Editorial

Si, Ca, Fe, S, Mg, Al und Cu sind Kürzel aus dem Periodensystem der Elemen­te und bezeichnen die beim Bauen am häufigsten verwendeten chemischen Stoffe. Sie sind in unterschiedlicher Bindungsform in Sand, Kies, Kalk, Sinter, Ton, Gips, Keramik, Stahl und Glas ent­halten und Teil der anorganischen Chemie, was historisch die unbelebte, starre Natur meint. Mit den mineralischen Rohstoffen lässt sich solide bauen – doch leider stammen sie aus jahrtau­sendealten Prozessen und sind darum endliche Quellen. Reichhaltig verbaut ist ebenso das Kohlen­stoff­atom: Das bindungsfähige C prägt die organische Chemie, die durch eine natürliche und künstliche Reproduzierbarkeit charakterisiert ist und darum «nachwächst».

Bauen findet zwar nicht im Chemielabor statt, doch die Kenntnis der Rohstoffe und ihrer ­Herkunft soll helfen, die schwindenden Reserven zu schonen. Im Lauf der Zeit hat sich beispielsweise im Gebäudepark ein wertvoller Pool an Grundstoffen angesammelt, der grundsätzlich wieder- oder weiterverwertbar ist. Das Recycling von abgebrochenen Betonhäusern ist eine brancheninterne Erfolgsgeschichte. Weitere Baustoffe sollen diesem Beispiel folgen.

Wie weit die Absichten gediehen sind, die Mate­rialflüsse im Bausektor zu Stoffkreisläufen um­zulenken, erläutern die Schwerpunktbeiträge in diesem Heft. Mit der konstruktiven Umsetzung des Baurecyclings wird sich die nächste TEC21-Ausgabe befassen.

Paul Knüsel

Inhalt

07 WETTBEWERBE
Roter Teppich für Ingenieure

10 PANORAMA
Ein Nachmittag für die Baukultur | Substitut vs. Unikat

16 VITRINE
Neues aus der Bauindustrie

17 WEDER FREIZEITPARK NOCH AGRARWÜSTE
Weiterbildung: Stromeffizienz | Beitritte zum SIA im 1. Quartal 2015 | Erläuterung zu Merkblatt 2050 | Weiterbildung: Energieeffi­zientes Bauen

21 VERANSTALTUNGEN

22 ZUR FREIEN VERWERTUNG
Paul Knüsel
Der Abfallberg beim Bauen kann schwinden, wenn das Recycling gefördert wird.

25 MEHR GIPS FÜR DEN KREISLAUF
Manuel Stark
Der Kanton Zürich hält die vermehrte stoffliche Verwertung von Gipsabfällen für möglich. Die Zulieferbranche ist hellhörig geworden.

28 DIE ZUTATEN IM GEBÄUDE
F. Kleemann, Ph. Aschenbrenner, J. Lederer
«Woraus besteht ein Haus?», fragen Forscher in Wien.

31 DAS DILEMMA DER TEMPORÄREN NUTZUNG
Paul Knüsel
Der Schweizer Pavillon an der Expo Milano soll nicht entsorgt, sondern weiterverwendet werden.

32 STELLENINSERATE

37 IMPRESSUM

38 UNVORHERGESEHENES

Zur freien Verwertung

Die Wegwerfmentalität dominiert auch das Bauen. Riesige Mengen an Bauschutt und Abbruchmaterialien landen auf Deponien oder enden als niederwertige Reststoffe. Eine Recyclingstrategie tut not.

Einladung zum Rundflug über die Baustelle Schweiz, mit Start in Nordwest: In Kleinbasel wächst der Roche-Turm in den Himmel; westlich davon möchte der Kanton Teile des Felix-Platter- Spitals niederreissen. In Muttenz BL ist ein weitläufiger Hochschulcampus im Bau; knapp 20 km südlich wird das stillgelegte Zementwerk Lausen BL demontiert. Und auf der anderen Seite des Bözbergs sind die Konstrukteure und Demonteure ebenso eifrig am Werk: Die ehemalige Konservenfabrik in Lenzburg AG ist fast abgeräumt, stattdessen spriesst eine Grossüberbauung aus dem Boden.

Eine Fortsetzung der Besichtigungstour kann man sich sparen, die Eindrücke wären dieselben: In der Schweiz wird nicht nur emsig gebaut, sondern auch mindestens so viel abgerissen, abgebrochen oder abgeräumt. Das Bauen bewegt sich im Kreis: Wo Neues entstehen soll, muss Altes weichen. Das Bundesamt für Umwelt (Bafu) schätzt, dass fast 10 Mio. m3 Bausubstanz im Jahr verschwinden[1], ein grosser Anteil darunter sind alte Industriebauten und Werkhallen. Input und Output halten sich bei diesem riesigen Materialumsatz jedoch längst nicht die Waage: Über 60 Mio. t Rohstoffe werden jährlich in die Neubauten gesteckt; gleichzeitig hinterlassen die Rückbauobjekte einen riesengrossen Abfallberg. Insgesamt fallen 3 Mio. t Bauabfälle und Abbruchmaterialien an. Allerdings wird die rekordverdächtige Recyclingquote der inländischen Privathaushalte von 50% locker übertroffen. Auf der Baustelle Schweiz werden über vier Fünftel der Abfälle aussortiert und in die Verwertung geschickt.

Knapper Deponieraum Die Abrissbirne war gestern: Heute werden Gebäude auch in Handarbeit entkernt und mit Fräsen, Schneidegeräten und Baggerzähnen fein säuberlich zerlegt. Bis zu fünf Mulden nehmen die jeweils unterschiedlichen Materialfraktionen auf. Eine zunehmende Zahl von Wertstoffhändlern und Bauteilbörsen durchstöbert inzwischen fast jeden Abbruchplatz. Intakte Fenster und Türen oder funktionstüchtige Kücheneinbaugeräte werden sorgfältig ausgebaut und bisweilen zur Weiterverwendung nach Osteuropa exportiert. Giftstoffe und Sonderabfälle ausgenommen, enden 1 bis 2 Mio. m3 Bauschutt pro Jahr auf Inert-, Reaktor- oder Reststoffdeponien. Allmählich wird der Platz aber knapp. «Die Suche nach sicheren Standorten ist aufwendig, und die Akzeptanz in der Bevölkerung nimmt weiter ab», bestätigt Patrick Plüss, Co-Geschäftsführer GEO Partner AG. Deponien gilt es zudem als letzte Senke für nicht verwertbare Abfallrückstände zu reservieren. Daher bemühen sich immer mehr Kantone, die Abfallbewirtschaftung stärker mit Recycling anzureichern.

Tatsächlich wandeln sich Strategie und die Begriffe: Bislang wurden viele Rohstoffe verbaut und nach der Nutzungsphase weggeworfen. Neu wird der Gebäudebestand als Ressourcenpool für künftige Ansprüche verstanden. «Urban Mining» hat auch den Bausektor erreicht: Das temporäre Materialreservoir im bestehenden Gebäudepark soll dereinst zur stofflichen Wiederverwertung dienen. Den Kreislauf mit sekundären Abfallressourcen zu schliessen ist allerdings nicht einfach: Zum einen ist das Preisniveau für primäre Rohstoffe niedrig, zum anderen sind hochwertige Aufbereitungsverfahren noch in Entwicklung. «Der Recyclingerfolg hängt wesentlich davon ab, wie die Behörden den Absatz der wiederverwertbaren Produkte fördern», ergänzt Umweltingenieur Plüss. Tatsächlich wird Bauschutt bisweilen erst zwischengelagert, um die weitere Entwicklung in der Abfallplanung abzuwarten.

Hohes Recyclingpotenzial

Die im Hochbau gelagerte Masse ist immens. Das geschätzte Gesamtgewicht aller Immobilien in der Schweiz beträgt rund 1 Mrd. t, mit einem spezifischen Durchschnittsgewicht von rund 360 kg/m3 Bauvolumen. Nur: Die Gebäudemasse ist nicht homogen, sondern auf über Dutzende Baumaterialien verteilt. Die verwendete Stoffchemie reicht von herkömmlichen Mineralien in Sand und Kies über organische und synthetische Substanzen bis zu Seltenen Erden. Die klassischen Schwergewichte sind Beton, Backstein, Holz und Stahl, in Bezug auf Masse und Anteile. Fassaden, Dach und Innenausbau sind aber durch eine weit grössere, unübersichtlichere Palette an Werkstoffen und Verbundmaterialien charakterisiert. Davon liegt das meiste nur in Spuren vor. Behindert wird die stoffliche Wiederverwertung aber auch dadurch, dass die wenigsten Abbruchmaterialien sortenrein oder homogen entfernt werden können. Die ETH Zürich hat vor über zehn Jahren erste Analysen der Gebäuderezeptur präsentiert. Aktuell bestimmt die Technische Universität Wien die Ingredienzen im Gebäudepark der ehemaligen Kaiserstadt (vgl. «Die Zutaten im Gebäude», S. 28). Eine solche Stoffflussanalyse erlaubt Prognosen und Strategien, um die wiederverwertbaren Materialanteile im Gebäude aufzuschlüsseln.

Lückenlose Infrastruktur

Beim Betonrecycling lässt sich der Stoffkreislauf heute schon schliessen. Rückgebaute und gebrochene Betonwände und -decken lassen sich problemlos konstruktiv wiederverwenden. «Die Recyclingquote schwankt regional zwischen 50 und 90?%», bestätigt Stefan Rubli, Inhaber der Energie- und Ressourcen-Management GmbH. Die Anteile haben sich vor allem im Kanton Zürich vergrössert, weil Behörde und Branche die ökologische Verwertungsvariante gemeinsam vorantreiben. «Basis der Erfolgsgeschichte ist eine lückenlose Aufbereitungs- und Recyclinginfrastruktur von der Rückbaustelle bis zum Betonwerk», sagt Rubli. Den weiteren Ausbau des Absatzes behindern mittlerweile weniger technische Hürden oder fehlende Kapazitäten als vielmehr Unwissen oder Bedenken bei Planern und Entscheidungsträgern.[2] Genug rezyklierbares Material hat es auf jeden Fall: Laut Stefan Rubli mischen Betonproduzenten bisweilen von sich aus geringe Abbruchanteile dem konventionellen Beton bei. Das Recycling von Kupfer, Aluminium und Altmetall ist ein weiterer Zweig, bei dem das Urban Mining bestens funktioniert.

Die Rückbaubranche arbeitet oft aus eigenem Antrieb daran, Schrott, Schutt und andere Abbruchmaterialien in sekundäre Ressourcen zu verwandeln. Und wo dies noch nicht gelingt, macht gern die Behörde darauf aufmerksam. So hat die Zürcher Baudirektion erstmals die Gipsflüsse untersucht (vgl. «Mehr Gips für den Kreislauf», S. 25) und regt eine Erhöhung der Verwertungsquote an. Gefragt sind Recyclingkonzepte, die die gesamte Materialpalette im Gebäude umfassen. Die laufende Revision der Technischen Verordnung über Abfälle (TVA) will darum, die Kreisläufe schliessen: «Dafür sind Bauabfälle zu trennen sowie stofflich und energetisch sinnvoll wiederzuverwenden».

Wertstoffcluster in Zentrumsnähe

Die Verwertung der ausschlachtbaren Ressourcen steckt allerdings erst in den Kinderschuhen. Urban Mining heisst oft: eine Kaskadennutzung mit Down- statt Recycling oder die thermische Verwertung. Das Gros des mineralischen Abbruchs wird Magerbeton und Koffer- und Füllmaterial. Altes Fensterglas wird aus qualitativen Gründen oft nicht 1:1 wiederverwendet, sondern geht häufig zur Dämmstoff- oder Hohlglasfabrikation.

Die Stadt Zürich hat 15 eigene Rückbauprojekte analysiert[3] und unter anderem den ökologischen Pfad bei der Altholzverwertung gesucht. Das Aussortieren alter Balken und heruntergerissener Wandtäfer gehört zwar zum Standardrückbau; die Verwertung jedoch endet thermisch (vgl. «Verbrennen von Altholz ist ökologisch vertretbar») oder im Export. Die ökologische Bestvariante ist materialspezifisch und hängt von weiteren Faktoren ab: «Beim Urban Mining spielen neben der Verwertung auch Transportwege, Maschinenpark und Rückbauverfahren eine wichtige Rolle», sagt Philipp Noger, Projektleiter Fachstelle für Nachhaltiges Bauen Stadt Zürich. Für das Betonrecycling wird beispielsweise empfohlen: Die Aufbereitung soll innerhalb eines Radius von 25 km stattfinden. Darum ist bemerkenswert, dass sich rund um Siedlungszentren in der Deutschschweiz eigentliche Wertstoffcluster zur Aufbereitung von mineralischen Abfällen und Altmetall angeordnet haben.

Warnung vor Altlasten

Im Rückbau fallen auch Materialfraktionen aus jüngeren Baustoffgenerationen an, deren Recycling wenig erforscht ist. Das deutsche Fraunhofer-Institut hat im vergangenen Jahr eine Pilotstudie zum Recycling von Wärmedämmverbundsystemen präsentiert. Der Tenor: Verklebte und verputzte Bauteile sind schwer trennbar. Und gegen die Wiederverwendung spricht, dass die energetische Verwertung beim Verbrennen von Kunststoffen wirtschaftlich und ökologisch besser ist. Denn eine definitive Entsorgung verhindert das Verschleppen problematischer Zutaten, etwa der Brandschutzmittel.

Zurück zur Besichtigungstour auf der Baustelle Schweiz: Am Zürcher Entlisberg startet bald der Rückbau einer Genossenschaftssiedlung, um grosszügigeren Wohnhäusern Platz zu machen. Und in Oberarth SZ muss die stolze Seidenweberei modernen Mehrfamilienhäusern weichen. Zu hoffen ist, dass diese und alle anderen Neubauten ohne bereits bekannte Problemzutaten auskommen. Denn damit das Kreislaufmodell endlich in Schwung kommt, sind mögliche Altlasten vor dem Einbau in den Gebäudebestand fernzuhalten.


Anmerkungen:
[01] Bundesamt für Umwelt (Bafu), Bauabfälle Hochbau in der Schweiz; Schlussbericht, 2008
[02] Bundesamt für Strassen (Astra), Entscheidungsgrundlagen und Empfehlungen für ein nachhaltiges Baustoffmanagement, Forschungsprojekt Astra 2005/004, 2014
[03] Amt für Hochbauten AHB Stadt Zürich, Urban-Mining- Potenzial in der Stadt Zürich, Zwischenbericht, 2014

TEC21, Fr., 2015.06.19

19. Juni 2015 Paul Knüsel

Mehr Gips für den Kreislauf

Gips landet nach dem Gebäuderückbau meistens auf Inertstoffdeponien. Die stoffliche Wiederverwertung wäre dagegen nachhaltiger. Eine Studie des Kantons Zürich zeigt nun, wie gross das effektive Potenzial ist.

Durch Rückbau und Erneuerung des Gebäudebestands entstehen 340?000 t Gipsabfälle pro Jahr. Der Gips-Output aus dem Bauwerk entspricht also etwa 40?% des Inputs. Knapp zwei Drittel des Outputs sind Gipskarton- und Vollgipsplatten. Davon wiederverwertet werden zurzeit lediglich 1 bis 1.5%, also 3000 bis 5000 t pro Jahr. Das Recycling wird in der Branche selbst organisiert und umfasst eine Aufbereitung der Gipsabfälle zu neuen Vollgipsplatten. Der überwiegende Teil wird jedoch in überwachten Inertstoffdeponien abgelagert; ein kleinerer Teil gelangt mit anderen Bauabfällen zusammen in die Kehrichtverbrennungsanlagen. Die Situation ist unbefriedigend, weil viel Deponieraum beansprucht wird und Gips eigentlich gar kein Inertstoff ist (vgl. «Auswaschbare Gipsabfälle»).

Der Absatz von Gipskartonplatten hat in den letzten Jahren stark zugenommen, weshalb die zu erwartende Menge an Gipsabfällen deutlich ansteigen wird. Genauere Zahlen zu den Gipsströmen in der Schweiz hat das Amt für Abfall, Wasser, Energie und Luft des Kantons Zürich (Awel) in einer Studie erheben lassen (vgl. «Gipsströme in der Schweiz», S. 27). Neben
der aktuellen Massenbilanz wird darin die weitere Entwicklung abgeschätzt: Welche Gipsmengen wurden
in der Vergangenheit respektive werden heute und in Zukunft produziert, importiert und deponiert? Zudem wurde untersucht, in welchen Bauprodukten Gips eingesetzt wird und wie gross die Massenflüsse sind. Darauf basierend wurde das Verwertungspotenzial für Gips abgeschätzt.

Verdoppelung der Stoffflüsse

Die Awel-Studie skizziert zwei Szenarien: «Referenz» schreibt den Istzustand mit der 1%-Quote für die stoffliche Verwertung fort. Bleiben die Entsorgungswege
bis 2035 erhalten, verdoppeln sich die Gipsflüsse in Deponien und KVA beinahe auf knapp 500000 t pro Jahr. Und mit der bisherigen Verwertungsrate gehen 2035 nur etwa 10000 t Gipsabfälle in die Wiederverwertung. Demgegenüber rechnet das «Recycling»-Szenario mit deutlich erhöhten Verwertungsmengen. Voraussetzung ist, dass die inländischen Zement- und Vollgipsplattenhersteller ihren Produktionsanteil an wiederverwertetem Gips (RC-Gips) auf 70?% steigern; mehr lässt sich aus qualitativen und verfahrenstechnischen Gründen nicht beimischen. Zudem können nur Vollgips- und Gipskartonplatten mit vertretbarem Aufwand wiederaufbereitet werden. Die Rückgewinnung von Gips aus Mörtel, Putz und Estrich ist dagegen zu aufwendig.

Im Szenario «Recycling» gleichen sich die Mengenverhältnisse in den unterschiedlichen Verwertungsvarianten an: Die Recyclingmenge liesse sich auf über das 30-Fache steigern; gleichzeitig reduziert sich die deponierte respektive verbrannte Menge an Gips um rund einen Drittel auf 338000 t pro Jahr. Realistischerweise lassen sich etwa 150000 bis 200000 t pro Jahr wiederverwerten, bei einem theoretisch berechneten Potenzial von 328000 t pro Jahr.

Gipsplatten für die Wiederverwertung

Die Differenz zwischen Theorie und Praxis wird durch den Aufbereitungsaufwand für Vollgips- und Gipskartonplatten sowie durch die Qualitätssicherung in der Gipsproduktion bestimmt. Unter anderem kann nur ein Teil des Rohmaterials durch RC-Gips (300000–350000 t pro Jahr) ersetzt werden. RC-Gips ist in der Schweiz ebenfalls ein Sekundärrohstoff für die Zementproduktion. Eine Recyclinghürde sind zudem die Importe: Heute schon werden pro Jahr rund 300000 t Gipskartonplatten eingeführt; auch künftig dürfte der Gipsbedarf zur Hälfte durch Importe gedeckt werden. Und ausserdem kann RC-Gips – entgegen den Modellannahmen – wahrscheinlich nicht exportiert werden, weil es im Ausland keine Nachfrage für Sekundärrohstoffe gibt (vgl. «Gipsrecycling in Deutschland»).

Bevor ein umfassendes Recyclingkonzept für die Schweiz entwickelt werden kann, braucht es weitere Untersuchungen zu den Qualitätsanforderungen am Rohstoffmarkt. Zudem muss ein Sammelsystem gefunden werden, wobei eine zusätzliche Mulde auf der Rückbaustelle ausreichen würde. Schliesslich braucht es einen Standort für eine Gipsaufbereitungsanlage in der Schweiz, der logistisch günstig liegt und mit kurzem Transportweg erreichbar ist.

Dialog mit Industrie

Das Awel hat im Mai 2015 Vertreter von Gipsplattenherstellern, Zementwerken, Entsorgern, von einzelnen Kantonen sowie vom Bundesamt für Umwelt zu einem Workshop über die Gipsrecycling-Szenarien eingeladen. Dieses Treffen hat unter anderem folgende Erkenntnisse gebracht: Es besteht ein grosses, nicht genutztes Potenzial für das Recycling von Gipsabfällen aus dem Baubereich. Gipsabfälle für die Gipsplattenherstellung oder als Zumahlstoff bei der Zementherstellung müssen unverschmutzt und von gleichbleibender Qualität
sein. Für die Zementindustrie wichtig ist zudem die konstante Verfügbarkeit an grossen Mengen, wofür zusätzliche Aufbereitungskapazitäten nötig sind.

Damit die Verwertung von Gips aus dem Rückbau konkurrenzfähig ist, müssen entweder die Deponiepreise für gipshaltige Bauabfälle erhöht oder die Ablagerung auf Inertstoffdeponien eingeschränkt werden. Alternativ können maximale Gipsanteile für das Deponieren von Bauabfällen definiert werden. Wünschenswert wäre, dass der Verband der Gipsindustrie mit weiteren Verbänden und Partnern eine Branchenlösung für das Gipsrecycling prüft. In Betracht zu ziehen ist sodann die Erfassung von verwertbaren Gipsabfällen vor Um- und Rückbauten; ähnlich einer Schadstoffabklärungspflicht gemäss Technischer Verordnung über Abfälle. Die Workshopteilnehmer haben sich darauf geeinigt, die Verwertung der Gipsabfälle durch die Unternehmen selbst respektive durch die involvierten Branchen zu erarbeiten.

Enge Zusammenarbeit

Der Kanton Zürich hat mit dem Gipsmodell Prognosen für die Wiederverwertung von Gips bereitgestellt. Nun liegt es an der Privatwirtschaft, die sekundäre Rohstoffquelle zu erschliessen und das Recycling als funktionierende Wertschöpfungskette aufzubauen.

Zur Ausschöpfung des Gipsrecycling-Potenzials bedarf es der engen Zusammenarbeit von Firmen und Branchenorganisationen entlang der Produktionskette. Das Umwelt- oder Abfallrecht muss so weit angepasst werden, dass die Wiederverwertung von Gips attraktiver wird. Gelingt dies, kann die Gipsbranche das Image
des mineralischen Baustoffs als nachhaltiges Produkt gewinnbringend nutzen.


Anmerkung:
[01] Baudirektion Kanton Zürich; Modell zur Beschreibung der Entwicklung der Gipsflüsse in der Schweiz; Energie- und Ressourcenmanagement GmbH, Schlussbericht vom 31. August 2014 (Bericht und weitere Unterlagen: http://bit.ly/1BVMfmL)

TEC21, Fr., 2015.06.19

19. Juni 2015 Manuel Stark

4 | 3 | 2 | 1