Editorial

Die wichtigste Aufgabe der Gebäudehülle besteht darin, Innenräume vor Umwelteinflüssen zu schützen. Traditionell kommt der Fassade noch eine weitere Rolle zu: Sie vermittelt zwischen innen und aussen. Ihre bauphysikalische Beschaffenheit bestimmt, wie das Innere belichtet, belüftet und beschallt wird; ihre Ge­staltung wiederum prägt das Gesicht, das ein Gebäude seiner Umgebung ­präsentiert, und damit letztlich auch dessen ­Bedeutung für die Öffentlichkeit.

Neue Material- und Konstruktionstechnologien machen es möglich, dass heutige Fassaden noch mehr leisten und einen zusätzlichen Nutzen für das Gebäude und seine Umgebung generieren – etwa indem sie Elektrizität, Wärme und saubere Luft produzieren, Informationen vermitteln oder Lebensräume für diverse Tierarten bieten.

In diesem Heft geht es um drei Varianten dieser gewinnbringenden Konstruktionen. Wir unter­suchen eine neuartige Photovoltaikfassade und begrünte Fassaden, die als vertikale Gärten das Stadtklima verbessern. Und wir ­beschäftigen uns mit einer expressiv geschuppten Glashülle, dank der das scheinbar Unmögliche gelang: ­einem Neubau die gewünschte städtebauliche Präsenz als vollverglaster Kubus zu ver­leihen, ohne auf eine höchstwertige Umsetzung des ­Wärme- und Kälteschutzes zu verzichten. Alle drei Fassadenvariationen tragen folglich passiv oder aktiv dazu bei, die Vielfalt der Gebäude­funktionen im Siedlungsraum zu erhöhen.

Judit Solt, Paul Knüsel

Inhalt

AKTUELL
07 Wettbewerbe
«So muss jeder seine Ver­antwortung zur richtigen Zeit wahrnehmen»

10 PANORAMA
Ökologisches Glaubensbekenntnis | «Wichtig ist, dass die Emotionen stimmen»

15 VITRINE
Neues aus der Baubranche | Neues aus der Schweizer Baumuster-Centrale

19 SIA
Normen als Partitur der Baukultur | Neue Excel-Tools für die Anwendung von SIA 2024 | Pensionierung perfekt geplant | Studienreise nach Berlin | a&k – Reisen und Exkursionen

24 VERANSTALTUNGEN

THEMA
VERTIKALE VIELFALT

26 EIN FILTER FÜR WÄRME UND LICHT
Paul Knüsel
Die Glasfassade des Zürcher Stadtspitals Triemli bringt nicht nur in der Wärmebilanz einen Gewinn.

30 SCHAUFASSADE FÜR DIE FORSCHUNG
Cornelia Froidevaux-Wettstein
Die neue PV-Fassade eines CSEM-Laborgebäudes dient als Aushängeschild für die haus­eigene Forschung.

33 OPTISCH ANSPRECHEND, ÖKOLOGISCH VON VORTEIL
Iris Scholl
Grüne Gebäudefassaden erhöhen die Naturvielfalt und die Erlebnisqualität im Siedlungsumfeld. Erfahrungswerte zu Unterhalt und Dauerhaftigkeit sind kaum bekannt.

AUSKLANG
37 STELLENINSERATE

45 IMPRESSUM

46 UNVORHERGESEHENES

Ein Filter für Wärme und Licht

Das Zürcher Stadtspital Triemli ist um ein Bettenhaus erweitert worden, das hohe Ansprüche an die Betriebs- und Energieeffizienz erfüllen muss. Die zweischichtige Glasfassade scheint funktional widersprüchlich gewählt; sie ist aber nicht nur in der Wärmebilanz ein Gewinn.

Fast ein halbes Jahrhundert nach seiner Eröffnung hat das Stadtspital Triemli markanten Zuwachs erhalten: Das bestehende Hauptgebäude und der Behandlungstrakt im Friesenberg-Quartier am Fuss des Uetlibergs werden nun um ein Bettenhaus ergänzt, das 100 m lang, 35 m breit, 50 m hoch ist. 15 Geschosse lie­gen sichtbar über dem Boden; zwei ­weitere befinden sich darunter.

Wie die bestehenden Gebäude der nun dreiteiligen Gruppe verfügt der ­Neuankömmling über einen eigenständigen Charakter; die städtebauliche Setzung der Baukörper erhöht dadurch die Spannung im gegenseitigen Wechselspiel. Gleichwohl halten die aussenräumlichen Beziehungen das neue Ensemble aus prägnanten Zeitzeugen z­usammen. Repräsentiert der 70 m hohe Bettenturm den grosszügi­gen Umgang mit Beton in den 1970er-Jahren, betonen Volumetrie und Tektonik des Neubaus eine zweck­mässige, effektvolle und zeitgenössische Architektur.

Hauptmerkmal ist die reflektierende Fassade aus zwei transparenten Glasschichten. Inwendig schliessen raumhohe Fenster die Bettenzimmer ab, ohne die Blickachsen von innen nach aussen zu behindern. Und davor ziert jedes Geschoss eine umlaufende Serviceschicht, deren verspiegelte Brüstung jeweils unterschiedlich abgewinkelte Gläser sind.

Das Gebäude selbst besteht aus einem Betonskelett, dem die 39 cm mächtigen Zwischendecken, die zentralen Einbauten und ein äusserer Stützenring zuzuordnen sind. Die Glas-Metall-Fassade übernimmt dagegen keine statische Funktion; die Raumfenster sind geschossweise durchgängig eingepasst. Die äussere Serviceschicht ist an die massive Gebäudestruktur ­vorgehängt.

Gestalterisches Lichtspiel

Der Glanz am neuen Bettenhaus sorgt aber nicht nur für einen deutlichen Kontrast zu den Nachbargebäuden, sondern verändert auch die Wahrnehmung des grossen Baukörpers selbst. Aus gewisser Entfernung gibt die Glasfassade die jeweils unmittelbar ändernden Wetter- und Lichtverhältnisse wieder. Dagegen löst sich das Spiegelbild in der Detailansicht wie beim Zoom auf ein digitales Bild in unzählige Pixel auf.

Erzeugt wird dieser reflexive Skaleneffekt zum einen durch unterschiedlich geneigte und abgewinkelte Glaselemente in der äusseren Brüstungsschicht, wodurch der horizontale Umriss um das neue Bettenhaus zu einer Zickzacklinie wird. Zum anderen ist das vertikale Gebäudeprofil abgestuft, mit einem maximalen Versatz von 2 m zwischen den Geschossen. Deren Aussenkanten bleiben jedoch immer unter dem Rand des leicht geneigten ­Gebäudedachs.

Das Muster der Fassadengestaltung wurde intuitiv entworfen, sowohl digital am Computer als auch analog am Gebäudemodell mit Massstab 1 : 100. Über ein Jahr lang war ein Mitarbeiter des Architekturbüros Aeschlimann Hasler Partner damit beschäftigt, jede einzelne Stufe und jeden Brüstungswinkel zu bestimmen und die Konstruktion zusammen mit dem Fas­sadenplaner ausführbereit weiterzuentwickeln.

Die Brüstungsgläser sind zudem farblich mithilfe einer Metallbeschichtung differenziert; in der Abfolge wechseln sich die Scheiben jeweils in vier Tönen zwischen Blau und Silber ab. Sie sind jeweils in einen Alumi­niumhandlauf auf einer Höhe von 1.1 m eingezogen und auf Fusshöhe an zwei Punkthaltern fixiert. Weil die Serviceschicht begehbar ist, wurden aus Sicherheitsgründen teilvorgespannte Gläser verwendet. Stirnseitig stossen die abgewinkelten Scheiben aber nur lose aneinander, weshalb die Fugen der halbhohen Brüstung jeweils offen sind.

Energiedurchlass spezifiziert

Zu den eigentlichen Vorzügen der zweiteiligen Glasfassade gehört jedoch die selektive Filterfunktion: Da sich die Sonnenstrahlung in einen Wärme- und einen Lichtanteil aufteilen lässt, werden unterschiedliche Durchlassanforderungen an die Gläser definiert. Abhängig ihrer Positionierung in der Aussen- oder Innenschicht weisen die Scheiben einander deutlich abgrenzende Transparenzqualitäten auf.

So erlauben die Raumfenster einen hohen passiven Energiegewinn, weil der Infrarotanteil des Sonnenlichts weitgehend einstrahlen kann (Gläser mit g-Wert > 50 %). Die äusseren Brüstungsscheiben besitzen dagegen einen g-Wert von durchschnittlich nur knapp 20 %, was viel Licht durchscheinen lässt, aber hohe Anteile der langwelligen ­Infrarotstrahlung abhalten kann. Dadurch gelingt insbesondere der bauphysikalische Spagat, trotz durchgängiger Glasfront ein weit überdurchschnittliches Energieeffizienzniveau erreichen zu können. Das neue Bettenhaus trägt das Minergie-P-Eco-Gebäudezertifikat und ist damit auf einen spezifischen Energiekonsum von rund 4 l Heizöläquivalente pro m2 ausgelegt.

Bei Inangriffnahme der Ausführungsplanung waren Bauherrschaft und Planer jedoch damit konfrontiert, dass nirgendwo sonst ein derart niedriger Bedarf oder planerisch ein solcher Nachweis für diese Ge­bäu­detypo­logie erbracht worden war. Der hohe Glasanteil an der Gebäudehülle erschwerte einerseits die baulichen Bedingungen, insofern eine vertiefte Abwägung zwischen solarem Energiegewinn und Wärmeschutz an der Fassade durchzuführen war.

Andererseits weist der hohe Grad an Belegung und Technisierung im Spitalbetrieb daraufhin, dass die Räume im neuen Bettenhaus mehr Kühl- als Heizwärmebedarf besitzen. Daraus ergab sich, dass die unterschiedlich definierte Energiedurchlassqualität ein taugliches Kriterium für die Auswahl der jeweiligen Gläser und Fenster ist. Die Fassadenschichten selbst bilden daher einen selektiven Strahlungsfilter: Die äussere Brüstung präferiert den Lichtdurchlass; die baulich stärker abgeschirmten Raumfenster eignen sich eher für einen passiven Wärmegewinn.

Die Brüstung ragt zudem in das Lichtprofil der darunterliegenden Geschosse, die daher bei hohem Sonnenstand teilweise vor direkter Ein­strahlung geschützt werden. Automatisierte Storen schirmen die Patientenzimmer gegen weitergehenden Sonnen­strahleneinfall ab. Und in der Nacht sorgt ein Lüftungsflügel, der im Raumfenster integriert ist, bei Bedarf für die erforderliche Auskühlung. Der automatisierte Hitzeschutz ist vorgängig mit Simulationen und an ­einem Pilot- und Demonstrationspavillon definiert ­worden, inklusive optimaler Neigewinkel der Raff­lamellen sowie der Querschnitt der Lüftungsflügel.

Durchlässige Konstruktion

Der Wärmeschutz ist an der inneren Fassadenschicht trotzdem konstruktiv angemessen umgesetzt: Zum einen liegt der Wärmedurchgangskoeffizient (U-Wert) der Dreifach-Isoliergläser unter 0.9 W/m2K, was dem bestmöglichen Stand der Technik entspricht. Zum anderen ist die Serviceschicht thermisch getrennt mit der massiven Gebäudestruktur verbunden.

Die Stahlkonsolen, die das Aussengerüst tragen, sind so nicht direkt an die Stirnseite der Zwischendecken geschraubt; der 0.3 m tiefe Zwischenraum ist jeweils mit Zelluloseflocken und Steinwolle wärmedämmend ausgefüllt. Weitere energetische Schwachstellen sind mit Vakuumpaneelen abgedeckt.

Die begehbare Serviceschicht ist vor Wind und Regen nur wenig geschützt und besteht teilweise aus durchlässigen Komponenten. Den Boden bilden engmaschige Gitter- oder Kammroste, deren Unterseite mit abklappbaren Streckmetallelementen aus Aluminium besetzt sind. Die Fugen zwischen den Glaselementen bleiben an der Brüstung ebenfalls offen. Die ursprünglich befürchtete Vogelinvasion hat sich entschärft, weil Taube, Schwalbe & Co. keine geschützten Nistplätze finden können. Zur vorsorglichen Abwehr wurden dennoch Anschlüsse montiert, die bei Bedarf mit Tieftonsendern bestückbar sind.

Die transparenten Fassaden des neuen Bettenhauses besitzen mehrere blinde Flecken: Sowohl entlang der vertikalen Gebäudekanten als auch unmittelbar ­unter dem Dach sind Gläser mit emaillierter Blend­beschichtung eingesetzt. Insofern zählen auch sie zu der insgesamt 15 000 m² grossen Fassadenfläche, die es regelmässig zu unterhalten und zu reinigen gilt. Hauptsächlich erfolgt dies von der Serviceschicht aus – das Personal hat sich dabei an einem inwendig geführten Seil zu sichern. Zusätzlich ist auf dem Dach des Bettenhauses eine Fassadenbefahranlage installiert, die nicht nur für die Reinigung, sondern auch für den Austausch von Gläsern und Fenstern eingesetzt werden kann.

TEC21, Fr., 2016.03.11

11. März 2016 Paul Knüsel

Schaufassade für die Forschung

Ein bestehendes Laborgebäude des Schweizerischen Zentrums für ­Elektronik und Mikrotechnik CSEM in Neuenburg hat eine neue Fassade erhalten. Sie dient als Aushängeschild für die hauseigene Forschung und präsentiert bifaziale, besonders effiziente PV-Zellen.

Das CSEM (Centre Suisse d’Electronique et de Microtechnique) in Neuenburg verfügt mit seinem Photovoltaik-Center über eine renommierte Forschungsabteilung im Bereich der Solartech­nologie. Hier wurden erstmals weisse und andersfarbige PV-Module entwickelt (vgl. «Überwältigende Vielfalt», TEC21 24/2014); für diese Innovation erhielt das CSEM im Januar den Schweizer Umweltpreis 2016. Als vor drei Jahren der Entscheid fiel, eines der CSEM-Gebäude instand zu setzen, lag es denn auch nah, im gleichen Zug eine grossflächige PV-Anlage in den Bau zu integrieren.

Vorgehängte PV-Fassade

Die beauftragten Architekten und die Projektverantwortlichen des CSEM haben mit dem PV-Produzenten Meyer Burger in Thun die Idee entwickelt, eine im ­Abstand von einem Meter vorgehängte PV-Installation als neue Südfassade einzusetzen. Hinter dieser PV-Wand liegt die bestehende, fensterlose Gebäudesüdmauer – fensterlos, da sich in diesem Bereich des Gebäudes Laboratorien befinden, in denen teilweise unter Reinraumbedingungen gearbeitet wird.

Die Ausrichtung nach Süden ist ideal, die Neigung der PV-Module an der vertikalen Wand hingegen nicht optimal; idealerweise betrüge sie in unseren Breitengraden ca. 30 % zur Horizontalen. Um den Abstand zwischen der PV-Fassade und der Gebäudemauer nicht ungenutzt zu lassen, verwendete man vom CSEM entwickelte, sogenannte bifaziale PV-Zellen. Deren Funktionsprinzip ist einfach: Das Sonnenlicht scheint durch die halbtransparente PV-Wand hindurch, wird an der mit einer silbrigen Farbe beschichteten Gebäudewand reflektiert und trifft zurück auf die Rückseite der PV-Zellen.

Auf diese Weise erhöht sich der Wirkungsgrad der PV-Wand um ein knappes Fünftel. Die quadratischen, dunklen PV-Zellen wurden in transparentes Sicherheitsglas eingebettet, um ein schönes Lichtspiel zu erreichen. Die 633 m² grosse PV-Fassade – Metallstruktur und Module – wiegt 35 t; sie umfasst 210 PV-Module von 2.34 × 1.20 m mit je 66 PV-Zellen. Die Metallstruktur ist über vier Fixierungspunkte pro Modul in der Gebäudemauer verankert. Bei der Bemessung der Fixierung wurde ein besonderes Augenmerk auf die Windbelastung gelegt.

Neue Photovoltaiktechnologie

Die verwendeten PV-Zellen funktionieren auf der Basis der sogenannten Heteroübergangs-Technologie (engl. Heterojunction Technology, HJT), die bereits in den 1990er-Jahren in Japan entwickelt wurde. Das PV-Center des CSEM und der PV-Lab der EPFL haben die Technologie nach Ablauf des Patentschutzes weiter­entwickelt und in ihrer Wirkungsweise verfeinert. Für die Herstellung der technologisch neuartigen Module hat der Produzent Meyer Burger eine eigene Produk­tionslinie samt neuen Maschinen entwickelt.

Bei der HJT-Photozelle handelt es sich grob gesagt um einen Wafer aus kristallinem Silizium, der beidseitig mit extrem dünnen Schichten von amorphem Silizium (im Nanometerbereich) sowie einer transparenten und leitfähigen Antireflexionsschicht beschichtet wird.

Rückseitig erfolgt anschliessend das Auftragen sehr dünner Metallschichten, um die Reflexion und Leitfähigkeit zu erhöhen. Schliesslich wird noch die typische Gitterstruktur aus Silber angebracht, die den Strom ins Netz leitet. Diese Technologie erreicht dank ihrer Bifazialität einen höheren Wirkungsgrad als ­Standard-PV-Zellen auf Siliziumbasis: Im Idealfall wird nahezu das Doppelte der Sonnenlichtenergie in elektrische Energie umgewandelt.

Ein weiterer Vorteil ist das Temperaturverhalten: Der Leistungsabfall bei hohen Temperaturen ist gering. Zudem konnte der Anteil des für die Leitung der elektrischen Energie benötigten Silbers verringert werden, was Kosten spart.

Ist das rentabel?

Wegen der Neuheit der Technologie wird die Fassade zu Forschungszwecken beobachtet. Das CSEM wird kontinuierliche Messungen zur Bestimmung von Leistung und Wirkungsgrad in Funktion der meteorologischen Bedingungen durchführen; diese werden für die künftige Anwendung der Technologie nützlich sein. Auch die geschätzten Unterhaltskosten und Lebensdauer müssen über Erfahrungswerte bestätigt werden.

Die Präsentation von hauseigener Technologie auf 633 m² ist ein Aushängeschild für das CSEM. Die Finanzierung erfolgte mit Unterstützung der Stadt Neuen­burg und Viteos, dem Marktführer im Sektor ­erneuerbare Energien in der Region. Doch wäre diese Technologie auch anderswo wirtschaftlich sinnvoll einsetzbar? Von der PV-Wand wird eine jährliche Leistung von 50–60 MWh erwartet, die direkt ins Netz von Viteos eingespeist wird.

Dies entspricht etwa dem Verbrauch von rund 15 Schweizer Modellhaushalten. Bei Energiekosten von ca. 21 Rappen für eine Kilowattstunde Strom resultiert ein Ertrag von knapp 13 000 Franken pro Jahr. In Anbetracht der Kosten von einer knappen Million Franken für die PV-Fassade ergibt sich eine sehr lange Amortisationsdauer.

Setzt man jedoch voraus, dass solche PV-Fassaden in Zukunft günstiger werden, weil die Technologie und die Maschinen für ihre Herstellung bereits zur Verfügung stehen, und bezieht man die «Sauberkeit» der Energie, die ästhetischen Vorteile und die positive öffentliche Wahrnehmung als nicht monetäre Mehrwerte mit ein, so lässt sich doch ein gewisses Rentabilitätspotenzial für eine solche Investition erahnen.

TEC21, Fr., 2016.03.11

11. März 2016 Cornelia Froidevaux-Wettstein

Optisch ansprechend, ökologisch von Vorteil

Grüne Gebäudefassaden liegen im Trend und besitzen grosses Potenzial zur Erhöhung der Naturvielfalt und der Erlebnisqualität im Siedlungsumfeld. Erfahrungswerte zu Unterhalt und Dauerhaftigkeit sind kaum bekannt.

Wo sich rund um ein Gebäude noch unversiegelte Fläche zieht, lassen sich Kletterpflanzen direkt im Erdboden anpflanzen. Ist mangels Raum keine derartige Pflanzung möglich, lässt sich eine fassadengebundene Begrünung realisieren (vgl. TEC21 9/2010 «Vertikalgrün»).

An Fassaden, die mit Pflanzen gestaltet sind, können dadurch unschöne Details verdeckt werden. Meistens jedoch sollen begrünte Fassaden die Qualität im Siedlungsraum erhöhen. In einzelnen Gemeinden werden grüne Ge­bäudefassaden sogar für den ökologischen Ausgleich von verbauten Flächen oder zur Verbesserung der ­Grünflächenziffer angerechnet.

Erholung, Lebensqualität und Mikroklima

Naturnahe und grüne Räume, aber auch einzelne ­Naturelemente wie Sträucher oder Bäume haben für Menschen einen hohen Erholungswert. Denselben Effekt haben grüne Fassaden: Genauso wie andere Natur­objekte ziehen sie Insekten an, darunter Bienen, Fliegen und Käfer, und damit weitere Tiere, die von ihnen leben. Der Natur- und Erlebniswert wird noch verstärkt durch die Vögel, die ihrerseits durch Kleintiere oder Früchte von Fassadenpflanzen angelockt werden. Damit leisten begrünte Fassaden auch einen Beitrag zur Artenvielfalt im dichten Siedlungsraum.

In und über Städten ist es in der Regel mehrere Grad wärmer als im Umland. Baumaterialien wie Asphalt, Beton und Tonziegel heizen bei Sonneneinstrahlung stark auf und geben die Hitze über Nacht wieder ab. Begrünte Fassaden verhindern dagegen ein starkes Aufheizen des Gebäudes und schützen Wände vor der UV-Einstrahlung. Zudem geben die Pflanzen Wasser ab; die Verdunstung senkt die Umgebungstemperatur. Nicht umsonst ist im Sommer der Schatten von Bäumen ein bevorzugter Platz. Ein ebenso wichtiger Aspekt ist die luftreinigende Wirkung: Der Feinstaub, etwa aus dem Verkehr, lagert sich auf Blättern und Nadeln ab und wird vom Regen wieder abgewaschen. Gleichzeitig binden Blätter und Nadeln CO2 und produzieren Sauerstoff.

Bodengebundene Begrünung

Bei Pflanzen, die im natürlichen Boden wurzeln und an Wänden oder Fassadenkonstruktionen emporklettern, wird von bodengebundener Begrünung gesprochen. Arten, die ohne Gerüst und Kletterhilfe auskommen, sind sogenannte Selbstklimmer. Sie klettern mithilfe von Haftwurzeln oder Haftscheiben. Zu ihnen gehören Efeu und einige Arten des wilden Weins. Gerüstklet­terer hingegen benötigen eine Kletterhilfe.

Je nach Art der Pflanze – Schlinger, Ranker oder Spreizklimmer – kann diese diagonal oder senkrecht geführt werden; sie benötigen aber eine unterschiedliche Dicke, unterschiedliches Material und eine angepasste Stabilität. Der beliebte Blauregen (Glyzine) ist beispielsweise ein Schlinger, der sehr alt, hoch und schwer wird. Die Kletterhilfe muss daher stabil und gut verankert sein. Im Gegensatz dazu genügen dem Hopfen Hanfseile zum Emporwachsen, da die oberirdischen Teile einjährig sind.

Letztere sind zusammen mit den verwelkten Pflanzenresten abzuräumen und zu kompostieren. Spreizklimmer wie zum Beispiel Rosen halten sich mit Dornen fest. Starker Wind kann die Ranken jedoch leicht losreissen, daher müssen sie zusätzlich befestigt werden und brauchen regelmässige Pflege. Den grössten Pflege­aufwand verursacht das Spalierobst, da es sorgfältig aufgebunden, regelmässig zurückgeschnitten und mit Nährstoffen versorgt werden muss.

Fassadengebundene Begrünung

Beim direkten Fassadenbewuchs dient die Fassade selbst als Vegetationsfläche. Dadurch wird eine Begrünung in grosser Höhe ermöglicht, etwa bei hohen Häusern oder wenn der Raum für eine bodengebundene Begrünung fehlt. Eine vertikale Grünfläche wird an einer vorgehängten Fassade aufgebaut. Die Pflanzen erhalten keinen Kontakt zum Baukörper. Trotzdem muss die Gebäudehülle gegen Feuchtigkeit und Durchwurzelung geschützt sein. Als Trägermaterial dienen meist Vliese oder Steinwolle, die ein Wasser speicherndes Substrat enthalten.

Heute sind verschiedene Systeme auf dem Markt, die eine flächige vertikale Begrünung erlauben. Allenfalls müssen die Anlageteile vor Ort zusammengebaut, mit Substrat gefüllt und bepflanzt werden, oder sie werden fertig geliefert und montiert. Wasserverteilung und Düngung erfolgen über entsprechende Leitungen und ein ausgeklügeltes Steuerungssystem. Dies ist notwendig, weil die oberen Fassadenbereiche sonst schnell austrocknen und das Wachstum in den unteren Bereichen dank mehr Schatten und mehr Feuchtigkeit grösser ist.

In jedem Fall muss die vertikale Bepflanzung optimal auf Licht- und Klimaverhältnisse abgestimmt und die Bewässerung sorgfältig geplant sein. Nur so lassen sich abhängig von Pflanze und Klima vertikal optisch ansprechende, grüne Pflanzenwände komponieren, in den verschiedensten Grüntönen und mit unterschiedlichen Blütenfarben.

Auch die althergebrachten Pflanzenkistchen, Tröge und Töpfe, in denen sich Pflanzen ziehen lassen, sind Teil der Fassadenbegrünung. Hängepflanzen bilden auf eher kleiner Fläche etwa blühende, vertikale Polster. Gerüstranker wie zum Beispiel einjährige Bohnen klettern dagegen am Balkongeländer oder an einer kleinen Kletterhilfe nach oben. Für diese Art der Begrünung braucht es meist keine speziellen baulichen Massnahmen.

Vor- und Nachteile begrünter Fassaden

Allgemein wirken grossflächige Fassadenbegrünungen isolierend, verbessern das Raumklima, schützen sowohl vor Hitze als auch gegen Kälte und haben ein gewisses Rückhaltevermögen für Regenwasser. Allerdings können fassadengebundene Begrünungen aus Konstruk­tionsgründen solche Vorzüge wohl besser erfüllen als bodengebundene Systeme. Der ökologische Beitrag für die Tierwelt bei fassadengebundenen Begrünungen ist hingegen nicht näher untersucht.

Da an solchen Fassaden spezielle Verhältnisse herrschen, sind sie nur für wenige Pflanzen- und Tierarten als ganzjähriger Lebensraum geeignet. Öfters fehlen wichtige Strukturen wie dürre Pflanzenstängel oder welke Blätter, an denen Insekten überwintern könnten. Zudem ist der natürlich gewachsene, grosszügig durchwurzelbare Boden ein wichtiger Bestandteil im gesamten ökologischen Haushalt. Nur hier kommen Mikroorganismen vor, die verwelkte Blätter und Blüten, abgestorbene Wurzeln und andere Pflanzenteile zu Humus umwandeln und viele andere Tiere mit einem Nahrungsangebot beliefern.

Die verfügbaren Systeme vereinfachen das Erstellen von fassadengebundenen Begrünungen. Trotzdem bleibt der Aufwand für Planung, Realisierung und Pflege relativ gross. Allenfalls lässt sich dies kompensieren, wenn die nicht sichtbaren Fassadenabschnitte nur reduziert gestaltet werden. Zudem sind keine Erfahrungswerte bekannt, wie solche Begrünungen und die Bewässerungsanlagen einen frostreichen, kalten Winter überstehen. Deshalb aber auf Fassadenbegrünungen zu verzichten wäre sicher falsch.

Was kann schiefgehen?

Jede Pflanzenart hat ihre Standortpräferenzen, bevorzugt Sonne oder Schatten, braucht mehr oder weniger Nährstoffe und ist auf eine passende Kletterhilfe angewiesen, wenn es sich um bodengebundene Begrünung handelt. Selbstklimmer brauchen riss- und fugenlose Wände, da sie sonst Schäden verursachen können. Bei Aussenisolationen muss die Verankerung der Kletterhilfe thermisch durchdacht werden, um Wärmebrücken zu vermeiden.

Zudem müssen die Material aufeinander abgestimmt sein. Metallene Kletterhilfen halten eher weniger lang als hölzerne und fallen unbewachsen weniger auf. Einmal bewachsen, wirkt Holz hingegen stimmiger in Kombination mit den Pflanzen. Zentral für alle Varianten einer Fassadenbegrünung ist die Standortwahl: Licht, Wind und Wetter bestimmen hauptsächlich das Pflanzenwachstum und können durch die Umgebung, den Schattenwurf oder die Sonnenlichtreflexion von Nachbarbauten stark beeinflusst werden.

TEC21, Fr., 2016.03.11

11. März 2016 Iris Scholl

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