Editorial
Als die Welt noch klar geordnet war, teilten einfache Kategorien die einzelnen Bereiche des Lebens ein. Der Alltag beispielsweise gliederte sich in Arbeit und Freizeit. Die beiden Antipoden brauchten einander, um ihre eigene Bedeutung durch den Ausschluss des Gegenteils zu untermauern. Neben der Arbeitszeit im Büro gab es den Feierabend, neben dem Geldverdienen den Urlaub und die Familie. Und als Ausgleich zum Lohnerwerb gab es Freunde und Hobbys. Alles kam zu seiner Zeit dran, alle Bereiche hatten einen festen Platz im klar regulierten und strukturierten Tagesrhythmus. Und sie alle waren entweder der Arbeit oder der Freizeit zuzuordnen. Ein Dazwischen war nicht vorgesehen.
Manchmal könnte man neidisch werden auf solch klare Verhältnisse, denn es gibt sie nicht mehr. Die Kategorien Arbeit und Freizeit haben sich so weit aufgelöst, dass aus ehemaligen Widersprüchen gute Freunde geworden sind, die sich gegenseitig austauschen und voneinander lernen. Das Konzept der Arbeit ist mit dem der Freizeit eng verknüpft. Kaum einem fällt das Wohlfühlmenü in der Kantine noch als solches auf. Manche Arbeitgeber bieten ihren Mitarbeitern sogar Entspannungsräume und Ruhezonen. Sportvereine oder Fitnessstudios schaffen optimale Voraussetzungen für die Arbeit am Körper - auch die Freizeit braucht heute Leistungseinheiten. Freunde und Kollegen sind meist dieselben, Freizeit- und Berufsinteressen gehen ineinander über. Aus der Erwerbstätigkeit ist eine umfassende Lebensidee geworden, die sich der Belange der Freizeit angenommen hat. Zwar gibt es die klassische Definition von Arbeit kaum mehr, aber das Prinzip Freizeit ist allgegenwärtig.
Für die aktuelle Ausgabe der deutschen Domus war der Freizeitbegriff gerade aufgrund solcher Entwicklungen eine stimmige Klammer und ein Passepartout für verschiedene Projekte mit differenzierten Nutzungen, für Orte und Konzepte.
Den Auftakt im Ansichten-Teil des Hefts macht Peter Bialobrzeskis `Athens Diary´. Die Fotoserie des Hamburger Künstlers setzt sich klar von jenen Klischeebildern der griechischen Hauptstadt ab, die Freizeitreisende und Touristen geprägt haben.
Die Aufnahmen werfen einen anderen Blick auf die Stadt, ihre Architektur und ihre Menschen - sie zeigen den Alltag neben dem Abgrund und eine Lebensrealität, die auch als Konsequenz politischer Entscheidungen gedeutet werden kann.
Im Architektur-Teil dieser Ausgabe stellen wir Ihnen Projekte aus Belgien, den USA und Frankfurt am Main vor. Das Golfclubhaus des Büros Robbrecht en Daem architecten aus Gent faltet sein großes Dach wie ein Zelt in der Hügellandschaft auf. Und im New Yorker Stadtteil Brooklyn lockt der transparente Pavillon für ein restauriertes Karussell Touristen und Besucher an – das Fahrgeschäft als Freizeit-angebot aus vergangenen Zeiten lebt auf diese Weise wieder auf. Der Orient und seine Muster, Strukturen und Patterns sind im neuen Aga Kahn Museum von Fumihiko Maki in Toronto allgegenwärtig.
Sie bleiben es auch im neuen Elements Fitness- und Welnessstudio am Eschenheimer Turm in Frankfurt, das KSP Jürgen Engel Archi-tekten mit viel Sorgfalt in den Details und Referenzen zur traditionellen Hamam-Kultur umgesetzt haben.
Die 10. Design Parade in der Villa Noailles in der Provence wiederum greift ein Konzept auf, das mit zum Lebensesprit der künstlerischen Avantgarde gehörte, die in den 1920er-Jahren in der Villa an der Côte d’Azur ihre Freizeit verbrachte. Das internationale Festival prämiert Nachwuchsgestalter und ermuntert sie zum Experimentieren. Wir stellen Ihnen im Design-Teil dieser Ausgabe die Ausstellungen und Projekte der diesjährigen Finalisten genauer vor. Dazu zählt auch die ungewöhnlich bunte Dachstruktur aus recycelten Flipflops, die Christophe Machet zum diesjährigen Wettbewerb eingereicht hat und die auf dem Cover des Magazins zu sehen ist.