Editorial
Stein auf Stein
„Der gewöhnliche gebrannte Ziegelstein ist eine der großartigsten Erfindungen der Menschheit.“ So beginnt Laurie Baker, ein indischer Architekt, das Vorwort zu seinem Buch „Brickwork“. Er verbindet mit dem Ziegel auch eine handwerkliche Tätigkeit, die einen hohen Grad an Befriedigung schafft: Innerhalb weniger Minuten kann man die Früchte seiner eigenen Arbeit sehen. Baker begreift den selbst gebrannten Ziegel als ein Material mit Charakter und Seele. Keiner gleicht dem anderen. Wie wir Menschen.
In dieser Ausgabe der deutschen Domus widmen wir uns Gebäuden, die den Wert des Ziegels schätzen und nutzen. Allen voran die Bauten der Schweizer Architekten Herzog & de Meuron, die jüngst auf dem Vitra Campus ein Gebäude eröffneten, das ihn feiert. Vier Wände, keine Fenster, ein Satteldach und eine Fassade, die das Innere des Ziegels nach außen kehrt: Die Hohlraumziegel wurden aufgebrochen und mit der gebrochenen Kante nach außen gesetzt. So entstand eine raue Wand, deren Patina interessant zu werden verspricht. Das zweite neue Projekt von Herzog & de Meuron steht in London. Es ist die Erweiterung der Tate Modern - ein polygonaler Bau, der pyramidenförmig gen Himmel strebt, mit einer teilperforierten Ziegelfassade, die Tag und Nacht das Licht passieren lässt.
Wir bleiben in London und stellen Ihnen dort die neuen Arbeiten von David Chipper-field und Jaccaud Zein Architekten vor. Beides sind Wohngebäude - das eine in größerem Maßstab und für den gehobeneren Anspruch, das andere etwas kleiner, mit flexiblem, gestaffeltem Wohnraum. Wer sich nicht nur für Londons neue Architektur interessiert, sondern auch dafür, wie hier Architekten ausgebildet werden, erfährt dies in unserem Beitrag über das Central Saint Martins College of Art and Design.
In der niederländischen Kleinstadt Groningen hat sich Domus eine Sporthalle von Marlies Rohmer angeschaut, deren Fassade mit der Ansicht einer Straßenfront bricht. Monumentale Wellen aus Ziegelstein schlagen hier zum Himmel hoch, an deren Scheitelpunkt Oberlichter Tageslicht ins Innere und Kunstlicht in den Stadtraum lassen. In Danzig dagegen steht ein auf den ersten Blick wuchtiger, fast burgähnlicher Bau, dessen formale Präsenz durch einen besonders dunklen Ziegel noch betont wird. Doch das Shakespeare-Theater von Renato Rizzi hat eine sehr zugängliche, den Stadtraum erweiternde Architektur.
Außerdem laden wir Sie zu einem Spazier-gang durch Wien mit dem Architekten András Pálffy ein, geben einen Einblick in die von Kenya Hara kuratierte Ausstellung „Subtle“, die fantasievolle Papierarbeiten japanischer Künstler während der Mailänder Möbelmesse vorstellte, und bringen einen euphorischen Report über die Porzellan-Kollektionen von 2016/Arita sowie ein Porträt über die menschennahe Architektur des bereits erwähnten Laurie Baker.
Mit diesem Heft möchte die deutsche Domus auch eine erfreuliche Neuigkeit verkünden: Der Designkritiker Paolo Tumminelli wird ab sofort als neuer offizieller Botschafter und Editorial Brand Director die Arbeit von Domus bereichern. In einer regelmäßigen Kolumne kommentiert er künftig Markt- und Branchentrends und spürt in ausführlichen Features neue Entwicklungen auf. Einen Vorgeschmack bekommen Sie ab Seite 38.
Wir wünschen Ihnen viel Freude beim Lesen und Entdecken dieses Hefts. Unsere nächste Ausgabe erscheint am 1. September 2016.
Nancy Jehmlich