Editorial

Wie es aussieht, wird Photovoltaik zu einem selbstverständlichen Bestandteil eines Gebäudes werden müssen. Und zwar nicht mehr nachträglich als technisches Gerät an die Hülle montiert, sondern als ­Bauteil integriert. Standards und Normen drängen zum vermehrten Einsatz ­erneuerbarer Energie im Gebäudepark. Photovoltaik ist eine praktikable Lösung. Aber wieso muss sie unbedingt ins Gebäude integriert werden? Weil ein weiteres Ziel Nachhaltigkeit heisst – Ackerflächen oder Naturschutzgebiete sollen für die Energieproduktion aussen vor ­bleiben. An Gebäuden hingegen gibt es riesige noch ungenutzte Potenziale. Der verpflichtende Einsatz von PV auf Flachdächern wird (z. B. im Kanton Luzern) schon seit einigen Jahren diskutiert. Schrägdächer, Fassaden, Balkonbrüstungen und sogar Fenster sind weitere Flächen, die man nutzen könnte. Diese mit herkömmlichen 1.60 × 0.90 m grossen, dunkel­blau glänzenden Modulen zu belegen ist aus vielerlei Hinsicht fragwürdig: Kon­struk­tiv, funktional und ästhetisch sind sie oft ungeeignet.

Hochschulen hinterfragen daher, welche Anforderungen an gebäudeintegrierte Photovoltaik ­gestellt werden müssen und wie sich überprüfen lässt, ob sie erfüllt sind. Die Hersteller bringen inzwischen laufend neue Produkte auf den Markt, die den hohen Ansprüchen gerecht werden. Durch diese aktuellen Entwicklungen sollte gute Solararchitektur künftig leichter umsetzbar sein.

Nina Egger

Inhalt

AKTUELL
07 WETTBEWERBE
Wohnen über den Gleisen

10 PANORAMA
«Ingenieure werden nur noch wahrgenommen, wenn etwas nicht klappt» | In Kürze | Prominent funktional

16 VITRINE
Weiterbildung

17 SCHAFFHAUSER PLÄTZE NEU ENTDECKEN
Die Zukunft hat gestern begonnen | Kalkulierbares Risiko

21 VERANSTALTUNGEN

22 BAUSTOFF MIT ZUKUNFT
Francesco Frontini
Werden PV-­Module als Bauteile verwendet, ändern sich die Anforderungen.

25 BIPV IM KONTEXT
Maria Cristina Munari Probst
Ist die architektonische Inte­gration der PV gelungen? An der EPFL wurden hierfür Kriterien zusammengestellt.

26 «IM GRUNDE TRIVIAL»
Nina Egger
Solararchitekt Beat Kämpfen über die Tücken der PV und seinen Lernprozess.

27 ÜBERWÄLTIGENDE VIELFALT
Nina Egger
Bunt ist das neue Schwarz: Was gibt es aktuell in der PV-Welt, und wie lässt es sich kreativ einsetzen?

AUSKLANG
32 STELLENINSERATE

37 IMPRESSUM

38 UNVORHERGESEHENES

Baustoff mit Zukunft

Das PV-Modul als integriertes Bauelement – welchen Anforderungen muss es genügen, und worin liegen die Unterschiede zu herkömmlicher PV? Ein Forscher der Supsi berichtet über seine Suche nach Antworten.

Gebäudeintegrierte Photovoltaik (Building-integrated photovoltaics, BIPV) ist noch ein Nischenmarkt. Bislang ist diese Technologie zu wenig bekannt, bei den Architekten kaum akzeptiert und im Vergleich mit konventioneller Photovoltaik teuer. Doch was genau ist BIPV, und was leistet sie?

Grundsätzlich gibt es zwei Möglichkeiten, Photovoltaik in einem Gebäude zu nutzen. Die eine besteht darin, konventionelle PV-Module mit einem Montagesystem an der Gebäudehülle anzubringen (Building-added photovoltaics, BAPV). Am häufigsten sind dachmontierte PV-Systeme, die an bestehende Gebäude angebracht werden. Besondere ästhetische oder konstruktive Anforderungen müssen dabei nicht erfüllt werden.

Drin statt nur dran

Die zweite Möglichkeit besteht darin, Teile der Gebäudehülle durch PV-Module zu ersetzen, diese also in den Bau zu integrieren (BIPV). In diesem Fall übernehmen diese Module alle Funktionen der ersetzten Objekte. Deshalb müssen sie verschiedene Anforderungen erfüllen. Bis jetzt existiert für gebäudeintegrierte PV-Module kein eigener Standard, die Regulierung ist noch lückenhaft. Zu beachten sind bei BIPV zum einen die elektrotechnischen Anforderungen an das Modul gemäss 2006/95/EG[1] oder Cenelec-Normen[2], zum anderen die Bauproduktenormen im Sinn der EG-Bauprodukteverordnung (EU) Nr. 305/2011. Es wäre nötig, Produktenormen für die folgenden Punkte aufzustellen:
mechanischer Widerstand und Stabilität,
Sicherheit im Brandfall,
Hygiene, Gesundheit und Umweltschutz,
Sicherheit und Zugänglichkeit im Einsatz,
Schutz gegen Lärm,
Energiehaushalt und Wärmespeicherung,
nachhaltige Nutzung natürlicher Ressourcen.

Da BIPV-Module Teil eines Gebäudesystems sind, ist es sehr wichtig zu untersuchen, wie sich das System als Ganzes verhält – im Gegensatz zum elektrotechnischen Standard IEC, der lediglich ein einzelnes Modul prüft.

Konstruktive Aspekte

Gegenüber einem herkömmlichen PV-Modul muss zum Beispiel eine Indachlösung wie Solardachziegel als Gesamtsystem inklusive aller Befestigungsstrukturen mechanische Stabilität, Brandschutz und Wasserdichtigkeit gewährleisten.

Das PV-Modul-Testzentrum der Scuola universitaria professionale della Svizzera italiana in Lugano (Supsi) hat das mechanische Verhalten verschiedener Dachelemente untersucht. Der mechanische Belastungstest aus der Norm IEC 61215[3] wurde den Anforderungen an dachintegrierte PV-Module angepasst. Bei einem integrierten Modul muss nicht nur das Element selbst – wie in der IEC-Norm gefordert – mit 2400 pa Last getestet werden, sondern auch das Befestigungs- oder Klemmsystem und die Montagekonstruktion. Zur Durchführung des Tests wird die gesamte Konstruktion entsprechend den Herstellerangaben in Lasttestern montiert. Die Ausstattung am Testzentrum kann eine Zug- und Druckbeanspruchung von bis zu 10 000 Pa auf das Modul ausüben. Bis zu sechs Sensoren, die eine vertikale Verschiebung mit einer Genauigkeit von 0.5 mm registrieren, lassen sich an der Konstruktion, an den Klemmen oder am Modul befestigen. Die Tests können nach dem Standardprozedere der IEC ausgeführt werden oder mit inkrementellen Zug- und Druckkräften bis zur Schadens- oder Bruchgrenze. Für die Qualifizierung von PV-Modulen in Übereinstimmung mit den Normen IEC 61215 und IEC 616464 ist darüber hinaus die Hagelwiderstandsprüfung zwingend.

Unter realistischen Bedingungen, also mit einer kompletten Konstruktion, kann solch ein Test Schwachstellen im Produktdesign, Wechselwirkungen zwischen den Modulen oder zwischen Modulen und Konstruktion offenbaren, die mit der Zeit zu Schäden führen können. Die Tests zeigen, wie wichtig es ist, die Systemperformance in einer Vorprüfung zu validieren, um die Installation und Langlebigkeit des Systems zu optimieren.

Architektonische Integration

Heutige PV-Module werden in erster Linie so entwickelt, dass sie die technischen Anforderungen der Energieproduktion erfüllen. Dabei wird die Dimensionierung der Module auf Energieertrag und Herstellungsprozesse hin optimiert. Darüber hinaus sollten sie zu einem Bauteil werden, das sich einfach in die Gebäudehülle (Dach, Fassade, Verschattungselemente etc.) einbauen lässt und dabei langlebig und sicher ist. Fragen nach der Integration in die architektonische und bauliche Gestaltung werden bislang hingegen kaum aufgegriffen.

Eine echte Integration von PV-Modulen in die Gebäudehülle hat funktionale, konstruktive und formale Aspekte. Für Letztere sind Solarteure, die vor allem technische Gesichtspunkte im Auge haben, wenig sensibilisiert. Auch den Herstellern bereitet die Frage der Ästhetik Schwierigkeiten, weil sie normativ nur schwer zu fassen ist. Experten der EPFL haben nun ein System entwickelt, anhand dessen auch die Ästhetik von Photovoltaik nach objektiv nachvollziehbaren Kriterien beurteilt werden kann (vgl. «BIPV im Kontext», S. 25).

Das thermische Verhalten von BIPV

Wird ein PV-Modul voll in die Gebäudehülle integriert, ändert sich sein elektrisches und thermisches Verhalten. Die wichtigsten Faktoren für diese Leistungsänderung sind die Art der Integration (Grad der Belüftung, Montagekonstruktion) und die Neigung/Orientierung der Module, denn diese Parameter haben einen grossen Einfluss auf die Arbeitstemperatur. Vollständig integrierte Module sind im Durchschnitt deutlich höheren Betriebstemperaturen ausgesetzt als BAPV. Je nach Technologie erhöht oder senkt die höhere Betriebstemperatur den Wirkungsgrad des Moduls und damit die Abgabe elektrischer Leistung durch das System.

Um dieses Verhalten unter möglichst realitätsnahen Bedingungen zu evaluieren, wurde am Supsi-Campus ein BIPV-Prüfstand realisiert. Dabei wurde ein Baustandard hoher Qualität (SIA 380/1) zugrundegelegt. Die Wärmedurchgangskoeffizienten (U-Werte) der «Mustervorschriften der Kantone im Energiebereich»[5] wurden eingehalten. Alle Bauelemente, inklusive der in die Gebäudehülle integrierten PV-Glaselemente, mussten diesen Verordnungen entsprechen.

Die meisten der 22 ausgewählten BIPV-Technologien basierten auf der amorphen Siliziumtechnologie (a-Si). Daneben wurden auch semitransparente kristalline (c-Si) Glas/Glas-Module mit unterschiedlichen Abständen zwischen den Zellen getestet. Die amorphen Silizium-Glas/Glas-Module, die normalerweise opak sind, wurden speziell für dieses Projekt transparent ausgeführt. Diese als Fenster eingesetzten Module wurden mit einer zweiten Glasschicht gekoppelt, um eine Isolierglaseinheit zu bilden. Der Spalt zwischen dem PV-Glas und der zweiten Schicht wurde mit Argongas gefüllt, um einen niedrigen U-Wert zu erreichen.

Die Untersuchungen sollten aufzeigen, wie die verschiedenen Module funktionieren, wenn sie in eine hinterlüftete Fassade, ein hinterlüftetes Dach oder in eine Zweischeibenverglasung (Fenster) – entweder vertikal (90°) oder als Oberlicht (30°) – eingebaut sind. Es zeigte sich, dass die Temperatur über das Jahr bei den um 30° geneigten Modulen stärker variiert. Wenn die Sonne im Sommer im Zenit steht, bestrahlt sie die um 90° geneigten Module nur indirekt; im Winter hingegen steht die Sonne meistens sehr tief und bescheint primär die Fassade. Das dämpft die sommerlichen und winterlichen Extremwerte der fassadenintegrierten Module. Die um 30° geneigten Module zeigten daher im Frühling und Sommer höhere Temperaturen, im Herbst und Winter niedrigere Temperaturen als die um 90° geneigten Module.

Bei der Untersuchung der verschiedenen Technologien hat sich die Erwartung bestätigt, dass die c-Si-Module (kristallin) aufgrund ihres negativen Temperaturkoeffizienten im Winter bessere Leistungen bringen. Umgekehrt wurde die Leistung der a-Si/a-Si-Module (amorph) durch die hohen Temperaturen im Juli begünstigt. Am Teststandort in Lugano beträgt die optimale Neigung für kristalline Siliziummodule 90° und für a-Si/a-Si-Module 30°. Darüber hinaus spielt die Art der Integration eine signifikante Rolle. Die hinterlüfteten Module zeigten generell niedrigere Temperaturen. Es zeigte sich, dass sich bei der a-Si/a-Si-Technologie die Leistung der Module erhöht, wenn sie integriert sind, weil sie so höhere Zelltemperaturen erreichen.

In der «BIPV-Vision» ist Photovoltaik nicht nur ein technisches Gerät (wie eine Lüftungsanlage oder Satellitenschüssel), das zur Stromerzeugung an ein Gebäude geschraubt wird, sondern wird zu einer funktionalen, konstruktiven Komponente, die ein klassisches Gebäudeelement (wie Fenster, Verkleidungen oder Architekturelemente) ersetzt und dabei auch noch in der Lage ist, Energie zu erzeugen. In diesem Fall kann man die PV-Module nicht vom Gebäude entfernen, ohne dabei die darunterliegende Schicht oder das gesamte Gebäude (das per Definition ohne PV unvollständig ist) zu kompromittieren.

So wesentlich die funktionale Rolle von BIPV in Zukunft werden wird, entscheidend für den Erfolg der Technologie ist es, dass Projektentwickler (vor allem Architekten) neben den technischen auch und insbesondere die ästhetischen und architektonischen Aspekte in den Blick nehmen. Die Akzeptanz und Qualität dieser dezentralen Energiesysteme können davon nur profitieren.


Anmerkungen:
[01] Europäische Niederspannungsrichtlinie 2006/95/EG.
[02] Comité Européen de Normalisation Électrotechnique.
[03] DIN EN 61215 VDE 0126-31:2006-02, Terrestrische kristalline Silizium-Photovoltaik-Module.
[04] IEC 61646, Terrestrische Dünnschicht-Photovoltaik-Module – Bauarteignung und Bauartzulassung
[05] Mustervorschriften der Kantone im Energiebereich (MuKEn), www.endk.ch/de/

TEC21, Fr., 2015.06.12

12. Juni 2015 Francesco Frontini

BIPV im Kontext

Solaranlagen und ihre Integration in die Architektur – ein heikles Thema. Mit einer Methode zur objektiven Beurteilung liefert das Labor für Solar­energie und Bauphysik der ETH Lausanne ein hilfreiches Tool.

Artikel 18a RPG des Planungs- und Baugesetzes besagt: «In Bau- und Landwirtschaftszonen sind sorgfältig in Dach- und Fassadenflächen integrierte Solaranlagen zu bewilligen, sofern keine Kultur- und Naturdenkmäler von kantonaler oder nationaler Bedeutung beeinträchtigt werden.» Doch was genau bedeutet «sorgfältig integriert» und «beeinträchtigt»? Welche architektonischen Qualitäten gilt es zu bewahren und wie? Diesen Fragen geht das Labor für Solarenergie und Bauphysik (LESO) der ETH Lausanne (EPFL) nach – mit dem Projekt LESO-QSV (für Qualität – Standort – Visibilität) nach.

Architektonische Qualität lässt sich allgemein architekturtheoretisch über Nützlichkeit, Stabilität und Schönheit beschreiben. Nützlichkeit beschränkt sich bei Gebäuden mit BIPV nicht mehr nur auf die Funktion des Schutzes vor der Umwelt, sondern umfasst auch die Energieproduktion. Unter Stabilität fallen konstruktive Anforderungen an die PV (vgl. «Baustoff Photovoltaik», S. 22). Die Frage der Schönheit hingegen ist für viele Techniker, aber auch Behörden nicht so leicht zu fassen. Das LESO hat objektiv beurteilbare Kriterien für Photovoltaikanlagen und ihre Integration in die Architektur zusammengestellt. Mittels eines dreistufigen Prozess lässt sich systematisch überprüfen, ob die Photovoltaik sorgfältig in die Architektur integriert ist.

Der erste Schritt umfasst die Definition der gestalterischen Kriterien der Anlage, die ihre erfolgreiche Integration in das Gebäude ausmachen. Beurteilt werden Integration und formale Eigenschaften der verschiedenen Technologien. Dazu gehören Grösse und Position der Anlage (Systemgeometrie), Material, Oberflächentextur und Farbe der Module (Systemmaterial), ihre Grösse und Form und ihr Fugenbild (Systemdetails).

In der zweiten Stufe wird die Photovoltaik nach diesen Kriterien bewertet. Als dritter Schritt folgt die Analyse des Kontexts. Je besser sichtbar die Aussenflächen und je sensibler der Standort eines Gebäudes im Siedlungskontext, desto entscheidender ist die ästhetische Qualität der architektonischen Integration, und desto höher sind die Anforderungen für deren Akzeptanz. Umgekehrt gilt: Je geringer die Sensibilität des Standorts und die Visibilität der Gebäudeflächen (Industriezone, Flachdach usw.), desto geringer sind die architektonischen Qualitätsanforderungen.

Die Methode LESO-QSV wurde als Tool für Behörden, Bauherren und Architekten entwickelt, damit sie das dreistufige Programm leicht anwenden können. QSV-Acceptability hilft Gemeinden, Anforderungen in einem soziopolitischen Kontext zu definieren und folglich zu bewerten. QSV-Grid visualisiert die Auswirkungen unterschiedlicher Entscheide auf das Siedlungsumfeld. Und mit QSV-Crossmapping schliesslich kann für eine proaktive Solarplanung die architektonische Sensibilität von Siedlungsflächen kartiert und mit digitalen Sonneneinstrahlungskarten abgeglichen werden.

Architekten müssen sich im Bereich der gebäudeintegrierten Photovoltaik neue Kompetenzen aneignen, um Veränderungen im Zusammenhang mit der Nutzung von Solarenergie aktiv steuern zu können. Die Hersteller von Solaranlagen müssen ihrerseits Produkte auf den Markt bringen, die als Baukomponenten konzipiert sind und sich optimal in den Bau integrieren lassen.

TEC21, Fr., 2015.06.12

12. Juni 2015 Maria Cristina Munari Probst

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