbare Bauwerke entstehen. Hierzu wird das Gebäude konzeptionell in verschiedene Systeme von baulichen Einheiten gegliedert, die sich durch ihre Lebensdauer und Funktion unterscheiden und daher voneinander konstruktiv separierbar ausgeführt werden sollen (Kasten unten: «Die Systeme»).

Rückbaufähigkeit und Nutzungsflexibilität

Werden kurzlebige Bauelemente untrennbar mit lang­lebigen verbunden, reduziert sich die Lebensdauer des ganzen Gebäudes mitunter auf die der kurzlebigen Bauteile. Ein typisches Beispiel hierfür ist die Integration von Installationen und Gebäudetechnik in die tragende Konstruktion (etwa durch das Einbetonieren von Leitungen), deren Erneuerung dann mit hohem Aufwand verbunden ist. Während die Gebäudetechnikkomponenten in der Regel nach etwa 15 bis 20 Jahren ausgetauscht werden, ist die Haupttragstruktur darauf ausgelegt, 60 Jahre und länger Bestand zu haben.

Zur Zeit der Planungsphase ist noch kaum absehbar, ob und wie stark sich die Anforderungen des Nutzers bis zum Lebensende des Gebäudes wandeln werden. Eine spätere Anpassung des Bestands wird insbesondere dann erschwert, wenn das Bauwerk strukturell und funktionell auf eine spezielle Erstnutzung ausgerichtet wurde (der Siedlungswohnungsbau der 1970er-Jahre beispielsweise lässt sich aufgrund seiner Bauqualität und seiner Grundrisse nur schwer an heutige Nutzerwünsche adaptieren). Eine bauliche Umgestaltung ist dann oftmals sehr aufwendig.

Getrennte Systeme im Lebenszyklus …

Um solche potenziellen Herausforderungen des Gebäudelebenszyklus schon in der Planung von Neubauten adäquat zu berücksichtigen, wird heute zunehmend das Prinzip der Systemtrennung angewandt. Systemtrennung ist aber auch ein Erneuerungsthema, bietet sie doch eine mögliche Antwort auf die Frage, wie wir zukünftig mit Bestandsbauten umgehen wollen. Der Aufwand für Abriss und Ersatzneubau des gesamten heutigen Gebäudeparks wäre riesig, Entkernen und technisches Umrüsten nach Prinzipien der Systemtrennung stellen daher eine sinnvolle Strategie dar.

Das wirft in der Erneuerung allerdings ebenso wie im Neubau immer wieder die Frage auf: Wie muss ein Haus aussehen, das auch in 50 Jahren mühelos verändert werden kann, sodass man lang daran Freude hat? Und nach welchen Kriterien kann eine Opti­mierung im Lebenszyklus idealerweise erfolgen? In der Gebäudezertifizierung haben solche Kriterien zur Systemtrennung bereits Einzug gehalten. Das Deutsche Gütesiegel Nachhaltiges Bauen (DGNB) bewertet unter anderem die Anpassungsfähigkeit von technischen Systemen. Laut DGNB ist diese dann besonders nachhaltig umgesetzt, wenn der Wandel mit einem geringen Ressourceneinsatz verbunden ist.[2]

Der Standard Nachhaltiges Bauen Schweiz SNBS konstatiert, dass eine flexible und anpassungsfähige Raumstruktur mit hoher Gebrauchsqualität die Basis für einen ressourcenschonenden Raumbedarf bildet. Entsprechend findet sich in der aktuellen Ausgabe des «Kriterienbeschriebs Hochbau» für Wohn- und Bürobauten des SNBS (vgl. «Note 4 oder besser für Wettbewerbsprojekte») eine Übersicht der Punkte, die es beim Unterhalt und Ersatz von Bauteilen im Sinn einer unkomplizierten Um- und Rückbaubarkeit von Bauwerken zu beachten gilt (Kasten unten: «Auf einen Blick: Worauf ist laut SNBS zu achten?»).[3]

Die spätere Nutzungsflexibilität des Gebäudes kann z. B. über ausreichend grosse Gebäuderaster mit entsprechenden Gebäudetiefen berücksichtigt werden, wodurch unterschiedliche Grundrisslayouts möglich werden. Auch die Geschosshöhen lassen sich im Hinblick darauf optimieren. Das Amt für Grundstücke und Gebäude des Kantons Bern beispielsweise arbeitet für die Planung öffentlicher Gebäude mit der Empfehlung, dass die Raumhöhe in den Erd- und Ober­geschossen von Neubauten 3.6 m betragen sollte (vgl. «Wandlungsfähige Häuser»).[4]

Zur Gewährleistung der Nutzungsflexibilität gehört auch, in der Bemessung der Primärkonstruktion etwaige Anpassungen der Nutzlasten und gegebenenfalls eine Verstärkung der Fundamente einzuplanen. Für technische Installationen kann Reserve­platz in den Steigzonen und Horizontalerschliessungen vorgesehen werden für den Fall, dass in Zukunft in grossem Umfang heute unbekannte Technikkomponenten eingebaut werden müssen. Die Zugänglichkeit für Wartung, Unterhalt und Nachinstallation wird über Revisionsöffnungen gewährleistet.

… und ihre Fügung

Die Leitungen für Strom, Heizung und Lüftung können über dezentrale Installationseinheiten an Decke oder Fassade gleichmässig im Raum verteilt werden. Dieses Vorgehen hat sich unter anderem bereits im Bürobau und bei Funktionsbauten bewährt. Mittlerweile gibt es auch im Wohnungs­bau Beispiele für eine revisionierbare Unterbringung von Installationsleitungen über Vorwand­elemente und flexibel zugängliche Elektroinstallationen über Bodenkanäle. Eine generelle Empfehlung auf Bauteilebene ist, bei der Fügung verschiedener Baustoffe mit unterschiedlichen Lebensdauern auf Klebeverbindungen zu verzichten und stattdessen mechanische Verbindungen, beispielsweise mit Schrauben, zu bevorzugen.

Wenn ein Gebäude schnell errichtet, umnutzbar und gut rückbaubar ausgeführt werden soll, ist der Systembau eine interessante Möglichkeit. Hierbei werden vorgefertigte Bauteile oder Module auf der Baustelle zusammengesetzt. Durch die Vorfertigung der Elemente verkürzt sich die Bauzeit. Vorteile bieten sich auch durch die Witterungsunabhängigkeit während der Vorfertigungsphase und die Präzision in der seriellen Fertigung.

Auf der Baustelle fällt zudem durch standardisierte Prozesse weniger konstruktionsbedingter Abfall an. Die Produktion im Werk bietet die Möglichkeit, den Anteil sortenreiner Materialchargen zu erhöhen, und begünstigt so späteres Recycling. Ein weiteres Plus: Modulares Bauen braucht nicht unbedingt mit dauerhaften Materialien realisiert zu werden, denn auch kurzlebige Baustoffe können einfach ausgewechselt und der Verwertung zugeführt werden.

Der Systembau hat sich zum Beispiel bei Funktionsbauten, Hallen oder grossen Bürogebäuden durchgesetzt, wo als Material hierfür häufig Stahl verwendet wird. Bei Wohnbauten, Schulen und Kindertagesstätten, Büros und Produktionsgebäuden hat sich der modulare Holzbau etabliert.

Im Team digital planen

Zur Umsetzung der Systemtrennung und des Systembaus muss detailliert strategisch vorausgedacht werden, damit die Fügung der Komponenten auf Gebäude- und Bauteilebene optimiert werden kann. Unabdingbar ist insbesondere die enge interdisziplinäre Zusammen­arbeit von Architekt, Ingenieur und Fachplanern im frühen Stadium des Projekts. Der Planungsaufwand kann sich dadurch gegenüber einer konventionellen Bauweise erhöhen.

Zudem müssen die unterschiedlichen Interessen aller Beteiligten miteinander vereinbart werden, wodurch die Systemtrennung nicht immer konsequent umgesetzt werden kann (vgl. «Mehr als die Summe der Teile»). Architekten sehen sich dann manchmal auch mit Kompromissen und gewissen Einschränkungen ihrer entwerferischen Freiheit konfrontiert. Hierin liegen sicher einige Gründe dafür, dass sich die Systemtrennung – trotz ihrer Vorteile – in der Bau­praxis noch immer nicht recht durchsetzen konnte.

Andererseits verspricht die fortschreitende Digitalisierung im Planungsprozess durch das Building Information Modelling (BIM) zukünftig eine vereinfachte gewerkeübergreifende Überlagerung der verschie­denen Fachdisziplinen; dadurch lassen sich Prinzipien der Systemtrennung schon früh in den planerischen Ablauf integrieren. Ausserdem bieten digitale Planungsprozesse die Möglichkeit der Modularisierung von Teilsystemen, wie im Automobilbau. Dabei wird das programmierte Gebäude nicht als Ansammlung von Einzeldaten, sondern als Modell mit überschaubaren Teilmodulen verstanden (vgl. «Gebäude programmieren», TEC21 42/2015).

In Zukunft sollte es möglich sein, einige der planungsbedingten Nachteile endgültig mit den Vorteilen der systematischen Bauteiltrennung aufzuwiegen. Diese Entwicklungen ebnen den Weg dafür.


Anmerkungen:
[01] Sebastian El khouli, Viola John, Martin Zeumer: «Nachhaltig konstruieren», DETAIL Green Books, München 2014.
[02] DGNB (Hrsg.): «DGNB Kriterien», http://www.dgnb-system.de, 2016.
[03] NNBS (Hrsg.): «SNBS Kriterienbeschrieb Hochbau», Version 2.0, https://www.nnbs.ch, 2016.
[04] AGG Bern: «Richtlinien Systemtrennung», Amt für Grundstücke und Gebäude des Kantons Bern, Bern 2009.

TEC21, Fr., 2016.10.21

21. Oktober 2016 Viola John

Mehr als die Summe der Teile

Wird das Gebäude als Gesamtsystem verstanden, kann punktuell auch mit Systemintegration gearbeitet werden – wie im neuen Firmensitz der Nolax AG.

Unsere gebaute Umwelt ist in stetigem Wandel. Häufig wechselnde Nutzungsbedingungen stellen hohe Anforderungen an unsere Gebäude und damit auch an die Planer. Derweil wird zunehmend darüber diskutiert, primäre, sekundäre und tertiäre Systeme konsequent voneinander zu trennen, da sie unterschiedliche Lebensdauern haben (vgl. «Höhere Fügung»). Dazu gehört auch die Ablösung der Gebäudetechnik von der Tragstruktur. Hierfür lediglich einen Doppelboden und eine abgehängte Decke zur Verfügung zu stellen führt allerdings nicht zwingend zum gewünschten Resultat.

Zudem besteht die Gefahr, dass die Systeme nicht nur baulich in der Umsetzung, sondern auch gedanklich in der Planung voneinander getrennt werden. Dies kann den interdiszi­plinären Austausch reduzieren und die Nutzung von Synergien zwischen den Systemen verhindern. Neben den notwendigen disziplinären Einzelbetrachtungen gilt es, das Gebäude als Gesamtsystem nicht zu vernachlässigen. Soll das Ergebnis schlussendlich mehr sein als die Summe voneinander getrennter Teile bzw. Systeme, müssen diese intelligent aufeinander abgestimmt werden. Darin kann nicht nur ein ökonomischer und ökologischer, sondern auch ein architektonischer Mehrwert liegen.

Bauwerk mit System

Der neue Firmensitz der Nolax AG in Sempach-Station ist ein geeignetes Beispiel, um die beschriebene Posi­tion baulich zu verorten. Das Gebäude befindet sich aktuell im Rohbau und soll 2017 fertiggestellt werden. Es ist eines von mehreren Projekten, die in der Forschung an der Hochschule Luzern – Technik & Architektur untersucht werden. Nolax hat sich darauf spezialisiert, Start-ups im Umfeld von Verbindungstechnologien bis zur Markt­reife zu entwickeln und anschliessend zu verkaufen. Um die neuen Entwicklungen voranzutreiben und entsprechend zu testen, soll der Neubau die drei Nutzungsbereiche Büro, Labor und Anwendungstechnik vereinen.

Eine gewisse Flexibilität war von Beginn an ein wesentliches Planungsziel, um gemäss dem Bedürfnis nach einem kreativen Arbeitsumfeld die Räumlichkeiten vielfältig zu nutzen. Dies verlangte von der Trag- und Technikstruktur ein offenes und anpassungsfähiges System. Architekt, Bauingenieur und ein Experte für Gebäudetechnik sassen dafür bereits in einer sehr frühen Planungsphase zusammen am Tisch. Ziel war es, für das Gebäude ein Gesamtsystem zu entwerfen, das sowohl in der späteren Nutzung als auch während der Planungsphase auf Wünsche der zukünftigen Nutzer reagieren kann.

Lösungsansätze: räumlich, strukturell und konstruktiv

Die Basis hierfür bildete ein Grundgerüst aus vor­fabrizierten Betonstützen und Holzbalkenträgern im Verbund mit einer Ortbetondecke. Da neben den Büroräumlichkeiten die installationsintensiven Nutzungen wie Labor und Anwendungstechnik einzuplanen waren, hätte es jedoch zu kurz gegriffen, alles mit diesem System lösen zu wollen. Dafür wäre insbesondere die Leitungsführung mit den grossen Lüftungsquerschnitten zu aufwendig gewesen. Wichtiger als eine konstruktive Betrachtung war die richtige räumliche Platzierung der Technikzentralen. Man entschied sich bereits früh dafür, diese aufzuteilen: eine im Unter­geschoss in der Nähe der Räume für die Anwendungstechnik und eine auf dem Dach direkt über dem Labor.

Die Leitungsführung soll im Bereich der Anwendungstechnik unterhalb der Decke erfolgen. Im Labor durchstösst ein Grossteil der Lüftungsrohre die Ortbetondecke auf direktestem Weg, von wo aus sie anschliessend oberhalb derselben zum Monoblock geführt werden. Dies ermöglicht minimale Leitungswege, verlangt aber auch, dass die beiden Nutzungen an ihrem Ort im Gebäude verbleiben. Für die Büronutzung haben die Planer ebenfalls nach einer spezifischen räumlichen Lösung gesucht. Die Tatsache, dass sich mit dem Atrium ein offener Raum über alle Geschosse erstreckt, macht sich die Gebäudetechnik zunutze.

So erfolgt die Ent­lüftung der Büroräume ganz oben im Atrium über ­vertikale Abluftschlitze in einem betonierten Brüstungselement, das wiederum in der Nähe der Technikzentrale auf dem Dach liegt. Diese Synergie zwischen dem architektonisch ansprechenden Atriumraum und der Gebäudetechnik zeigt den Mehrwert eines ­interdisziplinär gedachten Gesamtsystems.

Weiter haben die Planer für die Büronutzung sowohl strukturell als auch konstruktiv nach passenden Antworten gesucht. Die strukturelle Lösung bezieht sich auf das erwähnte Grundgerüst. Verteilt auf mehrere Steigzonen, die sich zwischen die Betonstützen spannen, wird die Luftzufuhr an unterschiedlichen Orten im Raum ermöglicht. Die Raumabgabe erfolgt mittels horizontaler Lüftungsschlitze zwischen Leichtbauwand und Holzbalkenträger.

Die Steigzonen sorgen zudem für eine Raumzonierung der offenen Bürolandschaft und schaffen dadurch unterschiedliche räumliche Qualitäten. Kleinere Nutzungseinheiten wie etwa Sitzungszimmer, die Küche oder auch die Toiletten orientieren sich ebenfalls an diesem System, wobei immer vier Stützen zusammengehören und ein Grundmodul formen. Ausgerichtet auf diese Grundmodule können weitere Räume abgetrennt werden. Raum-, Trag- und Technikstruktur ergeben also ein Gesamtsystem, das einen gewissen Spielraum in der Nutzung ermöglicht.

Auf der konstruktiven Ebene sind vor allem die Elektroinstallationen interessant. Hier zeigt sich ein Mix aus Systemtrennung und Systemintegration. Hinsichtlich der Stromversorgung gibt es zwei Lösungen. Während die Arbeitsplätze an den Fenstern über einen holzverkleideten Brüstungskanal Anschluss finden, erfolgt die Erschliessung der innenliegenden Zonen über ein bodengeführtes Kanalnetz. Die Elektro­überflurkanäle sind im Unterlagsboden eingelegt und bleiben somit getrennt von der Tragstruktur.

Beim Beleuchtungskonzept gibt es ebenfalls zwei sich ergänzende Ansätze. Während die Grundbeleuchtung durchgehend zwischen den Holzträgern liegt und kaum auf Veränderungen reagieren muss, ist das Licht für die Arbeitsplätze individuell gestaltbar. Die Stromzufuhr ist hierfür in der Betondecke eingelegt und wird punktuell in die Flächen eingeführt. Die Kabel für die Stromzufuhr können dabei auch in der eingelegten Leitung ersetzt werden. Die einzige Einschränkung ist der Leitungsdurchmesser.

Der Vorteil ist, dass die Stromzufuhr als zusätzliches Element der Deckengestaltung wegfällt. Davon ausgehend wird alles Weitere unten an die Decke appliziert. Die Stromschienen zur individuellen Platzierung von Leuchtkörpern bilden mit den flächigen Schallabsorbern eine Gesamtkomposition, die ein wichtiger Bestandteil der Raumgestaltung ist. Bei einer ­späteren Nutzungsanpassung ist zudem alles bis auf die punktuellen Anschlüsse rückbaubar, und die Decke kann neu bestückt werden.

Vom Konzept zur Umsetzung

Gemäss den unterschiedlichen Anforderungen der drei Nutzungen wurde nach individuellen Lösungen gesucht. Die beschriebenen räumlichen, strukturellen und konstruktiven Ansätze zeigen jeweils einen differenzierten Umgang mit der Systemtrennung – sei es getrennt wie bei den Steigzonen oder integriert wie bei der Strom­zufuhr der Deckenbeleuchtung.

Ob die richtige Lösung schlussendlich in der Systemtrennung oder der Systemintegration liegt, hängt mit der jeweiligen Bauaufgabe und der dafür passenden Konzeption zusammen. Ein wichtiges Kriterium für Entscheidungen ist hierfür der Aspekt der Angemessenheit. Schliesslich ist es die Baurealität, die hinsichtlich Umsetzbarkeit, Nutzbarkeit und Bezahlbarkeit die genannte Angemessenheit einfordert. Bei deren Einschätzung ist ein gesunder Pragmatismus hilfreich, um zwischen der Baurealität und einer konzeptionellen Treue zu vermitteln.

Diesbezüglich galt es auch beim beschriebenen Projekt gewisse Kompromisse einzugehen. Obwohl das Grundgerüst in der Konzeptionsphase möglichst an­passungsfähig ausgelegt wurde, konnte es schluss­endlich nicht allen Wünschen standhalten. So musste beispielsweise in den Büros an einzelnen Stellen trotzdem ein Lüftungsrohr in die Betondecke eingelegt ­werden. Dies hat unter anderem damit zu tun, dass die Steig­zonen an ihre Kapazitätsgrenzen stiessen. So war es schliesslich nicht mehr möglich, die offene Bürolandschaft und die abgeschlossenen Räume nur über die Lüftungs­schlitze der Steigzonen zu versorgen. Die zusätzlichen Luftdurchlässe werden zwischen den Holzbalkenträgern eingelegt und korrespondieren dadurch trotzdem mit dem strukturellen Grundgerüst. Dies ist nicht nur gestalterisch richtig, sondern ermöglicht auch die Ab­trennung zusätzlicher Räume, die sich ebenfalls auf das Grundgerüst beziehen.

Auch wenn es beim Nolax Haus in der bisherigen Umsetzung einige Kompromisse gab, sind die Kernelemente des übergeordneten Konzepts weiterhin vorhanden oder zumindest passend adaptiert. Das Gebäude profitiert also von einem bereits ganz zu Beginn interdisziplinär gedachten Gesamtsystem.

TEC21, Fr., 2016.10.21

21. Oktober 2016 Stephan Kunz

Wandlungsfähige Häuser

Systemtrennung konsequent umgesetzt: Damit ­hochtechnisierte und funktionale Gebäude flexibel nutzbar sind, braucht es offene Strukturen und schnell anpassbare Installationskonzepte. Ein aktueller Einblick in die Planung zweier Forschungsbauten in Bern und Zürich.

Internationale Rankings führen hiesige Hochschulen und Universitäten häufig weit oben. Studien- und Forschungsplätze in Basel, Bern, Genf, Lausanne, St. Gallen oder Zürich sind darum begehrt. Das aber kommt nicht von selbst: Bund und Kantone stellen beträchtliche finanzielle Mittel für die Bildung im tertiären Bereich bereit. Vor zwei Jahren betrugen die öffentlichen Ausgaben dafür 12 Milliarden Franken; knapp ein Fünftel floss in zusätzliche Infrastruktur. Mit dem Geld werden vorab neue Instituts-, Labor- oder ähnliche Forschungsgebäude erstellt. Damit sich diese Investitionen schnell auszahlen, werden die hochkomplexen Neubauten auf eine möglichst flexible Nutzung ausgelegt. Gebäude, deren Innenleben nach der Schlüsselübergabe wandlungsfähig bleiben, bieten bestmögliche Voraussetzungen dafür.

Auf sich ändernde Betriebsanforderungen ausgerichtet ist beispielsweise das Laborgebäude 5. Etappe, mit dem der Unistandort Irchel in Zürich (UZH) aktuell erweitert wird. Das Institut für Chemie wird ab 2019 die beiden sechsgeschossigen Gebäudetrakte beziehen. Auch die Universität in Bern baut aus: Unweit des Inselspitals entsteht in den nächsten zwei Jahren ein Neubau für die Rechtsmedizin und die Klinische Forschung. Das Gebäude mitten in der Stadt wird eine Geschossfläche von 24 000 m² aufweisen, die sich auf fünf Unter- und sieben Obergeschosse verteilt.

Einfaches Skelett, lineare Lastabtragung

Unverwechselbar ist das jeweilige Fassadenbild: Während das Forschungsgebäude der Uni Bern (Architektur: Schneider & Schneider Aarau) einen klassischen Fenster­raster präsentiert, kennzeichnen umlaufende, vertikal mit Scheiben gefächerte Balkonschichten den Erweiterungskomplex im Zürcher Irchelpark (Architektur: Weber Hofer Partner Zürich). Beiden Hochbauten gemeinsam ist dennoch der vorbildliche Umgang mit dem Systemtrennungsprinzip. Ein konventionelles Betonskelett leitet die Lasten linear nach unten, und möglichst weite Stützachsen erlauben den modularen Ausbau der Geschossflächen.

Sowohl in Bern als auch in Zürich sind funktionale Gebäude bestellt, die im Endausbau hochtechnisiert eingerichtet werden sollen und deren Entwürfe sich bereits in den strukturellen Grundzügen ähnlich sind. Veränderbare Raumeinheiten und Installationskonzepte bilden die Haupt­elemente, damit die Wandel- und Anpassbarkeit der teuren Infrastruktur gewährleistet werden kann.

Charakteristisch für die Wissenschaft sind dynamische Arbeitsweisen und sich schnell ändernde Technologien. Doch welche hochsensiblen Geräte dereinst benötigt werden, wie die ausgeklügelten Speziallabore in wenigen Jahren auszusehen haben oder mit wie vielen Forschern ein findiges Team zu besetzen ist, lässt sich im Voraus kaum abschätzen. Im Wettbewerbs­programm beider Forschungsgebäude wurde aber ein flexibles, einfach anpassbares Nutzungskonzept definiert. Die konstruktiven Antworten in beiden Projekten, die nun im Stadium der Ausführung stehen, wirken eher unspektakulär und beinahe reversibel: schlanke Konstruktionen und einfache Tragstrukturen, die auf allen Geschossen eine offene Raumorganisation erlauben.

Modulare Einbauten

Die Laborräume sind asymmetrisch auf zwei Bünde entlang der Längsachse konzentriert und mit wenigen Stützen versehen. Davon sind die Erschliessungszonen mit nicht tragenden Leichtbau- respektive Glaswänden abgetrennt. Und damit wechselnde Arbeitskonstella­tionen und variable Nutzungszyklen ohne Grossumbau effektiv ermöglicht werden, braucht es modulare Einbausysteme. Mit diesen darf sich die Gebäudestruktur nur spärlich und einfach trennbar verbinden.

Gut ablesbar ist das am zweiteiligen Zürcher Laborgebäude, dessen Schenkel 60 m lang und 25 m breit sind: Ein Stützenraster (7.6 m × 7.2 m) hält die Nutzfläche frei von tragenden Wänden, damit die Laboreinheiten, als eigenes Baukastensystem, wandelbar und nach Bedarf einteilbar sind. Einzig der Mittelkorridor, eine durchgehende Erschliessungszone, wird seitlich partiell mit stützenden Elementen abgegrenzt: Insgesamt acht massive Steigschächte ziehen sich über die ganze Traktlänge verteilt von den Untergeschossen nach oben. Darin sind die Medienversorgung und Gebäudetechnik inklusive Reserve untergebracht.

Jeder der acht Schächte bündelt bis zu zehn verschiedene Kanal- und Rohranschlüsse, von wo aus jede Laborachse ihren ­Bedarf an Stickstoff, Kühlwasser oder anderweitigen Medien beziehen respektive diverse, teilweise hoch­giftige Abfall- und Abwasserkategorien loswerden kann. Die horizontale Verteilung erfolgt über eigens entwickelte, abgehängte Deckenelemente. Auch die Installationen für Heizen und Kühlen sind im UZH-Laborgebäude konsequent von der Trag­struktur auseinanderzuhalten. Weder Heizungsschlaufen noch andere thermisch aktive Einbauten dürfen in die Deckenplatten eingelegt werden; Letztere sind aus statischen Gründen bis zu 40 cm mächtig ausgelegt.

Nicht nur hochtechnisierte Bauten

Die Wandlungsfähigkeit des Neubaus im Campus Irchel wurde vom Institut für Chemie spezifisch gewünscht. Die wissenschaftliche Forschung in Bern funktioniert vergleichbar; allerdings ist die Umsetzung der «Systemtrennung» eine selbstverständliche Bauvorgabe, sobald das kantonale Amt für Grundstücke und Gebäude (AGG) als Bauherrschaft auftritt. Nicht nur hochtechnisierte Forschungs- oder Spitalbauten sind auf flexible Bau- und Installationskonzepte zu trimmen, sondern auch alle anderen öffentlichen Gebäude, vom Verwaltungssitz über das Gymnasium bis zur Polizeiwache.

In jedem Wettbewerbsprogramm des Kantons Bern wird auf die dazugehörige Richtlinie verwiesen (vgl. TEC21 26–27/2015); jede Entwurfseingabe wird dahingehend vorgeprüft. Und hat die Jury ihr Urteil gefällt, werden die siegreichen Planungsteams gemeinsam in «Systemtrennung» geschult. Damit ist die Absicht verbunden, den Gebrauchswert der realisierten öffentlichen Bauten zu erhöhen und den Projektverfassern dafür die interdisziplinäre Arbeitsweise näherzubringen. Ein Gebäude, dessen Struktur auf veränder-, erweiter- und trennbaren Systemen beruht, ist in Bern zudem zentraler Bestandteil der nachhaltigen Immobilienstrategie.

So sind für neue Gebäudeentwürfe jeweils die Mindestmasse für Nutzlast und Raumhöhe festgesetzt, damit eine spätere Umnutzung respektive Aufstockung möglich wird. Bisweilen sind in Wettbewerbseingaben sogar mehrere Nutzungsvarianten darzustellen. Die Richt­linie im Kanton Bern versteht die Systemtrennung ebenso als übergeordnetes Entwicklungs- und Entwurfskonzept wie auch als praxisnahes Konstruktionsprinzip. Die Bewährungsprobe stellt sich jedoch erst, wenn die Gebäudelebensdauer abgelaufen ist. Trotzdem profitieren Immobilien des Kantons Bern jetzt schon von der integrierten Flexibilität: Das Innenleben neuerer Universitäts- und Spitalbauten wurde mehrfach verändert; die Baustruktur selbst blieb unangetastet.

Vorleistungen mit Mehrkosten

Ein weiterer Erfahrungswert aus bereits erstellten, ­flexiblen Bauten ist: Die Systemtrennung vereinfacht zwar die Gebäudestruktur, doch statische und räumliche Reserveleistungen sind kostenrelevant. Tatsächlich hat der Kanton Bern seine Vorgaben optimiert: Als Raumhöhe werden 3.6 m und nicht mehr 4 m verlangt. Gleichzeitig wurde die minimale Nutzlast von 5 kN/m2 auf 3 kN/m2 reduziert. Interne Berechnungen ergaben, dass teilweise über 10 % der Investitions- und Unterhaltskosten eingespart werden können, ohne die Nutzungsflexibilität grundsätzlich infrage zu stellen.

Trotz möglichem Mehraufwand haben auch gewerbliche und institutionelle Investoren die Vorteile der Systemtrennung erkannt. Frei zugängliche Haustechnikschächte, abgehängte Deckenelemente oder Hohlböden sind in vielen Neubauten selbstverständlich. Und im Holzbau werden aufgrund des hohen Vorfertigungsgrads daraus innovative Konstruktionselemente entwickelt und separierbare In­stallationskonzepte penibel umgesetzt.

Überraschenderweise sind nun sogar die Räume im Untergrund flexibel strukturiert. Der Pharmakonzern Hoffmann-La Roche erweitert derzeit sein Firmengelände in Kaiseraugst mit Verwaltungsbauten, Auditorium und Eingangsbereich mit Park (Architektur: Nissen & Wentzlaff Architekten Basel). Das Besondere ist die zweigeschossige Tiefgarage darunter: Ein unüblich weiter Stützenraster von 15.6 m × 15.6 m stimmt die Formate der Parkfelder flexibel auf unterschiedliche Autogrössen und auf die ungewisse Zukunft der Mobilität ab. Sollten dereinst kompakte Elektromobile die gross­spurigen SUVs verdrängen, bleibt die Fläche im Roche-Untergrund effizient nutzbar (vgl. Grafik).

Auf längere Sicht wird sogar eine autofreie ­Nutzung erwogen; die Tiefgarage ist ohne grossen ­Mehraufwand in Lagerhallen verwandelbar. Im Gegenzug kostet das Bauwerk etwa 7 % mehr als mit konventionellem Stützenraster von 8 m. Und die Deckenplatten wurden mit 80 cm mächtigen Unterzugachsen statisch verstärkt; die dazwischen liegenden Felder sind mit einem Hohlkörpersystem optimiert. Passend zum ­flexibel nutzbaren Raumkonzept wird – auch hier – die Gebäude- und Sensortechnik nicht in die Stahl­betonstruktur eingelegt, sondern an aufgehängten Kabel­trassen durch die Parkhallen geführt.

TEC21, Fr., 2016.10.21

21. Oktober 2016 Paul Knüsel

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