Editorial
Kurz vor Redaktionsschluss passierte es: Während der Pilgerzeit in Mekka trafen zwei Menschenströme aufeinander, eine Massenpanik mit verheerenden Auswirkungen war die Folge. Laut Medienberichten starben 769 Menschen, womöglich sind es mehr. Die deutsche Domus hatte einen Bericht zu dem Wegeleitsystem und der Jamarat-Brücke vorbereitet und die Frage aufgeworfen, wie sich Saudi-Arabien als Hüter der heiligen Stätten von Mekka und Medina dem Problem der Pilgerströme auch städtebaulich stellt. Die Redaktion hat sich trotz der Geschehnisse für einen Abdruck entschieden: Gerade angesichts der Katastrophe sollte man genauer hinschauen, wie baulich und organisatorisch auf Massenbewegungen eingegangen wird, um weiterhin sinnvoll nach Lösungen und Schwachstellen suchen zu können. Denn der Prozess ist jetzt erst recht noch längst nicht abgeschlossen.
Als Schwerpunkt haben wir uns in dieser Domus-Ausgabe die Kunst und ihre Räume angeschaut. Wir stellen Ihnen drei Museen, eine Galerie und das Haus eines Sammlers vor. Dabei haben sich interessante Paarungen und Tendenzen ergeben: Während zwei der Museen mit einer modulierten Betonfassade den Blick nach innen richten, öffnen sich die anderen beiden mit einer Struktur aus Metall und Glas zugleich der städtischen Umgebung. Francisco Mangado versteckt bei seiner lichten Museumserweiterung die schönen Künste hinter den historischen Fassaden eines Häuserblocks mitten in der Altstadt des spanischen Oviedo und stellt so eine architektonische Verbindung zwischen Geschichtsräumen und Gegenwartsraum her. Renzo Piano schenkt der Kunst mit seinem neuen Whitney Museum Manhattan eine öffentliche Bühne, bei der Besucher und Stadt Teil der Inszenierung werden. Dagegen wollten die Schweizer Architekten Marcel Meili und Markus Peter mit ihrer Erweiterung des Sprengel Museums Hannover die Räume zum Tanzen bringen, indem sie diese frei gegeneinander verdreht in eine große schwarze Betonbox stellten. Und die Schweizer Architekten Diener & Diener verwandelten die sozialistische Stahl-Glas-Konstruktion der Foksal Gallery Foundation in Warschau in eine graue Box aus Gussbetonrelief und Fenstern, die die innere Struktur funktional und spielerisch zugleich nach außen abbildet. Der Südtiroler Architekt Walter Angonese schließlich entwarf bei Bozen ein Haus für einen Kunstsammler, in dem es sich mit der Kunst auch prima wohnen lässt: Die Villa auf einem Weinberg passte er der Landschaft an, die Kunst versenkte er gekonnt unter die Erde.
Temporäre Räume eröffnen und beenden das Heft. Olivier Grossetêtes `Constructions monumentales´ etwa brauchen kein Museum: Es sind Bauwerke aus Pappe, die er gemeinsam mit den Bewohnern als Stadt in der Stadt errichtet und die der Kunst im öffentlichen Raum eine völlig neue Bedeutung verleihen. Der Künstler Thomas Hirschhorn wiederum verlegt das Temporäre und Vergängliche ins Museum: Seine Installation in der Bremer Kunsthalle stellt die Sinnfrage, indem sie fünf ausgewählte Gemälde der Sammlung in einer Ruinenlandschaft präsentiert. Der italienische Architekt Giovanni Filindeu schließlich hält ein Plädoyer für das Ausstellungsdesign und erhebt es zur Architektur.
Die Kunsträume und mit ihnen die Architektur sind ganz schön in Bewegung geraten. Vor diesem Hintergrund kommt die Institution Museum gar nicht umhin, nach einer Neupositionierung zu suchen. `Ist die Zeit jener Museen doch eindeutig vorbei, in denen die Architektur sich gegenüber der Kunst in den Vordergrund drängt´, schreibt Oliver Elser in seiner Kritik zum Sprengel Museum Hannover. Außerdem haben Museumsgebäude eine schwierige Aufgabe, da sie zwei unterschiedliche Ziele verfolgen müssen, wie es Aaron Betsky in der deutschen Ausgabe der Domus Nr. 09 auf den Punkt bringt: `Zum einen haben sie Denkmäler zu sein. Zum anderen jedoch sind Kunstmuseen auch kulturelle Attraktionen. Und sind so gesehen unsere weltlichen Kirchen´. Sie sollen Identität stiften und zugleich verführen. Inwieweit die aktuell eröffneten Museen all diese Anforderungen erfüllen, muss sich zeigen. Die deutsche Domus jedenfalls wird die weiteren Entwicklungen in der Museumslandschaft mit wachem Blick verfolgen.
Mit diesem Heft möchte ich mich als neue Chefredakteurin vorstellen. Seit 18 Jahren begleitet mich meine Leidenschaft zur Architektur, die ich mehrere Jahre an verschiedenen Universitäten studierte, und ich freue mich, sie nun mit Ihnen teilen zu können. Viel Freude bei der Lektüre. Unsere nächste Ausgabe erscheint am 17. Dezember 2015.
Nancy Jehmlich